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Gottes Gebote

 

 

 

Gliederung:

 

1.   Einleitung

      1a. Beschränkung auf Glaubenswahrheiten

      1b. Schwierigkeiten bei der Übermittlung von Glaubenswahrheiten

      1c. Schwierigkeiten bei der Übersetzung der Bibeltexte

 

2. Das Gebot ‚Wachset und vermehret euch‘

    2a. Ausgangspunkt: der Text der Bibel

    2b. Was bedeutet Erbsünde?

    2c.  Urknalltheorie und Schöpfungsbericht

    2d.  Mögliche Fehlinterpretationen

 

3. Die Aufforderung ‚Machet Euch die Erde untertan‘

    3a. Wie ist diese Weisung zu verstehen?

    3b. Das Problem der Effizienzanalyse

    3c. Das Problem möglicher negativer Sekundärwirkungen

 

 

1. Einleitung

 

Unter den von Gott uns auferlegten Geboten scheinen mir drei eine besondere Bedeutung zu erlangen. Es ist erstens das Gebot der Nächstenliebe, zweitens der Auftrag ‚Wachset und vermehret euch‘ und schließlich drittens die Aufforderung ‚Machet euch die Erde untertan.‘

 

Da ich mich mit dem Gebot der Nächstenliebe bereits ausführlich in einem eigenen Artikel meiner Homepage befasst habe, wollen wir uns in  diesem Artikel etwas näher mit dem Gebot ‚Wachset und vermehret euch‘ sowie ‚Macht euch die Erde untertan‘ befassen.

 

Zuvor sollten wir uns allerdings darüber klar werden, dass es zu einem vollen Verständnis der Bibeltexte etwas mehr bedarf, als lesen zu können und dass sich der Sinn der in der Bibel festgehaltenen Verlautbarungen nicht einfach aus sich selbst ergibt. Vielmehr gilt es für ein vollständiges Verständnis der Bibeltexte eine ganze Reihe von Umständen zu beachten.

 

 

1a. Beschränkung auf Glaubenswahrheiten

 

Als erstes ist festzuhalten, dass heutzutage im Gegensatz zum Mittelalter unter den theologischen Wissenschaftlern sowie den obersten Religionsbehörden der Christen weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass sich der Wahrheitsanspruch der Bibel allein auf die Glaubenswahrheiten einschließlich der sittlichen Werte bezieht. Und dies bedeutet negativ gesehen, dass die Bibel weder ein authentischer Bericht über historische Gegebenheiten sein will noch darüber unterrichten will, welchen Gesetzmäßigkeiten die Erde und das gesamte Weltall unterliegt.

 

Nach christlicher Überzeugung hat Gott uns Sinne und einen Verstand gegeben, nicht dass wir daran irre werden, sondern dass wir selbst in der Lage sind, die natürlichen Gesetze zu erkennen und diese Erkenntnisse dafür einzusetzen, um der Weisung Gottes entsprechend uns die Erde untertan zu machen. Mit den Sinnen beobachten wir, was sich um uns herum ereignet und mit dem Verstand ziehen wir logische Schlüsse, um die Naturgesetze und etwaige Widersprüche verschiedener Aussagen über die Wirklichkeit zu erkennen.

 

Allerdings gibt es – das Wesen der Menschen berührende – Fragen, welche wir mit unseren Sinnen und mit unserem Verstand nicht beantworten können. Eindeutige Schlussfolgerungen können wir nur über die Gegebenheiten gewinnen, welche beobachtet werden können. Metaphysische Fragen, die über das Beobachtbare hinausgehen, entziehen sich unserer Erkenntnis. Ob die Welt von Gott erschaffen wurde, ob es ein Leben nach dem irdischen Tod gibt und ob wir in diesem zweiten Leben danach gerichtet werden, wie wir uns hier auf Erden unseren Mitmenschen gegenüber verhalten haben, zur endgültigen  Beantwortung dieser Fragen reichen der menschliche Verstand und seine Sinne nicht aus, wir können nicht endgültig beweisen, dass es einen Gott gibt, wir sind allerdings genauso wenig in der Lage, die Existenz eines Gottes eindeutig zu widerlegen.

 

Da sich aber die Frage, wie wir denn unser Leben einrichten sollen, für jeden Menschen stellt und da die Beantwortung dieser Fragen entscheidend bestimmt, wie wir uns tatsächlich verhalten, bedarf es im Hinblick auf diese letztlichen, metaphysischen Fragen eines Glaubens. Es bedarf hierbei eines Glaubensaktes nicht nur für den Gläubigen, um an die Existenz Gottes zu glauben. Auch der Atheist ist nicht in der Lage, eindeutig zu erkennen, dass es keinen Gott gibt, das Leugnen eines Gottes ist genauso ein Glaubensakt wie der Gottesglaube gläubiger Menschen.

 

Richtig verstanden kann es deshalb auch gar keinen echten Widerspruch zwischen den Aussagen der Bibel und der Naturwissenschaft geben. Die Naturwissenschaft beschränkt ihre Aussagen auf alle Dinge, welche mit unseren Sinnen beobachtet und mit unserem Verstand eingeordnet werden können. Die Aussagen der Bibel, welche einen Wahrheitsanspruch für sich reklamieren, hingegen beschränken sich auf die Texte, welche über Glaubenswahrheiten einschließlich der sittlichen Verhaltenskodexe berichten. Die Bibel will also – richtig verstanden – gar keine Wahrheiten auf den Gebieten, in denen der menschliche Verstand hinreichend in der Lage ist, Wahrheiten zu erkennen, verkünden, umgekehrt verfügt die Wissenschaft über keine Mittel, metaphysische Gegebenheiten abschließend zu beurteilen. Also bewegen sich Wissenschaft und Religion auf zwei getrennten Bereichen.

 

Natürlich ist es richtig, dass wir in der Bibel auch Texte finden, welche über historisches Geschehen berichten und welche Aussagen über naturgesetzliche Vorgänge enthalten. Sie dienen jedoch nicht dazu, als endgültigen Beweis zu gelten und Meinungen zurecht zu rücken, vielmehr entsprechen sie den Vorstellungen der Bevölkerung in den Zeiten, in denen diese Aussagen entstanden sind.

