Theorie und Politik

der Bevölkerungsentwicklung

 

 

Gliederung:

 

  1. Einführung in die Problematik

  2. Die Bevölkerungstheorie von Robert Thomas Malthus

  3. Die Determinanten des Bevölkerungswachstums

  4. Die Geburtenrate

  5. Die Sterberate

  6. Ein- und Auswanderung

  7. Bevölkerungswachstum und Beschäftigung

  8. Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum

 9. Bevölkerungswachstum und Altersvorsorge

    10. Bevölkerungswachstum und Einkommensverteilung

11. Bevölkerungspolitik erwünscht ?

12. Bevölkerungspolitische Maßnahmen

 

 

 

1. Einführung in die Problematik

 

Die Entwicklung der Bevölkerung in den Industrienationen sowie der gesamten Welt gehört zu den zentralen Themen der Politik. Hierbei fällt eine sehr unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Ländern auf. Auf der einen Seite wird das rasante Wachstum der Bevölkerung in den Entwicklungsländern beklagt, es wird teilweise befürchtet, dass unsere Erde aufgrund einer Überbevölkerung einem Kollaps zusteuert und dass die natürlichen Ressourcen nicht ausreichen, um die zukünftig zu erwartende Bevölkerung zu ernähren; es werden Hungersnöte größten Ausmaßes prognostiziert.

 

Eine ähnliche rasante Wachstumsentwicklung in den Bevölkerungszahlen wurde übrigens auch für die heutigen europäischen Volkswirtschaften in der Anfangsphase ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu Industrienationen festgestellt. Offensichtlich zeichnen sich nahezu alle Volkswirtschaften in ihrer ersten wirtschaftlichen Entwicklungsphase durch ein extrem hohes Bevölkerungswachstum aus.

 

Auf der anderen Seite wird jedoch auch die Bevölkerungsstagnation der heutigen Industrienationen vor allem Europas beklagt und die Befürchtung geäußert, dass diese Staaten vor kaum lösbare Probleme vor allem im Zusammenhange mit der Altersvorsorge geraten, falls dieser Entwicklung nicht politisch entgegengesteuert wird.

 

Betrachtet man jedoch diese Entwicklungen in einem etwas größeren historischen Zusammenhang, so fällt auf, dass sich das Wachstum der Bevölkerung in den europäischen Volkswirtschaften mit der wirtschaftlichen Weiterentwicklung von selbst reduziert hat und dass deshalb Hoffnung besteht, dass im Zuge der Weiterentwicklung der heutigen Entwicklungsländer ebenfalls von selbst eine Reduzierung des Bevölkerungswachstums zu erhoffen ist und dass man vor allem aufgrund der heutigen Kenntnisse über die Determinanten der Bevölkerungsentwicklung bei einer umsichtigen Bevölkerungspolitik, welche diese natürlichen Tendenzen unterstützt, das Problem der Bevölkerungsexplosion in den Griff bekommen kann.

 

Andererseits zeigt das Beispiel der USA, also einer Volkswirtschaft, welche in wirtschaftlicher Hinsicht am weitesten fortgeschritten ist, dass auch der Stagnationsprozess der Bevölkerung der Industrienationen nicht anhält, sondern selbst wiederum durch ein gemäßigtes Bevölkerungswachstum abgelöst wird.

 

Es hat also den Anschein, dass es sehr wohl auch im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung so etwas Ähnliches wie Gleichgewichtsprozesse gibt, welche dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerungsgröße den jeweiligen Umweltbedingungen von selbst angepasst wird. Dies bedeutet allerdings keinesfalls, dass man im Sinne eines Laisser faire - Konzepts am besten die Bevölkerungsentwicklung sich selbst überlässt und auf jegliche politische Einflussnahme verzichten sollte.

 

Dieser Anpassungsprozess vollzieht sich nämlich nur in sehr kleinen Schritten und gilt nur für eine sehr langfristige säkulare Betrachtung; sie bedeutet nicht, dass auf kurzfristige Sicht sehr schwerwiegende Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung zu befürchten sind und dass es deshalb sehr wohl politischer Maßnahmen bedarf, um diese negativen Tendenzen abzuschwächen.

 

Das Ziel einer Bevölkerungspolitik besteht aber dann weniger darin, dass ein Zusammenbruch der Welt abgewendet werden muss und dass ein Entgegensteuern gegen diese natürliche Entwicklung eingeleitet werden sollte, sondern eher, dass die natürlichen Gleichgewichtstendenzen unterstützt werden, sodass der Anpassungsprozess durch politische Maßnahmen beschleunigt werden kann und die mit diesem Prozess verbundenen Belastungen reduziert werden können.

 

Diese politischen Maßnahmen setzen jedoch eine gute Kenntnis der Faktoren voraus, welche die Bevölkerungsentwicklung bestimmen. Also haben wir uns in einem ersten Schritt mit der Frage nach den Determinanten der Bevölkerungsentwicklung zu befassen.

 

Die Theorie der Bevölkerungsentwicklung befasst sich vor allem mit der Beantwortung folgender zwei Fragen: Es geht erstens um die Frage, von welchen gesellschaftlichen Faktoren es abhängt, ob die Bevölkerung eines Landes wächst, stagniert oder sogar schrumpft.

 

Als wichtigste Determinanten der Bevölkerungsentwicklung haben hierbei die Geburtenrate, die Sterberate sowie die Ein- und Auswanderung zu gelten.

 

Die Kenntnis dieser Determinanten der Bevölkerungsentwicklung ist notwendig, wenn man im Rahmen der Bevölkerungspolitik mit der Entwicklung der Bevölkerung unzufrieden ist und wenn man auf politischem Wege den Versuch unternimmt, auf das Wachstum der Bevölkerung Einfluss zu nehmen, sei es, dass man eine Bevölkerungsstagnation überwinden will und somit Anreize zu einer Steigerung in der Bevölkerungsgröße setzen will, sei es, dass man in der bestehenden hohen Wachstumsrate eine Gefahr sieht und deshalb das Wachstum der Bevölkerung drosseln will.

