Staatsverschuldung, Segen oder Fluch ?

 

 

1. Historische Einführung in die Problematik

2. Einige begriffliche Klärungen

3. Zur grundsätzlichen Haltung gegenüber einer Verschuldung

4. Der Einfluss eines Budgetdefizits auf Beschäftigung und Inflationsrate

5. Sekundärwirkungen auf die Einkommensverteilung

6. Forderung nach Budgetausgleich und politische Kontrolle

 

 

 

 

1. Historische Einführung in die Problematik

 

Bei der Beurteilung der Staatsverschuldung scheiden sich die Geister. Während die einen – vor allem die Keynesianer – in einer Staatsverschuldung eine Wunderwaffe sehen, die geeignet erscheint, Konjunkturkrisen zu überwinden, Massenarbeitslosigkeit abzubauen  und Wachstumsimpulse auszulösen, sehen andere – die Klassiker und Neoklassiker - hinwiederum in der Staatsverschuldung ein Zeichen für unsolide Lotterwirtschaft, eine Art Droge, die uns ‚HI’ macht, jedoch langfristig in noch größere wirtschaftliche Schwierigkeiten stürzt, und damit die Ursache für Inflation, Fehlallokationen und Wachstumsminderung und vor allem für eine Belastung der zukünftigen Generationen darstellt.

 

In der Anfangsphase der Industrialisierung galt es als oberstes Gebot jeder staatlichen Finanzpolitik, dafür zu sorgen, dass das Staatsbudget neutral in dem Sinne zu sein habe, dass von ihm keine Einflüsse auf Konjunktur und Wachstum ausgehen. Man vertraute darauf, dass die Marktkräfte von allein am besten in der Lage seien, nach einer gewissen Übergangszeit wiederum von selbst aus der Krise herauszuführen. Staatliche Eingriffe in den Markt störten und verlängerten nur diesen Heilungsprozess. Hierbei ging man von der Annahme aus, dass ein ausgeglichenes Staatsbudget, bei dem also die Staatsausgaben allein aus regulären Steuereinnahmen finanziert werden, gleichzeitig in diesem Sinne auch gesamtwirtschaftlich neutral sei.

 

Im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelte John Maynard Keynes die nach ihm benannte Keynesschule, wonach die private Nachfrage nicht ausreiche, die Volkswirtschaft während einer Depression wiederum zu Vollbeschäftigung zu führen, dass der Staat vielmehr durch Zulassen eines Defizits im Staatsbudget diese mangelnde private Nachfrage ersetzen müsse.

 

John Maynard Keynes nahm hierbei Gedankengänge auf, die bereits beim Entstehen der klassischen Wirtschaftslehre von den Anhängern der Unterkonsumtionstheorie vertreten wurden. Danach trete im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung sehr bald eine Sättigung auf, da der Konsum hinter den Produktionsmöglichkeiten hinterherhinke.

 

Zwar hatte John Baptiste Say in seinem nach ihm benannten Say’schen Theorem nachgewiesen, dass Absatzkrisen gar nicht in der Lage seien, eine allgemeine Unterkonsumtion auszulösen, da jedes Angebot von selbst eine gleich große Nachfrage auslöse. Der aus dem Verkauf stammende Erlös werde voll zu Einkommen, entweder zur Bezahlung der Produktionsfaktoren als Faktoreinkommen oder als verbleibender Gewinn. Das Einkommen werde weiterhin voll zu Nachfrage, entweder als Nachfrage für Konsumgüter oder als Ersparnisse, die über den Bankenapparat zur Investitionsnachfrage führen würden.

 

John Maynard Keynes war nun der Ansicht, dass der von John Baptiste Say dargestellte Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren in der Wirklichkeit aufgrund von Kapitalmarktmängeln nicht funktioniere. Ersparnisse würden nämlich nicht immer bei den Banken angelegt, sondern aufgrund einer hohen Liquiditätspräferenz gehortet werden; gleichzeitig seien die Unternehmer in Depressionszeiten auch bei Zinssenkungen nicht bereit, die Ersparnisse als Kredite für Investitionen nachzufragen.

 

Die Liquiditätspräferenz sei in  diesen Zeiten sehr groß, stelle der Bankenapparat zusätzliches Geld zur Verfügung, so versickere dieses Geld in den Kassen, die Privaten seien wegen der Unsicherheit auf den Märkten noch nicht bereit, diese Gelder in Wertpapiere anzulegen. Die Investitionselastizität hingegen sei äußerst gering. Aufgrund der Absatzschwierigkeiten könnten die Unternehmer ihre bestehenden Produktionskapazitäten ohnehin nicht voll auslasten und seien deshalb auch nicht bereit, durch Investitionen die zu große Produktionskapazität auszuweiten, auch dann nicht, wenn die Banken aufgrund des Überangebotes an Ersparnis die Zinsen senken würden.

 

Keynes und seine Anhänger überschwemmten in der Folgezeit nicht nur die Universitäten, sondern erzielten vor allem in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg auch maßgeblichen Einfluss auf die Konjunkturpolitik der westlichen Demokratien. So wurden die Präsidenten der USA von keynesianisch orientierten Wissenschaftlern beraten, auch der Federal Reserve Board (die Notenbank der USA) stand unter dem Einfluss des Keynesianismus. In der Bundesrepublik war es vor allem während der ersten großen Koalition Karl Schiller als Wirtschafts- und Finanzminister, der den Versuch unternahm, mit Hilfe keynesianischer Instrumente die Rezession zu überwinden.

 

In der Zwischenzeit formierte sich in der wissenschaftlichen Diskussion in immer stärkerem Maße die Kritik an den Schlussfolgerungen der keynesianischen Politik. So hatte bereits J. R. Hicks aufgezeigt, dass auch in einem keynesianischen System durchaus damit gerechnet werden kann, dass allein über geldpolitische Maßnahmen auch ohne Staatsverschuldung ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht erreicht werden kann.

