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Zur Frustrationsbewältigung in der Erziehung

Fortsetzung

 

Gliederung:

 

1. Zur Problematik

2. Zum Begriff Frustration

3. Ursachen der Frustration

4. Folgen der Frustration

5. Vom Wandel der Möglichkeiten

6. Vom Wandel des Bedarfs

7. Vom Wandel der Zielsetzungen

8. Strategien der Frustrationsbewältigung

9. Erziehungsmethoden zur Frustrationsbewältigung

 

 

 

 

6. Vom Wandel des Bedarfs

 

Befassen wir uns deshalb etwas ausführlicher mit dem Wandel des Bedarfs und den hierdurch entstehenden Auswirkungen für das Problem der Frustrationsbewältigung. Der Bedarf stellt keinesfalls eine der Menschheit vorgegebene Konstante dar. Zwar kann man davon ausgehen, dass der durch das physische Existenzminimum umschriebene Bedarf weitgehend vorgegeben ist. Bereits für das kulturelle Existenzminimum müssen wir jedoch feststellen, dass es keine natürliche und damit vorgegebene Definition darüber gibt, was alles zu diesem kulturellen Existenzminimum zu zählen ist, vor allem haben wir gesehen, dass mit wachsendem Pro-Kopf-Einkommen im Allgemeinen auch das kulturelle Existenzminimum angehoben wird.

 

Mit wachsendem Wohlstand einer Bevölkerung erhöhen sich in der Regel sowohl der Umfang wie auch die Struktur der einzelnen Bedürfnisse. Bei sehr geringem Wohlstand geben sich die Menschen mit dem allernotwendigsten zufrieden, sie streben lediglich an, satt zu werden, keinen Durst zu leiden, eine Kleidung zu besitzen, die vor Kälte und Hitze schützt und ‚ein Dach über dem Kopf‘ zu haben. Steigt der Wohlstand an, so geben sich die Menschen im Allgemeinen nicht damit zufrieden, das bisher erreichte zu erhalten, sie weiten ihre Bedürfnisse aus.

 

Es kommt ihnen nun darauf an, z. B. ein geschmackvolles und abwechslungsreiches Essen zu erhalten, bei der Zufuhr von Flüssigkeit gibt man sich nicht mehr nur mit reinem Wasser zufrieden, die Kleidung erfüllt nicht mehr nur die Aufgabe, vor Kälte und Hitze zu schützen, die Kleidung dient als Prestigeobjekt, man wechselt die Kleider lange bevor sie verschlissen sind und folgt der Mode, der Wohnungsbedarf steigt an, in dem immer größere Wohnungen gebaut werden und die Verrichtungen im Haushalt werden immer mehr von Maschinen und Einrichtungen übernommen.

 

Wir unterscheiden in der Entwicklungstheorie im Allgemeinen zwischen drei wirtschaftlichen Entwicklungsstufen. Auf der ersten Stufe überwiegt die landwirtschaftliche Produktion. Zwar entwickelten sich schon sehr früh ein weltweiter Handel einzelner gewerblicher Produkte sowie eine handwerkliche Produktion; der Anteil der landwirtschaftlichen Güter lag jedoch weit über 50% der Gesamtproduktion. Diese erste landwirtschaftliche Entwicklungsstufe finden wir sowohl im Altertum wie auch im Mittelalter.

 

Mi der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 20. Jahrhundert begann eine zweite Entwicklungsstufe, in welcher der Anteil der gewerblichen und vor allem der industriellen Produktion auf über 50% des gesamten Inlandsprodukts anstieg. Der Umfang der landwirtschaftlichen Produktion stieg zwar in absoluten Zahlen nach wie vor an, ihr relativer Anteil am gesamten Inlandsprodukt wurde jedoch immer geringer und liegt heute in den höchst entwickelten Volkswirtschaften weit unter 10%.

 

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg der Anteil der Dienstleistungen an und erreichte in den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften wie vor allem in den USA die führende Position. In der BRD trat im Vergleich zu anderen hochentwickelten Volkswirtschaften diese Entwicklung erst verzögert in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ein, da aufgrund einer permanenten Unterbewertung der DM die Bundesrepublik Deutschland lange Zeit Exportüberschüsse aufwies und die Unternehmungen deshalb nicht unter dem Druck standen, zu rationalisieren und die Produktion vermehrt auf den Dienstleistungssektor umzustellen.

 

Im Laufe der Geschichte wurden immer wiederum Lehren entwickelt, wonach sehr bald mit einer Sättigung der Menschen gerechnet werden müsse. So wurde prophezeit, dass wegen dieser Sättigung immer weniger Arbeitnehmer zur Erstellung der Güter benötigt würden und dass deshalb auch immer mehr Arbeiter arbeitslos würden und deshalb aufgrund zunehmenden Reichtums der Nation in Armut verfielen.

 

Joseph Alois Schumpeter hat darauf hingewiesen, dass diese Propheten immer wieder durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt wurden. Langfristig gesehen sei das Inlandsprodukt enorm gestiegen, jede Marktwirtschaft habe schließlich aus einem vorübergehenden Konjunkturabschwung herausgefunden. Der eigentliche Mangel dieser Lehren habe darin gelegen, dass es diesen Theoretikern an Phantasie mangle, sich vorzustellen, in welche Richtung sich der zukünftige Bedarf entwickeln werde. Eine gewisse Sättigung ist allerdings noch am ehesten in den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften im Bereich der landwirtschaftlichen Produkte eingetreten.

 

Wir wollen also festhalten, dass sich der Bedarf den Möglichkeiten anpasst. Deshalb gehen auch einige Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass der Bedarf nahezu unermesslich ist und lediglich durch die vorgegebenen Möglichkeiten begrenzt werde, sodass ein Zuwachs an Möglichkeiten automatisch dazu führe, dass der Bedarf sich anpasse und ansteige.

 

Nun hängt der Bedarf sicherlich nicht nur von den Möglichkeiten ab, diesen Bedarf zu befriedigen. Auch die natürlichen Gegebenheiten bestimmen weitgehend, welchen Bedarf die Menschen jeweils haben. Während die ersten Jahrhunderte seit der Industrialisierung dadurch ausgezeichnet waren, dass der materielle Wohlstand anstieg und deshalb der Umfang der Frustrationen zurückgehen konnte, zeichnet sich die augenblickliche Situation nahezu auf der gesamten Erde dadurch aus, dass Naturkatastrophen immer häufiger auftreten und dass im Zusammenhang mit der Vorsorge und Bewältigung dieser Umwelteinflüsse ein immens hoher zusätzlicher kollektiver Bedarf entsteht.

 

So werden ganze Wohngebiete durch Stürme und Überflutungen zerstört. Es müssen danach neue Wohnungen, Schulen, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude und Straßen gebaut werden, es müssen weiterhin die notwendigsten Lebensmittel in die zum Teil abgeschnittenen, von diesen Naturkatastrophen heimgesuchten Landstriche mit außer-ordentlich hohen Kosten herangebracht werden. Vor allem aber müssen Dämme errichtet werden, die den Naturgewalten trotzen und verhindern, dass die Fluten weit ins Landesinnere eindringen können. Es müssen weiterhin neue Baumethoden entwickelt werden, welche die neu zu errichtenden Gebäude erdbebensicherer machen. Der hierdurch entstehende materielle Zusatzbedarf ist so hoch, dass wir für die nächsten Jahrzehnte auf jeden Fall einen enormen Anstieg des Bedarfs an materiellen Ressourcen haben werden.

 

Angesichts der großen weltweiten Armut in den wirtschaftlichen Entwicklungsländern vor allem in Afrika, Asien und Süd- und Mittelamerika und angesichts der erklärten Absicht der in der UNO vereinigten Staaten, die Armut weltweit zu bekämpfen, entsteht in den nächsten Jahrzehnten weiterhin ein so hoher zusätzlicher Bedarf an materiellen Gütern, dass der Bedarf weit hinter den Möglichkeiten liegt und dass deshalb auch nicht mit der Gefahr gerechnet werden muss, dass der Bedarf im Vergleich zu den vorhandenen materiellen Ressourcen zu gering ist. Es gibt also keinen Anlass anzunehmen, dass in nächster Zukunft vom größten Teil der Menschheit nahezu alle Wünsche erfüllt werden können und dass aus diesen Gründen die Jugendlichen auch nicht mehr darauf vorbereitet werden müssen, auf Frustrationen angemessen zu reagieren. Die Mehrheit der Menschen wird nachwievor vor der Tatsache stehen, dass sie immer wieder Enttäuschungen erlebt. 

 

 

7. Vom Wandel der Zielsetzungen

 

Die letzten Jahrhunderte sind jedoch nicht nur dadurch ausgezeichnet, dass sich die materiellen Möglichkeiten und der menschliche Bedarf weiterentwickelt und dass sich deshalb die Ursachen der Frustrationen gewandelt haben. Ein Wandel trat vor allem auch in den Leitbildern der Erziehung ein, sodass auch schon aus diesen Gründen überprüft werden muss, inwieweit die in der Erziehung bisher angewandten Methoden zur Frustrationsbewältigung nach wie vor übernommen werden können. Fragen wir uns deshalb, in welchen Punkten die heutigen Erziehungsideale von den bisherigen Zielen abweichen.

