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Seminar über Ökonomische Gesetze

 

 

Gliederung:

 

  1. Gibt es überhaupt ökonomische Gesetze?

  2. Das Bevölkerungsgesetz von Malthus

  3. Das Gesetz von der Gleichgewichtstendenz der Märkte

  4. Das Cobweb-Theorem 

  5. Das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag 

  6. Das Gossen‘sche Gesetz

  7. Das Gesetz von der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse

  8. Das Harberger Dreieck

  9. Das Grasham’sche Gesetz

10. Das Okun’sche Gesetz

11. Das Gesetz vom Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft

12. Das Arrow-Paradox

 

 

 

Kapitel 2. Das Bevölkerungsgesetz von Malthus

 

1. Einführung

2. Darstellung des Bevölkerungsgesetzes von Malthus

3. Kritische Analyse

4. Weiterentwicklung dieser Theorie

5. Malthus auch heute noch gültig?

6. Unterschiede zwischen Entwicklungsländern und hochindustrialisierten Ländern

 

 

1. Einführung

 

 

In diesem Kapitel widmen wir uns dem von Robert Malthus entwickelten Bevölkerungsgesetz. Wir legen hierbei den Artikel ‚Theorie und Politik der Bevölkerungsentwicklung‘ zugrunde, den ich vor längerer Zeit hier im Internet veröffentlicht habe und der im Archiv eingesehen werden kann. Der Einfachheit halber werden einige Passagen dieses Artikels hier übernommen.

 

In diesem Seminar soll erstens dieses Gesetz von Malthus dargestellt werden, zweitens dieses Bevölkerungsgesetz kritisch besprochen werden, drittens untersucht werden, wie die theoretischen Ansätze in der Zwischenzeit weiter entwickelt wurden und viertens überprüft werden, inwieweit diese Gesetzmäßigkeiten auch heute noch gelten. Vor allem sind hierbei fünftens die Unterschiede zwischen den heutigen Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten Volkswirt­schaften herauszuarbeiten.

 

 

2. Darstellung des Bevölkerungsgesetzes von Malthus

 

 

Eine der ersten Bevölkerungstheorien der Neuzeit war der Beitrag von Robert Thomas Malthus, welcher im Jahre 1798 in seiner Schrift ‚An Essay on the Principle of Population’ eine durchaus pessimistische Bevölkerungslehre vortrug, welche von der überwiegend positiven Anschauung der damaligen Zeit stark abwich.

 

Diese Theorie lässt sich in der Aussage zusammenfassen, dass die Bevölkerung die Tendenz habe, wesentlich schneller zu wachsen als die Nahrungsmittel, welche zur Ernährung der Bevölkerung benötigt würden. Die Bevölkerung habe die Tendenz, im Sinne einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8 etc.) zu wachsen, während in dem gleichen Zeitraum der Bodenertrag und damit das Nahrungsmittelangebot nur im Sinne einer arithmetischen Reihe (1, 2, 3, 4 etc.) ausgeweitet werden könne. Wenn die Produktion von Nahrungsmittel vorübergehend schneller ansteige als das Bevölkerungswachstum, dann vermehre sich die Bevölkerung noch schneller als bisher.

 

Da jedoch die Bevölkerung ernährt werden müsse und für eine ausreichende Ernährung ein Minimum an Nahrungsmitteln lebenswichtig sei, könne die Bevölkerung nicht auf Dauer stärker steigen als die Nahrungsmittelproduktion. Diese notwendige Anpassung der Bevölkerung an den Nahrungsspielraum erfolge durch Hungersnöte, Krankheit und Kriege, welche die Bevölkerung dezimiere und an den vorhandenen Nahrungsspielraum anpasse.

 

Es wird allerdings zugestanden, dass dieser Teufelskreis durchbrochen werden könnte, wenn die Bevölkerung freiwillige Enthaltung im geschlechtlichen Verkehr üben würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mehrzahl der gebärfähigen Frauen und zeugungsfähigen Männer zu einem solchen Verhalten von selbst bereit seien, sei jedoch sehr gering.

 

 

3. Kritische Analyse

 

Diese Überzeugungen stehen in einem Widerspruch zu der damaligen Vorstellung, dass die Fruchtbarkeit einer Gesellschaft die Grundlage für einen wirtschaftlichen Wohlstand darstelle. Diese pessimistische Bevölkerungslehre von Malthus wurde nun oft als Argument angeführt, um nachzuweisen, dass der Versuch, die Situation der Armen durch sozialpolitische Maßnahmen zu verbessern, zum Scheitern verursacht sei. Je mehr nämlich die Armen materiell unterstützt würden, umso mehr seien diese Armen in der Lage, Kinder in die Welt zu setzen, damit dazu beizutragen, dass die Bevölkerung noch stärker steige; da aber der Nahrungsspielraum dadurch unberührt bleibe, also nicht ebenso ansteige, müsse die zunächst anwachsende Bevölkerung erneut durch Kriege und Hungersnot dezimiert werden.

