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Kritische Analyse der Besteuerung internationaler Transaktionen

 

 

Gliederung:

 

1.  Zielsetzungen 

2. Sind unterschiedliche Steuersätze in der EU unerwünscht?

3. Fall 1: Abwehr gewisser Praktiken der multinationalen Konzerne zur Verminderung der Steuerbelastung

4. Fall 2: Wohnsitzverlagerung in ein Gebiet mit niedriger Besteuerung

5. Fall 3: Sicherung nicht liquidierter Wertzuwächse bei Auswanderung

6. Fall 4: Ausweitung beschränkter Steuerpflicht bei Verlagerung von Kapitalanlagen ins Ausland

7. Schlussfolgerungen

 

 

1. Zielsetzungen

 

Die Tatsache, dass innerhalb Europas unterschiedliche Steuersätze gelten, wird als unerwünscht angesehen, da diese Unterschiede dazu führen, dass potenzielle Steuerzahler jeweils in die Länder mit den geringsten Steuersätzen abwandern und da auf diese Weise erstens dem Staat Steuermittel entgehen und da zweitens die im Inland verbliebenen Steuerzahler gegenüber den Auswanderern benachteiligt werden.

 

Grundsätzlich kann dieser Zustand auf dreierlei Weise überwunden werden: Erstens dadurch, dass die EU eine Harmonisierung der Steuersätze durchführt, zweitens dadurch, dass die Mitgliedsländer ihre Steuersätze an die niedrigeren Steuersätze im Ausland anpassen und drittens dadurch, dass die einzelnen Staaten Anreize setzen, um die Steuerumgehung einzudämmen.

 

Die BRD versucht den dritten Weg zu gehen, indem sie die Steuerpflicht auf Merkmale ausdehnt, die bisher nicht unbegrenzt der Steuerpflicht unterlagen. Es soll in dieser Arbeit überprüft werden, ob es möglich ist, hierdurch die Steuereinnahmen zu vergrößern, ob der Grundsatz der Steuergleichheit hierbei durchgesetzt wurde und ob nicht andere Zielsetzungen hierbei verletzt werden, wobei auch geklärt werden soll, inwieweit insbesondere die in den Verfassungen der Mitgliedsländer sowie in den Verträgen der EU geltenden Freiheitsrechte verletzt werden.

 

Ausgangspunkt dieser Regelung ist offensichtlich die Vermutung, dass unterschiedliche nationale Steuersätze per se Gemeinwohl schädigend seien, da sie die Wettbewerbsfähigkeit einschränken und da die hierdurch ausgelösten Wanderungen zu den Ländern mit der geringsten Besteuerung enorme Steuerausfälle nach sich ziehen. Diese Vermutung gilt es im Folgenden kritisch zu hinterfragen.

 

 

2. Sind unterschiedliche Steuersätze in der EU unerwünscht?

 

Die derzeitige Regelung in der BRD sieht eine Einschränkung der Freiheitsrechte vor, um auf diese Weise mehr Steuereinnahmen und mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Jede moralische Rechtfertigung im Sinne einer Gerechtigkeit beginnt mit der Gleichheitsforderung. Bezogen auf die Steuergerechtigkeit bedeutet dieses Prinzip positiv formuliert, dass jedem Bürger dann eine gleiche Steuerlast aufzuerlegen ist, wenn er die gleichen Voraussetzungen aufweist. 

 

Negativ formuliert besagt dieses Prinzip, dass der Einzelne sehr wohl selbst zu bestimmen hat, also die Freiheit hat, die vorliegenden verbleibenden Alternativen so auszuwählen, wie er es in Eigenverantwortung für richtig hält und nicht bereits deshalb belangt werden kann, wenn er in Ausübung dieser Freiheit sich für Alternativen entscheidet, bei denen er einer geringeren Besteuerung unterliegt.

 

In diesem Zusammenhang spielt die Unterscheidung zwischen Steuerflucht und Steuerumgehung eine entscheidende Rolle. Steuerflüchtig ist derjenige, welcher trotz Vorliegen der Merkmale, welche eine Steuerpflicht begründen, keine Steuer zahlt, während eine Steuerumgehung überall dort vorliegt, wo der einzelne Bürger den Versuch macht, Alternativen zu wählen, bei denen die Voraussetzungen für eine Steuerpflicht in geringerem Maße als bei anderen Alternativen vorliegen. 

