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Seminar über Ökonomische Gesetze

 

 

Gliederung:

 

  1. Gibt es überhaupt ökonomische Gesetze?

  2. Das Bevölkerungsgesetz von Malthus

  3. Das Gesetz von der Gleichgewichtstendenz

  4. Das Cobweb-Theorem 

  5. Das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag 

  6. Die Gossen‘schen Gesetze

  7. Das Gesetz von der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse

  8. Das Harberger Dreieck

  9. Das Gresham’sche Gesetz

10. Das Okun’sche Gesetz

11. Das Gesetz vom Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft

12. Das Arrow-Paradox

 

 

 

Kapitel 12. Das  Arrow-Paradox

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Individuelle Rationalität

3. Das Entscheidungskalkül einer Kapitalgesellschaft

4. Das Entscheidungskalkül eines privaten Haushaltes

5. Das Rationalitätsprinzip bei politischen Entscheidungen

                               

 

1. Das Problem

 

Kenneth Joseph Arrow hat aufgezeigt, dass bei kollektiven Entscheidungen, wie sie z. B. in jedem Parlament anfallen, auch dann mit widersprüchlichen Ergebnissen gerechnet werden muss, wenn sich alle an einer Abstimmung Beteiligten rational verhalten. Diese These ging als Arrow-Paradox in die Literatur ein.

 

Wir wollen uns in diesem letzten Kapitel des Seminars über ökonomische Gesetze mit diesem Theorem kritisch auseinandersetzen, das Arrow-Paradox allerdings in einen etwas größeren Rahmen stellen und  der generellen Frage nach der Möglichkeit rationaler Entscheidungen in kollektiven, das heißt mehrere Personen umfassenden Gebilden nachgehen.

 

Um die Frage, was denn eigentlich unter einer kollektiven Rationalität verstanden werden kann und vor allem wie sich eine kollektive Rationalität gegenüber dem rationalen Verhalten einer einzelnen Person unterscheidet, beginnen wir unsere Analyse mit dem Begriff der individuellen, also auf eine einzelne Person bezogenen Rationalität.

 

Nachdem wir geklärt haben, was man denn unter Rationalität bezogen auf eine einzelne Person zu verstehen hat und welche Schwierigkeiten bei dieser Definition entstehen, wollen wir in einem zweiten Schritt der Frage nachgehen, was denn gemeint ist, wenn wir von rationalem Verhalten einer Unternehmung sprechen. Wenn wir einmal von einer Ein-Mann-Unternehmung absehen, haben wir davon auszugehen, dass zumindest ein großer Teil der Unternehmungen aus einer Vielzahl von Personen zusammengesetzt ist. Zwar entspricht es dem allgemeinen Verständnis, die Zielsetzung einer Unternehmung mit den Zielen eines selbständigen Unternehmers und nicht der Arbeitnehmer, welche in dieser Unternehmung beschäftigt werden, gleichzusetzen; und hier gibt es in der Tat eine beachtliche Anzahl von Unternehmungen, welche von einem einzigen Unternehmer geführt werden und trotzdem ein Kollektiv von vielen Personen (dem Unternehmer und den Arbeitnehmern) darstellen.

 

Diese Gruppe von Unternehmungen wollen wir hier jedoch aus unserer Betrachtung ausschließen. Wir wollen uns auf die Unternehmungen mit einer kollektiven Führung beschränken, bei denen entweder mehrere Vorstandsmitglieder als selbständige Unternehmer agieren oder bei denen eine Kapital­gesellschaft vorliegt, in der mehrere Kapitaleigner die Ziele der Unternehmung bestimmen.

 

Hier liegt also eindeutig eine Organisation vor, bei welcher die Zielsetzung mehrerer Einzelpersonen schließlich in die Zielsetzung der Unternehmung überführt werden muss. Wir wollen uns mit diesem Kollektiv als erstes befassen, weil hier die Zusammenhänge noch einfach und überschaubar erscheinen und zumindest in der Theorie davon ausgegangen wird, dass man hier eindeutig die Zielsetzung der Unternehmung bestimmen kann.

 

Etwas komplizierter erscheint die Problematik, wenn wir uns in einem dritten Schritt dem Haushalt zuwenden und danach fragen, worin denn die Zielsetzung eines Haushaltes besteht und wann man von einem rationalen Verhalten des Haushaltes sprechen kann.

 

Auch hier gibt es sicherlich zahlreiche Ein-Personenhaushalte. Trotzdem bezieht sich der typische Haushalt auf eine Familie, also auf einen Mehrpersonenhaushalt, der im Regelfall aus mehreren Personen, den Eltern und den Kindern besteht. Obwohl also ein großer Teil der Haushalte tatsächlich ein Kollektiv darstellt, stellt die traditionelle Haushaltstheorie die Problematik des Haushaltes fast ausnahmslos als ein Problem der Rationalität einer einzigen Person dar. Wir haben hier zu erklären, was man denn als Zielsetzung des Kollektivs einer Familie verstehen kann und wann ein rationales Verhalten einer Familie vorliegt.

