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Hartz-IV-Bestimmungen verfassungswidrig?

 

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Physisches versus kulturelles Existenzminimum

3. Monetäre versus reale Hilfe

4. Verpflichtung der Staaten

5. Das Problem der Zumutbarkeit

6. Schlussfolgerungen

 

 

1. Das Problem

 

Zur Zeit ist die Frage anhängig, ob Hartz IV bezw. Teile von ihm mit dem Grundgesetz in Konflikt geraten. Anlass für diese Frage ist die Klage eines Arbeiters aus Erfurt.

 

Er war arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld auf der Grundlage von Hartz IV. Das Jobcenter hatte ihm nun eine Arbeitsstelle als Lagerarbeiter angeboten. Er hatte dieses Angebot abgelehnt mit der Begründung, dass er einen Job als Verkäufer anstrebe.

 

Entsprechend den Regelungen von Hartz IV kürzte das Jobcenter sein Arbeitslosengeld um 30%. Dies bedeutete, dass er als allein stehender Arbeitnehmer statt 391 Euro (Regelsatz) drei Monate lang 117 Euro weniger ausgezahlt bekam.

 

Als ihm eine weitere Arbeit angeboten wurde, er aber nicht bereit war, einen Gutschein zur Erprobung bei einem Arbeitgeber einzulösen, wurde sein Arbeitslosengeld um weitere 30%, also nun um insgesamt 60% gekürzt.

 

Gegen dieses Vorgehen  des Sozialamtes klagte dieser Arbeitnehmer beim Sozialgericht in Gotha. Der zuständige Richter hatte Zweifel, ob diese Regelungen des Hartz IV-Gesetzes überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Artikel 1 des Grundgesetzes sieht ja vor, dass die Menschenwürde auf jeden Fall gewahrt werden muss und dies bedeutet, dass jeder Mensch einen Anspruch auf Einkünfte mindestens in Höhe des Existenzminimums habe.

 

Existenzminimum bedeute jedoch, so argumentierte der Richter, dass dieser Betrag bereits das Minimum (also das Mindeste) darstelle, worauf jeder Bürger ein Recht habe. Und dies bedeute wiederum, dass quasi ex definitione dieser Betrag auch nicht gekürzt werden könne.

 

Auch dann, wenn man die der Hartz IV-Regelung zugrunde liegende Idee bejahe, dass der einzelne Mensch gegenüber der Gesellschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe – in unserem Fall also die Pflicht, wenn immer nur möglich durch eigene Arbeit für ein Erwerbseinkommen zu sorgen –, müsse trotzdem geklärt werden, wieweit diese Pflichten gehen dürfen, ob also das, was zunächst als für das Überleben notwendige Minimum angesehen werden muss, überhaupt gekürzt werden darf, wenn ein Bürger bestimmte Pflichten verletzt.

 

Diese grundsätzlichen Fragen müssten zunächst vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden, bevor darüber entschieden werden könne, wie in dem anhängenden Fall zu entscheiden sei.

 

Diese Vorabklärungen sind vor allem auch deshalb notwendig, da ja das Regelwerk von Hartz IV vorsieht, dass dann, wenn drei mal hintereinander ein Arbeitsangebot abgelehnt werde, die Sozialeinkünfte ganz zu streichen seien, wobei in diesem Falle nicht nur die Einkünfte entsprechend dem Regelsatz, sondern auch die Zuschüsse für Wohnen und Heizen und zur Krankenversicherung nicht mehr gewährt werden.

 

 

2. Physisches versus kulturelles Existenzminimum

 

Zunächst scheint die Begründung des Richters einleuchtend, sogar zwingend. Wenn man schon das Existenzminium erreicht hat, hat man bereits ex definitione das Mindeste erreicht, das nicht unterschritten werden kann.

 

Eine eingehendere Analyse lässt jedoch erkennen, dass die Zusammenhänge viel komplizierter sind und keine eindeutige Antwort im Sinne eines ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ gestatten. Wir haben nämlich zwischen einem physischen und einem kulturellen Existenzminimum zu unterscheiden.

 

Von einem physischen Existenzminimum sprechen wir immer dann, wenn es um das physische Überleben eines Menschen handelt. Wir fragen hier danach, welche materiellen Ressourcen der einzelne Mensch zum physischen Überleben benötigt.

