Die schönsten Erzählungen der Bibel

 

 

 

Gliederung:

 

  1. Einführung

  2. Schöpfungsbericht

  3. Sündenfall

  4. Kain und Abel

  5. Noah im Rausch

  6. Abraham hadert mit Gott

  7. Isaaks Opferung

  8. Der Segen für Jakob, dem Jüngeren

  9. Josef und seine Brüder

10. Moses vor dem Pharao

11. Ruth die moabitische Frau und Ahnfrau Davids

12. David gegen Goliath

13. David und die Frau des Hethiters

14. Esthers Rettung der Juden

15. Hiobs Leid und Gottvertrauen

16. Die Verleugnung Petrus

17. Der Verrat Judas 

18. Der barmherzige Samariter 

19. Die Hochzeit zu Kanaan

20. Die Tempelreinigung

21. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn

22. Jesus und die Ehebrecherin

23. Jesus am Ölberg

24. Der ungläubige Thomas

 

 

1. Einführung

 

 

Gliederung:

 

1. Das Ziel dieser Vorlesung

2. Der Wahrheitsanspruch dieser Erzählungen

3. Grenzen in der Vermittlung dieser Vorlesung

 

 

1. Das Ziel dieser Vorlesung

 

Wir wollen uns in dieser Vorlesung mit den schönsten Erzählungen der Heiligen Schrift befassen. Diese Erzählungen entstammen teilweise dem Alten Testament, also der Heiligen Schrift, welche auch für die Juden gilt, teilweise aber auch  dem nur für die Christen maßgebenden Neuen Testament.

 

Der Ausdruck ‚schönste Erzählungen‘ trifft allerdings nicht ganz den Inhalt dieser Vorlesung. Der Begriff ‚schön‘ wird nämlich im normalen Sprachgebrauch in vielfältigem Sinne gebraucht. Nach dem Synonymwörterbuch des Duden kann das Wort ‚schön' folgende Bedeutungen erlangen:

 

1. bewundernswert

a) anziehend, attraktiv, bezaubernd, charmant, erotisch, fesselnd, gut aussehend/gewachsen, hübsch;

 

b) angenehm, ansprechend, behaglich, erfreulich, gemütlich, nett, positiv, reizvoll, wohlig, wohltuend;

 

c) ansprechend, apart, ästhetisch, elegant, gefällig, geschmackvoll, stilvoll;

 

d) heiter, klar, lau, mild, sonnig, strahlend, warm, wolkenlos;

 

e) idyllisch, malerisch, märchenhaft, paradiesisch, romantisch;

 

2. anerkennenswert, ausgezeichnet, begrüßenswert, bestens, erfreulich, fabelhaft, genial, grandios, herrlich, lobenswert, löblich, positiv, vortrefflich, vorzüglich;

 

3. ansehnlich, beträchtlich, enorm, erheblich, immens, nennenswert, stattlich, üppig.

 

Der Inhalt eines Teiles der hier zu behandelnden Erzählungen kann sicherlich nicht als schön im Sinne von angenehm und erfreulich bezeichnet werden. Vielmehr erzählen diese Geschichten zu einem großen Teil von den Abgründen menschlichen Handelns, welche sicherlich nicht als begrüßenswert und positiv, eher als abscheulich und verabscheuenswert umschrieben werden müssen.

 

Die als zweite und dritte Variante aufgeführten Bedeutungen kommen dem Inhalt dieser Erzählungen sehr viel näher. Diese Erzählungen gleichen einer Fabel oder Parabel, sie sind teilweise auch genial und nennenswert, mit anderen Worten sie umschreiben menschliche Verhaltensweisen und Geschicke in vorzüglicher Weise. Sie gehören so auch im besten Sinne des Wortes zur Weltliteratur, nicht von ungefähr zählt die Heilige Schrift zu den Veröffentlichungen mit der höchsten Auflagenzahl. Es handelt sich hier also um Erzählungen, welche schön in dem Sinne sind, dass sie schön bzw. in besonders gelungener Weise das menschliche Ringen um die letzten Werte verdeutlichen. Man könnte also auch von den eindruckvollsten Erzählungen der Bibel sprechen.