 

In einem vierten Schritt können wir uns dann den öffentlichen Haushalten zuwenden und überprüfen, was auf der einen Seite als Ziel der Volksgemeinschaft zu gelten hat und unter welchen Voraussetzungen rationales Verhalten verhindert wird. Dies ist die eigentliche Problematik des Arrow-Theorems, das darlegen will, dass auch dann, wenn  sich in politischen Gebilden jeder einzelne Entscheidungsträger rational verhält, trotzdem damit gerechnet werden muss, dass unter bestimmten Bedingungen das Kollektiv zu widersprüchlichen Entscheidungen gelangt.

 

Nachdem wir den Inhalt des Arrow-Paradoxes dargelegt haben, soll in einem letzten fünften Schritt der Frage nachgegangen werden, wie in demokratischen Abstimmungsprozessen solche von Arrow aufgezeigten Paradoxien vermieden werden können.

 

 

2. Individuelle Rationalität

 

Wir gehen davon aus, dass ein Individuum I1 vor einer Entscheidung stehe. Es seien zwei Alternativen möglich, unser Individuum könnte also entweder die Alternative A1 oder auch A2 beschreiten. Wir sprechen dann von einer rationalen Entscheidung, wenn sich unser Individuum in einem ersten Schritt klar macht, was es will, welches Ziel also im Hinblick auf diese Entscheidungen verfolgt wird (Z) und in einem zweiten Schritt dann überprüft, inwieweit dieses Ziel bei beiden Alternativen erreicht wird.

 

Er komme hierbei zu dem Ergebnis, dass das zuvor präzisierte Ziel (Z) zwar bei beiden Alternativen erreicht wird, dass aber bei Alternative A2 das Ziel eindeutig besser als bei Weg A1 realisiert werde. Die Entscheidung unseres Individuums wäre genau dann rational, wenn es sich für A2 entscheidet und genau dann irrational, wenn es sich trotzdem für A1 entscheiden würde. Irrational wäre natürlich eine Entscheidung auch dann, wenn sich das betreffende Individuum gar nicht klar würde, welches Ziel es eigentlich in diesem Zusammenhang verfolgt.

 

Wir können nun diese Feststellung verallgemeinern. Als erstes müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass nicht nur ein, sondern mehrere Ziele bei dieser Entscheidung angesprochen werden. Hierbei kann es sein, dass mehrere Ziele gleichberechtigt nebeneinander stehen oder aber auch, dass ein Ziel im Vordergrund steht und die anderen lediglich Nebenbedingungen darstellen und nur insofern interessieren, als sie durch diese Entscheidung nicht beeinträchtigt werden sollen, nicht aber selbst aufgrund dieser Entscheidung verbessert werden sollen.

 

Als zweites muss natürlich auch damit gerechnet werden, dass mehr als zwei Alternativen zur Diskussion stehen. Sicher ist nur, dass wir erst dann von einer Entscheidung sprechen können, wenn mindestens zwei Alternativen bekannt sind. Wenn nur ein Weg bekannt ist und unser Individuum diesen Weg gehen muss, dann bedarf es auch keiner Entscheidung. Wir setzen hier allerdings voraus, dass unser Individuum auf jeden  Fall einen Weg gehen muss. Hätte es die Möglichkeit, auch nichts zu tun, so wäre dies selbst wiederum eine Alternative, wir hätten also auch hier wieder zwei Alternativen (etwas zu tun oder zu lassen), die eine Entscheidung notwendig machen. Auch hier muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass auch das Nichtstun bestimmte Wirkungen auslösen kann, z. B. dadurch, dass man sich in diesem Falle von dem angestrebten Ziel entfernt.

 

Wir haben bisher unterstellt, dass unser Individuum alle Wirkungen, welche von den einzelnen Alternativen ausgehen können, kennt. In Wirklichkeit müssen wir damit rechnen, dass unser Individuum keinesfalls immer über alle mögliche Auswirkungen Bescheid weiß.

 

Hierbei ist es möglich, dass zwar allgemein bekannt ist, welche Wirkungen von einer Maßnahme auf verschiedene Ziele ausgehen, dass aber unser Individuum dieses Wissen nicht besitzt. In diesem Falle muss die weitere Frage gestellt werden, ob sich unser Individuum dieses Wissen aneignen kann und gegebenenfalls mit welchen Kosten. Es könnte ja durchaus sein, dass unser Individuum die Möglichkeit hätte, sich das notwendige Wissen zu besorgen, dass aber die hierbei für ihn entstehenden Kosten höher sind als der Nutzenzuwachs (der Zielrealisierungsgrad) der einzelnen Maßnahmen.

 

Unwissenheit kann sich darüber hinaus auch in der Frage ergeben, welche Alternativen gegeben sind. Auch dieses Wissen kann oftmals erworben werden; da aber hierbei Kosten entstehen können, gelten die für die Wirkungen geäußerten Schlussfolgerungen mutatis mutandis auch für die Alternativen.

 

Im Allgemeinen können wir davon ausgehen, dass kein Wissen 100%ig sicher ist, stets kann man nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Wirkung schließen. Diese Wahrscheinlichkeit wäre eben 1, wenn eine Wirkung 100%ig sicher wäre und sie  wäre null, wenn eine bestimmte Wirkung vollkommen ausgeschlossen werden könnte.

