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Wirtschaftliche Aspekte der Embryonenforschung

 

 

*** Anmerkung: Dieser Artikel ist entstanden im Zusammenhang mit einer computerunterstützten Vortragsreihe, welche in Powerpoint geschrieben wurde, unterstützt von dynamischen Modellen, welche mit der Programmiersprache ‚Visual Basic’ hergestellt wurden. Diese Vortragsreihe wurde von mir in Zusammenarbeit mit Diplomvolkswirt Stephan Radler ausgearbeitet.

 

 

 

 1. Einleitung

 2. Erfahrungen aus der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte

 3. Erfahrungen aus der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft

 4. Erfahrungen aus der speziellen Versicherungswissenschaft

 

 

 

 

       1. Einleitung

Wirtschaftswissenschaftler sind bisher kaum an der Diskussion um die Stammzellendiskussion und Embryonenforschung beteiligt. Es scheint sich um ein rein medizinisches Problem zu handeln, allenfalls wird anerkannt, dass gewisse ethische Probleme mit dieser Forschung verbunden sind, die über die spezielle ärztliche Ethik hinausreichen.

 

Ich bin der Meinung, dass zu Unrecht Ökonomen an dieser Diskussion nicht beteiligt sind. Immerhin führen die Befürworter der Embryonenforschung oftmals wirtschaftliche Argumente für die Notwendigkeit der Beteiligung Deutschlands an dieser Forschung an.

Es wird prophezeit, dass die BDR ihre Führungsrolle in der weltweiten Forschung und in Folge auch in der Weltwirtschaft einbüßen würde, wollte man sich nicht aktiv an der Embryonen-Forschung beteiligen.

 

Meines Erachtens ist diese Auffassung eindeutig falsch, auf jeden Fall ist es nicht eine medizinische Frage, welche die Mediziner klären können, sondern diese Frage gehört zu den Kernproblemen der Wirtschaftswissenschaft, zu denen führende Ökonomen wie z. B. David Ricardo bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert eindeutig Stellung bezogen haben. Wir werden später darauf zurück kommen. An dieser Stelle geht es allein darum, dass auch die Wirtschaftswissenschaft neben der Medizinforschung und der allgemeinen Ethik ihren Beitrag zur Embryonenforschung leisten kann.

 

Drei Zusammenhänge sind hierbei von Bedeutung und sollen hier etwas näher besprochen werden: Es geht einmal um Erfahrungen, welche die allgemeine Wissenschaftsgeschichte, nicht nur die Wirtschaftswissenschaft, mit Innovationen und ihren Folgewirkungen gemacht hat. Es geht zweitens um Erfahrungen, die speziell im Rahmen der Wirtschaftswissenschaft gewonnen wurden und die sich mit der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung befassen. Und es geht schließlich drittens um spezielle Erkenntnisse aus der Sozialversicherungswissenschaft und der speziellen Versicherungswissenschaft, die auf mögliche, bisher kaum gesehene Gefahren im Zusammenhang mit medizinischem Fortschritt aufmerksam machen.

 

 

2. Erfahrungen der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte

Die Effizienz einer Maßnahme oder eines Medikamentes ist oft unsicher, gleichzeitig besteht stets die Gefahr von Sekundärwirkungen, die sehr viel später auftreten können und weder im Hinblick auf den Zeitpunkt noch auf die Variable, die sie beeinflussen, erwartet werden konnten. Es besteht ein allgemeines Problem der Forschung im Zusammenhang mit Sekundärwirkungen im Gegensatz zur Effizienzanalyse. Bei der Effizienzanalyse ist der Ausgangspunkt die Frage nach einer ganz bestimmten Wirkungsgröße; möglichst unter Laborbedingungen wird überprüft, ob der erwartete Wirkungszusammenhang auch tatsächlich eintritt.