 

In dem IS-LM-Schema lässt sich nämlich nachweisen, dass sich allein über eine Vermehrung der Geldmenge die LM-Kurve solange nach unten verschieben lässt, bis ein Volkseinkommen erreicht ist, das Vollbeschäftigung garantiert. Nur dann, wenn wir die sicherlich unrealistische Annahme machen, dass entweder die Liquiditätspräferenz unendlich groß ist (dass also mit anderen Worten jedes zusätzlich geschöpfte Geld in  den Spekulationskassen versickert) oder die genauso unrealistische Annahme unterstellen, dass die Investitionsnachfrage vollkommen unelastisch ist (dass also mit keiner noch so starken Zinssenkung eine Investitionsnachfrage ausgelöst werden kann), würde über geldpolitische Maßnahmen allein keine Vollbeschäftigung erreicht werden können.

 

Aber bereits Keynes hielt die Annahme einer unendlich großen Liquiditätspräferenz für einen zwar theoretisch interessanten, aber keinesfalls realistischen Fall. Die Annahme einer vollkommen unelastischen Investitionsnachfrage ist jedoch schon deshalb unwahrscheinlich, da in Zeiten der Rezession die Unternehmungen unter starkem Rationalisierungsdruck stehen und bei Zinssenkungen den Versuch unternehmen werden, durch vermehrte Rationalisierungsinvestitionen die Absatzlage zu verbessern. Nur Erweiterungsinvestitionen, aber keineswegs Investitionen überhaupt sind in Zeiten der Absatzkrise unwahrscheinlich.

 

Milton Friedman hat dann die These vertreten, dass eine keynesianische Fiskalpolitik nur vorübergehend Erfolg zeige, nämlich nur solange, als die Marktpartner von den staatlichen Maßnahmen überrascht würden. Mit der Zeit bezögen jedoch die Marktpartner die staatlichen Konjunkturmaßnahmen in ihr Kalkül mit ein und verhinderten gerade dadurch, dass die keynesianische Politik erfolgreich bleibe.

 

Die durch die staatliche Verschuldungspolitik ausgelöste Mehrnachfrage des Staates vergrößere nämlich in einem ersten Schritt die Gewinne der Unternehmungen, was diese veranlasse, eine Ausweitung der Produktion und damit auch der Beschäftigung in Angriff zu nehmen. Die Preis- und Gewinnsteigerungen brächten jedoch spätestens in der nächsten Tarifverhandlung die Gewerkschaften auf den Plan, sie würden Lohnsteigerungen fordern und auch durchsetzen, um auf diese Weise einen Ausgleich für die gestiegenen Preise zu erlangen und weiterhin an dem Wachstum beteiligt zu werden. Damit verringere sich jedoch wiederum der Unternehmergewinn und die Unternehmer hätten kein weiteres Interesse an der Aufrechterhaltung der Mehrproduktion. Der anfängliche Erfolg der staatlichen Verschuldungspolitik verpuffe.

 

Schließlich hat die Schule der Angebotstheoretiker aufgezeigt, dass Massenarbeitslosigkeit auch durch strukturelle Ursachen ausgelöst werden kann, dass die Massenarbeitslosigkeit seit der 80er Jahre vorwiegend durch solche strukturelle Mängel tatsächlich ausgelöst sei und dass das keynesianische Instrumentarium nicht in der Lage sei, diese strukturellen Mängel zu beseitigen. Die strukturellen Mängel lägen vor allem in der Unflexibilität des Arbeitsmarktes, weiterhin in der mangelnden Ausbildung gerade der Beschäftigten im unteren Einkommensbereich, sowie in falschen Anreizen, die von der staatlichen Arbeitsmarktpolitik ausgingen.

 

Diese angebotstheoretischen Vorstellungen fanden immer mehr auch Eingang in die Politik der Regierungen, sodass sich auch auf dem politischen Feld immer mehr eine Abkehr von keynesianischen Positionen abzeichnete. So wird von den Politikern fast aller Parteien hervorgehoben, dass eine Schuldenpolitik unsozial sei, da sie auf Kosten der zukünftigen Generation erfolge, auch sei eine langfristige Geldwertstabilität nur bei Verzicht auf staatliche Verschuldung zu erreichen.

 

Diese Vorstellungen schlugen sich in dem Stabilitätspakt der Europäischen Union (in den Konvergenzkriterien) nieder, die unter anderem vorsehen, dass kein Mitglied dieses Paktes ein Budgetdefizit über 3% des Inlandsproduktes erzielen dürfe, dass weiterhin die staatliche Gesamtverschuldung nicht 60% des Inlandsproduktes übersteigen dürfe und dass längerfristig ein ausgeglichenes Budget angestrebt werden müsse.

 

Wir möchten in diesem Artikel der Frage nachgehen, welche Wirkungen von einer staatlichen Verschuldung tatsächlich ausgehen. Es soll untersucht werden, wie und auf welche Weise ein Budgetdefizit den Beschäftigungsgrad, die Inflationsrate, die interpersonelle sowie die intergenerative Einkommensverteilung beeinflusst und ob schließlich die Kontrolle der Politiker in einer Demokratie bei einem unausgeglichenen Budget überhaupt greifen kann.

 

 

2. Einige begriffliche Klärungen

 

Bevor wir mit dieser Analyse beginnen können, bedarf es allerdings einiger begrifflicher Präzisierungen. Vier Begriffspaare sollen präzisiert werden. Zunächst gilt es zwischen der staatlichen Verschuldung und dem Budgetdefizit zu unterscheiden. Der Begriff ‚Verschuldung’ bezieht sich auf die gesamte Schuldensumme des Staates, der Begriff ‚Budgetdefizit’ hingegen auf die Differenz zwischen den Staatsausgaben und den regulären Steuereinnahmen. Übersteigen die Steuereinnahmen die Staatsausgaben, spricht man vom Budgetüberschuss. Ein Budgetdefizit erhöht den Schuldenstand um den Betrag des Defizits, ein Überschuss vermindert den Schuldenstand um den Überschussbetrag.

 

Das zweite Begriffspaar bezieht sich auf die Frage, ob sich der Staat mit seinem Defizit bei seinen Bürgern oder gegenüber dem Ausland verschuldet. Eine Verschuldung gegenüber dem Ausland hat ganz andere Auswirkungen auf die hier zu behandelnden Probleme. Eine Verschuldung gegenüber dem Ausland kann eingegangen werden, wenn der Staat mit diesen ausländischen Krediten selbst Güter importieren möchte.

