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Kommt es zu einer Renaissance des Dirigismus?

Ansätze zu einer allgemeinen Theorie zyklischer Aktivitäten

 

Teil III

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Die bisherige Entwicklung in den sozialen Leitbildern

3. Ursachen für den Wandel in Leitbildern und Wirtschaftspolitik

4. Wohlfahrtstheoretische Beurteilung dieses Wandels

5. Anzeichen für eine Wiederkehr des Dirigismus

 

 

4. Wohlfahrtstheoretische Beurteilung dieses Wandels

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen beschränkten wir uns auf die Frage, wie sich die Aktivitäten in den einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen entwickeln, worin die wichtigsten Bestimmungsgründe für einen zyklischen Verlauf der Aktivitäten liegen und welche Wechselwirkungen in diesen Bewegungen zwischen den einzelnen Subsystemen bestehen. Wir wollen uns nun in einem nächsten Schritt der Frage zuwenden, wie denn diese Bewegungen zu bewerten sind.

 

Nun könnte man von der Tatsache ausgehen, dass wir in allen gesellschaftlichen Subsystemen solche zyklischen Schwankungen beobachten. Und da wir niemals in der Lage sein werden, solche Bewegungen zu beseitigen, könnte man zu dem Schluss kommen, dass wir uns eben mit diesen Schwankungen abzugeben haben und dass es deshalb wenig Sinn habe, über den Vor- und Nachteil solcher Zyklen nachzusinnen.

 

Allerdings dürfte es zwar richtig sein, dass wir wohl zu allen Zeiten mit Schwankungen leben müssen, dass wir aber sehr wohl in der Lage sind, den Umfang und die Dauer dieser Schwankungen zu verringern und die schlimmsten Nachteile solcher Bewegungen zu reduzieren, so dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nach zu sinnen, worin die Nachteile solcher Zyklen bestehen und welche Bestandteile dieser Schwankungen deshalb möglichst reduziert werden sollten.

 

Beginnen wir mit der Bewertung konjunktureller Schwankungen im wirtschaftlichen Subsystem. Hier scheint auf den ersten Blick eine Beurteilung für die meisten Beobachter festzustehen. Konjunkturelle Abschwünge sind mit einer Reduzierung in der materiellen Wohlfahrt (oder vielleicht auch nur der jährlichen Zuwachsrate des Wachstums) verbunden und sind deshalb negativ einzustufen. Rezessionen und Depressionen werden aber insbesondere als unerwünscht angesehen, da sie zu einer Zunahme in der Arbeitslosigkeit führen.

 

In gleicher Weise müsste man konjunkturelle Aufschwünge begrüßen, da sie einerseits den durchschnittlichen materiellen Wohlstand der Bürger erhöhen und andererseits die Arbeitslosigkeit verringern helfen. Nur dann, wenn es gegen Ende des Aufschwungs zu allgemeinen starken Preissteigerungen kommt, wird man in dieser Gefährdung der Geldwertstabilität Gefahren sehen, da bei Inflation das langfristige Wachstum gefährdet ist und da jede Inflation mit mehr oder weniger großen Ungerechtigkeiten in der Einkommensverteilung verbunden ist.

 

Nun hatte bereits Joseph Alois Schumpeter in seiner Konjunkturtheorie darauf aufmerksam gemacht, dass den konjunkturellen Schwankungen in der wirtschaftlichen Aktivität, vor allem den Veränderungen in den Preisen sehr wohl eine gesamtwirtschaftliche, positiv zu bewertende Funktion zukommt und dass deshalb das Ziel der Geldwertstabilität weniger für das einzelne Jahr als vielmehr für den gesamten Konjunkturzyklus angestrebt werden sollte.

 

Preissteigerungen machen darauf aufmerksam, dass die Knappheit vor allem in den Rohstoffen ansteigt und dass es deshalb notwendig wird, die Nachfrage nach diesen Gütern zu verringern. Preissenkungen hingegen tragen dazu bei, dass all die Unternehmungen, die in Zeiten des Aufschwungs ineffiziente Produktionen eingeleitet haben, wiederum vom Markt verdrängt werden. Es findet also zumeist in der ersten Phase eines Abschwungs eine Art notwendiger Reinigungsprozess statt.

 

Ein konjunktureller Aufschwung führt zu Nachfrageüberhängen, dies bedeutet, dass die Konkurrenz zwischen den Unternehmungen nachlässt, dass auch solche Unternehmungen in den Markt eintreten und die Produktion aufnehmen können, welche unter normalen Wettbewerbsbedingungen gar nicht wettbewerbsfähig wären, dass sie also mit Kosten produzieren müssten, welche über dem Konkurrenzpreis liegen. Aufgrund der Nachfrageüberhänge in Zeiten des Konjunkturaufschwungs könnten sich auch unproduktive Unternehmungen im Markt halten, da sie jeden noch so hohen Preis verlangen können. Diese Unternehmungen gilt es im Abschwung wiederum aus dem Markt zu werfen.

 

Die Preissenkungen in der Nähe des Tiefpunktes eines Abschwungs tragen selbst wiederum dazu bei, dass Rohstoffe und Industrieanlagen zu so billigen Preisen erworben werden können, dass das mit der Einführung neuer Techniken verbundene Risiko sinkt und dass deshalb die Wahrscheinlichkeit steigt, dass immer mehr Pioniere auftreten, die bereit sind, diese Risiken zu übernehmen. Damit werden jedoch die Voraussetzungen geschaffen, dass es schließlich zu einem neuen Konjunkturaufschwung kommen kann.

 

Auch Charles L. Schulze hat darauf hingewiesen, dass ein bestimmtes Ausmaß an Preissteigerungen aus allokationspolitischen Gründen erwünscht sein kann, da Preissenkungen oftmals aus machtpolitischen Gründen unterbleiben. Die notwendige Anpassung der Preisverhältnisse an die Knappheitsverhältnisse könne dann, wenn keine Preissenkungen mehr möglich werden, eben dadurch erreicht werden, dass die Preise anderer Güter ansteigen. Man müsse also ein bestimmtes Maß an Inflation in Kauf nehmen.

 

Eine Deflation, also eine Reduzierung des Durchschnitts der Preise wird im Allgemeinen als unerwünscht angesehen, da diese Preissenkungen den Spielraum der Unternehmungen für eine Ausweitung der Produktion verringern. Milton Friedman hat jedoch daraufhin gewiesen, dass eine Deflation die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft vergrößere. Der Zuwachs in der Wohlfahrt könne nämlich bei sinkenden Preisen gerechter auf alle Marktbeteiligten aufgeteilt werden.