 

Wenn also z. B. in der Bibel von einem geozentrischen Weltbild ausgegangen wird, nachdem sich die Sonne um die Erde und nicht wie wir heute annehmen, sich die Erde um die Sonne dreht, so spiegelt dies einfach die vorherrschende Meinung der damaligen Zeit wider. Entscheidend ist hierbei nicht etwa, ob nicht doch auch schon vor Christi Geburt griechische Philosophen die Vorstellung eines heliozentrisches Weltbildes entwickelt haben, sondern allein, welches Weltbild als Überzeugung der damaligen Zeit generell vertreten wurde.

 

Für die eigentliche Aufgabe der Bibel, Glaubenswahrheiten zu verkünden, wäre es auch sehr hinderlich gewesen, wenn z. B. Christus im Hinblick auf das Weltbild Meinungen vertreten hätte, die dem heutigen wissenschaftlichen Verständnis vom Weltall entsprochen hätten. Die Bereitschaft seiner Zuhörer, die Glaubensbotschaften zu akzeptieren, wäre sicherlich beeinträchtigt gewesen, wenn Christus der doch damals scheinbar offensichtlichen Vorstellung der Bevölkerung, dass die Sonne morgens im Osten aufgeht und abends im Westen versinkt, widersprochen hätte. Er wäre dann sicherlich auch im Hinblick auf Glaubenswahrheiten für viele sonst durchaus gottesfürchtige Menschen unglaubwürdig geblieben.

 

 

1b. Schwierigkeiten bei der Übermittlung von Glaubenswahrheiten

 

Aber auch im Hinblick auf die Verkündigung von Glaubenswahrheiten dürfte zweitens gelten, dass ein bloßes Lesen der Bibeltexte nicht immer ausreicht, um den Kern dieser Aussagen auch voll zu verstehen. Wir können nicht davon ausgehen, dass jeder einzelne Satz aus der Bibel bereits für jeden Leser sichtbar den Sinn dieser Aussage erkennen lässt. Auch muss festgestellt werden, dass bestimmte Aussagen in der Bibel mehrfach angesprochen werden und an den unterschiedlichsten Stellen durchaus bisweilen unterschiedlichen Inhalt aufweisen.

 

Oft enthält eine Stelle auch nur eine Teilwahrheit, welche später dann vervollständigt wird. Denken wir z. B. daran, dass Abraham sich von Gott aufgefordert gefühlt hat, seinen einzigen Sohn zu opfern, dass er aber dann in letzter Minute an der Opferung seines Sohnes gehindert wird, da Gott kein Menschenopfer wünscht. Anstelle des Sohnes wird dann Abraham angehalten, ein Tier zu opfern. Später, etwa bei Amos und im Neuen Testament erfahren wir dann, dass jedes Brandopfer in Gottesaugen als unerwünscht gilt, dass tätige Nächstenliebe sehr viel mehr wert ist als jedes Tieropfer. Offensichtlich besteht also die eigentliche ganze Wahrheit dieser Texte darin, dass Gott von uns Menschen keinerlei Opfer eines Lebewesen wünscht.

 

So heißt es bei Amos, 5,21ff.: ‚Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach‘. (Amos, 5,21f.) Und bei Markus 12,32f. erfahren wir: ‚Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer‘.

 

So zeigt die Bibel die Entwicklung des Glaubens an Gott, der sich nur allmählich in mehreren Schritten kundtat, sodass nicht schon bei der ersten Erwähnung im Alten Testament der gesamte Inhalt der geschuldeten Gottesliebe kundgetan wurde, sondern zunächst einmal nur klar gestellt wurde, dass Gott keine Menschenopfer verlangt und dass erst sehr viel später diese Vorstellung dadurch vervollständigt wurde, dass wir Gott am meisten dadurch lieben, dass wir notleidenden Menschen helfen und keinem Nächsten Schaden zufügen, aber nicht unbedingt Gott Brandopfer darbringen.

 

Die Bibel zeigt uns drittens, wie unvollkommen – sowohl in moralischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die Fähigkeiten – die Menschen sind und dies gilt nicht nur für die Masse der einfachen Menschen, sondern gerade auch für die von Gott auserwählten Menschen. So hat z. B. David, der von Gott Gesalbte und von dessen Stamm letztendlich Christus abstammt, Ehebruch mit der Frau seines Heerführers Uria begangen und letzteren in die Schlacht geschickt und zwar an eine Stelle, an der mit Sicherheit damit gerechnet werden konnte, dass Uria umkam, also eine Art Himmelfahrtskommando befohlen. (Zweites Buch Samuel 11,14: ‚ Und es geschah am nächsten Morgen, da schrieb David einen Brief an Joab und sandte ihn durch Uria.  Und er schrieb in dem Brief folgendes: Stellt Uria dahin, wo die Kampffront am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, dass er getroffen wird und stirbt!‘)

 

Oder um ein weiteres Beispiel für die Unvollkommenheit der von Gott Auserwählten aus dem Neuen Testament zu bringen: Ausgerechnet Petrus, den Christus als seinen Stellvertreter hier auf Erden auserwählt hatte, verleugnete Christus drei Mal. Hierbei stand Petrus nicht etwa wie Christus vor Pilatus oder vor dem Hohen Rat der Juden und musste deshalb nicht befürchten, dass er bei einem offenen Bekenntnis zu Christus ebenfalls gekreuzigt würde, nein er verleugnete Christus im Vorhof des Hauses von Kaiphas, gegenüber einer bedeutungslosen Magd aus dem Volke. Er hätte sich jederzeit dadurch entziehen können, dass er einfach ohne ein Wort weggegangen wäre.

 

Vielleicht könnte man ein Verleugnen des Christus noch damit entschuldigen, dass man dann, wenn man unerwartet angegriffen wird, sich instinktiv verteidigt, ohne groß nachzudenken. Aber die Bibel berichtet uns, dass Petrus Christus bei dieser Gelegenheit drei Mal hintereinander verraten hatte und dies war sicherlich keine Heldentat oder eine entschuldbare Entgleisung. Trotzdem hatte Christus Petrus zu seinem Stellvertreter auf Erden bestimmt und zwar nicht etwa aus Unwissenheit über diese charakterlichen Schwächen. In der Bibel wird uns vielmehr berichtet, dass Jesus diesen dreimaligen Verrat vorausgesehen hatte.