 

Der vergangene Staat war zumeist ein Obrigkeitsstaat. Dies galt für die meisten Staaten des Altertums, wenn man einmal von der relativ kurzen Periode der Demokratie im klassischen Athen absieht, weiterhin für die König- und Kaiserreiche im Mittelalter – zumindest gegenüber den normalen Bürgern –, für den absolutistischen Staat zu Beginn der Neuzeit wie vor allem für die modernen Diktaturen. Deutschland z. B. war so bis zum Zusammenbruch am Ende des zweiten Weltkrieges  ­– mit dem kurzen Intermezzo der Weimarer Republik –  weitgehend ein Obrigkeitsstaat.

 

Dieser Obrigkeitsstaat zeichnete sich dadurch aus, dass alle Gewalt vom Staate ausging, dass es den Bürgern oblag, den Beamten des Staates zu gehorchen, die Arbeitnehmer waren den Unternehmern untergeben, die Jugendlichen in den Schulen den Schulbehörden und Lehrern, die Familienmitglieder (Kinder und Frauen) dem Familienoberhaupt. Das Sagen hatten also einige wenige Führungseliten. Man ging von der Vorstellung aus, dass der einfache Bürger ohnehin nicht genügend Verstand besitze, um seine eigenen Belange bestmöglich wahrnehmen zu können, deshalb sei es Aufgabe des Staates und der Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung, die wichtigsten Entscheidungen in meritorischer Absicht den Bürgern abzunehmen. Man ging von dem mittelalterlichen Grundsatz aus, wem Gott ein Amt gebe, dem gebe er auch den Verstand‘.

 

Die wichtigste Tugend eines Bürgers lag somit darin, den Weisungen von oben (der Bürokraten, der Arbeitgeber, des Familienoberhauptes) unbedingten Gehorsam zu leisten, sich an die Entscheidungen der Führungskräfte anzupassen. Die Unterordnung unter die Gemeinschaft galt als wichtigste Zielsetzung. So sollten auch die Kinder und Jugendlichen schon sehr früh lernen, sich den Weisungen der Vorgesetzten zu fügen.

 

Vorbild war die militärische Erziehung. Der einzelne sollte schon sehr früh dazu erzogen werden, sich gegen äußere Feinde zu wehren. In den Unternehmungen zu Beginn der Industrialisierung wurden deshalb auch häufig ehemalige Offiziere eingestellt, da man die militärische Organisation als Vorbild ansah und davon ausging, dass Offiziere am ehesten in der Lage seien, eine größere Unternehmung zu führen und für Ordnung zu sorgen. Die Arbeitnehmer wurden deshalb oftmals auch weniger nach ihrer Qualifikation ausgewählt. Einstellungsgespräche wurden oft mit der Frage eingeleitet‚ ‚wo haben sie gedient‘?

 

Die Folge eines solchen Erziehungsleitbildes bestand dann auch darin, dass das wichtigste Ziel der Erziehung darin bestand, Frustrationen still zu erdulden, vor allem Schmerzen und Beeinträchtigungen nach außen hin nicht zu zeigen. Man handelte nach dem Grundsatz: ‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz‘. Der einzelne Jugendliche war den Erziehern und den Führungskräften gegenüber unbedingten Gehorsam schuldig. Er lernte aber auch, sich gegen Gleichgeordnete zu wehren und so sich in Wehrhaftigkeit zu üben. Die Folge eines solchen Erziehungsideals war dann oftmals auch, dass der einzelne lernte, sich wie ein Radfahrer zu verhalten: ‘Nach oben zu buckeln und nach unten zu treten‘.

 

Ganz anders sind die Erziehungsideale in einer modernen, freiheitlichen Demokratie. Hier geht es darum, freie, selbstbewusste Bürger zu erziehen, die sich zwar auch der Gemeinschaft verpflichtet fühlen, die sich aber nicht bedingungslos und willenlos den übergeordneten Instanzen anpassen. Der eigentliche Souverän ist in einer Demokratie das Volk, die Regierungen und Parlamente werden in allgemeinen Wahlen vom Volk selbst gewählt und handeln stets im Auftrag eben dieser Bürger. Genauso wichtig wie der Grundsatz, dem Allgemeinwohl zu dienen ist der weitere Grundsatz, dass das Gemeinwohl selbst wiederum auf das Wohl der einzelnen Bürger zurückzuführen ist. Der einzelne Mensch sollte niemals nur als Objekt menschlicher Handlungen angesehen werden.

 

Die Unterordnung ergibt sich hier weniger aus der unbedingten Verpflichtung zur Unterordnung, sondern aus der Einsicht, dass die Realisierung der gemeinsamen Ziele verlangt, dass die gemeinsamen Aufgaben nur erreicht werden können, wenn eine Führung gebildet wird, welche auch an die einzelnen Gruppenmitgliedern Weisungen erteilen kann. Ein Auto z. B. lässt sich eben nur dann fahren, wenn ein einzelner die Lenkung des PKWs übernimmt.

 

Genauso wie das gemeinsame Ziel oftmals verlangt, dass eine Unterordnung der einzelnen Beteiligten erfolgt, genauso hängt der Erfolg eines gemeinsamen Unternehmens davon ab, dass die Auswahl der einzelnen Mitglieder einer Gemeinschaft, vor allem aber auch der Führungskräfte nach sachlichen Kriterien erfolgt. Nicht die Herkunft des einzelnen, sondern seine Eignung zur Lösung der anstehenden Probleme sollte also bei der Auswahl entscheiden.

 

Dieser Wandel in den allgemeinen Vorstellungen über die Rechte und Pflichten eines Bürgers schlug sich auch in den angestrebten Methoden in der Erziehung nieder. Das bisherige Erziehungsideal bestand in einer eindeutigen Unterordnung der Jugendlichen gegenüber den Eltern und den sonstigen Erziehungsberechtigten. Man konnte somit von einer autoritären Erziehungsmethode sprechen: ‚Alles sollte zwar für das Kind, aber immer nur durch die Erwachsenen realisiert werden‘. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde zum Generalangriff gegen diese autoritäre Erziehung geblasen. Vor allem die Linken forderten eine antiautoritäre Erziehung.

 

Wie man diese Forderung zu beurteilen hat, hängt natürlich entscheidend davon ab, was man unter antiautoritärer Erziehung zu verstehen hat. Richtig ist an dieser Forderung, dass Erziehung heutzutage nicht autoritär in dem Sinne erfolgen sollte, dass die Kinder und Jugendlichen lediglich als Befehlsempfänger der Erziehungsberechtigten anzusehen sind, dass also Kinder aus Prinzip niemals den Anweisungen der Erwachsenen widersprechen dürfen, mögen diese im Einzelnen noch so verfehlt sein. Dies würde eindeutig der Zielsetzung widersprechen, die Jugendlichen auf ein zukünftiges Leben in einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft vorzubereiten.

 

Die Forderung nach antiautoritärer Erziehung wurde jedoch von den Verfechtern dieser Richtung im Allgemeinen sehr viel weitgehender verstanden. Es wurde die Zielvorstellung entwickelt, dass die Eltern ihren Kindern überhaupt keine Anweisungen zu erteilen hätten, dass sich die Entwicklung der Jugendlichen zu verantwortungsfähigen Erwachsenen in einer Art Laisser-faire-Methode zu ergeben habe, dass also die Kinder in der Auseinandersetzung mit den Gleichaltrigen, aber auch den Erwachsenen lernen müssten, wie sie sich auch als Erwachsene zu verhalten hätten. Bei einem großen Teil der Eltern, die dieses Erziehungsideal einer antiautoritären Erziehung verfolgten, äußerten sich diese Methoden allerdings einfach darin, dass die Eltern jede Verantwortung für ihre Kinder weit von sich wiesen und bestrebt waren, sich ganz dem anderen Elternteil zu widmen und jede Beeinträchtigung von Seiten ihrer eigenen Kinder abzuwehren.

 

Eine solche Methode ist jedoch nicht geeignet, die Jugendlichen zu Bürgern zu erziehen, die in ihrem späteren Leben ihren Aufgaben in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft gerecht werden. Es wird hier vor allem außer Acht gelassen, dass Kinder bis zu einem bestimmten Alter gar nicht fähig sind, Verantwortung zu übernehmen, dass sie die Folgen ihrer Aktivitäten sowohl im Hinblick auf ihr eigenes Wohl wie auch auf die Interessen der anderen Mitbürger nicht einschätzen können, dass sie erst durch die Erziehung ihrer Eltern allmählich erfahren, wie sich Handlungen langfristig auswirken und welche Handlungsalternativen überhaupt möglich sind.