 

Steuerflucht stellt deshalb eine Straftat dar und ist als solche zu verfolgen, während die bewusste Steuerumgehung eine durchaus legale Handlung darstellt und gerade deshalb vom Staat eigentlich nicht geahndet werden darf. Bei den hier zu behandelnden Fällen handelt es sich aber stets – mindestens vordergründig - um Fälle der  Steuerumgehung, die sich nur zum Teil als eine verkappte Steuerflucht entpuppen.

 

Wenn ein Bürger z. B. seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, vielleicht da er dort einer geringeren Besteuerung unterliegt, so trägt er selbst dazu bei, dass die Merkmale, welche eine Besteuerung begründen, nicht mehr eintreten. Das Grundgesetz und die Verträge der Europäischen Union garantieren jedem Bürger die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, wo er sich niederlassen will.

 

Verlegt ein Bürger seinen Standort, um auf diese Weise vielleicht, aber nicht unbedingt, seine Steuerschuld zu reduzieren, übt er also lediglich das durch die Verfassung garantierte Recht der Niederlassungsfreiheit aus und darf deshalb auch nicht nur deshalb durch Entrichtung einer zusätzlichen Besteuerung bestraft werden, weil er von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, ohne dass er hierbei zusätzlich de facto eine Steuerflucht begangen hat. Der Staat hat in wiederholtem Maße selbst bewusst Anreize gesetzt, Merkmale zu schaffen, dass ein Bürger bei Vorliegen bestimmter Tatbestände seine Steuerlast durch Steuerumgehung reduzieren kann. 

 

Ein wichtiges Beispiel stellten die in den 60er und 70er Jahren geltenden und steuerbefreienden Sonderabschreibungen im Wohnungsbau dar. Der Staat hat hier durch Zulassung von steuerlich begünstigten Sonderabschreibungen selbst die Möglichkeit für eine Steuerumgehung geschaffen, da ihm offensichtlich die Förderung des Wohnungsbaus wichtiger war als die Erzielung zusätzlicher Steuereinnahmen.

 

Kann es aber richtig sein, dass der Staat auf der einen Seite selbst Steuerumgehungsmöglichkeiten schafft und damit eine Steuerumgehung fördert, auf der anderen Seite jedoch Bürger durch Erhöhung der Steuerschuld nur deshalb bestraft, da sie von Möglichkeiten Gebrauch machen, welche zu einer Verringerung der  Steuereinnahmen führen?

 

Darüber hinaus muss im Zusammenhang mit der Frage der Berechtigung einer Zusatzbesteuerung überprüft werden, ob nicht im Zuge dieser Regelungen durch diese neu eingeführten Steuertatbestände umgekehrt der Grundsatz der Steuergleichheit sogar verletzt wird. 

 

Es ist z. B. zu überprüfen, ob ein Bürger, welcher seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, das einen geringeren Steuersatz vorsieht, benachteiligt wird, wenn er anders als sesshafte Bürger nicht liquidierte Vermögenszuwächse versteuern lassen muss. Ob eine Zusatzbesteuerung gerechtfertigt ist, hängt nämlich entscheidend davon ab, wie die unterschiedlichen internationalen Steuersätze begründet werden müssen.

 

Es gibt im Grunde vier mögliche Ursachen dafür, dass in ausländischen Staaten geringere Steuersätze als im Inland erhoben werden: Ein erster möglicher Grund für unterschiedliche Steuersätze liegt darin, dass der ausländische Staat einen geringeren Anteil seiner Kollektivgüter am Inlandsprodukt als das Inland vorsieht.  Ein geringerer Umfang an Kollektivgütern erfordert jedoch auch einen geringeren Bedarf an Steuereinnahmen.

 

Ein zweiter möglicher Grund dafür, dass ein ausländischer Staat geringere Steuersätze als der eigene Staat erhebt, kann auch darin begründet sein, dass die staatlichen Behörden des Auslandes oder ausländische Volkswirtschaften insgesamt eine höhere Produktivität aufweisen und deshalb auch den gleichen Umfang an Kollektivgütern mit einem geringeren Steuervolumen finanzieren können.

 

Ein möglicher dritter Grund für geringere Steuersätze kann darin liegen, dass dieser Staat trotz geringerer Steuersätze insgesamt höhere oder zumindest gleich hohe Steuereinnahmen als die anderen Länder erzielt mit der Folge, dass der gleiche Umfang an Kollektivgütern trotz geringerer Steuersätze wiederum finanziert werden kann. Ein geringerer Steuersatz führt nämlich in aller Regel zu einer Zunahme des Volkseinkommens. Aus diesen Gründen können die Steuereinnahmen trotz Reduzierung der Steuersätze als Produkt aus Steuersatz mal Einkommen bei einer Steuersatzsenkung sogar ansteigen.