 

Wie lassen sich nun unsichere Entscheidungen berücksichtigen? Wir haben jeweils den erwarteten Wert einer Alternative mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit zu multiplizieren und erhalten auf diese Weise wiederum die Möglichkeit, die Bewertungen der einzelnen Alternativen miteinander zu vergleichen.

 

Allerdings ergeben sich hierbei gewisse Schwierigkeiten, wenn wir den Wert einer Alternative nicht in Geldgrößen, sondern nur in Nutzengrößen angeben können. Keine zusätzlichen Schwierigkeiten erhalten wir in diesem Falle nur dann nicht, wenn wir davon ausgehen, dass sich Nutzeneinheiten genauso wie Geldgrößen kardinal messen lassen. Nun wird dies allerdings von Vilfredo Pareto bezweifelt. Er geht von der Annahme aus, dass Nutzeneinheiten nur ordinal bestimmt werden können. Bei einem ordinalen Maßstab beschränken wir uns darauf zu überprüfen, ob Alternative A1 einer anderen Alternative überlegen, unterlegen oder mit dieser gleichwertig ist. Bei einem kardinalen Maßstab sind wir in der Lage auch anzugeben, um das Wievielfache die eine Alternative der anderen über- oder unterlegen ist.

 

Die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler ist in der Frage der Messbarkeit von Nutzen Pareto gefolgt und verneint die Möglichkeit, Nutzen kardinal zu messen. Beschränken wir uns nun darauf, die Bewertung verschiedener Alternativen in eine Rangordnung zu bringen, so reicht in der Tat ein ordinaler Maßstab aus. Es lässt sich ja in diesem Falle eindeutig festlegen, welche Alternative allen andern überlegen ist.

 

Wenn wir jedoch gezwungen sind, die erwarteten Werte mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit zu multiplizieren, bedürfen wir eines kardinalen Maßstabes. Denn wenn wir nur angeben können, dass Alternative A1 der Alternative A2 überlegen ist und gleichzeitig davon ausgehen müssen, dass z. B. A1 mit einer Wahrscheinlichkeit von 30%, A2 hingegen mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% zu erwarten ist, so bleibt unklar, welche Alternative den höchsten Wert aufweist. Das ‚Plus‘ des Wertes von A1 kann, aber muss nicht dadurch überkompensiert werden, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit bei A1  so viel geringer ist als bei A2.

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen blieb offen, ob es sich bei der diskutierten Entscheidung um eine einmalige Entscheidung handelt oder ob davon auszugehen ist, dass diese Entscheidung in gleicher oder ähnlicher Weise immer wieder gefällt werden muss.

 

Wenn wir davon ausgehen, dass der erwartete Wert nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten wird und deshalb den erwarteten Wert mit seiner Wahrscheinlichkeit multiplizieren, so gibt es eigentlich nur einen Sinn, von immer wiederkehrenden Entscheidungen auszugehen. Wenn nämlich eine Problemstellung häufig auftritt und diese Problemstellung eine Wahrscheinlichkeit von 50% erreicht, so kann man in der Tat davon ausgehen, dass in etwa 50% der Fälle dieses Ereignis eintritt, sodass bei einer langfristigen Sicht in etwa 50% des anvisierten Wertes tatsächlich realisiert wird.

 

Ganz anderes gilt für den Fall, dass es sich um eine einmalige Entscheidung handelt. Hier kommt der Aussage, dass eine bestimmte Alternative einen Wert von 100 * 50% = 50 erlangt, überhaupt keine reale Bedeutung zu. Für einen Einzelfall kann nämlich der Wert 100, aber auch null betragen, mag der wahrscheinliche Wert noch so sehr bei 50 liegen. Wir wollen also festhalten, dass die Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeit eigentlich nur dann einen Sinn ergibt, wenn es sich um wiederkehrende Ereignisse handelt.

 

Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass die diskutierten Entscheidungen immer wiederkehren, dann fragt es sich, ob die bisher festgestellten Voraussetzungen dafür, dass wir eine Entscheidung als rational beurteilen, überhaupt noch zutreffen.

 

In der Tat wird darüber diskutiert, ob es für ein Individuum rationaler ist, dass es fallweise entsprechend dem oben dargestellten Verfahren seine Entscheidung fällt oder dass nicht doch ein regelgebundenes Verhalten eine größere Realisierung der angestrebten Ziele ermöglicht.

 

Von einer regelgebundenen Entscheidung sprechen wir überall dort, wo klare Regeln bestehen, die angeben, welche Alternative gewählt werden soll. Bei der fallweisen Entscheidung hingegen muss für jeden Einzelfall überprüft werden, welche Auswirkungen bei den einzelnen Alternativen zu erwarten sind und welchen Wert wir diesen unterschiedlichen Ergebnissen zuerkennen.