 

Ein zweites Problem einer Bevölkerungstheorie besteht in der Frage, welche Auswirkungen denn vom Wachstum oder von der Stagnation in der Bevölkerung auf die wichtigsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielgrößen ausgehen.

 

Hierbei interessiert vor allem die Frage, wie sich die Entwicklung in der Bevölkerung auf die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer auswirkt, welcher Einfluss von der Bevölkerungsentwicklung auf die Innovationsbereitschaft einer Bevölkerung und damit letzten Endes auf das wirtschaftliche Wachstum ausgeht und wie sich schließlich die Möglichkeiten der Altersvorsorge in wachsenden und in schrumpfenden Gesellschafen gestalten.

 

Die Kenntnis dieser Fragen ist notwendig, wenn man im Rahmen der Bevölkerungspolitik die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung beurteilen möchte und wenn man klären will, ob eine politische Einflussnahme auf das Bevölkerungswachstum als notwendig erscheint und gegebenenfalls in welche Richtung diese Einflussnahme zu erfolgen hat.

 

 

2. Die Bevölkerungstheorie von Robert Thomas Malthus

 

Eine der ersten Bevölkerungstheorien der Neuzeit war der Beitrag von Robert Thomas Malthus, welcher im Jahre 1798 in seiner Schrift ‚An Essay on the Principle of Population’ eine durchaus pessimistische Bevölkerungslehre vortrug, welche von der überwiegend positiven Anschauungen der damaligen Zeit stark abwich. Diese Theorie lässt sich in der Aussage zusammenfassen, dass die Bevölkerung die Tendenz habe, wesentlich schneller zu wachsen als die Nahrungsmittel, welche zur Ernährung der Bevölkerung benötigt würden. Die Bevölkerung habe die Tendenz, im Sinne einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8 etc.) zu wachsen, während in dem gleichen Zeitraum der Bodenertrag und damit das Nahrungsmittelangebot nur im Sinne einer arithmetischen Reihe (1, 2, 3, 4 etc.) ausgeweitet werden könne. Wenn die Produktion von Nahrungsmittel vorübergehend schneller ansteige als das Bevölkerungswachstum, dann vermehre sich die Bevölkerung noch schneller als bisher.

 

Da jedoch die Bevölkerung ernährt werden müsse und für eine ausreichende Ernährung ein Minimum an Nahrungsmitteln lebenswichtig sei, könne die Bevölkerung nicht auf Dauer stärker steigen als die Nahrungsmittelproduktion. Diese notwendige Anpassung der Bevölkerung an den Nahrungsspielraum erfolge durch Hungersnöte, Krankheit und Kriege, welche die Bevölkerung dezimiere und an den vorhandenen Nahrungsspielraum anpasse. Es wird allerdings zugestanden, dass dieser Teufelskreis durchbrochen werden könnte, wenn die Bevölkerung freiwillige Enthaltung im geschlechtlichen Verkehr üben würde, die Wahrscheinlichkeit, dass die Mehrzahl der gebärfähigen Frauen und zeugungsfähigen Männer zu einem solchen Verhalten von selbst bereit seien, sei jedoch sehr gering.

 

Diese Überzeugungen stehen in einem Widerspruch zu der damaligen Vorstellung, dass die Fruchtbarkeit einer Gesellschaft die Grundlage für einen wirtschaftlichen Wohlstand darstelle. Diese Bevölkerungslehre wurde oft als Argument angeführt, um nachzuweisen, dass der Versuch, die Situation der Armen durch sozialpolitische Maßnahmen zu verbessern, zum Scheitern verursacht sei.

 

Nun müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass diese Theorie in mehrerer Hinsicht Mängel aufweist. Im Grunde genommen sagt sie nichts darüber aus, wie hoch die tatsächliche Wachstumsrate der Bevölkerung ist; die Aussage über die Tendenz, sich im Sinne einer geometrischen Reihe zu vermehren, bezieht sich ja nicht auf eine bestimmte festgelegte Periode; es werden keinerlei Aussagen darüber gemacht, in welchem Zeitraum eine Verdopplung der Bevölkerung zu erwarten ist, dies kann in einem sehr kurzen Zeitraum von wenigen  oder auch in einem sehr langen Zeitraum von vielen Jahrzehnten geschehen.

 

Die Malthusianische Lehre besagt allein, dass die Wachstumsrate der Bevölkerung ohne äußere Behinderung wesentlich größer sei als die technisch mögliche Wachstumsrate der Nahrungsmittel. Im Mittelpunkt dieser Theorie steht also eine Aussage über die begrenzten Möglichkeiten der Produktionsausweitung der Nahrungsmittel und nicht so sehr über den Umfang der Bevölkerungsentwicklung.

 

Diese Aussagen legen das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag der Bodenprodukte zugrunde. Entsprechend dieser Gesetzmäßigkeiten kann zwar die Bodenproduktion durch vermehrten Einsatz von Arbeitskräften gesteigert werden, der Zuwachs an Produkten ist jedoch geringer als der Zuwachs an Arbeitskräften, sodass also notwendigerweise die Zahl der Nahrungsmittel geringer steigt als die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer. Vermehrt sich die Bevölkerung, so kann zwar also die Güterproduktion ausgeweitet werden, der Ertrag pro Person muss jedoch aufgrund dieser technisch bestimmten Begrenzung notwendigerweise sinken.

 

Dieses Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag wurde zunächst lediglich für Bodenerträge nachgewiesen. Der mit zunehmender Produktion abnehmende Grenzertrag wird hierbei damit erklärt, dass bei vermehrter Produktion nicht nur ein vermehrter Arbeitseinsatz benötigt wird, sondern auch bestimmte natürliche Mineralien, dass diese jedoch begrenzt sind und deshalb keine beliebige Intensivierung der Bodenproduktion gestatten.