 

Ein letzter vierter Grund für geringere Steuersätze kann schließlich darin liegen, dass ein ausländischer Staat seine Kollektivgüter zu einem überdurchschnittlichen Prozentsatz nicht über Steuern, sondern über Kredite finanziert. Auch hier kann dieser Staat trotz geringerer Steuereinnahmen den gleichen Umfang an Kollektivgütern erstellen als das Inland.

 

Die ersten drei möglichen Bestimmungsgründe für unterschiedliche Steuersätze führen nicht zu unerwünschten Ergebnissen und es ist deshalb auch nicht berechtigt, dass die Staaten hier Maßnahmen ergreifen, welche die Bürger daran hindern sollen, diese unterschiedlichen Steuersätze auszunutzen.

 

Lassen sich nämlich erstens niedrigere Steuersätze damit erklären, dass in bestimmten Ländern ein geringerer Anteil an Kollektivgütern angestrebt wird und dadurch insgesamt weniger Steuereinnahmen benötigt werden, entsprechen der geringeren Steuerbelastung auch geringere Leistungen des Staates.  Der Auswandernde wird hier gar nicht wirklich begünstigt, er zieht nur einen geringeren Kollektivgüteranteil am Volkseinkommen vor.

 

Wie aber die gesamten knappen Ressourcen auf Individualgüter und Kollektivgüter aufgeteilt werden sollen, ist keine Frage der Moral, sondern hängt von den nationalen Bräuchen einer Bevölkerung ab und sollte darüber hinaus auch von jeder einzelnen Volkswirtschaft frei entschieden werden können.  Höhere Risikofreude führt zu einem höheren Individualgutanteil, während Risikoscheue zumeist mit dem Wunsch eines hohen Kollektivgüteranteils einhergeht.  Diese individuelle Entscheidung sollte nicht von der europäischen Staatengemeinschaft beeinflusst werden.

 

Wenn ein Staat zweitens einen gleich großen Kollektivgüterbestand zu geringeren Preisen (Steuern) anbieten kann als andere Länder, ist es in erster Linie Sache des Staates, der seine Leistungen weniger effizient anbieten kann, seine Produktivität zu erhöhen. Ein vermehrter Zuzug in die produktiveren Staaten erhöht die internationale Gesamtwohlfahrt und sollte deshalb nicht durch staatliche Anreize zum Verzicht einer Abwanderung in den Abwanderungsländern unterbunden werden.

 

Bei der Diskussion über die Erwünschtheit unterschiedlicher Steuersätze hatten wir drittens bisher stillschweigend unterstellt, ein geringerer Steuersatz würde auch immer zu geringeren Steuereinnahmen führen und deshalb geringere Staatsleistungen zur Folge haben. Diese Annahme entspricht nicht der Wirklichkeit.

 

Die mögliche Ausgabensumme des Staates hängt immer von der Steuersumme ab und diese entspricht dem Produkt aus Steuersatz und Steuergrundlage, also z. B. dem zu versteuernden Einkommen oder der zu versteuernden Umsatzsumme.

 

Verändert ein Staat seinen Steuersatz, so verändert sich nämlich in aller Regel auch die Steuergrundlage und zwar fast immer in entgegengesetzte Richtung. Dies bedeutet, dass eine Senkung des Einkommenssteuersatzes zu einer Senkung des Preisniveaus, dies wiederum zu einer Zunahme der Nachfrage und des Einkommens führt. 

 

Eine Steuersatzsenkung wird also in jedem Falle im Hinblick auf die Steuersumme dadurch teilweise kompensiert, dass das Einkommen steigt. Es gibt mehrere Beispiele dafür, dass aufgrund einer Steuersatzsenkung die Steuereinnahmen sogar gestiegen sind. Dies galt z. B. in der Vergangenheit für Irland, aber auch für die USA unter Präsident Reagan, als gerade aufgrund einer Steuersatzsenkung die Steuereinnahmen drastisch erhöht werden konnten.

 

Dies bedeutet also, dass bei einer Steuersatzsenkung keinesfalls immer geringere Steuersummen anfallen und deshalb der Auswanderer eine geringere Steuersumme zu entrichten hat. Auch ist der inländische Staat wiederum dafür verantwortlich, wenn er seinen Steuersatz suboptimal festlegt.