 

Auch dann, wenn es gelänge, den Nahrungsspielraum durch technische Erfindungen zu vergrößern, sei nicht viel gewonnen, weil in der Folge wiederum das Bevölkerungswachstum noch stärker als bisher ansteige und sehr schnell an die vom Nahrungsspielraum gesetzten Grenzen stoße.

 

Nun müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass diese Theorie in mehrerer Hinsicht Mängel aufweist. Im Grunde genommen sagt sie nichts darüber aus, wie hoch die tatsächliche Wachstumsrate der Bevölkerung ist; die Aussage über die Tendenz, sich im Sinne einer geometrischen Reihe zu vermehren, bezieht sich ja nicht auf eine bestimmte festgelegte Periode; es werden keinerlei Aussagen darüber gemacht, in welchem Zeitraum eine Verdopplung der Bevölkerung zu erwarten ist, dies kann in einem sehr kurzen Zeitraum von wenigen oder auch in einem sehr langen Zeitraum von vielen Jahrzehnten geschehen.

 

Die Malthusianische Lehre besagt allein, dass die Wachstumsrate der Bevölkerung ohne äußere Behinderung wesentlich größer sei als die technisch mögliche Wachstumsrate der Nahrungsmittel. Im Mittelpunkt dieser Theorie steht also eigentlich eine Aussage über die begrenzten Möglichkeiten der Produktionsausweitung der Nahrungsmittel und nicht so sehr über den Umfang der Bevölkerungs­entwicklung. Zur Bevölkerungsentwicklung wird lediglich festgestellt, dass die Tendenz bestehe, stärker zu wachsen als der jeweilige Nahrungsspielraum.

 

Diese Aussagen legen also das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag der Bodenprodukte zugrunde. Entsprechend dieser Gesetzmäßigkeiten kann zwar die Bodenproduktion durch vermehrten Einsatz von Arbeitskräften gesteigert werden, der Zuwachs an Produkten ist jedoch geringer als der Zuwachs an Arbeitskräften, sodass also notwendigerweise die Zahl der Nahrungsmittel geringer steigt als die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer. Vermehrt sich die Bevölkerung, so kann also zwar die Güterproduktion ausgeweitet werden, der Ertrag pro Person muss jedoch aufgrund dieser technisch bestimmten Begrenzung notwendigerweise sinken.

 

Dieses Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag wurde zunächst lediglich für Bodenerträge nachgewiesen. Der mit zunehmender Produktion abnehmende Grenzertrag wird hierbei wie folgt erklärt: Bei vermehrter Produktion wird nicht nur ein vermehrter Arbeitseinsatz, sondern auch ein vermehrter Einsatz an natürlichen Mineralien benötigt. Letztere sind jedoch begrenzt und deshalb kann keine beliebige Intensivierung der Bodenproduktion stattfinden.

 

Später wurde allerdings erkannt, dass diese Gesetzmäßigkeit eines abnehmenden Grenzertrages im Grunde für alle, auch für industrielle Produktionen gilt, da immer damit gerechnet werden muss, dass es bei jeder Produktion Engpassfaktoren gibt, welche den Zuwachs der Produktion begrenzen. Das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag besagt also im Grunde genommen nichts anderes, als dass die Ausweitung der Produktion der Vermehrung im Prinzip aller Produktionsfaktoren bedarf, dass zwar der eine Produktionsfaktor durch einen anderen substituiert (ersetzt) werden kann, dass aber für diese Substitutionsmöglichkeiten enge Grenzen gesetzt sind und dass deshalb in der Regel die Ausweitung der Produktion durch einen Engpass bei einem der Produktionsfaktoren fast immer begrenzt wird. Da wir uns in diesem Seminar noch ausführlich mit dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag befassen werden, reicht an dieser Stelle dieser Hinweis.

 

Wenn also auch eingeräumt werden muss, dass es sich bei der These vom abnehmenden Grenzertrag um eine allgemein akzeptierte Gesetzmäßigkeit handelt, können wir heute bei einem Rückblick über die letzten beiden Jahrhunderte feststellen, dass die in dieser Gesetzmäßigkeit zugrundeliegenden Behinderungen des Wachstums weit überschätzt wurden. Diese Gesetzmäßigkeit gilt nämlich zunächst nur unter der Annahme einer gleichbleibenden angewandten Produktionstechnik.

 

De facto hat sich erwiesen, dass vor allem durch die Industrialisierung für lange Zeit ein Zustand erreicht werden konnte, bei dem die Wachstumsraten der Produktion über die Wachstumsrate der Bevölkerung angehoben wurden, mit der notwendigen Konsequenz, dass das Inlandsprodukt pro Person entscheidend ansteigen konnte und dass deshalb – zumindest für lange Zeit – die von Malthus ausgehende pessimistische Sicht durch einen Optimismus abgelöst wurde.

 

Erst in jüngster Zeit gewinnen pessimistische Sichtweisen im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum wiederum an Bedeutung, da man befürchten muss, dass bestimmte natürliche Ressourcen nicht in ausreichendem Maße vermehrt oder ersetzt werden können, sodass eine Zunahme der Weltbevölkerung im bisherigen Umfang sehr schnell durch ein begrenztes Angebot an natürlichen Rohstoffen behindert wird und dass wiederum die Gefahr besteht, dass ein unbeschränktes Bevölkerungswachstum de facto nur durch Krieg, Krankheit und Hunger letztlich begrenzt wird.