 

Mit Recht werden deshalb Kinder und Jugendliche bis zu einem kritischen Alter gar nicht oder ab einem bestimmten Alter nur in begrenztem Maße für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen und somit als nur begrenzt schuldfähig im Sinne des Strafrechts angesehen.

 

Wenn also auch eine antiautoritäre Erziehung in diesem radikalen Sinne abzulehnen ist, wird man doch einräumen müssen, dass eine Vielzahl von in der Vergangenheit praktizierten Erziehungsmethoden vielleicht geeignet waren, die Jugendlichen zu Untergebenen in einem Obrigkeitsstaat zu erziehen, dass sie aber nicht in der Lage sind, die Jugendlichen auf das erforderliche Verhalten in einem freiheitlichen und demokratischen Staat vorzubereiten. Wir werden auf diese Frage noch ausführlich bei der Diskussion der einzelnen Methoden zur Frustrationsbewältigung zu sprechen kommen.

 

 

8. Strategien der Frustrationsbewältigung

 

Frustration führt – wenn man sich nicht um eine bewusste Einflussnahme bemüht –  im Allgemeinen zu einem aggressiven Verhalten. Man kann hierbei von einer natürlichen Reaktionsweise sprechen. Die Beantwortung einer Frustration mit Aggression kann einmal deshalb als ‚natürlich‘ bezeichnet werden, weil sie immer dann zu erwarten ist, wenn sie von selbst – also als natürliche Reaktion und ohne den Versuch einer Einflussnahme  – erfolgt.

 

Von einer ‚natürlichen’ Reaktion kann man aber zum andern auch deshalb sprechen, weil diese Reaktion von unseren Vorfahren vor langer Zeit ererbt wurde, als nur durch Aggression gegenüber den Mitmenschen ein Überleben überhaupt möglich war. Der Nahrungsspielraum war eng begrenzt, sodass nur derjenige, der sich gegenüber seinen Artgenossen wehrte und aggressiv verhielt, die Chance hatte, soviel Nahrungsmittel zu erbeuten wie zum Überleben notwendig war.

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen gingen wir stets stillschweigend davon aus, dass eine aggressive Haltung als etwas Negatives, Unerwünschtes anzusehen ist. Wir hatten allerdings auch schon erwähnt, dass unsere Vorfahren ein aggressives Verhalten zum Überleben benötigt hatten. Deshalb war die Haltung zur Aggression in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten auch sehr viel positiver als heute. Sicherlich ist die Haltung zur Aggressivität entscheidend abhängig vom allgemeinen Bild der Gesellschaft und der Rolle des Individuums in der Gesellschaft.

 

Entscheidend hierbei ist die Frage, wie viel Aggression zum heutigen Überleben des Menschen notwendig ist. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass auch friedfertige Gemeinschaften stets von weniger friedfertigen Menschen bedroht werden, sodass ein Überleben friedfertiger Gesellschaften ein Mindestmaß an Wehrhaftigkeit und damit auch Aggressivität voraussetzt.

 

Es wird hierbei jedoch oftmals übersehen, dass die Art der Erziehung und der Umgang mit der Frustrationsbewältigung selbst Einfluss auf das Ausmaß an Aggressivität einer Gesellschaft haben dürfte. Wir brauchen zwar vielleicht ein bestimmtes Mindestmaß an Aggressivität, um uns gegen Anfeindungen von außen zu erwehren. Wir müssen jedoch bedenken, dass gerade auf diese Weise das gesamte Aggresionspotential auf der gesamten Welt notwendigerweise ansteigt. Wenn sich nämlich alle Nationen so verhalten und deshalb dafür Sorge tragen, dass alle Nationen ein gewisses Aggressionspotential besitzen, steigt auch gleichzeitig die Gefahr, dass wir von anderen Nationen angegriffen werden und dass es notwendig wird, sich gegen diese Aggression zu wehren.   

 

Es kommt dann sehr leicht zu einer Spirale der Gewalt. Die eine Nation beginnt mit der Aggression. Die angegriffene Nation wehrt sich und antwortet mit Gegengewalt, dehnt unter Umständen sogar das Niveau der Gewalt aus, um den Gegner in Zukunft davon abzuschrecken, seine Nachbarn anzugreifen. Auch die nun stärker angegriffene Nation wird sich bemühen, gleichzuziehen und nach Möglichkeit aus den gleichen Gründen das Aggressionsausmaß zu verstärken. Sehr schnell kommt es zu einem Zustand, bei dem vergessen ist, wer eigentlich mit der Aggression begonnen hat und jeder glaubt sich im Recht, sich gegen die Angriffe des anderen so weit wie immer möglich zu wehren.

 

Diese Spirale der Gewalt wird nun vor allem durch zwei Zusammenhänge genährt und verstärkt. Auf der einen Seite wissen wir, dass Macht korrumpiert und dass immer die Gefahr besteht, dass derjenige, der über Macht verfügt, diese Macht missbraucht, also in unserem Beispiel auch dann zu dem Mittel der Aggression greift, wenn er selbst nicht angegriffen worden ist und wenn deshalb die feindlichen Handlungen mehr oder weniger zufällig vom Zaun gebrochen werden. Es gibt aber keine berechtigte Begründung dafür, mit einem Angriff zu als erster zu beginnen.

 

Es kommt noch hinzu, dass auch eine gewisse innere Logik feindlicher Auseinandersetzungen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es in der Realität oftmals zu Angriffen kommt. Nach allgemeinem Verständnis ist eine Nation berechtigt, sich gegen Angriffe von außen zu wehren. Nun besteht immer eine gewisse Gefahr, dass Angriffskriege überraschend erfolgen. Denn gerade dann, wenn der potentielle Gegner die Gefahr eines Angriffes nicht erkannt hat, wenn also der Angriff überraschend kam, ist dieser Angriff besonders erfolgreich, da der angegriffene keine Möglichkeit hatte, sich für diesen Kampf ausreichend vorzubereiten.

 

Gerade aber deshalb, weil man nie mit Sicherheit sagen kann, ob der potentielle Gegner einen Angriff vorbereitet, versprechen sich Regierungen einen Vorteil, wenn sie von sich aus den Kampf beginnen und damit die gerade besprochenen Schwierigkeiten zu verhindern versuchen. Man handelt hier nach dem Grundsatz, Angriff sei die beste Verteidigung.

 

Das Beispiel des zweiten Irakkrieges ist ein Beispiel für solche kriegerische Handlungen. Die USA glaubten aufgrund von Ermittlungen des CIA nachweisen zu können, dass Saddam Hussein über Atomwaffen verfüge und dass man den Irak angreifen müsse, um einer atomaren Bedrohung vor allem Israels zuvorzukommen. Obwohl die Inspektoren der Atomüberwachungsbehörde von Saddam Hussain ins Land gelassen wurden und keine Beweise für eine bereits bestehende atomare Bewaffnung finden konnten und obwohl der Irak sogar bereit war, auf Anforderung der UNO einen Teil der Langstreckenraketen zu vernichten, ließen sich die USA von diesen Beweisen nicht überzeugen und begannen einen Angriff auf den Irak.

 

Fragen wir uns kritisch, wie diese Spirale der Gewalt zwar vielleicht nicht vollständig vermieden, aber doch immerhin verringert werden kann. Die Kulturanthropologie (vor allem Margerite Meade) hat gezeigt, dass es Primitivkulturen gibt, die sehr viel friedfertiger mit einander umgehen, die nicht das Ausmaß an Aggressivität wie die modernen Kultursysteme kennen. Nun mag man einwenden, dass sich diese Kultursysteme unter Umständen eine Friedfertigkeit leisten konnten, da sie aus vielleicht zufälligen Umständen heraus von äußeren Feinden verschont blieben.

 

Man muss sich jedoch auch die Frage stellen, warum dies der Fall war. Dass diese Kultursysteme dadurch ausgezeichnet waren, dass sie mit materiellen Gütern reichlich ausgestattet waren und dass deshalb weniger Frustrationen auftraten, welche eine aggressive Haltung und damit möglicherweise Angriffskriege auslösten, entspricht sicherlich nicht der Wirklichkeit. Ganz im Gegenteil handelte es sich bei diesen Primitivkulturen zumeist um im Vergleich zu den heutigen Gesellschaften recht ärmliche Gemeinschaften. Man hätte deshalb eigentlich eher erwarten können, dass diese Völker gerade wegen ihrer Armut eher bereit gewesen wären, Nachbarn, welche einen größeren Reichtum aufwiesen, anzugreifen und sich diesen Reichtum auf kriegerische Weise anzueignen. 

 

Aber vielleicht trug gerade dieser Umstand, dass diese Kultursysteme mit relativ wenigen Gütern ausgestattet waren, dazu bei, dass sie nicht in gleichem Umfange wie sonstige Kulturen von äußeren Feinden bedroht wurden und sich deshalb ein geringeres Aggressionsniveau leisten konnten. Es lohnt sich eben nicht, Völker anzugreifen, welche über keine materiellen Ressourcen verfügen. Genauso wie generelle Aggressionsbereitschaft die Gefahr einer Aggressionsspirale auslöst, genauso kann ein generelles friedfertiges Verhalten die Gefahr solcher Spiralen zumindest vermindern.