 

 

2. Der Wahrheitsanspruch dieser Erzählungen

 

Fragen wir uns nun, worin denn der Sinn dieser Erzählungen besteht, welche Aufgabe diese Geschichten haben, was sie uns also sagen wollen.

 

Es wäre vollkommen falsch, wenn wir in diesen Erzählungen Tatsachenberichte sehen würden. Diese in der Bibel berichteten Geschichten erheben nicht den Anspruch, über Dinge zu berichten, so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben.

 

Ein solcher Anspruch könnte auch gar nicht erfüllt werden. Diese Geschichten sind zum größten Teil in einer Zeit entstanden, in denen die Menschen noch gar nicht über die Mittel verfügt haben, die der heutigen Berichterstattung in Rundfunk, Fernsehen und in den Zeitungen zur Verfügung stehen. Diejenigen, welche diese Erzählungen aufgezeichnet haben, waren zumeist nicht an Ort und Stelle des Geschehens, verfügten auch nicht über Mikrophone, mit denen Aussagen wörtlich aufgenommen und festgehalten werden können oder über Kameras, mit deren Hilfe das wirkliche Geschehen objektiv aufgezeichnet werden kann.

 

Sie haben vielmehr den Stoff dieser Erzählungen in aller Regel von Anderen übernommen, wobei oftmals über mehrere Generationen hinweg diese Geschichten weiter erzählt wurden, bevor sie dann – vor allem nach der Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil – aufgezeichnet wurden. Deshalb hatten die Schreiber dieser Geschichten auch gar nicht mehr die Möglichkeit, die Wahrheit dieser Erzählungen im Sinne eines Tatsachenberichtes zu überprüfen und z. B. die Teilnehmer dieser Geschehnisse selbst zu befragen. Mit anderen Worten diejenigen, welche als erste diese Schriften aufgezeichnet haben, waren zumeist gar nicht in der Lage, im Einzelnen zu überprüfen, was tatsächlich geschehen ist und welche Ereignisse diesen Erzählungen tatsächlich zugrunde lagen.

 

Nun dürfen wir aus dieser Erkenntnis nicht den Schluss ziehen, dass diese Berichte verlogen seien und bewusst die Unwahrheit sagen und deshalb Märchen gleichen, die man unmündigen Kindern erzählen kann, da diese noch gar nicht in der Lage sind, den Wahrheitsgehalt dieser Märchen zu erkennen.

 

Aber vielleicht ist der Vergleich mit Märchen gar nicht so falsch, wie diejenigen, welche diesen Vorwurf vorbringen, im Sinne haben. Tatsächlich haben die Erzählungen der Heiligen Schrift etwas mit den Märchen gemeinsam. In beiden Fällen wird rein äußerlich über Geschehnisse angeblich berichtet, die so, wie sie erzählt werden, nicht unbedingt stattgefunden haben. Sie enthalten aber trotzdem keine Unwahrheiten, ihr Wahrheitsanspruch bezieht sich jedoch nicht auf das äußere Geschehen, über das scheinbar berichtet wird, sie zielen vielmehr auf eine Wahrheit, welche hinter diesen Erzählungen liegt. Wenn man so will, kleiden Märchen wie die Erzählungen aus der Heiligen Schrift allgemeingültige Aussagen in die Form einer singulären Aussage.

 

Man will z. B. die Zuhörenden oder die Leser davon überzeugen, dass man nicht lügen solle, dass wie ein Sprichwort sagt, Lügen kurze Beine haben und über kurz oder lang aufgedeckt werden, erzählt jedoch diese allgemein gültige Wahrheit anhand eines konkreten Beispieles, in dem der Lügner seiner Unwahrheit sehr bald überführt wurde. Es soll hier aber keinesfalls ausgesagt werden, dass dieses Ereignis tatsächlich so wie beschrieben geschehen ist, sondern diese Aussage soll lediglich konkret und möglich plastisch berichten, welche Folgen ganz allgemein zu befürchten sind, wenn jemand lügt oder auch nur eigentlich eintreten sollten, wenn es stets mit rechten Dingen zuginge.