 

Werden Wachstumsgewinne vorwiegend durch Erhöhungen der Einkommen weitergegeben, dann kommen nur diejenigen in den Genuss dieser Wohlfahrtsgewinne, welche sich in Interessengruppen zusammenschließen können und durch Einsatz von Macht eine Beteiligung erzwingen können. Bei einer Preissenkung hingegen werden alle Konsumenten im Prinzip an der Wohlfahrtssteigerung beteiligt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Unternehmungen durch Wettbewerb gezwungen werden, Kostensenkungen in Preissenkungen weiter zu geben.

 

Trotz dieser positiven Bewertungen von konjunkturellen Auf- und Abschwüngen bleibt natürlich bestehen, dass Arbeitslosigkeit unerwünscht bleibt und dass alles getan werden sollte, um zumindest Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden und dass auch Inflationen größeren Umfangs zu sehr ungerechten Umverteilungsprozessen führen.

 

Nun hatten wir bisher stillschweigend unterstellt, dass Konjunkturabschwünge stets mit einer Verringerung in den Gütermengen und damit auch in der Beschäftigung verbunden sind. Es mag zwar richtig sein, dass keine konjunkturellen Abschwünge denkbar sind, welche sich allein in Preisbewegungen, aber nicht in einer Reduzierung der realen Größen wie Gütermengen und Beschäftigung äußern. Trotzdem müssen wir uns darüber klar werden, dass das in den letzten Jahrzehnten festgestellte Übergewicht der Veränderungen in den realen Größen keinesfalls selbstverständlich ist und dass in der Anfangsphase der hochentwickelten Industrienationen konjunkturelle Schwankungen in der Hauptsache aus Korrekturen in den Güter- und Faktorpreisen bestanden.

 

Bei solchen Schwankungen in den Preisen überwiegt jedoch eindeutig der Vorteil, da diese Preiskorrekturen in erster Linie eine Anpassung der Preisverhältnisse an die veränderten Knappheitsverhältnisse darstellen. Eine Preiserhöhung bei einem Gut, das knapp geworden ist, stellt zwar in absolutem Sinne einen schmerzhaften Verlust dar, der aber langfristig gesehen geringer ausfällt als dann, wenn diese notwendigen Preiskorrekturen nicht vorgenommen worden wären, wenn sich die Knappheit auf lange Sicht verewigen würde. Die Preissteigerungen sind das beste Mittel dafür, dass Anreize gesetzt werden, diese Knappheit möglichst schnell zu überwinden. Die Anbieter erhalten Anreize, mehr von diesen Gütern zu produzieren und anzubieten, die Nachfrager sind angehalten, ihre Bedürfnisse mit anderen, weniger knappen Gütern zu befriedigen.

 

Dass sich in den letzten Jahrzehnten die konjunkturellen Abschwünge vorwiegend in Güter- und Beschäftigungsrückgängen und gleichzeitig die konjunkturellen Aufschwünge vorwiegend in monetären Steigerungen niederschlagen, liegt vor allem darin, dass die Flexibilität und Elastizität der Marktpartner aus mehreren Gründen zurückgegangen ist. Ein Markt arbeitet aber nur dann effizient, wenn die Datenänderungen möglichst schnell zu Preisanpassungen führen und wenn diese wiederum möglichst schnell zu einer Anpassung im Angebot und in der Nachfrage führen.

 

Ein erster Grund für einen Rückgang in der Flexibilität der Preise und der Elastizität von Angebot und Nachfrage liegt darin, dass schnelle Marktkorrekturen aus sozialpolitischen Gründen politisch verhindert werden. So besteht ein Kündigungsschutz, der es den Unternehmungen schwerer macht, möglichst schnell auf die Verschlechterungen in der Absatzlage zu reagieren, die Löhne werden für die Dauer eines Tarifvertrages (zumeist für ein oder zwei Jahre) festgeschrieben, sodass auch hier wiederum bei einem konjunkturellen Abschwung die Kosten nicht ausreichend vermindert werden können und sich deshalb die Abschwünge notwendigerweise auf eine Reduzierung in den realen Größen auswirken müssen. Ein noch so weitgehender Kündigungsschutz ist aber dann nicht in der Lage, die Unternehmungen vor einem Konkurs zu bewahren und führt dann im Endergebnis doch wiederum zu zahlreichen Entlassungen.

 

Wohlbemerkt geht es in diesem Zusammenhang nicht um die Frage, ob diese sozialpolitischen Ziele berechtigt sind, sondern allein darum, mit welchen politischen Mittel diese Ziele angegangen werden. Eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmergewinn könnte sicherstellen, dass die Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Wachstum angemessen beteiligt werden, ohne dass hierdurch die Anpassungsfähigkeit der Unternehmungen verschlechtert würde. Gleichzeitig würde eine Gewinnbeteiligung den Beschäftigungsgrad erhöhen. Ein Kündigungsschutz, der nur dann greift, wenn eine Kündigung aufgrund einer monopolistischen Machtstellung ausgesprochen wird und Kündigungen zulässt, welche zur Anpassung einer Unternehmung an die veränderte Absatzlage notwendig ist, würde auf der einen Seite die Arbeitnehmer vor Willkür der Arbeitgeber schützen und trotzdem nicht die Flexibilität und Elastizität der Märkte beeinträchtigen.

 

Eine Verminderung in der Flexibilität der Märkte ist in den letzten Jahrzehnten aber nicht nur aufgrund sozialpolitischer Maßnahmen ausgelöst worden. Auch der Konzentrationsprozess und die damit verbundene Tendenz zum Großbetrieb haben zu Unbeweglichkeit der Unternehmungen beigetragen. Durch diese Tendenz ist nämlich der Anteil der Fixkosten an den Gesamtkosten enorm gestiegen. Immer größere Anlagen werden zur Produktion genutzt.

 

Die Folge davon ist, dass die Produktionsmenge, bei der das Kostenminimum erreicht wird, immer weiter hinausgeschoben wird und dass deshalb immer mehr Unternehmer in dem Kostenbereich produzieren, in dem die Durchschnittskosten einen fallenden Verlauf aufweisen. Die Unternehmungen wählen bei ihren Investitionen bewusst eine Anlagengröße, welche den augenblicklichen Absatz übersteigt, in der Erwartung, dass in den zukünftigen Perioden die Produktion ausgedehnt werden kann.