 

Es werden alle Faktoren erfasst, die möglicher Weise einen Einfluss haben könnten, es werden zwei Gruppen von Tests gebildet, bei beiden Gruppen sind alle Einflussfaktoren außer des zu testenden Faktors identisch. Die Gruppen unterscheiden sich also nur in dem einen zu testenden Faktor, die eine Gruppe (die Testgruppe) ist diesem Faktor ausgesetzt, die andere Gruppe (die Kontrollgruppe) hingegen ist diesem Faktor nicht ausgesetzt. Gleichzeitig geht man im allgemeinen von der Annahme relativ kurzer, überschaubarer Zeiträume aus, innerhalb derer die Wirkung eintritt.

 

Bei der Analyse möglicher Nebenwirkungen hingegen bestehen nur unklare Vorstellungen über die Variablen, die beeinflusst werden können, sie sind oftmals gar nicht bekannt und werden auch nicht vermutet, so dass deshalb auch keine gezielte Analyse möglich ist. Darüber hinaus treten Nebenwirkungen oftmals sehr viel später – oft Jahre oder sogar Jahrzehnte später – auf, es ist unklar, wann sie genau auftreten, so dass ein möglicher Zusammenhang auch gar nicht auffällt.

 

Bringen wir zunächst ein Beispiel aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Die deutsche Krankenversicherung geht auf die Sozialgesetzgebung Bismarcks Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Sie galt lange Zeit innerhalb der europäischen Staaten als vorbildlich. Erst in den 70 er Jahren des 20. Jahrhunderts geriet die deutsche gesetzliche Krankenversicherung in eine schwerwiegende Krise, aus der sie sich trotz wiederholter Reformversuche bis heute nicht befreien konnte.

 

Die Krise in der GKV äußerte sich zunächst in einem explosionsartigen Anstieg der Kosten. In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Sozialleistungen in der BRD als zu hoch gelten und dass deshalb die internationale Wettbewerbsfähigkeit als gefährdet gilt. Man muss sich darüber klar sein, dass an und für sich die Sozialleistungen und die Wettbewerbslage zunächst nichts mit einander zu tun haben.

Es ist die freie Entscheidung der Bürger einer Volkswirtschaft, wie viel sie für soziale Zwecke und speziell für Gesundheit ausgeben wollen.

 

Erst dadurch, dass ein Teil der Sozialkosten über Arbeitgeberbeiträge finanziert wird, entstehen internationale Wettbewerbsprobleme, wenn im Ausland geringere Sozialkosten erhoben werden. Dass die Arbeitgeberbeiträge lange Zeit kein ernsthaftes Problem darstellten, hängt damit zusammen, dass die deutsche Wirtschaft früher vor ausländischer Konkurrenz weitgehend geschützt wurde, während der Bismarckzeit durch Einführung von Schutzzöllen, in der ersten Phase der BRD durch einen überhöhten Devisenkurs der DM, worauf vor allem Herbert Giersch hingewiesen hatte, in den 70 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dadurch, dass immer mehr nichttarifäre Handelshemmnisse entstanden.

 

Der freie Wettbewerb zunächst durch Abschaffung der Zölle in Europa, aber auch durch eine weltweite Globalisierung führte zu einem ‚race to bottom‘, in dem sich die Länder mit den geringsten Sozial- und Steuerlasten einen Wettbewerbsvorteil sicherten (These von Hans-Werner Sinn).

 

Fahren wir fort mit einem Beispiel aus der Technik-Geschichte. Die Begradigung von Flussläufen, z. B. des Rheins, wurde in der Geschichte Deutschlands als großer Erfolg gefeiert, da Flüsse auf diese Weise befahren werden können. Es entstanden auf diese Weise Wasserwege, die Fahrtkosten wurden drastisch reduziert und damit konnte letzten Endes die Produktivität der Volkswirtschaft entscheidend erhöht werden. Erst sehr viel später – und zwar erst etwa hundert Jahre später – wurden die negativen Folgen dieser Begradigung sichtbar, die sich in vermehrten und stärkeren Überflutungen und hohen wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe niederschlugen.