 

Auch hier wird man natürlich eher davon sprechen müssen, dass diese Gefahren durchaus durch politische Maßnahmen abgewendet werden können und dass diese Gefahren nur für den Fall gelten, dass die Regierungen nicht bereit sind, Maßnahmen zu ergreifen, welche diese Gefahren abwenden. In der Tat ist es möglich, auf der einen Seite durch effizienteren und sparsameren Einsatz der natürlichen Rohstoffe (Erhöhung des Wirkungs­grades der Energierohstoffe, dämmender Häuserbau, welcher den Einsatz von Energie verringern würde, Zuführung der bei der Produktion eingesetzten Rohstoffe nach dem Konsum durch Recycling etc.) den Bedarf an Rohstoffen stark einzuschränken; auf der anderen Seite kann auch das Bevölkerungswachstum vor allem durch Aufklärung so reduziert werden, dass das Bevölkerungswachstum nicht mehr notwendiger Weise an natürliche Grenzen stößt.

 

Die Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass die von Malthus prognostizierten Befürchtungen nicht nur deshalb in der Vergangenheit nicht eingetreten sind, weil das Angebot an Gütern drastisch vermehrt werden konnte, sondern darüber hinaus auch deshalb, weil mit zunehmender Industrialisierung und Verstädterung die Bevölkerungs­wachstumsrate stark zurückging und in den hochindustrialisierten Staaten sogar eine Bevölkerungsstagnation und ein Schwund in der Bevölkerung drohte.

 

Auf der einen Seite war das Bevölkerungswachstum bei Beginn der Industrialisierung nur deshalb so hoch, weil eine Reihe von im Mittelalter bestehenden Begrenzungen der Bevölkerungsvermehrung im Zuge der Verstädterung und Auflösung der Großfamilien wegfiel. Auf der anderen Seite brachte es die Aufklärung und Industrialisierung aber auch mit sich, dass es möglich wurde, die Geburt von Kindern nach einem Geschlechtsverkehr zu unterbinden (z. B. durch Benutzung der Pille) und dass auch die Bereitschaft, von  diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, immer mehr anstieg.

 

Trotz dieser aufgezeigten Schwächen der Bevölkerungstheorie von Malthus markiert diese Theorie doch den Beginn einer wissenschaftlich ernstzunehmenden Erforschung der Bestimmungsgründe des Bevölkerungs­wachstums. Von Bedeutung für die Bevölkerungspolitik bleibt trotzdem der Hinweis, dass eine befriedigende Lösung bevölkerungspolitischer Probleme nur dadurch erreicht werden kann, dass auf lange Sicht die Wachstumsraten der Bevölkerung und die Wachstumsraten des Inlandsproduktes einander angenähert werden müssen, entweder dadurch, dass das Bevölkerungswachstum an den gegebenen Nahrungsspielraum angepasst wird oder aber auch dadurch, dass Maßnahmen zur Erhöhung des Güterwachstums eingeleitet werden.

 

 

4. Weiterentwicklung dieser Theorie

 

Fragen wir uns nun in einem nächsten Schritt, wie denn diese bereits Ende des 18. Jahrhunderts formulierte Theorie in der Zwischenzeit weiterentwickelt wurde. Bereits in der kritischen Analyse zu dieser Theorie haben wir gesehen, dass von der eigentlichen Aussage im Hinblick auf die zu beobachtenden Gesetzmäßigkeiten wenig übrig geblieben ist.

 

Die Bevölkerungslehre von Robert Malthus gibt uns keine Auskunft darüber, von welchen Faktoren denn das Bevölkerungswachstum jeweils abhängig ist. Wir erfahren lediglich, dass der Mensch über einen natürlichen Geschlechtstrieb verfügt, der zu einem Wachstum in der Bevölkerung führt, das weit größer ist als das Wachstum des Nahrungsspielraumes.

 

Natürlich wird nicht bestritten werden können, dass die Wachstumsrate der Bevölkerung von diesem Trieb bestimmt wird. Aber offensichtlich reicht es nicht aus, lediglich auf die Existenz dieses Triebes hinzuweisen. Im Verlaufe der Menschheitsgeschichte gibt es Phasen der Überbevölkerung und Phasen der Bevölkerungsstagnation. Vor allem entwickelt sich die Bevölkerung in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich.

 

Zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren die europäischen Staaten durch eine Überbevöl­kerung bedroht. Im 20. Jahrhundert zeichnete sich jedoch in denselben Staaten eine Bevölkerungsstagnation ab. Wenn wir die heutige Situation betrachten, so ist die Situation im Hinblick auf den Umfang der Bevölkerung dadurch gekennzeichnet, dass zur gleichen Zeit in den hochindustria­lisierten Volkswirtschaften die Bevölkerung schrumpft, während in den Entwicklungsländern eine Überbevölkerung festgestellt werden muss.