 

Eine quasi-Verschuldung gegenüber dem Ausland liegt aber auch vor, wenn die Ausgaben in der Außenbilanz die Einnahmen übersteigen. Zu solchen Ungleichgewichten kann es innerhalb eines Systems fester Wechselkurse kommen, wenn die amtlichen Wechselkurse nicht ihren Gleichgewichtspreisen entsprechen. In Systemen flexibler Wechselkurse führt ein Ungleichgewicht automatisch zu einer Korrektur in den Wechselkursen, die zu einem automatischen Abbau des Ungleichgewichtes beiträgt. Da diese Prozesse Zeit benötigen, können die Ungleichgewichte jedoch eine gewisse Zeit bestehen bleiben. In unserem Zusammenhang interessiert allerdings allein die Verschuldung des Staates gegenüber seinen Bürgern.

 

Ein drittes Begriffspaar ist im Zusammenhang mit der Frage angesprochen, auf welche Weise das Defizit finanziert wird. Drei Finanzierungsarten können unterschieden werden. Ein Budgetdefizit kann erstens aus in der Vergangenheit angesammelten Überschüssen finanziert werden, eine Finanzierungsart, die augenblicklich aufgrund des hohen Schuldenstandes kaum zur Anwendung kommt. Ein Budgetdefizit kann zweitens mit Krediten der Notenbank bezahlt werden, ein Weg, der in der BRD aufgrund der Bestimmungen des Grundgesetzes nur für kurzfristige Überbrückungen eingeschlagen werden darf. Eine letzte dritte Finanzierungsart besteht darin, dass der Staat festverzinsliche Wertpapiere kreiert und diese an den Börsen verkauft.  

 

Eine vierte Unterscheidung, die bei der Analyse staatlicher Verschuldung von Bedeutung ist, liegt in der Frage, ob der in Anspruch genommene Kredit für konsumtive oder für investive Mittel eingesetzt wird. Werden mit diesen Geldmitteln Infrastrukturinvestitionen finanziert, so mag u. U. eine defizitäre Finanzierung angebracht sein, da ja ein Teil des Nutzens erst in zukünftigen Perioden anfällt.

 

 

3. Zur grundsätzlichen Haltung gegenüber einer Verschuldung

 

Bevor wir mit der eigentlichen Analyse der Wirkungen eines Budgetdefizits beginnen, wollen wir uns allerdings ganz kurz noch mit der Frage befassen, woher denn die ausgesprochen negative Haltung gegenüber Haushaltsdefiziten im allgemeinen herrührt. Wenn viele Menschen in einem Staatsdefizit etwas negatives sehen und von Lotterwirtschaft sprechen, so stammt diese abschätzige Einstellung offensichtlich daher, dass man Grundsätze, die man für einen privaten Haushalt aufstellt, ohne weiteres auf öffentliche Haushalte überträgt, nach dem Motto: was für die privaten Haushalte zu gelten habe, gelte erst recht auch für den Staat. Da das Handeln des Staates stets im Namen der Volksgemeinschaft zu erfolgen habe, müssten die moralischen Anforderungen an den Staat eher höher als niedriger gehalten sein.

 

Nun werden wir sehen, dass moralische Prinzipien, die mit einigem Vorbehalt für die privaten Haushalte Geltung besitzen, keinesfalls ohne Weiteres auf das Verhalten des Staates und seiner Politiker und Beamten übertragen werden dürfen, und zwar deshalb nicht, weil ein Budgetdefizit etwas ganz anderes darstellt als eine Verschuldung eines privaten Haushaltes. Die Verschuldung eines Privathaushaltes stellt stets ein Leben auf Kosten anderer Haushalte dar, ist also mit einer Verschuldung des Staates gegenüber dem Ausland zu vergleichen. Bei der hier zu behandelnden Verschuldung des Staates handelt es sich hingegen stets darum, dass sich der Staat gegenüber inländischen Personen verschuldet. Der Staat als Vertreter der inländischen Individuen verschuldet sich bei eben diesen Personen, er verschuldet sich also - wenn man so will – bei sich selbst.

 

Warum aber sollte sich ein privater Haushalt nicht verschulden dürfen? Eine erste mögliche Antwort könnte man darin sehen, dass Haushalte in erster Linie Konsumstätten darstellen, die das heutige Einkommen konsumieren, während Unternehmungen Produktionsstätten sind, die Produktionsanlagen für die Zukunft errichten, deren Nutzen also auch erst in Zukunft anfällt. Ganz richtig ist diese Betrachtung allerdings nicht, da ja auch im Haushalt zahlreiche Käufe mit Investitionscharakter anfallen. Bei dem Bau eines Eigenheims, aber auch schon beim Kauf der Wohnungseinrichtungen, Kleider u. s. w. werden ebenfalls langlebige Güter angeschafft, deren Nutzen nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in zukünftigen Perioden anfällt. Warum sollten diese Güter nicht auch mit Krediten bezahlt werden, soweit sich der anfallende Nutzen auf die zukünftigen Perioden bezieht?

 

Befassen wir uns noch etwa ausführlicher mit den konsumtiven Aktivitäten eines privaten Haushaltes. Wenn verlangt wird, dass die konsumtiven Ausgaben aus dem laufenden Einkommen finanziert werden sollen, so vor allem deshalb, weil man davon ausgeht, dass nur das gegenwärtige Einkommen, nicht aber das Einkommen in zukünftigen Perioden als sicher gelten kann. Es besteht also immer die Gefahr, dass aus welchen Gründen auch immer wegen eines generellen Konjunktureinbruches oder aber wegen persönlichen Schicksalsschlägen das zukünftige Einkommen reduziert wird und deshalb ein Schuldner in arge Bedrängnis geraten kann.

 

Die Grenznutzenschule hat eine etwas andere Lösung des Verschuldungsproblems entwickelt. Es geht im Prinzip darum, den Gesamtnutzen über die gesamte Lebenszeit zu maximieren. Eine Verschuldung zu Lasten zukünftiger Perioden ist danach immer dann angezeigt, wenn entweder das zukünftige Einkommen bei gleichem Verlauf der Grenznutzenkurve höher als das heutige Einkommen ist oder dem heutigen Konsum eine höhere Priorität als dem zukünftigen Konsum eingeräumt wird. Letzterer Tatbestand wurde von Eugen von Böhm-Bawerk als Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse umschrieben. Bei der Abschätzung der Einkommen in den zukünftigen Perioden muss hierbei von dem Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und erwarteten Einkommenshöhe ausgegangen werden.