 

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft nicht auch bei Vorhandensein einer äußeren Bedrohung mit einem geringeren Aggressionsniveau auskommen kann, indem sie eine aggressive Haltung nur gegenüber Personen und Personengruppen einnimmt, die mit aggressiven Aktivitäten beginnen. Es müsste möglich sein, im normalen Leben Verhaltensweisen zu bevorzugen, die durch Zuvorkommenheit und Respekt geprägt sind. Dies sind auch die Ideale, welche die Verfassungen der freiheitlich-demokratischen Staatsformen nahelegen. Es besteht die Gefahr, dass eine Erziehung, die bewusst auf das Erzeugen von Frustrationen setzt, einen Umfang an Aggressivität zur Folge hat, der ein friedfertiges Verhalten im Alltagsleben verhindert und der gerade die Aggressivität überhaupt erst erzeugt, die es mit dieser Art Erziehung zu bekämpfen gilt.

 

Wie eine aggressive Haltung im Einzelnen zu bewerten ist, hängt natürlich entscheidend davon ab, gegen wen sich die Aggression richtet. Wir bringen im Allgemeinen zumindest ein gewisses Verständnis gegenüber einem aggressiven Verhalten auf, wenn derjenige, gegen den sich die Aggression richtet, den Schaden verursacht hat und welcher somit die Frustrationen ausgelöst hat. Es entspricht zwar rechtstaatlichem Denken, dass auch der zu Unrecht angegriffene das Recht nicht in seine eigene Hand nehmen darf und den Angreifer verfolgen und bestrafen darf, das Gewaltmonopol liegt in einem Rechtstaat immer nur beim Staat, aber immerhin gewährt auch das Gesetz demjenigen, der Straftaten selbst verfolgt und damit neue Straftaten begeht, oftmals mildernde Umstände.

 

Aggressionen sind vor allem dann unerwünscht und zu verurteilen, wenn sie im Sinne eines Angriffs willkürlich ausgelöst werden und sich gegen Unschuldige richten. Da Kinder und Jugendliche bis zu einem bestimmten kritischen Alter überhaupt nicht schuldfähig sind, ist jede Gewalt gegen Kinder und Jugendliche besonders verwerflich.

 

Wenn wir eingangs dieses Abschnitts davon gesprochen haben, dass Aggression eine natürliche Reaktion jeglicher Frustration darstellt, so bedeutet dies keinesfalls, dass Aggression die einzige mögliche oder erwünschte Reaktion auf Frustrationen darstellt. Wir wollen uns deshalb im Weiteren mit möglichen alternativen Reaktionen auf Frustrationen befassen. Es sind vor allem folgende drei Verhaltensweisen, mit denen auf Frustrationen geantwortet werden kann. Man kann erstens den Versuch unternehmen, die negativen Ereignisse, welche die Frustrationen ausgelöst haben umzuwerten, also von der Überzeugung auszugehen, dass diese Ereignisse nur kurzfristig und vordergründig als negativ einzustufen seien, dass sie sich auf sehr langfristige Sicht sogar positiv auswirken können. Man verändert auf diese Weise die Bewertung der Ereignisse.

 

Man kann zweitens aber auch auf Enttäuschungen so reagieren, dass man den eingetretenen Schaden vor der Öffentlichkeit einfach nur verbirgt. Wir werden uns später mit der Frage befassen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verhaltensweise vorteilhaft sein kann. Drittens schließlich kann man sich darum bemühen, das durch die Frustration ausgelöste Aggressionspotential auf andere Zielobjekte wie z. B. Sport umzulenken. Beginnen wir mit der erstgenannten Strategie, dem Versuch, die Frustrationen dadurch zu überwinden, dass die zunächst negativ empfundenen Gefühle umbewertet werden.

 

Dem Umstand, dass die Wünsche und Ziele nicht wie erwartet realisiert werden können, liegen zunächst stets mehr oder weniger objektive Faktoren zugrunde. Diese Faktoren werden nun bewertet – und zwar negativ – und hierbei liegt eindeutig ein subjektives Moment vor. Ein und das gleiche Ergebnis wird von einzelnen Personen unterschiedlich empfunden und bewertet. Für das eine Individuum mögen bestimmte Beschwerden als besonders gravierend empfunden werden, ein anderes Individuum mag das gleiche Ereignis kaum wahrnehmen, in gewissen Extremfällen mag sogar ein solches Ereignis positiv eingestuft werden.

 

Wie bestimmte Ereignisse subjektiv eingestuft werden, hängt nun zunächst einmal von erbbedingten Faktoren ab, aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass wir uns dazu erziehen können, das Gewicht dieser Beschwerden geringer einzuschätzen. Wenn sich jemand z. B. einer zahnärztlichen Behandlung unterziehen muss, so kann er die hierbei entstehenden Schmerzen als besonders störend empfinden, er kann aber auch nach erfolgter Behandlung darüber zufrieden sein oder vielleicht sogar etwas Stolz zeigen, dass es ihm gelungen war, diese Belästigungen durchzustehen.

 

Umbewertungen von Dingen, welche zunächst als negativ eingestuft werden, begegnen uns im alltäglichen Leben immer wieder. Der Leitspruch ‚ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ stellt den Versuch dar, die objektiv vorhandenen Schmerzen zu negieren. Es wird oftmals in der Erziehung vor allem von männlichen Jugendlichen als Vorbild hingestellt, keine Schmerzen zu scheuen und diese zur Schau zu stellen. Es gilt als männlich, Schmerzen zu ertragen und ein Junge gilt als Memme, wenn er sich von Schmerzen hinreißen lässt.

 

Bringen wir ein zweites Beispiel dafür, dass bestimmte Ereignisse, die zunächst als negativ eingestuft wurden, durch bewusstes Handeln im positiven Sinne umbewertet werden. Fast alle Ziele, die wir uns vornehmen, erfordern zumeist zunächst Anstrengungen, die wir als Belastung und unangenehm empfinden. Wer Leistungssport betreibt und siegen will, muss zunächst hart und wiederholt trainieren, der Sieg und Erfolg stellt sich nicht von alleine ein, sondern ist zumeist mit Entbehrungen und Verzicht auf ein geruhsames Leben verbunden.

 

Diese Zusammenhänge gelten auch für jede berufliche Tätigkeit. Will jemand in seinem beruflichen Leben weiterkommen, so muss er sich einer mehrjährigen Ausbildung zumeist an Hochschulen unterziehen, er muss nicht nur hart lernen, sondern auch während der Ausbildung darauf verzichten, bereits Einkommen zu erwerben. Dieser Einkommensverzicht während der Ausbildungsjahre stellt zwar in der Gegenwart einen Nutzenverlust dar, ist also an und für sich etwas negatives, wird aber bewusst in Kauf genommen, da der einzelne damit rechnen kann, dass sein Einkommen und sein beruflicher Erfolg umso höher ausfallen wird und dass es per Saldo über das gesamte Leben gerechnet zu einem Nettogewinn an Wohlfahrt kommen wird. So wird fast jeder Erfolg im beruflichen Leben begleitet sein von einer Vielzahl von Einschränkungen, die bewusst in Kauf genommen werden, um auf diese Weise im Beruf weiterzukommen.

 

Auch für einen Unternehmer gilt, dass Erträge nur dadurch erzielt werden, dass Kosten aufgewandt werden. Der Wettbewerb der Unternehmer untereinander trägt dazu bei, dass nur der Unternehmer erfolgreich sein wird und Gewinne erzielt, der stets nach technischen Verbesserungen ausschaut und damit die Qualität der Produkte verbessert und Kostensenkungen an den Verbraucher weitergibt. Nahezu keine Produktion ist denkbar, ohne dass zuvor zahlreiche Investitionen getätigt werden. Investitionen zeichnen sich aber dadurch aus, dass in den ersten Jahren fast nur Kosten aufgebracht werden müssen und dass erst in späteren Jahren diese Kosten durch Erträge kompensiert und überkompensiert werden. Nahezu jede Investition ist mit Risiken verbunden. Ein Unternehmer muss  im Allgemeinen immer mit der Möglichkeit rechnen, dass die Nachfrage nach seinen Produkten aus irgendwelchen Gründen zurückgeht oder dass Konkurrenten auftreten, mit denen der Unternehmer nicht gerechnet hat oder dass schließlich aus nicht vorhersehbaren Gründen die Kosten der Produktion übermäßig angestiegen sind.

