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Kommt es zu einer Renaissance des Dirigismus?

Ansätze zu einer allgemeinen Theorie zyklischer Aktivitäten

 

Teil II

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Die bisherige Entwicklung in den sozialen Leitbildern

3. Ursachen für den Wandel in Leitbildern und Wirtschaftspolitik

4. Wohlfahrtstheoretische Beurteilung dieses Wandels

5. Anzeichen für eine Wiederkehr des Dirigismus

 

 

 

3. Ursachen für den Wandel in den Leitbildern und in der Wirtschaftspolitik

 

Nachdem wir im ersten Teil dieser Abhandlung aufgezeichnet haben, dass sich sowohl Ideen, politische Maßnahmen wie auch die wirtschaftlichen Aktivitäten keinesfalls geradlinig, sondern in periodischen Schwüngen vollziehen, wollen wir uns in diesem zweiten Teil mit der Frage befassen, worauf diese Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen sind, welche Bestimmungsgründe das ‚Auf‘ und ‚Ab‘ in den Aktivitäten auslösen und welcher Zusammenhang zwischen den wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systemen besteht.

 

Hierbei sind zwei Problembereiche zu unterscheiden. Es gilt erstens aufzuzeigen, inwieweit in den angesprochenen Gesellschaftsbereichen (Wissenschaft, Politik und Wirtschaft) selbst die Ursachen für eine zyklische Bewegung in den Aktivitäten liegen. An zweiter Stelle gilt es dann zu überprüfen, inwieweit der zyklische Verlauf in diesen Aktivitäten dadurch beeinflusst wird, dass zwischen diesen drei Gesellschaftssystemen zahlreiche Wechselwirkungen bestehen.

 

Beginnen wir mit der erstgenannten Analyse. Schon sehr lange hatte sich in den Wirtschaftswissenschaften die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Marktwirtschaft durch konjunkturelle Bewegungen in den wirtschaftlichen Aktivitäten gekennzeichnet wird. Joseph Alois Schumpeter hat die Konjunkturbewegung in der Marktwirtschaft mit den eigentümlichen Bewegungen eines Schaukelstuhles verglichen, dessen Hin- und Herschaukeln in der Konstruktion dieses Möbelstückes begründet liege.

 

Allerdings setzte sich schon früh die Erkenntnis durch, dass im Rahmen einer Konjunkturtheorie immer nur einige wenige Grundlinien aufgezeigt werden können, dass es nicht möglich sei, genau zu bestimmen, wie stark ein Auf oder Abschwung sein wird und wie lange ein Konjunkturzyklus jeweils dauern wird. Die Versuche, im Sinne eines Konjunkturbarometers (Havardbarometer) die exakte Entwicklung in den volkswirtschaftlichen Daten vorherzusagen, wurden sehr bald als nicht möglich aufgegeben, Walter Eucken vertrat sogar die Auffassung, dass eine eigenständige Konjunkturtheorie zur Erklärung der Konjunkturbewegungen gar nicht möglich sei, da jede konkrete Konjunktur einmaliger Natur sei.

 

Es sind vor allem drei Fragestellungen, die im Rahmen einer Konjunkturtheorie zu klären sind. Es gilt erstens die Frage zu beantworten, warum das Entstehen eines Ungleichgewichtes nicht sofort einen Prozess einleitet, der diese Ungleichgewichte wiederum abbaut, warum während des Aufschwungs eine längere Zeit hinweg die Nachfrageüberhänge ansteigen und während des Abschwungs die Angebotsüberhänge zunehmen.

 

Eine zweite Frage ergibt sich daraus, wie sich denn die Konjunkturumschwünge erklären lassen, warum also z. B. ein mehrjähriger Aufschwung nicht weitergeht oder in eine Beibehaltung des bisherigen Aktivitätsniveaus einmündet oder warum jede Rezession und Depression eines Tages auch ohne größere staatliche Eingriffe wiederum zu Ende geht und schließlich in einen Aufschwung übergeht.

 

Drittens schließlich können sich konjunkturelle Bewegungen sowohl in realen (Güterproduktion und Beschäftigung) als auch in monetären Größen (Güterpreise, Lohnsätze und Zinsen) niederschlagen. Hier gilt es zu klären, warum sich Konjunkturbewegungen auch in realen Größen niederschlagen, warum es also nicht bei einer Korrektur lediglich der Güter- und Faktorpreise bleibt.

 

Die Tatsache, dass sich das ‚Auf‘ und ‚Ab‘ in der wirtschaftlichen Aktivität in einem Auf- und Abbau von Marktungleichgewichten niederschlägt, widerspricht zunächst einmal der Aussage der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, wonach Ungleichgewichte auf freien funktionierenden Märkten stets und sofort eine Tendenz zum Abbau eben dieses Ungleichgewichtes auslösen. Warum erhöhen sich also die Marktungleichgewichte über mehrere Jahre hinweg, bis dann die Gleichgewichtstendenz einsetzt und selbst wiederum schließlich über ihr Ziel hinausschießt und die Auf- oder Abwärtsbewegung nicht beendet, wenn das Ungleichgewicht abgebaut ist?

 

Auf diese erste Frage versucht die dynamische Theorie eine Antwort zu geben. Im Rahmen des Cobweb-Systems konnte gezeigt werden, dass auch bei Gültigkeit der Gleichgewichtsprozesse der Markt sich in rhythmischen Bewegungen dem Gleichgewicht annähert, ja dass sogar unter gewissen (allerdings recht unrealistischen) Bedingungen, der Marktprozess sich in zyklischen Bewegungen immer mehr vom Gleichgewicht entfernen kann. Unterstellen wir allerdings realistische Bedingungen, vor allem Lernfähigkeit der Marktpartner, können wir mit diesen Cobweb-Prozessen nur sehr kurzfristige rhythmische Bewegungen erklären.

 

Paul Samuelson hat im Rahmen seiner konjunkturtheoretischen Arbeiten aufgezeigt, dass bei Berücksichtigung sowohl des Einkommensmultiplikators wie auch des Akzelerators wiederum ein zyklischer Verlauf in der Einkommensbildung errechnet werden kann. Der Multiplikator gibt hierbei an, um das Wievielfache das Einkommen steigt, wenn die autonome Nachfrage z. B. der Investition um eine Einheit zunimmt. Er wird vorwiegend durch die Sparneigung (Stillegungsquote) einer Volkswirtschaft bestimmt. Der Akzelerator gibt hingegen an, welche Änderungen im Investitionsvolumen ausgelöst werden, wenn sich die Konsumnachfrage ändert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das Investitionsvolumen von der Veränderungsrate im Konsum bestimmt wird.