 

Wenn also nun gerade die Auserwählten Gottes in moralischer Hinsicht als recht unvollkommen geschildert werden, warum sollten sie dann hundertprozentig unfehlbar sein, wenn es darum geht, die Weisungen und Offenbarungen Gottes weiter zu geben? Kann hier nicht auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der eine oder andere eine Botschaft Gottes falsch oder auch nur unvollkommen versteht oder weitergibt, nicht etwa deshalb, weil er diese Botschaften bewusst fälschen will, sondern schlicht deshalb, weil er die Botschaft in seiner menschlichen Schwäche vielleicht missverstanden hat?

 

Die Bibel lehrt uns, dass Gott seine Botschaften den Propheten vor allem in Visionen übermittelt hat. Eine Vision gleich in Vielem einem Traum. Jeder, der einmal versucht hat, sich des Inhalts eines Traumes bewusst zu werden, weiß, wie schwierig dieses Unterfangen ist, er hat erfahren, dass ihm eine Rekonstruktion eines Traumes nur gelingt, wenn er sich unmittelbar nach dem Aufwachen über den Inhalt des Traumes klar wird, er hat auch erfahren, wie schwierig es oftmals ist, einen Traum einem Mitmenschen zu erzählen, es fehlen einem dann bisweilen die Worte und jede Umschreibung der geträumten Vorgänge wird als unvollkommen und nicht ganz korrekt aufgefasst.

 

Ähnliches dürfte sich auch bei der Weitergabe von Visionen ergeben. Gerade weil göttliche Botschaften ja nicht nur über irdische Vorgänge berichten, fehlen hier gerade die Worte, um die Botschaft exakt weiterzugeben. Es handelt sich dann fast immer lediglich um eine mehr oder weniger umfassende Umschreibung dessen, was der einzelne Prophet in seiner Vision erfahren hatte.

 

Weder sieht sich derjenige, welcher eine Vision hatte, in der Lage, die Botschaft voll zu erfassen, noch kann damit gerechnet werden, dass diese Botschaften immer hundertprozentig korrekt weitergegeben werden. Wir können ja nicht davon ausgehen, dass die Äußerungen der Propheten protokollarisch mit stenographiert wurden, sie wurden zunächst einmal mündlich weitererzählt und zumeist erst nach Jahrzehnten aufgeschrieben und dann immer wieder erneut abgeschrieben. Und am Ende dieses Übertragungsprozesses steht dann der Versuch der offiziellen Kirchenbehörden, aus der Vielzahl der überlieferten Schriften diejenigen auszuwählen, welche am ehesten die Glaubenswahrheiten möglichst glaubhaft weitergegeben haben und diese Schriften werden dann in der offiziellen Bibel zusammengefasst und veröffentlicht.

 

Es ist klar, dass in diesem langen Prozess der Entstehung der Heiligen Schriften bei der Übergabe der Texte Unkorrektheiten auftreten können. Am Anfang steht die Tatsache, dass die Botschaft also solche unter Umständen von denjenigen, welche die Vision hatten, nicht vollständig erkannt und vielleicht auch etwas falsch verstanden wurden. Weiterhin kann sich bei der wiederholten mündlichen Überlieferung der eine oder andere Fehler einfach deshalb einschleichen, weil bestimmte Aussagen falsch verstanden wurden oder weil dem Zuhörer die gehörte Botschaft als unvollkommen erschien und er meinte, sie in bestimmter Weise ergänzen zu müssen. Beim Auf- und Abschreiben können sich weitere Übertragungsfehler einschleichen, sodass dann am Ende dieser Kette doch der eine oder andere Text die eigentliche Botschaft nicht mehr in ihrer reinen Form überliefert.

 

Nun gehen die christlichen Kirchen davon aus, dass der Heilige Geist darüber wacht, dass die Glaubenswahrheiten erhalten bleiben. Aber setzt diese Überzeugung unbedingt voraus, dass nun jede einzelne Bibelstelle hundertprozentig vollständig und korrekt weitergegeben wurde? Kann diese Überzeugung über das Wirken des Heiligen Geistes nicht auch so verstanden werden, dass sichergestellt ist, dass die Glaubenswahrheiten auf lange Sicht erhalten bleiben und sich durchsetzen? Auch dürfte sich das Wirken des Heiligen Geistes unter anderem gerade darin äußeren, dass zwar bisweilen einzelne Passagen falsch weitergegeben wurden, dass aber die wissenschaftliche Auseinandersetzung der theologischen Wissenschaft und die Diskussionen innerhalb der Konzilien letztendlich die Glaubenswahrheiten ans Licht bringen.

 

Man kann diesen Prozess mit der Wahrheitsfindung im Rahmen der Wissenschaften allgemein vergleichen. Auch hier müssen wir davon ausgehen, dass einzelne Wissenschaftler durchaus irrige Meinungen aufstellen, ja sogar bewusst fälschen. So etwa, wenn vor einigen Jahren plötzlich bekannt wurde, dass ausgerechnet einzelne Wissenschaftler, welche bisher als Koryphäen in der Genforschung gegolten hatten, ihre angeblichen Ergebnisse durch bewusste Fälschung des empirischen Materials gewonnen hatten. Der Wissensprozess ist aber noch lange nicht beendet, wenn ein einzelner Forscher eine Hypothese aufstellt. Es findet eine ausführliche Diskussion statt, die Hypothesen werden wiederholt unter wechselnden Bedingungen empirisch getestet und erst dann, wenn trotz wiederholter Überprüfung die anfängliche Hypothese nicht widerlegt werden konnte, wird diese Hypothese zu einer vorläufig bestätigten Theorie, vorläufig deshalb, weil stets mit der Möglichkeit gerechnet werden muss, dass aus Unkenntnis heraus bestimmte bisher unbekannte Faktoren vernachlässigt wurden und keine Falsifizierung nur deshalb festgestellt werden konnte, weil diese Faktoren in den empirischen Tests nicht mit berücksichtigt wurden.