 

Auch in religiöser Hinsicht begegnen wir einem ähnlichen Sachverhalt. Gläubige Menschen gehen davon aus, dass das Leben hier auf Erden eine Art Bewährungsprobe darstellt und dass wir in einem zukünftigen Leben nach dem Tode danach gerichtet oder belohnt werden, wie wir in dem irdischen Leben die Gebote Gottes befolgt haben. Ein gläubiger Mensch kann auf diese Weise die Mühen hier auf Erden bewusst auf sich nehmen, um im jenseitigen Leben im Himmel belohnt zu werden. Sie nehmen hierbei wiederum bewusst Entbehrungen auf sich. Der Verzicht auf Annehmlichkeiten wird zwar vordergründig als etwas Negatives angesehen, gewinnt aber im Hinblick auf den Sinn des Lebens im Nachhinein eine positive Bewertung.

 

Eine Frustrationsbewältigung kann zweitens auf dem Wege erfolgen, dass man die Enttäuschungen nach außen verbirgt. Bei einer Umbewertung einer Frustration wird die Enttäuschung als solche auch vor sich selbst geleugnet, also der von der Frustration Betroffene versucht sich hier selbst einzureden, dass das Ereignis, das die Frustration ausgelöst hat, zwar als solches nicht geleugnet werden kann, aber für sich selbst gar nichts negatives darstellt. Bei der Verbergung einer Frustration erfolgt hingegen das Verbergen der Enttäuschung nur nach außen, selbst werden Verlust und Schmerzen nach wie vor empfunden und negativ bewertet, nur die Mitmenschen sollen nicht erfahren, dass man selbst erfolglos war und sich nicht alle Erwartungen erfüllen konnte.

 

Machen wir uns den Unterschied zwischen einer Umbewertung und einem Verbergen von Frustrationen an dem oben erwähnten Leitspruch ‚ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ klar. Wir hatten bisher diesen Grundsatz so verstanden, dass der einzelne den Schmerz gar nicht mehr als etwas Negatives wahrnimmt und deshalb auch vor sich selbst gar nicht mehr von einer Enttäuschung redet. Enttäuscht ist man immer nur von Tatbeständen, die man negativ bewertet. Nun mag dieser Leitspruch des Indianers zwar durchaus in diesem Sinne verstanden werden, es bleibt jedoch die Frage, ob es der einzelne auch fertig bringt, gar keine Schmerzen zu empfinden bzw. alle in treffenden Ereignisse positiv einzuschätzen. In der Mehrzahl der Fälle wird der Schmerz hier nur nach außen verleugnet, man tut so, als hätte man keine Schmerzen empfunden, man zeigt den Schmerz nicht nach außen, obwohl vor sich selbst der Schmerz nach wie vor existent ist.

 

Nun mag man sich fragen, worin denn der Sinn eines solchen Verleugnens von Frustrationen liegen mag. Man könnte zunächst vermuten, dass mit solch einer Verhaltensweise überhaupt nichts gewonnen ist, denn annahmegemäß bleibt ja der Tatbestand nicht erfüllter Erwartungen bestehen. Ganz im Gegenteil könnte man sogar vermuten, dass sich der einzelne insgesamt schlechter stellt, wenn er Enttäuschungen negiert und nach außen vorgibt, dass sich gar nichts Negatives ereignet habe. Wenn jemand großen Schaden erfahren hat, so hat er oftmals mit Hilfe seiner Mitmenschen zu rechnen, vielleicht hat er sogar einen Anspruch darauf, dass ihm von Seiten des Staates geholfen wird. All diese positiven Möglichkeiten können nun nicht eintreten, wenn die Öffentlichkeit gar nichts von den negativen Ereignissen erfahren darf.

 

Auch gilt es einen weiteren Zusammenhang zu beachten. Der Anspruch, Schmerzen und Verluste nicht zu beachten, ist dem einzelnen oftmals von außen aufgezwungen, die Gruppe, in der der einzelne lebt, zwingt ihre Mitglieder bestimmte Regeln zu beachten, wobei diese Regeln zumeist inoffiziell aufgestellt werden, also nicht durch eine formal rechtliche Satzung geboten werden, sondern in der Gruppe durch informelle Anführer erzwungen werden. Es ist also in diesen Fällen damit zu rechnen, dass diese Regeln nur beachtet werden, weil man sich gegen den öffentlichen Druck nicht wehren kann, nicht aber deshalb, weil man selbst davon überzeugt ist, dass diese Regel im eigenen und im öffentlichen Interesse liegt.

 

Liegt aber dieser Zusammenhang vor, wird der Betroffene sehr schnell verbittert, seine Frustration steigert sich sogar und er versucht unter Umständen, sich dadurch Luft zu verschaffen, dass er seine angestaute Wut gegen dritte Unbeteiligte auslässt. In diesem Falle ist weder dem Eigenwohl noch dem Gemeinwohl entsprochen.

 

Trotzdem mag in gewissen Fällen das Verbergen der eigenen Frustration gegenüber den Mitmenschen auch Vorteile bringen. Auf der einen Seite bedeutet das ‚sich gehen lassen‘ und viel Zeit mit Selbstmitleid zu verbringen, eine Vergeudung knapper Ressourcen, es wäre sehr viel nützlicher gewesen, diese Zeit dafür zu verwenden, den entstandenen Schaden wieder wettzumachen.

 

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass in unserer Gesellschaft der Umstand, dass man in der Vergangenheit Misserfolg hatte, selbst wiederum Ursache dafür sein kann, dass sich der Misserfolg weiter fortsetzt. Für den Erfolg ist nichts so schädlich, wie wenn man als ein Erfolgloser gebrandmarkt wird. Zum Schaden kommt dann noch der Spott. Der einzelne von Schaden betroffene erfährt so erneuten Schaden dadurch, dass er die Achtung von Seiten seiner Mitglieder verliert.

 

Gleichzeitig belohnt unsere Gesellschaft den Erfolg. Sie gewährt gewisse finanzielle Hilfen demjenigen, der bereits Erfolg hatte, weil die Eigeninitiative belohnt werden soll. Der Staat hilft demjenigen, der bereit ist, sich selbst zu helfen. Wer nicht erfolgreich ist, verliert auch die Kreditwürdigkeit und damit die Möglichkeit, aus der bisherigen Misere herauszufinden. Schließlich stellt sich Mutlosigkeit ein, die erneut die zukünftigen Erfolgsaussichten vermindert. Dies bedeutet, dass es in Einzelfällen sehr wohl Sinn macht, nach außen hin die Enttäuschungen möglichst zu verbergen.

 

Wiederum eine andere Strategie der Frustrationsbewältigung liegt vor, wenn das Objekt, gegen den sich die Aggression richtet, umgelenkt wird. Eine Aggression kann sich grundsätzlich gegen Personen oder Sachen richten, sie kann sich in Taten, aber auch nur in Worten äußern. Es ist klar, dass eine gegen die Menschen gerichtete Aggression sowohl im Umfang des angerichteten Schadens wie auch im Hinblick auf die Bewertung am schwersten wiegt.

 

Durch Frustration ausgelöste Aggression ist zumeist blind, richtet sich willkürlich gegen Beteiligte wie Unbeteiligte. Sie äußert sich in blinder Wut und in Vandalismus, so wenn frustrierte Jugendliche ihrer Wut dadurch Ausdruck verleihen, dass sie Scheiben einwerfen, Läden ausplündern und auf den Straßen parkende Autos anzünden. Diese Aggression beschränkt sich nicht darauf, die eigentlichen Verursacher dieser Frustrationen oder auch nicht nur die vermeintlichen Verursacher anzugreifen.

 

Hierbei ist zu unterscheiden zwischen dem Verhalten der randalierenden Banden und der Bandenführer. Das ‚Fußvolk‘ verwüstet blind alles, was ihm in den Weg kommt, verhält sich also irrational, es lässt einfach ihre Wut aus. Die Bandenführer hingegen handeln durchaus oftmals in ihrem Sinne rational. Es geht dann nicht mehr nur darum, diejenigen, welche man als die eigentlichen Schuldigen für die eingetretene Misere hält, zu bestrafen, man will vielmehr Chaos erzeugen, um auf diese Weise den Zusammenbruch des herrschenden Systems herbeizuführen. Diesem Ziel haben sich alle unterzuordnen und man ist bereit hierfür auch Unschuldige zu opfern.

 

Eine Umlenkung des Aggressionsgegenstandes kann nun erstens darin liegen, dass sich die Aggression nicht gegen Menschen, sondern gegen Sachen richtet. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass der durch Aggression entstandene Schaden geringer gewertet wird, wenn er sich nur gegen Sachen und nicht gegen Menschen richtet. Der angerichtete Schaden wird als wesentlich höher bewertet, wenn Menschen getötet oder auch verletzt werden als dann, wenn ihr Vermögen zerstört und damit verringert wird. So hatte in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die Bader-Meinhof-Bande zunächst angekündigt, dass sie gewaltfrei agieren wolle, dass sie also sich darauf beschränken wolle, gegen das Unrecht und gegen die Missstände in unserer Gesellschaft gewaltfrei zu demonstrieren.