 

Zur Erläuterung dieser beiden unterschiedlichen Entscheidungsmaximen wollen wir eine Verkehrs­regelung einmal durch eine Ampelschaltung, zum andern durch eine fallweise Entscheidung betrachten. Wird die Vorfahrt über eine Ampel geregelt, findet eine regelgebundene Entscheidung statt. Es gibt im Grunde nur zwei Regeln: wer grün hat, hat Vorfahrt, kann also die Kreuzung überqueren, bei rot muss angehalten werden. Damit der Wechsel nicht zu überraschend kommt, wird zwischen rot und grün noch eine gelbe Farbe eingeblendet; sie gibt dem Wartenden die Möglichkeit, sich schon für die Weiterfahrt rüsten zu können, also z. B. bereits den Gang einzulegen, bevor auf grün umgeschaltet wurde. Für den heranfahrenden bedeutet die gelbe Farbe, dass er bremsen sollte, falls er noch so weit von der Ampel entfernt ist, dass er keine Chance hat, die Kreuzung noch vor Umschalten auf rot zu überqueren.

 

Diese Regelung kann als sehr effizient angesehen werden: Die Regeln sind einfach und können von jedem ohne große Geistesanstrengungen befolgt werden. Der Einzelne wird dadurch entlastet, dass er nur darauf achten muss, dass er bei Rot die Kreuzung nicht übertreten darf. Sie sind im Allgemeinen gerecht, da die Wartezeiten relativ gleich auf beide Seiten verteilt sind. Sie sind sehr sicher, im Allgemeinen ist sichergestellt, dass jeder ungeschoren über die Kreuzung kommt und dass nur ganz selten trotzdem Unfälle passieren.

 

Wie oft Unfälle trotzdem eintreten, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Teilnehmer tatsächlich verhalten. Es gibt in jeder Gruppe von Menschen solche, die sich nicht an die Regeln halten und der Meinung Ausdruck geben, dass nur die anderen, aber nicht man selbst an Regeln gebunden sei. Diese Gruppe hält sich dann auch vielmehr an die Maxime, sich nicht erwischen zu lassen. Gibt es solche Verkehrsteilnehmer, besteht natürlich auch die Gefahr, dass diejenigen verletzt werden, die sich sehr wohl an die Verkehrsregeln halten, die aber dann von denen, welche auch bei rot über die Ampel fahren, angefahren werden. Ein richtiger Schutz ist in diesem Fall nur dann gegeben, wenn jemand, der nur bei grün die Straße passiert, zusätzlich noch ein Auge auf die anderen Verkehrsteilnehmer nimmt, sodass man bei Gefahr immer noch ausweichen kann.

 

Welche Ergebnisse hätten wir nun zu erwarten, wenn wir keine Verkehrsregeln festgelegt hätten? Mehrere Möglichkeiten können eintreten. Nehmen wir den Fall, dass sich zwei besonders rücksichtvolle Bürger begegnen, und durch Winken kundtun, dass sie die Vorfahrt dem jeweils anderen einräumen. Das mag mehrmals hin und her gehen, bis dann schließlich einer von beiden die Höflichkeit abbricht und die Vorfahrt in Anspruch nimmt.

 

Im Allgemeinen wäre ein solches Vorgehen ebenfalls sicher, nur eben etwas umständlicher. Es kann hier aber auch der Fall eintreten, dass beide Partner zur gleichen Zeit ihre Höflichkeit beenden und die Straße überqueren, da beide sich ja im Recht glauben, da ja der jeweils andere ihm die Vorfahrt eingeräumt hat. In diesem Falle kommt es trotz vorsichtigem Fahren beider zu einem Zusammenstoß.

 

In einem zweiten Beispiel mag eine Gruppe bestrebt sein, möglichst forsch zu fahren und jedes Mal die Vorfahrt zu erzwingen, in dem Glauben, dass dann der andere Teil zurücksteht und dem ersten die Vorfahrt einräumt. Aber irgendwann einmal reißt dem bisher vorsichtigen Fahrer die Geduld und er möchte ebenfalls die Vorfahrt erzwingen und läuft nun die Gefahr, dass beide Verkehrsteilnehmer    miteinander kollidieren. Bei diesem Verfahren mögen sich zwar ebenfalls insgesamt wenige Unfälle ereignen, es geht jedoch hier recht ungleich und ungerecht zu.

 

Besonders risikoreich gestaltet sich schließlich der Verkehr, wenn sich nahezu alle Verkehrsteilnehmer wie Rowdys benehmen, versuchen die Vorfahrt zu erzwingen und dann sehr oft einen Unfall riskieren.

 

Wenn wir nun beide Vorgehensweisen, ein regelgebundenes und ein fallweises Vorgehen miteinander vergleichen, kommen wir sicherlich zu dem Ergebnis, dass das regelgebundene Verfahren in dem gewählten Beispiel für alle Teilnehmer das effizientere und auch sichere Verfahren  darstellt. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass für alle Situationen diese Überlegenheit des regelgebundenen Verhaltens gilt. Dass bei der Lösung des Vorfahrtsproblems die regelgebundene Lösung die effizientere und damit auch rationellere Lösung darstellt, hängt vor allem damit zusammen, dass sich nahezu alle Vorgänge gleichen und gerade deshalb bei einer regelgebundenen Entscheidung nur einige wenige einleuchtende und leicht zu befolgende Regeln ausreichen, um den Verkehr befriedigend zu steuern. Oft sind Probleme so komplex, bei denen jeder Fall eine vollkommen neue Situation darstellt und bei der deshalb ein sehr komplexes kaum einsehbares Regelwerk notwendig wäre, wo gerade aus diesen Gründen die fallweise Entscheidung sehr viel mehr die Möglichkeit eröffnet, der Zielsetzung zu entsprechen.

