Startseite

 

Geschichte der Ökonomie

 

 

 

 

 

 

Teil II Spezialgebiete der Lehrgeschichte

 

Gliederung:

 

 1. Methodenlehre

 2. Marktformenlehre

 3. Collective bargaining

 4. Wohlfahrtstheorie

 5. Verteilung: macro

 6. Geldtheorie

 7. Außenhandel

 8. Dynamische Theorie

 9. Konjunkturtheorie

10. Wachstumstheorie

 

 

8. Dynamische Theorie

 

 

Gliederung:

 

1. Problemeinführung

2. Das Cobwebtheorem

3. Der Schweinezyklus

4. Der Bildungsmarkt

 

 

1. Problemeinführung

 

Die dynamische Theorie wurde unter anderem von Erik F. Lundberg, Erik R. Lindahl, Jan Tinbergen und Ragnar Frisch entwickelt. Allen gemeinsam ist das Ziel, in die theoretische Analyse expressis verbis den Zeitfaktor einzuführen und zwar in dem Sinne, dass jeder Variablen auch eine ganz bestimmte Periode zugeordnet wird.

 

Ausgangspunkt dieser Ansätze ist die Erkenntnis, dass nahezu alle empirischen Vorgänge Zeit benötigen. Wenn also heute, in der Periode 1 eine bestimmte Variable (a) beobachtet wird und von dieser Variablen eine Wirkung auf eine andere Variable (b) ausgeht, so verstreicht eine gewisse Zeit, bis diese Wirkungen in Variable (b) sichtbar werden. Beispielsweise wird untersucht, wie viel Zeit verstreicht, bis eine Einkommens­steigerung im Zeitpunkt t zu einem Anstieg in der Konsumnachfrage in der Periode t+1 führt: Ct+1 = α * Et.

 

Diese Ansätze lassen sich deutlich von der ‚dynamischen‘ Theorie von Roy F. Harrod unterscheiden. Harrod versteht unter einem dynamischen Ansatz eine Theorie, welche Wachstumsraten zu erklären versucht. Im Grunde lässt sich das Begriffspaar statisch und dynamisch von dem andern Begriffspaar stationär und evolutorisch unterscheiden. Die dynamische Theorie von Lundberg steht im Gegensatz zu den statischen Ansätzen der neoklassischen Markttheorie. In einer stationären Volkswirtschaft bleiben die Gesamt­ergebnisse erhalten, die Wachstumsrate ist null, während in einer evolutorischen Volkswirtschaft jedes Jahr mit einem Zuwachs in der Produktion, also mit positiven Wachstumsraten gerechnet werden kann. Den von Harrod gewählten dynamischen Begriff werden wir im Rahmen des Kapitels über die Wachstumstheorie näher kennen lernen.

 

Die neoklassische Markttheorie war von ihrem Ansatz her statisch. Dies gilt in erster Linie für die Frage nach der Existenz eines Gleichgewichtes, also für die Frage, ob überhaupt für einen Markt einen Preis und eine Menge gefunden werden kann, bei dem Angebot und Nachfrage ex ante übereinstimmen.

 

Nun geht die traditionelle Markttheorie allerdings über diese Fragestellung hinaus. Es wird auch untersucht, ob – bzw. unter welchen Bedingungen – damit gerechnet werden kann, dass der Markt von einem beliebigen Ungleichgewicht aus Kräfte entfaltet, welche auf einen Abbau des Ungleichgewichtes hinarbeiten. Diese Frage nach der Tendenz zu einem Gleichgewicht stellt gewissermaßen auf ein dynamisches Moment ab, überschreitet also durchaus den rein statischen Charakter.

 

Trotzdem gilt es festzustellen, dass die traditionelle Markttheorie mit der Beantwortung der Frage nach einer Tendenz zum Gleichgewicht keinesfalls bereits in der Lage ist, den zeitlichen Verlauf des Anpassungsprozesses zu beantworten. Im Rahmen der traditionellen Markttheorie kann nicht beantwortet werden, wie schnell dieser Anpassungsprozess von statten geht, noch ist nicht geklärt, ob die Anpassung geradlinig von dem augenblicklichen Punkt zum neuen Gleichgewichtspunkt verläuft oder ob  dieser Prozess die Form einer Welle aufweist und sogar über sein Ziel hinausschießt. Diese Fragen lassen sich erst dann beantworten, wenn man jeweils überprüft, in welchen Zeitspannen diese Prozesse ablaufen.

 

Trotz dieser weitgehenden Beschränkung auf zeitlose Variablen finden sich an den unterschiedlichsten Stellen der Lehrgeschichte erste Ansätze zu einer Dynamisierung. So etwa wenn Dennis H. Robertson in seinen Analysen berücksichtigt, dass der heutige Konsum vom Einkommen der Vorperiode abhängt, da dieses Einkommen erst in der heutigen Periode verfügbar ist:

Ct = f(Et-1)

 

Diese Verzögerung spielt eine entscheidende Rolle bei der Erklärung eines unterschiedlich hohen Einkommensmultiplikators, für den Fall, dass der Staat entweder die Staatsausgaben um den Betrag dA erhöht oder die Steuereinnahmen um den gleichen Betrag senkt. Der Einkommensmultiplikator der Steuereinnahmen ist um den Wert 1 geringer als der Multiplikator der Staatsausgaben. Erklären lässt sich dieser Unterschied damit, dass bei einer Steigerung der Staatsausgaben schon in der ersten Periode eine gleichhohe Einkommenssteigerung eintritt, während bei einer Steuersenkung in der ersten Periode lediglich das privatverfügbare Einkommen steigt, das Leistungseinkommen aber erst wegen des verzögerten Konsums in der nächsten Periode steigen wird.