 

Bringen wir schließlich zwei Beispiele aus der Medizinforschung: erstens die Entwicklung des Medikamentes Contergan. Das Medikament Contergan wurde zunächst in der Werbung als der Durchbruch in der Forschung von Schmerz- und Schlafmitteln gefeiert: Mit diesem Medikament sei es schließlich gelungen, eine wirksame Bekämpfung der Schmerzen anzubieten, ein Medikament sei gefunden worden, das im Gegensatz zu den bisherigen Schmerzmitteln ohne gravierende Nebenwirkungen eingenommen werden könne. Man sprach von einer Schmerzbekämpfung ohne Reue.

 

Thalidomid wurde hierbei im Jahre 1957 eingeführt. In Deutschland kam es unter dem Markennamen Contergan auf den Markt. Es handelte sich dabei um ein Hypnotikum beziehungsweise um ein Beruhigungsmittel, das nicht der Klasse der Barbiturate angehörte. Man hielt Thalidomid damals selbst im Falle einer Überdosierung für weitgehend harmlos und deshalb besonders sicher. Es wurde für die Einnahme während der Schwangerschaft nicht nur als geeignet vermarktet, sondern für diese Anwendung sogar empfohlen.

 

Später musste man Missbildungen von Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft Contergan eingenommen haben, auf die Einnahme dieses Medikamentes zurückführen. Thalidomid galt nun als ein Arzneimittel, das bei Einnahme während der Schwangerschaft schwere Missbildungen am Ungeborenen verursachen kann. (Thalidomid-Embryopathie). Im Jahr 1961 wurde gleichzeitig aus Hamburg und Sydney (Australien) von Neugeborenen berichtet, die an Phokomelie litten, einer äußerst seltenen Fehlbildung. Dieser medizinische Fachbegriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet Robbengliedrigkeit.

 

Bei dieser Missbildung sind die langen Röhrenknochen der Extremitäten (Arme und Beine) mangelhaft entwickelt, so dass die relativ normal ausgebildeten Hände und Füße flossenartig am Schulter- bzw. Hüftgelenk ansetzen. Diese Fehlbildungen waren offensichtlich auf Thalidomideinnahmen der Mütter während der ersten drei Schwangerschaftsmonate zurückzuführen. Später wurde in Tierversuchen bestätigt, dass die Einnahme von Thalidomid solche Missbildungen hervorrufen kann.

 

Vor seiner Zulassung wurde das Medikament jedoch nicht an trächtigen Versuchstieren erprobt, man hielt solche Untersuchungen Ende der fünfziger Jahre nicht für notwendig.

Thalidomid wurde dann im Jahre 1962 vom Markt genommen. Daraufhin ging die Anzahl der Kinder, die mit Phokomelie zur Welt kamen, wieder auf den bisherigen Durchschnittswert zurück.

 

Der Conterganskandal hatte in aller Welt tief greifende Auswirkungen auf die Versuchs- und Zulassungsverfahren für Arzneimittel. Alle neuen Medikamente werden seither auf mögliche Nebenwirkungen bei Einnahme während der Schwangerschaft geprüft. Es wurde darüber hinaus empfohlen, nur solche Arzneien in der Schwangerschaft routinemäßig anzuwenden, die bereits lange Zeit bekannt sind und angewandt wurden.

Auch sollten Schwangere in der Frühschwangerschaft so weit wie möglich überhaupt auf die Einnahme von Medikamenten verzichten.

 

Man schätzt, dass allein in Westdeutschland 10 000 Kinder mit derartigen Fehlbildungen geboren wurden. Davon überlebten nur etwa 5000, die übrigen starben an weiteren Missbildungen. In Großbritannien und Nordirland kamen etwa 600 durch Thalidomid geschädigte Kinder zur Welt, von denen 400 überlebten. In den USA wurde die Zulassung dieses Medikaments durch die amerikanische Gesundheitsbehörde – die Food and Drug Administration (FDA) – verzögert, so dass es dort nur wenige Fälle von Missbildungen gab.