 

Wenn somit auch schon einfache Annahmen über die Reaktion der Marktpartner im Rahmen einer dynamischen Analyse das Zustandekommen zyklischer Bewegungen erklären können, müssen wir davon ausgehen, dass ein Großteil dieser Schwankungen einfach dadurch ausgelöst wird, dass politisch bedingt die Flexibilität der Marktpartner reduziert wurde. Eine automatische Gleichgewichtstendenz kann jedoch immer nur dann erwartet werden, wenn die Marktpartner elastisch auf Datenänderungen reagieren können.

 

Wenden wir uns nun der zweitgenannten Frage zu, warum es überhaupt zu einem Umschwung in den wirtschaftlichen Aktivitäten kommt. Hierbei ist weniger erklärungsbedürftig die Tatsache, dass ein Aufschwung einmal zu Ende geht, schließlich kann man davon ausgehen, dass die realen Möglichkeiten für ein Wachstum stets begrenzt sind und deshalb eines Tages erschöpft sind. Dies gilt vor allem dann, wenn wir mit Schumpeter unterstellen, dass der Aufschwung in den wirtschaftlichen Aktivitäten durch bestimmte Schlüsselerfindungen alimentiert wird, dass sich zwar fast immer eine Vielzahl von Einzelerfindungen um eine solche Schlüsselerfindung ranken, dass sich aber der Vorrat an Erfindungen im Zuge eines Aufschwungs notwendigerweise erschöpft.

 

In viel stärkerem Maße bedarf es einer Erklärung dafür, dass am Ende eines Aufschwungs der wirtschaftliche Prozess umkippt und nicht einfach in eine Stagnation (also Erhaltung des erreichten Niveaus) einmündet. Genau diese Annahme würde nämlich naheliegen, wenn wir die eben gerade besprochenen dynamischen Theorien (Cobweb-Theorem, Konjunkturtheorie von Samuelson) zugrunde legen. Sofern eine gedämpfte Schwingung vorliegt, endet dieser Prozess bei einem neuen Gleichgewicht.

 

Natürlich haben wir stets immer wieder mit neuen Datenänderungen zu rechnen, die wiederum zyklische Bewegungen auslösen, warum aber führen diese Datenänderungen immer wieder nach einem Aufschwung zu Abwärtsbewegungen (bzw. nach einem Abschwung zu Aufwärtsbewegungen). Man müsste eigentlich erwarten, dass gelegentlich auch immer wieder Datenänderungen eintreten, die einfach eine Weiterführung des bisherigen Prozesses auslösen.

 

Schumpeter versucht auf diese zweite Frage eine Antwort zu geben. Betrachten wir zunächst den Aufschwung. Wie bereits weiter oben angedeutet, wird der Aufschwung dadurch eingeleitet, dass einzelne Pioniere unter den Unternehmern bereit sind, die mit der Einführung von Erfindungen verbundenen Risiken auf sich zunehmen und dass darüber hinaus die Banken durch Giralgeldschöpfung und der hieraus erwachsenen Zinssenkung diese Investitionen mit Krediten unterstützen.

 

Der Aufschwung dauert entsprechend der Konjunkturtheorie von Schumpeter weiterhin an, da sich um eine Schlüsselerfindung eine Vielzahl von Einzelerfindungen ranken und da immer dann, wenn ein einzelner Unternehmer mit Innovationen begonnen hat und erfolgreich war, weitere Unternehmer mit Innovationen folgen werden.

 

Der Prozess geht aber eines Tages wiederum aus folgenden Gründen zu Ende. Sind nämlich die Investitionen eines Tages ausgereift, so verändert sich die Ungleichgewichtslage auf den Märkten aus zweierlei Gründen. Auf der einen Seite sind die Investoren nun in der Lage, die aufgenommenen Kredite wiederum zurückzuzahlen. Damit verringert sich die umlaufende Geldmenge und mit ihr die Güternachfrage. Auf der anderen Seite erhöht sich aufgrund der Kapazitätsausweitung das Güterangebot. Beide Entwicklungen führen zu einem Abbau des Ungleichgewichtes, die Preissteigerungen nehmen ab.

 

Zusätzlich kommt nun noch hinzu, dass in der Sonne des Aufschwungs auch Unternehmungen die Produktion aufnehmen konnten, die unter normalen Wettbewerbsbedingungen nicht in der Lage wären, die Produktion aufzunehmen und der Konkurrenz standzuhalten. Diese Unternehmungen konnten nur deshalb in den Markt eintreten, da der tatsächliche Zinssatz wegen der Geldschöpfung der Banken unter dem Gleichgewichtszins lag und da wegen Nachfrageüberhängen auf den Gütermärkten auch überteuerte Waren abgesetzt werden konnten.

 

In dem Maße, in dem wegen Verknappung der Geldmenge der Zins wiederum steigt und sich dem Gleichgewichtszins annähert und in dem der Nachfrageüberhang schwindet, können sich diese Unternehmungen auch nicht mehr im Markt halten, aufgrund zu hoher Kosten sind sie nicht in der Lage, den Preissenkungen der Konkurrenz zu folgen, sie machen Konkurs.

 

Aufgrund der Verflechtung der Unternehmungen und Wirtschaftszweige zieht ein Konkurs in dem einen Bereich weitere Absatzschwierigkeiten (z. B. in der Zulieferer­industrie) nach sich, mit der Folge, dass nun die Abwärtsbewegung über ihr Ziel hinausschießt, es entstehen nun Angebotsüberhänge, der Aufwärtstrend wird durch einen Abwärtstrend abgelöst.

 

Analoge Zusammenhänge tragen dazu bei, dass auch dieser Abwärtstrend eines Tages wiederum zu Ende geht und dass erneut eine Aufwärtsbewegung ausgelöst wird. Auch diese Umkehr kann erklärt werden. Auf der einen Seite gibt es bei Konkursen und Verlusten einzelner Unternehmungen immer auch Gewinner. Gerade weil die Anlagen der in Konkurs gehenden Unternehmungen nun zu einem Spottpreis verkauft werden müssen, vermindern sich die Kosten derjenigen, welche diese Anlagen aus den Konkursmassen aufkaufen. Für diese Unternehmungen verbessern sich aufgrund gesunkener Kosten die Chancen, Produkte wiederum zu gesunkenen Preisen zu verkaufen und damit ihre Absatzlage zu verbessern.