 

Eine ähnliche, jedoch hiervon unterscheidbare zeitliche Beziehung liegt in der von Milton Friedman formulierten Permanent-Income-Hypothese vor: Danach richtet sich der Konsum in der heutigen Periode an der zukünftigen Einkommensentwicklung aus:

Ct = f(Et, Et+1….., Et+n)

 

Der Unterschied zwischen dieser Permanent Income-Hypothese zur traditionellen keynesianischen Konsum­funktion wird deutlich, wenn ein Konjunkturaufschlag auf die Einkommenssteuer zur Diskussion steht, welcher später wiederum zurückgezahlt werden soll. Bei Unterstellung einer einfachen keynesianischen Konsumfunktion führt die Erhebung dieser Konjunkturabgabe in Zeiten der überhitzten Konjunktur zu einer Konjunkturdämpfung, wird doch weniger konsumiert. Unterstellen wir jedoch eine Permanent-Income-Konsumfunktion, so dürfte der erwünschte Dämpfungseffekt ausbleiben, da ja die Einkommens­bezieher damit rechnen können, diese Steuer zurückgezahlt zu bekommen, sodass sich ihr langfristiges Einkommen gar nicht verringert hatte und entsprechend der von Friedman formulierten Konsumfunktion gar kein Grund für eine Konsumverringerung vorliegt.

 

Der Faktor Zeit spielt ebenfalls eine Rolle, wenn Milton Friedman und andere davon ausgehen, dass im Rahmen der Fiskalpolitik sehr viel Zeit verstreicht von dem Erkennen eines Problems über die Beratung und Verabschiedung von Gesetzen bis hin zu dem Zeitpunkt, in dem diese Maßnahmen greifen. Man spricht hierbei von time lags. So rechnet Milton Friedman, dass bei der Verabschiedung eines Konjunkturpro­gramms in etwa 1 ½ Jahre vergehen, bis die hierdurch induzierten Steigerungen in der Beschäftigung eintreten.

 

In dieser Lehre von den time lags in der Wirtschaftspolitik wird zwischen einem inside und einem outside lag unterschieden. Der inside lag bezieht sich hierbei auf den Zeitraum der Beratungen und Verabschiedung innerhalb der politischen Bühne. Ist einmal ein Gesetz verabschiedet und im Gesetzblatt verkündet, beginnt der outside lag, der sich auf die Zeitspanne bezieht, die verstreicht, bis die betroffenen Unternehmungen (oder auch Haushalte) die Entscheidungen getroffen haben, welche die erwünschten Effekte auslösen, bis also z. B. neue Arbeitskräfte eingestellt wurden.

 

Sowohl innerhalb des inside wie auch des outside lag lassen sich weiterhin ein recognition lag, ein decision lag und schließlich ein realization lag unterscheiden. Der recognition lag bezieht sich auf die Zeitspanne, die vom Entstehen des Problems (z. B. der Arbeitslosigkeit) bis zur Kenntnisnahme der Entscheidungsträger verstreicht. Der decision lag bezieht sich weiterhin auf die Zeit, in der die Entscheidungen gefällt werden. Haben sich die Politiker für eine bestimmte Maßnahme entschieden, so beginnt der realiziation lag, zunächst wird ein Regierungsentwurf ausgearbeitet, dieser wird in mehreren Lesungen im Parlament beraten und verabschiedet, bisweilen bedarf es zusätzlich der Zustimmung einer zweiten Kammer (Bundesrat); schließlich wird das Gesetz im amtlichen Gesetzblatt veröffentlicht.

 

Auch auf der Ebene der privaten Unternehmungen verstreicht einige Zeit, bis sie überhaupt von diesen Maßnahmen erfahren (recognition lag), bis dann auf Vorstands- oder Aufsichtsratsebene Beschlüsse gefasst sind (decision lag) und schließlich der ebenfalls zeitraubende Produktionsprozess abgeschlossen ist (realiziation lag).

 

Von größerer Bedeutung sind diese time lag vor allem deshalb, weil eine rationale Planung voraussetzt, dass

die Entscheidungen sehr viel früher geplant werden müssen, als zu der Zeit, in der sie ihre Wirkung zeigen sollen. Wenn eine Maßnahme zur Bekämpfung einer überhitzten  Konjunktur etwa 1 ½ Jahre dauert, so bedeutet dies, dass sie bereits in einer Zeit beschlossen werden muss, in der noch Arbeitslosigkeit herrscht und es dürfte für die Politiker sehr schwierig werden in einer solchen Zeit bereits kontraktive Maßnahmen zu beschließen.

 

Der Zeitfaktor ist auch dort angesprochen, wo im Rahmen der neoklassischen Theorie – etwa bei Alfred Marshall – zwischen einer kurzfristigen und langfristigen Angebotskurve unterschieden wird. Die kurzfristige Angebotskurve unterrichtet dann darüber, wie sich Preisänderungen unmittelbar danach, also noch in derselben Periode im Angebotsverhalten einer Unternehmung auswirken. Die langfristige Angebotskurve verbindet hingegen die heutigen Preisänderungen mit dem Angebotsverhalten nach Ablauf von einer oder mehreren Perioden. Wir werden weiter unten sehen, dass gerade diese Unterscheidung im Rahmen der dynamischen Preistheorie eine entscheidende Bedeutung erlangt hat.

