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Gleichgewichtstheorie und Cobweb-Theorem

Teil I

 

 

Gliederung:

 

1. Die Gleichgewichtstendenz freier Märkte

2. Das Cobwebtheorem

3. Der Schweinezyklus

4. Schwankungen auf dem Bildungsmarkt

5. Kursschwankungen an der Börse

 

 

1. Die Gleichgewichtstendenz freier Märkte

 

Zu den wichtigsten Aussagen der klassischen Markttheorie zählt die Hypothese, dass unter gewissen Voraussetzungen freie Märkte – automatisch, d. h. ohne politische Maßnahmen – zu einem Abbau von Ungleichgewichten führen.

 

Zu diesen Voraussetzungen zählt erstens die Existenz eines Gleichgewichtspunktes, d.h., Angebots-und Nachfragekurven müssen in einem politisch realisierbaren Bereich einen Schnittpunkt aufweisen. Ein solcher Gleichgewichtspunkt existiert nicht, wenn Angebots- und Nachfragekurven parallel verlaufen, also beide Reaktionen vollkommen unelastisch sind. Aber auch bei sehr geringen Elastizitätswerten beider Reaktionskurven muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der an und für sich existierende Schnittpunkt beider Kurven entweder im Minusbereich liegt oder erst bei einer so großen Menge oder bei einem so hohen Preis erzielt wird, dass realistischer Weise diese Möglichkeiten ausgeschlossen werden müssen.

 

Zweitens tritt diese Gleichgewichtstendenz nur bei sogenannten normalen Angebots- und Nachfrage­elastizitäten auf. Unter normal gilt ein Angebotsverhalten dann, wenn Preissenkungen zu einer Verringerung, Preiserhöhungen zu einer Ausweitung des Angebotes führen. In ähnlicher Weise gilt ein Nachfrageverhalten als normal, wenn eine Preissenkung zu einer Ausweitung, eine Preiserhöhung hingegen zu einer Einschränkung der Nachfrage führt.

 

Es ist allerdings nicht notwendig, dass beide Verhaltenskurven einen normalen Verlauf aufweisen. Ein Abbau eines Ungleichgewichtes findet auch dann schon bereits statt, wenn eine als normal eingestufte Elastizität der einen Marktseite in absoluten Werten größer ist als die anomal verlaufende Reaktion der jeweils anderen Reaktionskurve. Während im Allgemeinen der Abbau eines Ungleichgewichtes sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite erfolgt, wirkt hier die anormale Reaktion bremsend auf den Abbauprozess. Die Gleichgewichtstendenz wirkt hier also sehr viel schwächer. Per Saldo wird jedoch auch hier ein Gleichgewicht angesteuert.

 

Drittens ist für den Abbau von Ungleichgewichten erforderlich, dass die Preise der betreffenden Güter auf die Ungleichgewichte normal reagieren, d.h., dass ein Angebotsüberhang eine Senkung, ein Nachfrageüberhang hingegen eine Steigerung des Preises auslöst. Dies setzt eine freie Preisbildung voraus, die Preise dürfen also nicht durch politische Festlegungen zustande kommen.

 

Machen wir uns diese Zusammenhänge anhand einer Graphik klar. Auf der Abszisse werde die Menge der gehandelten Güter, auf der Ordinate hingegen der jeweils erzielte Preis abgetragen. Die Angebots­kurve weist unter normalen Bedingungen einen ansteigenden, die Nachfragekurve hingegen einen fallenden Verlauf auf. Der Schnittpunkt beider Kurven zeigt die Mengen-Preiskombination an, bei der sich Angebot und Nachfrage entsprechen, bei der also ein Gleichgewicht vorliegt.

 

Nur aus Vereinfachungsgründen zeichnen wir die beiden Reaktionskurven als gerade Linien ein, in Wirklichkeit muss davon ausgegangen werden, dass beide Kurven einen gekrümmten Verlauf aufweisen. Die hier zu zeigenden Ergebnissen werden durch diese Vereinfachung nicht berührt, die Darstellung bleibt jedoch auf diese Weise übersichtlicher.

 

 

 

 

 

 

 

Als erstes wollen wir unterstellen, dass bei dem vorherrschenden Preis, der durch die weiße Linie parallel zur X-Achse gekennzeichnet ist, ein Angebotsüberhang besteht. Dieser Angebotsüberhang kann entweder dadurch zustande gekommen sein, dass die Angebotskurve nach rechts oder die Nachfragekurve nach links verschoben wurde. Hier haben wir unterstellt, dass die blau eingezeichnete Angebotskurve nach rechts verschoben wurde.