 

Wir hatten eingangs erwähnt, dass der Begriff ‚schön‘ bisweilen so gebraucht wird, dass er im Sinne von fabelhaft verwendet wird. In der Tat liegen einer Fabel in ähnlicher Weise Aussagen zugrunde, die so, wie sie erzählt werden, nicht geschehen sind, diese Erzählungen also erfunden wurden, um auf dem Umweg über diese Erzählungen eine allgemeingültige Wahrheit offen zu legen. Im Unterschied zu den in dieser Vorlesung untersuchten Berichten handeln Fabeln allerdings von Tieren, man legt sozusagen den Tieren das in den Mund, was eigentlich über den Menschen ausgesagt werden soll.

 

Auch Parabeln erfüllen diese Funktion, laut Duden versteht man unter einer Parabel eine lehrhafte Dichtung, die eine allgemeingültige sittliche Wahrheit an einem Beispiel, also indirekt veranschaulicht; sie stellt also eine lehrhafte Erzählung, ein Lehrstück oder ein Gleichnis dar. Hierbei versteht sich nach Duden ein Gleichnis als eine kurze bildhafte Erzählung, die einen abstrakten Gedanken oder Vorgang durch Vergleich mit einer anschaulichen, konkreten Handlung mit belehrender Absicht wie z. B. dem Gleichnis vom verlorenen Sohn verständlich machen will.

 

Ein ähnliches Bild zeichnet sich in der Dichtung ab. In den Jahren 1811-14 veröffentlichte Wolfgang Goethe die ersten 3 Teile seiner Autobiographie »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit«. Auf der einen Seite beabsichtigte Goethe mit diesem Werk, anhand seines Lebens den Wandel der Epochen nachzuzeichnen. Er berichtet in diesen Arbeiten auf der einen Seite sehr wohl über faktische Gegebenheiten.

 

Die Absicht dieses Werkes geht jedoch über den Anspruch einer Berichterstattung im Sinne eines Nacherzählens tatsächlich erfolgter Ereignisse hinaus, in dem Goethe anhand dieser Schilderungen eine tiefere, diesen Gegebenheiten unterliegende Wahrheit aufzeigen möchte. Und wenn es diesem letzteren Ziel dient, wird dann auch die eine oder andere Aussage in dem Bericht über die tatsächlich stattgefundenen Ereignisse durchaus verbogen, sodass nicht jede Aussage exakt den tatsächlich eingetretenen Ereignissen entsprechen muss. Um so mehr tritt auf diese Weise die angestrebte tiefere Wahrheit hervor. Und gerade deshalb spricht Goethe nicht nur von Wahrheit, sondern eben auch von Dichtung.

 

Mit dieser Gleichzeitigkeit von Wahrheit und Dichtung haben es nun auch die Erzählungen der Heiligen Schrift zu tun. Die hinter diesen Erzählungen liegende Absicht bezieht sich zwar gerade nicht auf die einzelnen erzählten Begebenheiten. Es geht immer und in erster Linie darum, mit Hilfe dieser Erzählungen auf eine tiefere Wahrheit hinzuweisen. Und auch hier gilt, dass dann, wenn diese tiefere Wahrheit besser ans Licht gebracht werden kann, wenn man die Begebenheiten etwas verbiegt, dies auch in der Bibel getan wird. Trotzdem wird man nicht behaupten können, dass die Erzählungen der Bibel frei erfunden wurden und überhaupt nichts mit den tatsächlichen Ereignissen in Israel zu tun haben. Also findet sich auch hier Dichtung und Wahrheit und die einzelnen Erzählungen gehen oftmals auf Ereignisse ein, die tatsächlich in grauer Vorzeit – vielleicht in etwas anderer Weise – stattgefunden haben.