 

 

2. Das Cobwebtheorem

 

Auch dann, wenn die klassische Gleichgewichtstheorie durchaus Elemente enthält, welche etwas über die Dynamik des Gleichgewichtsprozesses aussagen, bleibt sie im Ansatz eine statische Theorie, die nicht in der Lage ist, den genauen Verlauf dieses Gleichgewichtsprozesses aufzuzeigen. Ansätze zu einer dynamischen Theorie finden sich für die Theorie der Einzelmärkte im Cobwebtheorem, für die gesamtwirtschaftliche Theorie bei den von P. A. Samuelson entwickelten Modellen. Da wir uns mit dem von Samuelson entwickelten Modell noch ausführlich im Kapitel über die Konjunkturtheorie befassen werden, wollen wir uns an dieser Stelle auf diesen Hinweis beschränken.

 

Der Anpassungsprozess eines einzelnen Marktes auf Datenänderungen lässt sich anhand des Cobweb-Systems veranschaulichen. Hierbei werden drei dynamische Verläufe unterschieden: den explodierenden Verlauf, den gedämpften Verlauf und das perpetuum mobile. 

Wir gehen hierbei von einer Nachfragsteigerung aus, die durch eine Verschiebung der Nachfragekurve nach rechts oben zum Ausdruck gebracht wird. Weiterhin gehen wir davon aus, dass das Angebot kurzfristig auf Preisänderungen nicht reagiert, dass also die Angebotskurve kurzfristig eine Parallele zur Ordinate darstellt. Erst nach Ablauf einer Periode reagiert das Angebot auf Preisänderungen der Vorperiode.

 

Kurzfristig gesehen steigt der Preis aufgrund der Nachfragesteigerung bis zum Schnittpunkt der neuen Nachfragekurve mit der kurzfristig vollkommen starren Angebotskurve. Langfristig hingegen reagiert das Angebot auf die Preissteigerung entsprechend der langfristig gültigen elastischen Angebotskurve.

 

Diese Angebotsausweitung schießt jedoch über die Nachfrage hinaus, weil ja auch der Preis kurzfristig stärker als erwünscht angestiegen ist und führt deshalb in der nächsten Periode zu entsprechenden Preissenkungen und Angebotsanpassungen und so weiter.

 

Dieses Spiel von Preisveränderung und langfristiger Angebotsanpassung erfolgt nun über eine Vielzahl von Perioden, wobei es nun von dem Verhältnis der Elastizitäten von Angebot und Nachfrage abhängt, ob der Preis tendenziell vom Gleichgewicht wegführt oder zum Gleichgewicht hinführt oder schließlich sogar im Sinne eines perpetuum mobile unbegrenzt in konstant bleibendem Abstand um den Gleichgewichtspreis pendelt.

 

Wenn die Elastizität der Nachfrage geringer ist als die des Angebots, führt dies zu einem explodierendem Fall, falls jedoch die Elastizität der Nachfrage größer als die des Angebots ist, liegt ein gedämpftes System vor, gleich hohe Elastizitäten führen schließlich zum perpetuum mobile.

 

Betrachten wir zunächst das explodierende System. Eine Verschiebung der blau eingezeichneten Nachfragekurve nach rechts führt vom ehemaligen Schnittpunkt beider Kurven (grüner Punkt) dazu, dass der Preis weit über den neuen Gleichgewichtspunkt hinausschießt, dies hat in der nächsten Periode zur Folge, dass auch die Ausweitung des Angebotes weit größer ist als die neue Gleichgewichtsmenge. Also muss in der folgenden Periode der Preis wieder sinken, wiederum über sein Ziel hinaus, usw. usf. Die Preisausschläge werden sogar mit jeder Periode größer, Preise und Mengen rücken immer weiter vom neuen Gleichgewichtspunkt ab. Dies ist der Fall, weil die Angebotsmenge elastischer auf die Preisänderung reagiert, als der Preis aufgrund der anfänglichen Nachfrageausweitung gestiegen war.

 

 

 

Betrachten wir als zweiten Fall ein gedämpftes System. Aufgrund einer anfänglichen Verschiebung der Nachfragekurve nach rechts erreicht der Preis eine Höhe, welche den neuen Gleichgewichtspreis übersteigt. Dies führt in der nächsten Periode zu einer Ausweitung des Angebotes. Weil jedoch die Elastizität des Angebotes geringer ausfällt als die der Nachfrage, ist die Mengenausweitung in jeder folgenden Periode geringer als die vorangehende Preissteigerung und dies bedeutet, dass sich das System mit der Zeit immer näher an den neuen Gleichgewichtspunkt heran arbeitet.

 

 

 

Betrachten wir schließlich den Fall eines perpetuum mobile. Weil hier beide Elastizitäten gleich groß sind, fallen auch die Preisreaktionen prozentual genau so groß aus wie die Mengenreaktionen mit der Folge, dass das System  überhaupt nicht mehr den neuen Gleichgewichtspunkt erreicht.

 

 

 

Soweit ein gedämpftes Cobweb-System vorliegt, bleibt die These der klassischen Gleichgewichtstheorie unverändert: Der Markt ist in der Lage, das durch eine Datenänderung und damit  einer Verschiebung einer der Reaktionskurven hervorgerufene Ungleichgewicht von selbst abzubauen, ohne dass ein Eingreifen des Staates notwendig ist. Der Anpassungsprozess ist zwar nun etwas komplizierter als anfänglich unterstellt, er verläuft nicht mehr geradlinig auf den neuen Gleichgewichtspunkt zu, sondern nähert sich in Schwingungen dem neuen Gleichgewicht an. Die Preisbewegungen erhalten die Form eines Spinngewebes, daher auch der Name Cobweb-System.