 

Auf der anderen Seite erklärt sich die Nachfragezurückhaltung im Abschwung vor allem auch damit, dass notwendige Käufe zurückgestellt werden, einmal deshalb, weil man hofft, in zukünftigen Perioden diese Güter noch billiger zu erhalten, aber zum andern natürlich auch deshalb, weil die Einkommen im Zuge des Abschwungs ebenfalls zurückgehen und deshalb weniger Geld für Käufe zur Verfügung steht. Der notwendige Bedarf kann jedoch nicht unbegrenzt zurückgestellt werden, man kann z. B. einen PKW auch noch eine begrenzte Zeit länger als ursprünglich geplant benutzen, irgendwann einmal wird jedoch ein neuer PKW dringend notwendig. Sind die realen Einkommen einige Jahre hindurch gesunken, wächst die Erwartung, dass mit wachsenden Einkommen gerechnet wird und damit auch wiederum die Bereitschaft, mehr Güter als bisher nachzufragen.

 

Diese Überlegungen gelten zunächst für die sogenannten Juglar-Wellen, welche etwa 8 - 9 Jahre dauern und die eigentlichen konjunkturellen Schwankungen darstellen. Kondratief hat nun nachgewiesen, dass es darüber hinaus auch längerfristige Schwankungen gibt, die etwa einen Zeitraum von circa 40 – 50 Jahren umfassen.

 

Schumpeter hat in seiner Konjunkturtheorie auch diese Zyklen zu erklären versucht. Er geht von großen Schlüsselerfindungen aus, welche mehrere Zyklen alimentieren können. Im ersten Zyklus, der einer Schlüsselerfindung zugeordnet werden kann, ist der Vorrat an Erfindungen noch groß, es werden auch zunächst diejenige Erfindungen ausgewählt, die am erfolgversprechendsten sind, deshalb ist der Aufschwung in diesen ersten Zyklen auch besonders groß.

 

Die darauf folgenden Zyklen verlieren an Kraft und die Aufschwünge in diesen nachfolgenden Zyklen sind also auch nicht mehr so groß wie die ersten. Nach etwa 3-4 Zyklen ist der Vorrat an nachfolgenden Erfindungen erschöpft. Wir befinden und deshalb dann in dem Tief eines Kondratief-Zyklus. Zum Wiederaufschwung bedarf es nun einer neuen Schlüsselerfindung.

 

Schließlich einige Worte zu der dritten Frage, warum sich denn in der Vergangenheit Abwärtsbewegungen vorwiegend in einem Rückgang der realen Größen wie Gütermengen und Beschäftigung äußerten und warum sich nicht die Schwankungen in den wirtschaftlichen Aktivitäten vorwiegend in den Preisen niederschlagen.

 

Der wohl wichtigste Grund für diese Entwicklung liegt sicherlich darin, dass in der Vergangenheit vor allem aus sozialen Gründen die Flexibilität in den Preisen und die Elastizität von Angebot und Nachfrage zurückgegangen sind. Nehmen wir das Beispiel einer expansiven Lohnpolitik, die den Unternehmungen in Abschwungs-phasen oftmals die Möglichkeit nahm, sich an die veränderte Absatzlage durch Preissenkungen anzupassen und gerade deshalb Konkurs gingen und damit wesentlich mehr Arbeitnehmer arbeitslos werden ließen, als dann, wenn die Unternehmer die Möglichkeit gehabt hätten, durch Preissenkungen einen größeren Absatzverlust zu vermeiden.

 

In gleicher Weise trägt auch eine rigorose Kündigungsgesetzgebung dazu bei, die Gefahr der Arbeitslosigkeit sogar noch zu vergrößern. Eigentlich wird mit dem Kündigungsschutz die Absicht verbunden, zu verhindern, dass Arbeitnehmer arbeitslos werden. Dieser Kündigungsschutz ist zwar notwendig, um willkürliche Entlassungen zu verhindern.

 

Gesamtwirtschaftlich trägt jedoch der Kündigungsschutz nicht dazu bei, auch nur einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Er begünstigt nur die bereits Beschäftigten zu Lasten der bereits Arbeitslosen und damit Arbeitssuchenden. Wird eine Unternehmung durch Kündigungsschutz daran gehindert, Arbeitskräfte auch dann nicht zu entlassen, wenn sie gar nicht mehr für die Produktion benötigt werden, verschlechtern sich die Möglichkeiten der Unternehmungen, sich an die veränderte Absatzlage anzupassen mit der Folge, dass mehr Unternehmungen als notwendig Konkurs gehen und dass auf diese Weise die Arbeitslosigkeit sogar ansteigt. Ein solcher rigoroser Kündigungsschutz ist gleichzeitig für die Unternehmungen mit Kosten verbunden und verringert damit die Nachfrage nach Arbeit.

 

Wohlbemerkt geht es hier nicht darum, dass die Ziele, um derentwillen diese Maßnahmen eingeleitet wurden, also solche unerwünscht sind. Es geht vielmehr allein darum, dass mit diesen Maßnahmen diese Ziele nicht erreicht werden können – die Arbeitnehmer werden hierdurch eher benachteiligt – und darüber hinaus dass auf diesem Wege unerwünschte Sekundärwirkungen auf andere wirtschaftspolitische Ziele (wie z. B. Wachstumsbeeinträchtigungen) erwartet werden müssen. Die verteilungs- und sozialpolitischen Ziele könnten sehr viel effizienter z. B. dadurch erreicht werden, dass man anstelle einer expansiven Lohnpolitik die Arbeitnehmer an den Unternehmungsgewinnen beteiligen würde. In diesem Falle würden die Arbeitnehmer angemessen am wirtschaftlichen Wachstum beteiligt, gleichzeitig könnte die Beschäftigung gesteigert werden.

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, inwieweit auch im politischen Subsystem zyklische Bewegungen in der Aktivität der Politiker beobachtet werden können. Auf solche zyklischen Bewegungen in der Aktivität der Politik hat vor allem William D. Nordhaus hingewiesen. Er erklärt das Vorhandensein politischer Zyklen vor allem mit der Vergesslichkeit der Wähler. Der Wähler achte bei seiner Stimmabgabe nur auf die Ereignisse, die unmittelbar vor einer Wahl eingetreten seien.

 

 

Die Politiker könnten deshalb Wählerstimmen dadurch gewinnen, dass sie kurz vor der Wahl durch Ausweitung des Budgetdefizites eine Zunahme der Gesamtnachfrage auslösten, aufgrund derer die Einkommen sowie die Beschäftigung kurzfristig anstiegen. Die Wähler hätten also ein Interesse daran, die Politiker zu wählen, welche solche beschäftigungspolitischen Maßnahmen eingeleitet oder zumindest (also Oppositionspartei) gefordert und in Aussicht gestellt hatten.

