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Berühmte Irrtümer Teil II

 

 

Gliederung:

 

  1. Inflation Voraussetzung für Konjunkturbelebung?

  2. Macht Reichtum wirklich glücklich?

  3. Sicherheit durch Überwachung und korrektes Verhalten?

  4. Moralisches Handeln stets im Interesse jedes einzelnen?

  5. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand

  6. Lügen haben kurze Beine

  7. Abschreckungsstrategie verhindert Atomkrieg?

  8. Rationale Entscheidung stets besser als Intuition?

  9. Bilder lügen nicht

10. Wo Rauch, da Feuer

11. Angriff ist die beste Verteidigung

12. Recht auf Waffe erhöht die Sicherheit

 

 

Kapitel 10: Wo Rauch, da Feuer

 

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Das Beispiel aus der Chemie

3. Die Übertragung auf politische Prozesse

4. Erkenntnismängel

5. Täuschungsabsicht

6. Satz als wissenschaftliche Hilfshypothese

7. In dubio pro reo

 

 

1. Das Problem

 

Die Produzenten von Fake News machen sich zumeist die Volksmeinung zu Nutze, nach der überall dort, wo Rauch sichtbar sei, auch ein Feuer sein müsse. Auch dann, wenn sich der größte Teil der Fake News mit der Zeit als falsch erwiesen habe und somit die angegriffenen Politiker eigentlich als entlastet zu gelten hätten, führen die Falschmeldungen trotzdem zu einer Beeinträchtigung der angegriffenen Politiker, da sich in der Wählerschaft die Meinung festsetzt, dass auch dann, wenn sich die meisten Fake News als falsch herausgestellt haben, trotzdem die Politiker ‚Dreck am Stecken‘ haben müssten. Irgendetwas müsse an der Beschuldigung doch wahr sein. Man könne es eben nur nicht beweisen.

 

Und dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, da aufgrund der sozialen Netzwerke tausende Benutzer diese Falschmeldung verbreiten und den Eindruck erwecken, dass hier diese Behauptungen von vielen unabhängig voneinander verbreitet werden. Tausende können doch – so wird gefolgert – nicht irren.

 

Aber genau dieser Eindruck entbehrt jeder Berechtigung. Ganz abgesehen davon, dass ja auch das Bild vom Rauch, das ein Feuer hinterlässt, schon in Wirklichkeit falsch ist. Rauch kann, muss aber nicht von einem ausgetretenen Feuer herrühren, es gibt auch andere Quellen, welche Rauch erzeugen.

 

Und so gilt auch im übertragenen Sinne, dass überall dort, wo Fake News verwendet werden, überhaupt kein Grund vorliegen muss, dass an diesen falschen Behauptungen etwas wahr ist. Fake News sind immer Erfindungen und die Tatsache, dass solche falschen Informationen verbreitet werden, lässt in keinster Weise darauf schließen, dass auch nur ein Fünkchen Wahrheit in diesen Behauptungen gegeben ist.

 

Und vor allem der Umstand, dass nun diese falschen Behauptungen an der unterschiedlichsten Stelle und von unterschiedlichsten, nicht mit einander zusammenhängenden Personen wiederholt werden, erhöht in keinster Weise den Wahrheitswert dieser Behauptungen. Es wird ja von diesen Benutzern der sozialen Netzwerke immer nur das wiederholt, was als erste Information ins Netz gestellt wurde. Und wenn die erste Quelle falsch war, dann ist notwendiger Weise auch jede Wiederholung dieser Meinung genauso falsch wie die erste Aussage.

 

Wir leben in einem Rechtsstaat und zu den ehernen Grundsätzen eines Rechtsstaates gehört die Regel, dass ein Angeklagter erst dann als schuldig angesehen werden darf, wenn er von einem ordentlichen Gericht rechtskräftig verurteilt wurde. Ein Gericht darf einen Angeklagten nur dann verurteilen, wenn dieser der Tat eindeutig überführt wurde. Gelingt dieser Nachweis nicht, so ist der Verurteilte mangels Beweises frei zu sprechen: Im Zweifel ist also zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.

 

Warum sollen wir einen Politiker, welcher für die Gemeinschaft tätig werden will, schlechter behandeln als einen normalen Gesetzesbrecher? Auch dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die in den Fake News geäußerten Vorhaltungen der Wahrheit entsprechen und wenn es sich um Aktivitäten handelt, welche einen Verstoß gegen unsere Gesetze und Verordnungen darstellen, noch kein Gericht hat diese Frage sine Ira et Studio (also voreingenommen) geprüft und den Angeklagten für schuldig befunden.

 

Selbst dann, wenn diese Frage nicht eindeutig geklärt werden konnte und es deshalb auch nicht einwandfrei feststeht, dass die Anschuldigungen falsch sind, warum weichen wir hier von einem Grundsatz ab, der sogar gegenüber Verbrechern eingehalten wird?

  

Die Fake News beziehen sich in aller Regel auf angebliche moralische Verfehlungen der betroffenen Politiker. Es wird hier der Eindruck erweckt, als käme es in der Politik allein auf die moralische Qualität der einzelnen Politiker an.

 

Vielleicht kam es in der Tat im Mittelalter allein auf die Integrität der Politiker an, es wurde damals nach der Maxime gehandelt, wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den hierfür notwendigen Verstand.

 

Dieser Leitspruch lässt sich in unserer modernen, hoch komplexen Gesellschaft schon lange nicht mehr realisieren. Viel zu schwierig sind die anstehenden Aufgaben. Es reicht nun nicht mehr aus, hehre Ziele zu verfolgen. Als erfolgreich kann nur derjenige Politiker gelten, der neben den selbstverständlich nach wie vor integeren Zielen auch die Maßnahmen kennt und durchsetzen kann, welche zur Verwirklichung dieser Ziele notwendig sind.