 

Sehr schnell änderte sich jedoch diese Haltung. Es wurde von den Vertretern dieser terroristischen Gruppe die Meinung vertreten, dass Gewalt gegen Sachen, gegen das Vermögen derjenigen, die man angreifen möchte, durchaus erlaubt sei, dass zu verurteilende Gewalt eigentlich erst bei Angriffen gegen Personen beginne. Aber auch diese Haltung wurde schließlich aufgegeben und man schreckte gegen Entführungen und Ermordungen derjenigen, die man für die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft verantwortlich machte, nicht mehr zurück und nahm auch durchaus in Kauf, dass bei diesen Anschlägen auch unschuldige Dritte, wie z. B. ein Bediensteter, der die zu tötende Person zu fahren hatte, ebenfalls getötet wurde.

 

Allerdings sollte man sich hüten, Gewalt gegen Sachen zu verharmlosen und davon auszugehen, dass sie durchaus als Mittel zur Erreichung höherer Ziele erlaubt sei. Wir müssen uns darüber klar werden, dass das Vermögen, das in aggressiven Akten zerstört wird, Eigentum bestimmter Personen war, das sie unter Umständen mit sehr viel Mühen erworben haben und ihr Lebenswerk darstellte und dass eine Vernichtung dieses Vermögens durchaus zur Folge haben kann, dass die Betroffenen – z. B. wegen fortgeschrittenen Alters – nicht mehr in der Lage sind, nochmals neu zu beginnen.

 

Wenn bei Straßenschlachten, die von radikalen Gruppen ausgelöst werden, die Geschäfte von Händlern zerschlagen werden, so richten sich diese Akte letztlich doch wiederum gegen Menschen, auch dann, wenn Leib und Leben dieser Personen unverletzt bleiben. Oftmals wird der Verlust dieses Erwerbsvermögens von den Betroffenen genauso schmerzlich empfunden, wie wenn sie bei diesen Angriffen verletzt worden wären. Das menschliche Leben besteht eben nicht nur darin, dass man zu Essen hat, sich kleiden kann und gesund bleibt, zu den existenziellen Wesensmerkmalen eines Menschen zählt auch die Selbstverwirklichung in einem Beruf und es ist deshalb ein Zentralangriff gegen die menschliche Würde, wenn das Lebenswerk eines Menschen so vernichtet wird, dass er am Ende vor einem Scherbenhaufen steht.

 

Bei einem Angriff gegen Sachen lässt sich weiterhin unterscheiden, ob die angegriffenen und bei der Ausführung der Aggression zerstörten Sachen dem Angreifer selbst oder einer dritten Person gehören. Wenn es nur darum geht, den durch eine Aggression verursachten Schaden so gering wie möglich zu halten, ist es natürlich erwünscht, diese Aggression möglichst gegen das eigene Eigentum zu richten, als bei anderen Personen Schaden anzurichten, vor allem dann, wenn diese dritten Personen gar nicht für die Frustration verantwortlich sind.

 

Auch bei Angriffen, die sich auf Sachen beschränken, lässt sich eine Abstufung vornehmen, man kann sehr wertvolle Sachen vernichten oder den Angriff auf Sachen wenden, die wenig wert sind und deshalb leicht ersetzt werden können. Ein Angriff gegen Sachen kann sogar so geführt werden, dass überhaupt kein Schaden verursacht wird, so etwa wenn ein Boxer seine Faustschläge gegen einen Boxsack richtet und hierbei seine Wut austobt.

 

Befassen wir uns noch etwas ausführlicher mit Aggressionen, welche sich gegen Leib und Leben von Menschen richten. Wir hatten bereits die Unterscheidung kennen gelernt zwischen Aggressionen, die sich gegen diejenigen richten, welche die Frustrationen der anderen letztendlich verursacht haben und zwar dadurch, dass sie zuvor ihren Mitmenschen Schaden verursacht haben und solchen Aggressionen, welche sich willkürlich gegen Unbeteiligte wenden, die für den eingetretenen Schaden in keiner Weise verantwortlich sind und unter Umständen dem Angreifer gegenüber machtlos sind.

 

Wenn auch ein Angriff auf Personen, die einem selbst Schaden zugefügt haben, sicherlich weniger verwerflich ist als eine wilde Aggression gegen Unbeteiligte, so bleibt ersterer doch im Allgemeinen als verwerflich. In einem freiheitlichen Rechtsstaat liegt das Gewaltmonopol beim Staat, er ist es allein, der Verfehlungen in unserer Gesellschaft durch Ausübung von Gewalt ahnden darf. Selbstverständlich entspricht es den rechtstaatlichen Prinzipien, dass der Geschädigte alles tun darf, damit der Schädiger der gerechten Strafe zugeführt wird. Jeder auch ein unbeteiligter Dritte ist sogar prinzipiell verpflichtet, die Strafverfolgung durch den Staat zu unterstützen und nicht zu hintertreiben. Auch diese aktive Unterstützung der staatlichen Verfolgungsbehörden kann zur Verarbeitung von Frustrationen gegebenenfalls beitragen.

 

Wiederum eine etwas andere Form einer Aggression gegen Personen liegt dort vor, wo sich die Aggressionen gar nicht gegen die Menschen richten, die einem Schaden zugefügt haben und damit die eigene Frustration ausgelöst haben. Eine Umlenkung der Aggression kann auch darin liegen, dass man einen Beruf ergreift, der aggressive Handlungen gegen Dritte – allerdings im Dienste der Gemeinschaft – notwendig macht. Dies ist z. B. der Fall, wenn Personen, welche von ihrer Veranlagung her besonders mutig sind und zu aggressivem Verhalten neigen, den Beruf eines Polizisten oder eines Berufssoldaten ergreifen und in Ausübung ihres Berufes auch Gewalt ausüben müssen. So kann es bei der Verfolgung eines Straftäters durch Polizeibeamte für die Verhaftung notwendig sein, auch Gewalt anzuwenden. Als Soldat greift er Mitglieder der feindlichen Nation an, sobald es zu kämpferischen Auseinandersetzungen kommt.

 

Ob eine solche Aggressionsumlenkung auch aus der Sicht der Allgemeinheit als erwünscht angesehen werden kann, ist sicherlich fragwürdig. Natürlich mag es richtig sein, dass insgesamt geringerer Schaden zugefügt wird, wenn ein aggressiv Veranlagter seine Aggressionen im Auftrag der Gemeinschaft ausübt als dann, wenn sich seine Aggressionen als Privatperson unmittelbar gegen Schuldige oder sogar gegen Unschuldige richtet. Auf der anderen Seite muss man jedoch bezweifeln, ob besonders aggressive Personen z. B. im Polizeidienst besonders geeignet sind, da persönliche Empfindungen bei einer sachgerechten Behandlung der potentiellen Straftäter eher hinderlich sind. Schließlich gehen wir in einem Rechtsstaat davon aus, dass der Verfolgte solange als unschuldig zu gelten hat, bis eine rechtskräftige Verurteilung durch ein ordentliches Gericht erfolgt ist.

 

Auch als Soldat können die sachlich notwendigen Handlungen durch Aggressivität durchaus behindert werden. Auch gilt es zu bedenken, dass nur dann von einer akzeptablen Umlenkung gesprochen werden kann, wenn kriegerische Auseinandersetzungen zur Verteidigung des eigenen Landes notwendig sind.

 

Wir haben also gesehen: Eine Umlenkung, die darin besteht, dass man Berufe ergreift, in denen aggressive Aktivitäten üblich und notwendig sind, kann nur dann als wünschenswert angesehen werden, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden, wenn sich also z. B. Polizeibeamte an die rechtsstaatlichen Vorschriften halten. Man kann nun in dem Einhalten von bestimmten Regeln generell eine besondere Art der Frustrationsbewältigung gegen Menschen sehen. Die Aggression richtet sich hier zwar immer noch gegen Menschen, man ist jedoch bereit, gewisse Spielregeln der Fairness einzuhalten. Diese Form von Aggression erfolgt z. B. in sportlichen Kämpfen, so sind z. B. im Box- oder Ringkampf bestimmte Schläge oder Griffe nicht erlaubt oder der Kampf ist sofort zu beenden, wenn sich der Gegner als geschlagen erklärt. Auch das Völkerrecht kennt zahlreiche kriegerische Aktionen, die als verboten gelten.

 

Auf eine besondere Form der Frustrationsumlenkung wird im Rahmen der Konflikttheorie aufmerksam gemacht. Führungskräfte, welche im Verhältnis zu den Gruppenmitgliedern ihre Anerkennung verlieren, versuchen oftmals ihre Position dadurch wiederum zu stärken, dass sie Konflikte mit der Außenwelt anzetteln. In Gruppen besteht im Allgemeinen die informelle Norm, dass innere Konflikte solange zu ruhen  haben, solange die Gruppe von außen bedroht wird. Dies hat auch zur Folge, dass sich die Position der Führungskräfte während des Konfliktes mit der Außenwelt wiederum festigen kann.