 

Thalidomid wirkt teratogen, d. h. Fehlbildungen erzeugend. Teratogenese ist der Fachausdruck für die Entstehung von schweren Fehlbildungen während der fötalen Entwicklung. Teratogene Faktoren (weitere Beispiele sind etwa Röteln oder Röntgenstrahlen) wirken während jener Schwangerschaftsphase, die als Organogenese (Organentwicklung) bezeichnet wird. Sie erstreckt sich vom 17. bis zum 60. Schwangerschaftstag. Während dieser Zeit bilden sich das Skelett und alle Organe heraus.

 

Die Art der Missbildungen, die durch Thalidomid verursacht wurden, hängt vom genauen Zeitpunkt und der Dauer der Einnahme ab. Zwischen dem 21. und dem 22. Tag der Schwangerschaft rief Thalidomid Missbildungen der Ohrmuscheln sowie Hirnnerven-schäden hervor. Eine Einnahme zwischen dem 24. und 27. Schwangerschaftstag verursachte Phokomelie der Arme, zwischen dem 28. und 29. Tag hingegen Phokomelie der Arme und Beine und vom 30. bis zum 36. Tag Missbildungen der Hände und anorektale Stenosen (Verengung von After und Mastdarm).

 

Nach einer 1997 veröffentlichten Studie eines australischen Arztes spricht manches dafür, dass die durch Thalidomid verursachten Missbildungen erblich sind. Auffallend viele Kinder von Conterganopfern, so der Mediziner, hätten nämlich ebenfalls Missbildungen. Trotz dieser Erkenntnisse gab die US-amerikanische Gesundheitsbehörde Thalidomid 1998 als Mittel zur Behandlung von Lepra wieder frei.

 

1999 wurde in einem Bericht der Fachzeitschrift Nature Medicine mitgeteilt, auf welchem vermutlichen Weg Thalidomid teratogen wirkt: Das Präparat setzt wahrscheinlich Radikale frei, die das Gewebe oxidativ schädigen.

 

Bringen wir ein letztes Beispiel aus der Medizinforschung. Auch die Effizienz gentechnischer Forschung wird oft überschätzt. Mit der Möglichkeit, den Gen-Code zu entziffern, steht man erst am Anfang gentechnischer Manipulationen mit dem Ziel, letztlich auch Gen-bedingte Krankheiten heilen zu können.

 

Wie lang noch der Weg zu einem durchgreifenden Heilungserfolg sein kann, ist vor kurzem durch einen Vergleich verdeutlicht worden: Mit der Entwicklung der ersten Schriftzeichen bei den Assyrern dauerte es noch viele Jahrhunderte, bis dann wissenschaftliche Entdeckungen vom Range eines Albert Einsteins gemacht werden konnten.

 

Die Geschichte des geklonten Schafes Dolly, das vor allem an früh auftretenden Arthrose–Erscheinungen litt, zeigt, dass bei genmanipulierten Lebewesen sehr wohl mit unerwünschten Nebenerscheinungen gerechnet werden muss. Auf jeden Fall führt eine gezielte Einflussnahme und Auswahl auf das Gen-Material zu einer Verringerung der Mutationsmöglichkeiten.

 

Es findet eine Beschneidung des Genpools statt. Dies bedeutet nicht nur, dass die Entwicklung, die ja durch Mutationen und Auswahl voranschreitet, eingeengt wird.

Es erhöht sich auch das Risiko der Anfälligkeit gegenüber bisher unbekannten Krankheiten. Aus der Geschichte der wirtschaftlichen Innovationen wissen wir, dass Fortschritt und Innovation gekoppelt ist mit der Möglichkeit, dass einzelne Personen Ideen haben, die zunächst vielleicht sogar als „verrückt“ gelten, sich später jedoch als entwicklungsfähige Ideen entpuppen. Genauso gilt auch im Medizin-Bereich, dass bei einer Beschränkung und Auswahl des Gen-Materials letztlich ein Verlust an genetischen Innovationen befürchtet werden muss.