 

Ein Politiker mag noch so hehre Ziele verfolgen, wenn er nicht die Fähigkeit aufweist, diese Ziele auch politisch umzusetzen, trägt er trotzdem nicht zur Wohlfahrtssteigerung der Bevölkerung bei, genauso, wie ein Politiker, welchem im privaten Bereich vielleicht einige moralische Verfehlungen unterlaufen, welcher aber dann trotzdem Maßnahmen beschließt, welche anstehende Probleme einer Lösung zuführen, letztendlich zur Wohlfahrtssteigerung der Bevölkerung beigetragen hat.

 

Vor allem ist für die Wohlfahrt einer Bevölkerung nicht das Motiv verantwortlich, das den Politiker veranlasst hat, bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Zu zählen hat allein, ob die eingeleiteten Maßnahmen auch wirklich geeignet sind, die anstehenden Probleme zu lösen. Und eine Lösung der anstehenden Probleme kann nur dann erwartet werden, wenn die Ursachen der Fehlentwicklungen richtig erkannt werden und hierzu ist es unerlässlich, dass vor dem politischen Handeln eine umfassende Ursachenanalyse durchgeführt wurde.

 

Als Bismarck in seiner Eigenschaft als Reichskanzler in den 80 er Jahren des 19. Jahrhunderts die gesetzliche Sozialversicherung eingeführt hatte, ging es ihm in allererster Linie darum, die Machtposition der preußischen Krone zu stärken und zwar dadurch, dass er auf der einen Seite die Gewerkschaften und sozialistischen Führer bekämpfte, aber gleichzeitig im Sinne einer Politik des Zuckerbrotes und der Peitsche den Arbeitnehmern eine Sicherheit gegenüber  Krankheit, Unfall und Alter brachte. Er versuchte also die Arbeiterschaft ihren Führern zu entfremden.

 

Trotz dieser im moralischen Sinne sehr zweifelhaften Motive brachte die Bismarcksche Sozialgesetzgebung de facto trotzdem den Arbeitnehmern eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und in der Tat galt dieses Gesetzgebungswerk innerhalb Europa für mehrere Jahrzehnte als vorbildlich.

 

Andererseits führen Maßnahmen, welche nur darin bestehen, die als wünschenswert angesehenen Zustände per Gesetz anzuordnen, in den wenigsten Fällen zu dem erhofften Ziel. Per Gesetz verordnete Lösungen schaffen fast immer einem Teil der Bürger Nachteile und in einer freien Gesellschaft ist fast immer damit zu rechnen, dass diese Gruppe von Bürgern auf diese Maßnahmen reagieren. Das braucht keineswegs darin bestehen, dass zu sittenwidrigen Handlungen Zuflucht genommen wird. Auch bei durchaus legalem Ausweichen werden oftmals die beabsichtigten Zustände verhindert.

 

Diese Überlegungen zeigen, dass das Wohl der Bürger weniger von den Motiven der Politiker als davon bestimmt wird, welche Wirkungen von den eingeleiteten Maßnahmen ausgehen. Deshalb sollten die Wähler auch weniger nach den Motiven fragen, welche die Politiker dazu geführt haben, politisch zu agieren, sondern ihre Entscheidung allein davon abhängig machen, wie sich ihre eigene Wohlfahrt aufgrund der bereits durchgeführten oder den versprochenen Maßnahmen verändert hat.

 

Würde jeder Wähler nach diesem Prinzip handeln, dann würde eine Regierung genau dann abgewählt, wenn sie durch ihre Maßnahmen der Mehrheit der Wähler Schaden zugefügt hat. Und gerade in einer solchen Wirkung liegt der Sinn jeder Wahl, welche in einer repräsentativen Demokratie durchgeführt wird.

 

Auch gilt es zu bedenken, dass die wahren Motive eines Politikers nie endgültig offengelegt werden können. Es sind immer nur Vermutungen, welche von den Gegnern geäußert werden. Ob ein Politiker seine wahren Motive offengelegt hat, kann niemals mit Sicherheit festgestellt werden. Dies ist aber auch nicht notwendig, weil es nie auf das Motiv ankommt, ob ein Politiker dem Volke nützt oder schadet. Nutzen und Schaden der Bevölkerung hängen immer von den tatsächlich eingeleiteten Maßnahmen ab.

 

 

2. Das Beispiel aus der Chemie

 

Befassen wir uns nun zunächst mit der Frage, ob tatsächlich jedes Feuer mit einer Rauchentwicklung verbunden ist und ob deshalb aus der Tatsache, dass Rauch beobachtet werden kann, eindeutig geschlossen werden kann, dass an der Stelle, an der sich Rauch entwickelt hat, zuvor ein Feuer ausgebrochen sein musste.

 

Natürlich ist es richtig, dass sich in vielen Fällen tatsächlich Rauch aufgrund eines vorher ausgelösten Feuers ausbreitet und umgekehrt dürfte in vielen Fällen bei einer Rauchentwicklung darauf geschlossen werden, dass zuvor ein Feuer ausgelöst wurde.

 

Nur handelt es sich hierbei weder um eine notwendige noch um eine ausreichende, also in Wirklichkeit nur um eine schwache Bedingung. Es gibt Fälle, bei denen trotz Feuer kein Rauch gesichtet werden kann und umgekehrt andere Fälle, bei denen Rauch aus anderen Gründen als einem zuvor entstandenem Feuer ausgelöst wurde.