 

Das Verhalten der einzelnen Wissenschaftler mag hierbei sehr unvollkommen sein und trotzdem hat das Zusammenwirken der Forscher schließlich dazugeführt, dass das Wissen der Menschheit ganz entscheidend ausgeweitet werden konnte. In analoger Weise kann auch die Auseinandersetzung über den wahren Kern der in der Bibel verbreiteten Glaubenswahrheiten schließlich dazu beitragen, dass diese Aussagen und Interpretationen schließlich der Wahrheit entsprechen.

 

 

1c. Schwierigkeiten bei der Übersetzung der Bibeltexte

 

Bei der Interpretation einzelner Bibeltexte entsteht noch eine dritte Schwierigkeit. Zumindest die Schriften des Alten Testamentes sind in hebräischer, bisweilen auch in aramäischer Sprache verfasst und müssen deshalb für jeden, der dieser Sprache nicht mächtig ist, in die eigene Sprache übersetzt werden.

 

Die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache ist jedoch in jedem Falle mit großen Schwierigkeiten verbunden. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Worte in den einzelnen Sprachen einen vollkommen deckungsgleichen Inhalt aufweisen. Vielmehr gleichen die entsprechenden Begriffsinhalte zwei sich mehr oder weniger überschneidenden Kreisen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Sprachen der einzelnen Völker im Zusammenhang mit den zu lösenden Problemen entstanden sind und da jedes Volk vor unterschiedlichen Problemen stand, haben sich auch die Sprachen und ihre einzelnen Worte mit sehr unterschiedlichem Inhalt entwickelt.

 

Die Schriften des Neuen Testamentes sind zwar in griechischer Sprache abgefasst worden und im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass die Problemfelder zwischen altgriechischer und moderner Sprachen näher beieinander liegen als zwischen hebräischer und moderner Sprache. Trotzdem besteht im Grunde auch hier das gleiche Problem. Wir haben nämlich davon auszugehen, das Christus selbst teilweise hebräisch, teilweise aramäisch gesprochen hat, sodass schon bei der Abfassung der Urtexte des Neuen Testamentes Übersetzungsprobleme entstanden sind.

 

Wenn aber die Begriffsinhalte der einzelnen Worte sich überschneidenden Kreisen gleichen, muss auch damit gerechnet werden, dass in dem einen oder anderen Fall der Kreis der einen Sprache sich mit mehreren Kreisen der anderen Sprache überschneidet, dass es also für das eine Wort in der einen Sprache mehrere Worte der anderen Sprache geben kann, ja es ist sogar denkbar, dass mit einem Wort in einer Sprache bisweilen ein Begriffsinhalt verbunden wird, für den es in der anderen Sprache überhaupt keine Entsprechung gibt, da eben dieses Volk gar nicht vor solchen Problemen gestanden hat.

 

Es bedarf also bei dem Versuch, einen Text in eine andere Sprache zu übersetzen, zunächst einmal sehr guter Kenntnisse beider Sprachen, um jeweils das richtige Wort zu treffen und der Übersetzer hat bei jedem einzelnen Wort zu entscheiden, welcher der angesprochenen Begriffsinhalte im einzelnen angesprochen ist und wie das Wort am besten umschrieben wird, wenn es für den vorliegenden Begriff in der Sprache, in die ein bestimmter Text übersetzt werden soll, gar keine Übereinstimmung gibt. Um diese schwierige Frage zu bewältigen, überprüft der Übersetzer bzw. Interpret fremder Schriften zunächst einerseits, wie das zu übersetzende Wort an anderen Stellen dieser Schrift verwendet wurde und andererseits, welches der in Frage kommenden Worte das in dieser Schrift behandelte Thema am wahrscheinlichsten wiedergibt.

 

Diese Übersetzungsaufgabe kann darüber hinaus aber nur derjenige leisten, der auch die historische Entwicklung der Probleme in beiden angesprochenen Volksgemeinschaften kennt. Texte werden immer aus einer ganz bestimmten Problemlage heraus formuliert. Nur derjenige, welcher die Probleme kennt, welche bei der Abfassung dieser Texte vorherrschten, kann eine gültige Übersetzung durchführen.

 

Nun zeichnete sich das jüdische Volk dadurch aus, dass es wiederholt von anderen Großmächten beherrscht wurde, etwa um 722 vor Christi Geburt wurden die Bewohner des israelischen Nordreiches in assyrische Gefangenschaft geführt, um 600 a. Chr. erfolgte die babylonische Gefangenschaft Judas, um 330 a. Chr. kam Juda unter griechischer Herrschaft, ab 63 a. Chr. begann die Unterdrückung der Israeliten für etwa 300 Jahre seitens der römischen Herrscher.

 

Es leuchtet ohne weiteres ein, dass der Sinn der biblischen Texte nur richtig erkannt werden kann, wenn sich der Übersetzer all der Probleme bewusst wird, vor denen Israel bei der Abfassung der Bibel gestanden hatte. Auch gilt es sich darüber klar zu werden, dass gerade kritische Texte oftmals bemüht sind, Probleme so anzusprechen, dass sie zwar von den Mitgliedern der unter einer brutalen Besatzungsmacht leidenden jüdischen Bevölkerung, nicht aber von den Anführern der Besatzungsmacht verstanden wurden. Manche Texte der Bibel sind dann verschlüsselt und der eigentliche Sinn dieser Botschaften setzt gute historische Kenntnisse voraus.

 

Ein Beispiel aus der deutschen Vergangenheit der nationalsozialistischen Herrschaft soll diese Zusammenhänge verdeutlichen. In einem Kabarett wurde angekündigt, dass man nun die Familie Mann vorstellen wolle. Es erscheint zunächst eine Frau mit einem kleinen süßen Ferkel auf den Armen. Der Sprecher gibt kund, das es sich hierbei um das Kind Mann handle. Es kommt eine zweite Person auf die Bühne, welche ein großes Mutterschwein hinter sich herzieht. Die Zuschauer erfahren, dass es sich hierbei um Frau Mann handle. Schließlich erscheint eine dritte Person, welche einen besonders fetten und hässlichen Eber nachsichzieht. Vorgestellt wird hier dieses Tier als Herr Mann. Die Zuschauer quittieren diese Aufführung mit einem frenetischen Gelächter und Gebrüll.

