Informationen versus Bewertungen

 

Wenn man sich mit Journalisten über die Frage unterhalten würde, welche Spielregeln ein jeder Journalist auf jeden Fall einzuhalten habe, würde größte Einigkeit darin bestehen, dass die Hauptaufgabe eines Journalisten darin bestehe, sachlich zu informieren und dass Bewertungen der zu berichtenden Sachverhalte zwar durchaus erfolgen dürfen und auch sollen, dass aber streng zwischen beiden Darstellungen zu unterscheiden sei.

 

Auf den vordersten Seiten der Zeitungen oder an erster Stelle in den periodischen Nachrichten solle allein über Tatsachen berichtet werden, der Journalist solle sich hier jeglicher Bewertung enthalten. Die Bewertungen seien allein Sache der Kommentare, in denen durchaus die persönliche Meinung des Kommentators zum Ausdruck kommen darf.

 

Diese klare Trennung gilt übrigens genauso für die Verlautbarungen der Wissenschaftler. Auch hier gilt die Forderung zwischen der Feststellung von Tatsachen und deren Bewertung zu unterscheiden. Es war vor allem der Soziologe Max Weber, der die Forderung nach Werturteilsfreiheit in der Wissenschaft gefordert hatte. Diese Forderung war vor allem gegen die Vertreter der historischen Schule gerichtet.

 

Man machte ihnen zum Vorwurf, dass sie Werturteile wissenschaftlich zu begründen versuchten. Max Weber trat als Verfechter einer wertfreien Wissenschaft auf. Eine empirische Sozialwissenschaft könne nur darüber Auskunft geben, wie bestimmte soziale Probleme tatsächlich gelöst werden, nicht wie sie am besten gelöst werden sollten. Ein Werturteil könne nur aufgrund einer weltanschaulichen Position gefällt, nicht aber wissenschaftlich bewiesen werden.

 

Allerdings wollte Max Weber den Wissenschaftler keineswegs von der politischen Diskussion ausschließen. Max Weber hat selbst wiederholt in die politische Diskussion eingegriffen und damit bekundet, dass das politische Engagement eines Wissenschaftlers nicht dem Ideal einer wertfreien Wissenschaft widerspreche.

 

Wohl solle der Wissenschaftler seinen Zuhörer (Leser) nicht im Unklaren darüber lassen, wann er sich auf die Analyse von Sachzusammenhängen bezieht und deshalb als Wissenschaftler auftritt und wann er sich zu politischen Fragen bewertend äußert. Er wollte mit dieser Forderung verhindern, dass persönliche Werturteile im wissenschaftlichen Gewande vorgetragen werden und auf diese versteckte und erschlichene Weise einen höheren Wahrheitsgehalt beanspruchen, als ihnen de facto zukomme.

 

Die Unterscheidung zwischen Informationen und deren Bewertungen ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil Informationen, wenn sie als wahr anzusehen sind, für alle Personen wahr sind, gleichgültig welche weltanschauliche Positionen der Einzelne annimmt.

 

Natürlich sind nicht alle von Wissenschaftlern behaupteten Hypothessen wahr. Empirische Aussagen, welche sich auf generelle, also für alle Studienobjekte einer definierten Klasse beziehen, können zwar widerlegt warden, sofern es möglich ist, ein Objekt dieser Klasse zu finden, welches der festgestellten Hypothese widerspricht.

 

Es ist aber nicht möglich, eine empirische allgemeine Hypothese eindeutig zu verifizieren. Stets muss davon ausgegangen werden, dass die besagte Hypothese nur deshalb nicht widerlegt werden konnte, da nicht alle Tatbestände überprüft warden konnten oder da im weiteren Verlauf neue Tatbestände auftauchten.

 

Die empirische Wissenschaft kann deshalb immer nur von einer vorläufig bestätigten Hypothese sprechen, welche jederzeit durch das Auffinden oder Auftreten neuer Fakten aufgegeben werden muss.

 

Wenn aber eine Hypothese nach den Regeln der empirischen Wissenschaft als vorläufig bestätigt anzusehen ist, so gilt diese Feststellung für jeden, unabhängig davon, wie er diese Fakten bewertet oder welche weltanschaliche Position er einnimmt.

 

Umgekehrt gilt, dass es nicht möglich ist, Bewertungen eines Sachverhaltes mit den Methoden der empirischen Wissenschaft eindeutig zu beweisen. Es ist zwar möglich, dass eine Bewertung logisch einwandfrei auf übergeordnete Wertprämissen zurückgeführt werden kann. Aber stets stößt man bei diesem Verfahren schließlich auf Wertprämissen, welche nicht mehr auf andere Wertprämissen zurückgeführt warden können und deshalb ohne nähere Begründung als wahr gehalten werden müssen.

 

Da es also nicht möglich ist, Wertprämissen vollständig mit den Methoden der empirischen Wissenschaft zu beweisen, kann auch der Wissenschaftler für seine Bewertungen keine Allgemeingültigkeit beanspruchen und gerade deshalb sind Wertpositionen der Wissenschaftler nicht höher zu bewerten als die jedes anderen Bürgers.