 

Kommt es nun zu Absatzkrisen, so steigen mit dem Rückgang in der Produktion die Durchschnittskosten an, die Unternehmungen versuchen diese Kostensteigerungen durch Güterpreissteigerungen abzufangen. Eben diese Preissteigerungen verhindern jedoch, dass die Angebotsüberhänge abgebaut werden. Die Konsumenten werden aufgrund der Preissteigerungen ihre Nachfrage weiter einschränken, obwohl ein Abbau des Ungleichgewichtes eben nur möglich wäre, wenn die Nachfrage ausgeweitet würde.

 

Es kommt nun zu den in den letzten Jahrzehnten festgestellten Stagflationserscheinungen, die auch die Erfolgsaussichten einer keynesianisch orientierten Konjunkturpolitik zunichtemachen. Man kann nicht zur gleichen Zeit Gas geben, um eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit zu vermeiden und gleichzeitig bremsen, um den gleichzeitig stattfindenden inflatorischen Tendenzen entgegen zu wirken.

 

Wenden wir uns nun der Bewertung zyklischer Aktivitäten im Bereich der Politik und der Wissenschaft zu, wobei wir uns wiederum im wissenschaftlichen Subsystem auf die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beschränken wollen und hier den Gegensatz zwischen dirigistischen und freiheitlichen Leitbildern in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen wollen.

 

Sicherlich können wir für diese beiden gesellschaftlichen Subsysteme keine so deutliche Übereinstimmung feststellen, wie wir dies bei der Bewertung der konjunkturellen Schwankungen feststellen konnten. Je nach Standpunkt des Betrachters wird der Niedergang der eigenen Partei oder des eigenen Weltbildes anders beurteilt als der Niedergang der gegnerischen Parteien oder Weltbilder.

 

Für ein CSU-Parteimitglied oder auch CSU-Anhänger stürzte die Welt zusammen, als die CSU nach mehreren Jahrzehnten die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen verloren hatte und ein überzeugter Liberaler wird von sehr bedenklichen Entwicklungen sprechen, wenn er feststellen muss, dass immer mehr Wissenschaftler dirigistische Maßnahmen für notwendig erachten.

 

Umgekehrt gilt natürlich auch, dass die Zunahme der links orientierten Parteien in den Parlamenten von den Anhängern dieser Gruppierungen begrüßt wird und dass auch bei einem Rückgang liberaler Vorstellungen diese Entwicklung von Keynesianern ausdrücklich als positiv eingestuft wird.

 

Wir wollen uns trotzdem an dieser Stelle um einen übergeordneten Standpunkt bemühen und den Versuch machen, den Sinn oder Unsinn zyklischer Bewegungen im politischen und wissenschaftlichen Bereich zu eruieren. Wir wollen mit Joseph Schumpeter unterstellen, dass die Politiker in erster Linie bemüht sind, an die Macht zu kommen und alle ihre politischen Bemühungen diesem Ziel unterordnen.

 

Wir wollen aber gleichzeitig unterstellen, dass ein starker Wettbewerb der Parteien um die Wählergunst besteht und dass dieser Wettbewerb die Politiker unter Druck setzt, diejenigen Maßnahmen zu versprechen, welche der Mehrheit der Wähler zugutekommen, sodass also auf diesem Umweg doch wiederum die Gesamtwohlfahrt der Bevölkerung (gemessen an der Meinung der Mehrheit der Wähler) zum Zuge kommt. Wir wollen auch unterstellen, dass die Parteien, welche auf dem Boden der Demokratie stehen, bereit sind, Verfassung und Gesetze sowie die Spielregeln der Fairness in einer Demokratie anzuerkennen.

 

Der Unterschied der Parteien untereinander bestehe deshalb weniger in den grundlegenden Zielen, sondern eher in der Frage, auf welchem Wege und mit welchen Instrumenten die von allen anerkannten Gemeinwohlziele erreicht werden sollen. Wir wollen auch berücksichtigen, dass in der Realität immer Kompromisse geschlossen werden müssen und dass die reine Lehre deshalb auch niemals realisiert werden kann.

 

Wir gehen nun weiterhin davon aus, dass jede von einer Partei oder einem Weltbild angewandten Methode einer Brille gleicht, die mehr oder weniger rosarote Gläser besitzt, aufgrund derer immer nur ein Teil der gesamten Wirklichkeit beleuchtet wird, während andere Problemkreise unterbelichtet sind und nicht beachtet werden, unabhängig davon, wie groß diese Teile jeweils sind.

 

Unter diesem übergeordneten Gesichtspunkt kann es durchaus als erwünscht und sogar notwendig erscheinen, dass politische Richtungen von Zeit zu Zeit von entgegengesetzten Strömungen abgelöst werden. Je länger nämlich eine Partei die Regierung bildet, umso mehr werden aus diesen Gründen bestimmte Problemfelder vernachlässigt. Es entsteht dann ein Problemstau und es wird aus übergeordneter Sicht immer notwendiger und erwünschter, dass eine andere Richtung an die Macht kommt und sich diese Gruppe bisher benachteiligter Problemfelder annimmt. Da aber auch diese Partei in gewisser Weise einseitig vorgeht und bestimmte nun andere Problemfelder vernachlässigt, wird es nach einiger Zeit wiederum vorteilhaft, wenn auch diese Regierungen abgewählt werden.

 

Es ist aber nicht nur die Tatsache, dass jede konkrete Partei oder jedes konkrete Weltbild Einseitigkeiten enthält, die einen Wechsel in der Macht für erwünscht sein lässt. Jeder, der an die Macht kommt, verliert mit der Zeit an Schwung und Durchsetzungskraft, verbraucht sich also, sodass auch ein Politiker, der zunächst über ausreichend Charisma und Überzeugungskraft zu Beginn seiner Regierungszeit verfügte, mit der Zeit Charisma und Überzeugungskraft verliert.

 

Auf der einen Seite wissen wir, dass Macht korrumpiert und je länger eine Person über Macht verfügt, umso wahrscheinlicher wird es, dass die Macht missbraucht wird, z. B. um die eigenen Interessen zu fördern oder verwandte oder befreundete Personen in politische Ämter zu hieven, auch dann, wenn andere Bewerber um diese Posten bessere Voraussetzungen erfüllen.