 

Weiterhin gilt es zu bedenken, dass Behinderte in der Vergangenheit oft besonders innovativ waren; der Verlust bestimmter Fähigkeiten (z. B. Sinne) führt oftmals zu einer Stärkung anderer Sinne im Sinne einer Kompensation. Gleichzeitig stellt die Behinderung einen Ansporn dar, neue Ideen zu entwickeln, welche die Behinderung verringern oder zumindest erträglicher machen.

 

Dieses innovative Potential entfällt, wenn es aufgrund einer gentechnischen Selektion keine oder weniger Behinderte mehr geben würde. In der Vergangenheit wurde der moralische Wert einer Gesellschaft unter anderem daran gemessen, wie sie mit Kranken und Schwachen umgeht.

 

Die Richtung, welche die heutige Genforschung geht, bringt die Gefahr mit sich, dass sich die Grundhaltung gegenüber dem Schwachen maßgeblich verändert, dies beginnt bereits damit, dass durch Verhinderung der Geburt „genetisch schwacher Menschen„ eine Lebensverweigerung für diese Gruppe von Menschen auf frühestmöglicher Ebene stattfindet.

 

Statt dieser Gruppe von Menschen zu helfen, ist nun die Gesellschaft bemüht, alles Mögliche zu tun, dass diese Gruppe gar nicht zur Welt kommt. Da dies jedoch in hundertprozentiger Weise nie möglich sein wird, es also immer auch schwache, kranke Menschen geben wird, besteht die Gefahr, dass man diese Menschen, die sozusagen aus Versehen auf die Welt kamen, ausgrenzt.

 

Die Umwelt ist einem ständigen Wandel unterworfen, wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass bei veränderter Umwelt andere Gene bestimmte Erbkrankheiten auslösen

und die bisher auslösenden Gene aufgrund veränderter Umwelt-Bedingungen von selbst harmlos werden. So wurde von Genforschern weiterhin auf eine folgende Gefahr hingewiesen: In der heutigen Situation sind nach unseren Kenntnissen bestimmte einzelne Gene erst in gemeinsamer Kombination für bestimmte Erbkrankheiten verantwortlich.

Wir wissen jedoch, dass die Krankheiten nicht allein aufgrund dieser einzelnen Gene ausgelöst werden, sondern dass immer eine Interaktion zwischen Genen und Umfeld stattfindet, die dann schließlich die Krankheit auslöst.

 

Versucht man nun durch gezielten Eingriff in das Gen-Material durch Ersetzung dieser krankheitsauslösenden Gene Erbkrankheiten zu vermeiden, besteht folgende Gefahr: Durch Eingriff in das Erbmaterial werden letztlich Gene eingepflanzt, die dann bei veränderter Umwelt neue Krankheiten auslösen können, sodass man letzten Endes gerade durch diese Eingriffe in das Gen-Material die Gefahr der Krankheit auf lange Sicht sogar vergrößert.

 

 

3. Erfahrungen aus der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft

Im allgemeinen wird von den Verfechtern einer embryonalen Forschung die These vertreten, dass sich Deutschland für die embryonale Stammforschung entscheiden müsse, da Deutschland sonst Gefahr laufe, im Hinblick auf die Entwicklung der Volkswirtschaft abzufallen. Das Innovationsniveau würde sinken, was sich in einer Abnahme des wirtschaftlichen Wachstums äußere und zu einer Emigration der Wissenschaftler in die Länder führe, die der Genetik und ihrer Erforschung größere Freiheiten zugestehen.