 

Dieses Anliegen wird nun in den letzten Jahrzehnten von einigen Wissenschaftlern, hierunter vorwiegend von Archäologen, aufgegriffen, um nachzuweisen, dass die Bibel doch recht habe. Diese Arbeiten richten sich gegen die Versuche einiger Atheisten, den christlichen und jüdischen Glauben dadurch zu widerlegen, dass man aufzeigt, dass die in der Bibel berichteten Ereignisse so nicht stattgefunden haben, dass es also um nur ein Beispiel zu erwähnen, empirisch eindeutig widerlegt sei, dass die Welt – wie die Bibel anscheinend behaupte, in Wirklichkeit jedoch nur scheinbar – in sieben Tagen und nicht wie wir heute wissen in vielen Millionen Jahren von einem Gott erschaffen bzw. wie die Atheisten formulieren würden,  aus dem Nichts entstanden sei.

 

Kein kundiger Bibelwissenschaftler behauptet jedoch – zumindest heute –, dass der Schöpfungsbericht die Gläubigen belehren möchte, dass Gott den Kosmos tatsächlich in sieben Tagen entsprechend unserem Verständnis von Tagen erschaffen habe. Dass im Schöpfungsbericht des Alten Testamentes von Tagen gesprochen wird, ist nur ein Bild, um dem Gläubigen näher zu bringen, dass die Welt von Gott erschaffen wurde und dass dieser Prozess der Schöpfung in mehreren Schritten von statten ging. Ob jeder einzelne Abschnitt in Wirklichkeit über 1 oder 10 oder 100 Millionen Jahren oder noch länger dauerte, darüber will der Schöpfungsbericht keinerlei Aussage treffen, diese Frage ist auch für das hier vorliegende Thema des Schöpfungsberichtes völlig unerheblich.

 

Gegen diese Art von Widerlegung der Auskünfte der Heiligen Schrift wendet sich also nun die Gruppe von Archäologen, welche mit Hilfe exakter wissenschaftlicher Methoden nachzuweisen versuchen, dass die Berichte der Heiligen Schrift sehr wohl auf tatsächlich erfolgte Ereignisse der Frühgeschichte Bezug nehmen.

 

Nun scheint mir diese Frage, inwieweit die Berichte der Heiligen Schrift auf tatsächlichen Ereignissen fußen, von geringerer Bedeutung. Die Heilige Schrift versteht sich eben – wie bereits erwähnt – gerade nicht als ein Dokument, das über die geschichtlichen Ereignisse berichten will. Der Bezug auf gewisse Ereignisse erfolgt hier gleichnishaft. Der Schreiber der Heiligen Schrift will eine Glaubenswahrheit dem Leser näherbringen und benutzt hierzu einen vielleicht bisweilen sogar erfundenen Zusammenhang, um diese tieferen Erkenntnisse um so besser vermitteln zu können. Der Wahrheitsanspruch der Bibel steht und fällt nicht mit dem Nachweis, ob die Schilderung bestimmter erzählter Ereignisse tatsächlich gerade auf diese Weise stattgefunden hat oder vielleicht sogar – aufgrund unseres empirischen Wissens  – auf diese Weise gar nicht stattgefunden haben kann. Wir werden weiter unten auf diesen Zusammenhang nochmals zurückkommen und näher eingehen.

 

Trotzdem haben diese Bemühungen einiger Archäologen sicherlich eine gewisse Berechtigung, da der Gegenstand der Heiligen Schrift trotz der etwas anderen Zielsetzung stets auf konkrete Ereignisse Bezug nimmt. Wenn es auch z. B. nicht das vorrangige Ziel der vier Evangelien ist, die Ereignisse um Jesu Wirken im Sinne eines empirisch nachprüfbaren Tatsachenberichtes festzuhalten und nicht die Frage von Bedeutung ist, wie sich die einzelnen Ereignisse zur Zeit Jesu in Israel tatsächlich abgespielt haben, so muss die Bibelforschung stets von der sicherlich empirisch nachweisbaren Tatsache ausgehen, dass ein Mensch namens Jesus zu der damaligen Zeit tatsächlich in Judäa aufgetreten ist und den christlichen Glauben tatsächlich gelehrt hat.