 

Bleibt also die vierte Möglichkeit, dass ein Staat deshalb mit einem geringeren Steuervolumen auskommen kann, weil er einen Teil des Kollektivgüterbedarfs über Kredite finanziert. Auch hier müssen wir davon ausgehen, dass ein Bürger, welcher im Vergleich zu Bürgern anderer Staaten eine geringere Steuerbelastung zu tragen hat, keinesfalls notwendigerweise insgesamt geringer belastet wird. Wir haben nämlich zu berücksichtigen, dass bei einer höheren Verschuldung im Allgemeinen die Güterpreise steigen und dass deshalb der Bürger über inflationäre Tendenzen belastet wird. Es ist also fragwürdig, ob in diesem Falle ein Bürger durch seine Ausreise insgesamt weniger belastet wird.

 

Trotzdem ist eine solche Lösung im Allgemeinen unerwünscht, da eine defizitäre Finanzierung der Staatsausgaben wie erwähnt zumeist generelle Preissteigerungen nach sich zieht und vor allem im Rahmen einer Währungsunion Anreize schafft, die Stabilitätsbemühungen aufzugeben.

 

Vor allem aber spricht gegen eine defizitäre Finanzierung der Staatsausgaben, dass in diesem Falle der Wähler gar nicht darüber informiert wird, wie sich eine Erhöhung der Staatsausgaben auf seine Konsummöglichkeiten auswirkt. Da bei einer defizitären Finanzierung von Staatsausgaben das nominelle Nettoeinkommen nicht eingeschränkt wird, hat es den Anschein, als würde eine Erhöhung der Staatsausgaben den privaten Konsum unberührt lassen. In Wirklichkeit können jedoch die knappen Ressourcen, welche für Kollektivgüter verwendet werden, nicht noch einmal für private Güter eingesetzt werden.

 

Hier wird der Einwandernde per Saldo gar nicht begünstigt, er zahlt zwar eine geringere Steuersumme, wird jedoch dadurch wiederum zusätzlich belastet, dass er wegen der inflationären Tendenzen mit seinem Einkommen weniger Güter erwerben kann.

 

In diesem vierten Fall ist es deshalb durchaus erwünscht, dass der Staat Maßnahmen ergreift, um diese Wanderungsprozesse zu unterbinden.   Allerdings wäre es effizienter, wenn in der Verfassung – wie in der BRD – ein prinzipielles Neuverschuldungsverbot ausgesprochen würde, sodass die Regierungen gar nicht die Möglichkeit hätten, einen Teil der Kollektivgüter über Defizite zu finanzieren.

 

 

3. Fall 1: Abwehr gewisser Praktiken der multinationalen Konzerne zur Verminderung der Steuerbelastung

 

Multinationale Konzerne sind bemüht, durch Manipulierung der Verrechnungspreise ihre Gewinne in die Länder mit dem geringsten Einkommenssteuersatz zu verschieben. Folgendes Beispiel soll diese Praktiken veranschaulichen:

 

Beispiel für Praktiken der multinationalen Konzerne:

 

Wir unterstellen, dass ein Konzern zwei rechtlich selbstständige Aktiengesellschaften als Tochtergesellschaften gegründet habe, die Unternehmung (A) mit Sitz in Deutschland und eine andere Unternehmung (B) mit Sitz in Lettland.

 

Unternehmung A verarbeite ein Halbfabrikat zu einem Konsumprodukt und liefere dieses Konsumprodukt an eine Handelsgesellschaft in Deutschland. Die Kosten zur Herstellung des Halbfabrikates im lettischen Werk beliefen sich für die gesamte Lieferung auf 400 Millionen €.

 

Werk A habe zusätzlich zu den Kosten der Halbfabrikate weitere Kosten in Höhe von 200 Mill. € aufzubringen. Die Handelsgesellschaft bezahle schließlich für die gesamte Lieferung der Konsumprodukte 900 Millionen €.

 

Obwohl für die Halbfabrikate eine ganz bestimmte Kostensumme aufgebracht werden muss, kann die Konzernleitung die Preissumme, welche die deutsche Aktiengesellschaft für den Erwerb der Halbfabrikate bezahlen muss, mehr oder weniger willkürlich festlegen.