 

Später wurde allerdings erkannt, dass diese Gesetzmäßigkeit eines abnehmenden Grenzertrages im Grunde für alle, auch für industrielle Produktionen gilt, da immer damit gerechnet werden muss, dass es bei jeder Produktion Engpassfaktoren gibt, welche den Zuwachs der Produktion begrenzen. Das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag besagt also im Grunde genommen nichts anderes, als dass die Ausweitung der Produktion der Vermehrung im Prinzip aller Produktionsfaktoren bedarf, dass zwar der eine Produktionsfaktor durch einen anderen substituiert (ersetzt) werden kann, dass aber für diese Substitutionsmöglichkeiten enge Grenzen gesetzt sind und dass deshalb in der Regel die Ausweitung der Produktion durch einen Engpass bei einem Produktionsfaktor fast immer begrenzt wird.

 

Wenn also auch eingeräumt werden muss, dass es sich bei der These vom abnehmenden Grenzertrag um eine allgemein akzeptierte Tatsache handelt, können wir heute bei einem Rückblick über die letzten beiden Jahrhunderte feststellen, dass die in dieser Gesetzmäßigkeit zugrundeliegenden Behinderungen des Wachstums weit überschätzt wurden. Diese Gesetzmäßigkeit gilt nämlich zunächst nur unter der Annahme einer gleichbleibenden angewandten Produktionstechnik.

 

De facto hat sich erwiesen, dass vor allem durch die Industrialisierung lange Zeit ein Zustand erreicht werden konnte, bei dem die Wachstumsraten der Produktion über die Wachstumsrate der Bevölkerung angehoben werden konnte, mit der notwendigen Konsequenz, dass das Inlandsprodukt pro Person entscheidend ansteigen konnte und dass deshalb – zumindest für lange Zeit – die von Malthus ausgehende pessimistische Sicht durch einen Optimismus abgelöst werden konnte.

 

Erst in jüngster Zeit gewinnen pessimistische Sichtweisen im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum wiederum an Bedeutung, da man befürchten muss, dass bestimmte natürliche Ressourcen nicht in ausreichendem Maße vermehrt oder ersetzt werden können, sodass eine Zunahme der Weltbevölkerung im bisherigen Umfang sehr schnell durch ein begrenztes Angebot an natürlichen Rohstoffen behindert wird und dass wiederum die Gefahr besteht, dass ein unbeschränktes Bevölkerungswachstum de facto durch Krieg, Krankheit und Hunger letztlich begrenzt wird.

 

Auch hier wird man natürlich eher davon sprechen müssen, dass diese Gefahren durchaus durch politische Maßnahmen abgewendet werden können und dass diese Gefahren nur für den Fall gelten, dass die Regierungen nicht bereit sind, Maßnahmen zu ergreifen, welche diese Gefahren abwenden. In der Tat ist es möglich, auf der einen Seite durch effizienteren und sparsameren Einsatz der natürlichen Rohstoffe (Erhöhung des Wirkungsgrades der Energierohstoffe, dämmende Bauweisen, welche den Einsatz von Energie verringern, Zuführung der bei der Produktion eingesetzten Rohstoffe nach dem Konsum durch Recycling etc.) den Bedarf an Rohstoffen stark einzuschränken; auf der anderen Seite kann auch das Bevölkerungswachstum vor allem durch Aufklärung so reduziert werden, dass das Bevölkerungswachstum nicht mehr an natürliche Grenzen stößt.

 

Die Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass die von Malthus prognostizierten Befürchtungen nicht nur deshalb in der Vergangenheit nicht eingetreten sind, weil das Angebot an Gütern drastisch vermehrt werden konnte, sondern darüber hinaus auch deshalb, weil mit zunehmender Industrialisierung und Verstädterung die Bevölkerungswachstumsrate stark zurückging und in den hochindustrialisierten Staaten sogar eine Bevölkerungsstagnation und ein Schwund in der Bevölkerung drohte.

 

Auf der einen Seite war das Bevölkerungswachstum bei Beginn der Industrialisierung nur deshalb so hoch, weil eine Reihe von im Mittelalter bestehenden Begrenzungen der Bevölkerungsvermehrung im Zuge der Verstädterung und Auflösung der Großfamilien wegfiel. Auf der anderen Seite brachte es die Aufklärung und Industrialisierung aber auch mit sich, dass es möglich wurde, die Geburt von Kindern nach einem Geschlechtsverkehr zu unterbinden (z. B. durch Benutzung der Pille) und dass auch die Bereitschaft, von  diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, immer mehr anstieg.

 

Trotz dieser aufgezeigten Schwächen der Bevölkerungstheorie von Malthus markiert diese Theorie doch den Beginn einer wissenschaftlich ernstzunehmenden Erforschung der Bestimmungsgründe des Bevölkerungswachstums. Von Bedeutung für die Bevölkerungspolitik bleibt der Hinweis, dass eine befriedigende Lösung bevölkerungspolitischer Probleme nur dadurch erreicht werden kann, dass auf lange Sicht die Wachstumsraten der Bevölkerung an die Wachstumsraten des Inlandsproduktes angepasst werden müssen, entweder dadurch, dass die Bevölkerungswachstum an den  gegebenen Nahrungsspielraum angepasst werden oder aber auch dadurch, dass Maßnahmen zur Anpassung des Güterwachstums eingeleitet werden.

 

 

 3. Die Determinanten des Bevölkerungswachstums

 

Die Bevölkerungsstärke lässt sich zunächst an der Anzahl der Personen messen, welche dauerhaft mit Wohnsitz in einer Gebietskörperschaft (Staat, Gemeinde etc.) ansässig ist. Veränderungen in der Bevölkerungsstärke lassen sich dann dadurch feststellen, dass man die Anzahl der Personen mit Hilfe von statistischen Befragungen an zwei Stichtagen feststellt.

 

Legt man diesen Maßstab zugrunde, so gibt es lediglich vier unterschiedliche Determinanten der Stärke einer Bevölkerung. Die Anzahl einer Bevölkerung kann erstens aufgrund der Geburten lebender Babys ansteigen, welche zwischen den beiden Stichtagen stattfanden. Zweitens wird die Anzahl der Personen einer Bevölkerung durch Todesfälle in diesem Zeitraum reduziert. Drittens kann die Bevölkerung auch dadurch wachsen, dass während des beobachteten Zeitraumes Personen in das Gebiet der betrachteten Gebietskörperschaft eingewandert sind, bzw. es kann die Bevölkerung auch schrumpfen, wenn Personen während dieses Zeitraumes auswandern.