 

Dieser Angebotsüberhang führt annahmegemäß zu einer Preissenkung. Da die Anbieter befürchten müssen, auf ihren Waren sitzen zu bleiben, sind sie zu Preisnachlässen bereit. Diese Preissenkung bewirkt auf der einen Seite, dass die Nachfrager mehr Waren als bisher kaufen, während die Anbieter weniger Waren verkaufen. Beide Reaktionen vermindern den Angebotsüberhang. Somit findet hier von zwei Seiten aus eine Bewegung auf das neue Gleichgewicht statt.

 

Nehmen wir nun als zweites Beispiel den Fall eines Nachfrageüberhanges. Auch dieser Nach­frage­überhang kann entweder dadurch entstanden sein, dass sich die Nachfragekurve – dieses Mal nach rechts – oder aber die Angebotskurve – dieses Mal nach links – verschoben hatte. Wir unterstellen hier, dass die rot eingezeichnete Nachfragekurve nach rechts verschoben wurde. Der Umstand des Nach­frage­überhanges führt unter den gemachten Annahmen zu einer Preisstei­gerung.

 

 

 

 

 

Dieses Mal befürchten die Käufer leer auszugehen und bieten von sich aus einen höheren Preis an. Diese Preissteigerung bewirkt auf der einen Seite eine Reduzierung der Nachfrage (die Käufer wechseln zu anderen Gütern (die in einer Substitutionsbeziehung zu dem fraglichen Gut stehen), die Verkäufer bemühen sich aufgrund der mit der Preissteigerung verbundenen Gewinnzunahme das Warenangebot auszuweiten, indem sie entweder ihre Lagerbestände reduzieren oder die Produktion falls möglich ausweiten. Diese Reaktionen tragen zu einer Verminderung des Nachfrageüberhanges bei. Wiederum findet auch hier eine automatische Bewegung auf das neue Gleichgewicht hin von zwei Seiten aus statt.

 

Betrachten wir schließlich als drittes Beispiel einen Angebotsüberhang auf einem Markt, in dem das Angebot anomal reagiert, auf dem also die Angebotskurve in unserem Diagramm genauso wie die Nachfragekurve einen fallenden Verlauf aufweist. Ein solcher Verlauf wurde z. B. bei Kleinstunter­nehmern also etwa bei Schiffbesitzern, welche nur einen Kahn besitzen, beobachtet. Sinkt hier der Preis, so fällt der Gewinn unter das Existenzminimum. Der Unternehmer sieht sich hier gezwungen, diesen Verlust dadurch auszugleichen, dass er sein Angebot ausweitet im Gegensatz zu einer normalen Reaktion, bei der eine Preissenkung mit einer Reduzierung des Angebotes beantwortet wird.

 

 

 

 

 

 

 

Da beide Reaktionskurven nun einen fallenden Verlauf aufweisen, kommt es für die Frage, ob eine Gleichgewichtstendenz besteht, entscheidend darauf an, welche Reaktionskurve die größere Neigung aufweist. Solange die Neigung der Nachfragekurve größer ausfällt als die der Ange­bots­kurve, führt die durch den Angebotsüberhang ausgelöste Preissenkung ex definitione zu einer größeren Reduzierung der Nachfrage als des Angebotes mit der Folge, dass der Angebotsüberhang nach wie vor zurückgeht und somit eine Gleichgewichtstendenz trotz Anomalität des Angebotes bestehen bleibt. Wäre allerdings die Neigung der Angebotskurve größer gewesen als die der Nachfragekurve, hätte die Preissenkung sogar eine Vergrößerung des Angebotsüberhanges ausgelöst.

 

In dem Falle jedoch, in dem die Steigung der anomalen (rot eingezeichneten) Angebotskurve größer ist als die der (blau eingezeichneten) Nachfragekurve, führt das Marktungleichgewicht, das sich dieses Mal als Nachfrageüberhang erweist,  nicht wie erforderlich zu einer Senkung, sondern sogar zu einem Anstieg des Preises mit der Folge, dass sich der Preis vom Gleichgewichtspreis entfernt, dass also das Ungleichgewicht sogar noch größer wird. Wir haben hier also keine Gleichgewichtstendenz.

 

 

 

 

 

 

Vielleicht sollte an dieser Stelle ein bisweilen geäußertes Missverständnis ausgeräumt werden. Die Gleichgewichtstheorie behauptet nicht, dass in jeder Periode, noch nicht einmal in der Regel de facto auf den einzelnen Märkten ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage besteht. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Regel ein Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage ist und dass nur wie zufällig und nur ausnahmsweise auch einmal in einer kurzfristigen Periode Angebot und Nachfrage übereinstimmen.