 

 

 

3. Das Entscheidungskalkül einer Kapitalgesellschaft

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, wie es mit der Rationalität bei den Entscheidungen einer Unternehmung steht. Eine Unternehmung stellt mit Ausnahme einer Ein-Personen-Unternehmung ein Kollektiv dar, sodass hier nun zum ersten Mal das Problem auftaucht, was wir denn überhaupt unter einer rationalen Entscheidung verstehen, wenn die Entscheidung mehrerer Personen zur Diskussion steht.

 

Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass dieses Problem bei einer Unternehmung recht einfach zu erklären ist, vor allem deshalb, weil hier keine Nutzeneinheiten im Spiel sind, welche nur ordinal, aber nicht kardinal bestimmt werden können, sondern weil sich hier die unternehmerischen Entscheidungen ausschließlich in Geldgrößen niederschlagen, welche wir auch kardinal bestimmen können, auch dann, wenn Eintrittswahrscheinlichkeiten zur Diskussion  stehen.

 

Als Vorteil kommt weiterhin hinzu, dass zumindest unter Wettbewerbsbedingungen Unternehmungen unter starkem Druck stehen, jede mögliche Gewinnsteigerung mitzunehmen. Wenn nämlich ein Unternehmer nicht alle möglichen Vorteile wahrnimmt, läuft er Gefahr, von den Konkurrenten aus dem Markt gedrängt zu werden. Ein Unternehmer unter Wettbewerbsbedingungen kann nicht einfach beschließen, dass er sich mit einem etwas geringeren Gewinn als möglich zufrieden gibt. Da im Allgemeinen auch der Konkurrent diese Möglichkeiten hat, besteht immer die Gefahr, dass dieser Konkurrent diese Möglichkeiten ausschöpft und gerade deshalb seine Preise stärker senken kann, als der Unternehmer, welcher wegen moralischer Skrupel nicht alle Gewinnchancen ausnutzt. Im Wettbewerb gilt oftmals das Prinzip: Entweder alles oder nichts.

 

Wir können also zumindest dann, wenn ein intensiver Wettbewerb zwischen den Unternehmungen besteht –  und nur dann können wir von einer funktionierenden Marktwirtschaft sprechen – davon ausgehen, dass das Ziel der meisten Unternehmungen in der Gewinnmaximierung besteht.

 

Wenn nun auch nahezu jede Unternehmung aus einer Vielzahl von Personen (Unternehmer und Arbeitnehmer) besteht und somit ein Kollektiv darstellt, kann doch für einen beachtlichen Teil der Unternehmungen trotzdem davon ausgegangen werden, dass die unternehmerischen Entscheidungen von einer einzigen Person ausgehen. Dies gilt auf der einen Seite für die meisten selbständigen Unternehmer sowie für die Kapitalgesellschaften, welche von einem einzigen Großaktionär kontrolliert werden. Hier stellt sich somit immer noch nicht das Problem einer kollektiven Rationalität.

 

Wie steht es jedoch mit den Unternehmungen, bei denen eine Mehrheit von Vorstandsmitgliedern die unternehmerischen Entscheidungen fällt oder eine Mehrzahl von Kapitalgebern sich zu einer Meinung durchringen muss. Hier gilt es zunächst zu klären, bei welchen Entscheidungen denn überhaupt von einer rationalen Entscheidung gesprochen werden kann. Relativ einfach liegen die Probleme dann, wenn ein Vorstandsmitglied oder auch ein Unternehmungseigner über die Mehrheit der Stimmen verfügt und wenn gleichzeitig keinem anderen Vorstandsmitglied bzw. Eigner eine Sperrminorität eingeräumt wurde. Hier fällt die Entscheidung dieser Unternehmerpersönlichkeit mit der der Unternehmung zusammen, sodass hier wiederum die kollektive Rationalität mit einer individuellen zusammenfällt.

 

In all den anderen Fällen müssen sich die einzelnen Führungskräfte einer Unternehmung zusammenraufen, wobei über Diskussionen, weiterhin über Arbeitsteilung und schließlich auch vote trading eine Einigung erzielt werden kann. Bei vote trading stimmt das eine Vorstandsmitglied A dem Vorschlag eines anderen Mitgliedes B zu unter der Bedingung, dass bei einer späteren Entscheidung, welche für A besonders wichtig ist, B dem Vorschlag von A zustimmt.

 

Zusammenfassend können wir feststellen, dass der funktionierende Wettbewerbsmarkt darauf drängt, dass in aller Regel von allen Vorstandsmitgliedern eine Gewinnmaximierung angestrebt wird und dass weitergehende Ziele zumeist auch dadurch realisiert werden können, dass diese innerhalb der Unternehmerhaushalte und nicht der Unternehmung mit Hilfe des den Haushalten zugewiesenen Einkommens erfüllt werden können.