 

Fasst man alle diese vier Bestimmungsgründe zusammen, erhält man die tatsächliche Veränderung in der Bevölkerungsgröße; überwiegen die Geburten und Einwanderungen die entsprechenden Zahlen der Todesfälle und der Auswanderungen, so steigt die Bevölkerung, im umgekehrten Falle schrumpft sie.

 

Nun ist die Anzahl der in einer Gebietskörperschaft lebenden Personen natürlich nur ein sehr grober Maßstab für die Entwicklung in der Bevölkerungsstärke. Wie wir weiter unten noch sehen werden, hängen diese vier Bestimmungsfaktoren nicht unmittelbar von der Gesamtstärke einer Bevölkerung ab, ob die Bevölkerung wächst, schrumpft oder konstant bleibt, hängt wesentlich auch von der Zusammensetzung der Bevölkerung ab. Es ist deshalb zweckmäßig die Gesamtbevölkerung einer Gebietskörperschaft nach weiteren Kriterien zu untergliedern.

 

Am ehesten dürfte die Gesamtstärke einer Bevölkerung von Bedeutung sein, wenn es darum geht, den Bedarf an materiellen Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft festzustellen; schließlich weisen alle Menschen einen Bedarf an materiellen Gütern auf. Eine genauere Analyse macht jedoch deutlich, dass selbst hier große Unterschiede im Bedarf je nach Zusammensetzung der Bevölkerung festgestellt werden müssen, nicht jedes Individuum hat einen gleich hohen Bedarf, vor allem ist aber auch die Zusammensetzung des jeweils benötigten Güterbündels bei verschiedenen Personen sehr unterschiedlich, sodass selbst hier eine Untergliederung der Bevölkerung notwendig erscheint.

 

So lässt sich als erstes die Bevölkerung nach dem Alter unterteilen. Die Gesamtbevölkerung ergibt sich in diesem Falle aus der Gesamtzahl der einzelnen Jahrgänge, beginnend mit den Neugeborenen, welche noch kein Jahr alt sind bis zu den höchsten Jahrgängen derjenigen, welche älter als 100 Jahre alt sind.

 

Wie wir noch sehen werden, gibt diese Aufteilung nach dem Alter der Personen bereits eine wesentlich bessere Grundlage, um die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Bevölkerungsveränderung zu prognostizieren. Ist z. B. der Anteil der jüngeren Jahrgänge groß, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bevölkerung ansteigt bedeutend größer als dann, wenn die Zahl der älteren Jahrgänge überwiegt.

 

Neben dem Alter einer Bevölkerung interessiert zweitens auch die Aufteilung der Bevölkerung nach dem Erwerbsstatus, wie viele Personen also Erwerbspersonen sind und wie viele dieser Erwerbspersonen arbeitslos sind, also einen Arbeitsplatz nachsuchen, aber noch keinen gefunden haben. Natürlich hängt diese Aufteilung auch vom Alter der registrierten Personen ab, die Individuen sind erst ab einem bestimmten Mindestalter erwerbsfähig und scheiden von einem bestimmten Alter an aus dem Erwerbsleben aus.

 

Diese zweite Unterscheidung ist vor allem für die Frage von Bedeutung, welche Produktionskraft eine Bevölkerung aufweist, die Wachstumsrate des Inlandsproduktes hängt unter anderem ceteris paribus davon ab, wie groß der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung ist.

 

Gerade die Beantwortung der letztgenannten Frage (nach der Wachstumsrate des Inlandsproduktes) macht jedoch deutlich, dass auch andere Faktoren die Höhe des Inlandsproduktes bestimmen. Wenn wir uns einmal auf demographische Faktoren beschränken, also z. B. außer Acht lassen, dass auch der Bestand an natürlichen Ressourcen die Höhe des Inlandsproduktes mitbestimmt, dürfte das wirtschaftliche Wachstum einer Bevölkerung auch vom  Bildungsstand, also davon abhängen, welchen Anteil diejenigen Personen ausmachen, welche eine höhere Ausbildung (Facharbeitskräfte, Akademiker etc.) aufweisen. Es dürfte deshalb auch zweckmäßig sein, die Bevölkerung drittens nach dem Bildungsgrad zu untergliedern.

 

Eine weitere, vierte Untergliederung bezieht sich auf das Geschlecht der Personen. Während früher vorwiegend nur Männer einer Erwerbstätigkeit nachgingen, kann heutzutage aufgrund der Emanzipation der Frauen davon ausgegangen werden, dass die Frage, ob jemand einer Erwerbstätigkeit nachgeht, immer weniger vom Geschlecht der Betroffenen abhängt. Dass aber trotzdem das Geschlecht nach wie vor bei demographischen Fragen eine entscheidende Rolle spielt, werden wir weiter unten (bei der Frage nach der Höhe der Geburtenrate) sehen; schließlich können Kinder nur von Frauen, welche sich in einem gebärfähigen Alter befinden, geboren werden.

 

 

4. Die Geburtenrate

 

Befassen wir uns nun mit dem erstgenannten Bestimmungsgrund für die Bevölkerungsstärke: der Geburtenrate einer Bevölkerung. Es wäre wenig hilfreich, wenn wir die Geburtenrate auf die Gesamtbevölkerung beziehen würden. Nur Frauen, welche dem Kindesalter entwachsen sind, also mindestens 14 Jahre alt sind und welche nicht älter als 65 Jahre sind, können im allgemeinen Kinder gebären; auch für die Männer gilt, dass die Zeugungsfähigkeit in der Regel erst eintritt, wenn die Jugendlichen das 18 Lebensjahr überschritten haben. Es ist deshalb zweckmäßig, die Geburtenzahl auf die Anzahl der geburtenfähigen Frauen zu beziehen.