 

Die Hypothese der Gleichgewichtstheorie besteht nicht darin, dass sie irgendetwas darüber aussagt, wie groß der Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage in einer bestimmten Periode ist, sondern allein darin, dass ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage – gleichgültig wie entstanden – automatisch Kräfte auslöst, die dieses Ungleichgewicht reduzieren. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, ob ein Ungleichgewicht besteht und wie groß es im Einzelfall ausfällt, sondern darum, dass sich Ungleichgewichte auf freien Märkten in aller Regel nicht kumulieren. Es muss deshalb auch nicht befürchtet werden, dass das Ungleichgewicht eines Tages so groß wird, dass der Markt zusammenbricht oder dass zumindest ein solches Ereignis die Regel darstellt.

 

Darüber hinaus wäre es auch wiederum falsch, wollte man die klassische Gleichgewichtstheorie dahingehend verstehen, dass Gleichgewichtszustände erwünscht sind und dass alles getan werden müsse, um Ungleichgewichte zu verhindern. Zwar ist es richtig, dass nur im Gleichge­wichtszustand die bestmögliche Aufteilung der materiellen Ressourcen auf die einzelnen Verwendungsarten stattfindet, dass jedes Ungleichgewicht von dieser optimalen Lösung wegführt und dass diese Reibungsverluste stärker werden, je größer ein Ungleichgewicht ist und je länger dieses Ungleichgewicht anhält.

 

Trotz dieser Aussage hat es nahezu jede Wohlfahrtssteigerung damit zu tun, dass Ungleichgewichte entstehen. Eine Wohlfahrtssteigerung wird nämlich im Allgemeinen dadurch ausgelöst, dass Ände­rungen in den wirtschaftlichen Daten eintreten und dass diese Änderungen vorübergehend ein Un­gleich­gewicht auslösen. Dies gilt für alle Arten einer Datenänderung.

 

Walter Eucken hatte bekanntlich in seinen Grundlagen der Nationalökonomie (1939 veröffentlicht) sechs Arten von wirtschaftlichen Daten unterschieden. Es sind dies der Bestand an den drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden (Natur) und Kapital, weiterhin das technische Wissen zur Produktion der Güter, die Nachfrage nach Gütern, also der Bedarf sowie die jeweilige rechtliche und wirtschaftliche Rahmen­ordnung.

 

Eine Steigerung des Arbeitskräfteangebotes kann die Wohlfahrt auf zweierlei Weise vermehren: Einmal auf jeden Fall dadurch, dass Arbeitskräfte vermehrt ausgebildet werden und/oder dass die Mobilität der Arbeitskräfte erhöht wird und dass es damit schneller möglich wird, den richtigen Arbeitnehmer (weiblich oder männlich) an die richtige Stelle zu bringen, an der er (sie) am produktivsten eingesetzt werden kann.

 

Auch eine quantitative Vermehrung der Arbeitskräfte durch Einwanderung, erhöhter Geburtenrate oder späterem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kann unter gewissen Bedingungen wohlfahrts­steigernd wirken. Zwar wird zunächst mit der Anzahl der Arbeitskräfte und dem hierdurch erzielten Inlandsprodukt auch die Zahl der Konsumenten erhöht, sodass sich zunächst nicht sagen lässt, wie sich das Pro-Kopfeinkommen verändert. Wenn jedoch unter den Bedingungen eines steigenden Grenzertra­ges der Arbeit produziert wird, erhöht sich bei Zunahme der eingesetzten Arbeitskräfte auch das Pro-Kopf-Einkommen. Würden wir allerdings unter den Bedingungen eines sinkenden Grenzertrages produzieren, so würde bei einer Erhöhung der Arbeitsmenge sogar das Pro-Kopf-Einkommen zurückgehen.

 

Eine Ausweitung der Bodenvorräte wird im Allgemeinen in quantitativer wie qualitativer Sicht die Wohlfahrt der Bevölkerung steigern. Wird neues Land gewonnen oder urbargemacht, so kann die Zahl der geernteten Bodenprodukte vermehrt werden. Dies gilt vor allem dann, wenn mit dem neuen Land Rohstoffvorkommen verbunden sind. Aber auch durch eine qualitative Verbesserung des Bodens z. B. durch Düngung oder durch Übergang zur Dreifelderwirtschaft kann der Bodenertrag im Allgemeinen erhöht werden.