 

Unmittelbar nach der Wahl seien die jeweils regierenden Parteien bemüht, die Staatsfinanzen dadurch wiederum zu konsolidieren, dass sie eine restriktive Politik betrieben und auf diesem Wege die Defizite im Staatshaushalt zurücknehmen würden. Eine solche restriktive Politik sei notwendig, da auf lange Sicht eine defizitäre Politik zu Inflation und über die Inflation zu einem Rückgang im wirtschaftlichen Wachstum führe, sodass sich dann ohne Gegenmaßnahmen die Einkommen der Bürger wiederum langfristig verringern würden.

 

Diese restriktive Politik sei also zwar erforderlich, um das langfristige Wachstum aufrecht zu erhalten. Kurzfristig führe es jedoch wiederum vorübergehend zu Einkommensverlusten. Aufgrund der hohen Vergesslichkeit der Wähler könnten sich die Politiker eine solche Politik erlauben, da sich diese restriktive Politik annahmegemäß nicht negativ auf das Wählerverhalten bei der nächsten, erst in einigen Jahren stattfindenden Wahl auswirkt.

 

Dieses zyklische Verhalten mag auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass sich die Politiker in einer repräsentativen Demokratie genau so verhalten, wie es der Keynesianismus fordert: die Konjunktur durch Defizite und Überschüsse im Staatsbudget, also durch ein ‚go and stop‘ zu steuern. In Wirklichkeit glaubt jedoch Nordhaus nachweisen zu können, dass das von ihm nachgewiesene zyklische Verhalten der Politiker nicht in der Lage ist, die Konjunktur zu stabilisieren, sondern ganz im Gegenteil sogar zu einer Ausweitung in den zyklischen Konjunkturbewegungen führen müsse.

 

Wann nämlich die Politiker eine expansive und wann sie eine restriktive Politik verfolgen, hängt ganz allein von der Wahlperiode ab, die expansiven Maßnahmen werden unmittelbar vor einer Wahl, die restriktiven Maßnahmen hingegen unmittelbar nach einer Wahl eingeleitet. Wir können nicht davon ausgehen, dass die expansiven Maßnahmen gerade dann vorgenommen werden, wenn sie auch – entsprechend dem keynesianischen Konzept – aus konjunkturpolitischen Gründen notwendig wären.

 

Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass das durch die Wahlperiode vorgezeichnete Verhalten die Konjunkturausschläge vergrößere, also zu einer weiteren Destabilisierung beitrage. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil der Keynesianismus den Politikern Argumente lieferte, weshalb zumindest zeitweise ein Defizit im Staatsbudget aus gesamtwirtschaftlichen Gründen erwünscht sei.

 

Nun beziehen sich die Überlegungen von Nordhaus auf einen relativ kurzfristigen Zeitraum von etwa 4-5 Jahren, der üblichen Dauer einer Wahlperiode. Dieser Zyklus ist also in etwa – wenn auch mit einer unterschiedlichen Länge – mit dem Juglar-Zyklus zu vergleichen. Allerdings lässt sich im politischen Verhalten auch eine zyklische Bewegung feststellen, die sich über einen sehr viel längeren Zeitraum verbreitet und die sich eher mit den langfristigen Kondratief-Wellen vergleichen lässt. Es lässt sich nämlich feststellen, dass es einer bestimmten Partei oder einem bestimmten Parteienbündnis gelingt, über mehrere Wahlperioden hinweg die Wahlen zu gewinnen und damit die Regierung zu stellen. Irgendwann einmal kommt es jedoch zum Umbruch und es gelingt den Parteien, die bisher in der Opposition standen, die Wahlen zu gewinnen.

 

Ähnlich wie bei den wirtschaftlichen Konjunkturwellen lässt sich auch hier feststellen, dass der Vorsprung einer Partei in der Regel von Wahlperiode zu Wahlperiode schrumpft, bis dann diese Partei bei der nächsten Wahl als Verlierer hervorgeht. Genauso wie es im wirtschaftlichen Bereich Schlüsselerfindungen gibt, die in  der Lage sind, mehrere Konjunkturzyklen zu alimentieren, allerdings mit immer schwächer werdendem Aufschwung, gilt auch für den politischen Bereich, dass eine Partei durch einen grundlegenden Wandel in den Zielsetzungen und Maßnahmen an die Macht kommt und dass diese grundlegende politische Innovation wiederum ausreicht, dieser Partei die Vormachtstellung über mehrere Wahlperioden hinweg zu erhalten.

 

 

Dieser grundlegende Wandel kann einmal daher rühren, dass ein Land in gravierende Schwierigkeiten geriet, die es einfach notwendig machten, in der Politik eine Kehrtwendung zu vollziehen. Es mögen dann die Fehler der bisherigen Regierungsparteien sein, die diesen Wandel ausgelöst haben, die bisherigen Oppositionsparteien werden jedoch nur dann einen durchschlagenden Erfolg aufweisen, wenn es ihnen gelingt, den Wählern glaubhaft zu machen, dass sie die besseren Konzepte zur Lösung der anstehenden Probleme besitzen, dass sie also über eine größere Kompetenz verfügen.

 

Gerade aus diesen Gründen kann der Wandel auch dadurch ausgelöst werden, dass im wissenschaftlichen Bereich ganz neue Konzeptionen entwickelt wurden, die dann von einer Partei als erste aufgegriffen werden. Der Vergleich zu den Innovationen im wirtschaftlichen Bereich liegt nahe, da sich ja auch hier der Pionier unter den Unternehmungen einer Erfindung bedient, die in der Regel nicht von ihm selbst, sondern von irgendeinem Wissenschaftler entwickelt worden war. Die Pionierleistung eines Unternehmers besteht ja nicht darin, Erfindungen gemacht zu haben, sondern das mit der Einführung dieser Erfindung verbundene Risiko auf sich genommen zu haben.

 

Schließlich kann ein grundlegender Wandel in der Politik auch einfach daher rühren, dass es einer Partei gelungen ist, für die nächste Wahl einen Spitzenkandidaten zu gewinnen, der über genügend Charisma verfügt, um die Wähler zu überzeugen. Es gibt eben nicht nur im Unternehmerlager, sondern auch im Bereich der Politik Pioniere, denen es aufgrund ihres Charismas gelingt, Erneuerungen größeren Ausmaßes durchzusetzen.

 

Auch in der Frage, aus welchen Gründen dann der Erfolg einer Partei mit jeder neuen Wahl zurückgeht, lassen sich analoge Gründe wie beim Umbruch in einer Konjunkturbewegung feststellen. Auf der einen Seite sind die Probleme, aufgrund derer eine Partei an die Macht kam, in der Zwischenzeit gelöst und gerade aus diesen Gründen wird diese Partei nun weniger benötigt, oder aber der Vorrat an wirtschaftspolitisch überzeugenden Konzepten ist in der Zwischenzeit verbraucht, sodass auch dann, wenn die anstehenden Probleme noch nicht befriedigend gelöst sind, eine Abwahl den Wählern erwünscht erscheint. Oder aber das Charisma, das einen Politiker an die Spitze der Macht gebracht hat, ist verbraucht und schwindet.