 

Hierzu zählen zunächst die zum Überleben benötigten Nahrungsmittel. So benötigt jeder Mensch zum Überleben eine Mindestmenge an Wasser. Weiterhin werden gewisse Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate benötigt, darüber hinaus erfordert das Überleben auch gewisse Katalysatoren wie Vitamine, bestimmte Mineralien sowie auch gewisse Ballaststoffe, welche den Transport der Nahrungsmittel und deren Abfallprodukte im Körper überhaupt erst ermöglichen.

 

Zumindest in unseren Breitegraden bedarf der Mensch weiterhin gewisser Kleider um sowohl Kälte, Hitze sowie Unwetter zu überstehen. Damit jedoch nicht genug. Der Mensch benötigt auch ein Dach über seinem Kopf, also eine Wohnung und gewisse Wohnungseinrichtungen wie Bett, Herd und  WC etc.

 

Schließlich bedarf der Mensch auch medizinsicher Hilfe, wenn er erkrankt ist, zu kompliziert sind die körperlichen Funktionen, als dass sie vom Einzelnen selbst erkannt und geheilt werden können. Die täglich notwendige Arbeit führt schließlich auch zu einem Verschleiß, der es notwendig macht, periodisch immer wieder nach der Arbeit zu ruhen. So spricht man in diesem Zusammenhang von einem Freizeitminimum.

 

Alle diese Voraussetzungen für ein physisches Überleben können im Prinzip wissenschaftlich erkannt werden und die Wissenschaft ist auch heutzutage im Prinzip in der Lage, die zur Erreichung des physischen Existenzminimums notwendigen Güter eindeutig zu bestimmen.

 

Natürlich muss man auch hier davon ausgehen, dass sich auch Wissenschaftler bisweilen irren und damit falsche Angaben machen, so wurde im Rahmen der Wissenschaft lange Zeit davon ausgegangen, dass für ein gesundes Leben der Fettkonsum stark begrenzt werden muss. Heute gehen die meisten Mediziner davon aus, dass von einem übermäßigen Konsum der Kohlenhydrate die größere Gefahr ausgehe, über die Hälfte der Jugendlichen seien bereits von Fettsucht befallen und eine sehr wichtige Ursache für diesen Befund sei eben der zu hohe Konsum von Kohlehydraten wie vor allem Zucker.

 

Trotz dieser Ungewissheiten, welche immer wieder einmal eintreten, können wir bei diesen Fragen auf sicherem Boden argumentieren, es sind sachliche Argumente und die Wissenschaft hat in der Vergangenheit eindeutige Kriterien entwickelt, wie anfängliche Meinungsverschiedenheiten diese Art sachlicher Fragen entschieden werden können.

 

Ganz anderes gilt jedoch für das kulturelle Existenzminimum. Wir haben zumindest in den meisten Staaten der westlichen Welt ein Versorgungsniveau erreicht, das uns gestattet, jedem einzelnen Menschen ein Minimum zuzugestehen, das eindeutig über dem physischen Existenzminimum liegt.

 

Man geht hierbei davon aus, dass der Sinn eines menschlichen Lebens ja nicht nur darin besteht, zu überleben, sondern dass der Mensch auf der einen Seite gewisser kultureller Güter bedarf wie die Klärung religiöser und anderer metaphysischer Fragen und dass auf der anderen Seite menschliches Leben eben erst dann lebenswert wird, wenn der Einzelne zumindest in einigen Fällen einfach nur Freude empfindet und deshalb Dinge tut, welche nur in dieser Freude ihre Rechtfertigung finden.

 

Das kulturelle Existenzminimum unterscheidet sich nun vom physischen Minimum in erster Linie dadurch, dass es keinerlei wissenschaftliche Grundkenntnisse darüber gibt, welche solcher kultureller Güter existenziell sind und vor allem auch in welchem Umfang diese kulturellen Güter benötigt werden.

 

Wenn wir hier von kulturellen Gütern sprechen, so können wir nicht davon ausgehen, dass es zur Befriedigung dieser Güter keinerlei materieller Güter bedarf. Wir haben vielmehr davon auszugehen, dass zur Befriedigung aller menschlichen Ziele mehr oder weniger materielle Ressourcen benötigt werden. Vor allem wäre es falsch zu meinen, dass die Befriedigung der im physischen Existenzminimum enthaltenen Bedürfnisse besonders vieler materieller Güter benötige und dass gleichzeitig die kulturellen Bedürfnisse nahezu keiner materiellen Güter bedürfen.