 

 

4. Der Einfluss eines Budgetdefizits auf Beschäftigung und Inflationsrate

 

 

Fragen wir uns zunächst nach dem Einfluss eines Budgetdefizits auf Beschäftigung und Inflation. Entsprechend der keynesianischen Multiplikatortheorie führt ein Defizit des Staatsbudgets zu einer Zunahme des Inlandsprodukts um ein vielfaches der Defizitsumme. Diese multiplikative Zunahme des Inlandsproduktes erklärt sich daraus, dass aufgrund der Einkommenssteigerungen, die von den zusätzlichen Staatsausgaben ausgehen, weitere Konsumausgabenzuwächse induziert werden.

 

Der Multiplikator, mit dem das Defizit multipliziert werden muss, um die Inlandsproduktzunahme festzustellen, wird von dem reziproken Wert der Kaufkraftstillegungsquote bestimmt, die mit der Summe aus Sparquote, Importquote und Steuerquote zusammenfällt.

 

dY   =  dAst * 1/(s + im + st),

 

wobei dY den Einkommenszuwachs, dAst der Staatsausgabenzuwachs, s die Sparquote, im die Importquote und st die Steuerquote – jeweils bezogen auf das Inlandsprodukt beschreibt. Betrage z. B. der Staatsausgabenzuwachs 10 Mrd und die Kaufkraftstillegungsquote 0,5, so würde das Inlandsprodukt um  dY  =  10 Mrd * 1/0.5 = 20 Mrd. ansteigen. 

 

Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass das Defizit durch einen gleich großen Zuwachs der Staatsausgaben (bei konstanten Steuereinnahmen) ausgelöst wurde.

 

 

                                                                   

 

 

 

                                                                     

 

 

Kam das Defizit dadurch zustande, dass die Steuereinnahmen bei gleichbleibendem Staats-ausgabenniveau gesenkt wurden (-dST), fällt der Multiplikator um den Wert des Defizits geringer aus. Dieser um das Defizit reduzierte Multiplikator erklärt sich daraus, dass in der ersten Periode, in welcher der Staat ein Defizit (eine Defiziterhöhung) ausweist, kein zusätzliches Markteinkommen wie beim Staatsausgabenmultiplikator geschaffen wird; lediglich das privat verfügbare Einkommen steigt in dieser Periode an, sodass erst ab der 2. Periode mit induzierten Konsumausgaben gerechnet werden kann. 

 

dY  =  (dSt) * 1/s + im + st  - dSt

 

In dem oben gebildeten Beispiel beliefen sich die Inlandsproduktsteigerungen auf:

 

dY = (10 Mrd * 1/0.5) – 10 Mrd. = 10 Mrd.

 

Diese Überlegungen setzten allerdings stillschweigend voraus, dass die übrige Nachfrage von diesen Änderungen unberührt bleibt. In Wirklichkeit ist davon auszugehen, dass u. U. die Investitionsausgaben zurückgehen. Man spricht hierbei von einem crowding out. Der mögliche Rückgang der Investitionsausgaben erklärt sich daraus, dass das Auflegen des Staates von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt (das heißt die zusätzliche Kapitalnachfrage des Staates) zu einer Zinserhöhung führen kann und diese hinwiederum zu einem Rückgang in den privaten Investitionen, da mit einer Zinserhöhung die Rentabilität der Investitionen zurückgeht. Dieser crowding out Effekt kann allerdings vermieden werden, wenn die Notenbank bereit ist, die Geldmenge soweit auszuweiten, dass der Zinssatz unverändert bleibt.

 

Im Zusammenhang mit dem Außenhandel ist noch ein weiterer crowding out Effekt zu erwarten. Gerade wenn die expansive Defizitpolitik erfolgreich ist, steigt das Inlandsprodukt und mit ihm die Importausgaben; dies führt ceteris paribus zu einem Leistungsbilanzdefizit bzw. falls bisher ein Überschuss der Leistungsbilanz erzielt wurde, zu einem Rückgang dieses Überschusses. Langfristig wird auch dieser Effekt wiederum verschwinden, wenn der Eurokurs aufgrund der LB-Defizite sinkt.

 

Nach keynesianischen Vorstellungen führt der Anstieg in der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über eine Steigerung des realen Inlandsproduktes auch zu einer Beschäftigungszunahme. De facto muss jedoch fast immer damit gerechnet werden, dass ein Teil der Inlandsproduktsteigerung in Preissteigerungen verpufft. Der Erfolg einer Defizitpolitik im Hinblick auf das Beschäftigungsziel hängt somit unter anderem davon ab, inwieweit das Ziel der Geldwertstabilität verletzt wird. In dem Maße, in dem inflationäre Nebenwirkungen befürchtet werden müssen, wird auch das beschäftigungspolitische Ziel verfehlt.  

 

Fragen wir uns deshalb an dieser Stelle, von welchen Faktoren es abhängt, ob überhaupt mit realen Produktionssteigerungen zu rechnen ist. Das Defizit stellt eine Nachfragesteigerung dar und es ist klar, dass die erwünschte Beschäftigungssteigerung nur dann erwartet werden kann, wenn die Arbeitslosigkeit auf eine zu geringe Güternachfrage zurückgeführt werden kann. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass Arbeitslosigkeit etwas mit der Inflexibilität der Arbeitsmärkte zu tun haben kann. Wir haben hierbei zu berücksichtigen, dass Arbeitslosigkeit stets ein Arbeitsmarktungleichgewicht darstellt.

 

In einer freien Marktwirtschaft müssen wir stets davon ausgehen, dass permanente Datenänderungen eintreten, die vorübergehende Ungleichgewichte auslösen. Auch dann, wenn die Nachfrage nach Gütern ausreicht, langfristig Vollbeschäftigung zu garantieren, kann Arbeitslosigkeit bestehen bleiben und sogar ansteigen, wenn auf der einen Seite immer wieder durch erneute Datenänderungen Arbeitsmarktungleichgewichte entstehen und auf der anderen Seite die bestehenden Marktungleichgewichte mangels Flexibilität nicht oder zu langsam abgebaut werden.

