Mehr Fortschritt wagen?

 

Die Parteien der Ampelkoalition sind angetreten, mehr Fortschritt zu wagen und erteilten allen Versuchen, auf dem bisherigen Weg weiterzuschreiten, eine Absage. In der Tat hatte es zunächst den Anschein, dass ein neuer Wind wehe, da die Unterhändler der drei Parteien im Gegensatz zu früheren Verhandlungen während der Verhandlungen Stillschweigen wahrten und auf diese Weise in der Tat das Zustandekommen einer Koalitionsvereinbarung erleichtert hatten.

 

Es wird sich erst nach Aufnahme der Regierungsgeschäfte erweisen, ob dieser Eindruck nicht trübte. In vielen Punkten des Koalitionsvertrages schimmern wiederum faule Kompromisse durch.

 

Es hat den Anschein, als hätten die Grünen sowie die SPD auf ihr Ziel verzichtet, die Schuldenbremse abzuschaffen und seien so ein gutes Stück der Position der FDP entgegengekommen. Dieser Anschein trügt jedoch. Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert und Artikel des Grundgesetzes können nur mit 2/3 Mehrheit des Bundestages sowie des Bundesrates verändert werden. Die Ampelkoalition verfügt jedoch weder im Bundestag noch im Bundesrat über eine 2/3 Mehrheit und die zwei größten Oppositionsparteien (die CDU/CSU sowie die AFD) sind nicht gewillt, einer Abschaffung der Schuldenbremse zuzustimmen. Also haben SPD und Grüne in dieser Frage auch kein tatsächliches Zugeständnis gemacht.

 

Und wie steht es mit der Bereitschaft aus, der FDP das für die finanzielle Stabilität wichtige Finanzministerium zuzugestehen? Hier muss man sich darüber klar sein, dass seit Geltung der Schuldenbremse die Bedeutung des Finanzministeriums für die finanzielle Stabilität ohnehin etwas nachgelassen hat. Wichtiger ist die Frage, ob SPD und Grüne nicht auf anderem Wege dennoch eine Zunahme der Verschuldung durchsetzen können. Man kann bestimmte Ausgaben für Infrastrukturinvestitionen in abgesonderte Haushalte verlagern, so etwa, dass man Infrastrukturinvestitionen der KfW überträgt.

 

Soweit die von dieser Bank gewährten Investitionen mit von privaten Haushalten ersparten Einlagen finanziert werden, ist diese Art von Finanzierung unbedenklich. Soweit aber der Staat die KfW mit Krediten unterstützt, welche nicht aus Steuereinnahmen entstammen, sind gesamtwirtschaftlich gesehen die gleichen Wirkungen zu erwarten, welche auch von einem defizitären Staatsbuget ausgehen würden. Gesamtwirtschaftlich ist nur von Bedeutung, inwieweit die Wähler bei ihren Entscheidungen darüber unterrichtet werden, nicht nur welchen Nutzen (Vorteil) sie aus den politischen Entscheidungen ziehen, sondern auch, in welchem Umfang sie eine Einschränkung ihrer Konsumausgaben hinnehmen müssen.

 

Wichtiger ist jedoch ein weiterer Aspekt. Da die Bundesrepublik der Europäischen Union angehört, ist von wachsender Bedeutung, inwieweit von Seiten der Europäischen Union eine defizitäre Politik durchgeführt wird.

 

In der Vergangenheit hatten sich Frankreich, Italien und Spanien nicht nur in starkem Maße im eigenen Land verschuldet, sondern versuchten auch eine europäische Verschuldung durchzusetzen, obwohl gerade die Länder mit einer höheren Verschuldung auch eine wesentlich höhere Arbeitslosenrate aufwiesen als diejenigen Länder, welche sich wie die Bundesrepublik in geringerem Maße verschuldet hatten. Es war vor allem der Widerstand der Bundesrepublik, dass sich diese Vorhaben nicht durchsetzen konnten und nur im Zusammenhang mit der Pandemie konnte eine begrenzte Summe an defizitärer Finanzierung realisiert werden.

 

In dieser Hinsicht ist zu erwarten, dass die Bundesrepublik ihre Haltung ändern wird. Die hierfür entscheidenden Gremien (Bundeskanzleramt und Außenministerium) sind mit Herrn Scholz und Frau Baerbock in Händen der SPD und der Grünen und diese sind bestrebt, die notwendigen Infrastrukturinvestitionen defizitär zu finanzieren.

 

Weitere Probleme bereitet der Anspruch der neuen Koalition, vor allem aber der in Aussicht gestellten Außenministerin Baerbock auf eine wertebasierte Außenpolitik. In weit stärkerem Maße als in der Vergangenheit sollen Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten stärker als bisher gebrandmarkt werden und mit Sanktionen bekämpft werden.

 

Aber für den Erfolg der Sanktionen kommt es darauf an, inwieweit von den Sanktionen eine Schwächung der Position der Machthaber ausgeht. Putin z. B. wird seine Haltung nur dann aufgrund von Sanktionen ändern, wenn von den Sanktionen eine unmittelbare Gefährdung seiner politischen Stellung ausgeht.

 

Und in dieser Frage gilt es festzustellen, dass sich die Position Putins seit Verhängung der Sanktionen eindeutig verbessert hat. Er konnte bei den letzten Wahlen seine Position sogar ausbauen.