 

Natürlich können vor allem bei moralischen Fragestellungen unterschiedliche Meinungen zwischen einzelnen Vorstandsmitgliedern bestehen bleiben. Zumeist aber gilt, dass hier das Prinzip der Grenzmoral gilt, dass unter Wettbewerbsbedingungen diejenige Unternehmung oder auch dasjenige Vorstandsmitglied die Vorgehensweise diktiert, welche in der Branche bzw. in der Unternehmung die geringsten moralischen Bedenken besitzt. Hier lassen sich moralische Vorstellungen, welche über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen, allenfalls dann verwirklichen, wenn alle Unternehmungen (alle Vorstandsmitglieder) im Gleichschritt vorgehen und jeder davon ausgehen kann, dass ihm dieses Vorgehen nicht schadet, da auch der andere in gleicher Weise handelt.

 

 

4. Das Entscheidungskalkül eines privaten Haushaltes

 

Wir wollen uns nun mit der kollektiven Rationalität privater Haushalte befassen. Anders als bei den Unternehmungen entstehen in diesem Zusammenhange Probleme, welche bei Unternehmungen einfach deshalb leichter gelöst werden können, weil in Unternehmungen ausschließlich Geldgrößen zur Diskussion stehen, welche durchaus kardinal bestimmt werden können. Bei privaten Haushalten stehen hingegen Nutzenüberlegungen im Vordergrund, welche dann, wenn Wahrscheinlichkeits­überlegungen im Spiel sind, nicht mehr exakt miteinander verglichen werden können, vorausgesetzt wir sind mit Pareto der Überzeugung, dass Nutzeneinheiten nur ordinal miteinander verglichen werden können.

 

Nun können wir natürlich davon ausgehen, dass ein immer größer werdender Anteil aller privaten Haushalte Ein-Personen-Haushalte sind, für welche sich die Problematik einer kollektiven Rationalität erübrigt. Aber immerhin gibt es nach wie vor einen beachtlichen Teil von Mehrpersonenhaushalten, entweder dass Eheleute ohne Kinder mit einander leben, oder dass ein oder zwei Erwachsene zusammen mit Kindern einen Haushalt bilden, wobei den Kindern zumindest ab einem bestimmten Alter ebenfalls Mitspracherechte zustehen. Hier stellt sich in der Tat die Frage, was denn nun die Zielsetzung eines Mehrpersonenhaushaltes ist, wie wir denn von den individuellen Indifferenzkurven der einzelnen Haushaltsmitglieder schließlich zu einer kollektiven Indifferenzkurve gelangen.

 

Eigenartiger Weise hat die traditionelle Haushaltstheorie dieses Problem überhaupt nicht erkannt, sie arbeitet ausschließlich mit individuellen Indifferenzkurven, welche vielleicht mit der Präferenzskala des ‚pater familias‘ im alten Rom oder der traditionellen Hausfrau übereinstimmte, welche lange Zeit die Geschicke des Haushaltes regelte, während der Mann erwerbstätig war und das Einkommen für den Haushalt erwirtschaften musste. Spätestens seit der Emanzipationsbewegung der Frauen entspricht jedoch dieses Modell nicht mehr der familiären Realität. Es gilt also für jeden Mehrpersonenhaushalt eine kollektive Präferenzskala zu entwickeln.

 

Aber gerade die Konstruktion kollektiver Indifferenzkurven bereitet beachtliche Probleme. Nach der Vorstellung dieser Theorie werden die kollektiven Indifferenzkurven aus den einzelnen individuellen Indifferenzkurven abgeleitet. Wie ist dies jedoch möglich? Paul A. Samuelson hat nachgewiesen, dass kollektive Indifferenzkurven nur unter sehr restriktiven Annahmen aus den individuellen Indifferenzkurven abgeleitet werden können. Samuelson nennt hierbei drei Alternativen:

 

Erstens wäre die Konstruktion einer kollektiven Indifferenzkurve möglich, wenn wir entweder nur ein einziges Individuum unterstellen, bzw. annehmen, dass ein wohlwollender Diktator in meritorischer Absicht jeweils die Entscheidung trifft, wie die einzelnen Güterkombinationen bewertet werden müssen. Diese Annahme widerspricht natürlich dem Selbstbestimmungskriterium und ist somit keine akzeptable Lösung. Auch würde diese Möglichkeit nur dann den privaten Haushalten entsprechen, wenn ein Einpersonenhaushalt vorliegt oder wenn der pater familias bzw. die Hausfrau traditioneller Art das ‚Sagen‘ hätte.

 

Zweitens könnte man dann kollektive Indifferenzkurven aus dem System individueller Indifferenzkurven ableiten, wenn man unterstellen würde, dass alle Individuen identische Bedarfsstrukturen aufwiesen. Schon bei der Kritik an der Grenznutzentheorie haben wir gesehen, dass auch diese Annahme nicht der Wirklichkeit entspricht, da die einzelnen Individuen sich gerade in der Art ihrer Bedarfsstruktur unterscheiden.