 

Wenn wir uns z. B. darum bemühen, Menschen zu helfen, welche aufgrund eines Unwetters Hab und Gut verloren haben und deren Wohnungen zerstört wurden, so bedarf es sogar sehr vieler materieller Güter, um den Betroffenen auch nur das Mindeste zu geben. Während umgekehrt es möglich ist, wirksame Hilfe zu gewähren, allein dadurch, dass man die vom Leid getroffenen mit Worten tröstet, ihnen zuhört, sie als Menschen achtet und sie liebevoll umarmt.

 

Der entscheidende Unterschied zum physischen Existenzminimum besteht somit darin, dass es kaum wissenschaftlich einwandfreie Erkenntnisse gibt, welche festlegen, welche kulturelle Güter unbedingt notwendig sind und vor allem welcher Mindestumfang erfüllt sein muss, damit auch das kulturelle Existenzminimum erreicht ist.

 

Im Grunde können wir nur feststellen, dass das heute erreichte kulturelle Existenzminimum in den wirtschaftlich hochentwickelten Länder über dem physischen Existenzminimum liegt.

 

Und wenn es schon nicht möglich ist, auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien die Höhe des kulturellen Existenzminimus exakt zu bestimmen, dann muss man anerkennen, dass die Festlegung des kulturellen Existenzminimums vom Gesetzgeber mehr oder weniger willkürlich festgelegt wird und dass es auch keine Möglichkeit gibt, auf wissenschaftlicher Grundlage zu überprüfen, ob das kulturelle Existenzminium erreicht oder verfehlt wird.

 

Es ist somit der Gesetzgeber, welcher im Namen des Volkes durch Festlegung der Sozialhilfesätze autonom bestimmt, wie hoch das kulturelle Existenzminimum und damit auch die Differenz zum physischen Existenzminimum jeweils ist.

 

Und diese Unterscheidung beider Existenzminima lässt nun unser Urteil darüber, ob mit den Bestimmungen des Hartz IV- Gesetzes das Grundgesetz verletzt wurde oder nicht, schwanken. Wenn der Staat autonom festlegen kann, wieweit das kulturelle Existenzminimum vom physischen abweicht, dann kann auch – ohne in Widerspruch mit dem Grundgesetz zu gelangen – festgelegt werden, dass die Höhe dieser Differenz auch davon abhängig gemacht wird, inwieweit der Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld nach Hartz IV bestimmte Pflichten erfüllt hat.

 

Ein Widerspruch zum Grundgesetz entsteht erst dann, wenn die Regelungen zum Bezug auch das physische Existenzminimum reduzieren würde. In der Tat kann und darf die Höhe des physischen Existenzminimums nicht davon abhängig gemacht werden, ob der potentielle Empfänger von Hartz IV bestimmte Pflichten erfüllt. Die Höhe des  physischen Existenzminimums ist allein abhängig von der im Prinzip wissenschaftlich zu klärenden Frage, welche Güter zum physischen Überleben benötigt werden.

 

Und dies bedeutet, dass eine gesetzliche Regelung, welche unter bestimmten Bedingungen (der Antragssteller nimmt dreimal in Folge die ihm angebotene, zumutbare Arbeit nicht an) das Arbeitslosengeld vollkommen kürzt, in der Tat mit dem Grundgesetz in Widerspruch gerät.

 

Die Schwierigkeit liegt nun darin, dass in den amtlichen Veröffentlichungen diese Unterscheidung zwischen physischem und kulturellem Existenzminimum nicht gemacht wird und dass deshalb auch nicht ohne weitere Vorkehrungen eindeutig festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang die Bestimmungen von Hartz IV das Grundgesetz verletzen.

 

Es ist also notwendig, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe der Sozialhilfesätze sowie des Regelsatzes von Hartz IV zwischen diesen beiden Begriffen unterscheidet und kund tut, wo nach wissenschaftlicher Prüfung das physische Existenzminimum liegt. Erst danach kann entschieden werden, ob eine Kürzung von 30% oder 60% des Regelsatzes bereits zur Folge hat, dass noch nicht einmal das physische Existenzminimum garantiert wird und dass deshalb das Grundgesetz verletzt wurde.

 

 

3. Monetäre versus reale Hilfe

 

Es hat also den Anschein, dass zumindest die Kürzungen von Hartz IV von 60 % oder sogar von 100 % dem Grundgesetz nicht entsprechen, da ja in diesem Falle auch das physische Existenzminimum nicht garantiert wäre.

 

Mit einer solchen Feststellung verträgt sich jedoch nicht das Ziel, das dem Hartz IV Gesetz zugrunde liegt. Kein Staat ist in der Lage, unbegrenzt Sozialhilfe zu gewähren, wenn es Menschen erlaubt wird, jede Mitwirkung zu verweigern. Gerade weil es weltweit Millionen von Armen gibt, besteht immer die Gefahr, dass ohne Begrenzungen der Zustrom von Armen so groß wird, dass die staatliche Ordnung ernsthaft bedroht ist.