 

Aber auch hier müssen wir davon ausgehen, dass ein Teil der Frauen aufgrund körperlicher Gebrechen nicht zeugungsfähig sind, obwohl sie sich in dem sonst geburtenfähigen Alter befinden; gleiches gilt mutatis mutandis für die Zeugungsfähigkeit der Männer. Hierbei kann die Unfähigkeit zur Gebärung bzw. zur Zeugung aufgrund von Erbfaktoren angeboren sein oder sich aber auch aufgrund bestimmter Krankheiten im Verlaufe des Lebens einstellen, wobei sich diese Mängel unter Umständen aber auch heilen lassen.

 

Die Geburtenfähigkeit (Zeugungsfähigkeit) informiert allerdings nur darüber, wie viel Kinder maximal in einer Bevölkerung geboren werden können. Ob und in welchem Umfang von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, hängt nun von einer Vielzahl von Faktoren ab.

 

Geburten können aufgrund geschlechtlicher Enthaltung, die aufgrund freiwilliger Entscheidungen oder von außen durch Sitte und Gesetz mehr oder weniger erzwungen wird, ausbleiben. So machte sich in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg unter jungen Menschen eine Untergangsstimmung breit, die in einem Verzicht auf geschlechtlichen Verkehr mündete, da ein Weiterbestehen der Bevölkerung ohnehin nicht mehr wünschenswert sei.

 

Vor allem die christliche Religion verbietet den gläubigen Christen einen vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr, sodass bereits aus diesen Gründen die Zahl der Geburten in Grenzen gehalten wird. Das Mittelalter kannte darüber hinaus eine weitere Begrenzung im Bevölkerungswachstum, indem lediglich diejenigen Nachkommen, welche den elterlichen Hof erben durften, das Recht besaßen, zu heiraten und damit Kinder zu erzeugen. Gerade weil mit der Wanderung in die Städte zu Beginn der Industrialisierung diese Begrenzungen entfielen, stieg die Zahl der Geburten und damit auch der Bevölkerung zunächst rapide an.

 

Wurde eine Frau schwanger, so musste nach religiösen Vorstellungen das Kind ausgetragen werden, ein Schwangerschaftsabbruch war verpönt und unter Strafe gestellt. Da man den Beginn eines menschlichen Lebens mit der Empfängnis gleichsetzte, galt ein Abbruch als Tötung des unbegorenen Kindes und war deshalb unter Strafe gestellt. Auch waren lange Zeit die Verhältnisse bei Abbruch einer Schwangerschaft so katastrophal schlecht, dass die abtreibende Frau erhebliche Gesundheitsgefährdungen bis zum Absterben in Kauf nehmen musste.

 

In der Zwischenzeit haben sich die medizinischen Möglichkeiten eines Abbruchs wesentlich verbessert, gleichzeitig wird von einer großen Zahl von Menschen die Abtreibung nicht mehr als Tötung eines Menschen verstanden, sodass es beim Belieben der betroffenen Frauen zu liegen habe, ob sie einen Abbruch vornehme oder nicht.

 

Lange Zeit galt die Tatsache, dass geschlechtlicher Verkehr zu Geburten führen kann, als gottgewollt und vom Menschen weitgehend unbeeinflussbar. Auch hier hat sich seit der Aufklärung ein entscheidender Wandel in den Auffassungen vollzogen. Während früher die geschlechtliche Lust als Belohnung dafür angesehen wurde, dass man die mit der Geburt eines Kindes verbundenen Beschwerden und Belastungen auf sich zu nehmen hat, herrscht heute die Meinung vor, dass Menschen das Recht haben, diese beiden Vorgänge zu trennen, der Mensch als Maß aller Dinge sei berechtigt, nach einem Maximum an Lust zu streben und die mit der Geburt verbundenen Beschwerden dadurch zu vermeiden, dass man nach Wegen sucht, um zu verhindern, dass der geschlechtliche Verkehr auch dann zu Geburten führen kann, wenn die Geburt eines Kindes von den geschlechtlich verbundenen Personen gar nicht gewünscht wird.

 

Nun hängt es von den medizinischen Kenntnissen über den Zeugungsvorgang ab, inwieweit es möglich ist, geschlechtlichen Verkehr und die Geburt eines Kindes von einander zu trennen. Früher kannte man nur wenige Möglichkeiten, wie trotz geschlechtlichen Verkehrs die Wahrscheinlichkeit der Geburt gering gehalten werden konnte. Man wusste z. B. , dass es von der Periode der Frau abhängt, ob die Geburt eines Kindes wahrscheinlich war.

 

Später (?) kam es zu der Erkenntnis, dass man durch Benutzung von Kondomen bei den Männern oder von entsprechenden Vorrichtungen bei den Frauen die Verbindung von Samen und Ei verhindern kann. Schließlich hat die Medizin die Pille entwickelt, welche bei Einnahme dieser Pille durch die Frau vor oder unmittelbar nach dem geschlechtlichen Verkehr eine Empfängnis mit wenigen Ausnahmen verhindert. Während diese Praktiken von Seiten der Religion nach wie vor abgelehnt werden, toleriert der moderne Rechtsstaat diese Vorgehensweisen in gewissen Grenzen.

 

Die tatsächliche Geburtenrate hängt jedoch nicht nur von den medizinischen Kenntnissen über den Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Austragung von Kindern und von den sittlichen und gesetzlichen Vorschriften ab, auch wirtschaftliche Faktoren üben einen starken Einfluss auf die Höhe der tatsächlichen Geburtenrate aus.

 

So bestand im ausgehenden Mittelalter und auch noch zu Beginn der Industrialisierung für eine durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie ein gewisser Zwang, möglichst viele Kinder aufzuziehen. Auf der einen Seite gab es noch keine gesetzliche Kranken- und Altersversorgung, die heutigen Erwerbspersonen waren darauf angewiesen, dann, wenn sie selbst nicht mehr altersbedingt oder aufgrund von Krankheiten und Unfällen in der Lage waren, sich selbst zu ernähren, von ihren Kindern unterhalten zu werden.