 

Anhaltende Arbeitslosigkeit kann auch etwas mit einer zu geringen Qualifizierung der Arbeitnehmer aus den unteren Einkommensklassen zu tun haben. Die Unternehmungen werden nur solche Arbeitnehmer einstellen, welche die qualitativen Voraussetzungen für die nachgefragte Arbeit mitbringen. Es besteht nun die Gefahr, dass Steigerungen in der Güternachfrage zwar zu Steigerungen auch in der Nachfrage nach Arbeitnehmern führen, dass aber vorwiegend Arbeitnehmer mit hoher Qualifikation nachgefragt werden und dass bei solchen Arbeitskräften bereits ein Nachfrageüberhang besteht.

 

Hier nützt keine noch so große Güternachfragesteigerung, sie verpufft, da nur solche Arbeitskräfte zusätzlich nachgefragt werden, die ohnehin bereits beschäftigt sind und anderseits keine Nachfragesteigerung bei den Arbeitskräften stattfindet, die arbeitslos sind. Die Ursache für dieses strukturelle Ungleichgewicht liegt einerseits an einer verfehlten Bildungspolitik, der es nicht gelingt, alle Arbeitnehmer für ihren späteren Beruf ausreichend auszubilden, anderseits an einem Lohn-Zins-Verhältnis, das die Unternehmer veranlasst, in zu großem Umfang  – gemessen an dem bestehenden Arbeitskräftepotential  - Arbeit durch Kapital zu substituieren.  

 

Kommen wir nun zu der Frage, wie sich eine keynesianische Beschäftigungspolitik auf die Inflationsrate auswirkt. Die Unternehmungen werden nur dann zu einer Ausweitung der Produktion bereit sein, wenn sie Preise erzielen, die mindestens der Grenzkostenhöhe entsprechen. Betrachten wir hierzu Diagramm 2:

 

 

 

Beschreibung: defizit2

 

 

Die Defizitpolitik des Staates führt zu einer Preissteigerung, welche die Unternehmungen zu einer Ausweitung der Produktion entsprechend dem Verlauf der Grenzkostenkurve veranlasst. Unterstellen wir die Gültigkeit des Ertragsgesetzes, steigen die Grenzkosten überproportional mit der Gütermenge an. Ist die Produktionskapazität extrem gering ausgelastet, verläuft die Grenzkostenkurve flach, die Mehrnachfrage des Staates führt zu einer starken Ausweitung der Produktion und nur zu geringen Preissteigerungen. Nähert sich jedoch die Produktion der vollen Kapazitätsauslastung, so sind die möglichen Mengensteigerungen gering, der größte Teil der Nachfragesteigerung verpufft in Preissteigerungen.

 

Welche Steigung die gesamtwirtschaftliche Grenzkostenkurve aufweist, hängt vor allem von zwei Faktoren ab. Auf der einen Seite müssen Preissteigerungen vor allem dann befürchtet werden, wenn Engpässe auftreten. Zur Produktion der vom Staat mehr nachgefragten Güter bedarf es einer Vielzahl spezifischer Produktionsfaktoren, derjenige Faktor, der am knappsten ist, limitiert die Gesamtproduktion. Eine noch so große Nachfragesteigerung reicht in diesem Falle nicht aus, eine für Vollbeschäftigung aller Produktionsfaktoren notwendige Produktionsausweitung auszulösen. Die gesamtwirtschaftliche Grenzkostenfunktion verläuft hier extrem steil.

 

Auf der anderen Seite wird die Steigung der gesamtwirtschaftlichen Grenzkostenkurve auch davon bestimmt, wieweit sich die Produktivität der einzelnen Unternehmungen unterscheiden. Je mehr die Güternachfrage steigt, umso mehr muss auf Unternehmungen zurückgegriffen werden, die eine geringere Produktivität aufweisen. Der Grenzbetrieb, der Betrieb mit der geringsten Produktivität, entscheidet letztendlich über den Preis, der für ein bestimmtes Produkt gezahlt werden muss, damit die Nachfrage erfüllt werden kann.

 

Ist der Abstand zwischen der Produktivität des Grenzbetriebes und der effizientesten Unternehmung groß, so verläuft die gesamtwirtschaftliche Grenzkostenkurve steil und wiederum verpufft der größte Teil des Nachfragezuwachses in Preissteigerungen. Hierbei gilt es zu bedenken, dass gerade der durch die Defizitpolitik des Staates ausgelöste Nachfragezuwachs den Wettbewerbsdruck und damit auch den Druck, die Innovationen der effizientesten Unternehmungen in der gesamten Branche zu übernehmen, zurückgeht.

 

Wir wollen nun in unser Diagramm auch die Kurve der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einzeichnen, die einen negativen Verlauf aufweise (siehe Diagramm 3). Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass zwischen Güternachfrage und Angebot Kreislaufzusammenhänge bestehen, da die Konsumgüternachfrage unter anderem auch von der Inlandsprodukthöhe abhängt. Diese Zusammenhänge sind berücksichtigt, wenn wir von der Quantitätsgleichung ausgehen, wonach das Produkt aus umlaufender Geldmenge (M) und  Umlaufsgeschwindigkeit (V) immer gleich dem Produkt aus realem Inlandsprodukt (X) und Preisniveau (p) sein muss:

 

M * V = p * X

 

 

In einem Diagramm, auf dessen Achsen das Preisniveau und die Inlandsproduktmenge abgetragen wird, hat die Nachfragekurve den Verlauf einer Parabel.

 

 

 

Beschreibung: defizit3

 

 

Erhöht nun der Staat seine Ausgaben und wird die Ausgabensteigerung dadurch finanziert, dass auch die Geldmenge ansteigt, so verschiebt sich die Nachfragekurve nach rechts oben. Preisniveau und reales Inlandsprodukt steigen an, je nach Steigung der Grenzkostenkurve. Wird allerdings die Geldmenge nicht so stark angehoben, dass der Zinssatz von den Staatsausgabensteigerungen unberührt bleibt oder geht die Umlaufsgeschwindigkeit zurück, treten crowding out Effekte auf und der Anstieg in der Nachfragekurve und damit auch im Zuwachs der Produktion fällt geringer aus.