 

In diesem Falle geht jedoch die Bereitschaft der Bürger ebenfalls zurück, ihre Pflichten zu erfüllen, weil immer weniger Menschen bereit sind, Steuern zu zahlen oder andere Pflichten zu erfüllen, wenn es anderen ermöglicht wird, staatliche Gelder auch ohne jede Notwendigkeit und auch ohne jede Gegenleistung in Anspruch zu nehmen.

 

Wenn der Staat keine Möglichkeit hat, den Bezug unentgeltlicher Leistungen zu begrenzen, wird dieses Problem ebenfalls zu einer existentiellen Bedrohung, da ein staatliches Gebilde zusammenbricht, wenn der Staat nicht mehr die Möglichkeit hat, die Ordnung sicher zu stellen.

 

Wenn aber beide Zielsetzungen, welche es im Zusammenhang mit dem Hartz IV Gesetz zu wahren gilt, existentiell bedroht sind, greift eine andere Regel: Wenn die letztlichen Ziele, welche dem Grundgesetz zugrunde liegen, beide existentieller Natur sind, ist der Staat zu einer Güterabwägung verpflichtet.

 

Es ist zwar richtig, dass Artikel 1 Vorrang vor anderen nicht existentiellen Zielen der Verfassung hat, wenn jedoch zwei im Grundgesetz postulierte Werte existentieller Natur sind, greift diese Regel nicht, da die Individuen selbst wiederum existentiell des Staates bedürfen. Die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung ist selbst wiederum Voraussetzung dafür, dass die Existenz seiner Bürger gesichert ist.

 

Wir müssen also nach einer anderen Lösung dieses Zielkonfliktes suchen. Nun schreibt zwar das Grundgesetz vor, dass jeder Bewohner der BRD ein Recht auf Erhaltung seines Existenzminimums hat, er schreibt jedoch nicht vor, auf welchem Wege diese Existenzsicherung erreicht wird.

 

Nun kann man das individuelle materielle Wohl eines Bewohners grundsätzlich auf zweierlei Weise fördern: entweder dadurch, dass man diese Grundsicherung monetär oder naturell sicherstellt.

 

Der Staat kann also erstens den Bürgern, welchen es nicht möglich ist, sich ausreichend selbst zu versorgen, das Existenzminimum dadurch garantieren, dass er ihnen ein bestimmtes Einkommen zur Verfügung stellt und die Betroffenen selbst darüber bestimmen können, wie sie diese Einkünfte verausgaben.

 

Oder aber der Staat stellt zweitens den Notleidenden die materiellen Güter, welche für das Überleben unerlässlich sind, in Natura zur Verfügung. Die Betroffenen bekommen also ein Nahrungspaket und Kleider gestellt, auch werden sie in eine Wohnung eingewiesen und einem Arzt zugewiesen.

 

Die Frage, auf welchem Wege die Wohlfahrt der Individuen am höchsten ausfällt, dann, wenn jeder einzelne über die Verwendung seiner Einkünfte selbst entscheiden kann oder wenn der Staat selbst bestimmt, welche Güter der Einzelne zu konsumieren hat, wurde im Rahmen der wirtschaftswissenschaftlichen  Wohlfahrtstheorie ausführlich diskutiert.

 

Im Allgemeinen kann man zeigen, dass die Wohlfahrt eines Individuums dann höher ausfällt, wenn dieses Individuum selbst darüber befinden kann, wie es seine Einkünfte verwendet. Der Grund für diese Tatsache liegt vor allem darin, dass die einzelnen Menschen sehr unterschiedlich veranlagt sind. Der Staat wäre überfordert, wenn er für jeden Einzelnen nach den individuellen Bedürfnissen der Begünstigten Hilfe gewähren müsste.

 

Er wird deshalb immer nur eine Regelung durchführen können, bei der gleiche Maßstäbe für alle angelegt werden und nur Unterschiede vorgesehen werden, wo eine ganze Gruppe diese Unterschiede aufweist.

 

Nur dann, wenn man von der Vorstellung ausgeht, dass die Einzelnen unfähig sind, das für sie Beste zu tun, die staatlichen Behörden aber dieses Wissen sehr wohl besitzen, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass es besser ist, dass der Staat im Einzelnen festlegt, welche Güter jedes Individuum erhalten soll.