 

Wir haben den Verlauf des Gleichgewichtsprozesses damit erklärt, dass das Angebot erst verzögert auf Preisänderungen reagiert, und dies ist deshalb der Fall, da der Erweiterungs- oder Schrumpfungsprozess der Produktionskapazität Zeit benötigt. Es wurde jedoch nach wie vor davon ausgegangen, dass sowohl die Nachfrage unmittelbar auf Preisänderungen reagiert als auch Ungleichgewichte sofort zu einer normalen  Änderung des Preises führen, wobei es als normal gilt, wenn ein Angebotsüberhang Preissenkungen, ein Nachfrageüberhang jedoch Preissteigerungen auslöst.

 

Diese beiden Annahmen entsprechen sicherlich nicht der Wirklichkeit. Wir haben davon auszugehen, dass auch die Nachfrage aus den verschiedensten Gründen verzögert reagiert. Und wir haben weiterhin damit zu rechnen, dass auch Preisreaktionen zumeist verzögert erfolgen, da Preisänderungen oftmals aufgrund von Verträgen erst nach Ablauf einer Kündigungsfrist möglich werden.

 

Diese Korrektur der Annahmen macht den Anpassungsprozess um ein weiteres komplizierter. Er wird in die Länge gezogen. Es hängt nun wiederum von den Elastizitäten sowie den Preisflexibilitäten und ihrem Verhältnis zueinander ab, wie oft die Wahrscheinlichkeit explosiver Systeme oder des perpetuum mobile gegeben ist.

 

Ganz generell müssen wir davon ausgehen, dass es an den Eigenheiten unterschiedlicher Märkte liegt, ob in der Regel mit gedämpften Gleichgewichtsprozessen gerechnet werden kann oder ob tatsächlich die Gefahr explodierender Cobweb-Systeme besteht. Wir wollen uns deshalb im weiteren Verlauf dieses Artikels einzelnen Märkten zuwenden, in denen diese Cobweb-Prozesse besonders auffallen. Im ersten Schritt befassen wir uns mit einem Agrarmarkt und zwar mit der Aufzucht von Schweinen. Wir gehen dann zweitens zum Bildungsmarkt über.

 

 

3. Der Schweinezyklus

 

Die im Cobweb-Theorem beschriebenen Preisschwankungen um den Gleichgewichtspreis wurden wohl erstmals 1927 von Arthur Hanau in seiner Dissertation über Schweinepreise beschrieben, wobei sich Hanau hierbei an Arbeiten von Mordecai Ezekiel und G.C. Haas  über die Entwicklung der Schweinepreise in den USA orientierte. Auf Mordecai Ezekiel geht auch der Versuch zurück, diese Zusammenhänge mit dem Cobweb-Theorem zu erklären.

 

Man sollte sich allerdings darüber klar sein, dass diese Preis- Mengenbewegungen weder mit Besonderheiten der Schweineaufzucht noch der agrarwirtschaftlichen Produktion im Allgemeinen zu tun haben. Diese Entwicklung ergibt sich allein daraus, dass bei der Reaktion der Angebotsmengen auf Preisänderungen Verzögerungen auftreten, sodass zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Angebotskurve unterschieden werden muss. Diese Zusammenhänge lassen sich jedoch auf wohl allen Märkten feststellen, da bei der Produktion nahezu aller Güter gewisse Verzögerungen (time lags) auftreten.

 

Entscheidend ist nun die Frage, ob bei der Aufzucht von Schweinen das Verhältnis von Angebots- und Nachfrageelastizität derart ist, dass die im Cobweb-Theorem beschriebenen explodierenden Schwankungen oder sogar das sogenannte perpetuum mobile zu erwarten ist oder ob es sich bei den ab 1925 von Ezekiel beobachteten Preisbewegungen in den USA um einmalige, keinesfalls typische Preisschwankungen handelt.

 

Wie schon angedeutet, ist es nicht sehr aufregend, wenn man feststellen muss, dass sich die in der klassischen Gleichgewichtstheorie behauptete Gleichgewichtstendenz nicht wie ursprünglich angenommen linear kontinuierlich, sondern in periodischen Schwankungen vollzieht. Für das Ergebnis, für die Frage nach den Selbstheilungskräften des Marktes ist der genaue Verlauf der Gleichgewichtsbewegungen unerheblich. Solange es sich um ein gedämpftes Cobweb-System handelt, bleibt die Grundaussage der klassischen Markttheorie: das Bestehen eines automatischen Abbaus von Angebots- und Nachfrageüberhängen durch Marktkräfte bestehen.

 

Es spricht nun vieles dafür, dass explodierende Cobweb-Systeme oder ein perpetuum mobile nicht typisch für die Produktion von Agrarprodukten im Allgemeinen und der Aufzucht von Schweinen im Besonderen sind. Zwei Tatbestände sind für diese Schlussfolgerung maßgebend: das Problem der Lernfähigkeit und das Problem der Lagerhaltung.

