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Problem Kirchenaustritte

 

In der BRD leben zurzeit etwa 28% Katholiken und 26–27 % Protestanten. Insgesamt sind somit 53,2 Prozent der Gesamtbevölkerung Mitglieder der christlichen Kirchen. Vor allem in den letzten Jahren sind beide Kirchen von starken Kirchenaustritten bedroht, wobei der Austritt bei den Protestanten etwas größer ist als bei den Katholiken, obwohl die Protestanten eine geringere Gesamtzahl als die Katholiken aufweisen.

 

 

Bei mehr als 3000 Männer und Frauen aus dem Bistum Essen wurde eine Internet-Umfrage gestartet und nach den wichtigsten Gründen für einen Kirchenaustritt gefragt.

 

Zwei Hauptmotive prägten das Bild: Erstens Entfremdung und zweitens fehlende Bindung. Kirche werde von Ausgetretenen als Institution erlebt, „die aus Machtinteressen und Ränkespielen bestehe“. Ein weiterer Austritts-Grund sei eine „nicht mehr zeitgemäße Haltung der Kirchenbehörden.

 

Insgesamt habe sich bestätigt, was auch frühere Studien bereits gezeigt hätten, ein Kirchenaustritt sei zumeist ein langfristiger Prozess. Vordergründig würden Themen wie Kirchensteuer, öffentlich wirksame Skandale oder persönliche Enttäuschungen genannt, hinter denen jeweils jedoch tiefer liegende Gründe stünden.

 

Die Kirchensteuer spiele dann eine Rolle, wenn Paare in der Familiengründungsphase seien und zum Beispiel eine teure Immobilie erwerben müssten. Auch wird der Unmut über eine versteinerte katholische Kirche genannt.

 

Ähnliche Erfahrungen werden auch bei den Protestanten gemacht. Viele Menschen glaubten an einen Gott, könnten aber mit der Institution Kirche nichts mehr anfangen.

 

Halten wir also fest: Es ist das Verhalten der Kirchenvertreter und weniger der Inhalt der Lehre, welche in jüngster Zeit zu vermehrten Kirchenaustritten geführt hat.

 

Auf den ersten Blick erscheint ein solches Verhalten durchaus verständlich. Sollte man nicht erwarten, dass die Führer der Kirchen mit gutem Beispiel vorausgehen und sich in besonderem Maße moralisch einwandfrei verhalten?

 

Aber ein solches Verhalten könnte nur dann erwartet werden, wenn die Auswahl der Priester vorrangig nach moralischen Gesichtspunkten erfolgen würde. Nun werden die Kirchen sicherlich zwar nicht Kandidaten zum Priester weihen, wenn diese sich offen amoralisch verhalten haben. Aber nur Gott kann in die Seelen schauen, wir Menschen können nie sicher sein, ob ein Anderer ein gutes Verhalten nur vortäuscht oder ob er es ehrlich meint.

 

Das offizielle Kriterium für die Auswahl zum Priester ist jedoch das theologische Examen, also auch innerhalb der Kirchen hängt der Aufstieg von der Fachkompetenz und nicht vom moralischen Niveau der Kandidaten ab. Auch die Kirchenorganisation ist so komplex geworden, dass ohne ein bestimmtes Sachwissen keine Pfarrei oder kein Bistum geleitet werden kann.

 

Wenn aber die Fachkompetenz darüber entscheidet, wer zum Priester geweiht wird, muss davon ausgegangen werden, dass sich das moralische Niveau der kirchlichen Würdenträger in Nichts vom moralischen Niveau einer beliebigen anderen größeren Auswahl von Individuen unterscheidet. Die Menschen sind nun einmal so veranlagt, dass immer ein bestimmter Prozentsatz beliebig ausgewählter Individuen sich amoralisch verhält, sofern die ausgewählte Menge nur groß genug ist, dass Zufallserscheinungen ausgeschlossen werden können.