 

Es ist eben etwas anders, vor den Wahlen einen Wandel in der Politik zu beschwören, als dann diesen Wandel durch konkrete Maßnahmen durchzusetzen. Um die Wähler vor einer Wahl zu überzeugen, dass ein Wandel notwendig ist, bedarf es der Fähigkeit, seine Wähler von den neuen Visionen zu überzeugen. Um die neuen Konzepte durchzusetzen, bedarf es ganz anderer Fähigkeiten, nämlich der Kenntnis der Sachzusammenhänge wie auch der Fähigkeit, Mehrheiten in den Parlamenten zu erringen.

 

Wir kommen nun zu den Gesetzmäßigkeiten bei der Entwicklung von Ideen, wobei wir uns bewusst auf wirtschaftswissenschaftliche Lehren beschränken wollen. Hegel hat die Vorstellung entwickelt, dass sich Ideen in dem Dreierschritt: These, Antithese und Synthese entwickelten. Es werde eine Idee vorgestellt, die dann zu einem Widerspruch Anlass gebe und aus der Auseinandersetzung von These und Antithese dann eine beide Ideen umfassende Synthese erwachse. Karl Marx ging zwar von dieser Hegelschen Philosophie aus, meinte jedoch, dass diese Vorstellung auf dem Kopf stehe und nun auf die Füße gestellt werden müsse, da die gesellschaftliche Entwicklung durch den Konflikt zwischen den materiellen Interessen und weniger durch den Widerspruch unterschiedlicher Ideen bestimmt werde.

 

Nun bezieht sich dieser Streit weniger auf die an dieser Stelle zu besprechende Frage, welchen Gesetzmäßigkeiten die Entwicklung von Ideen unterliegt, als vielmehr auf die später zu besprechende Frage nach den Wechselwirkungen zwischen den kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Subsystemen. Während Hegel von der Vorstellung ausging, dass die menschliche Geschichte vorwiegend durch Ideen weiter getrieben werde, war Marx der Meinung, dass der Konflikt zwischen den materiellen Interessen die gesellschaftliche Entwicklung bestimme und dass die Ideen lediglich einen geistigen Überbau darstellten, der von den einzelnen Interessenvertretern zur Rechtfertigung ihrer Interessen gebildet würden. Wir werden weiter unten auf diese Zusammenhänge nochmals zu sprechen kommen.

 

An den Hegelschen Überlegungen ist sicherlich so viel richtig, dass sich Ideen durch den Widerspruch, den sie zunächst erfahren, weiter entwickeln. Jeder, der eine These entwickelt, ist bemüht, die Kritik, die er erfährt, dadurch abzufangen, dass sie entkräftet wird, dass also aufgezeigt wird, dass bei einer Erweiterung des vorgetragenen Ideengebäudes die Kritikpunkte nicht mehr gelten.

 

Die These, dass sich Ideen durch Widerspruch weiterentwickeln, scheint auf den ersten Blick durch die geschichtliche Entwicklung auch bestätigt. Im ersten Teil dieses Artikels hatten wir gezeigt, dass die Ideen des Merkantilismus den Liberalismus hervorgerufen haben, dass die liberalen Vorstellungen dann einerseits von den Sozialisten anderseits von den Vertretern der historischen Schule kritisiert wurden und dass schließlich eine Renaissance des Liberalismus im Sinne einer Synthese entstand. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch im Zusammenhang mit dem Keynesianismus feststellen. Er entstand aus der Kritik an den klassischen Lehren, vor allem am Sayschen Theorem. Die Keynes-Lehre selbst wiederum führte zur Kritik von Seiten der Angebotstheoretiker.

 

Allerdings wird dieser erste Eindruck dadurch wiederum korrigiert, dass die Ablösung eines Leitbildes doch erst sehr viel später, zumeist erst nach Jahrzehnten erfolgt. Zunächst setzt sich eine Lehre für viele Jahre durch und beherrscht die wissenschaftliche Diskussion. Nachdem im Zeitalter des Absolutismus wirtschaftliche Lehrmeinungen vorwiegend von Merkantilisten und in Deutschland von Kameralisten vorgetragen wurden, wurde in der Folge die wirtschaftswissenschaftliche Landschaft von Liberalen bestimmt, es folgte dann eine lange Periode, in der in Deutschland nahezu alle wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühle von den Vertretern der historischen Schule besetzt wurden.

 

In der unmittelbaren Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurden an den meisten Hochschulen keynesianische Theorien vertreten, die neoliberalen Wissenschaftler bildeten daneben nur eine kleine Gemeinde, seit den 80er Jahren wandelte sich dieses Erscheinungsbild wiederum und die Positionen der Angebotstheoretiker beherrschten weitgehend die wissenschaftlichen Diskussionen.

 

Wir wollen also festhalten, dass zwar Theorien Widerspruch erregen und eines Tages auch zu einer Umkehr in der Lehre führen, dass sich aber die einzelnen Theoriegebäude wie Liberalismus und Sozialismus recht lange, zumeist über mehrere Jahrzehnte halten können. Also beobachten wir genauso wie in den wirtschaftlichen und politischen Systemen auch im wissenschaftlichen Bereich, dass die wissenschaftlichen Aktivitäten zyklisch voranschreiten, eine Idee wird geboren, breitet sich aus und bestimmt für viele Jahre die wissenschaftliche Diskussion und erst ab einer bestimmten Zeit kommt es dann zum Umbruch und die Lehren, die zwar schon lange entwickelt worden waren, aber lange Zeit Minderheitsmeinungen darstellten, werden nun zur führenden Richtung.

 

Für dieses Beharren in den Meinungen trotz sofort aufkommender Kritik mögen mehrere Faktoren verantwortlich sein. Zunächst wäre in diesem Zusammenhang die Bildung von wissenschaftlichen Schulen zu erwähnen. Die wissenschaftlichen Lehren werden vorwiegend auf Hochschulen vorgetragen, die Studierenden sind dann in des Wortes eigentlicher Bedeutung Schüler, die von ihren Lehrern lernen und ihre Gedankengänge übernehmen und weitertragen.

 

Für den wissenschaftlichen Nachwuchs unter den Studenten kommt noch hinzu, dass ja die Gruppe der Lehrstuhlinhaber im Wesentlichen über die Neubesetzung vakanter Lehrstühle entscheiden, sodass es auch im Interesse der Bewerber um einen Lehrstuhl liegt, die Meinungen dieser Lehrstuhlinhaber zu unterstützen. Es kommt so zu einer Ausbreitung bestimmter Lehrmeinungen.