 

Auf der anderen Seite besteht immer auch ein innerparteilicher Wettstreit um die höchsten Parteiämter. Die Tatsache, dass ein Parteiführer bereits sehr lange diese Aufgaben erfüllt, bringt es mit sich, dass andere Parteimitglieder immer stärker auf eine Ablösung drängen und sich immer stärker gegen die Führungsspitze aussprechen. Gerade die Tatsache, dass sich die politischen Fähigkeiten abnützen und dass Macht zum Machtmissbrauch verleitet, hat ja die Vordenker der repräsentativen Demokratie veranlasst, dass Politiker immer nur für eine kurze Amtsperiode gewählt werden sollen und dass deshalb die Bevölkerung immer die Möglichkeit haben muss, bei der nächsten Wahl die regierenden Parteien abzuwählen, wenn sie mit den Leistungen der Regierung nicht mehr zufrieden ist.

 

Damit haben wir erklärt, dass es aus einem übergeordneten Standpunkt durchaus erwünscht sein kann, dass nach einer gewissen Zeit ein Wechsel in den Regierungen und Weltbildern stattfindet. Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, wie es denn wiederum aus diesem übergeordneten Standpunkt zu beurteilen ist, dass nach aller Erfahrung eine Partei – zumindest dann, wenn sie gute Arbeit verrichtet hat – für mehrere Wahlperioden wieder gewählt wird und deshalb im Amt bleibt.

 

Man könnte ja versucht sein, gerade deshalb, weil die Gefahr des Machtmissbrauchs sehr groß ist, eine Lösung zu präferieren, bei der eine Partei immer nur eine Periode die Regierung führen darf. In der Tat kennen ja viele Verfassungen die Bestimmung, dass das Oberhaupt eines Staates allenfalls einmal wiedergewählt werden darf, auch dann, wenn feststehen würde, dass der bisherige Amtsinhaber eindeutig den anstehenden neuen Kandidaten sachlich überlegen wäre.

 

Bei den allgemeinen Parlamentswahlen wird wohl zu Recht diese Begrenzung nicht vorgesehen und die Möglichkeit eingeräumt, dass Parteien auch mehrere Amtsperioden hintereinander die Regierung stellen können, sofern sich nur die Mehrheit der Wähler für diese Parteien ausspricht. Wir müssen nämlich berücksichtigen, dass die zu lösenden Probleme oftmals einen solchen Umfang annehmen, dass es nicht möglich ist, ein Problem in einer Legislaturperiode allein zu lösen. Im Allgemeinen bedarf es nämlich einer Vielzahl von Maßnahmen, um ein Problem nachhaltig zu lösen.

 

Allerdings lassen sich in den zyklischen Bewegungen durchaus auch Entwicklungen beobachten, die gerade aus einem übergeordneten Standpunkt als negativ beurteilt werden müssen. So lässt sich als erstes feststellen, dass Parteien, welche erneut an die Macht gekommen sind, oftmals in die gleichen Fehler verfallen, die sie in der Vergangenheit schon einmal gemacht haben. Von Kindern sagt man bisweilen, dass sie nicht bereit seien, die Ermahnungen der Erwachsenen und vor allem ihrer Eltern ernst zu nehmen, dass sie zunächst die gleichen Fehler machen müssten, die auch schon ihre Eltern gemacht hatten, als sie noch jung waren, dass Menschen vorwiegend nicht aus den Fehlern anderer, sondern aus den eigenen Fehlern lernen würden.

 

Diese Überlegungen mögen für die Frage, wie der Mensch am Anfang seines Erziehungsprozesses reagiert, einen gewissen kleinen Wahrheitskern enthalten, es ist aber  sicherlich nicht berechtigt, diese Erfahrungen auf das mögliche und notwendige Verhalten einer gesamten Gesellschaft zu übertragen. Die Menschheit konnte ihren gewaltigen Wissensstand nur dadurch erreichen, dass die Erfahrungen der früheren Generationen an die jeweils jüngeren Generationen weitergegeben wurden und dass die jeweils jüngeren Generationen auf dem angesammelten Wissen der bisherigen Genrationen aufgebaut haben.

 

Einen Fortschritt wird es nur geben, wenn die Parteien, die an die Macht gelangen, auch bereit sind, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Zwar mögen es in erster Linie die Fehler der gerade abgelösten Politiker sein, die dazu beigetragen haben, dass die bisherige Opposition nun die Regierung übernehmen kann. Aber auch die meisten Parteien, welche aus den jüngsten Wahlen als Sieger hervorgegangen sind, wurden einmal in der Vergangenheit aufgrund der von ihnen ausgelösten Fehler abgewählt.

 

Es wäre verhängnisvoll, wenn diese Parteien aus ihren Fehlern nicht gelernt hätten und mit den gleichen Programmen dort fortfahren würden, wo sie durch Abwahl abgelöst wurden. Es sind allerdings nicht nur die Fehler der Vergangenheit, die eine Reform und Weiterentwicklung notwendig machen. Eine Weiterentwicklung der Parteiprogramme ist schon deshalb notwendig, weil immer wieder neue Probleme auftauchen, für die auch neue Konzepte entwickelt werden müssen und weil darüber hinaus unser Kenntnisstand über die möglichen Therapien für gesellschaftliche Probleme zunimmt. Auch im Bereich der Politik und Wissenschaft gibt es im Sinne einer echten Innovation immer wieder neue Konzepte zur Lösung anstehender Probleme, die in dieser Form bisher nicht vorgestellt oder zumindest nicht ernsthaft diskutiert wurden.

 

Nun wird man durchaus zugeben können, dass sich die meisten Parteien und Weltanschauungen im Zeitablauf gewandelt haben und fehlerhafte Ansätze aufgegeben haben. Dies gilt gleichermaßen für die liberalen wie auch für die sozialistischen Weltbilder.

 

Der Liberalismus erfuhr im Neoliberalismus nicht nur eine Renaissance, also ein Wiederaufleben vergangener Vorstellungen, sondern eine Weiterentwicklung, aufgrund derer sich der Neoliberalismus deutlich vom älteren Liberalismus im 18. und 19. Jahrhundert unterscheidet. So geht der Neoliberalismus im Gegensatz zum Altliberalismus von der Auffassung auf, dass die Freiheit der einzelnen Bürger nicht nur vom Staat, sondern darüber hinaus auch von privaten Interessengruppen bedroht wird.