 

Und aus diesen Feststellungen folgt dann auch die Forderung an jeden Wissenschaftler, bei seinen Verlautbarungen deutlich zu machen, ob er als Wissenschaftler spricht und damit einen Wahrheits-anspruch für alle Individuen unterstellt oder ob er lediglich als Bürger Sachverhalte bewertet, welche keinesfalls für alle Bürger bindend sind und in der öffentlichen Diskussion auch nicht höher bewertet werden können, als die Bewertungen aller anderen Bürger.

 

Allerdings bedeutet dies nicht, dass nicht auch der Wissenschaftler dann, wenn er sich als Wissenschaftler äußert, Bewertungen vornimmt. Mit der von Max Weber aufgestellten Forderung nach Werturteilsfreiheit sind nur die Bewertungen der gerade untersuchten Sachverhalte angesprochen. Und diese Feststellung gilt gleichermaßen für die Arbeit der öffentlichen Medien.

 

Bewertungen werden jedoch im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten trotzdem notwendig, da der in den Nachrichten zur Verfügung stehende Zeitraum nicht ausreicht, über alle ereigneten Vorfälle zu berichten, es muss ausgewählt werden und dies stellt natürlich eine Bewertung dar. Der Bürger wäre auch überfordert, würde man ihm über alle Ereignisse auf dieser Welt berichten.

 

Bewertungen liegen auch dann vor, wenn darüber entschieden wird, an welcher Stelle bestimmte Nachrichten gesendet werden, wann diese Nachrichten erfolgen, z. B. an vorderster Stelle oder am Schluss oder sogar in einer Sondersendung, weiterhin auch in der Art und Weise, wie bestimmte Nachrichten gesendet warden, ob also z. B. die Nachrichten mit Bildern oder Videos untermalt werden usw.

 

Alle diese Bewertungen sind notwendig und werden mit der Forderung nach Werturteilsfreiheit nicht angesprochen.

 

Angesichts der Tatsache, dass in diesen Fragen unter Journalisten weitgehende Einigkeit besteht, wundert es, dass diesen Grundsätzen in praxi wiederholt nicht entsprochen wird.

 

Nehmen wir die in den öffentlichen Medien geäußerte Mitteilung, dass die CDU in einer der größten Krisen der Zeit nach der Wiedervereinigung stehe. Die Feststellung einer Krise ist jedoch keine Äußerung eines Sachverhaltes, sondern die Bewertung eines Sachverhaltes und sollte deshalb nicht in den Nachrichten, sondern in einem Kommentar geäußert werden.

 

Welcher Sachverhalt lag jedoch dieser Behauptung zugrunde?

 

Frau Annegret Kramp-Karrenbauer war zurückgetreten und es standen deshalb Wahlen zum Parteivorsitz an. Darin kann man jedoch keinesfalls etwas krisenhaftes sehen, es ist ein ganz normaler Vorgang in einer demokratischen Gesellschaft. Von Krise könnte man sprechen, wenn die Partei nicht in der Lage wäre, trotz Rücktritts der bisherigen Parteivorsitzenden einen neuen Kandidaten zu küren, weil sich entweder kein Kandidat für diesen Posten bereit findet oder weil sich die Partei auf keinen Kandidaten trotz mehrfacher Wahl einigen könnte. Aber auch dies ist nicht der Fall.

 

Von einer der größten Krisen der Zeit anch der Wiedervereinigung wird weiterhin deshalb gesprochen, da es der CDU-Spitze nicht gelungen sei, die CDU Abgeordneten  des thüringischen Landesverbandes davon abzuhalten, bei der Wahl zum Ministerpräsident den FDP-Kandidaten zu wählen, obwohl zu vermuten war, dass dieser Kandidat nur mit den Stimmen der AFD gewählt warden konnte.

 

Hier liegt jedoch eine grobe Verwechslung vor. Die Abgrenzung gegenüber der AFD kann keinesfalls so verstanden werden, dass sich Abgeordnete immer dann gegen eine Lösung aussprechen sollten, wenn sich AFD-Abgeordnete für diese Lösung aussprechen. In diesem Falle würde man nämlich der AFD die Möglichkeit einräumen, ihr nichtgefällige Lösungen zu verhindern und damit Macht auszuüben, als wären sie in der Regierung.

 

Selbstverständlich kann der Beschluss, nicht mit der AFD zu koalitionieren nur bedeuten, dass man mit allen möglichen und verfassungsgemäßen Mitteln zu verhindern versucht, dass die AFD mit in die Regierung augenommen wird. Maßnahmen, welche das Gemeinwohl fördern, tun dies unabhägig davon, wie die AFD abstimmt. Es gibt keinen Grund, eine Maßnahme nur deshalb abzulehnen, weil auch die AFD sich für diese Maßnahme ausspricht.

 

Zur Krise der CDU wurde schließlich auch gerechnet, dass Angela Merkel sich vom Ausland aus offensichtlich ohne Absprache mit der Parteivorsitzenden zu Wort meldete und eine Zusammenarbeit mit der AFD in Thüringen aufs schärfeste verurteilte. Was ist dies für eine eigenartige Logik, dass ein Regierungschef nicht ohne Absprache zu einer dringenden Frage Stellung beziehen darf? Vielleicht war diese Handlung unglücklich, da sie nicht zuvor mit der Parteivorsitzenden abgesprochen wurde, aber von einer Krise in diesem Zusammenhang sollte keinesfalls gesprochen werden.