 

Um also im nicht mehr erwerbsfähigen Alter überleben zu können, bedurfte man der Kinder, die dann ihrerseits in der Zwischenzeit erwerbsfähig geworden waren. Auf der anderen Seite war jedoch in dieser Zeit die Kindersterblichkeit sehr hoch; wollte man im Alter von zwei oder drei Kindern unterhalten werden, so musste man wesentlich mehr Kinder gebären, damit trotz der hohen Kindersterblichkeit zwei oder drei Kinder am Leben blieben.

 

Heutzutage besteht diese Notwendigkeit nicht mehr. Auf der einen Seite ist die Kindersterblichkeit stark zurückgegangen. Auf der anderen Seite kann der einzelne in seinem Alter die notwendigen Einkünfte aus der gesetzlichen Altersvorsorge erhalten. Während also Kinder zu Beginn der Industrialisierung in erster Linie Faktoren darstellten, welche den Eltern in Zukunft Erträge erbrachten, sind heutzutage Kinder in erster Linie Kostenfaktoren. Es entstehen nicht nur mit der Geburt eines Kindes hohe Beschwerden und Belastungen; in dem Maße, in dem die Kosten der Ausbildung angestiegen sind, führt die finanzielle Verantwortung der Eltern zu immer höheren Kosten.

 

Wirtschaftliche Faktoren können aber auch noch aufgrund anderer Zusammenhänge die Geburtenrate einer Bevölkerung beeinflussen. So lässt sich die höhere Geburtenhäufigkeit bei Empfängern geringeren Einkommens zum Teil damit erklären, dass bei den Reicheren sehr viel mehr Alternativen zum geschlechtlichen Verkehr bestehen (man kann Fernsehen, ins Theater gehen und Sportveranstaltungen verfolgen), während den Ärmeren als lustvoll empfundene Aktivität fast nur der Geschlechtsverkehr bleibt. So ist es auch zu erklären, dass bei einem generellen Stromausfall der Geschlechtsverkehr anstieg und damit die Zahl der Geburten in dem entsprechenden späteren Zeitpunkt anstieg.

 

Auch politische Faktoren können die Geburtenrate beeinflussen. Findet ein Krieg statt und befindet sich ein Großteil der zeugungsfähigen Männer auf dem Schlachtfeld und in feindlichem Land, so findet notgedrungen weniger Geschlechtsverkehr statt und es kommt deshalb zu einer geringeren Anzahl von Geburten, vor allem dann, wenn sich die Ehefrauen an das religiös orientierte Verbot eines außerehelichen Verkehrs halten.

 

 

  5. Die Sterberate

 

Stärker als die Geburtenrate lässt sich die Sterberate auf die gesamte Bevölkerung beziehen. Zwar gilt natürlich, dass vor allem die älteren Personen vom Sterben bedroht sind, trotzdem muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass vom Sterben alle Jahrgänge betroffen sein  können.

 

Dies gilt zunächst für die Säuglinge. Zu Beginn der Industrialisierung war die Sterblichkeit der Säuglinge extrem hoch, sie konnte jedoch in der Zwischenzeit stark vermindert werden, dadurch dass der medizinische Fortschritt die Möglichkeit eröffnete, Säuglinge vor dem Tod zu schützen, weiterhin durch Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und schließlich dadurch, dass ein immer größer werdender Anteil der Geburten in Krankenhäusern stattfand.

 

Eine zweite Ursache für nicht altersbedingte Todesfälle sind tödliche Unfälle am Arbeitsplatz und in etwas verminderter Form im Haushalt. Auch hier hat die Entwicklung zu einer beachtlichen Verminderung der tödlich ausgehenden Unfälle geführt, diese Entwicklung war einerseits möglich, da man sich bei der Entwicklung der Produktionsanlagen und Gebäude verstärkt um die Sicherheit der Personen kümmerte, welche diese Anlagen zu bedienen haben und da auf der anderen Seite durch zahlreiche Maßnahmen wie Schulung der Personen, welche mit den Produktionsanlagen zu tun haben, gesetzliche Vorschriften, stärkere Überprüfung dieser Sicherheitsvorkehrungen durch staatliche Behörden, aber auch durch das Personal der Unfallversicherungen der Umgang mit diesen Produktionsanlagen insgesamt sicherheitsbewusster erfolgte.

 

Tödlich ausgehende Unfälle treten vor allem auch im Zusammenhang mit dem Verkehr auf. Hier ist es vor allem die Zunahme der Geschwindigkeit, welche die Zahl der Unfälle erhöhte. Allerdings konnte auch in diesem Bereich zumindest die Zahl der tödlich ausgehenden Unfälle reduziert werden. Auch hier hat die Entwicklung zu sichereren Pkws und anderen Fahrzeugen die Wahrscheinlichkeit von Unfällen reduziert; auch hier hat die Schulung derjenigen, welche Fahrzeuge lenken, weiterhin staatliche Vorschriften (z. B. Einführung von Höchstgeschwindigkeiten an besonders gefährlichen Straßenabschnitten, stärkere Überprüfung und Ahndung von Übertretungen etc.) die Gefahr tödlich ausgehender Unfälle vermindert. Auch hier hat der medizinische Fortschritt seinerseits dazu beigetragen, dass sehr viel weniger Unfälle als früher tödlich ausgehen.

 

In allen Altersjahrgängen auftretende Todesfälle werden weiterhin durch Krankheiten und vor allem durch Epidemien ausgelöst. Im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit wurden durch Ausbruch von Pest, Malaria und anderen Epidemien Tausende und Abertausende hingerafft. Auch hier kann zunächst festgestellt werden, dass der medizinische Fortschritt (vor allem die Entwicklung der Antibiotika, die Einführung von Schutzimpfungen und schließlich die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse) dazu beigetragen hat, zumindest in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern diese Gefahr weitgehend zu beseitigen. Bis vor kurzem konnte man noch feststellen, dass diese Art einer menschlichen Geisel weitgehend der Vergangenheit angehörte.