 

Gerade deshalb fordert der Neoliberalismus einen starken Staat, der sich nicht nur darauf beschränkt, eine freie Wettbewerbswirtschaft einzuführen, sondern der darüber hinaus die privaten Gruppen daraufhin beständig überprüft, inwieweit der Wettbewerb von den Markteilnehmern bedroht wird. Staatlicher Einfluss wird als notwendig anerkannt, sofern er nicht unmittelbar in das Marktgeschehen eingreift.

 

Auch im Sozialismus lassen sich Weiterentwicklungen feststellen, dies gilt oder galt sowohl für die kommunistische, wie auch für die auf dem Boden der freiheitlichen Demokratie stehende Sozialdemokratie.

 

Der Kommunismus hatte – wie bereits weiter oben erwähnt – vor allem in der Sowjetunion einmal unter Chruschtschow eine Hinwendung zur Konsumfreiheit und unter Gorbatschow eine Dezentralisierung der staatlichen Planwirtschaft herbeigeführt. Auch der  heute noch in China praktizierte Kommunismus hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und gewisse Formen der Liberalisierung eingeleitet.

 

Auch über den Wandel in der Sozialdemokratischen Partei haben wir bereits berichtet. Während der Weimarer Republik wurde das Ziel, die gesamte Volkswirtschaft zu verstaatlichen, zugunsten eines Konzepts der Verstaatlichung einiger Schlüsselindustrien aufgegeben. Man sah vor allem die Gefahr, dass bei einer totalen Verstaatlichung die staatliche Planbehörde über so viel Macht verfügen würde, dass das frei gewählte Parlament nicht mehr in der Lage wäre, sich gegen die staatliche Bürokratie durchzusetzen.

 

Vor allem im Godesberger Programm von 1959 wurde die Bedeutung und Berechtigung des Privateigentums anerkannt und ein Verzicht auf eine Sozialisierung des erwerbswirtschaftlichen Vermögens und die Aufgabe planwirtschaftlicher Lenkung der Wirtschaft durch den Staat beschlossen. Es wurde akzeptiert, dass die Ausrichtung der Produktion durch den Markt weit effizienter erfolgen kann als durch staatliche Eingriffe in die Volkswirtschaft, allerdings müssten die Ergebnisse des Marktes in verteilungspolitischer Hinsicht wie auch im Hinblick auf die soziale Sicherheit auf politischem Wege korrigiert werden.

 

Trotz dieses Wandels in nahezu allen Parteien im Sinne einer Weiterentwicklung ihrer Programme können andere Zusammenhänge dahin wirken, dass diese Weiterentwicklung unterbrochen oder sogar teilweise und zeitweise rückgängig gemacht wird. Es kämpfen nämlich nicht nur Parteien mit unterschiedlichen Grundsatzprogrammen um die Macht, auch innerhalb einer Partei – und dies gilt in erster Linie für die großen Volksparteien, welche immer mehrere Volksschichten anzusprechen versuchen, finden Umschichtungen statt.

 

Eine Partei gliedert sich in Flügel, so besitzt z. B. die SPD einen sogenannten linken Flügel, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er insbesondere die Interessen der Arbeiter und der unteren Einkommensschicht anspricht, weiterhin einen Mittelstandsflügel, der die Interessen der Angestellten und Facharbeitskräfte vor allem auch im Dienstleistungssektor vertritt und der durchaus marktwirtschaftliche Regelungen allerdings mit sozialpolitischen Korrekturen anstrebt.

 

Auch die CDU gliedert sich in mehrere Flügel mit unterschiedlicher Betonung der einzelnen Grundziele dieser Partei. Auch innerhalb der CDU gibt es einen Arbeitnehmerflügel, der insbesondere die Position der christlichen Soziallehre in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellt, es gibt eine Mittelstandsgruppe mit der Betonung marktwirtschaftlicher Methoden und es gibt schließlich Gruppen, welche weniger von den liberalen als den konservativen Grundrichtungen getragen werden.

 

Wenn wir weiter oben festgestellt haben, dass die SPD als Gesamtpartei vor allem im Godesberger Programm die Vorstellungen, man müsse über Sozialisierung und direkte staatliche Eingriffe die politischen Geschicke lenken, abgelegt hatte, so galt dies keinesfalls für alle Mitglieder der Partei, nach wie vor schwebt dem linken Flügel dieser Partei vor, man könne die sozialpolitischen und auch die meritorischen Zielsetzungen in der Wirtschaftspolitik nur durch massive Eingriffe des Staates in die Volkswirtschaft erreichen und die verteilungspolitischen Ziele einer Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensschichten hätten eindeutigen Vorrang vor den Zielen eines wirtschaftlichen Wachstums.

 

Nun lässt sich feststellen, dass die SPD in den letzten Jahren einen deutlichen Linksruck vollzogen hat, dass der linke Flügel dieser Partei an Gewicht gewonnen hat und dass auch die Gesamtpartei vertreten durch den Parteivorstand diesen Linksruck unterstützt hat. Dieser Linksruck dürfte vor allem zwei Gründe haben. Auf der einen Seite hatte die SPD unter der Führung Gerhard Schröders den Versuch unternommen, die in den letzten beiden Jahrzehnten immer stärker auftretenden strukturellen Schwächen der Marktwirtschaft durch eine grundlegende Reform ins-besondere des Arbeitsmarktes und der Sozialpolitik zu überwinden. Diese Korrekturen waren sowohl aufgrund der schnell voranschreitenden weltweiten Globalisierung als auch aufgrund der außerordentlichen Belastungen der deutschen Volkswirtschaft im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung unerlässlich geworden.

 

Solche radikalen Eingriffe in den Sozialstaat führten notwendigerweise zu Beein­trächtigungen vor allem auch in den unteren Einkommensschichten. Diese brachten zwar die Voraussetzungen dafür, dass auf lange Sicht gerade auch die sozialpolitischen Ziele wiederum finanzierbar wurden, nichtsdestotrotz brachten sie kurzfristig zunächst eine Verringerung des materiellen Wohlstandes der Sozialeinkommensempfänger mit sich. Es wundert deshalb nicht, dass der linke Flügel Oberwasser erhielt und die kurzfristig augenscheinlich eingetretenen Verschlechterungen bei den unteren Einkommensschichten dadurch beheben wollte, dass große Teile der Reform wiederum rückgängig gemacht werden sollten.