 

Die Glaubenswahrheit, welche die Evangelien vermitteln wollen, bezieht sich unter anderem auf die These, dass ein Mensch namens Jesu nicht nur wahrer Mensch wie jeder andere Jude, sondern zugleich göttlichen Ursprungs und damit auch wahrer Gott war. Diese Glaubenswahrheit entzieht sich jeder wissenschaftlichen Überprüfung, die eben immer nur auf das, was mit menschlichen Sinnen zu erkennen ist und das, was aus diesen Beobachtungen mit Hilfe des menschlichen Verstandes gefolgert werden kann, erforschen kann. Wohl aber setzt die Wahrheit dieses Glaubenssatzes eben voraus, dass zu der damaligen Zeit in Judäa tatsächlich ein Mensch gelehrt und gewirkt hat, auf den diese Aussagen zutreffen.

 

Der Nachweis, dass zu der damaligen Zeit gar kein Mensch mit diesen Ansprüchen und Eigenschaften in Israel aufgetreten sei, würde in der Tat auch den Wahrheitsanspruch der Evangelien erschüttern. Aber gerade dieser wissenschaftliche Nachweis konnte – trotz einiger Bemühungen – nicht geliefert werden, ganz im Gegenteil sprechen zahlreiche historische und wissenschaftlich ernst zunehmende Quellen sehr wohl von dem Wirken eines Menschen namens Jesus, sodass heute von ernst zu nehmenden Wissenschaftlern auch nicht mehr die Existenz eines Menschen Jesu bestritten wird.

 

Kommen wir nochmals auf das Anliegen zurück, das mit der Bibel und damit auch mit den biblischen Erzählungen bezweckt wird. Wir hatten oben davon gesprochen, dass mit diesen Erzählungen kein Tatsachenbericht beabsichtigt wird und darauf hingewiesen, dass eine ähnliche Feststellung auch für Fabeln, Parabeln und sogar Märchen getroffen werden kann. Trotzdem stellt sich die Problematik der biblischen Erzählungen etwas anders dar. Es geht hier nicht nur einfach darum, dass die Erzähler dieser Geschichten eine andere Absicht als gerade eine protokollarische Berichterstattung verfolgen. Wichtig ist vielmehr in diesem Zusammenhang, dass diese zu vermittelnden Wahrheiten gar nicht mit den Mitteln der exakten Wissenschaften auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können.

 

Der Grund hierfür liegt in den Begrenzungen wissenschaftlicher Erkenntnis im Allgemeinen. Die Wahrheit bestimmter Aussagen über allgemeine und faktische Zusammenhänge beruht stets auf möglichen Beobachtungen mittels unserer Sinne. Mit unseren Sinnen beobachten wir, dass bestimmte Ereignisse immer wieder zur gleichen Zeit oder unmittelbar hintereinander auftreten und mit Hilfe unseres Verstandes bemühen wir uns, aus diesen Beobachtungen logische Schlussfolgerungen abzuleiten. Dies bedeutet aber, dass wir auch nur Zusammenhänge wissenschaftlich beweisen oder auch widerlegen können, welche zuvor beobachtet werden konnten.

 

Über das, was wir mit unseren Sinnen nicht erfassen können und damit über metaphysische Fragen können wir somit mit wissenschaftlichen Mitteln auch keine eindeutigen Aussagen treffen. Ob es z. B. nach dem sichtbaren Tode eines Menschen ein Weiterleben einer Seele gibt, über den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen können wir keine wissenschaftlich exakten Antworten geben. Aber gerade weil für die Frage, wie wir unser Leben einrichten, die Beantwortung der Frage nach der Existenz eines Gottes von elementarer Bedeutung ist, bedarf es der Klärung, ob es einen Gott gibt oder nicht. Da also diese metaphysischen Probleme mit Hilfe unserer wissenschaftlichen Methoden gar nicht beantwortet werden können, bedarf es zusätzlich zu unserer wissenschaftlichen Erkenntnis eines Glaubensaktes.