 

Für jemand, der die Geschichte Nazi-Deutschlands nicht kennt, ist diese Reaktion der Publikums vollkommen unverständlich, warum brechen die Zuschauer in dieses Gelächter aus, wenn drei Schweine auf die Bühne gebracht werden? Für die damaligen Zuschauer hingegen war die Botschaft eindeutig. Man wollte auf den Stellvertreter Hitlers, Herrmann Göring aufmerksam machen, wobei den Zuschauern klar war, dass Göring zu den Nazigrößen zählte, die neben anderen Grausamkeiten gutes Essen liebten und deshalb an Hülle und Fülle zunahmen und darüber hinaus unrecht erworbene Kunstgegenstände in Massen in ‚säuischer Weise‘ ansammelte. In ähnlicher Weise erfüllte auch im Neuen Testament das Verabscheuen des Schweines seine Rolle, da der Eber das Wappenzeichen der Römer war.

 

Dadurch nun, dass die ursprünglichen Texte der Bibel mehrfach übersetzt werden mussten, duplizierten sich die hier angesprochenen Probleme. Als erstes wurden die hebräischen Ausführungen ins Griechische übersetzt, später erfolgte dann eine Übersetzung ins Lateinische und zu Zeiten Luthers wurde der Versuch unternommen, die Bibel ins Deutsche (oder auch in andere moderne Sprachen) zu übersetzen. Es ist heute bekannt, dass die Übersetzung Luthers erhebliche, missverständliche Übersetzungsfehler enthält.

 

Schon während seiner Mönchszeit interessierte sich Luther zwar für das Hebräische. Aufgrund seines weitgehend autodidaktischen Studiums wies er jedoch große Wissenslücken in der Kenntnis der hebräischen Sprache auf. Seine Kenntnisse waren nie so vollkommen, dass er die hebräischen Urtexte selbst hätte lesen können. Später in den 30er Jahren hat er bei Tischreden die Bedeutung der hebräischen Sprache hervorgehoben: „Die hebräische Sprache ist die allerbeste und reichste in Worten, und rein, bettelt nicht, hat ihre eigene Farbe. […] Wenn ich jünger wäre, so wollte ich diese Sprache lernen, denn ohne sie kann man die heilige Schrift nimmermehr recht verstehen. Denn das neue Testament, obwohl es griechisch geschrieben ist, ist doch voll von Hebräismus und hebräischer Art zu reden. Darum haben sie recht gesagt: Die Hebräer trinken aus der Bornquelle; die Griechen aber aus den ‚Wässerlin‘, die aus der Quelle fließen; die Lateinischen aber aus den Pfützen.“ (aus Luther, M., Werke. Kritische Gesamtausgabe Tischreden, Bd. 1ff. Weimar 1912ff. )

 

 

2. Das Gebot ‚Wachset und vermehret euch‘

2a. Ausgangspunkt: der Text der Bibel

 

Die Aufforderung Gottes an die Menschen: ‚Wachset und vermehret euch‘, steht am Anfang der Genesis bei der Darstellung der Erschaffung der Welt und des Menschen, dem ersten Buch Moses, Kapitel 1,28. Dort heißt es: ‚Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde‘. Eigentlich macht jedoch diese Aufforderung erst einen Sinn, als die Menschen aus dem Paradies herausgeführt worden waren. Folgerichtig wird diese Aufforderung dann in Kapitel 9, 1 der Genesis nach dem Ende der Sintflut für Noah wiederholt:  ‚Dann segnete Gott Noach und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde!‘ 

 

Nach dem Bericht im Alten Testament (Genesis, Kapitel 2,15 - 2,17) lebten nämlich die ersten Menschen (Adam und Eva) zunächst im Paradies: ‚Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte…. Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben. … Beide, Adam und Eva, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.‘

 

Für ihr leibliches Wohl war somit in Hülle und Fülle gesorgt, sie litten keinerlei Not, sie konnten sich im Paradies frei bewegen und fast alles tun, was sie wollten, vor allem mussten sie keine großen Anstrengungen und Mühen auf sich nehmen, um die Früchte des Gartens zu ernten. Da im Garten Eden auch der Baum des Lebens stand und Adam und Eva durchaus das Recht hatten, von seinen Früchten zu essen, waren sie auch nicht vom Tod bedroht. Dass der Baum des Lebens ein Sinnbild ewigen Lebens war, geht z. B. aus Genesis, 3,22 hervor, dort heißt es nach der Vertreibung aus dem Paradies: ‚Dass er (der Mensch) jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!‘

 

Nach der Erzählung der Bibel wurde nun Eva von der Schlange und unmittelbar danach Adam von Eva verführt, auch von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Die Schlange sprach, erst dann, wenn ihr von diesem Baum esset, werden euch die Augen geöffnet, und ihr werdet dann wie Gott sein und Gut und Böses erkennen. Nachdem nun Adam und Eva von den Früchten dieses Baumes gegessen hatten, sahen sie, dass sie nackt waren, obwohl sie auch schon vorher nackt waren und versuchten sich mit einem Feigenblatt zu bedecken.

 

Gott bestrafte die Menschen dadurch, dass er sie aus dem Paradies wegschickte und den Menschen androhte, dass die Frauen fortan unter Schmerzen und mit Leiden Kinder gebären würden. Zur Frau sprach er: ‚Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder.‘ Zu Adam sprach er: ‚Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück‘. (Genesis, Kapitel 3,17-19).

 

 

2b. Was bedeutet Erbsünde?

 

Nicht ausdrücklich im Text des Alten Testamentes, wohl aber in den Lehren der Kirche wurde dann davon gesprochen, dass aufgrund des Vergehens der ersten Menschen die gesamte Menschheit von der Erbsünde betroffen sei, also wegen der Verfehlung der ersten Menschen alle Menschen danach die Neigung zur Sünde sozusagen geerbt haben.

 

Nun ist der Begriff der Erbsünde bereits in sich widersprüchlich. Von Sünde sprechen wir im Allgemeinen immer nur dann, wenn eine persönliche Schuld vorliegt, wenn also der sündige Mensch etwas getan hat, das er hätte nicht tun sollen bzw. wenn er etwas unterlässt, was er eigentlich hätte tun sollen (müssen). In beiden Fällen kann jedoch nur dann von persönlicher Schuld gesprochen werden, wenn die Menschen das tun können, was sie tun sollen bzw. wenn sie das unterlassen können, das sie unterlassen sollen. Wenn bereits die Erbanlagen der Menschen notwendigerweise zur Folge hätten, dass die Menschen einfach deshalb Dinge tun, welche nicht erwünscht sind, weil sie aufgrund ihrer vererbten Anlagen gar nicht anders können, könnte man auch nicht von schuldhaftem, also sündigem Handeln sprechen.