 

Diese Gegenbewegung setzte sich durch, obwohl auf dem Arbeitsmarkt bereits erste Erfolge dieser Reform sichtbar wurden und die Arbeitslosigkeit in beachtlichem Maße geringer wurde. Es wurde nun argumentiert, diese Einschränkungen seien nun nicht mehr notwendig, auch die Bürger müssten nun an der Zunahme der Steuereinnahmen beteiligt werden. Es wurde nicht gesehen, dass die starke Zunahme in der Beschäftigung in erster Linie Folge eines wirtschaftlichen Aufschwungs war und dass die Frage, ob auch bereits die strukturellen Schwächen des Arbeitsmarktes überwunden seien, in Wirklichkeit erst entschieden werden kann, wenn es zum Konjunkturabschwung kommt und wenn überprüft werden kann, ob die Arbeitslosigkeit dann geringer als in den beiden letzten Jahrzehnten ansteigt.

 

Das Entstehen einer neuen Partei am linken Parteienspektrum hat diesen Linksruck noch verstärkt. Das Erstarken der Linken Partei hat zwar ähnliche Ursachen wie der Linksruck innerhalb der SPD. Ein Teil derjenigen Wähler, welche durch die Arbeitsmarktreformen beeinträchtigt wurden und bisher die SPD gewählt hatten, wandten sich nun dieser neuen Linken Partei zu und die SPD stand vor der Aufgabe, dieser drohenden Abwanderung zu begegnen.

 

Diese Reaktion der SPD-Führung zeichnete sich einmal dadurch aus, dass die sozialpolitischen Ziele nun wiederum stärker auf dem Wege marktinkonformer Maßnahmen angestrebt wurden, zum andern aber auch dadurch, dass das Verhältnis zu dieser Neuen Partei neu definiert wurde. Diese Annäherung an die Neue Linkspartei vollzog sich hierbei in Schritten.

 

In einem ersten Schritt war man nur bereit auf Gemeindeebene mit den Linken eine Koalition zu bilden. In einem zweiten Schritt hieß es dann, dass in den neuen Ländern aufgrund der besonderen Lage dieser Länder eine Koalition mit den Linken vertreten werden könnte. Der nächste Schritt bestand dann darin, dass in Hessen, also in einem alten Bundesland eine Minderheitsregierung mit Duldung der Linken oder eventuell auch schon mit der Bildung einer Rot-Rot-Grünen Regierung in Aussicht genommen wurde.

 

Noch wird von der Bundesparteispitze eine Beteiligung der Linken an einer Koalitionsregierung auf Bundesebene abgelehnt. Aber bereits einige führende SPD-Politiker halten eine solche Koalition mit den Linken durchaus für möglich. Immerhin hatte die SPD für die anstehende Wahl des Bundespräsidenten – also für ein Amt auf Bundesebene – mit Frau Schwan einen eigenen Kandidaten aufgestellt, der nur mit den Stimmen der Linken hätte überhaupt gewählt werden können. Da gerade der Bundespräsident die Bundesrepublik auch nach außen vertreten muss, ist es unglaubhaft, dass auf längere Sicht eine Koalition mit den Linken auf Bundesebene deshalb ausgeschlossen bleibt, da die Linke Partei nicht bereit sei, die überstaatlichen Verträge z. B. mit der Nato mitzutragen.

 

In dem Maße, in dem nun auch die Links-Partei an Regierungen beteiligt wird, ist damit zu rechnen, dass sich auch die von einer solchen Regierung durchgeführte Wirtschafts- und Sozialpolitik stärker marktinkonformen Maßnahmen zuwendet. Schließlich hat die Linke Partei nur ein Interesse daran, eine Koalition einzugehen, wenn auch ein Teil ihres Parteiprogrammes zum Zuge kommt. Dies bedeutet jedoch, dass die Ablösung der von der CDU geführten Regierungen durch eine SPD geführte Regierung auch die Gefahr mit sich bringt, dass wiederum Positionen durchgesetzt werden, die in der Vergangenheit von der SPD bereits aufgegeben worden waren.

 

 

5. Anzeichen für eine Wiederkehr des Dirigismus

 

Wenn wir uns nun der Frage zuwenden, ob wir uns im politischen und wissenschaftlichen Bereich einer grundlegenden Wende nähern, in der dirigistische Vorstelllungen liberale Auffassungen verdrängen, haben wir es sicherlich nicht so leicht, wie bei der Frage, ob in der wirtschaftlichen Konjunktur eine Wende hin zum konjunkturellen Abschwung besteht.

 

Im Hinblick auf die konjunkturellen Schwankungen im wirtschaftlichen System verfügen wir immerhin über zahlreiche empirische Untersuchungen, die über die Stärke und Länge der einzelnen Konjunkturzyklen eine Aussage gestatten. Mit Juglar gehen wir davon aus, dass ein Zyklus etwa 8 bis 9 Jahre dauert, mit Kondratief unterstellen wir, dass diese Juglar-Wellen durch langfristige, etwa 40 bis 60 Jahre dauernde Zyklen überlagert werden und wir wissen auch aufgrund der Untersuchungen von Kitchin, dass es darüber hinaus noch sehr kurzfristige  2 bis 3 Jahre dauernde Zyklen gibt.

 

Seit den konjunkturtheoretischen Arbeiten von Joseph Alois Schumpeter haben wir auch einen recht guten Einblick in die Faktoren, welche diese zyklischen Schwankungen verursachen. Allerdings mussten wir selbst in diesem Bereich feststellen, dass in den letzten Jahrzehnten auch die Art und Weise, wie sich diese zyklischen Schwankungen äußerten, größeren Änderungen unterlagen. Auf der einen Seite hat die Stärke und Dauer der Abschwünge zu-, die der Aufschwünge abgenommen, vor allem aber hat das Auftreten von Stagflation (gleichzeitiger Anstieg von Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen) und Hysterese (Hinterherhinken des Arbeitsmarktes hinter den konjunkturellen Entwicklungen auf den Güter- und Kapitalmärkten) das Erscheinungsbild der Konjunkturzyklen entscheidend verändert.