 

Damit bei der Aufzucht von Schweinen regelmäßig explodierende Cobweb-Schwankungen auftreten, ist es notwendig, dass die Schweinezüchter immer nach dem gleichen Schema verfahren. Sie stellen fest, dass die Preise für Schweinefleisch fallen oder steigen und sie weiten ihre Aufzucht so stark aus, wie es in der längerfristigen Angebotskurve beschrieben wird. Das neue Angebot entspricht also dann einem Zustand, bei dem der in der ersten Periode festgestellte Preis auf Dauer anhält. Genau dies ist jedoch nicht der Fall, wenn Cobweb-Prozesse stattfinden. Das Cobweb-Theorem zeigt ja auf, dass die Preise in der ersten Periode weit über ihr Ziel (über den neuen Gleichgewichtspreis) hinausschießen.

 

Ein solches Verhalten bei den Schweinezüchtern ist nun vollkommen unrealistisch. Die Bauern stellen angeblich immer wieder fest, dass die anfänglichen Preisreduzierungen in den nächsten Perioden korrigiert werden, dass der langfristige Preis in bedeutend geringerem Maße fallen wird als der kurzfristige Preisverfall in der ersten Periode. Trotz dieser Beobachtung sollen jedoch die Schweinezüchter trotzdem ihr Angebot soweit reduzieren oder ausdehnen, wie es optimal wäre, wenn die Preisänderung auf Dauer wäre. Es wird hier also eine vollkommene Lernunfähigkeit unterstellt, was ganz unwahrscheinlich ist. Wo bleibt die sprichwörtliche Bauernschläue?

 

Es mag ja sein, dass ein Schweinezüchter, der eine Schweinezucht neu beginnt, zunächst einmal von der falschen Annahme ausgeht, dass sich die Preisänderung in der ersten Periode in den folgenden Perioden fortsetzt, aber er wird diese Annahme sehr bald korrigieren, da sie ja eindeutig durch die Fakten widerlegt wird. Es würde sich also hier um eine einmalige Reaktion handeln, die nur bei denjenigen zu erwarten ist, welche mit der Schweineaufzucht gerade begonnen haben.

 

Aber selbst in diesen Fällen ist zu erwarten, dass sich die meisten Neulinge bei der Aufzucht von Schweinen zunächst über die Entwicklung von Preisen und Mengen auf dem Schweinemarkt kundig machen und sich die allgemeinen Erfahrungen der Branche zu Eigen machen.

 

Entscheidend ist also der Hinweis, dass es sich bei der Aufzucht von Schweinen nicht um einmalige Aktionen handelt, sondern dass in jeder Periode diese Produktionen durchgeführt werden und dass die Anbieter in diesem Falle aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Ein solches im Cobweb-System unterstelltes Verhalten könnte also als typisches Phänomen bei der Aufzucht von Schweinen oder ganz allgemein bei der Produktion von Agrarprodukten allenfalls dann erwartet werden, wenn in einem Land in der Vergangenheit die Schweineproduktion vom Staat gelenkt wurde und wenn nun aufgrund einer wirtschaftlichen Änderung der Wirtschaftsordnung die Märkte für Agrarprodukte frei gegeben würden. In diesem Falle könnte vermutet werden, dass die Produzenten dieser Güter noch nicht auf Erfahrungen zurückgreifen können und sich dann in den ersten Perioden – also auch hier nur in einer Übergangsphase – so verhalten wie im Schweinezyklus behauptet wird.

 

Aber immer dann, wenn wir die Lernfähigkeit der Marktpartner mit berücksichtigen, wird die Elastizität der langfristigen Angebotskurve in Bezug auf den aktuellen Preis reduziert. Der langfristig erwartete Preissturz oder Preisanstieg ist ja dann annahmegemäß geringer als die in der ersten Periode auftretende Preisänderung. Wenn jedoch die Elastizität des langfristigen Angebotes geringer als zunächst unterstellt ausfällt, bedeutet dies: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein gedämpftes Cobweb-System vorliegt. Für das Entstehen eines explodierenden Systems reicht es nun nicht mehr aus, dass die Angebotselastizität größer ist als die Elastizität der Nachfrage. Die Angebotselastizität muss nun sehr viel größer sein als die Elastizität der Nachfrage, um explodierende Preisschwingungen auszulösen.

 

Auch dann, wenn wir die Möglichkeit der Lagerhaltung mitberücksichtigen, ergeben sich Korrekturen an unseren bisherigen Schlussfolgerungen. Können nämlich Produkte auf Lager genommen werden und deshalb vorübergehende Engpässe aus dem Lagerbestand ausgeglichen werden, verändern sich wiederum die relevanten Reaktionskurven des Angebotes. Nun entspricht die kurzfristige Angebotskurve nicht mehr einer Parallelen zur Preisachse, da Preisänderungen nun die Anbieter veranlassen, bei Preisreduzierungen einen Teil der Produktion auf Lager zu nehmen und bei Preisanstiegen einen Teil des Angebotes aus dem Lager zu speisen. Verläuft jedoch die kurzfristige Angebotskurve weniger steil, so fallen die anfänglichen Preisveränderungen auch geringer aus als bei kurzfristig vollkommen starrem Angebot.

 

Nun wird man natürlich einwenden können, dass es sich bei dem Angebot von Schweinefleisch oder auch anderen Agrarprodukten um frisches Fleisch oder frische Obst- und Gemüsesorten handelt und dass diese ex definitione nicht gelagert werden können. Züchtet man ein Schwein ein Jahr länger, so ist das Schwein eben auch ein Jahr älter und entspricht unter Umständen nicht mehr den Anforderungen seitens der Nachfrage. Gemüse und Obst als Frischgut gelagert wird ungenießbar und kann nicht mehr verkauft werden.