 

Darüber hinaus ist festzustellen, dass fruchtbare Diskussionen zumeist zwischen Wissenschaftlern geführt werden, die gleiche Grundauffassungen vertreten. Natürlich gibt es auch berühmte Ausnahmen von dieser Regel. So hat sich z. B. Carl Menger als Vertreter der Neoklassik in berühmten Reden und Schriften mit den Lehren der historischen Schule auseinandergesetzt. Auch Milton Friedman hat sich – um ein zweites Beispiel anzuführen – offen mit den Lehren des Keynesianismus auseinandergesetzt. Auch für das Bemühen, Lehren der jeweils gegensätzlichen Richtung im Sinne einer Synthese zu übernehmen, gibt es berühmte Beispiele.

 

So war z. B. Walter Eucken darum bemüht, eine Synthese zwischen neoklassischen Positionen und den Lehren der historischen Schule herbeizuführen. Er gab den Vertretern der historischen Schule insoweit recht, als jede konkrete Situation einmaliger Natur sei, sie sei jedoch entstanden aus einem Mix unterschiedlichster Ordnungsmerkmale, welche als Einzelmerkmale sehr wohl allgemeinen Gesetzmäßigkeiten folgten.

 

Ein weiteres Beispiel für den Versuch einer Synthese finden wir auch bei Karl Schiller, der auf der einen Seite bemüht war, keynesianische Positionen im Rahmen der Konjunktur- und Wachstumspolitik zu verfolgen, der jedoch insoweit auch Gedankengänge der Freiburger Schule um Walter Eucken übernahm, als die Allokation der Ressourcen dem freien Markt überlassen bleiben sollte.

 

Solche Versuche bleiben jedoch Ausnahmeerscheinungen. Im Allgemeinen sind Diskussionen innerhalb einer Lehrmeinung sehr viel fruchtbarer als Streitgespräche zwischen Vertretern unterschiedlicher Lager. Die Grundpositionen der einzelnen Schulen unterscheiden sich im Allgemeinen in so gravierendem Maße, dass die Argumente der Gegenseite wohl kaum überzeugen.

 

Nehmen wir als Beispiel eine Diskussion über ein aktuelles Thema, bei dem eine Vielzahl von Grundannahmen die Entscheidung mitbestimmt. Wir können davon ausgehen, dass in den meisten dieser Grundannahmen zwischen den Vertretern gegensätzlicher Schulen Uneinigkeit besteht. Wird nun in einer aktuellen Diskussion über die Gültigkeit einer dieser Annahmen gestritten, so ist eine Einigung deshalb unwahrscheinlich, weil auch dann, wenn in dieser einen Annahme Einigkeit erzielt werden könnte, immer noch die Tatsache bestehen bleibt, dass fast in allen anderen Annahmen nach wie vor Uneinigkeit besteht. Man wird ein gesamtes Lehrgebäude nicht einfach deshalb über Bord werfen, weil sich erwiesen hat, dass sich ein kleiner Baustein als falsch erwiesen hat.

 

Umgekehrt ist die Chance einer Einigung sehr viel größer, wenn um Einzelpositionen zwischen Vertretern der gleichen Richtung gerungen wird. Auch dann, wenn man einräumen muss, dass eine einzelne Annahme falsch ist und korrigiert werden muss, bleibt trotzdem das Gesamtlehrgebäude bestehen, man kann die Gesamtlehre nun sogar unter Umständen besser verteidigen, weil nun gegen das revidierte Konzept weniger Kritikpunkte geäußert werden können.

 

Damit haben wir gezeigt, warum auch im wissenschaftlichen Subsystem damit gerechnet werden muss, dass sich bestimmte Grundideen über längere Zeit halten, auch dann, wenn seit Beginn vereinzelte Kritik gegen diese Positionen geäußert wurde. Wie kommt es nun aber trotzdem eines Tages zum Umbruch, also dazu dass eine ganz andere Grundüberzeugung zur herrschenden Lehre wird?

 

Ein Umbruch dürfte aus ähnlichen Gründen wie beim konjunkturellen Umbruch im wirtschaftlichen Subsystem eintreten. Wir haben dort gesehen, dass eine Schlüsselerfindung zwar eine Vielzahl von Einzelerfindungen alimentieren kann, dass aber mit jedem neuen Konjunkturzyklus der Vorrat an einsetzbaren Erfindungen immer kleiner wird, sodass ein weiterer Aufschwung nur eingeleitet werden kann, wenn eine neue Schlüsselerfindung gefunden wird.

 

Auch die Möglichkeiten, auf der Grundlage eines feststehenden Lehrgebäudes zu neuen Erkenntnissen zu kommen, sind natürlich begrenzt. Die Menge möglicher Lösungsvorschläge geht zurück und dies bedeutet, dass eine Schule immer weniger in der Lage ist, überzeugend neue Vorschläge zur Lösung eines anstehenden Problems anzubieten.

 

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wissenschaftliche Lehrgebäude konkret zur Lösung eines ganz bestimmten Problems gebildet wurden. Der Liberalismus war angetreten, um gegen die Auswüchse des Merkantilismus Sturm zu laufen. Die Überzeugungskraft dieser Ideen lässt automatisch nach, wenn es nahezu keinen merkantilistischen Eingriff mehr gibt.

 

Oder um ein zweites Beispiel zu erwähnen: Die keynesianische Lehre entstand, um die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. In Zeiten der Überbeschäftigung und der Bedrohung der Geldwertstabilität verlieren keynesianische Lehren an Überzeugungskraft, auch dann wenn die Schüler Keynes bemüht waren, den keynesianischen Denkapparat auch auf die Situation einer Überbeschäftigung auszuweiten.

 

Es ist also oftmals die veränderte politische oder wirtschaftliche Lage, die schließlich eine Umkehr in den wissenschaftlichen Lehrmeinungen erzwingt. Allerdings dürfen wir nicht erwarten, dass aufgrund der veränderten Situation neue Lehren wie Kaninchen aus dem Hut hervorgezaubert werden. Zumeist können diese in den Vordergrund rückenden Vorschläge auf Ideen zurückgeführt werden, die bereits früher entwickelt worden waren, aber damals nicht in der Lage waren, sich gegen die vorherrschenden Lehren durchzusetzen.