 

Beide Zustände: die Bevölkerungsstagnation sowie die Überbevölkerung führen zu schwerwiegenden Problemen. Während in den Entwicklungsländern die Gefahr besteht, dass große Teile der dortigen Bevölkerung verhungern, stehen die hochindustrialisierten Staaten aufgrund des Schrumpfens der Bevölkerung vor Schwierigkeiten, das Problem der Altersvorsorge befriedigend zu lösen, da nun einmal die jüngere, erwerbstätige Personengruppe die älteren, nicht mehr erwerbstätigen Jahrgänge über die Beiträge zur Rentenversicherung letzten Endes versorgen müssen.

 

Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Entwicklung in der Bevölkerung reicht es nicht aus, lediglich darauf hinzuweisen, dass der Mensch sich aufgrund eines natürlichen Geschlechtstriebes fortpflanzt, eine befriedigende Lösung des vorliegenden Bevölkerungsproblems ist erst dann gefunden, wenn wir auch die Ursachen dieses unterschiedlichen Bevölkerungswachstums kennen und damit in der Lage sind, das Bevölkerungswachstum durch politische Maßnahmen und Rahmenbedingungen zu steuern.

 

Wenn wir aber die eigentlichen Bestimmungsgründe des Bevölkerungswachstums nicht kennen, können wir auch keine befriedigenden Aussagen darüber machen, wie schnell sich die Bevölkerung in Zukunft entwickeln wird. Die Auskunft von Malthus, dass sich die Bevölkerung nach Art einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8, 16) entwickelt, ist gar keine inhaltlich gehaltvolle Aussage, da bei Malthus nichts darüber ausgesagt wird, in welchem Zeitraum eine Verdopplung der Bevölkerung zu erwarten ist.

 

Wir haben weiter oben darauf hingewiesen, dass die einzige empirisch gehaltvolle Aussage in der Bevölkerungslehre von Malthus darin besteht, dass wegen Gültigkeit des Gesetzes vom abnehmenden Grenzertrag des Bodens der Nahrungsspielraum immer geringer ansteigen wird als die Anzahl von Arbeitskräften, welche zur Bewirtschaftung der Böden eingesetzt werden.

 

Aber selbst im Hinblick auf die Aussagen über die Produktion von Agrarprodukten sind – wie wir bereits gesehen haben – einige kritische Anmerkungen zu machen. Die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes vom abnehmenden Grenzertrag ist sicherlich unbestritten. Aber auch hier gilt es die Annahmen zu berücksichtigen, unter welchen dieses Gesetz gilt. Malthus erzielte seine Schlussfolgerungen über die Wachstumsrate der Bodenprodukte, die These von einer arithmetischen Zunahme der Güterproduktion nur dadurch, dass er eine Konstanz der Technik unterstellt hatte. Aber gerade im Hinblick auf die im Agrarbereich angewandte Technik ergaben sich in der Folge revolutionäre Veränderungen, aufgrund derer tatsächlich ein viel größeres Wachstum der Bodenprodukte als vorausgesagt erzielt werden konnte.

 

In der Zeit nach Malthus wandte man sich folgerichtig der Frage zu, von welchen Determinanten denn die Entwicklung einer Bevölkerung abhängt. Rein formal gilt hierbei zunächst, dass die Größe einer Bevölkerung dadurch bestimmt wird, wie viel Kinder in einer Periode geboren werden (Frage nach der Geburtenrate), wie viel Menschen in diesem Zeitraum sterben (Frage nach der Sterberate) und wie viel Personen in dieser Zeit einwandern oder auswandern (Frage nach der Wanderungsbewegung), wobei nur der Saldo dieser Bewegungen für die Gesamtgröße der Bevölkerung verantwortlich ist.

 

Jeder dieser drei Bestimmungsfaktoren hängt selbst wiederum von einer Reihe Bestimmungsfaktoren ab. Vor allem hängt es von der Geburtenrate ab, inwieweit eine Überbevölkerung zu erwarten ist. Die Bevölkerungsgröße wird zwar auch von der Sterberate und diese hinwiederum von der durchschnitt­lichen Lebenserwartung bestimmt. Da jedoch die Verlängerung der Lebenszeit im Allgemeinen als Gewinn aufgefasst wird, schließt sich der Versuch, durch Einflussnahme auf die Sterberate eine Überbevölkerung zu vermeiden, von selbst aus. Ein größerer positiver oder auch negativer Wanderungssaldo dürfte hinwiederum nur in Ausnahmesituationen (z. B. durch Flüchtlingsströme) eintreten und in diesen Fällen eher Folge einer vorhergehenden Überbevölkerung in den Auswanderungsländern sein.

 

Die Geburtenrate wird davon bestimmt, wie viel Frauen in dem beobachteten Zeitraum überhaupt in einem gebärfähigen Alter sind, weiterhin wieweit Kinder für die Wohlfahrt einer Familie verantwortlich sind; so sind z. B. in den Entwicklungsländern, in denen es noch keine gesetzliche Altersversorgung gibt, Kinder die Voraus­setzung dafür, dass die Eltern in einem Alter, in dem sie keiner Arbeit mehr nachgehen können, materiell überleben können. In den hochentwickelten Industriegesellschaften bedeuten Kinder für die Familien zunächst eine materielle Belastung, wobei die Höhe dieser Belastung selbst wiederum davon abhängt, wieweit der Staat kostenlos Kinderbetreuungsstätten, Schulen und andere Bildungseinrichtungen zur Verfügung stellt.