 

Es gehört nun zu den Grundwerten jeder freiheitlichen und demokratischen Grundordnung, dass die einzelnen Individuen selbst darüber bestimmen können, wie sie ihre Einkommen verwenden, es gilt die Konsumfreiheit.

 

Man sieht in dieser Konsumfreiheit einen Wert für sich und hält es sogar  für besser, wenn der eine oder andere bisweilen auch im Rahmen dieser Selbstbestimmung Fehler macht, sich also partiell schadet, als wenn eine dritte Person (die staatliche Behörde) die Einkommensverwendung bis ins Einzelne festlegt.

 

Wir wollen also festhalten, dass ganz allgemein eine monetäre Bezahlung einer Vergütung in Natura vorzuziehen ist. Aber wir haben zu überprüfen, ob es nicht dennoch in diesem Spezialfall notwendig oder erwünscht ist, die materiellen Güter, welche für das Überleben der Individuen unerlässlich sind, in Natura auszuteilen, sofern der Begünstigte nicht bereit ist, gewisse Pflichten wie z. B. die Annahme einer zumutbaren Arbeit zu erfüllen.

 

Natürlich ist die Selbstbestimmung selbst ein von der Verfassung geschütztes Recht und dies gilt zunächst nach dem Gleichheitsgrundsatz für alle Individuen. Das Recht auf Selbstbestimmung setzt jedoch in jedem Einzelfall voraus, dass er dieses Recht im Rahmen einer Grundordnung wahrnimmt. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die individuellen Handlungen anderen Menschen schaden und dies bedeutet, dass Freiheit überhaupt nur dadurch sichergestellt werden kann, dass man die Freiheit des Einzelnen zugunsten der jeweils anderen begrenzt.

 

Und zu dieser Begrenzung zählt nun auch die Verpflichtung jedes Einzelnen, alles für ihn Mögliche zu tun, um nicht dem Staat unnötig zur Last zu fallen. Der Einzelne hat nur einen Anspruch auf Hilfe seitens des Staates, sofern er auch alles in seiner Macht stehende getan hat, um für seinen Unterhalt selbst aufzukommen. Deshalb ist es durchaus berechtigt, dem einzelnen Sozialhilfeempfänger (und Hartz IV Bezieher) nur dann das Recht auf Konsumfreiheit zu gewähren, wenn er selbst alles für ihn mögliche und zumutbare getan hat, was notwendig ist, um überhaupt eine freiheitliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

 

 

4. Verpflichtung der Staaten

 

Unser Grundgesetz lässt nicht nur offen, auf welche Weise (monetär oder naturell) das Existenzminimum gesichert werden soll, sondern bestimmt auch nicht ex pressis verbis, wer denn eigentlich dieses Existenzminimum eines Jeden sichern soll.

 

Obliegt diese Aufgabe dem jeweiligen Staat, in den der Einzelne hereingeboren wurde oder sind die übergeordneten staatlichen Institutionen wie etwa die UNO letztlich dafür verantwortlich, dass jedem Menschen ein Existenzminimum gewährt wird? Inwieweit sind jedoch auch die einzelnen Bürger selbst angehalten, dieses Menschenrecht von sich aus zu verwirklichen, ohne dass er eigens zu dieser Tat vom Staat gezwungen wird?

 

Allerdings entspricht es rechtsstaatlichem Denken zumindest in der westlichen Welt, dass jeweils derjenige Staat, in den jeder einzelne hineingeboren wurde, die Menschenrechte und damit auch die existentielle Mindestsicherung zu garantieren hat.

 

Darüber hinaus findet das Subsidiaritätsprinzip auch dann, wenn es nicht ex pressis verbis in unserer Verfassung erwähnt wird, de facto in vielen Bereichen Anwendung. Es gelten die individuellen Freiheiten, welche in der Charta der Europäischen Gemeinschaft aufgezählt und garantiert werden, in der Bundesrepublik gilt weiterhin im Gegensatz zu anderen Ländern wie etwa Frankreich der föderale Aufbau.

 

Und dieses Subsidiaritätsprinzip besagt, dass immer erst die untergeordnete Gemeinschaft zur Lösung der einzelnen Probleme angehalten ist und dass die jeweils übergeordnete Institution erst dann eingreifen sollte, wenn die untergeordnete Institution in dieser Aufgabe überfordert ist. Auch wird zusätzlich verlangt, dass sich die jeweils übergeordnete Institution im Wesentlichen auf eine Hilfe zur Selbsthilfe beschränken sollte, die Initiative des Einzelnen sollte niemals vom Staat erstickt werden.