 

Wir werden unser Leben nämlich anders einrichten, wenn wir an die Existenz eines Gottes glauben, die Beantwortung dieser lebenswichtigen Frage kann jedoch nur durch einen Glaubensakt beantwortet werden, wobei die Aussage, es gibt keinen Gott genauso eine Glaubensentscheidung darstellt wie die Aussage, es gibt einen Gott und aus den gleichen Gründen wissenschaftlich gar nicht eindeutig entschieden werden kann.

 

Die Heilige Schrift will nun in erster Linie eben diese Glaubenswahrheiten vermitteln. Es kommt hierbei nicht darauf an, diese Wahrheiten durch eine in den Wissenschaften übliche Methode zu eruieren, dies ist wie gesagt aufgrund der Begrenzungen unserer Wahrnehmungsorgane gar nicht möglich. Aber die Vermittlung dieser Glaubenswahrheiten kann natürlich nur mit Hilfe unserer Sprache erfolgen. Die menschliche Sprache bildete sich jedoch heraus in dem Bemühen, die durch Beobachtung und logischen Schlussfolgerungen erkannten Wahrheiten den Mitmenschen mitzuteilen.

 

Die Begriffe der Sprachen dienen somit in allererster Linie dazu, diese empirisch gewonnenen Erkenntnisse weiter zu geben. Will man nun die menschliche Sprache auch dazu benutzen, metaphysische Wahrheiten zu vermitteln, entstehen große Schwierigkeiten. Gerade weil die einzelnen Begriffe entstanden sind, um empirische Erkenntnisse anderen Menschen zu vermitteln, eignen sich eben dieselben Begriffe nicht dazu, auch die metaphysischen Fragen in gleicher Weise eindeutig anderen Menschen zu vermitteln.

 

Die Heilige Schrift versucht dieses Dilemma dadurch zu überwinden, dass man in Gleichnissen spricht. Rein äußerlich beziehen sich hierbei die Botschaften auf die irdischen Zusammenhänge, zu deren Beschreibung diese Begriffe gebildet wurden.

 

Aber gerade deshalb, weil diese Begriffe nicht zur Beschreibung metaphysischer Wahrheiten gebildet wurden, sondern zur Erklärung irdischer Zusammenhänge, dürfen diese Gleichnisse auch niemals wortwörtlich genommen werden. Sie wollen nur unter Hinweis auf bekannte irdische Probleme auf die dem Leser der Bibel noch nicht bekannten metaphysischen Probleme hinlenken, wobei immer zu berücksichtigen ist, dass kein Vergleich 100 prozentig gilt, also dass jeder Vergleich wie man sagt, hinkt, das heißt: Es ist immer nur ein spezieller Aspekt, der mit dem Gleichnis angesprochen werden kann, es ist aber nicht möglich, mit diesen Begriffen den vollen Inhalt des zu vermittelnden Problems anzusprechen.

 

So sprechen die Evangelien z. B. von Gott Vater und von Jesus als Gottes Sohn. Damit soll aber keinesfalls zum Ausdruck gebracht werden, dass die Beziehungen zwischen Gott Vater und Jesus in allen Relationen dem Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern entsprechen. Schließlich gilt auch hier wiederum, dass es sich um eine metaphysische Frage handelt, die gar nicht mit unseren Begriffen eindeutig und umfassend umschrieben werden kann, die Beziehungen zwischen Gott Vater und Jesus bleiben stets ein Geheimnis, das hier auf Erden nicht endgültig gelüftet werden kann. Wenn die Heilige Schrift jedoch von Gott Vater und Jesus als Sohn dieses Gottes spricht, soll nur angedeutet werden, dass die Beziehungen zwischen Gott Vater und Jesus am ehesten erfasst werden können, wenn wir von einem Verhältnis sprechen, das dem von Vater und Sohn entspricht.