 

Für die Geburtenrate ist darüber hinaus entscheidend, inwieweit ein Geschlechtsverkehr notwendiger Weise zu einer Empfängnis und schließlich zur Geburt führt. Der Umstand, dass heutzutage über die Pille weitgehend verhindert werden kann, dass ein Geschlechtsverkehr auch zur Empfängnis führt, hat die Zahl der Geburten drastisch reduziert. Es werden deshalb zu einem großen Teil nur noch Kinder geboren, wenn die Eltern mit dem Geschlechtsverkehr bewusst den Wunsch verbinden, auf diese Weise Nachwuchs zu erhalten.

 

Für Malthus gab es nur eine Möglichkeit zu verhindern, dass die Bevölkerung stärker steigt als der Nahrungsspielraum und zwar durch geschlechtliche Enthaltsamkeit. Malthus hat sicherlich diese Problematik richtig eingeschätzt, wenn er bezweifelte, dass auf diesem Wege allein (durch geschlechtliche Enthaltsamkeit) wohl kaum das Problem eines zu großen Bevölkerungswachstums gelöst werden kann.

 

Da das Problem einer Überbevölkerung nicht nur vom Wachstum der Bevölkerung, sondern auch von der Entwicklung des Nahrungsspielraumes abhängt, gilt es auch im Hinblick auf diese zweite Determinante einer Überbevölkerung nach den Ursachen und damit Möglichkeiten einer Vergrößerung des Inlandsproduktes zu forschen.

 

Wir hatten bereits weiter oben gesehen, dass auch der Nahrungsspielraum nicht allein vom Gesetz des abnehmenden Grenzertrages bestimmt wird, dass vielmehr das Inlandsprodukt langfristig vor allem durch den technischen Fortschritt bestimmt wird und dass gerade über Einflussnahme auf den technischen Fortschritt in der Vergangenheit Hungersnot abgewendet werden konnte und auch für die Zukunft voraussichtlich vermieden werden könnte.

 

 

5. Malthus auch heute noch gültig?

 

Nachdem wir aufgezeigt haben, dass sich die wichtigsten Annahmen der von Malthus entwickelten Bevölkerungslehre als falsch erwiesen haben und dass diese Lehre auch nicht zu den eigentlichen Ursachen einer Überbevölkerung vorgedrungen ist, könnte man etwas voreilig vermuten, dass heutzutage der Malthusianischen Bevölkerungslehre keinerlei Bedeutung mehr zukomme, dass es das beste sei, wenn man diese Lehre vergesse.

 

Ein solches Vorgehen wäre jedoch voreilig, da trotz aller Mängel diese von Malthus entwickelte Bevölkerungslehre trotzdem einen entscheidenden Beitrag auch zur heutigen Bevölkerungstheorie geleistet hat. Er war im Verlaufe der modernen Geschichte der erste, der die Problemstellung jeglicher Bevölkerungstheorie richtig erkannt hatte, eine Problemstellung, welche trotz aller Mängel auch heute noch genauso aktuell ist wie zur Zeit von Malthus. Weltweit stehen auch wir heute vor dem Problem einer Überbevölkerung der Erde. Die Hungersnot gilt auch heute noch als eines der wichtigsten Probleme, die es zu überwinden gilt.

 

Wenn wir uns darum bemühen, die eigentlichen Ursachen einer Überbevölkerung zu eruieren, so gilt es zu erkennen, dass es stets auf die Entwicklung zweier Variablen ankommt, nie kann es darum gehen, nur die Entwicklung in der Bevölkerungsgröße zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und im Anschluss daran auch politischer Maßnahmen zu machen, stets geht es um das Missverhältnis zwischen Bevölkerungs­wachstum und wirtschaftlichem Wachstum. Malthus war einer der ersten Forscher der modernen Welt, der diese Problemstellung richtig erkannt hatte und insofern ist Malthus auch heute noch hoch modern und jegliche Bevölkerungstheorie folgt diesen von Malthus aufgezeichneten Spuren.

 

So wurde im Jahre 1972 im Auftrag des Club of Rome von Donella und Dennis L. Meadows die Studie: ‚Grenzen des Wachstums‘ veröffentlicht. Im Grunde genommen war es die gleiche Problematik, die schon der Malthusianischen Bevölkerungslehre zugrunde lag. Gegenstand dieser Studie, welche mittels Computer­simulationen durchgeführt wurde, waren wiederum unter anderem die Themen: Industria­lisierung, Bevölkerungs­wachstum und Unterernährung.