 

Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass unter den kirchlichen Würdenträgern auch nicht viel weniger Individuen vorhanden sind, welche sich moralisch einwandfrei verhalten als in anderen gesellschaftlichen Einrichtungen. Besonders die katholische Kirche hat weltweite Machtstrukturen, es drängen dann auch Führungskräfte innerhalb der Kirche an Machtpositionen, für die nicht an erster Stelle kirchliche Werte und Ziele stehen. Sie benutzen die vorhandenen Machtpositionen in der Kirche, um zu Macht zu gelangen. Dass die Gläubigen eher bereit sind, den religiösen Führern bedingungslos zu folgen als anderen Führungskräften, unterstützt diese Tendenz sogar.

 

Dass es auch unter den religiösen Führungskräften schwarze Schafe gibt, darauf hat Jesus selbst hingewiesen. In Matthäus 24,23-28 heißt es: ‚Wenn dann jemand zu euch sagt: Seht, hier ist der Messias, oder: Da ist er! so glaubt es nicht! Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten und sie werden große Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, auch die Auserwählten irrezuführen. Denkt daran: Ich habe es euch vorausgesagt.‘

 

Auch die Bibel ist voll von Hinweisen auf unmoralisches Verhalten nicht etwa des einfachen Volkes, sondern gerade der religiösen Führer.

 

So betrog etwa Jakob seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht.

 

Moses erschlug, bevor er die Israeliten aus Ägypten herausführte, einen ägyptischen Aufseher und verscharrte diesen.

 

David schwängerte die Frau eines Offiziers und als es nicht mehr verheimlicht werden konnte, dass diese Frau schwanger war, befahl David ihren Mann an die vorderste Front zu schicken an eine Stelle, an der er mit Sicherheit getötet werde. Das war nicht nur Ehebruch, sondern Mord aus niederen Gelüsten.

 

Salomon ließ für eine seiner zahlreichen Nebenfrauen in dem heiligen Jerusalem einen Götzentempel bauen und verstieß damit gegen das erste mosaische Gebot.

 

Legen wir den Text des zweiten Buches von Moses Exodus Kapitel 20 zugrunde, so lautet dieses erste Gebot wie folgt:

 

‚Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.‘

 

Auch das Neue Testament kennt Verfehlungen der von Gott Auserwählten. Nehmen wir die Verleugnung Jesu durch Petrus. Wenn Petrus Jesus vor dem Hohepriester oder vor Pilatus verleugnet hätte, könnte man diese Schwäche verstehen, hätte doch das Eingeständnis, Jünger Jesu zu sein, sicherlich zum Tode geführt. Petrus verleugnete jedoch Jesus vor einer harmlosen Magd im Vorhof des Hohepriesters. Hier hätte das Bekenntnis des Petrus sicherlich zu keinen ernstzunehmenden Folgen für ihn selbst geführt.

 

Auch hätte man noch verstehen können, wenn Petrus, vollkommen überrascht von dieser Frage, instinktiv geleugnet hätte, Jesus zu kennen. Petrus hatte jedoch dreimal hintereinander Jesus verleugnet. Von Bedeutung ist auch, dass Jesus diese Verleugnung vorausgesagt hatte.

 

Wenn in den Augen Jesus die Verleugnung eine nicht wiedergutzumachende Untat gewesen wäre, hätte Jesus sicherlich Petrus nicht zu seinem Stellvertreter hier auf Erden gemacht. Jesus kennt also offensichtlich die Schwächen der Menschen und macht seine Entscheidungen nicht davon abhängig, ob seine wahren Jünger rein von jeder Verfehlung sind. Man kann noch so große Verfehlungen immer wieder dadurch reinwaschen, dass man seine Untaten ehrlich bereut.