 

Betrachten wir diese hier zugrundeliegenden chemischen Zusammenhänge etwas genauer. Unter Feuer bezeichnet man nach dem Duden einen sichtbarer Vorgang der Verbrennung, bei dem sich Flammen und Hitze entwickeln. Ein Feuer kann allerdings nur dann entstehen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Es bedarf erstens eines brennbaren Stoffes, zweitens eines Oxidationsmittels wie vor allem des Sauerstoffes aus der Luft. Drittens muss die Temperatur des brennbaren Stoffes eine vom jeweiligen Stoff typische Temperatur überschreiten. Fehlt einer dieser drei Bedingungen, erlöscht das Feuer wieder.

 

Ein Feuer entsteht also durch Oxidation mit Flammenbildung. Hierbei muss dem brennbaren Stoff zunächst Wärme und damit Energie zugeführt werden. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte exotherme Reaktion, bei der im Endergebnis mehr Energie in Form von Wärme an die Umgebung abgegeben wird, als zunächst zum Entzünden des brennbaren Stoffes notwendig war.

 

Bei der Verbrennung organischer Stoffe werden beispielsweise Kohlenwasserstoffe mit Sauerstoff als Oxidationsmittel aus der Luft zu Kohlenstoffdioxid und Wasser umgesetzt. Allerdings sind auch partielle Verbrennungen möglich, bei denen Kohlenstoffmonoxid entsteht und nicht oxidierte Stoffe wie Ruß zurückbleiben.

 

Das Licht des Feuers entsteht hierbei durch einen physikalischen Prozess. Die Elektronen der erhitzten Teilchen erlangen kurzzeitig ein höheres Energieniveau und fallen nach kurzer Zeit unter Abgabe von Energie in Form eines Lichtquants, den sogenannten Photonen, auf ihr ursprüngliches Energieniveau  zurück.

 

Rauch, allgemein auch als Qualm bezeichnet, ist ein zumeist durch Verbrennung entstehendes Gas, das feste oder flüssige Stoffe in fein verteilter Form enthält. Er besteht aus Staubpartikeln und Flüssigkeitströpfchen wie Wasser, Öldämpfe, Säuredämpfe sowie flüssige Verbrennungsrückstände. Im engeren Sinne stellt Rauch ein Gemisch aus festen und gasförmigen Teilen dar.

 

Nehmen wir das Beispiel der Holzverbrennung. Diese erfolgt in drei Phasen: In der ersten Phase wird das im Holz gebundene Wasser erhitzt und dieses verdampft.

 

In der zweiten Phase gehen einzelne Holzbestandteile bei 160 bis 180° in einen gasförmigen Zustand über. Diese Phase dauert bis ca. 600 Grad an. Die Holzscheite haben nun rund 85 Prozent an Masse in Form von Wasser, Kohlenstoffdioxyd und brennbaren gasförmigen Stoffen verloren. Etwa 14 % an Holzkohle bleiben übrig.

 

Damit sind etwa 70 % des Heizwertes des Holzes freigesetzt. Das hierbei freigesetzte Gas besteht vor allem aus Kohlenstoffmonoxid, Wasserstoff und organischen Verbindungen.

 

In der dritten Phase findet die eigentliche Oxidation statt, in dem ab ca. 600° die brennbaren Gase des Holzes mit dem zugeführten Sauerstoff reagieren. Dabei kann eine Temperatur bis zu 1300° erreicht werden. Das brennbare Gas wird aus dem Holz freigesetzt und in Wärmeenergie umgewandelt. Übrig bleibt eine Asche, welche nur noch 0,5 – 1 % der Holzmasse ausmacht.

 

 

3. Die Übertragung auf politische Prozesse

 

Wir wollen nun das Bild vom Rauch, der durch ein Feuer ausgelöst wurde, auf das politische Leben übertragen. Das Feuer, von dem hier gesprochen wird, steht für all die Handlungen der im öffentlichen Leben stehenden Personen, also Handlungen, welche in der Öffentlichkeit als unerwünscht und vielleicht sogar skandalös gehalten werden.

 

Betrachten wir zunächst das Verhalten der Politiker. Das wohl wichtigste Beispiel für ein solches Verhalten ist die Korruption. Die gebrandmarkten Politiker sind bestechlich oder käuflich, gewähren also unberechtigterweise anderen Personen Vorteile, wenn diese bereit sind, diesen Politikern selbst wiederum unberechtigte Vorteile zukommen zu lassen.

 

Oder aber die korrupten Politiker benützen ihre Machtposition, um sich selbst oder nahe Verwandte oder auch Freunde zu begünstigen und zu bereichern.

 

Bei beiden Verhaltensweisen handelt es sich um Handlungen, welche sich auf das Aufgabengebiet der Politiker beziehen. Es wird ihnen also der Vorwurf gemacht, dass sie Entscheidungen getroffen haben, welche sich gegen das Gemeinwohl richten, dass also einzig allein oder zumindest vorrangig nicht das Gemeinwohl, sondern ihr eigenes Wohl ihr Handeln bestimmt habe.

 

Das politische Feuer bezieht sich jedoch ebenso oft auf das Verhalten der Politiker in ihrem höchst privaten Bereich. So wird dem angegriffenen Politiker vorgeworfen, dass er sich in seinem privaten Leben nicht vorbildlich verhält. Hierbei kommt es oftmals nicht etwa auf Handlungen an, welche eindeutig wie z. B. das Veruntreuen anvertrauter Gelder rechtswidrig sind, sondern es werden auch Verhaltensweisen angeprangert, welche zwar nicht rechtswidrig sind, dennoch in der Öffentlichkeit als verpönt gelten.