 

Es bleibt also dann die Aussage, dass aufgrund der Taten der ersten Menschen unter Umständen die Veranlagung der Menschen insoweit geändert wurde, dass auf den einzelnen Menschen immer wieder Anreize zu einem Verhalten ausgeübt werden, welche eigentlich unerwünscht sind. Und je stärker diese Anreize zu einem solchen unerwünschten Verhalten sind, um so geringer ist auch der Anteil der Schuld des einzelnen an den unerwünschten Handlungen.

 

Wenn wir also lediglich von einer Veranlagung zu sündhaftem Tun sprechen können, so bedeutet dies nicht unbedingt, dass diese Veranlagung über eine Veränderung der Gene herbeigeführt wurde. Auch andere Möglichkeiten eines Weitergebens bestimmter Verhaltensweisen sind denkbar. Margret Meade hat auf die Bedeutung des Tabus in primitiven Kulturen hingewiesen. So wurden z. B. die Hütten der Ureinwohner nicht verschlossen, auch wenn ein Bewohner seine Hütte für längere Zeit verließ, es reichte vielmehr aus, dass an der Schwelle zur Hütte ein Zweig gelegt wurde, das im Sinne eines Tabs signalisierte, dass niemand das Recht habe, die Hütte während der Abwesenheit des Bewohners zu betreten.

 

Ein Tabu stellt eine Art Verbot dar, das ausnahmslos einzuhalten ist und das bei Übertreten unsagbare, nicht näher definierte Folgen auslöst. Gerade dadurch, dass ein solches Verbot in der Vergangenheit eingehalten und in  keinem einzigen Fall übertreten wurde, erwachsen starke Anreize, dieses Tabu auch in Zukunft einzuhalten. Gerade weil dieses Tabu in der Vergangenheit niemals durchbrochen wurde, kann sich auch niemand ausmalen, welche verheerenden Strafen bei Tabubruch zu erwarten sind, die Bereitschaft, das Tabu einzuhalten, wird gerade auf diese Weise verstärkt, die Gefahr, dass ein Tabu aufgegeben werden muss, ist äußerst gering.

 

In dem Augenblick hingegen, in dem ein einzelner dieses Tabu bricht, fällt der von diesem Tabu ausgehende Zauber in sich zusammen, verliert seine Wirksamkeit. Nun steht für jeden fest, dass man dieses Verbot sehr wohl brechen kann, ohne dass die Welt einstürzt. Vielleicht wird der Übeltäter auch von den Führern dieser Stämme bestraft, aber der Umfang dieser Strafe ist nun bekannt und der einzelne potenzielle Straftäter kann sich einbilden, dass er eine Bestrafung auch durch geschicktes Vorgehen verhindern kann. Es sind dann nicht unbekannte Geister oder Götter, welche alles Handeln erkennen können, sondern Mitmenschen, die man sehr wohl überlisten kann. Das Tabu hat seine Wirkung verloren.

 

Vielleicht lässt sich auch das Verbot an Adam und Eva, nicht von den Früchten des Baumes der Erkenntnis zu essen als eine Art Tabu verstehen. Die ersten Menschen waren nach dem Schöpfungsbericht der Bibel nackt, ohne dass sie sich jedoch dessen bewusst wurden und ohne dass sie geschlechtliche Lüste empfanden, welche dann zum geschlechtlichen Verkehr führten. Nachdem aber Adam und Eva das Gebot, nicht von den Früchten des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen, übertreten  hatten, also sich bewusst waren, dass sie nackt sind und dieses Bewusstsein auch den Geschlechtstrieb auslöste, konnten die Menschen auch nicht mehr zu dem bisherigen Zustand der kindlichen Unbekümmertheit zurückkehren und in diesem Sinne wurde diese Veränderung an die weiteren Menschen weitergegeben.

 

 

2c.  Urknalltheorie und Schöpfungsbericht

 

Bei der Analyse dieser Texte gilt es sich erstens an die Ausführungen des ersten Abschnitts zu erinnern,  dass auch der Schöpfungsbericht wie alle nachfolgenden Schriften des Alten und des Neuen Testamentes keinesfalls wortwörtlich im Sinne einer stenographischen Mitschrift der Ereignisse verstanden werden darf, ganz davon abgesehen, dass alle oder zumindest die meisten dieser Texte zunächst mehrere Generationen hinweg mündlich weitererzählt wurden, bis sie dann sehr viel später schriftlich aufgeschrieben wurden. Es handelt sich hierbei bei allen Heiligen Texten um sinnbildliche Darstellungen, bei denen die Glaubenswahrheit, die vermittelt werden soll, in Erzählungen eingekleidet wurde, die dem damaligen Verständnis über die Erde und über das Verhältnis der Menschen zu Gott entsprach. Deshalb gilt der Wahrheitsanspruch der Heiligen Schrift auch nicht dem Wortlaut der Texte, sondern nur für die Glaubensaussagen, welche hinter den in Bildern vermittelten Darstellungen stehen.

 

Die Heiligen Texte stehen deshalb auch nicht in Widerspruch zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Richtig verstanden kann – wie bereits erwähnt – gar kein echter Widerspruch zwischen den jeweiligen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Kern der Aussagen in der Heiligen Schrift entstehen. Die Wahrheiten, welche durch die Heiligen Texte vermittelt werden sollen, sind metaphysischer Natur, sie handeln von Dingen, welche gar nicht mit den Methoden der Wissenschaft angegangen werden können, da mit Hilfe der Sinne und des Verstandes eben nur Aussagen überprüft werden können, welche etwas über die Erfahrungen hier auf dieser Welt aussagen. Darüber, ob es ein Leben nach dem Tode gibt und woher die Seele des Menschen kommt und welche Gebote für den Menschen gelten, kann eine empirische Wissenschaft gar nicht entscheiden, der menschliche Verstand kann nur Dinge endgültig klären, welche empirisch beobachtet oder aufgrund eines logischen Widerspruchs als undenkbar ausgeschlossen werden können.