 

Befassen wir uns nun zunächst mit den wechselseitigen Pflichten des Staates bzw. der einzelnen Staaten. Entsprechend der erwähnten rechtsstaatlichen Prinzipien gilt zunächst – wie bereits erwähnt – die Verpflichtung des eigenen Staates (in den der Einzelne hineingeboren wurde). Er hat sicherzustellen, dass diese Hilfe (das Existenzminimum) auch gewährt wird.

 

Nun müssen wir davon ausgehen, dass nicht alle Staaten auf dieser Welt dieser Verpflichtung nachkommen und unliebsame Bürger sogar verfolgen. Aus diesem Grunde hat das Grundgesetz aber auch die Menschenrechtskonvention der Europäischen Gemeinschaft und der UNO das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte verankert.

 

Danach hat jeder, der in einem anderen Land verfolgt wird und hier in Deutschland um Asyl bittet auch das Recht auf Asyl und hier obliegt es dem Staat auch hier dessen Existenzminimum zu sichern.

 

Wie steht es aber mit Flüchtlingen, welche aufgrund von Armut ihr Land verlassen und um Aufnahme in unseren Staat bitten? Obwohl auch diese Hilfe aufgrund unserer Verpflichtung zur Nächstenliebe notwendig ist, es fehlen Verankerungen dieser Pflicht in den staatlichen Verfassungen und Gesetzen.

 

Auf jeden Fall muss man davon ausgehen, dass angesichts der großen Flüchtlingsströme und Armut auf der Welt ein einzelner Staat eindeutig überfordert wäre, wenn jeder Staat dazu verpflichtet wäre, jeden Flüchtling aufzunehmen und ihm das Existenzminimum zu garantieren.

 

Diese Aufgabe kann nur von der Staatengemeinschaft, also zuerst von der UNO und an zweiter Stelle von kontinentalen Staatengemeinschaften wie z. B. von der Europäischen Gemeinschaft wahrgenommen werden.

 

Trotzdem wäre es falsch, wenn man eine solche angemessene Aufteilung auf die einzelnen Mitgliedsstaaten erzwingen wollte. Im Rahmen der UNO kann man zwar eine Resolution verabschieden, dass alle Staaten zu einer solchen Hilfe verpflichtet sind, die Beschlüsse der UNO-Gremien können jedoch nicht mit Zwang durchgesetzt werden, kein Staat kann zur Einhaltung dieser Beschlüsse gezwungen werden, die Beschlüsse haben nur den Charakter einer Empfehlung.

 

Für die Europäische Gemeinschaft gilt zwar, dass die europäischen Gremien sehr wohl bindende Vorschriften verabschieden können, damit ist aber nicht viel gewonnen, weil die meisten Beschlüsse Einstimmigkeit verlangen und weil immer damit gerechnet werden muss, dass einige Staaten zu solchen Beschlüssen nicht bereit sind.

 

Auch gilt es zu bedenken, dass selbst dann, wenn es gelungen ist, solche Beschlüsse einstimmig zu verabschieden, mehrere Staaten nicht bereit sind, diese Beschlüsse auch durchzuführen, also z. B. Flüchtlinge aufzunehmen und dass auch die Europäische Gemeinschaft wenig Möglichkeiten hat, die Anwendung dieser Beschlüsse zu erzwingen.

 

Also ist es notwendig, nach Ausweichmöglichkeiten Ausschau zu halten, welche eine Lastenverteilung zwischen den einzelnen Staaten sicherstellt, auch dann, wenn die Flüchtlinge nicht angemessen auf die einzelnen Länder verteilt werden können.

 

Im Grunde wäre es auch eine sehr unbefriedigende Lösung, wenn Flüchtlinge gegen ihren Willen gezwungen werden, sich in Ländern aufzuhalten, in denen sie bei der Bevölkerung nicht akzeptiert werden. Das Leben der Flüchtlinge wäre erschwert und auch die Bevölkerung würde es als ausgesprochen unerwünscht ansehen, wenn sie gezwungen werden, mit Flüchtlingen zusammenzuleben, welche ihrer Meinung nach ihre Sicherheit und Geborgenheit gefährden.

 

In einer solchen Situation wäre es denkbar, dass bei der Aufteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Länder durchaus die unterschiedliche Bereitschaft der einzelnen Länder und auch die spezifischen Wünsche der Flüchtlinge selbst angemessen berücksichtigt würden, dass aber zum Ausgleich die anderen Staaten, welche zu dieser Aufnahme nicht bereit sind, dennoch die finanziellen Lasten angemessen übernehmen, welche bei einer gleichmäßigen Aufteilung der Flüchtlinge entstanden wären.