 

So werden z. B. Politikern angelastet, dass sie geschieden leben oder ihre Ehepartner hintergangen haben. Wohlbemerkt, es geht hier nicht darum, dass bestimmte fragwürdige im privaten Leben festgestellte Verhaltensweisen verharmlost werden sollen.

 

Es gilt lediglich festzustellen, dass unsere Gesellschaftssysteme äußerst komplex sind und dass ein moralisch einwandfreies Verhalten keinesfalls ausreicht, um die politisch richtigen Maßnahmen zu treffen. Ein moralisch hoch stehender Politiker mag dennoch falsche Entscheidungen treffen und umgekehrt gilt auch dass ein Politiker, welcher im privaten Leben alles andere als vorbildlich handelt, trotzdem besonders befähigt ist, politisch schwierige Probleme bestens zu lösen.

 

Die Bewertung einer politischen Maßnahme hängt allein davon ab, ob sie das Allgemeinwohl fördert und nicht davon, welche Gesinnung ein Politiker hat, schon gar nicht, wenn sich diese Gesinnung auf den privaten Bereich des Politikers bezieht.

 

Das Feuer, das im öffentlichen Bereich Rauch hervorruft, bezieht sich jedoch nicht nur auf Politiker. Für alle großen Gesellschaftsbereiche wie Wirtschaft und Kultur muss damit gerechnet werden, dass Fehlverhalten geschieht und dass dieses Fehlverhalten in der Öffentlichkeit gebrandmarkt wird.

 

Auch Unternehmer können sich falsch verhalten und auch ihr Verhalten ist in diesem Falle in der Öffentlichkeit zu kritisieren. Eines der wichtigsten Vorwürfe in diesem Zusammenhang besteht darin, dass Unternehmer oftmals Steuern hinterziehen. Steuerbetrügereien kommen zwar in allen Schichten vor, besonderes Gewicht erhält jedoch jene Steuerhinterziehung, welche sich auf Millionen und Milliarden bezieht und von den besonders reichen Bürgern verübt wird.

 

Bisweilen wird jedoch den Unternehmern lediglich vorgeworfen, dass ihren Entscheidungen ein Gewinnmolekül zugrunde liegt und es wird hieraus der Schluss gezogen, dass ein solches Verhalten stets dem Allgemeinwohl schade. Es wird also unterstellt, dass immer dann, wenn der Eine etwas gewinnt, notwendiger Weise ein Anderer etwas verliert.


Demgegenüber war es das Hauptanliegen des Liberalismus, aufzuzeigen, dass das Motiv der Unternehmer für die Frage, inwieweit die Handlungen das Allgemeinwohl beeinflussen, von keiner entscheidenden Bedeutung sei. Der freie Markt führe nämlich zu einer Koordination der Interessen von Konsumenten und Produzenten, sodass der Unternehmer gerade dann seine Gewinnsituation verbessert, wenn er sein Angebot an dem Bedarf der Konsumenten bestmöglich ausrichtet.

 

Selbstverständlich müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit diese Koordination auch eintritt. Nur unter Konkurrenzbedingungen und einigen weiteren Bedingungen können wir davon ausgehen, dass in einer freien Marktwirtschaft die Entscheidungen der Unternehmer der Allgemeinheit zugute kommen.

 

Denn nur dann, wenn die Unternehmer einer vollständigen Konkurrenz ausgesetzt sind, kann damit gerechnet werden, dass die Unternehmer sich stets um Qualitätsverbesserung und Kostensenkung bemühen und dass sie diese Verbesserungen auch an die Konsumenten in Form von Preissenkungen weitergeben. Denn nur in diesem Falle muss ein Unternehmer befürchten, dass er andernfalls Kunden an die Konkurrenten verliert.

 

Nicht nur das Verhalten der Politiker sowie der Unternehmer kann jedoch nicht den Anforderungen entsprechen und deshalb in der Öffentlichkeit Ärgernis erregen. Auch die in kulturellen Einrichtungen wie Kirchen und Wissenseinrichtungen Tätigen können durch ihr Verhalten Ärgernis erregen und um im Bild zu bleiben zum Feuer werden, das zu Rauch führt.

 

In diesem Zusammenhang ist vor allem an die zahlreichen sexuellen Belästigungen  zu denken, welche gerade in den letzten Jahrzehnten Geistlichen oder auch in der Filmbranche Tätigen vorgeworfen wurde. Nicht, dass sexuelle Handlungen auf den Bereich der Kirchen beschränkt ist oder dort in überproportionalen Umfang vorhanden ist, sexuelle Verfehlungen finden in allen Bereichen des zwischenmenschlichen Lebens statt.

 

Die Verfehlungen gerade von Angehörigen der Kirchen wird in der Öffentlichkeit in besonderem Maße deshalb gebrandmarkt, da man hier das regelwidrige Verhalten als besonders anstößig empfindet, weil die Aufgabe der kulturellen Einrichtungen ja gerade darin besteht, für die Einhaltung der Sitten zu sorgen.

 

Aber auch hier gilt es zu unterscheiden zwischen den Dogmen und Geboten einer Religion und dem tatsächlichen Verhalten der einzelnen Führungskräfte. Auch die Vertreter der Kirchen sind Menschen und unterliegen all den Unvollkommenheiten aller Menschen.