 

Diese Behauptungen widersprechen jedoch den Vorstellungen der Wirtschaftswissenschaft, die sich auf die Erkenntnisse aus der von David Ricardo entwickelten Theorie der komparativen Kosten beziehen. Die von D. Ricardo entwickelte Theorie der komparativen Kosten weist nach, dass ein Außenhandel auch für die Länder vorteilhaft sein kann, die in allen für den internationalen Tausch relevanten Gütern absolut höhere Kosten aufweisen als das Ausland, sofern sich nur die Kostenstrukturen des In- und Auslandes unterscheiden und sich jedes Land auf die Produktion jener Güter spezialisiert, in denen es gegenüber dem Ausland einen komparativen (relativen) Kostenvorteil aufweist.

 

Entsprechend der klassischen Arbeitswertlehre wurden bei Ricardo die Kosten an der Anzahl der zur Produktion notwendigen Arbeitsstunden gemessen. Die Realisierung dieser Lösung erfolgte – nach Ansicht von Ricardo – dadurch, dass sich durch Goldabfluss in den Ländern, die anfangs absolut höhere Kosten und damit auch höhere Preise aufweisen, das nationale Preisniveau dem internationalen Preisniveau annähert und zwar so, dass schließlich der nationale Preis der Güter, auf die sich ein Land spezialisiert, jeweils auch absolut niedriger liegt als im Ausland.

 

Gustav von Haberler hat nachgewiesen, dass diese Theorie der komparativen Kosten nicht nur unter der Annahme der Arbeitswertlehre Gültigkeit hat; an die Stelle der Arbeitskosten treten die Opportunitätskosten, wobei die Opportunitätskosten eines Gutes angeben, auf welchen Nutzen man verzichten muss, wenn man knappe Ressourcen für das ausgewählte Gut verwendet, sodass diese Ressourcen nicht mehr für eine zweite andere Güterwahl zur Verfügung stehen.

 

Diese Schlussfolgerungen gelten auch nicht nur für das damals gültige Regime der Goldwährung, sondern analog auch in Systemen freier Wechselkurse. Anstelle von Goldwanderungen finden dann Änderungen der Devisenkurse statt, der Goldabwanderung entspricht hier eine Abwanderung von Devisen.

 

Übertragen auf die Embryonen-Forschung bedeutet dies, dass sich jedes Land auf die Forschungen spezialisieren sollte, in denen es die größten komparativen Vorteile besitzt.

Es ist gerade nicht erwünscht, dass man sich in allen Bereichen betätigt. Zu den komparativen Eigenarten und damit Vor- und Nachteilen eines Landes zählt u.a. auch die ethische Haltung. Es wäre durchaus möglich, dass sich Deutschland z. B. sogar nur auf nichtmedizinische Forschung spezialisiert.

 

Aber das ist gar nicht notwendig. Auch innerhalb medizinischer Forschung, sogar innerhalb der speziellen Stammzellenforschung könnte sich Deutschland mit Gewinn z. B. auf die Erforschung der adulten Stammzellen spezialisieren. Die adulten Stammzellen, die im allgemeinen dem Körper des zu behandelnden Patienten entnommen werden, gelten zwar längst nicht als so undifferenziert wie die embryonalen Stammzellen, sie können also vermutlich nicht für die Entwicklung aller denkbaren Zellarten verwandt werden; sie haben aber den Vorteil, dass sie vom Körper nicht abgestoßen werden, da sie ja aus dem Körper des zu behandelnden Patienten gewonnen wurden.

 

Bei einer solchen Spezialisierung wäre das Wachstumspotential gewahrt und es bestünde auch nicht die Gefahr, dass Wissenschaftler in großem Maße ins Ausland abwandern. Die embryonalen Stammzellen haben zwar gegenüber den adulten Stammzellen den Vorteil, dass sie völlig undifferenziert sind, sodass sich theoretisch jede denkbare Zelle aus ihr entwickeln lässt, sie haben jedoch gegenüber den adulten Stammzellen den Nachteil, dass sie aus einem fremden Körper stammen und dass deshalb die Gefahr besteht, dass sie vom Körper, in den diese Zellen eingepflanzt werden sollen, abgestoßen werden.