 

Flüchtlinge, welche in den Ländern Aufnahme finden, welche sie selbst bevorzugen, bringen auch wesentlich bessere Voraussetzungen für eine gelungene Integration mit. So könnte man z. B. von den Flüchtlingen eine Rangordnung der gewünschten Länder verlangen, sie würden zwar dann oftmals in ein Land vermittelt, das nicht an erster oder zweiter Stelle steht, es würde aber zumeist verhindert, dass sie in Länder gezwungen werden, welche in dieser Rangliste an unterster Stelle stünden.

 

Oder aber es wäre auch denkbar dass Tauschbörsen für Flüchtlinge eingerichtet werden. Die Behörden berücksichtigen hierbei die Wünsche der Flüchtlinge bei der Zuteilung auf die einzelnen Länder und Gemeinden zunächst nicht in ausreichendem Maße, diese aber haben die Möglichkeit, auf einer Tauschbörse wechselseitig die Aufenthaltsorte zu tauschen.

 

Auch sollte in dieser Frage (der Aufnahme von Flüchtlingen und Garantierung deren Existenzminimum) entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip der caritativen Hilfe der Einzelnen eine größere Bedeutung zugemessen werden.

 

Man berücksichtigt hierbei, dass es für eine Behörde unmöglich ist, alle Fragen befriedigend zu regeln. Stets ist damit zu rechnen, dass aufgrund mangelnden Wissens nicht alle Aufgaben befriedigend geregelt werden können, es fehlt auch bisweilen der Wille der zu Begünstigenden, Hilfe anzunehmen.

 

Und selbst dann, wenn es der staatlichen Behörde in einem bestimmten Zeitpunkt gelingen würde, jeden Einzelfall sachgerecht zu lösen, aufgrund der permanenten Veränderungen in unserer Welt würden im nächsten Augenblick wiederum Fälle auftreten, welche erneute Ungerechtigkeiten hervorrufen.

 

Der Staat kann zwar durch eine Gesetzesnovelle auch diesen Veränderungen immer wieder entsprechen, es verstreicht jedoch sehr viel Zeit, bis die staatlichen Behörden überhaupt von diesen neuen Unzulänglichkeiten erfahren und weitere Zeit, bis in einem komplizierten Verfahren schließlich neue Gesetze und Verordnungen erlassen wurden, welche diese Mängel wieder beseitigen. Der Staat wird immer hinter der Entwicklung hinterherlaufen und kann deshalb schon aus dieser grundsätzlichen Schwierigkeit heraus niemals allseits optimale Lösungen herbeiführen.

 

Und gerade deshalb bedarf es stets der caritativen Tätigkeit  der Privatpersonen. Es war z. B. hilfreich, als vor allem Kanada, aber auch teilweise die Bundesrepublik, die Berechtigung der Flüchtlinge einzureisen, davon abhängig machten, dass  Private materiell abgesicherte Bürgschaften übernehmen.

 

Allerdings ist es wenig hilfreich, wenn diesen Personen dann alle Lasten aufgebürdet werden, wenn der Flüchtling in den nächsten Monaten keine Arbeitsstelle findet. Hier sollte auf jeden Fall der Staat nach einer gewissen Zeit die Lasten übernehmen. Besteht der Staat auf Fortsetzung der Haftung, besteht die Gefahr, dass die Bereitschaft zu solchen Patenschaften stark zurückgeht.

 

 

5. Das Problem der Zumutbarkeit

 

Ein Arbeitsloser ist nur verpflichtet, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Diese Forderung ergibt sich von selbst, sie besagt jedoch nicht sehr viel, sie legt ja nur fest, dass eine unzumutbare Arbeit tatsächlich unzumutbar ist.

 

Trotzdem kommt einer solchen Bestimmung eine wesentliche Bedeutung zu. Es gibt sicherlich immer wieder Arbeiten, welche bestimmte Voraussetzungen verlangen, welche nicht jeder Arbeitnehmer erfüllen kann.

 

Allerdings ist eine solche Bestimmung auch einer missbräuchlichen Anwendung ausgesetzt. Ein Arbeitsloser kann ein Interesse daran haben, mit dieser Begründung eine angebotene Arbeitsstelle einfach deshalb abzulehnen, um auf diese Weise nicht arbeiten zu müssen, aber trotzdem Einkünfte zu beziehen.