 

Eine Vermehrung des Kapitals steigert vor allem in quantitativer Hinsicht die Wohlfahrt. Wir können davon ausgehen, dass immer dann, wenn die Kapitalintensität (das quantitative Verhältnis von Kapital zu Arbeit) erhöht wird, auch der Gesamtertrag ansteigt. Zwar rechnen wir damit, dass aufgrund des Gesetzes des abnehmenden Grenzertrages des Kapitals der Ertragszuwachs mit vermehrtem Einsatz an Kapital sinkt, zumindest dann, wenn nicht gleichzeitig auch die komplementären Produktions­faktoren Arbeit und Boden in gleichem Umfang erhöht werden, trotzdem kann man davon ausgehen, dass der Gesamtertrag bei Kapitalintensivierung ansteigt.

 

Der technische Fortschritt gilt als der eigentliche Motor, der die Produktivität einer Volkswirtschaft erhöht. Technischer Fortschritt kann sich hierbei darin äußern, dass neue Produkte kreiert werden, dass die Qualität der bestehenden Güter verbessert wird oder dass schließlich die Kosten zur Erzeugung dieser Güter verringert werden. In allen diesen drei Fällen steigt mit der Änderung des technischen Wissens auch die Gesamtwohlfahrt.

 

Auch ein Bedarfswandel kann zu einer Wohlfahrtssteigerung beitragen. Wir haben davon auszugehen, dass sich der Bedarf der wirtschaftenden Personen im Zeitablauf wandelt. Als Jugendlicher hat man in der Regel andere Bedürfnisse als ein Erwachsener; auch eine Weiterbildung trägt im Allgemeinen dazu bei, dass sich der Bedarf verändert. Ganz allgemein ist davon auszugehen, dass die Konsumenten nicht von vornherein fertige Vorstellungen darüber haben, welche Verwendung ihrer Einkommen den höchstmöglichen Nutzen bringt. Vielmehr findet der einzelne Konsument erst nach einem langwährenden error- and trial-Prozess schließlich zu der Güterkombination, die ihm den höchsten Nutzen stiftet. Also trägt auch der Bedarfswandel dazu bei, sich nur allmählich in kleinen Schritten einem Wohlfahrtsoptimum anzunähern.

 

John Maynard Keynes hat bekanntlich die Gültigkeit des Sayschen Theorems bezweifelt. Nach dem Sayschen Theorem schafft sich jedes Güterangebot seine Nachfrage von selbst. Es kann deshalb die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage auch niemals zu klein ausfallen, um alle Güter aufzukaufen, welche bei Vollbeschäftigung produziert werden können. Sofern diese These von Keynes richtig ist, kann eine durch staatliche Maßnahmen ausgelöste Zunahme der autonomen Güternachfrage das Inlandsprodukt und mit ihm die Beschäftigung steigern. Man kann diesen Sachverhalt auch so ausdrücken, dass unter bestimmten Bedingungen die Märkte unvollkommen werden und nicht mehr von selbst Angebots­überhänge auf den Gütermärkten abbauen, so dass sich auch unter bestimmten Voraussetzungen eine Steigerung der autonomen Nachfrage wohlfahrtssteigernd  auswirken kann.

 

Schließlich kann auch eine Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenordnung die Wohl­fahrt vermehren. Die rechtliche Ordnung entscheidet darüber, welche Marktformen verwirklicht sind; aber nur bei intensivem Wettbewerb auf allen Märkten wird eine optimale Ausrichtung der Produktion an den Bedarf der Konsumenten garantiert. Eine Ordnung entscheidet weiterhin darüber, welche Anreize den wirtschaftenden Personen gegeben werden und was sie tun dürfen und was sie zu lassen haben. Damit trägt die Wirtschaftsordnung indirekt zur Wohlfahrtssteigerung bei.

 

Auch dann, wenn Ungleichgewichte wohlfahrtsmindernd wirken, kann es nicht darum gehen, die Datenänderungen, welche letztlich für das Entstehen von Ungleichgewichten verantwortlich sind, zu reduzieren. Wohlfahrtssteigerung wird letzten Endes immer durch Datenänderungen ausgelöst. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Marktkräfte, welche für einen zügigen Abbau der Ungleich­gewichte sorgen, gestärkt werden.

 

In jeder Periode wirken also Kräfte, welche über Datenänderungen neue Ungleichgewichte auslösen und andere Kräfte, welche Ungleichgewichte wieder abbauen. Wie groß das aktuelle Ungleichgewicht auf den Märkten also tatsächlich ist, hängt davon ab, inwieweit es gelingt, die – das Ungleichgewicht abbauenden – Kräfte so stark werden zu lassen wie die Kräfte, die über Daten­änderungen zwar Wohlfahrt auslösen und deshalb erwünscht sind , aber auch neue Ungleichgewichte auslösen.

 

 

Fortsetzung folgt!