 

Es ist klar, dass eine solche Konfliktumlenkung von einem übergeordneten Gesichtspunkt unerwünscht ist. Es findet hier ein Angriffskrieg statt, obwohl nach allgemeinem Verständnis nur Verteidigungskriege gerechtfertigt sind. Auch wird hier die kriegerische Auseinandersetzung nicht zur Lösung der Probleme zwischen den Gruppen und Ländern ergriffen, sondern allein um innere Konflikte zwischen Führungskräften und Mitgliedern zu unterbinden.

 

Wir haben eingangs dieses Abschnittes davon gesprochen, dass Frustrationen auch auf die Weise umgelenkt werden können, dass der Frustrierte sich auf verbale Aggressionen, also z. B. auf Beschimpfungen und ähnlichem beschränkt. Es ist klar, dass der hierdurch angerichtete Schaden im Allgemeinen wesentlich geringer ist, als wenn sich die aggressiven Handlungen in einer Verletzung von Sachen oder sogar Personen äußern.

 

Man wird sogar bisweilen davon ausgehen können, dass verbale Auseinandersetzungen für das Verhältnis der streitenden Parteien zueinander reinigend wirken können. So wird eine sachliche Auseinandersetzung, auch dann, wenn die verbalen Angriffe zunächst verletzend wirken, dazu dienen können, dass nach Klärung der Standpunkte für die Zukunft ein sachgerechteres und damit auch effizienteres Zusammenarbeiten der streitenden Gruppen möglich wird.

 

Allerdings sollte man verbale Angriffe auch nicht verharmlosen. So können Beschimpfungen und das Herabsetzen der angegriffenen Personen durch beißenden Spott zu einer so starken Kränkung der Betroffenen führen, dass auf der einen Seite die Betroffenen auf Dauer tief gekränkt sind und dass auf der anderen Seite gerade aus dieser Kränkung selbst wiederum aggressive Aktivitäten der Gekränkten erwachsen können. Es kommt dann hier sehr leicht wiederum zu einer Spirale aggressiver Auseinandersetzungen. Auch im Hinblick auf verbale Angriffe dürfte gelten, dass nur dann von einer sinnvollen und berechtigten Auseinandersetzung gesprochen werden kann, wenn auch hier gewisse Spielregeln der Fairness eingehalten werden.

 

Man kann in dem Versuch, durch Aggressionen den Schaden gegenüber den anderen zu minimieren noch einen Schritt weitergehen. So kann ein wohlgemeinter Ratschlag darin bestehen, dass man die Wut über das Verhalten eines anderen dadurch abzubauen versucht, dass man diesem anderen einen Brief schreibt, in dem alle Vorwürfe möglichst scharf formuliert werden, dass man aber diesen Brief gar nicht absendet, sondern schließlich vernichtet.

 

Ein solches Vorgehen hat einen zweifachen Vorteil. Gerade der Umstand, dass man seine Enttäuschungen in Worte fassen konnte, trägt im Allgemeinen dazu bei, dass die oben erwähnte reinigende Kraft verbaler Auseinandersetzung stattfindet, vor allem auch dadurch, dass man hier durchaus sehr harte und auch verletzende Worte wählen kann. Auf der anderen Seite wird jedoch verhindert, dass bei dem Adressaten dieser Vorwürfe Schäden zu erwarten sind, da ja dieser annahmegemäß von diesen Vorwürfen nichts erfährt.

 

Zu einer Konfliktverminderung kann schließlich auch beitragen, wenn man Situationen zu vermeiden versucht, bei denen die Gefahr groß ist, dass Konflikte vom Zaun gebrochen werden. So ist bekannt, dass viele Menschen streitsüchtig werden, wenn sie viel Alkohol zu sich genommen haben. Wenn man vermeidet, dass man sich mit anderen Menschen, mit denen man Streit hat, gemeinsam betrinkt, hat man auch gleichzeitig die Gefahr eines unkontrollierten Streites vermindert.

 

 

9. Erziehungsmethoden zur Frustrationsbewältigung

 

Wir wollen uns zum Abschluss dieses Artikels mit der Frage befassen, auf welchem Wege eine Frustrationsbewältigung im Rahmen der Erziehung erfolgen kann. Eine Erziehung kann grundsätzlich immer auf zweierlei Weise vorgehen. Die Erzieher können mit gutem Beispiel vorangehen und den zu Erziehenden dadurch aufzeigen, wie man mit Frustrationen fertig werden kann, indem sie die erwünschten Verhaltensweisen vorleben. Wir wollen hierbei von der Vorbildfunktion der Erziehung sprechen. Das Lernen erfolgt hier durch bloße Nachahmung (Imitation) dessen, was die Erzieher tun.

 

Eine zweite Methode der Erziehung kann darin bestehen, dass die Erziehenden an die Vernunft der zu Erziehenden appellieren, also ihnen mit Vernunftgründen aufzeigen, wie man Frustrationen bewältigen kann. Der einzelne Jugendliche erfährt dann durch Nachdenken und Ausprobieren mit Frustrationen fertig zu werden. Er macht sich Gedanken darüber, wie bestimmte unerwünschte Zustände in Zukunft vermieden werden können, probiert diese Möglichkeiten aus und korrigiert die bisherigen Annahmen dann, wenn sie sich als falsch erwiesen haben. So nähert man sich durch Versuch und Irrtum der richtigen Lösung an. Wir wollen deshalb in diesem Zusammenhang von der ‚error and trial‘-Funktion des Lernens sprechen.

 

Nun haben wir davon auszugehen, dass ein Kind in seinen ersten Jahren noch nicht fähig ist, sachliche Zusammenhänge mit dem Verstand zu erfassen. Erst im Verlauf der Weiterentwicklung wächst langsam auch die Fähigkeit heran, mit dem Verstand Probleme zu lösen. Aus diesem Grunde muss die Erziehung in den frühen Jahren allein auf die Vorbildfunktion zurückgreifen. Das Kind lernt auf diese Weise wie man Frustrationen bewältigen kann dadurch, dass es beobachtet, wie seine Eltern auf Frustrationen reagieren.

 

Ein tatsächlicher Lernprozess setzt somit erst dann ein, wenn die Jugendlichen auch mit dem Verstand nachvollziehen können, wie man auf Frustrationen reagieren kann und warum bestimmte Verhaltensweisen erwünscht, andere hinwiederum unerwünscht sind. Allerdings wäre es falsch, anzunehmen, dass das Heranbringen von Vernunftgründen ab diesem Alter, von dem ab die eigentliche Lernfähigkeit beginnt, ausreicht, damit die Heranwachsenden auch tatsächlich in dieser Frage einen Lernerfolg aufweisen.

 

Die Erfahrung lehrt vielmehr, dass Jugendliche nicht bereit sind, bestimmte Verhaltensweisen zu internalisieren (zu verinnerlichen), wenn die Eltern nicht ebenfalls bereit sind, sich an diese Verhaltensweisen, die sie ihren Kindern anerziehen wollen, zu halten. Jeder Erzieher wird unglaubwürdig, wenn er die Jugendlichen zu einem bestimmten Verhalten erziehen will, wenn er nicht gleichzeitig durch sein eigenes Verhalten die Richtigkeit dieser Vorschriften unter Beweis stellt.

 

Befassen wir uns nun mit den einzelnen Erziehungsmethoden zur Frustrationsbewältigung etwas ausführlicher. Beginnen wir mit den Versuchen, welche nicht zum Erfolg führen. Man begegnet bisweilen unter Eltern der Vorstellung, es reiche aus, die heranwachsenden Jugendlichen möglichst vielen Frustrationen auszusetzen, damit sie in ihrem späteren Leben in der Lage sind, mit Frustrationen umzugehen.

 

An diesem Ansatz ist mehreres falsch. Es ist unerwünscht, dass Frustrationen künstlich herbeigeführt werden, dass die Eltern also Situationen simulieren, in denen die Erwartungen der Kinder bewusst enttäuscht werden, um auf diesem Wege die Kinder an das spätere Vorhandensein von Frustrationen zu gewöhnen. Dieser Weg ist erstens falsch, weil auf der einen Seite im gewöhnlichen Leben in ausreichendem Maße Frustrationen auftreten, es ist nicht notwendig, Frustrationen zu erzeugen, um den Kindern die Bedeutung von Frustrationen aufzuzeigen. Auf der anderen Seite ist nahezu jede Frustration mit Leid und Wohlfahrtsverlusten verbunden. Ein künstliches Schaffen von Frustrationen widerspricht somit dem allgemeinen Ziel der Menschen, Leid und Entbehrungen soweit wie möglich zu verringern. Auf die Realisierung dieses Zieles haben auch die Kinder einen Anspruch.

 

Natürlich ist es richtig, dass Umfang und Art der zu erwartenden Frustrationen im täglichen Leben in den einzelnen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich ausfallen. Zunächst gilt die These, dass jede Familie ausreichend Frustrationen erlebt, für die Familien mit geringerem Einkommen, zumindest solange man als wichtigste Ursache der Frustration die materielle Not ansieht. Bezogen auf die Knappheit an materiellen Gütern erfahren Kinder der reichen und superreichen Eltern in der Regel keine ernst zu nehmende materielle Not.