 

Hinzugefügt werden muss, dass die Forschung auf diesem Gebiete noch ganz in den Anfängen steckt. Schon seit langem bemüht man sich darum, Wege zu finden, dass das fremde Zellmaterial vom eigenen Körper angenommen wird. Auf der anderen Seite wird von einer britischen Untersuchung berichtet, bei der die Eigenschaften von adulten mit denen von embryonalen Stammzellen verglichen wurden und keine gravierenden Unterschiede (!) festgestellt werden konnten. Es scheint, als könnten auch aus adulten Stammzellen unterschiedliche Zellverbände entwickelt werden. Noch fehlt allerdings die Bestätigung durch eine Kontrolluntersuchung.

 

 

4. Erfahrungen aus der speziellen Versicherungswissenschaft

 

Ich erinnere mich an eine Aussage unseres Physiklehrers, der davon sprach, dass wir Menschen die Reibung als unangenehm empfinden, da sie unsere Bewegungsaktivitäten behindert und verlangsamt, dass aber trotzdem Leben nur möglich sei, da es Reibung gebe, da ohne Reibung gezielte Bewegung gar nicht möglich sei.

 

Ein ähnlicher Zusammenhang gilt auch im Hinblick auf die soziale Unsicherheit. Sie behindert uns, sie bringt uns sehr viel Leid, trotzdem ist ein kollektiver Schutz und eine Umverteilung zugunsten der Armen überhaupt nur möglich, da nahezu jeder von dieser Unsicherheit betroffen ist.

 

Ein kollektiver Schutz vor den sozialen Risiken der Krankheit, des Unfalls, des Alters und der Arbeitslosigkeit ist möglich, da es bei einem kollektiven Versicherungsschutz ausreicht, das durchschnittliche Risiko abzudecken, während bei rein privater Vorsorge gegenüber den sozialen Risiken immer das höchstmögliche Risiko abgedeckt werden müsste, wollte man einen vollkommen Schutz erzielen.

 

So kommt es, dass ein Risiko-Schutz im Rahmen eines kollektiven Systems effizienter ist als eine rein private Vorsorge, obwohl zunächst bei kollektivem Schutz zusätzliche Verwaltungskosten entstehen: Es muss eine Verwaltung aufgebaut werden, die feststellt, welche Risiken entstanden sind und die dann die Ressourcen an die vom Risiko betroffenen Individuen austeilen.

 

Kosten entstehen bei kollektivem Schutz vor allem auch deshalb, weil immer die Gefahr besteht, dass einzelne das Kollektiv missbräuchlich in Anspruch zu nehmen versuchen und dass deshalb das Kollektiv zusätzlich Ressourcen aufwenden muss, um diesen Missbrauch festzustellen und zu unterbinden. Dass trotz dieser anfänglich zusätzlichen Kosten die Versicherungslösung insgesamt billiger ausfällt als eine rein private Vorsorge durch Sparrücklagen, liegt darin, dass das durchschnittliche Risiko wesentlich niedriger ausfällt als das höchstmögliche Risiko.

 

Der Unterschied zwischen dem maximalen und dem durchschnittlichen Risiko hängt entscheidend davon ab, wie groß auf der einen Seite die Gruppe derjenigen ist, die mit dem Risiko rechnen müssen und deshalb an einer Versicherungslösung interessiert sind und der Gruppe, die tatsächlich von dem Risiko befallen wird.

 

Das Durchschnittsrisiko wird um so geringer ausfallen, je größer die zu versichernde Gruppe ist und je geringer die Gruppe der tatsächlich vom Risiko befallenen ist. Je geringer jedoch diese Unterschiede werden, um so geringer ist der Gewinn aus der Versicherungslösung und ab einem bestimmten minimalen Unterschied wird die Versicherungslösung teurer als die individuelle Lösung, da zusätzliche Verwaltungskosten und zusätzlich Kosten aufgrund von Missbrauch entstehen.