 

Allerdings ging es in dieser Studie nicht nur um das Problem eines zu geringen Nahrungsspielraumes. In den Vordergrund rückten das Problem der Ausbeutung von Rohstoffreserven und der Zerstörung von Lebensraum sowie die Frage, wie durch Geburtenkontrolle, Umweltschutz und Forcierung der Effizienz landwirtschaftlicher Produktion die Situation entschärft werden könnte.

 

In immer stärkerem Maße geht es heute um die Frage, wie der durch die traditionelle Energieversorgung hervorgerufene schädliche Kohlendioxidausstoß durch den Übergang zu alternativen Energiequellen vermindert werden kann und wie der zunehmende Mangel an Wasser überwunden werden kann, um auf diese Weise Kriege um Wasserquellen zu vermeiden.

 

 

6. Unterschiede zwischen Entwicklungsländern und hochindustrialisierten Ländern

 

Wir hatten bereits weiter oben gesehen, dass sich das Bevölkerungsproblem im Verlauf der Zeit gewandelt hat. Während zu Beginn der Industrialisierung die europäischen Länder vor dem Problem einer Überbevölkerung standen, kehrte sich in diesen Ländern mit der Zeit das Problem um, es bestand immer mehr die Gefahr, dass die Bevölkerung nicht nur stagnierte, sondern sogar schrumpfte.

 

Nun setzte die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Ländern und Kontinente zu unterschiedlichen Zeiten ein. Während die meisten europäischen Staaten die Industrialisierung bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert sowie im 19. Jahrhundert begannen, setzte der wirtschaftliche Entwicklungsprozess in den afrikanischen, asiatischen und auch südamerikanischen Kontinenten erst im 20. Jahrhundert ein, ein Großteil dieser Volkswirtschaften haben auch heute noch den Status eines wirtschaftlichen Entwicklungslandes.

 

Dies bedeutet aber, dass sich im heutigen Zeitpunkt die Bevölkerungsproblematik in den bereits hochentwickelten Staaten Europas und Nordamerikas (einschließlich Japan) als Bevölkerungsstagnation darstellt, während die meisten Entwicklungsländer heutzutage noch mit dem Problem der Überbevölkerung zu kämpfen haben. Dies bedeutet, dass auch die Problematik der heutigen Entwicklungsländer derjenigen gleicht, die Robert Malthus im ausgehenden 18. Jahrhundert für die europäischen Staaten beschrieben hatte.

 

Diese Feststellung gilt allerdings nur zum Teil. Auf der einen Seite gleicht sich in der Tat die Bevölkerungs­problematik der heutigen Entwicklungsländer der Problematik der europäischen Staaten zurzeit von Malthus. So standen und stehen beide Ländergruppen vor dem Problem, dass der Nahrungsspielraum nicht ausreicht, um die gesamte Bevölkerung befriedigend zu ernähren, in beiden Fällen steigt die Bevölkerungszahl rapide an, vor allem deshalb, weil die alten Ordnungen (die mittelalterlichen Ordnungen der europäischen Staaten sowie die Stammesordnungen der heutigen Entwicklungsländer) aufgebrochen wurden und damit die dort geltenden Regeln zu einer Begrenzung der Geburten aufgehoben wurden. In beiden Situationen gilt auch, dass das Wachstum der Güterproduktion nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten konnte und dass deshalb notwendigerweise das Pro-Kopf-Einkommen drastisch sinken musste und große Teile der Bevölkerung noch nicht einmal das physische Existenzminimum erreichen konnten und deshalb vor Hunger starben.

 

Weiterhin gleichen sich beide Ländergruppen auch darin, dass aus der Sicht der einzelnen Familien der Wunsch bestand (besteht), möglichst viele Kinder zu zeugen, um auf diese Weise eine Existenzgrundlage für die Zeit zu schaffen, in der der einzelne nicht mehr einer geregelten Arbeit nachgehen kann. In beiden Systemen fehlen die in den heutigen Industriestaaten üblichen Versorgungssysteme.

 

Trotzdem stellt sich die Bevölkerungsproblematik der heutigen Entwicklungsländer auch anders dar als die der damaligen europäischen Staaten zu Beginn der Industrialisierung. Positiv ist zu bemerken, dass für die heutigen Entwicklungsländer prinzipiell sehr viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, das Wachstum sowohl der Bevölkerung als auch des Inlandsproduktes und damit des Nahrungsspielraumes zu beeinflussen. 

 

Auch gibt es heutzutage sehr viel mehr reiche Nationen, welche den Entwicklungsländern zu Hilfe kommen können, wenn diese von Hungersnöten, Seuchen und Naturkatastrophen bedroht sind. Auch ist das Bewusstsein in den reicheren Nationen den notleidenden Ländern Hilfe zu gewähren, sicherlich gegenüber früher gewachsen.

 

Andere Faktoren tragen jedoch dazu bei, die Situation der heutigen Entwicklungsländer sehr viel dramatischer zu beurteilen als die Situation der heutigen hochindustrialisierten Staaten in dem Zeitpunkt als sie noch am Anfang der wirtschaftlichen Entwicklung standen.