 

In Wirklichkeit lehrt uns unser Glauben, dass gerade in einem sehr wesentlichen Punkt die Beziehungen zwischen den menschlichen Eltern und ihren Kindern elementar unterschiedlich sind gegenüber dem Verhältnis von Gott Vater und Jesus. Eines der elementarsten Grundsätze des jüdischen wie auch christlichen Glaubens ist die Aussage, dass es nur einen einzigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde gibt. Die Zehn Gebote Gottes, die Magna Charta des jüdischen sowie christlichen Glaubens, beginnt im ersten und wichtigsten Gebot mit dem Verbot, andere Götter neben dem Juden- und Christengott zu verehren.

 

Den Kindern hier auf Erden sprechen wir jedoch stets die Eigenschaft zu, dass sie selbstständige Wesen darstellen und sich deshalb von ihren Eltern auch immer unterscheiden. Folglich hebt das Verhältnis von Gott Vater und Jesus als Sohn Gottes auch auf ein ganz anderes Verhältnis ab als dem, das zwischen den Eltern und ihren Kindern hier auf Erden besteht.

 

 

3. Grenzen in der Vermittlung dieser Vorlesung

 

Zum Abschluss möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ich mit dieser Vorlesung nicht etwa im Auftrag der christlichen Kirchen schreibe, auch bin ich kein wissenschaftlich ausgebildeter Theologe. Ich schreibe hier als gläubiger Christ, der wie jeder andere Christ darum bemüht sein sollte, die in der Heiligen Schrift vermittelten Glaubensbotschaften zu verinnerlichen, hierzu zählt eben auch, dass die Beschäftigung mit diesen Glaubenswahrheiten schließlich zu dem Ziel führen sollten, dass die Heilige Schrift mir selbst als überzeugende, widerspruchsfreie Botschaft erscheint. Und solange mir gewisse Aussagen der Bibel als unverständlich und vielleicht sogar als widersprüchlich erscheinen, bedarf es einer weiteren intensiven Beschäftigung mit diesen Lehren. Die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift hier in dieser Vorlesung soll stets immer nur in diesem Sinne verstanden werden.

 

Als Wissenschaftler und vor allem als jemand, der sich besonders intensiv auch mit methodologischen Fragen befasst hat, meine ich auch die Voraussetzungen aufzuweisen, welche eine solche Aufgabe mit sich bringen.

 

Hierbei sollten die hier niedergelegten Gedanken niemals so verstanden werden, dass sie die offizielle Lehrmeinung der Kirchen ersetzen sollen. Ich halte mich nicht für befugt, anzuklagen oder den Anspruch zu erheben, es besser zu wissen als die Bibelexegeten oder die Vertreter der Kirchen. Auch dann, wenn aus stilistischen Gründen das eine oder andere Problem hier in dieser Vorlesung in einer indikativen Aussage formuliert wird, gilt trotzdem die Feststellung, dass diese Äußerungen eigentlich immer nur als Fragen zu verstehen sind, in dem Sinne, dass einem Laien viele in der Heiligen Schrift nieder geschriebenen Texte als widersprüchlich erscheinen, verbunden mit der Frage, ob einige Textstellen nicht doch auch etwas anders formuliert werden könnten.

 

Es sind hierbei stets Fragen eines theologischen Laien. Aber schließlich haben die christlichen Kirchen nicht nur die Aufgabe, die von Jesus und im Alten Testament formulierten Grundwerte zu erhalten und den nachfolgenden Generationen weiterzugeben, sondern sie auch so an die Gläubigen zu vermitteln, dass diese auch in der Lage sind, diese Werte zu bejahen. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass ein Teil der biblischen Aussagen Laien, die durchaus willens sind, Gott als Schöpfer dieser Welt anzuerkennen sowie die göttlichen Botschaften zu akzeptieren, es trotzdem schwierig haben, diese Lehren auch in jedem Falle als widerspruchsfrei und damit überzeugend anzusehen. Trotz guten Willens erscheint vielen Menschen die Lehre der Kirche oftmals als nicht überzeugend. Gott hat uns Menschen den Verstand sicherlich nicht gegeben, um an ihm irre zu werden, sondern ihn für alle auftretenden Probleme irdischer wie auch metaphysischer Natur auch zu gebrauchen.