 

Diese Überlegungen gelten gerade auch für den Schöpfungsbericht der Bibel. Das in der Bibel vermittelte Bild, letzten Endes sei die Welt von Gott in sieben Tagen erschaffen worden, steht in keinem Widerspruch zu der heutigen Auffassung der Naturwissenschaft, wonach die Entstehung der Welt einschließlich des Lebens in dieser Welt durch einen Urknall vor Milliarden von Jahren ausgelöst worden war. Dieser biblische Bericht widerspricht auch nicht der heute geltenden wissenschaftlichen Meinung, dass alles Leben zunächst mit einfachen Lebewesen, den Einzellern entstanden ist und dass erst durch eine vielfache Weiterentwicklung schließlich auch der Mensch am Ende dieses Entwicklungsstranges entstand. Der Kern der Aussage hinter dem Schöpfungsbericht besteht vielmehr darin, dass es ein persönlicher Gott war, der die Naturgesetze geschaffen hat, nach denen alles Leben, auch der Mensch auf dieser Erde entstanden ist und dass man den Verlauf der Entwicklung in verschiedene Stufen einteilen kann, welche sinnbildlich den 7 Tagen als Epochen der Schöpfung des Universums entsprechen. Auch die Reihenfolge der einzelnen Tage ist nicht unbedingt als eine strenge zeitliche Abfolge, sondern eher als eine systematische Ordnung unterschiedlicher Ereignisse zu verstehen. Es entspricht aber auch durchaus der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, dass sich der Mensch erst relativ spät entwickelt hat.

 

Auch gilt es zu bedenken, dass die These vom Urknall ja nicht unbedingt bedeuten muss, dass das Leben schließlich in einem ganz bestimmten Zeitpunkt aus dem Nichts entstanden ist, vielmehr könnte auch davon auszugehen sein, dass Materie, welche vor dem Urknall unstrukturiert war, in komplexe Materie verwandelt wurde, welche schließlich auch Leben ermöglichte. So haben Wolfgang Priester und Hans Joachim Blome die Vorstellung über das Ereignis des Urknalls durch einen »Big Bounce«, eine Art Umschwung zu ersetzen versucht. Damit bliebe eine alte Grundannahme der Naturphilosophie erhalten, wonach aus Nichts niemals etwas entstehen und etwas Seiendes niemals absolut verschwinden könne.

 

Der Urknall soll nach der ersten Deutung den Anfangspunkt der Entstehung von Materie und Raum und Zeit und eine dauerhafte Ausdehnung des Universums ausgelöst haben. Es gilt dann, dass das Universum früher sehr viel kleiner war (dass also eine Expansion des Universums stattgefunden hatte), dass es aber gleichzeitig früher heißer und dichter war. Formal führt die Lösung zeitlich rückwärtsgewandt auf einen Zeitpunkt hin, zu dem der Wert des Skalenfaktors verschwindet, also das Universum keine Ausdehnung hatte und die Temperatur und Dichte unendlich groß waren.

 

Woher die unstrukturierte, unendlich dichte Masse ohne Ausdehnung in der Planck-Ära kam und vor allem welches Ereignis den Urknall ausgelöst hat, darüber kann die Wissenschaft keine Auskunft geben. Für den menschlichen Verstand ist die Vorstellung, dass unstrukturierte Masse schon immer bestand oder irgendeinmal von selbst entstand und dass sich der Urknall von selbst ausgelöst habe, genau so unbegreiflich, wie der Glaube an einen persönlichen Gott, der schon immer vorhanden war und der durch die Schaffung der Naturgesetze schließlich die Entwicklung der Welt und der Lebewesen ausgelöst hat.

 

Die These vom Urknall ist letztlich aus einer grundlegenden Beobachtung gewonnen worden. 1929 gelang Edwin P. Hubble der Nachweis, dass sich das Universum räumlich gleichförmig und ohne Bevorzugung einer Richtung ausdehnt. Wenn wir nun diesen empirisch nachgewiesenen Entwicklungsprozess gedanklich in die Vergangenheit zurückverfolgen, gelangen wir zu einem Anfangspunkt, an dem alle Galaxien einen verschwindend kleinen Abstand hatten: zum »Big Bang« oder »Urknall«. Friedmann postulierte dann , dass die Zeit, die von jenem Augenblick an verstrichen ist, als die Erschaffung der Welt anzusehen sei.

 

Unklar bleibt jedoch auch in dieser Urknall-Theorie, wodurch dieser Urknall denn letzten Endes ausgelöst worden ist, ob das All rein zufällig aus dem Nichts entstanden ist oder ob es einen persönlichen Gott gibt, der selbst seit jeher besteht und der auf dem Wege über die Bildung der Naturgesetze letztlich das gesamte Universum einschließlich des Menschen erschaffen hat. Alle diese Fragen kann nur ein Glaube beantworten und der Glaube, dass es einen persönlichen Gott gibt, widerspricht nicht den heutigen Annahmen der Naturwissenschaft von einem Urknall und  kann vor allem nicht mit Mitteln der empirischen Wissenschaft widerlegt werden. Exaktes Wissen setzt Beobachtungen voraus, die wir im Hinblick auf den Urknall nicht machen können. Wir sind zwar mit den Mitteln des Verstandes nicht in der Lage, die Existenz Gottes und die Erschaffung dieses Universums durch eben diesen Gott exakt zu beweisen, aus den gleichen Gründen ist es jedoch auch nicht möglich, diese Thesen einer Leugnung der Existenz Gottes mit den Mitteln der Wissenschaft eindeutig zu widerlegen. Auch die Leugnung Gottes beruht auf einem nicht beweisbaren Glauben genauso wie der Glaube an die Existenz eines Gottes.