 

Man kann diese Stärkung der politischen Position Putins aufgrund der Sanktionen auch mit einem ganz generellen Verhalten von Machthabern in Diktaturen erklären. Machthaber versuchen nämlich ganz allgemein immer dann, wenn ihre Position gegenüber der Bevölkerung geschwächt ist, außenpolitische Konflikte vom Zaun zu brechen, da immer dann, wenn ein Staat von außen bedroht wird, die Forderung besteht und auch allgemein anerkannt wird, die innerpolitischen Konflikte ruhen zu lassen, um vereint die äußeren Gefahren abzuwenden.

 

In diesem Sinne kam die Verhängung von Sanktionen politisch gesehen Putin sogar zugute. Er konnte aufgrund dieser äußeren Bedrohung das Interesse an innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken und auf diese Weise seine Position sogar noch verstärken.

  

Eine oft angewandte Art einer Sanktion besteht darin, dass bestimmte Waren nicht mehr von diesem Land importiert werden oder dass andere Waren nicht mehr in dieses Land exportiert werden.

 

In beiden Fällen haben diese Maßnahmen nicht nur zur Folge, dass das zu sanktionierende Land bei einer Exportsperre unter Umständen auf wichtige Güter verzichten muss, auf die dieses Land angewiesen ist, sondern gleichzeitig verringern diese Maßnahmen die Erlöse der einheimischen Wirtschaft. Bei einer Importsperre fehlen dem eigenen Land unter Umständen wiederum lebenswichtige Rohstoffe.

 

Wie groß der eigene Schaden ist, hängt dann selbst wiederum davon ab, ob die eigenen Waren relativ schnell in andere Länder geliefert werden können bezw. ob die nun fehlenden Rohstoffe und Zwischenprodukte kurzfristig von anderen Ländern erworben werden können.

 

Diese Umstände gelten natürlich in gleicher Weise für das zu sanktionierende Land. So ist bekannt, dass sich Russland nach Einführung dieser Sanktionen darum bemüht hat, in China neue Absatzmärkte für Öl und Gas zu gewinnen.

 

Aber selbst dann, wenn es uns gelingt, neue Absatzmärkte oder Einkaufsmärkte zu gewinnen, es vergeht stets Zeit, bis diese neuen Märkte eingerichtet sind und die Umstellung der Produktion ist stets mit mehr oder weniger hohen Kosten verbunden. Erhebliche Kosten für das eigene Land entstehen aufgrund von Sanktionen welche gegenüber ausländischen Staaten verhängt werden, nahezu immer.

 

Damit sind jedoch nur die kurzfristigen Kosten einer Sanktionierung angesprochen. Mittelfristig muss damit gerechnet werden, dass das sanktionierte Land zurückschlägt und nun ebenfalls Sanktionen gegen das Land verhängt, das diese erstgenannten Sanktionen eingeführt hat.

 

Es entspricht einer allgemeinen Übung, Sanktionen mit Gegensanktionen zu beantworten, wobei die Staaten darum bemüht sind, den Umfang und die Schwere ihrer eigenen Sanktionen am Umfang und an der Schwere der erstgenannten Sanktionen auszurichten. Und genau so, wie die erstgenannten Sanktionen im sanktionierten Land Schaden angerichtet haben, werden nun zusätzlich zu den kurzfristigen Kosten in mittelfristiger Sicht weitere Kosten entstehen.

 

Zusätzlich zu diesen wirtschaftlichen Schäden sind sozusagen als negative Nebeneffekte weitere Belastungen zu erwarten. Jede Maßnahme, welche sich gegen ein Land richtet, verschlechtert das Klima im Umgang mit diesen Staaten. Da aber gewisse Abmachungen auch zwischen sonst feindlichen Staaten notwendig sind, werden diese Verhandlungen erschwert und es ist zumindest schwieriger geworden, sich in diesen Fragen mit dem feindlichen Land zu arrangieren.

 

So ist davon auszugehen, dass alle größeren Länder darauf angewiesen sind, die atomare Bedrohung zu überwinden, da auf der einen Seite damit gerechnet werden muss, dass die atomare Abschreckung nicht funktioniert und da auf der anderen Seite keiner der beteiligten Staaten bei Ausbruch eines Atomkrieges vermutlich überleben kann.

 

Man kann jedoch davon ausgehen, dass vertrauliche Gespräche viel eher die in Frage stehenden Staatschefs dazu bewegen können, diese Maßnahmen zurückzunehmen, also z. B. nach unserer Meinung den zu Unrecht verhafteten deutschen Staatsbürgern zu erlauben, das Land zu verlassen und auf eine Verurteilung zu verzichten.

 

Die Erfolgsaussichten sind in diesem Falle sehr viel besser als bei einer öffentlichen Brandmarkung, weil die ausländischen Politiker in diesem Falle nicht öffentlich gedemütigt werden und weil deshalb diese Politiker sich nicht veranlasst sehen, zurückzuschlagen. Es kann in diesem Falle sehr wohl im Interesse des Auslandes liegen, den Verhafteten freizugeben, um im Gegenzug gewisse Leistungen des begünstigten Staates zu erreichen.

 

Ein solches Vorgehen führt auch nicht zu einer Verstimmung zwischen den Staaten und behindert deshalb auch nicht die gemeinsamen Maßnahmen dieser Staaten (im Falle der Türkei z. B. das Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen).

 

Schließlich waren solche Maßnahmen auch in der Zeit des kalten Krieges möglich, in der die USA und die Sowjetunion auf diesem leisen Wege zum Beispiel wiederholt Kriegsgefangene ausgetauscht hatten.

 

Auch der Versuch, Sanktionen darauf zu beschränken, die Konten einiger ausländischer Politiker einzufrieren, dürfte keine große Wirkung zeigen, da es in einer Diktatur immer möglich ist, die geschädigten Politiker auf Kosten der Allgemeinheit zu entschädigen.