 

So waren die damaligen Entwicklungsländer noch nicht mit der Erkenntnis belastet, dass die Umwelt bedroht ist und dass enorme Anstrengungen notwendig sind, um eine Umweltkatastrophe zu verhindern. Die heutigen Industrienationen konnten also zu Beginn ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ihre ganzen Anstrengungen darauf konzentrieren, das Wachstum des Inlandsproduktes durch Entwicklung neuerer Techniken zu steigern und ein Versorgungssystem zu entwickeln, das den Menschen materielle Hilfe gewährt, wenn diese wegen Krankheit, Unfällen, Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit im Alter nicht mehr in der Lage waren, durch eigene Anstrengungen ein ausreichendes Erwerbseinkommen zu erzielen.

 

Die Gefährdung der Umwelt vor allem aufgrund der Inanspruchnahme fossiler Energierohstoffe und des damit ausgelösten hohen Kohlendioxidausstoßes macht es für alle Länder notwendig, sparsamer mit Energie umzugehen und auf alternative Energierohstoffe umzusteigen. Es reicht nicht, dass die heute hochentwickelten Staaten Maßnahmen zur Erhaltung der Umwelt ergreifen. Ohne Mitwirkung der heutigen Schwellen- und Entwicklungsländer lässt sich die drohende Umweltkatastrophe wohl kaum vermeiden. Aber gerade hier liegt das Problem.

 

Auf der einen Seite geht die Bevölkerung dieser Länder davon aus, dass sie einen Anspruch darauf hat, dass ihr bisher geringes Wohlfahrtsniveau möglichst schnell an das der heutigen Industrie­nationen an gepasst wird. Sie sind davon überzeugt, dass die heute festgestellte Bedrohung der Umwelt einzig und allein durch die vergangene Wachstumspolitik der reichen Volkswirtschaften verursacht wurde und dass es deshalb allein Sache dieser Nationen sei, dafür Sorge zu tragen, dass diese Gefahren behoben werden. Sie lehnen eine Beteiligung an den Kosten dieser Anstrengungen ab.

 

Auf der anderen Seite ist es zwar erwünscht, dass die gesamte Produktion der Welt vorwiegend mit alternativen Energien erstellt wird, da die Vorräte an fossilen Energierohstoffen zu Ende gehen und da die Ausbeutung der fossilen Energie verheerende Umweltschäden nachsichzieht; trotzdem ist das augenblickliche Angebot an alternativen Energierohstoffen noch so gering, dass das Wachstum der heutigen Entwicklungsländer nicht allein mit diesen alternativen Energiequellen bewältigt werden kann. Sonnen- und Windenergie gibt es zwar auf dieser Welt in Hülle und Fülle, zur Nutzung dieser neuen Energie bedarf es jedoch weltweit hoher Infrastrukturinvestitionen zur Errichtung der Anlagen mit deren Hilfe Strom produziert und in die einzelnen Bedarfsorte gebracht werden kann.

 

Schließlich entstand in diesem Zusammenhange in den letzten Jahren ein zusätzliches Problem insoweit, als zur Steigerung der Produktion von Biomasse – einer dritten Form alternativer Energie – bisher für die Produktion von Nahrungsmittel eingesetzte Bodenflächen umgewidmet wurden, mit der Folge, dass in den Entwicklungsländern nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung standen. Die Nutzung der Agrarflächen für die Produktion von Biomasse ist für die Betreiber und auch für die Eigentümer dieser Bodenflächen sehr viel attraktiver als die Produktion von Nahrungsmittel, zumal die Staaten der Entwicklungsländer diese Umwidmung der Böden durch Subventionen forcierten.

 

Diese Entwicklung ist höchst unbefriedigend, da versucht wird, das eine Problem – das des Umweltschutzes – dadurch zu lösen, dass man das Ziel einer befriedigenden Ernährung in den Entwicklungsländern hintanstellt.

 

Eine einigermaßen befriedigende Lösung dieses Dilemmas kann nur dadurch erzielt werden, dass man zwar die heutigen Entwicklungsländer dazu bewegt, keine Maßnahmen wie z. B. das Roden von Regenwäldern durchzuführen, ihnen aber zumindest einen Teil der Kosten ersetzt, welche diesen Staaten aufgrund dieser umweltpolitisch notwendigen Maßnahmen entstehen. Das Roden von Regenwäldern hat vor allem deshalb umweltpolitisch verheerende Auswirkungen, da Regenwälder in der Lage sind, das für die Ozonschicht gefährliche Kohlendioxyd aufzunehmen. Je mehr jedoch Kohlendioxyd freigesetzt und nicht gebunden wird, umso schneller schreiten die Erderwärmung und die hierdurch ausgelösten Naturkatastrophen voran.

 

Bei den bereits industrialisierten Volkswirtschaften hat sich in der Zwischenzeit die Problemlage umgedreht. Nicht mehr Überbevölkerung, sondern Bevölkerungsstagnation und sogar Schrumpfen der Bevölkerung ist hier die Gefahr. Auch ein Schrumpfen der Bevölkerung bringt hierbei Gefahren insofern, weil die Finanzierung der Altersversorgung gefährdet erscheint: Bei schrumpfender Bevölkerung muss ein immer kleiner werdende Teil der Bevölkerung (die Erwerbstätigen) den immer größer werdenden Teil der Bevölkerung (die Rentner) über Beiträge oder Steuerzuschüsse finanzieren.