 

Die Lage der Grenzkostenkurve wird unter anderem auch durch die Lohnsatzhöhe bestimmt. Nehmen die Gewerkschaften die Preissteigerung zum Anlass, höhere Löhne zu fordern und können sie diese Lohnforderungen in den zukünftigen Tarifverhandlungen durchsetzen, verschiebt sich die Grenzkostenkurve nach oben. Dies bewirkt einen erneuten Rückgang im realen Inlandsprodukt bei weiter steigenden Preisen. Es tritt der von Milton Friedman beschriebene Effekt ein, der zumindest einen Teil des anfänglich positiven Effektes (Anstieg im Inlandsprodukt) wieder rückgängig macht.

 

Fragen wir uns schließlich, wie sich eine Steigerung im realen Inlandsprodukt auf die Beschäftigung auswirkt. Der Zusammenhang zwischen realer Inlandsprodukthöhe und Beschäftigung wird durch die Beschäftigungsfunktion umschrieben. Unterstellen wir die Gültigkeit des Ertragsgesetzes (der Ertragszuwachs sinkt mit wachsender Beschäftigung), dann erhalten wir in Diagramm 4, auf dessen Ordinate die Beschäftigung und auf dessen Abszisse die Höhe des realen Inlandsprodukts abgetragen wird, eine nach oben gekrümmte Kurve.

 

 

 

Beschreibung: defizit4

 

 

Eine Steigerung des realen Inlandsproduktes löst also im Allgemeinen auch einen Zuwachs in der Nachfrage nach Arbeitern aus. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Arbeitslosigkeit in dem gleichen Umfang zurückgeht. Erstens ist damit zu rechnen, dass die Unternehmungen im vorhergehenden Abschwung nicht so viel Arbeitskräfte entlassen haben, wie aufgrund des Rückgangs im Absatz eigentlich möglich gewesen wäre. Aufgrund einer rigorosen Kündigungsgesetzgebung könnte eine Entlassung von Arbeitskräften unter Umständen gescheitert sein. Dies gilt vor allem für Arbeitskräfte der unteren Einkommensklassen. Hochqualifizierte Arbeitskräfte hingegen werden oftmals deshalb nicht entlassen, weil es für die Unternehmungen kostengünstiger sein kann, diese Arbeitskräfte auch ohne Bedarf weiter zu beschäftigen, als diese im Abschwung zu entlassen und dann im nächsten Aufschwung hohe Einstellungs- und Einarbeitungskosten bei neu einzustellenden Arbeitnehmern aufwenden zu müssen.

 

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die Mehrnachfrage nach Arbeitskräften vorwiegend auf höherqualifizierte Arbeitnehmer bezieht, die ohnehin bereits beschäftigt sind und dass dann aus Mangel an diesen Arbeitskräften die Mehrproduktion gar nicht aufgenommen werden kann und deshalb auch diejenigen Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, nicht vermehrt eingestellt werden. Es ist dies der Fall der strukturellen Arbeitslosigkeit.

 

 

5. Sekundärwirkungen auf die Einkommensverteilung

 

Wie wird nun durch eine Staatsverschuldung die Einkommensverteilung beeinflusst? An zwei Wirkungszusammenhänge ist hierbei zu denken. Wir haben zu überprüfen, ob die interpersonelle Verteilung zwischen Empfängern von Gewinneinkommen und Lohneinkommen verändert wird und weiterhin, ob die zukünftigen Generationen auf diesem Wege belastet werden (intergenerative Einkommensverteilung). Beginnen wir mit den Auswirkungen auf die interpersonelle Einkommensverteilung.

 

Die Einkommensquoten werden entsprechend der Verteilungstheorie von Nicholas Kaldor vorwiegend von der Einkommensverwendung bestimmt. Ausgangspunkt ist die Aussage, dass im Gleichgewicht die Ersparnis ex ante der Investition ex ante entsprechen muss. Wir unterstellen mit Kaldor in einem ersten Schritt, dass die Investitionsnachfrage autonom und vor allem unabhängig von der jeweils realisierten Gewinnquote ist.

 

Wir tragen in Diagramm 5, in dem auf der Abszisse die Gewinnquote und auf der Ordinate die Ersparnis und die Investitionsnachfrage abgetragen wird, die Investitionsfunktion als Parallele zur Abszisse ab. Für das Sparverhalten wird unterstellt, dass die Lohnempfänger eine niedrigere Sparquote aufweisen als die Gewinnempfänger, dass jedoch die partiellen Sparquoten der Arbeitnehmer (sl) und der Gewinnempfänger (sg) kurzfristig konstant sind. Die gesamtwirtschaftliche Sparquote (s) hängt dann wie folgt von der Gewinnquote ab:

 

s = S/Y = (Sl + Sg )/Y = (sl * L + sg * G)/Y

 

s = sl*(1 - G/Y) + sg  * G/Y = sl + (sg –sl) * G/Y

 

Wäre nun die Gewinnquote gleich null, würde also das gesamte Volkseinkommen als Lohneinkommen ausgezahlt, würde die gesamtwirtschaftliche Sparquote (s) mit der partiellen Sparquote der Arbeitnehmer (sl) zusammenfallen. Wäre hingegen die Gewinnquote gleich eins, würde also das gesamte Volkseinkommen als Gewinneinkommen ausgeschüttet, fiele die gesamtwirtschaftliche Sparquote mit der partiellen Sparquote der Gewinnempfänger zusammen.

 

Wenn wir diese Abhängigkeit der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis von der Gewinnquote in unser Diagramm einzeichnen, erhalten wir eine Linie, welche im Schnittpunkt mit der Ordinate der partiellen Sparquote der Arbeitnehmer entspricht, welche weiterhin bei der Gewinnquote = 1 der partiellen Sparquote der Gewinnempfänger entspricht und die somit eine Steigung aufweist, die der Differenz zwischen den beiden partiellen Sparquoten (sg - sl) entspricht.

 

 

 

Beschreibung: defizit5

 

 

 

Eine Erhöhung der Investitionsnachfrage (Verschiebung der Investitionsgeraden nach oben) führt also automatisch zu einem Anstieg in der Gewinnquote. Erklären lässt sich dieser Zusammenhang damit, dass eine Mehrnachfrage zu Preissteigerungen und diese zu einer Erhöhung der Gewinne führt.