 

Leider hat sich gerade in den jüngsten Jahren hier eine Gegentendenz breitgemacht. Unter anderem durch ein unsachgemäßes, zu großzügiges Vorgehen bei der Verschreibung von Antibiotika nahm die Resistenz von Bakterien und Viren gegenüber diesen Medikamenten drastisch zu, gleichzeitig hat auch eine immer schneller sich vollziehende Mutation dieser Krankheitserreger dazugeführt, dass die Gefahr epidemischer Krankheiten in jüngster Zeit wiederum stark anstieg, ohne dass bereits Maßnahmen zur wirksamen Eindämmung dieser Krankheiten bereits entwickelt werden konnten.

 

Nicht nur Krankheiten, sondern auch Naturkatastrophen (wie z. B. Tsunamis, Überflutungen, Erdbeben, Waldbrände etc.) können weiterhin Todesfälle größeren Umfanges bei allen Altersstufen zur Folge haben. Vergleicht man den Verlauf solcher Naturkatastrophen in den Entwicklungsländern und in den hochentwickelten Volkswirtschaften, so lässt sich auch hier wiederum feststellen, dass durch staatliche Vorschriften, vor allem betreffend der Bauweise der Gebäude, durch das Anlegen von Dämmen und durch Einführung von Vorwarnsystemen, welche ein rechtzeitiges Reagieren auf diese zu erwartenden Ereignisse möglich macht, die Schäden und vor allem die Zahl von Todesfällen in diesem Zusammenhange durchaus in beachtlichem Maße verringert werden kann.

 

Allerdings gilt es hier auch festzustellen, dass die Stärke und die Häufigkeit dieser Naturkatastrophen in jüngster Zeit vermutlich durch wirtschaftliche Aktivitäten wie Abholzen von Regenwäldern, Einsatz von umweltschädlichen Energiearten zu einer Erwärmung der Atmosphäre und in diesem Zusammenhang zu dem Ozonloch geführt haben, die selbst wiederum diese Naturkatastrophen ausgelöst oder zumindest verstärkt haben.

 

Todesfälle wurden in der Vergangenheit vor allem aber auch aufgrund von Kriegen und systematischen Ausrottungen ganzer Bevölkerungsstämme ausgelöst. So sind während der beiden Weltkriege mehrere Millionen Menschen umgekommen, entweder als Soldaten auf den Schlachtfeldern oder als Zivilisten bei der Bombardierung ganzer Städte. In gleicher Weise kamen in dieser Zeit Millionen von Juden durch Erschießung und Vergasung von Seiten der Nazis und ebenfalls Millionen von Menschen durch die Ausrottung ganzer Bevölkerungsschichten von Seiten Stalins, Mao Tse-Tungs und anderer Kommunistenführer Asiens um.

 

Nicht zuletzt hat der medizinische Fortschritt dazugeführt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 50 Jahren um mehr als 10 Jahre zugenommen hat. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist die Lebenserwartung sogar von 35 bis 40 Jahren, also auf mehr als das Doppelte gestiegen. Nach der offiziellen Statistik des deutschen Statistischen Bundesamtes von 2006 beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen in Deutschland derzeit 76,2 Jahre und diejenige eines Mädchens 81,8 Jahre. Auf diese Weise konnte die Bevölkerung partiell zunehmen, da die Menschen in den hochentwickelten Ländern im Durchschnitt erst in einem höheren Alter sterben.

 

 

  6. Ein- und Auswanderung

 

Im geschichtlichen Verlauf der Neuzeit wurde die Bevölkerungsgröße in beachtlichem Maße auch durch Ein- und Auswanderungen bestimmt. Zur Zeit des Merkantilismus mussten vor allem in Frankreich Handwerker und Kaufleute aus religiösen Gründen auswandern. Gleichzeitig waren die Regierungen in Preußen und Großbritannien bemüht, im Rahmen der Kolonisation diese Arbeitskräfte ins Land zu ziehen.

 

Im 19. Jahrhundert fanden zwei große Arbeitskräftewanderungen statt: erstens eine Ost-Westbewegung aus den slawischen und polnischen Gebieten in die Industriezentren des Kontinents und zweitens eine Auswanderung aus den europäischen Staaten zu den Überseekolonien, wobei die Engländer vor allem nach den Gebieten der heutigen USA, die Franzosen hingegen vorwiegend nach Kanada und Afrika auswanderten.

 

Ursachen dieser Wanderungen waren vor allem wirtschaftliche Not im Zusammenhang mit starkem Bevölkerungsanstieg. Auch Agrarkrisen aufgrund von Missernten trugen zu dieser Wanderungsbewegung bei. In Zeiten der Hochkonjunktur fand insbesondere eine Landflucht in die Städte statt; in Zeiten der Rezession hingegen lässt sich vor allem eine Auswanderung nach den Gebieten der heutigen USA, Afrikas und Australiens feststellen.

 

Im 20. Jahrhundert fanden zunächst Auswanderungen aus Europa im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise in den 30 er Jahren statt. In den 40 er Jahren lassen sich Auswanderungen insbesondere im Zusammenhang mit der politischen Verfolgung seitens des Nationalsozialismus beobachten. Es kam in diesem Zusammenhang vor allem zur Flucht in die skandinavischen Staaten sowie nach Großbritannien und USA. Aufgrund dieser Fluchtbewegungen sahen sich ihrerseits die Regierungen in Großbritannien, USA und in der Schweiz zu einer Festlegung von Einwanderungsquoten gezwungen.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zunächst zu Auswanderungen der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den Ostgebieten, die ehemals deutsch waren.

 

In den 60 er Jahren findet dann ein starker Gastarbeiterstrom nach Deutschland statt, der vor allem aufgrund der Arbeiterknappheit in der BRD notwendig wurde; diese Wanderung wurde einerseits durch bilaterale Verträge der betroffenen Staaten sowie durch Übernahme der Wanderungskosten von Seiten der Unternehmungen, welche diese ausländischen Arbeitskräfte ins Land holten, gefördert.

 

In den 80 er Jahren lässt sich ein Anstieg der Wanderung im Zusammenhang der Bildung der EG feststellen. Diese Wanderungsbewegungen haben ihre Ursache in dem starken Lohngefälle z. B. zwischen Deutschland und Spanien, Portugal und Griechenland.