 

Dass sich das Bevölkerungsproblem in den industrialisierten Staaten umgedreht hat, hat vor allem zwei Gründe: Auf der einen Seite stieg das Inlandsprodukt im Vergleich zu der ersten Entwicklungsphase drastisch an; auf der anderen Seite verringerte sich jedoch auch die Geburtenrate.

 

Der enorme Anstieg des Inlandsproduktes wurde vor allem dadurch bewirkt, dass ein permanenter, starker technischer Fortschritt stattfand, der sowohl die Produktivität der Produktionsfaktoren steigerte sowie die Qualität der Produkte verbesserte. Die Wachstumsrate des Inlandsproduktes konnte darüber hinaus auch dadurch gesteigert werden, dass die Steigerung des materiellen Wohlstandes zu einer Zunahme der Ersparnis führte und auf diese Weise zu einer Kapitalisierung der Produktion beitrug.

 

Der Rückgang in der Geburtenrate der hochentwickelten Volkswirtschaften hat selbst wiederum eine Reihe von Gründen. Als erstes gilt es festzustellen, dass der enorme Anstieg der Bevölkerung zu Beginn der Industrialisierung dadurch ausgelöst wurde, dass die im Mittelalter geltenden Begrenzungen wegfielen, das heißt, dass immer mehr Menschen die landwirtschaftliche Produktion und die damit verbundene Familienstruktur aufgaben und in die Städte abwanderten.

 

Da weiterhin zu Beginn der Industrialisierung keine gesetzliche Altersversorgung vorgesehen war, standen die Arbeitnehmer unter dem Druck, dadurch eine Sicherung im Alter zu erhalten, dass die Kinder, dann wenn sie erwerbstätig werden und ihre Eltern als Altersgründen die Arbeit aufgeben müssen, ihre Eltern miternähren. Eine große  Zahl Kinder wurde als positiv eingestuft.

 

In der Zwischenzeit brachte es die Weiterentwicklung unserer Volkswirtschaft zu einer Bildungs­gesellschaft mit sich, dass für die Kindererziehung von den Eltern immer mehr aufgewandt werden musste mit der Folge, dass das Kinderhaben von einem produktiven zu einem konsumtiven Faktor wurde und die Bereitschaft zum Kind nachließ.

 

Auch die Tatsache, dass eine Pille entwickelt wurde, mit deren Hilfe man Geschlechtsverkehr pflegen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass die Frau schwanger wurde, hat dazu beigetragen, dass die Geburtenrate zurückging.

 

Gleichzeitig trat eine Aufweichung der bisherigen moralischen Grundsätze auf, nach welcher Geschlechtsverkehr nur in der Familie und mit dem vorrangigen Ziel, Kinder zu gebären, erlaubt war. Diese Entwicklung trug ebenfalls dazu bei, dass die Bereitschaft zum Kind zurückging.

 

Der Rückgang der Geburtenrate im Zuge der Emanzipation der Frau war anfänglich sicherlich auch dadurch bedingt, dass Frauen auf der einen Seite bemüht waren, in gleicher Weise wie die Männer einen Beruf zu ergreifen und tagsüber erwerbstätig zu sein, auf der anderen Seite aber zunächst noch keine (bzw. viel zu wenig) Kindertagestätten angeboten wurden, sodass viele Frauen den Wunsch nach Kindern für die ersten Berufsjahre zurückstellten. In dem Maße, wie allmählich das Angebot an Grippen und Kindergärten und auch Tagesschulen zunahm, entfällt allerdings dieser Grund für einen Rückgang in der Geburtenrate.

 

Schließlich dürfte auch der Umstand, dass immer mehr Freizeitmöglichkeiten angeboten wurden, dazu beitragen, dass die Geburtenrate zurückging. Geschlechtsverkehr war nun nicht mehr die einzige Möglichkeit, lustbetont zu entspannen. Dieser Zusammenhang wurde z. B. deutlich in den Zeiten, in denen aufgrund von Pannen vorübergehend der Strom ausblieb und den Menschen keine Alternativen mehr zum Geschlechtsverkehr übrig blieben.

 

Es konnte allerdings beobachtet werden, dass in den wirtschaftlich gesehen am weitesten fort­geschrittenen Volkswirtschaften wie z. B. in den USA die Geburtenrate wiederum anstieg. Auch für diese Trendwende waren mehrere Faktoren verantwortlich. Je höher das Pro-Kopf-Einkommen ausfällt, um so weniger sind für die Familien die Ausgaben für die eigenen Kinder belastend. Weiterhin haben familienpolitische Maßnahmen wie Kindergeld und andere Formen an familienbezogenen Subventionen dazu beigetragen, dass der Wunsch nach Kindern wieder anstieg. Auch der oben bereits erwähnte Ausbau an Kindertagesstätten und Tagesschulen passt in dieses Bild einer allmählich wieder ansteigenden Geburtenrate in den hochentwickelten Volkswirtschaften.