 

In der Analyse der Konjunkturzyklen ist man deshalb auch sehr viel bescheidener geworden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es noch Versuche, anhand konkreter Indikatoren ein Frühwarnsystem des konjunkturellen Abschwungs zu entwickeln. Diese Versuche gelten heute als endgültig gescheitert.

 

Der in den 60er Jahren entwickelte Sachverständigenrat in der Bundesrepublik hatte sich darauf beschränkt, ein Modell zu entwickeln, das die Konjunkturbewegungen zwar nicht voraussagen kann, aber immerhin eine Antwort darauf gestattet, in welcher Phase wir uns jeweils befinden. Eine Art Voraussage wird in der Praxis auch anhand von Befragungen der Unternehmer über die Einschätzung der unmittelbaren Zukunftsaussichten versucht, wobei immer dann, wenn der Klimaindex mehr als zwei Mal hintereinander sinkt, von einer konjunkturellen Wende hin zum Abschwung gesprochen wird.

 

Im Hinblick auf die zyklischen Schwankungen im politischen und wissenschaftlichen Bereich fehlen solche quantitativen Untersuchungen und wir sind auf Indizien angewiesen, welche einen Wandel in den politischen Praktiken andeuten. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass Stärke und Dauer solcher Zyklen in diesen Bereichen einem festen Muster folgen.

 

Trotzdem mag es zahlreiche Anzeichen dafür geben, dass ein solcher Wandel in Politik und Wissenschaft bevorsteht.

 

Aufgrund der Tatsache, dass sich in der Vergangenheit vor allem bei größeren Wirtschaftskrisen wie z. B. bei der großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts auch ein Wandel in den politischen Methoden eingestellt hat und dass dieser Wandel auch im wissenschaftlichen Subsystem vollzogen wurde, wird ein solcher Wandel im politischen Subsystem zumindest dadurch begünstigt, dass es im wirtschaftlichen Subsystem zu einem größeren Abschwung kommt.

 

Im wirtschaftlichen Bereich deutet sich ein solcher Wandel durch eine Vielzahl von Indikatoren an. So sind aufgrund zunehmender Verknappung vor allem der Energierohstoffe die Energiekosten in den letzten Jahren stark angestiegen. Auch dann, wenn die Rohöl- und Benzinpreise in den letzten Wochen wiederum stark zurückgegangen sind, wird man längerfristig damit rechnen müssen, dass der Anstieg in den Energiekosten anhalten wird.

 

Der Vorrat an fossilen Brennstoffen ist begrenzt, es besteht die Gefahr, dass die Entwicklung der alternativen Energierohstoffe (Sonnenenergie, Erdwärme, Windkraft und Biomasse) noch nicht so schnell voranschreitet, dass es zu annehmbaren Preisen gelingt, in dem Maße, wie die Knappheit der bisherigen Energierohstoffe ansteigt, auch den Anteil an neuerer Energie anzuheben.

 

Die technische Entwicklung in diesen Bereichen ist noch lange nicht so weit entwickelt, dass hier eine Massenproduktion bereits durchgeführt werden kann; aber nur ein solcher Übergang zur Massenproduktion wird bewirken, dass auch die neuere Energie zu – mit der bisher eingesetzten Energierohstoffe – vergleichbaren Preisen gewonnen werden kann. Die Tendenz, sich in einer Übergangsphase mit Atomstrom zu helfen und diese Lücke zu überbrücken, wird dadurch erschwert, dass aus Sicherheitsgründen zumindest in der BRD starke Bestrebungen bestehen, den Ausstieg aus der Atomenergie zu beschleunigen.

 

Auf der anderen Seite trägt der Umstand, dass eine Reihe von bisherigen Schwellenländer wie China und Indien in die industrielle Phase eintreten, ein enormes Wachstumstempo anlegen und hierbei einen sehr großen Bedarf an Energierohstoffen entwickeln, dazu bei, dass die Verknappung der traditionellen Energierohstoffe und mit ihr der Kostenanstieg beschleunigt wird.

 

Auch im politischen Bereich selbst lassen sich Anzeichen feststellen, die für eine Wende hin zum Dirigismus sprechen. Hierzu zählt einmal das Erstarken der Partei der Linken, welche vorwiegend  über dirigistische Maßnahmen Politik zu verwirklichen versucht und welche in der Vergangenheit fast nur auf die neuen Bundesländer beschränkt war, aber in den letzten Jahren in immer stärkerem Maße auch in den alten Bundesländern Fuß fasst. So überwand diese Partei die 5%-Klausel bei einer  Reihe von Wahlen zu den Länderparlamenten, in einigen Ländern überflügelte diese Partei sogar die SPD und immer häufiger gibt es Versuche, diese Partei an der Regierungsarbeit zu beteiligen oder eine Minderheitsregierung unter Duldung von Seiten der Linkspartei zu bilden.

 

Wir hatten weiterhin bereits weiter oben gesehen, dass sich auch in der SPD ein Linksruck abzeichnet. Dieser besteht nicht nur darin, dass das Verhältnis zur Partei der Linken neu definiert wurde und die Bereitschaft, mit dieser Partei eine Koalition einzugehen, gestiegen ist. Auch die Maßnahmen, welche man nun durchzusetzen versucht, entsprechen nun wiederum in stärkerem Maße als z. B. unter der Regierung Schröder dirigistischen Vorstellungen.

 

Es hat nun nicht mehr Vorrang, die strukturellen Voraussetzungen für eine Vollbeschäftigung herbeizuführen, die kurzfristigen verteilungspolitischen Ziele werden in den Vordergrund gerückt, man fordert, die Höhe der Mindestlöhne staatlich festzulegen, durch keynesianische Beschäftigungsprogramme mögliche Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Höhe der Managergehälter nicht etwa durch Stärkung der Kontrollrechte im Aufsichtsrat, sondern einfach dadurch zu begrenzen, dass man staatlicherseits Höchstgehälter fordert usw. usf.

 

Während im Godesberger Programm bis hin zur unter Schröder eingeleiteten Reformpolitik noch eine Hinwendung zu neoliberalen Ideen festzustellen war, wurde der Neoliberalismus zum Schimpfwort und das Verfolgen neoliberaler Ziele zum Verrat an den sozialistischen Ideen gebrandmarkt. In immer stärkerem Maße wird ideologisch argumentiert, es wird nicht überprüft, auf welchem Wege und mit welchen unerwünschten Sekundärwirkungen bestimmte sozialpolitische Ziele erreicht werden können, sondern es wird eine Zielrealisierung einfach dadurch versucht, dass die einzelnen sozialen Ziele auf dem Wege direkter Staatseingriffe befohlen werden.