 

Es gibt Kollegen, welche immer dann, wenn ein Wissenschaftler einen angeblich neuen Plan vorstellt, darauf hinweisen, dass dieser Gedanke bereits sehr viel früher entwickelt worden war. So wurden z. B. gewisse Positionen des klassischen Liberalismus auch schon im Rahmen der Scholastik entwickelt. Sozialistische Gedankengänge wurden auch schon von den Frühsozialisten während der Französischen Revolution von 1789 vorgetragen, oft wird sogar davon gesprochen, dass bereits Moore mit seiner Utopia im Mittelalter sozialistische Forderungen formuliert habe.

 

Schließlich lässt sich auch die keynesianische Lehre auf eine Vielzahl von Unterkonsumtionstheorien zurückführen, welche – worauf vor allem Schumpeter hingewiesen hat – zu fast allen Zeiten bis hin zum klassischen Altertum vertreten wurden. Wenn man will kann man sogar die Grundpositionen des Liberalismus und Sozialismus auf die unterschiedlichen Lehren von Platon und Aristoteles zurückführen.

 

Friedrich Lutz hat einmal in einer seiner Vorlesungen die Meinung geäußert, dass er sich bei der Darstellung der Freihandelslehren keiner Illusion hingebe, die Politiker seien bereit, diese Konzeptionen zu verwirklichen. Er halte es jedoch für notwendig, diese Konzeptionen zu lehren. Es könne durchaus in Zukunft einmal eine Situation eintreten, in der die politische Landschaft für liberale Konzeptionen aufnahmefähig sei. Wenn nun diese Lehren wegen fehlender Aktualität in der Vergangenheit nicht mehr gelehrt worden wären, könnten sie auch nicht trotz Bereitschaft der Politiker umgesetzt werden, da niemand mehr diese Lehren kenne. Es sei also notwendig, diese Lehre an die Schüler weiterzugeben, damit sie dann, wenn die Zeit für eine Realisierung gekommen sei, es auch noch Wissenschaftler gibt, welche diese Positionen auch kennen und deshalb vertreten können.

 

Es bestehen also mit anderen Worten immer Bestrebungen, auch solche Gedankengänge weiterzugeben und weiterzuentwickeln, auch dann, wenn diese Ideen augenblicklich nicht zu den herrschenden Lehren zählen. So kann ein Umschwung – wenn notwendig – auch vollzogen werden, weil zu fast allen Zeiten Meinungen bestehen, welche der jeweils herrschenden Meinung zuwiderlaufen.

 

Kommen wir nun zu der Frage, welche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Subsystemen bestehen und inwieweit über diese Wechselwirkungen der zyklische Verlauf der Aktivitäten beeinflusst wird. Wir haben oben bereits die Auffassung Hegels erwähnt, dass letztendlich die Ideen den Lauf der Geschichte bestimmen, dass also eine einseitige Wirkung vom kulturellen Bereich zu den anderen gesellschaftlichen Subsystemen bestehe.

 

Und wir haben weiter gesehen, dass Karl Marx vermeinte, diese Hegelsche Auffassung stehe auf dem Kopf und müsse deshalb auf die Füße gestellt werden. Es sei der Widerstreit zwischen den materiellen Interessen, der den Lauf der Geschichte bestimme, die Ideen stellten lediglich den geistigen Überbau dar, es bestehe also eine einseitige Beeinflussung des wirtschaftlichen Systems auf den kulturellen Bereich.

 

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es vielfältige Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen gibt, dass die einzelnen Subsysteme ‚geben‘ und ‚nehmen‘ und auf diese Weise auch den zyklischen Verlauf der Aktivitäten in den einzelnen Subsystemen mitbestimmen.

 

Das wissenschaftliche System übt insofern Einfluss auf Politik und Wirtschaft aus, als die von Wissenschaftlern entwickelten Theorien von den Politikern übernommen werden und von diesen zur Einflussnahme auf den zyklischen Verlauf der Wirtschaft herangezogen werden. Das wichtigste Beispiel hierfür sind die Lehren von Keynes. Die Politiker machten sich diese Gedankengänge zu Eigen und versuchten auf der Grundlage dieser Theorien insbesondere die Auswirkungen der Konjunkturabschwünge auf die Beschäftigung zu verringern. Die keynesianische Konjunkturtheorie führt bekanntlich die Arbeitslosigkeit darauf zurück, dass die private Güternachfrage nicht ausreiche, alle arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmer zu beschäftigen und dass deshalb der Staat über Defizite im Staatshaushalt diese Nachfragelücke ausfüllen müsse.

 

Hierbei kann der Einfluss der Wissenschaft auf Politik und Wirtschaft über die unterschiedlichsten Kanäle laufen. Die Wissenschaftler beeinflussen das Geschehen in der Politik dadurch, dass sie die Politiker beraten, der Sachverständigenrat sowie die wissenschaftlichen Beiräte sind die wichtigsten Beispiele dieser Art von Einfluss. Ein zweiter Einflusskanal der Wissenschaft besteht darin, dass wissenschaftlich ausgebildete Akademiker in den staatlichen Behörden, in den Parteien sowie in den Verbänden und Großunternehmungen beschäftigt werden und auf diese Weise die Vorstellungen der Wissenschaft in die Praxis tragen. Ein dritter möglicher Einfluss erfolgt über die öffentlichen Medien, welche die Ideen der Wissenschaftler aufgreifen, unter das Volk bringen und auf diese Weise die Politiker unter Druck setzen, bestimmte Vorstellungen der Wissenschaft zu übernehmen.

 

Diese Einflusskanäle werden dadurch forciert, dass ein beachtlicher Teil der Wissenschaftler bestrebt ist, dass die eigenen Vorstellungen in der Politik und Wirtschaft angewandt werden. Sie werden sich deshalb bewusst mit den in der Öffentlichkeit diskutierten Problemfeldern befassen und Lösungsvorschläge ausarbeiten und dafür Sorge tragen, dass ihre Vorstellungen auch politisches Gehör erlangen.

 

Natürlich bedeutet dies nicht, dass die Politiker bereit sind, alle Vorschläge der Wissenschaft zu übernehmen, oftmals dienen die wissenschaftlichen Gutachten lediglich als Alibi für die Politiker. Sie benutzen die von Wissenschaftlern vorgetragenen Argumente als Beleg für die Richtigkeit ihrer Entscheidungen, ohne dass sie bereit waren, die von den Wissenschaftlern monierten Mängel in der Politik abzustellen.

 

Aber auch die von den Wissenschaftlern entwickelten Theorien hängen selbst wiederum vom politischen und wirtschaftlichen Geschehen ab. Auch hier sind recht unterschiedliche Einflusskanäle zu erwähnen. Der Umstand, dass jede wissenschaftliche Tätigkeit finanziert werden muss und dass in der Bundesrepublik der Löwen-anteil dieser Finanzierungsmittel aus Steuergeldern stammt, trägt dazu bei, dass auch die Politiker auf die wissenschaftlichen Ideen de facto Einfluss nehmen.