 

Andererseits können auch die Leiter eines Arbeitsamtes ein Interesse daran haben, den Begriff der Zumutbarkeit ungerechtfertigt weit auszulegen. Sie können auf diese Weise Finanzmittel sparen, auf der anderen Seite entfallen auf diese Weise unter Umständen zeitraubende und anstrengende Untersuchungen darüber, für welche Arbeiten ein Antragsteller tatsächlich geeignet ist.

 

Die Interessen der Arbeitslosen und der Arbeitsämter gehen also in dieser Frage auseinander und deshalb bedarf es besonderer Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass die knappen Mittel der Arbeitsämter sachgerecht eingesetzt werden, dass aber auch möglichst viele Arbeitnehmer zu ihrem Recht kommen.

 

Gerade weil die Situation bei den einzelnen Arbeitnehmern sehr individuell und deshalb unterschiedlich ist, bedürfte es eigentlich eines umfangreichen Kataloges darüber, von welchen Kriterien es abhängt, ob im konkreten Einzelfall eine zugewiesene Arbeit als zumutbar zu gelten hat.

 

Auf der anderen Seite ist es jedoch dem Gesetzgeber nicht möglich, alle Situationen vorauszusehen, auch würde eine zu ausführliche Überprüfung die Verfahren in die Länge ziehen und damit wäre auch den Arbeitslosen nicht gedient.

 

Gerade deshalb, weil sich die Ausgangssituation der einzelnen Antragsteller stark unterscheidet, wäre es zweckmäßig, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Bezug der Hartz IV Gelder nicht exakt bestimmt und den Behörden einen größeren Spielraum einräumt.

 

Da aber auf der einen Seite auch die Behörden wie erwähnt eigene Interessen vertreten, welche in Konflikt zu den Interessen der Arbeitslosen stehen und da auf der andern Seite bei einem großen Spielraum die Gefahr besteht, dass die abgelehnten Arbeitslosen vor Gericht ziehen und die Gerichte deshalb überlastet sind, ist es sinnvoll, dass zwar der Gesetzgeber darauf verzichtet, die Zumutbarkeit eindeutig festzulegen, dass aber eine unabhängige Kommission immer wieder erneut Kriterien entwickelt, woran die Zumutbarkeit gemessen wird.

 

Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass es auch im Interesse der Allgemeinheit liegt, dass Arbeitnehmer nicht in Berufe und Arbeitsstellen gezwungen werden, für die sie nicht ausgebildet wurden und in denen sie sich nicht richtig entfalten können. Je mehr nämlich die tatsächlich verrichtete Arbeit der Eignung und der Neigung des Arbeitenden entspricht, um so größer ist die Produktivität dieser Arbeit und damit auch die allgemeine Wohlfahrt der Bevölkerung.

 

 

6. Schlussfolgerungen

 

Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen. Wir haben gesehen, dass die Frage, ob einzelne Bestimmungen der Hartz IV Regelung in Widerspruch zum Grundgesetz stehen, nicht mit einem eindeutigen ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ beantwortet werden kann.

 

Es gilt erstens zwischen einem physischen und einem kulturellen Existenzminimum zu unterscheiden, wobei das physische Existenzminimum in der Tat nicht beschnitten werden darf. Insofern sind Bestimmungen, welche den gesamten Betrag beschneiden, sicherlich grundgesetzwidrig. Es gibt aber keinen einleuchtenden Grund dafür, bereits Kürzungen des kulturellen Existenzminimums ebenfalls als grundgesetzwidrig einzustufen, zumal der Staat ebenfalls ein existentielles Interesse daran hat, dass keinerlei Anreize geschaffen werden, Hartz auch in den Fällen zu beantragen, in denen der Arbeitslose sehr wohl arbeitsfähig ist.

 

Zweitens haben wir gesehen, dass der Konflikt zwischen den Interessen der Arbeitslosen und des Staates auch dadurch entschärft werden kann, dass notfalls das Existenzminimum in Natura und nicht monetär zur freien Verfügung gestellt wird.

 

Wir haben drittens die Frage überprüft, welche Staaten denn die Verpflichtung haben, das durch Verfassung geschützte Recht auf das Existenzminimum zu gewähren, wenn mehrere Staaten wie z. B. bei Migranten angesprochen sind.

 

Wir haben schließlich viertens auf die Probleme hingewiesen, welche dadurch entstehen, dass es von vornherein schwierig ist, im konkreten Einzelfall zu klären, wann eine angebotene Arbeit für den Arbeitslosen noch zumutbar ist.