 

Der globale und komplexe Charakter aller modernen gesellschaftlichen Einrichtungen bringt es mit sich, dass die Auswahl ihrer Führungskräfte notwendiger Weise nach ihrer fachlichen Kompetenz erfolgen muss und dass deshalb notwendiger Weise auch der eine oder andere – wie in allen Gesellschaftssystemen – nicht den moralischen Ansprüchen entspricht, welche gerade von den Kirchen gelehrt werden. Wenn ein Vertreter der Kirchen versagt, sagt dies nichts über den Wert oder Unwert der Glaubenslehren, sondern allein über die moralische Qualität des jeweiligen Geistlichen aus. Gerade die Bibel ist voll von Beispielen, dass gerade den Anführern des Glaubens sittliche Verfehlungen unterlaufen.

 

Nachdem wir geklärt haben, worin denn das Feuer besteht, das angeblich stets Rauch erzeugt, wollen wir noch kurz klären, worin denn nun im Einzelnen der Rauch in diesem übertragenen Sinne besteht.

 

Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Tatsache, dass die Führungskräfte aller Gesellschaftssysteme ihre Verfehlungen zu verbergen suchen. Sie tun dies vor allem deshalb, weil das Bekanntwerden dieser Verfehlungen denjenigen schadet, welche diese Verfehlung begangen haben.

 

Die Wiederwahlmöglichkeiten eines Politikers, dem Korruption nachgesagt wird, verschlechtern sich. Ein Unternehmer, welcher als Steuersünder entlarvt wird, riskiert, angeklagt zu werden. Und immer dann, wenn in größerem Umfang sexuelle Belästigungen seitens geistlicher Führungskräfte aufgedeckt werden, besteht die Gefahr, dass immer mehr Gläubige der Kirche den Rücken kehren.

 

Gerade weil in unseren modernen komplexen Gesellschaftssystemen die Gefahr groß ist, dass einzelne Führungskräfte Verfehlungen begehen – sie werden ja nicht nach ihrer moralischen Qualität, sondern nach ihrer Kompetenz ausgewählt –, wird den öffentlichen Medien die Aufgabe zugewiesen, das Verhalten der Führungskräfte in den einzelnen Gesellschaftssystemen kritisch zu überwachen und Verfehlungen öffentlich bekanntzumachen.

 

Natürlich muss auch hier davon ausgegangen werden, dass sich nicht jeder Vorwurf bewahrheitet. Und es besteht nun die Gefahr, dass auch dann, wenn eine Überprüfung der einzelnen Vorwürfe nicht bestätigt werden konnte, trotzdem der Makel an den Beschuldigten haften bleibt. Denn auch hier gilt, dass überall dort, wo Rauch entsteht, dieser Rauch angeblich von einem Feuer ausgelöst wurde und dies bedeutet, dass trotz mangelnden Beweises die Meinung vorherrscht, der Beschuldigte habe die Verfehlungen begangen, sie konnten ihm eben  nur nicht eindeutig nachgewiesen werden.

 

 

4. Erkenntnismängel

 

Beschäftigen wir uns nun etwas ausführlicher mit der Frage, inwieweit denn im gesellschaftlichen Bereich die von den öffentlichen Medien geäußerten Vorwürfe – sinngemäß der Rauch – tatsächlich immer ein sicheres Indiz dafür ist, dass Verfehlungen der politisch angeklagten Politiker vorliegen. Wir erwähnten ja bereits, dass der Zusammenhang zwischen Feuer und Rauch im gesellschaftlichen Bereich lediglich eine nicht ausreichende und auch nicht notwendige Voraussetzung darstellt.

 

Unterstellen wir zunächst, dass die Vorwurf erhebenden öffentlichen Medien guten Glaubens wären, dass sie also selbst fest davon überzeugt sind, dass die Vorwürfe, welche sie äußern, der Wahrheit entsprechen.

 

In diesem Falle bleibt immer noch die Gefahr, dass die Anklagenden die Wirklichkeit selbst nicht erkennen, entweder deshalb, weil sie nicht korrekt ermitteln, also z. B. bestimmte von anderer Seite lancierte Meldungen ohne vorhergehende ausreichende Recherche über die Echtheit dieser Nachrichten übernehmen, sei es, dass sie zwar selbst am Ort des angeprangerten Geschehens waren, aber trotzdem sich getäuscht haben.

 

Eine solche Täuschung ist ja vor allem deshalb durchaus möglich, da ja jeder geäußerte Vorwurf in Wirklichkeit aus zwei Teilen besteht, einmal aus dem empirisch erfolgten Geschehen, zum andern aus der Bewertung dieses Geschehens. Wir haben bereits weiter oben gesehen, dass z. B. Unternehmern oftmals der Vorwurf gemacht wird, dass sie bei ihren Handlungen gar nicht in erster Linie an das Gemeinwohl denken, sondern allein ihr Eigeninteresse im Auge haben.

 

Ein solcher Vorwurf ist aber zumindest in einer funktionierenden Marktwirtschaft nicht berechtigt, da hier die Anreizsysteme des Marktes auch dann oder sogar genau dann das allgemeine Wohl realisieren, wenn und obwohl die einzelnen Marktteilnehmer vorwiegend ihr eigenes Interesse verfolgen. Ich darf nochmals daran erinnern, dass dieser Zusammenhang selbstverständlich nur dann gegeben ist, wenn vollständige  Konkurrenz zwischen den einzelnen Unternehmungen besteht und wenn weiterhin Verletzungen der in der Wirtschaftsordnung festgelegten Werte auch vom Staat verfolgt werden.

 

Man mag nun einwenden, dass in der Wirklichkeit oftmals keine vollständige Konkurrenz vorliegt, sodass also die Kopplung der Eigeninteressen an das Allgemeinwohl auch zumeist nicht funktioniere. Dies mag richtig sein. Der Vorwurf ist jedoch in diesem Falle nicht an den einzelnen Unternehmer, sondern an den Staat zu richten, der eben nicht bereit war, monopolistische Tendenzen zu unterbinden.