 

Dieser Einwand ist zwar richtig, trotzdem geht er an dem eigentlichen Problem vorbei. Die freien Märkte zeichnen sich dadurch aus, dass für ein elementares Grundbedürfnis zumeist unterschiedliche Waren zur Verfügung stehen. Zwischen diesen Waren bestehen Substitutionsbeziehungen und diese wiederum hängen entscheidend von der Höhe der Preise ab. Steigt der Preis eines Gutes, so lohnt es sich für den Konsumenten, zumindest einen Teil der bisherigen Nachfrage durch ein Substitut zu befriedigen. Und dies bedeutet für Agrarprodukte, dass bei einem Preisanstieg die Nachfrage nach Fleisch, Gemüse und Obst nicht mehr in Gänze durch frische Waren, sondern zum Teil durch konservierte Waren befriedigt wird. Sowohl Fleisch wie auch fast alle Agrarprodukte lassen sich in Konserven verarbeiten und erlauben auf diese Weise eine Lagerhaltung.

 

Fällt deshalb der Preis für frisches Schweinefleisch, so werden die Anbieter die fehlende Nachfrage dadurch ausgleichen, dass sie Fleisch konservieren und auf Lager nehmen. Auch für die Nachfrager gilt, dass es bei einem Preisanstieg vorteilhafter wird, einen Teil des Fleischbedarfes durch Konserven zu befriedigen. Diese Substitutionsmöglichkeiten bringen es nun mit sich, dass die Elastizität der Nachfrage ansteigt mit dem Ergebnis, dass nun aufgrund aller drei relevanten Reaktionskurven die Nachfragekurve, die kurzfristige und schließlich die langfristige Angebotskurve so verändert werden, dass einerseits die anfänglichen Preisände­rungen geringer ausfallen und dass andererseits die Unterschiede zwischen Angebots- und Nachfrage­elastizität ebenfalls geringer werden. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass aufgrund der unterschied­lichen Elastizitäten von Angebot und Nachfrage der Pfad der Preisschwankungen explodierend verläuft.

 

Gerade aufgrund dieser Unwahrscheinlichkeit bedarf es aber auch im Allgemeinen keines politischen Eingriffes. Man wird erwarten können, dass nur in sehr seltenen Ausnahmefällen mit explodierenden Cobweb-Systemen zu rechnen ist. Der Markt ist in der Regel selbst in der Lage, vorübergehende Ungleich­gewichte selbst ohne politischen Eingriff abzubauen.

 

 

4. Schwankungen auf dem Bildungsmarkt

 

Wir erwähnten bereits weiter oben, dass die im Rahmen des Cobweb-Theorems dargestellten Gesetzmäßig­keiten nichts mit der Aufzucht von Schweinen oder den Eigenheiten bei der Produktion von Agrarprodukten zu tun haben. Allein die Annahme, dass auf den Märkten Verzögerungen beim Angebot (oder auch bei der Nachfrage) auftreten und die daraus notwendig gewordene Unterscheidung zwischen einer kurzfristigen und langfristigen Angebotskurve rufen diese Korrekturen am Gleichgewichtsprozess hervor.

 

Diese Phänomene lassen sich deshalb auch auf anderen Märkten, so vor allem auf den Märkten für höhere Ausbildung feststellen. Um ein Beispiel zu bringen: Wenn Engpässe beim Angebot an Ärzten auftreten, erhöht sich die Zahl derjenigen Studenten (und Studentinnen), welche ein Medizinstudium absolvieren. Wenn dann diese Studenten ihr langjähriges Studium abgeschlossen haben und als Ärzte praktizieren können, besteht die Gefahr, dass die Arbeitsmarktsituation bei Ärzten bereits wiederum umgeschlagen ist und dass sich dann zu viele Ärzte um eine Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen bewerben. Dies bedeutet jedoch, dass sich die Zukunftsaussichten für Ärzte dramatisch verschlechtert haben, dass viele Bewerber bangen müssen, keine Zulassung zu einer Arztpraxis zu erhalten und dass in Folge dieser Veränderung auch befürchtet werden muss, dass die Einkommensentwicklung der Ärzte hinter der anderer akademischer Berufe hinterherhinkt. Also werden sich in der Folgezeit auch wiederum weniger Abiturienten um ein medizinisches Studium bewerben  mit der weiteren Folge, dass es dann in  Zukunft erneut zu wenige Ärzte geben  wird.

 

Im Idealfalle dauert nämlich ein medizinisches Studium 4 bis 5 Jahre, wobei de facto das tatsächliche Studium ein bis zwei Jahre länger Zeit in Anspruch nimmt. Also besteht auch zwischen der augenblicklichen Lage auf dem Ausbildungsmarkt und der daraus abgeleiteten Zunahme der Ärztebewerber eine sehr große Verzögerung, welche wiederum dafür verantwortlich ist, dass auch bei der akademischen Ausbildung die im Cobweb-Theorem geschilderten Phänomene zu beobachten sind.

 

Wir könnten nun erwarten, dass genauso wie beim Schweinezyklus auch auf den Ausbildungsmärkten aus ähnlichen Gründen die Wahrscheinlichkeit explodierender Cobweb-Systeme äußerst gering ist. Genau diese Schlussfolgerung wäre jedoch falsch. De facto müssen wir beobachten, dass aus einer Vielzahl von Gründen die Reaktionen auf dem Ausbildungsmarkt so verlaufen, dass hier in der Tat explodierende Systeme wahrscheinlich werden.