 

Unsere bisherigen Überlegungen sahen von der wirtschaftlichen Aktivität des Staates ab. Berücksichtigen wir die Aktivitäten des Staates, so tritt an die Stelle der Investitionsgeraden die Kaufkraftschöpfungslinie, die sich aus Investitionsnachfrage und Staatsausgabensumme (Defizitsumme des staatlichen Budgets) zusammensetzt. Investition wie Budgetdefizit haben gemeinsam, dass sie autonom erfolgen und nicht durch Einkommenssteigerungen induziert werden. Die Funktion der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis wird zur Funktion der Kaufkraftstillegung, die sich aus Ersparnisquote und Steuerquote zusammensetzt. Da wir eine progressive Einkommensbesteuerung haben, bedeutet dies, dass die durchschnittliche Steuerquote ebenfalls mit wachsender Gewinnquote ansteigt und dass deshalb die Steigung der Kaufkraftstillegungslinie eine etwas höhere Steigung als die Sparfunktion aufweist.

 

Damit ergibt sich jedoch, dass ein Zuwachs im Budgetdefizit genauso wie eine Erhöhung der Investitionsausgaben zu einer Erhöhung der Gewinnquote führt, dass also die Einkommensverteilung zu Lasten der Lohnempfänger verändert wird. Auch hier gilt, dass die durch das Budgetdefizit ausgelöste Mehrnachfrage zu Preissteigerungen führt, die sich in einem Zuwachs der Gewinne niederschlagen.

 

Nun  mag die Annahme, dass die Investitionsnachfrage autonom gegeben ist und nicht von der Höhe der Gewinne abhängt, unrealistisch sein. Zumindest für die mittelständische Industrie wird im allgemeinen unterstellt, dass das Investitionsvolumen von der Gewinnhöhe abhängt, da diese Unternehmungen nicht wie die Kapitalgesellschaften in der Lage sind, sich Kapital in größerem Umfang vom Kapitalmarkt zu besorgen.

 

Unsere Schlussfolgerungen bleiben jedoch erhalten, wenn wir eine von der Gewinnquote abhängige Investitionsfunktion unterstellen und weiterhin annehmen, dass die Steigung der Investitionslinie geringer ist als die der Sparfunktion. Wäre allerdings die Steigung der Investitionslinie steiler als die der Sparfunktion, würde der Schnittpunkt beider Linien ein instabiles Gleichgewicht aufweisen, es könnte also auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Marktkräfte automatisch und langfristig den Gleichgewichtspunkt ansteuern.  Die Verteilung wäre unbestimmt.

 

Den Laien mag es verwundern, dass im Rahmen dieser Kaldorianischen Verteilungstheorie die von den Gewerkschaften erkämpfte Lohnhöhe nicht in den Kranz der Bestimmungsgründe der Einkommensverteilung eingeht. Der Grund hierfür liegt in folgendem: Höhere Löhne führen zu erhöhter Konsumnachfrage, aufgrund derer die Unternehmer in der Lage sind, die Lohnkostensteigerungen auf den Güterpreis abzuwälzen. Den gestiegenen Lohnsätzen entspricht ein gestiegener Güterpreis, mit der Folge, dass der Reallohn weitgehend konstant bleibt.

 

Es gibt allerdings eine wichtige Ausnahme, bei der Lohnerhöhungen auch zu einer Verbesserung der Lohnquote führen. Wenn nämlich im Zuge der Lohnerhöhung auch die Sparquote der Arbeitnehmer ansteigt, verschiebt sich in unserem Diagramm der Schnittpunkt der Sparfunktion mit der Ordinatenachse nach oben und dies wiederum lässt den Schnittpunkt der Sparfunktion mit der Investitionsgeraden nach links verschieben: Die Gewinnquote geht zurück, die Lohnquote steigt an.

 

Gerade aufgrund dieses Zusammenhanges wurden in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in zahlreichen Tarifverhandlungen zu den bar ausgezahlten Löhnen zusätzlich Investivlöhne vereinbart, die für die Arbeitnehmer auf Sparkonten überwiesen wurden und für eine gewisse Übergangszeit nicht abgehoben werden konnten. Sofern die Arbeitnehmer die Gewährung eines Investivlohnes nicht zum Anlass nahmen, bereits bestehende Ersparnisse aufzulösen, hat sich hier die Sparquote der Arbeitnehmer erhöht und mit ihr die Lohnquote.

 

Befassen wir uns nun mit dem Vorwurf, ein Budgetdefizit belaste die zukünftigen Generationen. Falsch wäre es, wollte man den bloßen Umstand, dass ein Defizit des Staatshaushaltes eintritt, als Beweis dafür ansehen, dass bei einem heute oder in der Vergangenheit eingegangenen Budgetdefizit die zukünftige Generation automatisch belastet werde, da sie ja den Schuldenstand übernehmen müsse. 

 

Diese Argumentation würde nur dann überzeugen, wenn sich unsere Volkswirtschaft dem Ausland gegenüber verschuldet hätte; hier hätte in der Tat die zukünftige Generation einen Teil ihres Reichtums bei der Schuldentilgung an das Ausland abzuführen. Im Vordergrund steht jedoch eine Staatsverschuldung, bei der sich der heutige Staat gegenüber seinen Bürgern verschuldet. Die Volksgemeinschaft als Ganzes verliert natürlich nichts, wenn sie sich selbst gegenüber verschuldet. Sofern in Zukunft Staatsschulden zurückzuzahlen sind, gibt es Verlierer und Gewinner.

 

Indem der Staat bei der Schuldentilgung Steuergelder benötigt, werden die Bürger als Steuerzahler belastet. Diese Steuergelder fließen jedoch annahmegemäß ebenfalls Bürgern zu, sodass die Volksgemeinschaft insgesamt durch diese Transaktion nicht belastet wurde. Unter Umständen hat sich aufgrund dieser Tilgung die personelle Verteilung in der Zukunft verändert, nicht aber die Verteilung zwischen der heutigen und der zukünftigen Generation. Der heutige Staat vererbt zwar seinen Schuldenstand an den zukünftigen Staat, aber genauso gilt, dass die heutigen Gläubiger ihre Staatspapiere an ihre zukünftigen Kinder vererben werden.        