 

Das eigentliche Problem besteht hier nicht darin, dass sich der Unternehmer falsch verhalten hat, dass vielmehr die Wirtschaftsordnung nicht das erfüllt, was sie eigentlich erfüllen soll, nämlich ein Anreizsystem zu garantieren, das sicherstellt, dass die Unternehmer genau dann ihren Gewinn steigern, wenn sie ihre Produktion an den Wünschen der Konsumenten ausrichten. Der Vorwurf, der hier zu Recht besteht, gilt also den Politikern, die es unterlassen haben, die Voraussetzungen für ein Garantieren einer Marktwirtschaft zu schaffen und nicht den Unternehmern, welche vorwiegend ihre eigenen Interessen verfolgen.

 

 

5. Täuschungsabsicht

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen gingen wir stillschweigend davon aus, dass derjenige, der gegen eine Person des öffentlichen Lebens Vorwürfe erhebt oder sie der Öffentlichkeit bekannt gibt, guten Glaubens handelt, also fest davon überzeugt ist, dass der Vorwurf auch zu Recht besteht, dass die angegriffene Person auch tatsächlich das getan hat, was ihr vorgeworfen wird.

 

Aber diese Annahme entspricht keinesfalls der Wahrheit. Bewusst falsche Meldungen gehören schon immer zum festen Reservoire politisch agierender Personen, so haben die Geheimdienste schon immer im Kampf gegen die feindlichen Staaten oftmals zu diesem Mittel gegriffen. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass Falschmeldungen heutzutage bei Weitem überhand genommen haben und dass so die Bezeichnung der Fake News und der alternativen Wahrheiten für ein solches Verhalten entstanden ist.

 

Es ist aber nicht nur so, dass heutzutage der Umfang dieser Täuschung zugenommen hat, sondern dass sich mit dem Aufkommen der sozialen Medien die Möglichkeiten und Arten dieser Angriffe wesentlich verändert haben.

 

Vor allem für die Journalisten, welche diese Informationen aufgreifen und an die Öffentlichkeit weitergeben, entsteht dann folgende Situation: Auf der einen Seite muss davon ausgegangen werden, dass sich die im öffentlichen Leben stehenden Individuen oftmals in sehr starkem Maße amoralisch verhalten und gerade deshalb von den öffentlichen Medien gebrandmarkt werden sollten, dass sich aber auf der anderen Seite, diejenigen, welche diese Vorwürfe gegenüber den Personen des öffentlichen Lebens erheben, ebenfalls amoralisch verhalten können und ganz bewusst Fake News verbreiten.

 

Und gerade aufgrund dieser beiden Zusammenhänge (Politiker verhalten sich sehr oft amoralisch, aber auch die anklagende Öffentlichkeit ist keinen Deut besser) kann es überhaupt erst dazu kommen, dass sich in der Öffentlichkeit die Überzeugung fest macht, dass überall dort, wo Rauch entsteht, auch zuvor Feuer verbreitet wurde, dass also mit anderen Worten fast immer etwas an den Vorwürfen wahr sei, auch dann, wenn die Vorwürfe nicht bewiesen werden konnten, wenn also die Angeklagten mangels an Beweisen freigesprochen werden müssen.

 

Und gerade weil diese Gefahr in sehr hohem Maße besteht, muss selbst wiederum damit gerechnet werden, dass nicht nur das politische Klima vergiftet wird, dass sich aus diesem Grunde viele Persönlichkeiten, welche eigentlich für den Dienst an der Allgemeinheit bestens geeignet wären, aus Abscheu von den politischen Geschäften abwenden.

 

Und dies wiederum bewirkt, dass der Anteil der amoralisch handelnden Politiker automatisch ansteigt. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass gerade deshalb, weil die Politiker diesen Vorwürfen auch dann ausgesetzt sind, wenn sie unschuldig sind, die Politiker eher bereit sind, die moralischen Bedenken beiseite zu schieben, angeklagt werden sie so oder so, ob sie sich moralisch korrekt oder unkorrekt verhalten haben.

 

Gerade wegen dieser Gefahren ist es um so wichtiger, sich gegen diese Fake News zu wehren und Strategien zu entwickeln, um diese Falschinformationen zu entlarven. In dem Artikel ‚Lügen haben kurze Beine‘ habe ich aufgezeigt, welche Möglichkeiten es gibt, um zu erkennen, ob eine Nachricht eine Falschmeldung darstellt.

 

 

6. Satz als wissenschaftliche Hilfshypothese

 

Unsere bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass der Spruch: ‚Wo Rauch, da Feuer‘ angewandt auf das gesellschaftliche Leben sicherlich nicht in dem Sinne verstanden werden kann, dass immer oder fast immer dann, wenn Vorwürfe gegen eine Person des öffentlichen Lebens erhoben werden, diese Person auch wirklich die ihr vorgeworfenen Taten begangen hat.

 

Anderes gilt, wenn wir diese These etwas umformulieren und davon sprechen, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein in den öffentlichen Medien angeklagtes Individuum tatsächlich diese Vergehen begangen hat, vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie sie in der Öffentlichkeit behauptet wurden.

 

In der Tat müssen wir ganz allgemein davon ausgehen, dass im Zusammenhang mit menschlichem Leben nur sehr selten allgemein gültige Hypothesen formuliert werden können. Natürlich lassen sich auch im Zusammenhang mit dem menschlichen Verhalten Gesetzmäßigkeiten feststellen, im Gegensatz zu den Gesetzen der klassischen Physik gelten diese Gesetzmäßigkeiten jedoch nicht ausnahmslos für alle Vorgänge, es besteht zumeist nur eine Tendenz dazu, dass sich bestimmte Regelmäßigkeiten feststellen lassen und dass nahezu immer gewisse Ausnahmen beobachtet werden können.