 

Natürlich wird man davon ausgehen können, dass sich die Bedarfsstrukturen von Ehepartnern eher entsprechen als die zweier Vorstandsmitglieder in einer Unternehmung oder zweier Abgeordnete im Parlament. Als erstes gilt, dass sich solche Ehepartner finden, welche ein ähnliches Weltbild und einen ähnlichen Geschmack haben; gleichzeitig dürfte auch das ständige Zusammenleben zweier Ehepartner automatisch zu einer Annäherung und Angleichung der individuellen Bedarfsstrukturen führen.

 

Es gibt auch gute Gründe dafür, dass sich die Bedarfsstrukturen zwischen Kindern und Eltern ähnlicher Natur sind oder sich im Laufe der Zeit einander annähern. Dafür spricht bereits der Umstand, dass die gleichen Erbanlagen zwischen Eltern und Kinder vorliegen und der weitere Umstand, dass im Erziehungsprozess die Kinder vor allem dadurch lernen und eine eigene Persönlichkeit entwickeln, dass sie das Verhalten ihrer Eltern nachahmen.

 

Zwar wird diese Annäherung zwischen der Bedarfsstruktur der Eltern und Kinder dadurch unterbrochen und sogar in ihre Gegenteil gekehrt, dass die Kinder von einem bestimmten Alter an bestrebt sind, sich von den Eltern loszusagen, um eine Selbständigkeit zu erlangen; dies tritt aber normaler Weise eben erst dann auf, kurz bevor die Kinder den Haushalt ihrer Eltern verlassen und wenn also deshalb das Problem identischer Bedarfsstrukturen gar nicht mehr aktuell ist.

 

Drittens könnten kollektive Indifferenzkurven auch dann aus der Schar individueller Indifferenzkurven abgeleitet werden, wenn Veränderungen in der Allokation, also Bewegungen entlang einer Indifferenzkurve keinen Einfluss auf die Einkommensverteilung nehmen würden. Aber auch diese Annahme widerspricht der Realität, da Allokationsveränderungen im Allgemeinen mit Veränderungen in den Güter- und Faktor-Preisverhältnissen verbunden sind, die Preise jedoch – vor allem die Faktorpreise – auch die jeweilige Einkommensverteilung bestimmen. Lediglich dann, wenn wir für alle Märkte die Marktform eines bilateralen Monopols unterstellen könnten, wenn wir weiterhin davon ausgingen, dass die Marktpartner im Sinne einer schrittweisen Verhandlungsstrategie vorgingen und wenn schließlich homogen-lineare Produktion- und Nutzenfunktionen vorlägen, könnte man unterstellen, dass die Einkommensverteilung weitgehend von der Allokation abgekoppelt ist.

 

Diese dritte Voraussetzung spielt bei der Konstruktion kollektiver Bedarfsstrukturen eines privaten Haushaltes schon deshalb keine entscheidende Rolle, da ja im Allgemeinen auch dann, wenn die einzelnen Familienmitglieder getrennte Einkommen erwerben, dieses Einkommen doch in aller Regel zusammengelegt wird und wie ein gemeinsam erworbenes Einkommen aufgefasst wird. Würde jedes Haushaltsmitglied lediglich über sein eigenes Einkommen verfügen, könnte man auch nicht mehr von einem einzigen Haushalt sprechen; die einzelnen Haushaltsmitglieder würden sich in wirtschaftlicher Hinsicht genauso verhalten wie mehrere, nebeneinander bestehende Haushalte.

 

Wir kommen somit zu dem Ergebnis, dass unter realistischen Bedingungen kollektive Indifferenzkurven privater Haushalte aus individuellen Indifferenzkurven nur dann überhaupt abgeleitet werden können, wenn sich die Bedarfsstrukturen aller Familienmitglieder ohnehin gleichen.

 

 

 

5. Das Rationalitätsprinzip bei politischen Entscheidungen

 

Nach diesen vorbereitenden Schritten wollen wir uns nun mit dem von Arrow entwickelten Unmöglich­keitstheorem etwas näher befassen.

 

Machen wir uns dieses Theorem anhand eines einfachen Beispiels klar. An einer Abstimmung sollen 3 Personen (oder Parteien): P1, P2, P3 teilnehmen. Zur Abstimmung stünden drei Alternativen: A1, A2, A3. Für die einzelnen Parteien gelte folgende Rangskala:

 

P1: A1 > A3 > A2

P2: A3 > A2 > A1

P3: A2 > A1 > A3

 

Zur Abstimmung käme zunächst die Frage, ob A1 oder A2 gewählt werden solle. Entsprechend den Präferenzskalen entscheidet sich P1 für A1, P2 für A2 und P3 für A2. Es ergibt sich also eine Mehrheit für A2.

 

P1: A1

P2: A2

P3: A2

 

An zweiter Stelle stünde zur Diskussion, ob A2 oder A3 gewählt werden soll. P1 entscheidet sich entsprechend seiner Präferenzskala für A3, P2 für A3 und P3 für A2. Die Mehrheit spricht sich also für A3 aus. Es gilt die kollektive Rangfolge: A3 > A2 > A1.