 

Welche Unterschiede bestehen nun zwischen beiden Märkten, den Agrarmärkten und den Ausbildungs­märkten? Als erstes hatten wir bereits angedeutet, dass ein Studium und damit auch die Verzögerung im Angebot etwa 5 bis 6 Jahre dauert, während bei der Schweineaufzucht und bei den meisten landwirt­schaftlichen Produkten mit einer einjährigen Produktionsphase gerechnet werden kann. Die Verzögerung auf dem Ausbildungsmarkt ist somit sehr viel größer als auf den Agrarmärkten mit der Folge, dass die Angebotsausweitung auch über eine sehr viel längere Anpassungsphase stattfindet und somit die Ausschläge in den Preisen und Berufsbedingungen größer ausfallen dürften.

 

Als zweites gilt es festzustellen, dass ein Schweinezüchter die Schweinezucht berufsmäßig betreibt, also jedes Jahr von neuem Schweine anbieten wird, während ein Student im Normalfall nur ein Studium absolviert und sein Studium dann beendet, wenn er sein Examen mit Erfolg abgeschlossen hat. Also werden wir auch nicht erwarten können, dass ein Student ähnlich wie ein Anbieter von Agrarprodukten während seiner Berufszeit Erfahrungen sammelt und sein Angebotsverhalten aufgrund dieser Erfahrungen korrigieren kann. Für die meisten Studenten gilt, dass sie sich in einem ersten und alleinigen Studium befinden, sodass sie auch noch keine Erfahrungen als Studenten erwerben konnten.

 

Nun könnte man allerdings einwenden, dass es für die Lernfähigkeit nicht unbedingt erforderlich ist, dass ein Anbieter in der Vergangenheit eigene Erfahrungen gesammelt hat. Man könnte vermuten, dass es ausreicht, dass solche Erfahrungen von anderen Studenten gemacht wurden und dass deshalb auch aus den Erfahrungen anderer mit Erfolg gelernt werden kann. Ja man könnte sogar vermuten, dass das Zurückgreifen auf die allgemeinen Erfahrungen sehr viel effizienter ist als die Beschränkung auf die selbst gemachten Erfahrungen und dass deshalb gerade auch bei der akademischen Ausbildung die Lernfähigkeit ausreicht, um explodierende Cobweb-Systeme zu verhindern. Auch wird man vermuten können, dass die Lernfähigkeit bei Akademikern insgesamt größer ist als bei Nichtakademikern.

 

Trotzdem gibt es weitere Gründe dafür, dass auf den Ausbildungsmärkten die Wahrscheinlichkeit für explodierende Cobweb-Systeme insgesamt größer ist als auf Agrarmärkten. Die Ausbildung ist nämlich nicht nur einmalig in dem Sinne, dass ein Student zeitlich gesehen in der Regel nur ein Studium absolviert, sondern auch in dem Sinne, dass das Studium eben nur einen Abschluss kennt, das Examen stellt somit ein höchstpersönliches Gut dar. Beim Schweinezyklus gingen wir hingegen nicht nur davon aus, dass der einzelne Schweinezüchter jedes Jahr eine neue Schweinezucht beginnt, er beschränkt sich auch nicht darauf, ein einzelnes Schwein zu züchten, sondern wird in aller Regel eine Vielzahl von Schweinen züchten. Schließlich sind Agrarprodukte homogene Güter; geht die Nachfrage nach Schweinefleisch zurück, so sind zumeist fast alle Schweinezüchter von diesem Rückgang betroffen, fast jeder erleidet einen gewissen Rückgang seines Absatzes.

 

Ganz anderes gilt für die Ausbildung. Hier herrscht das Prinzip ‚Alles oder nichts‘, entweder  erhält der frisch gebackene Akademiker eine berufsbezogene Stelle oder er geht leer aus. Ein ‚bisschen Stelle‘ gibt es nicht. Ein Rückgang in der Nachfrage nach Akademiker äußert sich eben nicht darin, dass fast jeder Akademiker nun weniger Stunden beschäftigt wird. Vielmehr erhalten einige Akademiker eine Stelle, andere wieder nicht. Folglich werden die meisten Studenten auch dann trotzdem ihr Studium wie geplant beginnen, wenn sie aus den Erfahrungen der anderen gelernt hätten, dass der heutige Mangel an Ärzten nichts darüber aussagt, wie sich das Gleichgewicht auf diesem Markt in 5 bis 6 Jahren verhalten wird.

 

Nun  mag man einwenden, dass sich die weniger begabten Studenten ausrechnen könnten, dass gerade sie in 5 bis 6 Jahren geringere Berufschancen besitzen werden und dass sie sich aus dieser Erkenntnis heraus für ein anderes Studium entscheiden. Ein solches Vorgehen ist jedoch unwahrscheinlich, da auf der einen Seite gerade die weniger begabten Studenten ihre Leistungsfähigkeit zumeist überschätzen und da auf der anderen Seite aus einem guten (schlechten) Abiturzeugnis nicht eindeutig darauf geschlossen werden kann, wie ein Student (eine Studentin) im Hochschulexamen abschließen wird.

 

Bei einigen Studenten (männlich wie weiblich) dürften die Abiturnoten kein genaues Bild über dessen Begabung abgeben, da der eine im Abitur Pech, der andere jedoch Glück hatte. Weiterhin gibt es Spezial­begabungen. Der Umstand, dass ein Student eine sehr gute Allgemeinbegabung aufweist, bedeutet nicht un-bedingt, dass er auch in einem ganz bestimmten Fach die gleiche Begabung mitbringt. Umgekehrt trifft man auch viele Studenten an, welche im Hinblick auf die Allgemeinbildung schlecht abgeschlossen haben, sehr wohl aber wegen einer Spezialbegabung trotzdem das Hochschulexamen mit Bravour bestehen.