 

Aber nicht nur in der SPD lässt sich eine Hinwendung zu dirigistischen Vorstellungen feststellen. So wurde innerhalb der CDU – vor allem aber von der CSU die Rücknahme einiger Reformmaßnahmen – wie etwa die Abschaffung der Pendlerpauschale – gefordert, obwohl nur bei einem drastischen Abbau der Subventionen allgemein eine Beseitigung der strukturellen Schwächen unserer Volkswirtschaft erreicht werden könnte.

 

Auch die Vorstellungen, dass ein Teil der rapid angestiegenen Steuereinnahmen bereits zu Zeiten des Konjunkturaufschwungs wiederum an die Bürger zurückgezahlt werden soll, obwohl eine solche prozyklische Politik von fast allen Wirtschaftswissenschaftlern – von Angebotstheoretikern wie von Keynesianern – abgelehnt wird und die weitere Tatsache, dass immer häufiger auch von Vertretern der CDU keynesianische Beschäftigungsprogramme gefordert werden, als seien alle negativen Erfahrungen mit dieser Politik in den letzten Jahrzehnten vergessen,  kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass in fast allen Parteien eine Hinwendung zum Dirigismus festgestellt werden kann.

 

Im Ausland lassen sich solche Tendenzen in noch viel stärkerem Maße beobachten. Der französische Staatspräsident überraschte in seiner Eigenschaft als Ratspräsident der Europäischen Union mit einem Vorschlag, nach den Rettungspakten für den Bankensektor nun auch für die gesamte Industrie ähnliche Programme vorzusehen, bis hin zu einer Beteiligung des Staates am Industrievermögen und damit natürlich einer teilweisen de facto-Verstaatlichung der Industrieunternehmungen. Vergessen ist die Erkenntnis, dass Privatinitiative die wirtschaftlichen Probleme der Allokation (der Anpassung der Produktion an die Bedürfnisse der Konsumenten) aufgrund der unterschiedlichen Anreizsysteme sehr viel effizienter lösen kann als jede staatliche Bürokratie.

 

Vor allem zeichnet sich in den USA ein grundlegender Wandel hin zu Keynesianismus unter dem neu gewählten demokratischen Präsidenten Obama ab. Auch hier verspricht Obama finanzielle Staatshilfen größten Ausmaßes an die amerikanische Industrie. Man sollte nicht vergessen, dass die USA zwar als das Land gilt, in dem in der Vergangenheit liberale Vorstellungen vorangetrieben wurden, in dem aber auch der Keynesianismus nach Roosevelt und in der unmittelbaren Nachkriegszeit in viel stärkerem Maße als auf dem europäischen Kontinent verwirklicht wurde. So wurde vor allem der New Deal des amerikanischen Präsidenten Roosevelt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie die Politik der US-Notenbank in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg von keynesianischen Vorstellungen geleitet.

 

Während unter Reagan die strukturellen Voraussetzungen für eine Gesundung der staatlichen Finanzen gelegt wurden, die sich dann vor allem unter dem demokratischen Präsidenten Clinton trotz Durchsetzung sozialpolitischer Programme durch Erzielung hoher Überschüsse im Staatsbudget niederschlug, wurde diese Politik dann unter der Regierung des republikanischen Präsidenten George W. Bush durch eine Milliarden verschlingende Kriegspolitik verspielt, sodass Bush nun eines der größten Defizite im Staatsbudget hinterließ.

 

Während also bereits unter Bush – zwar unter anderen ideologischen Vorzeichen – aber eben doch de facto bereits eine defizitäre und damit eine keynesianische Wirtschaftspolitik eingeleitet wurde, zeichnet sich bei Obama auch wiederum eine ideologische Hinwendung zum Keynesianismus ab.

 

Wenn nun aber in einem Land wie in den USA, welche einen beachtlichen Prozentsatz des Welthandels ausmachen, keynesianische Beschäftigungsprogramme durchgeführt werden, ergeben sich auch für die europäischen Staaten Rückwirkungen, welche diese Staaten zwingen, aus wettbewerbspolitischen Gründen auch in diesen Ländern die Unternehmungen durch finanzielle Spritzen zu unterstützen. Erhalten nämlich die ausländischen Unternehmungen staatliche Subventionen, so vermindern sich ihre Kosten, sie haben die Möglichkeit, ihre Preise zu senken und damit erlangen sie einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den europäischen Unternehmungen.

 

Die europäischen Unternehmungen erleiden auf diese Weise einmal Wettbewerbsnachteile bei dem Versuch, ihre Waren zu exportieren, zum andern aber auch  gegenüber den ausländischen Unternehmungen, welche ihre Produkte ins Inland importieren. Vor allem in den Ländern, welche wie die BRD in starkem Wettbewerb zu ausländischen Unternehmungen stehen, sieht sich dann die Regierung aus bereits wettbewerbspolitischen Gründen gezwungen, ebenfalls die einheimischen Unternehmungen finanziell zu unterstützen.

 

Unsere bisherigen Überlegungen bezogen sich vor allem auf die Frage, inwieweit in nächster Zeit im politischen Subsystem mit einem grundlegenden Paradigmawechsel zu rechnen ist. Diese Überlegungen können aber auch im Wesentlichen auf das wissenschaftliche Subsystem aufgrund der oben dargestellten Wechselwirkungen zwischen beiden gesellschaftlichen Subsystemen übertragen werden.

 

Wenn die Politiker willens sind, in stärkerem Maße als bisher unmittelbar in die Wirtschaft einzugreifen, so wird dieser Nachfrage der Politiker im Allgemeinen ein Angebot von Seiten der Wissenschaft folgen. Dadurch, dass die Wissenschaft zumindest zu einem großen Teil mit Steuermitteln finanziert wird, hat der Staat auch einen maßgeblichen Einfluss auf die Aktivitäten im wissenschaftlichen Bereich. Wissenschaftler, welche den Bedürfnissen der Politiker nach Argumenten für einen dirigistischen Eingriff des Staates in die Wirtschaft entgegenkommen, erhalten auf diese Weise gegenüber den Wissenschaftlern, welche gegen die Grundhaltung der Politiker opponieren, auch bessere Startbedingungen.