 

Wir haben jedoch weiter oben bereits darauf hingewiesen, dass die materielle Knappheit keinesfalls die einzige Ursache für Frustrationen darstellt. Auch die Superreichen erleben Enttäuschungen, auch sie sind nicht davor geschützt, dass sehr viel Leid mit Erkrankungen und Unfällen entsteht, auch sie erfahren Begrenzungen durch das Wirken der Konkurrenz. Je reicher eine Familie ist, umso größer ist die Gefahr, dass Kindesentführungen stattfinden. Denken wir schließlich daran, dass gerade in jüngster Zeit Wirbelstürme und Überschwemmungen den Besitz auch der Reichen hinweggeschwemmt haben und sie dazu zwangen, vorübergehend ihre Wohnungen zu verlassen.

 

Zweitens dürfte der Erziehungserfolg wesentlich davon abhängen, ob die Frustration von den Kindern als natürliche Erscheinung erlebt wird oder ob die Kinder von der Vorstellung ausgehen, dass die Eltern die Frustration künstlich herbeigeführt haben. Kinder entwickeln schon sehr früh ein gutes Gespür dafür, ob es sich um echte oder künstlich herbeigeführte Frustrationen handelt. Wie eine Frustration von den Jugendlichen verarbeitet wird, hängt hierbei in erster Linie davon ab, wie der Jugendliche selbst diese Frustration erfährt, ob er begreift, dass die erfahrenen Begrenzungen den Eltern selbst vorgegeben sind, sie also z. B. bestimmte Wünsche einfach deshalb nicht erfüllen können, weil es ihnen an materiellen Güter mangelt.

 

Oft erfahren Jugendliche jedoch Entbehrungen als reine Schikane, die entweder als Bequemlichkeit der Eltern oder als Strafe verstanden werden, die sie selbst als nicht gerechtfertigt halten. Die Kinder lernen nur dann auf Frustrationen sachgerecht zu reagieren, wenn sie auch davon überzeugt sind, dass die Frustrationen eine reale Bedrohung darstellen und nicht künstlich herbeigeführt werden.

 

Frustrationen, die von den Jugendlichen als künstlich erfahren werden, haben in der Regel unerwünschte negative Auswirkungen. Das Kind lernt hier, dass im Umgang mit den Mitmenschen das Setzen von Entbehrungen ein Machtmittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen darstellt, es lernt, dass es herrschende und beherrschte Individuen gibt und dass die Herrschenden den Beherrschten Entbehrungen auferlegen können und dass es darauf ankommt, möglichst zu der herrschenden Schicht zu zählen. Es lernt – bestimmte eigene Grundstimmungen vorausgesetzt und wenn die Frustrationen einen bestimmten kritischen Umfang überschreiten – unter Umständen auch, in Melancholie zu versinken und sich abzukapseln.

 

Natürlich ist es richtig, dass gerade in den frühen Kindesjahren das einzelne Kind auch noch nicht erkennen kann, ob eine Frustration künstlich herbeigeführt wurde. Es besteht in diesen frühen Jahren die Gefahr, dass Kinder fälschlicherweise davon ausgehen, dass die Eltern die Frustrationen künstlich herbeigeführt haben. Dies heißt jedoch nur, dass die eigentliche Erziehung erst dann beginnen kann, wenn die Jugendlichen über ein Minimum an Verstandesfähigkeit verfügen. Es ist selbstverständlich, dass Familien, die in Not leben, nicht alle Wünsche ihrer Kinder erfüllen können, deshalb manche Enttäuschung bei ihren Kindern hervorrufen werden, auch dann, wenn das Kind noch zu jung ist, um zu verstehen, dass und warum es nicht alle Wünsche erfüllt bekommen kann.

 

Drittens ist jedoch der Ansatz, über künstlich herbeigeführte Frustrationen das Bewältigen von Enttäuschungen einzuüben, schon vom Grundansatz verfehlt. Es kommt ja nicht primär darauf an, die Jugendlichen erfahren zu lassen, dass es im späteren Leben Frustrationen gibt, sondern ihnen aufzuzeigen, wie man mit Frustrationen umgeht, wie man auf der einen Seite lernen kann, ohne größeren Schaden für sich selbst aus dem Erlebnis von Enttäuschungen herauszufinden, aber auf der anderen Seite auch trotz Frustration nicht Anderen – vor allem Unbeteiligten – dadurch Schaden zufügt, dass man sie angreift.

 

Wenn die Erziehenden ihr Augenmerk vorwiegend darauf richten, Frustrationen zu erzeugen und darauf hoffen, dass im Sinne eines Laisser faire-Prozesses die Jugendlichen schon mitbekommen, wie man sich bei Auftreten von Enttäuschungen verhalten soll, gilt es zu bedenken, dass Jugendliche unter Umständen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Frustrationen falsches lernen. Wenn Frustrationen künstlich erzeugt werden bzw. als solche von den Jugendlichen erfahren werden, besteht die Gefahr, dass gelernt wird, dass die jeweils Mächtigen Frustrationen künstlich erzeugen können, dass es ganz natürlich ist, dass man dann, wenn man zu den Mächtigeren zählt, die anderen schikaniert, dass man zwar gegenüber denjenigen, die mächtiger sind, buckeln muss, dafür aber im Ausgleich diejenigen, welche weniger mächtig sind als man selbst,  durchaus treten darf. Es besteht also hier die Gefahr, dass sich ein Radfahrerverhalten (nach oben zu buckeln, nach unten zu treten) entwickelt.

 

Erziehen besteht vor allem darin, bestimmte Sachverhalte zu lernen. Was kann nun der Jugendliche im Zusammenhang mit der Frustrationsbewältigung im Einzelnen lernen? Lernen kann der zu Erziehende erstens, welche Alternativen denn zur Frustrationsbewältigung zur Verfügung stehen. Aggression ist zwar die unmittelbare, aber keinesfalls einzige Reaktion. Wir haben weitere oben bereits die Reaktion der Umbewertung, der Verbergung und vor allem der Umlenkung kennen gelernt.

 

Zweitens ist es Aufgabe der Erziehung nicht nur zu lehren, auf welche unterschiedliche Weise Menschen auf Frustrationen reagieren können; die Jugendlichen haben auch zu lernen, wie die einzelnen Alternativen zu bewerten sind, welches erwünschte und welches unerwünschte Antworten darstellen. Hierbei gilt es aufzuzeigen, welche negativen und positiven Wirkungen von den einzelnen Verhaltensweisen ausgehen.

 

Drittens verlangt die Beherrschung der Frustrationen aber auch, dass nach den Ursachen, welche die Enttäuschungen ausgelöst haben, gefragt wird. Schon die reine Kenntnis dieser Bestimmungsgründe mag bisweilen dazu beitragen, Enttäuschungen leichter zu ertragen. Wenn die Enttäuschungen aus Zusammenhängen erwachsen, die als Daten vorgegeben und deshalb nicht beeinflussbar sind, ist es zweckmäßig, diese Frustrationen dadurch zu überwinden, dass man sich vorwärts gerichtet neuen Aufgaben widmet und erkennt, dass die vergangenen Tatbestände geschehen sind und nicht mehr rückgängig zu machen sind.

 

Oftmals sind jedoch die Frustrationen ein Ergebnis eigenen Verschuldens. Hier mag die Enttäuschung besonders groß sein, hätte man doch die Enttäuschungen zumindest zum Teil vermeiden können. Aber umso größer wird das Bestreben sein, durch eigene Anstrengungen für die Zukunft das Ausmaß der Frustrationen zu verringern. Hierzu bedarf es aber der Kenntnis der Ursachen, welche die Frustration ausgelöst haben.

 

Wir hatten weiter oben gesehen, dass eine Frustration immer aus dem Missverhältnis zwischen Bedarf und Vorrat, bzw. zwischen Zielsetzung und Realisierung besteht. Es ist deshalb auch in der Regel möglich, zukünftige Frustrationen dadurch zu vermeiden oder zu reduzieren, dass man sich entweder darum bemüht, seinen Bedarf zu reduzieren, also an die vorhandenen Möglichkeiten anzupassen oder aber auch dadurch, dass man lernt, die Möglichkeiten auszuweiten, also z. B.  bestrebt ist, sein zukünftiges Einkommen zu vergrößern.

 

Natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass sowohl die eigenen Fähigkeiten als auch die äußeren Umstände die Möglichkeiten zur Erhöhung der Einkommen fast immer nach oben begrenzen. Auch lässt sich der Bedarf nicht unbegrenzt nach unten reduzieren, da es für jeden Menschen ein Existenzminimum gibt, ohne dass er nicht leben kann. Trotzdem wird man im Allgemeinen davon ausgehen können, dass die realen Bedingungen (die natürlichen Bedürfnisse wie auch die gegebenen Fähigkeiten) durchaus zulassen, den Umfang von Frustrationen durch bewusste Anstrengungen zumindest zu reduzieren.