 

Stephen Hawkings hat nun den Versuch unternommen trotz dieser Begrenzungen aufzuzeigen, wie es denn vorstellbar sei, dass sich der Urknall ohne Mitwirkungen eines ewig lebenden Gottes ereignet habe und dass das Universum aus dem Nichts entstanden sei. (siehe z. B. die DVD: Stephen Hawkings, Großer Entwurf, eine neue Erklärung des Universums.)  Er bringt das Beispiel, dass ein Loch gegraben wird und dass die zu Tage geförderte Erde dann zu einem Hügel aufgeschichtet wird. Ausgangspunkt sei hier ein Zustand, in dem die Oberfläche vollkommen eben war, also der Grad der Unebenheit null war, es gab keine Unebenheiten in der Verteilung der Materie im Raum. Dadurch, dass nun ein Loch gegraben wurde, entstanden Unebenheiten und zwar auf der einen Seite ein großes Loch, das als eine Art negative Unebenheit gedeutet werden kann und auf der anderen Seite ein Hügel, eine Art positive Unebenheit. Beide Unebenheiten, das Loch wie der Hügel entsprechen sich im Umfang und die eine Unebenheit (der Hügel, die positive Unebenheit) ist zusammen mit der anderen Unebenheit (dem Loch, der negativen Unebenheit) entstanden. Übertragen auf die Entstehung des Weltalls zur Zeit des Urknalls bedeutet dies, dass aus dem Nichts auf der einen Seite positive Materie und auf der anderen Seite schwarze (also negative) Löcher entstanden sind.

 

Kritisch ist als erstes zu vermerken, dass hier nur von Möglichkeiten gesprochen wird, wie aus dem Nichts etwas Positives zugleich zusammen mit etwas Negativem entstanden ist. Es geht aber bei der Frage nach der Existenz eines Gottes eben nicht darum, ob eine Entstehung von Materie aus dem nichts ohne Eingreifen eines Gottes möglich ist. Die Denkmöglichkeit als solche wird ja auch von den Gläubigen nicht geleugnet. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass die Sinne und der menschliche Verstand nicht ausreichen, um die Frage nach der Existenz Gottes eindeutig zu klären. Dies bedeutet, dass weder der Beweis, dass es einen Gott gibt noch der Nachweis, dass es keinen Gott gibt, mit wissenschaftlich exakten Mitteln geführt werden kann und dass gerade deshalb eine Glaubensentscheidung notwendig wird. So ist die Annahme, dass es keinen Gott gibt, genau so ein Glaubensakt wie die Annahme, dass es einen Gott gibt. Die Denkmöglichkeit, dass aus dem Nichts ein Etwas entstanden sein kann, schließt nicht aus, dass es auch eine andere Denkmöglichkeit gibt, nämlich dass das Weltall durch einen Schöpfungsakt eines persönlichen Gottes entstanden ist. Um nachzuweisen, dass es keinen Gott gibt, reicht es nicht aus, dass man die Nichtexistenz Gottes als denkmöglich ansieht, es bedürfte dann vielmehr des Nachweises, dass eine Existenz Gottes als nicht denkmöglich angesehen werden muss.

 

Zweitens wird in dem Gedankenexperiment vom Ausheben eines Erdloches gar nicht aufgezeigt, dass aus einem Nichts ohne weiteres Zutun ein Etwas entstanden ist. In dem gezeigten Bild ist es ein Mensch, welcher das Loch gräbt und dadurch einen Hügel erzeugt. Dass also in diesem Beispiel eine positive Unebenheit aus dem Zustand einer nicht vorhandenen Unebenheit entstanden ist, war nur möglich, weil Arbeit geleistet wurde, also ist die Entstehung der Unebenheit nur durch das Wirken einer äußeren Energie entstanden. Und wenn wir das Beispiel nun auf das Ereignis des Urknalls beziehen, heißt dies, dass auch hier vorausgesetzt werden muss, dass Energie aufgewandt wurde, um aus dem Nichts an Materie schließlich eine positive Materie zu schaffen. Woher diese Energie stammt, ob es nicht ein persönlicher Gott war, der im Schöpfungsakt diese notwendige Energie aufgebracht hat, bleibt weiterhin ein ungelöstes Rätsel.

 

Drittens bleibt auch im Hinblick auf die Entstehung einer (positiven) Materie eine weitere Frage offen. In dem gewählten Beispiel kann ja der ein Loch buddelnde Mensch den Hügel nicht aus dem Nichts nur mit reiner Energie erzeugen. Wir müssen vielmehr unterstellen, dass die Materie, aus welcher der neu zu bildende Hügel besteht, bereits als Erde odere Sand vorhanden war, ohne diese schon existierende Materie hätte ja weder das Loch noch ein Hügel herbeigezaubert werden können. Das Nichts, von dem das Beispiel ausgeht, bezieht sich ja nicht auf die Materie in ihrer Gesamtheit, sondern allein auf eine spezielle Eigenschaft der Materie, nämlich im Ausgangszustand vollkommen eben über den Raum verteilt zu sein und es ist nur diese Eigenschaft, dass die Materie bisher vollkommen eben oder anders ausgedrückt mit einem nichtvorhandenen Unebenheitsgrad über den Raum verteilt war, was durch dieses Experiment verändert und eine positive (wie auch eine negative) Unebenheit geschaffen wird. Nur dadurch, dass wir in diesem Gedankenexperiment Raum, Materie und Energie bereits als existent ansehen, konnten wir aufzeigen, dass aus einem Zustand des Fehlens einer Unebenheit ein anderer Zustand entstehen konnte, welcher positive wie negative Unebenheiten aufweist.

 

Es widerspricht auch der lange Zeit gültigen Auffassung, dass aus einem ‚Nichts‘ ein ‚Etwas‘ geschaffen werden kann, wenn man auf diese Weise die Entstehung des Weltalls erklären will. Aus einem Nichts kann ja auch nicht durch Aufwendung von Energie etwas Positives und Negatives geschaffen werden. Ein Zustand, der vielleicht bisher nicht wahrgenommen wurde, aber dann in einen positiven und negativen Zustand überführt werden kann, ist schwerlich als Nichts zu interpretieren, er war eben zunächst nur nicht wahrnehmbar, aber doch existent.

 

Interessanter Weise wurde die Idee, dass Unebenheiten zu Beginn des Weltalls dadurch entstanden, dass Hügel und Täler gebildet wurden oder was gleichbedeutend ist, dass Hügel und Täler am Ende der Zeiten wiederum in einer ebenen Fläche verschwinden werden, bereits im Neuen Testament entwickelt. Dort heißt es bei Lukas 3,5f. in Berufung auf Jesaja: ‚Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.‘

 

 

Fortsetzung folgt!