 

Wir wollen hierzu zwei Beispiele bringen: In Fall I sei vorgesehen, dass das lettische Werk die Halbfabrikate zum Verrechnungspreis von 400 Mill. € , also zum Kostenpreis abgebe, in Fall II habe hingegen die Konzernleitung beschlossen, dass das lettische Werk die Halbfabrikate zum Preis von 700 Mill. € liefere und somit einen Gewinn  in  Höhe von 300 Mill. € erziele. Die Gewinnsituation beider Teilgesellschaften stellt sich nun wie folgt dar:

 

Fall 1:

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Nun Fall 2:

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Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Konzernleitung durch willkürliche Festsetzung der Verrechnungspreise die Gesamtgewinnsumme beliebig auf die beiden Tochtergesellschaften aufteilen kann. Wenn nun z. B. die Kapitalertragssteuer in Deutschland 25% und in Lettland 15% betrage, hat der Konzern bei einem Gesamtgewinn von 300 Mill. € im Fall 1 25% von 300 = 75 Mill. €, im Fall 2 hingegen nur 15% von 300 = 45 Mill. € an Kapitalertragssteuer zu entrichten. 

 

Der Konzern kann also durch Reduzierung der Verrechnungspreise der in Lettland hergestellten Halbfabrikate immerhin bis zu 30 Mill. €, das heißt 10 % von der Bruttogewinnsumme an Steuerzahlungen einsparen. Hier soll also das AStG helfen, diese Umgehung der Kapitalertragssteuer zu verhindern bzw. zu mildern, in dem das Finanzamt dann zur Ermittlung der Steuerschuld diese Verrechnungspreise korrigieren kann, wenn diese von den handelsüblichen Werten abweichen.

 

Wir haben nun zu überprüfen, inwieweit diese Korrektur erfolgreich ist und inwieweit unter Umständen mit negativen Sekundärwirkungen auf andere Ziele der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu rechnen ist. 

 

Wir hatten bereits festgestellt, dass zu den wichtigsten Zielen der Steuerpolitik der BRD  die Verhinderung der Steuerumgehung zählt und dass auf diese Weise die Steuereinnahmen des Staates verbessert werden sollen und gleichzeitig dem Gebot der Steuergleichheit entsprochen werden soll, das dann offensichtlich verletzt wird, wenn diejenigen, welche der Steuerpflicht entsprechen, mehr Steuern zu zahlen haben als diejenigen, welche die Steuer umgehen.

 

Ob auf diesem Wege eine de facto Erhöhung der Steuereinnahmen zu erwarten ist, hängt davon ab, wie stark die Möglichkeiten der multinationalen Konzerne sind, auch dieser Verschärfung des Steuerrechts auszuweichen. Sofern es sich bei den Produkten, bei denen die Verrechnungspreise manipuliert werden, um Unikate handelt, welche nur von einem einzigen Konzern angeboten werden, hat es die staatliche Finanzbehörde ohnehin schwer, einen geeigneten Bezugspreis zu finden.

 

Es besteht hier immer die Gefahr, dass der Konzern auf dem Gerichtswege die Preisfestsetzung des Staates mit Erfolg verhindern kann. Auch gilt es zu bedenken, dass der betroffene Konzern oftmals die Spezifikation der in Frage stehenden Produkte leicht verändern kann, sodass dann die staatliche Behörde wiederum zusätzliche Schwierigkeiten hat, einen geeigneten Vergleichspreis zu finden. 

 

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage von Bedeutung, ob die Tochtergesellschaften des jeweiligen Konzerns alle in einem Mitgliedsstaat der EU angesiedelt sind. Das Preisverhalten von Tochtergesellschaften im außereuropäischen Raum dürfte für deutsche Behörden sehr viel schwerer zu kontrollieren sein, auch dürfte die Bereitschaft der ausländischen Staaten bei der Festsetzung der Preise Rechtshilfe zu leisten, geringer sein.

 

Wie steht es aber mit der Zielsetzung, auf dem Wege des AStG Steuergleichheit zu erreichen? Bei jeder Erhebung von Steuern gleich welcher Art muss berücksichtigt werden, dass Steuerzahler und Steuerträger auseinanderfallen können. Wenn es den betroffenen Konzernen gelingt, die erhöhte Steuerlast auf die Preise der Endprodukte abzuwälzen, hat sich der Abstand in der Steuerlast der betroffenen Konzerne gegenüber denjenigen, welche die Steuer nicht umgehen, nicht verringert.

 

Ob Steuern überwälzt werden können, ist in erster Linie eine Frage der Marktmacht der betroffenen Konzerne. Stehen sie in Wettbewerb mit Konkurrenten gleicher Produkte (sind sie also Oligopolisten), und waren auch die Konkurrenten bestrebt, durch Steuerumgehung die Steuerlast zu verringern, so ist die Überwälzungsmöglichkeit groß. Haben die Konzerne eine Monopolmacht auf den Märkten der Endprodukte, haben sie ohnehin die Macht, die erhöhten Steuern auf den Endpreis abzuwälzen.