 

Versicherungslösungen waren in der Vergangenheit möglich und auch in hohem Maße effizient, da fast alle Bürger von den sozialen Risiken betroffen sind, also ein Interesse an einer kollektiven Lösung haben, aber de facto immer nur ein kleiner Prozentsatz von den Risiken tatsächlich befallen wird.

 

Diese Voraussetzungen würden nun fragwürdig, wenn es über gentechnische Methoden gelingen würde, die sozialen Risiken der Krankheit für den größten Teil der Bevölkerung durch Züchtung eines durchweg gesunden Menschen verschwinden zu lassen. Natürlich ist es richtig, dass dann, wenn es uns durch die Erfolge der Genforschung gelingen würde, das Auftreten von Krankheiten für restlos alle Menschen abzuschaffen, auch keine Krankenversicherung mehr benötigt würde. Potentielle Schwierigkeiten mit der Versicherung von Krankheiten wären dann gegenstandslos.

 

Aber selbst unter optimalen Bedingungen können wir nicht davon ausgehen, dass restlos alle Menschen auf diesem Wege erzeugt würden. Stets müsste damit gerechnet werden, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen auf dem normalen, bisherigen Wege erzeugt würde, sodass für diese Minderheit auch nach wie vor das normale Krankheitsrisiko zu erwarten wäre.

 

Da nun aber die Gruppe der vom Risiko betroffenen stark eingeschränkt wäre, könnten nun nicht mehr wie bisher die Krankheitskosten der von der Krankheit tatsächlich Betroffenen auf eine weit größere Gruppe von tatsächlich gesunden Menschen übertragen werden. Die Krankheitskosten würden plötzlich für die Gruppe von Menschen, die immer noch von diesem Risiko betroffen werden, untragbar hoch werden.

 

Wollte man dieses Problem dadurch lösen, dass man die gesunden Menschen trotzdem, obwohl sie kein Krankheitsrisiko mehr haben, zu einem Versicherungsbeitritt zwingt, würde die politische Bereitschaft, diese Lösung mit zu tragen, schwinden, es entstünde die Gefahr, dass man die Berechtigung der Existenz der kranken Menschen immer mehr in Frage stellen würde. Euthanasie würde wiederum zu einem aktuellen Thema.

 

In viel kleinerem Maßstab begegnet uns dieses Problem bereits heute im Zusammenhang mit der augenblicklichen Krise der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufgrund eines starken Rückganges des wirtschaftlichen Wachstums gingen die Beitragseinnahmen rapide zurück, mit der Folge, dass die Beitragssätze stark ansteigen mussten, um ein finanzielles Gleichgewicht zu erzielen.

 

Bei starkem Anstieg der Beitragssätze und gleichbleibendem Leistungsniveau nimmt jedoch der Missbrauch zu, da sich immer mehr Versicherungsmitglieder für berechtigt ansehen, entsprechend zunehmender Belastung durch die Krankenkassen diese auch stärker und missbräuchlich in Anspruch zunehmen.

 

Nun beginnt ein Teufelskreis. Da der Kreis der Versicherten, welche die Krankenkasse unterdurchschnittlich in Anspruch nehmen, sinkt, wird die Kasse immer ineffizienter,

die Beitragssätze müssen angehoben werden, was selbst wiederum den Missbrauch erheblich ansteigen lässt.

 

Auf jeden Fall wären die bereits heute als fast unlösbar geltenden Probleme der Krankenversicherungsreform lächerlich klein gegenüber Problemen, die im Zusammenhang mit der Absicherung gegenüber Krankheiten bei einem grundsätzlich genmanipulierten Menschenstamm entstehen würden.

 

Es ist also falsch, so zu tun, als würde die Einhaltung der christlich inspirierten und in Deutschland weithin gültigen ethischen Grundsätze im Zusammenhang mit der Verwendung von embryonalen Stammzellen zu einem wirtschaftlichen Ruin führen und dass wir deshalb gegenüber einer Zulassung und finanziellen Förderung der Embryonenforschung gar keine realistische Alternative hätten.