 

Selbst für Zweige der modernen Physik wie vor allem für den subatomaren Bereich muss einschränkend festgestellt werden, dass auch hier nicht mehr allgemeine Gesetzmäßigkeiten wie z. B. für die Mechanik formuliert werden können.

 

Es gilt hier z. B. die von Heisenberg formulierte Unschärferelation im Rahmen der Quantenmechanik, wonach die Lage der einzelnen subatomaren Teilchen nicht mehr genau bestimmt werden kann. Von einem solchen Teilchen kann nur noch festgestellt werden, dass es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Stelle vorzufinden ist.

 

Für den menschlichen Bereich gilt diese Unschärfe ganz allgemein. Der Mensch besteht zwar auch aus Materie und unterliegt insofern ebenfalls den in den exakten Naturwissenschaften zu beobachtenden Gesetzmäßigkeiten der Mechanik. Trotzdem ist der empirisch zu beobachtende Zusammenhang nicht in gleichem Maße eindeutig wie in der klassischen Physik.

 

Der Grund hierfür liegt darin, dass der Mensch einen freien Willen hat und sich gerade deshalb im Einzelfall regelwidrig verhalten kann. Für die Mechanik gilt, dass eine relativ geringe Anzahl von Kräften miteinander in Beziehung steht, diese Kräfte sind auch in aller Regel groß genug, dass wir sie mit unseren Messinstrumenten eindeutig bestimmen können. Auf diese Weise lassen sich im Rahmen der Mechanik eindeutige und immer gültige Gesetze feststellen.

 

Im Bereich der Tierwelt sind diese Zusammenhänge bereits weniger eindeutig. Zwar wird das Verhalten der Tiere durch Instinkte gelenkt und diese Instinkte sind zum größten Teil erblich erworben und für die gleiche Tierart auch weitgehend identisch.

 

Auch der Mensch kennt wie das Tier Triebe und wird von Instinkten gelenkt. In Rahmen des Erziehungsprozesses lernen jedoch die Menschen nach bestimmten anerzogenen Regeln zu handeln, diese Regeln stehen oftmals in Konflikt zu den angeborenen Trieben, oftmals haben diese Reglen sogar den Zweck, gewisse Triebe zu überwinden oder zu sublimieren, um auf diese Weise mehr als das Tier zu erreichen.

 

Der Mensch ist nach der herrschenden Lehre mit einem freien Willen ausgestattet, der ihm gestattet, zwischen zwei konfligierenden Instinkten oder Regeln bewusst zu entscheiden und damit auch Triebe zu unterdrücken.

 

Aber gerade diese Möglichkeit bringt es mit sich, dass dass Verhalten der Menschen eben nicht immer eindeutig vorhergesagt werden kann. Die gesellschaftlichen Verhältnisse mögen noch so sehr ein bestimmtes Verhalten nahelegen, ein Mensch kann sich trotzdem aus den unterschiedlichsten Gründen anders verhalten.

 

So mag z. B. ein Unternehmer durch die Konkurrenz der Mitbewerber gedrängt werden, alle seine Kosten und damit auch seinen Preis so niedrig wie nur möglich anzusetzen, da er sonst wegen zu hoher Preise seine Kunden an die Konkurrenten verliert. Er kann trotzdem darauf verzichten, bestimmte Kosten, z. B. die Lohnkosten aus moralischer Verantwortung heraus auch dann zu senken, wenn seine Konkurrenten dies tun.

 

In unserer globalen Welt kommt noch hinzu, dass aufgrund der Komplexität der Gesellschaftssysteme so viele Variablen auf das empirische Geschehen einwirken, dass es schon aus Kostengründen gar nicht möglich ist, alle diese Faktoren zu eruieren und zu messen und dass gerade aus diesen Gründen auch keine exakte Prognose über das zu erwartende Geschehen abgegeben werden kann.

 

Und diese Zusammenhänge gelten auch für das hier zu diskutierende Problem. Wir können zwar nicht davon ausgehen, dass in jedem Einzelfall der in der Öffentlichkeit geäußerte Vorwurf gegenüber einer Person des öffentlichen Lebens der Wahrheit entspricht. Nichtsdestotrotz können wir jedoch feststellen, dass sehr wohl in vielen Fällen der Vorwurf gegenüber Führungskräften auf tatsächliches Verhalten hinweist.

 

Als wissenschaftliche Hilfshypothese kann somit sehr wohl diese Behauptung (wo Rauch, da auch Feuer) aufrechterhalten werden. Und diese Hilfshypothese gestattet uns nun Möglichkeiten zu entwickeln, um im Einzelfall zu klären, ob die geäußerte Behauptung der Wirklichkeit entspricht, weiterhin auch Reformmaßnahmen zu erkunden, um die Zahl der Fälle, bei denen der behauptete Zusammenhang nicht der Wahrheit entspricht, zu verringern.

 

 

7. In dubio pro reo

 

So sehr sich auch der Spruch: ‚Wo Rauch, da ist auch ein Feuer‘ als eine wissenschaftliche Hilfshypothese eignen mag, um die Frage zu klären, auf welchem Wege amoralisches Verhalten aufgedeckt und weitgehend vermieden werden kann, in einem entscheidenden Punkt ist dieser Spruch in hohem Maße dysfunktional und damit weder gerechtfertigt noch für die Gesamtheit hilfreich.