 

Aufgrund des starken Lohngefälles findet gleichzeitig ein Anstieg des Asylantenstroms aus den Ostblockstaaten statt, wobei diese Bewegungen aufgrund der Liberalisierung in der UDSSR und in den anderen Ostblockstaaten ermöglicht wurden.

 

In jüngster Zeit bemühen sich vor allem zahlreiche Afrikaner in die europäischen Staaten zu fliehen, wobei diese Flucht einerseits durch Hungersnöte, andererseits aber auch durch politische Verfolgungen ausgelöst wird.

 

Vor allem die Außenwirtschaftstheorie hat sich mit der Frage befasst, welche Determinanten diese Wanderungsbewegungen ausgelöst haben. Es wird hier allerdings weniger eine spezielle Theorie der internationalen Wanderung entwickelt, sondern vielmehr eher der Versuch unternommen, die allgemeine Theorie über die Mobilität der Arbeitskräfte auf die internationalen Beziehungen anzuwenden.

 

Eine solche Theorie kann natürlich nicht diejenigen Wanderungsströme erklären, die aufgrund von Verfolgungen und Vertreibungen zwangsweise von den Regierungen ausgelöst wurden; sie beschränkt sich vielmehr auf Wanderungen, welche von den betroffenen Personen von selbst freiwillig beschlossen werden, ohne staatlichen Zwang, wobei die Freiwilligkeit nicht ausschließt, dass sich die Betroffenen durch wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit  zu diesen Handlungen gezwungen sehen.

 

Soweit allerdings Wanderungen von Seiten der Regierungen ausgelöst oder begünstigt wurden, lagen selbst wiederum oftmals wirtschaftliche Gründe für eine solche Politik vor. Dies gilt sowohl für den früheren Sklavenhandel als auch für die merkantilistische Kolonisation Preußens und Großbritanniens.

 

Sieht man also von den politischen und religiösen Gründen internationaler Wanderungen ab, so werden Wanderungen insbesondere durch ein internationales Lohngefälle ausgelöst, und zwar vom Niedriglohnland zum Hochlohnland. Es wird von der These der Nutzenmaximierung der Wandernden ausgegangen. Der einzelne wird langfristig den Wohn- und Arbeitsort aufsuchen, in dem er den höchsten Nutzen erzielt.

 

Soweit der materielle Nutzen angesprochen ist, wird der einzelne in das Land mit dem höchsten Lohnsatz auswandern. Es findet ein Vergleich zwischen Kosten und Erträgen der Wanderung statt, wobei Kosten und Erträge nicht unbedingt materieller Natur sein müssen.

 

Folgende Kosten fallen im Zusammenhang mit Wanderungen für die Wandernden an:

 

Es fallen in erster Linie Wanderungskosten im engeren Sinne an: Hierzu zählen vor allem die eigentlichen Umzugskosten;

 

weiterhin kommt es in der Regel zu einem vorübergehenden Entgang von Einkommen, da die Auswanderer gewisse Zeit benötigen, um in dem Land ihrer Wahl eine neue Beschäftigung zu finden;

 

Vor Beginn der Auswanderung müssen Informationskosten aufgewandt werden, um sich über die Arbeitsbedingungen im Ausland zu unterrichten;

 

Wanderungen sind weiterhin oftmals mit einem Übergang zu einer fremden Kultur verbunden und führen damit zu einer Aufgabe bisheriger Bindungen; es wird z. B. eine fremde Sprache gesprochen, man begegnet fremden Sitten, man ist unter Umständen sogar einem Fremdenhass ausgesetzt;

 

Schließlich begegnen die Auswanderungswilligen einer Vielzahl politisch gesetzter Behinderungen wie Auswanderungsverboten oder auch Einwanderungsbeschränkungen, welche sich ebenfalls in materiellen wie auch immateriellen Kosten niederschlagen.

 

Im Allgemeinen dürften die Kosten einer internationalen Wanderung höher ausfallen als die Kosten einer intranationalen Wanderung. Internationale Wanderungen bewegen sich im Durchschnitt über größere Räume, natürlich gibt es auch Einzelfälle, in denen der durch Wanderung zurückgelegte Raum bei internationalen Bewegungen geringer ist als bei Wanderungen innerhalb eines Staates. Wer also z. B. vor dem europäischen Zusammenschluss von Freiburg im Breisgau nach Colmar, also von einer deutschen Stadt in eine französische Stadt auswanderte, hatte eine kürzere Strecke zurückzulegen, als derjenige, der innerhalb Deutschlands z. B.  von Freiburg im Breisgau nach Kiel umzog.

 

Im Zusammenhang mit internationalen Wanderungen entstehen darüber hinaus im allgemeinen auch höhere Informationskosten als bei Umzügen innerhalb eines Staates; so muss unter Umständen eine neue Sprache erlernt werden; auch muss davon ausgegangen werden, dass ein bisher fremdes Land ganz andere Gesetze anwendet, über die sich der Wanderungswillige ebenfalls informieren muss.

 

Weiterhin sind die mit internationalen Wanderungen verbundenen Anpassungsprobleme im Allgemeinen größer als die Anpassungsprobleme, welche bei nationalen Umzügen auftreten. Die Sitten und Gebräuche unterscheiden sich im Allgemeinen stärker von Nation zu Nation als bei unterschiedlichen Regionen innerhalb ein und derselben Staatengemeinschaft.

 

Schließlich ist davon auszugehen, dass internationale Wanderungen mit einem viel größeren bürokratischen Aufwand verbunden sind als Umzüge innerhalb einer Volkswirtschaft. Im allgemeinen haben die Bürger eines Staates das Recht, ihren Wohnort und den Ort ihres Arbeitsplatzes frei zu bestimmen, während bei Auswanderungen in ein anderes Staatsgebiet zumeist Anträge gestellt werden müssen, die keinesfalls immer und wie von selbst genehmigt werden.

 

Fortsetzung folgt!