 

Also gelingt es der Steuerbehörde nur dann die betroffenen Konzerne stärker zu belasten, wenn letztere in Konkurrenz zu anderen Unternehmungen stehen, welche zusätzlich nicht den Weg der Steuerumgehung gegangen sind.

 

Überhaupt ist der hier beschrittene Weg aus ordnungspolitischen Gründen fragwürdig. Hier liegt ein typisches Beispiel einer marktinkonformen Maßnahme vor. Nach der Überzeugung des Ordoliberalismus hat zwar der Staat das Recht, die Ergebnisse des Marktprozesses zu korrigieren, wenn übergeordnete Werte verletzt werden. Er sollte aber stets nur auf indirekte Weise die Daten zu beeinflussen versuchen, welche die Entscheidungen der Unternehmer bestimmen. Die Festsetzung der Preise sei nach wie vor den Unternehmungen vorbehalten.

 

Ein direkter Eingriff in den Markt durch staatliche Festsetzung der Preise sei nicht nur wie bereits gezeigt oft ineffizient, sondern habe gleichzeitig einen unerwünschten Einfluss auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele.

 

In einer Marktwirtschaft erfolgt nämlich die Anpassung der Produktion an den Bedarf der Konsumenten über die Preisrelationen, welche in einer funktionierenden Wettbewerbsgesellschaft jeweils die Knappheitsverhältnisse widerspiegeln. Indem der Staat nun einzelne Preise korrigiert, verändert er die Preisrelationen und verhindert auf diese Weise, dass die Produktion bestmöglich an den Bedarf der Konsumenten angepasst wird.

 

Nun mag man einwenden, dass ja gerade die Verrechnungspreise der multinationalen Konzerne selbst wiederum den Knappheitsverhältnissen nicht mehr entsprechen, wenn die Konzerne diese Preise so manipulieren, dass die Gewinne jeweils in den Ländern der niedrigsten Steuersätze anfallen. Diese Feststellung ist zwar richtig, aber darin liegt nicht das eigentliche Problem. Von Bedeutung ist vielmehr, dass der Staat gar nicht in der Lage ist, die Preise so zu verändern, dass sie den Knappheitsverhältnissen entsprechen und deshalb ihre Funktion auch nicht erfüllen können.

 

Bei dem Versuch, die Verrechnungspreise der multinationalen Konzerne zu korrigieren wird eine – aus volkswirtschaftlicher Sicht - falsche Entscheidung durch eine andere, genauso falsche Entscheidung ersetzt. Im Grunde genommen gleicht also die im AStG beschrittene Vorgehensweise einem Kurieren am Symptom. Ein Erfolg einer politischen Maßnahme kann jedoch nur dann erwartet werden, wenn der Versuch gemacht wird, die eigentlichen Ursachen des Übels zu bekämpfen.

 

Die eigentliche Ursache dafür, dass die Konzerne durch Manipulierung der Verrechnungspreise tatsächlich die Steuerschuld umgehen können, liegt nun darin, dass die rechtlichen von den tatsächlichen Machtverhältnissen abweichen. Rechtlich gesehen handelt es sich bei den beiden Tochtergesellschaften um zwei selbstständige Unternehmungen, obwohl in Wirklichkeit der Konzern über die Entscheidungen der Tochtergesellschaften genauso bestimmt, wie wenn die Teilgesellschaften ein einziges Unternehmen darstellen würden.

 

Würde die rechtliche Form der tatsächlichen Gestaltung entsprechen, wären die Möglichkeiten der Steuerumgehung nicht mehr gegeben.  Ein Konzern kann einerseits in die Entscheidungsbefugnisse faktisch unabhängiger Unternehmungen nicht mehr unmittelbar eingreifen, andererseits läge die Steuerhoheit stets in dem Lande, in dem der Konzern seinen Sitz hat.

 

Der faktische Einfluss eines Monopolisten auf seine Marktpartner müsste gleichzeitig durch eine effektive Monopolkontrolle verhindert werden. Die Möglichkeit, durch Manipulation der Verrechnungspreise zu erreichen, dass die Steuerhoheit gerade in das Land fällt, in dem die geringsten Steuersätze erhoben werden, bestünde in diesem Falle für den Konzern nicht mehr.

 

Fortsetzung folgt!