 

So wie dieser Spruch in der öffentlichen Diskussion angewandt wird, entspricht er weder aus der Sicht der Betroffenen der Wahrheit noch führt er für die Allgemeinheit zu erwünschten Ergebnissen. Es geht hier darum, dass hier zunächst einmal das Schicksal eines Einzelnen zur Diskussion steht.

 

Eine öffentliche Anklage eines Politikers ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich diese Person tatsächlich amoralisch verhalten hat, es ist aber nicht gerechtfertigt, wenn sich diese Anklage im Nachhinein als falsch erweist, es ist sogar verheerend, wenn diese Anklage von denjenigen, welche diese Information in die Welt gesetzt haben oder verbreiten, bewusst gefälscht wurde.

 

Nochmals: In einem Rechtsstaat gilt der Grundsatz: ‚in dubio pro reo‘, dies will heißen, dass eine Verurteilung eines Individuums nur dann erfolgen darf, wenn einwandfrei erwiesen ist, dass der Beschuldigte diese Tat auch begangen hat. In allen anderen Fällen ist der Angeklagte mangels Beweisen freizusprechen.

 

Ein Grundsatz, welcher für diejenigen gilt, denen vorgeworfen wurde, dass sie Vergehen begangen haben, gilt natürlich a fortiori in den Fällen, in denen nicht die Anklage vor einem ordentlichen Gericht, sondern das Handeln einer Persönlichkeit zur Diskussion steht.

 

Während die Straftaten in den ordentlichen Verfahren vor einem Gericht zumeist im Interesse des Angeklagten erfolgt waren, sind die angeschuldigten Personen des öffentlichen Lebens zunächst für die Allgemeinheit tätig. Es kommt noch hinzu, dass bei den tatsächlich vorgebrachten Anschuldigungen oftmals Handlungen zur Diskussion stehen, welche zwar unserem Sittenkodex widersprechen mögen, trotzdem jedoch die Allgemeinheit nicht belasten.

 

Bringen wir nochmals das historische Beispiel der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung unter Bismarck. Das Motiv, das Bismarck bewegte, bestand darin, die Machtposition des preußischen Königs gegenüber den Sozialisten und Gewerkschaften zu stärken. Trotzdem galt die von Bismarck eingeführte gesetzliche Sozialversicherung zu der damaligen Zeit als besonders vorbildlich und für das Allgemeinwohl nützlich.

 

Auch muss daran erinnert werden, dass ja auch dann, wenn auf eine Verurteilung eines Politikers, der sich unsittlich benommen hat, verzichtet werden würde, diese Person keineswegs bereits unbeschadet weiter agieren kann. Die allgemeinen Gesetze gelten für alle Individuen, auch für die Politiker und für die Personen, welche für das Gemeinwohl tätig sind.

 

Wenn ausreichende Verdachtsmomente für eine Straftat vorliegen, wird gegen diese Personen wie gegenüber allen Bürgern Anklage erhoben und die Wahrscheinlichkeit, dass sie frei ausgehen, ist auch nicht größer als bei den normalen Gerichtsfällen. Es geht also in unserem Zusammenhang nicht darum, ob Politiker im Hinblick auf Straftaten gegenüber den allgemeinen Bürgern begünstigt werden, sondern darum, ob gegenüber Politikern im Hinblick auf ungewünschte Handlungen ein strengerer Maßstab angezeigt ist als gegenüber normalen Bürgern.

 

Dieses Problem ist von besonderer Bedeutung, da die Beweislage bei öffentlichen Anklagen sowohl vor Gericht als auch in den öffentlichen Medien in sehr viel Fällen keine eindeutige Klärung bringen kann und dies bedeutet, dass in diesen Fällen auch viele Individuen, welche sich tatsächlich bestimmter Vergehen oder der Missachtung von Sittenregeln schuldig gemacht haben, trotzdem mangels Beweises freigesprochen werden müssen und deshalb ungerechtfertigter Weise freigesprochen werden.

 

Es ist deshalb sicherlich in hohem Maße unbefriedigend, dass ein Großteil derjenigen, welche das Recht und die allgemeinen Sitten missachten, straffrei ausgeht und gerade auf diese Weise einen Anreiz hat, in dieser Haltung fortzufahren.

 

Auf der anderen Seite gilt es jedoch an Folgendes zu erinnern: Ungeklärte Fälle als Ärgernis entstehen gerade dadurch, dass mit dem Spruch: ‚Wo Rauch, da ist auch Feuer‘ nicht nur einzelnen Personen des öffentlichen Lebens Unrecht angetan wird, sondern dass gerade aufgrund dieses Tatbestandes dem Allgemeinwohl zusätzlich geschadet wird.

 

Auf der einen Seite mögen einzelne Politiker gerade deshalb, weil sie in der Öffentlichkeit zu Unrecht angegriffen werden, sich verstärkt amoralisch verhalten nach dem Motto: ‚Wenn sie ohnehin zu Unrecht verurteilt werden, stehen sie per saldo besser da, wenn sie sich eigene Vorteile auch dann beschaffen, wenn dies allgemeinen Sittenregeln widerspricht‘.

 

Auf der anderen Seite besteht auf lange Sicht die Gefahr, dass sich gerade die moralisch hochstehenden Personen angeekelt aus der Politik zurückziehen und dass deshalb der Anteil derjenigen Politiker, welche es mit der Moral nicht so ernst nehmen, ansteigt.

 

Diese hier aufgezeigten Schwierigkeiten lassen sich nur dadurch bekämpfen, dass man die Möglichkeiten der Recherche verbessert und vor allem, Möglichkeiten erkundet, wie man Fake News erkennen kann. Hierzu habe ich in dem Artikel:‘Lügen haben kurze Beine‘ einige Beispiele benannt.