 

All diese Faktoren dürften dafür sprechen, dass auf den Ausbildungsmärkten die Wahrscheinlichkeit explodierender Cobweb-Systeme sehr viel größer ist als bei der Produktion von Agrarprodukten bzw. bei der Aufzucht von Schweinen. Gerade aus diesen Gründen wurde darüber diskutiert, was denn der Staat tun könne, um auch die Ausbildungsmärkte zu funktionsfähigen Märkten zu machen.

 

So wurde z. B. die Forderung erhoben, der Staat solle in einem Bildungsplan genau festlegen, wie viel Ausbildungsplätze benötigt werden und wie vielen Studenten das Studium in einem ganz bestimmten Fach zu erlauben ist. Alle diese Pläne dürften jedoch wohl kaum das Problem des fehlenden Gleichgewichts lösen können. Erstens dürfte der Staat auch kaum über mehr Wissen verfügen als der einzelne Student, sofern sich dieser darum bemüht, die tatsächlichen Berufsaussichten zu eruieren, bevor er ein bestimmtes Studium beginnt.

 

Zweitens greifen diese Pläne stark in das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Berufswahl ein. Es ist kein befriedigender Weg, wenn es einzelnen Studenten versagt wird, den Studienzweig zu absolvieren, der ihren Neigungen und Fähigkeiten am besten entspricht. Dem Recht auf freie Berufswahl wird besser dann entsprochen, wenn der einzelne Student aufgrund des Wissens über die Berufsaussichten selbst darüber entscheidet, welchen Studienzweig er wählen wird.

 

Drittens zeichnen sich Bemühungen um Planung der Studienmöglichkeiten zumeist dadurch aus, dass der Erfolg der Bildungspolitik einseitig daran gemessen wird, wie viel Prozent der einzelnen betroffenen Jahrgänge einen Hochschulabschluss aufweisen. Wenn dieser Prozentsatz gesteigert wird und wenn das eigene Land deshalb in einem internationalen Vergleich an die Spitze der Ranking-Liste kommt, so wird dies als ein großer Erfolg angesehen. Umgekehrt wird den Ländern, welche die letzten Plätze in diesen Listen besetzen, ein Misserfolg bescheinigt und sie werden aufgefordert, Reformmaßnahmen einzuleiten mit dem Ziel, in diesem Ranking aufzurücken.

 

Demgegenüber ist davon auszugehen, dass die Produktionsziele und der Stand der Technik weitgehend bestimmen, wie groß der Bedarf an Arbeitskräften mit einer Hochschulausbildung ist. Drängen in einem bestimmten Beruf mehr ausgebildete Akademiker auf den Arbeitsmarkt als Stellen von Seiten der Unternehmungen und der politischen Institutionen angeboten werden, so bleibt ein Teil der Akademiker entweder arbeitslos oder findet in einem Beruf einen Arbeitsplatz, der geringere Anforderungen an die Ausbildung stellt. In letzterem Falle findet ein Verdrängungswettbewerb statt, Akademiker besetzen dann die Stellen der Arbeitnehmer, welche in der Rangliste der Berufe an niedriger Stelle stehen, diese Arbeitnehmer verdrängen ebenfalls die Arbeitnehmer, welche an der nächst niedrigeren Stelle stehen usf., arbeitslos bleiben dann die Arbeitnehmer auf dem untersten Platz.

 

In diesem Falle sind alle unbefriedigt. Die Akademiker, welche weder im Hinblick auf Ausbildung noch Einkommen ein Ausmaß erreichen, das sie eigentlich durch ihr Studium zu erreichen hofften. Gleicher­maßen sind jedoch auch die jeweils von ihren bisherigen Arbeitsplätzen verdrängten frustriert. Also kommt es hier nicht darauf an, dass ein Land möglichst viele Akademiker aufweist, sondern dass die Zahl der Akademiker möglichst der Zahl der für Akademiker vorgesehenen Arbeitsplätze entspricht.

 

Größeren Erfolg im Hinblick auf den Abbau von Ungleichgewichten versprechen Pläne, die Studiengänge durchlässiger zu machen. Es wird davon ausgegangen, dass in vielen Studiengängen zum Teil gleicher Lernstoff zu bewältigen ist, vor allem weil diese den Charakter von propädeutischen Fächern aufweisen. Wenn man nun dafür Sorge trägt, dass dieser Lernstoff in den ersten Semestern absolviert wird und wenn man sich darüber hinaus weiterhin in diesen Fächern um einen möglichst einheitlichen Lernstoff bemüht, besteht die Möglichkeit, in den ersten Jahre eines Studiums zu verwandten Studiengängen überzuwechseln, ohne in diesem neuen Studiengang wiederum ganz von vorne beginnen zu müssen.

 

Dies bedeutet dann auch, dass das jeweilige Angebot besser als bisher an die Erfordernisse in der Praxis angepasst werden kann. Wenn z. B. zu viele Studenten ein medizinisches Studium begonnen haben und wenn sich nach 1 bis 2 Jahren herausstellt, dass die Angebotslücke bei den Medizinern bereits zurückgeht oder bisher als zu hoch eingeschätzt wurde, können einzelne Studenten zu einem Nachbarstudium, also z. B. zum Pharmazie-Studium überwechseln. Auf diese Weise lässt sich dann die Gefahr explodierender Cobweb-Systeme etwas verringern.