 

Natürlich gelten diese Überlegungen nicht im dem Sinne, dass bestimmte Lehren von den Politikern verboten werden oder dass den Wissenschaftlern befohlen wird, bestimmte Ideen zu vertreten. Schließlich gilt in der Bundesrepublik die durch das Grundgesetz geschützte Lehr- und Forschungsfreiheit. Diese Schlussfolgerungen gel­ten jedoch in dem Sinne, dass die Politiker bereit sind, bestimmte Forschungsobjekte zu finanzieren und damit automatisch die Startchancen der geförderten Wissenschaftler zu verbessern.

 

Ähnlich verlaufen die Einflusskanäle von Seiten wirtschaftlicher Organisationen. Auf der einen Seite werden wissenschaftliche Forschungsvorhaben teilweise auch durch private Spenden finanziert; hier dürfte der Einfluss der Praxis auf die wissenschaftlichen Ergebnisse sogar noch größer sein, da eine private Unternehmung sicherlich nicht bereit sein wird, Gutachten zu finanzieren, die nach Auffassung der Unternehmungsleitung ihren eigenen Interessen widersprechen.

 

Ein indirekter Einfluss der Wirtschaft auf die in der Wissenschaft vorgetragenen Ideen dürfte auch durch folgenden Zusammenhang erfolgen: Unternehmungen und Wirtschaftsverbände werden vorwiegend solche Akademiker einstellen, welche eine Ausbildung an den Universitäten erfahren haben, in welchen vorwiegend Lehrrichtungen entwickelt werden, welche die Existenz und Berechtigung der jeweiligen Organisation bejahen.

 

Unternehmerverbände werden sicherlich eher Akademiker einstellen, welche liberalen Theorien folgen, während eine Gewerkschaftsorganisation unter Umständen eher auf Akademiker zurückgreift, welche in den Lehren von Keynes unterrichtet wurden. Bei einem solchen Einstellungsverhalten in der Praxis haben Studenten ein Interesse daran, auch an den Hochschulen zu studieren, in denen die Lehren bevorzugt behandelt werden, die auch in der Praxis Anerkennung finden.

 

Auf die Wechselwirkungen zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen Subsystem sind wir bereits kurz eingegangen. Es ist das erklärte Ziel der Politiker, die Konjunktur zu stabilisieren, Maßnahmen zu ergreifen, welche auf eine Verringerung der Arbeitslosigkeit hinwirken und welche den Inflationsgrad vermindern. Insoweit versuchen die Politiker, den zyklischen Verlauf zu beeinflussen, entweder dadurch, dass der Umfang der Schwingungen reduziert wird oder zumindest die Dauer des Abschwungs verkürzt wird. Dies heißt natürlich nicht, dass die Politiker stets geeignete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele einsetzen. Oftmals werden recht ungeeignete Maßnahmen zur Konjunkturstabilisierung eingesetzt.

 

Auf der anderen Seite üben die zyklischen Bewegungen in den wirtschaftlichen Aktivitäten Einfluss auf das politische Verhalten aus. Kommt es zu einer Depression und steigt im Zuge dieser Depression die Arbeitslosigkeit, so sehen sich die Politiker gezwungen, Maßnahmen zur Konjunkturbelebung zu ergreifen. Politiker, die nicht bereit wären, konjunkturpolitisch tätig zu werden, würden Gefahr laufen, bei der nächsten Wahl abgewählt zu werden.

 

Auch hier muss damit gerechnet werden, dass die Erfolgsaussichten eines Politikers nicht unbedingt davon abhängen, ob sie auch geeignete Maßnahmen zur Konjunkturstabilisierung ergreifen. Wir haben davon auszugehen, dass die wirtschaftlichen Zusammenhänge sehr komplex sind und dass deshalb der größte Teil der Wähler gar nicht in der Lage ist zu beurteilen, inwieweit die von den Politikern durchgeführten Maßnahmen auch tatsächlich die erwünschte Wirkung zeigen. Für den Wahlerfolg eines Politikers kommt es vielmehr darauf an, ob es ihm gelingt, bei den Wählern den Eindruck zu erwecken, dass seine Maßnahmen erfolgreich sind. Zwischen Sein und Schein kann jedoch ein großer Unterschied bestehen.

 

Auch besteht die Gefahr, dass Politiker in einen reinen Aktivismus verfallen, dass es viel wichtiger gehalten wird, dass etwas getan wird, dass es aber auf die Erfolgsaussichten dieser Handlungen gerade wegen des Unvermögens der meisten Wähler, die Erfolgsaussichten realistisch zu beurteilen, weniger ankommt. In diesem Zusammenhang besteht nur die Hoffnung, dass sich auf sehr lange Sicht erweisen wird, welche Maßnahmen erfolgreich und welche nicht erfolgreich gewesen sind.

 

Schließlich gilt es ein weiteres zu bedenken. Erfolgreiche Maßnahmen zeichnen sich sehr oft dadurch aus, dass sie kurzfristig zu Belastungen der Wähler führen und gerade aus diesen Gründen äußerst unpopulär sind, mit der Folge, dass die  Politiker mit diesen Maßnahmen keine Wählerstimmen gewinnen können, unabhängig davon ob auf lange Sicht diese Maßnahmen notwendig und erfolgversprechend sind. So besteht unter Wissenschaftlern weitgehend Einigkeit darüber, dass die von der Regierung Schröder eingeleiteten Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt eine notwendige Voraussetzung dargestellt haben, die strukturelle Arbeitslosigkeit auf lange Sicht zu überwinden. Dieses Maßnahmenpaket war jedoch gleichzeitig verbunden mit zahlreichen Kürzungen in den vom Staat gewährten Sozialleistungen.

 

Dass diese Maßnahmen äußerst unpopulär waren, geht schon daraus hervor, dass sich die Politiker fast aller Parteien veranlasst sahen, einen Teil dieser Maßnahmen wieder zurückzunehmen, obwohl gerade dadurch die Erfolgsaussichten für eine nachhaltige Reduzierung in der Arbeitslosigkeit wiederum vermindert wurden. Ob es bereits gelungen ist, die strukturelle Arbeitslosigkeit zu reduzieren, lässt sich nicht bereits dadurch zeigen, dass in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs die Arbeitslosigkeit zurückgeht, sondern wird sich erst erweisen, wenn in  Zeiten des Konjunkturabschwungs insgesamt mit wesentlich weniger Arbeitslosigkeit gerechnet werden kann.

 

Fortsetzung folgt!