 

P1: A3

P2: A3

P3: A2

 

 

Nun unterstellen wir, dass in einer etwas anderen Reihenfolge abgestimmt worden wäre. An erster Stelle wäre über die Frage abgestimmt worden, ob A1 oder A3 gewählt werden soll. P1 hätte sich für A1, P2 für A3, P3 für A1 entschieden. Gesiegt hätte also die Alternative A1.

 

P1: A1

P2: A3

P3: A1

 

 

Nun wäre in einem zweiten Schritt darüber entschieden worden, ob die Gruppe die Alternative A1 oder A2 bevorzuge. P1 würde sich wiederum für A1, P2 für A2, P3 schließlich für A2 entscheiden. Nun  würde die Alternative A2 gewählt werden. Es gelte also in diesem Falle die kollektive Rangskala: A2 > A1 > A3.

 

P1: A1

P2: A2

P3: A2

 

 

Je nach zufälliger Reihenfolge der Abstimmungen käme es also – auch bei rationalem Verhalten der Individuen – zu unterschiedlichen Ergebnissen, was einen Widerspruch bedeutet. Es kann nicht zur gleichen Zeit die kollektive Rangfolge: A3 > A2 > A1 und A2 > A1 > A3 gelten. Bei der ersten Abstimmungsreihenfolge würde die Alternative A3 Platz 1, bei der zweiten Abstimmungsreihenfolge jedoch Platz 3 erreichen. Das kann nicht sein. Es ist also unmöglich, aus widerspruchsfreien individuellen Indifferenzkurven stets eine ebenfalls widerspruchsfreie kollektive Indifferenzkurve abzuleiten.

 

Solche zyklischen Mehrheiten können allerdings dann und nur dann vermieden werden, wenn die Zahl der Alternativen auf zwei reduziert wird oder wenn die Präferenzen der Stimmberechtigten weitgehend übereinstimmen. Eine faktische Reduzierung auf zwei Alternativen findet in der Regel bei Mehrheitswahlsystemen statt, wo nur zwei große Parteien sich zur Wahl stellen und die eine Partei als Sieger aus den Wahlen hervorgeht. Hier stehen bei den Abstimmungen im Parlament vorwiegend zwei Programme zur Abstimmung: das Programm der Regierung und das der Opposition.

 

Wir wollen nochmals kurz auf das Problem einer kollektiven Präferenzskala eines privaten Haushaltes zurückkommen. Wenn wir Zwei-Personen-Haushalte oder Familienhaushalte mit Kleinkindern, welche noch keine Mitspracherechte besitzen, unterstellen, wäre diese Voraussetzung gegeben, da eben dann immer nur zwei Alternativen diskutiert werden. Die Ähnlichkeit der Bedarfsstrukturen der Familien­mitglieder dürfte ebenfalls dafür sprechen, dass prinzipiell die Konstruktion kollektiver Indifferenz­kurven für Familien möglich ist.

 

Eine weitere Voraussetzung für Beschlussunfähigkeiten liegt dann vor, wenn qualifizierte Mehrheiten oder sogar Einstimmigkeit für das Zustandekommen eines Beschlusses verlangt werden. So sahen z. B. bis vor kurzem die Satzungen der Europäischen Union vor, dass alle Mitglieder der EU-Kommission einer Vorlage zustimmen mussten, damit diese Vorlage als verabschiedet gilt.

 

Schließlich besteht bei verteilungspolitischen Fragen die Möglichkeit, dass in Proporzwahlsystemen mit mehreren kleineren Parteien ein langfristiges Gleichgewicht verhindert wird, auch dann, wenn sich alle Parteien rational verhalten. Da gerade in der Verteilungspolitik die Vorstellungen über eine gerechte Verteilung der Einkommen sehr differieren, sehen sich die Politiker gezwungen, sich auf minimale Mehrheiten zu stützen. Hier kann eine Opposition dadurch eine Wendung herbeiführen, dass sie eine anders zusammen gesetzte Mehrheit herbeiführt. Langfristig ergibt sich dann ein Hin- und Herpendeln zwischen unterschiedlichen Mehrheiten und damit eine instabile Situation. Vor allem Friedrich von Hayek hat auf dieses Problem hingewiesen.

 

Ein bürokratisches System kann schließlich ebenfalls aus verschiedenen Gründen handlungsunfähig werden. Dies gilt z. B. dann, wenn einzelne Abteilungen einer Regierung nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig blockieren. Nehmen wir den Fall, dass eine zur Abstimmung stehende Frage die Kompetenz zweier Ministerien berühre, dass das Ministerium A von der Partei S, das Ministerium B jedoch von der Partei C geführt werde und dass beide Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Lösung der anstehenden Frage besitzen, dann kann es durchaus dazu kommen, dass sich im Vorfeld der Beratungen beide Instanzen gegenseitig blockieren.

 

Auch wäre es denkbar, dass es an einem Treueverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen mangelt und dass aus diesen Gründen die untergebenen Bürokraten sich weigern, die Beschlüsse der Regierung korrekt auszuführen.