 

Diese Überlegungen lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass im Zuge einer heutigen Staatsverschuldung die zukünftigen Generationen überhaupt nicht belastet werden. Diese Frage können wir nur beantworten, wenn wir überprüfen, wie sich die Wachstumsrate des Inlandsproduktes aufgrund der Staatsverschuldung verändert. Würde die Staatsverschuldung zu einer Reduzierung der Wachstumsrate führen, so wäre der materielle Wohlstand der zukünftigen Generation in der Tat reduziert worden.

 

Ob eine Staatsverschuldung zu einer Reduzierung der Wachstumsrate führt, hängt entscheidend davon ab, wie die defizitfinanzierten Staatsausgabensteigerungen verwendet werden. Im Allgemeinen können wir davon ausgehen, dass ohne staatliche Aktivität Ersparnisse für investive Zwecke verwendet werden. Die Unternehmungen fragen Kredite nach, um entweder die Produktionskapazitäten zu erweitern oder um Innovationen durchzuführen. In beiden Fällen – in stärkerem Maße natürlich bei innovativer Aktivität – steigt die Produktionskapazität an, die zukünftige Generation kann insgesamt mehr produzieren.

 

Traditionell wurde die Staatsverschuldung vorwiegend für konsumtive Zwecke eingesetzt, vor allem dort, wo soziale Hilfen gewährt werden. Konsumtive Ausgaben tragen jedoch nicht zur Ausweitung der Produktionskapazität bei. Sofern also aufgrund einer Staatsverschuldung Ersparnisse von investiven zu konsumtiven Verwendungsarten umgelenkt werden, geht die Staatsverschuldung in der Tat zu Lasten der zukünftigen Generationen.

 

 Eine Belastung der zukünftigen Generation kann auch schon daraus erwachsen, dass bei Anstieg der Schuldenlast der Staat gezwungen ist, einen immer größeren Anteil der Steuereinnahmen für die Tilgung der bisher eingegangenen Schulden aufzuwenden. Es verbleibt dann ein immer geringer werdender Teil für den Einsatz von Infrastrukturinvestitionen. Die Handlungsfähigkeit des Staates geht zurück, was sich ebenfalls in einer sinkenden Produktivität der Volkswirtschaft auswirkt.  

 

 

6. Forderung nach Budgetausgleich und politische Kontrolle

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen bezogen wir uns allein auf die Frage, inwieweit die Funktionsfähigkeit einer Marktwirtschaft von der Staatsverschuldung betroffen wird. Die Staatsverschuldung spielt jedoch auch bei der Frage eine Rolle, inwieweit eine Demokratie - vor allem die Kontrolle der Politiker durch die Wähler - funktionieren kann.

 

Die Forderung nach einem ausgeglichenen Budget lässt sich nämlich nicht nur mit volkswirtschaftlichen Argumenten verteidigen. Auch die Funktionsweise einer parlamentarischen Demokratie hängt vom Budgetverhalten des Staates weitgehend ab. In einer parlamentarischen Demokratie werden die Regierungen und Parteien in dem Maße bei den Wahlen erfolgreich sein, in dem sie den Wählern solche Maßnahmen in Aussicht stellen, welche der Mehrheit der Bürger Wohlfahrtsgewinne bringen.

 

Die Wohlfahrtssituation der Bürger wird nun einmal davon bestimmt, welche Staatsausgaben den Bürgern versprochen werden. Staatsausgaben können zu einem Kollektivgüterangebot führen, z.B. Ausweitung oder Verbesserung der Schulen oder Straßen, die unmittelbar die Wohlfahrt der Bürger - wenn auch in unterschiedlichem Umfang – erhöhen.

 

Staatsausgaben können zweitens auch in Form von Subventionen oder Transfereinkommen gewährt werden, was wiederum die Wohlfahrt der begünstigten Bürger verbessert. Zum andern hängt jedoch die Wohlfahrtssituation auch davon ab, wie viel Steuern die Bürger zahlen müssen.  Als Einkommens- und Vermögenssteuern reduzieren Steuern das privat verfügbare Einkommen, sodass die Bürger über weniger Kaufkraft verfügen und weniger private Güter kaufen können. Als Umsatz- und Verbrauchssteuern tragen Steuern zu einer Preissteigerung bei, die bei gleichbleibendem nominellen Einkommen zu einer Verminderung des Realeinkommens und der Kaufkraft führt. Sind die Politiker nun gezwungen, das Staatsbudget stets auszugleichen, werden die Staatsausgaben voll durch Steuern finanziert und die Vor- und Nachteile der Bürger gleichen sich gerade aus.

 

Die Bürger können nun selbst entscheiden, ob ihre Wohlfahrt durch eine Ausweitung oder durch eine Reduzierung des Staatshaushaltes gesteigert wird. Wenn die Bürger ein Mehr an Kollektivgütern auch mit einem Zuwachs an Steuern bezahlen müssen, werden sie nur dann einer Ausweitung des Kollektivgüterbestandes zustimmen, wenn der partielle Zuwachs an Wohlfahrt aufgrund des erhöhten Kollektivgüterangebots größer ist als die Minderung der Wohlfahrt aufgrund der Zunahme der Steuerzahlungen. Politiker können unter diesen Bedingungen durch Versprechungen auch nur dann bei den Wahlen erfolgreich sein, wenn sie nur solche Maßnahmen versprechen, die der Mehrheit der Bevölkerung auch einen Nettonutzen bringen.

 

Haben hingegen Politiker die Möglichkeit, die Staatsausgaben auch ohne Anstieg der Steuereinnahmen, nämlich durch Aufnahme von Krediten zu erhöhen, dann versagt die demokratische Kontrolle der Wahlen. Man kann dann als Politiker Wählerstimmen dadurch gewinnen, dass man ein Mehr an Kollektivgütern oder Subventionen verspricht, ohne dass klar wird, wer letztendlich dieses Mehr an Staatsausgaben zu bezahlen hat.

 

Auch bei einer defizitären Finanzierung der Staatsausgaben müssen diese letztlich von den Bürgern bezahlt werden, da die für die Erstellung der Kollektivgüter benötigten Ressourcen für andere Verwendungen nicht mehr zur Verfügung stehen. De facto bezahlen die Bürger defizitär finanzierte Kollektivgüter durch einen Anstieg der Güterpreise, der bei einer Zunahme der Staatsverschuldung zu erwarten ist.