 

Petrus frug Jesus, wie oft er denn seinem Bruder vergeben solle, wenn er sich gegen ihn versündige. Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. Und dies bedeutet immer. Und diese Verpflichtung gilt gegen Jedermann, auch gegen die geistlichen Würdenträger. (Matthäus 18,21-22)

 

Die Zugehörigkeit zu einer der christlichen Kirchen sollte also nicht vom Verhalten einzelner Würdenträger, sondern vom Inhalt der christlichen Lehre abhängig gemacht werden. Und dieser lässt sich auf zwei Grundwerte zurückführen: auf die Gottesliebe und auf die Nächstenliebe.

 

Auf die Frage eines Pharisäers, worin Jesus das wichtigste Gebot sehe, entgegnete Jesus: (Matthäus 22,34-40)

 

‚Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie (bei ihm) zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.‘

 

Diese Feststellung bedarf der Erläuterung. Es ist zunächst verwunderlich, dass dann, wenn Gottes Gebot und das Gebot der Menschen in einen Konflikt geraten, beide Gebote gleichen Wert erhalten sollten. Steht nicht Gottes Gebot stets über den Geboten der Menschen?

 

Die Feststellung, dass die Nächstenliebe ebenso wichtig sei wie das Gebot der Liebe Gottes, ist aber auch anders zu verstehen. Bei Markus Kapitel 12,28–34 lesen wir:

 

‚Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.

 

Und bei Jesaia 1,11 heißt es schon:

 

‚Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern?‘ spricht der Herr. Die Widder, die ihr als Opfer verbrennt, und das Fett eurer Rinder habe ich satt; das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider.‘

 

Die Liebe zu Gott äußert sich somit nicht darin, dass man Gott Opfer bringt, sondern darin, dass man den Nächsten achtet, ihm kein Leid zufügt und ihm hilft, wenn er in Not ist.

 

Die Feststellung Jesu ist aber auch noch aufgrund eines weiteren Umstandes verwunderlich. Jesus sagte: ‚An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.‘

 

Dies will besagen, dass man alle gültigen mosaischen Gesetze letzten Endes auf diese beiden Forderungen zurückfahren kann. So hatte z. B. Jesus gezeigt, dass die Forderung nach Sonntagsruhe nicht bedeute, dass man am Sonntag nicht heilen dürfe. Denn das Gebot der Sabbattruhe ist für den Menschen da, also ist es auch nichts Schlechtes, wenn man am Sonntag andern Menschen Gutes tut.

 

Da also alle Menschen, auch die Würdenträger der christlichen Kirchen, unvollkommen sind und deshalb immer wieder unmoralisches Verhalten aufweisen, sollte man die Frage, ob man sich zum christlichen Glauben bekennen soll, nicht primär davon abhängig machen, wie sich die christlichen Führer verhalten, sondern ob man die Grundwerte des Christentums bejaht.

 

Natürlich ist es in höchstem Maße erwünscht, dass die Kirchen selbst größere Anstrengungen machen, um Verfehlungen so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig sollten aber auch Andersgläubige und diejenigen, welche vom Glauben abfallen, nicht als Abtrünnige, die es zu bestrafen gilt, angesehen werden, sondern mit Papst Franziskus als irregeleitete Brüder (und Schwestern) verstanden werden, denen man Achtung und Nächstenliebe schuldet.

 

In der Lutherbibel lesen wir: ‚Mein ist die Rache‘. Diese Aussage ist nicht so zu verstehen, dass unser Gott ein rachsüchtiger Gott ist, ganz im Gegenteil halten Christen ihren Gott für gerecht, barmherzig und gütig. ‚Mein ist die Rache‘ will vielmehr besagen, dass es nicht Sache der Menschen, sondern Gottes allein ist, die Menschen zu bestrafen. Er kann allein in die Seelen der Menschen schauen und deshalb den sündigen Menschen auch gerecht beurteilen.

 

Wie mit sündigen Menschen zu verfahren ist, wird im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13,24-30) dargelegt:

 

Und Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg.  Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune ‚.