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Zur Koalitionsfähigkeit der Parteien in der BRD

 

Gliederung:

1. Zur Einführung

2. CDU und FDP

3. SPD und Grüne

4. CDU und SPD

5. SPD und FDP

6. CDU und Grüne

7. SPD und Linke

8. Grüne und FDP

9. Ausblick

 

 

Zur Einführung

 

Bekanntlich unterscheidet man im Hinblick auf das Wahlrecht zwischen einem Mehrheits­- und einem Verhältniswahlrecht. Rein formal gesehen zeichnet sich ein Mehrheits­wahlrecht dadurch aus, dass jeweils die Kandidaten ins Parlament gewählt werden, die in einem Wahlbezirk die Mehrheit erlangt haben, wobei die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten unter den Tisch fallen. Beim Verhältniswahlrecht hingegen erreichen die einzelnen Parteien jeweils im Parlament prozentual genau den gleichen Prozentsatz an Sitzen, mit dem sie im Durchschnitt in den einzelnen Wahlbezirken abgeschnitten hatten. Erreichte also eine Partei im gesamten Bundesgebiet 35% der Stimmen, würde auch die Anzahl der Sitze dieser Partei im Parlament gerade 35% betragen.

 

Mehrheitssysteme führen dazu, dass es nur wenigen großen Parteien gelingt, ins Parlament einzuziehen und dass im Wesentlichen zwei große Parteien um die Macht ringen, wobei eine Partei in der Regel die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringt und als einzige Partei somit eine Regierung bilden kann. Verhältniswahlrechtsysteme zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass zumeist eine Vielzahl von Parteien im Parlament Sitze errungen hat, dass keine Partei in der Regel die absolute Mehrheit erlangt und dass deshalb der Zwang besteht, mit einer oder auch mehreren Parteien eine Koalitionsregierung zu bilden.

 

Das Mehrheitswahlrecht ist vor allem in Großbritannien und in den USA verwirklicht, während in der Vergangenheit in der Weimarer Republik und in der Nachkriegszeit in mehreren kontinentaleuropäischen Staaten das Verhältniswahlrecht angewandt wird. In der BRD haben wir ein Mischsystem beider Wahlrechtsformen. Jeder Wähler hat bei der Wahl zum Bundestag zwei Stimmen, wobei die erste Stimme ähnlich wie beim Mehrheitswahlrecht darüber entscheidet, welcher Kandidat in den einzelnen Wahlbezirken die Mehrheit erlangt hat und deshalb in den Bundestag einzieht.

 

Die zweite Stimme hingegen stellt ähnlich wie beim reinen Verhältniswahlrecht sicher, dass die Sitzverteilung im Parlament in etwa der Verteilung der Wählerstimmen auf die einzelnen Parteien entspricht; nicht exakt, sondern nur in etwa, weil jeder Kandidat, der mit den Erststimmen die Mehrheit in einem Wahlbezirk erlangt hat, auf jeden Fall einen Sitz im Parlament erhält und auf diese Weise u. U. Überhangmandate (also zusätzliche Parlamentssitze) gebildet werden müssen. Jedem Kandidaten, der die Mehrheit in einem Wahlbezirk erlangt hat, wird der Einzug in den Bundestag ermöglicht auch dann, wenn auf diese Weise die Partei, welche als Sieger aus den Wahlen hervor­gegangen ist, prozentual mehr Parlamentssitze erringt als es dem Stimmenverhältnis entspricht.

 

In der Bundesrepublik Deutschland ist das Wahlrecht zusätzlich dadurch dem Mehrheitswahlsystem angenähert, dass eine Partei nur dann in den Bundestag einziehen kann, wenn sie mindestens 5% der gesamten Wählerstimmen erlangt hat. Auf diese Weise wird verhindert, dass viele kleine Parteien entstehen und es damit notwendig wird, Koalitionen zu bilden.

 

In meinem Artikel  „Vom Wandel der Parteienstruktur und ihrer Bedeutung für die Wohlfahrt der Bevölkerung“ hier im Internet habe ich dargelegt, weshalb ein Mehrheitswahlrecht einem Verhältniswahlrecht in mehreren Punkten überlegen ist. Das Mehrheitswahlsystem ist im Allgemeinen stabiler als ein Verhältniswahlrecht. Verhältniswahlsysteme führen sehr oft dazu, dass Koalitionsregierungen mit einer hauchdünnen Mehrheit gebildet werden, ja sogar, dass bisweilen eine Minderheitsregierung gebildet werden muss, da es keiner Koalition gelingt, die Mehrheit der Parlamentssitze zu erringen.

 

Dies hat zur Folge, dass die Regierung fast bei jeder Abstimmung im Parlament darum bangen muss, ob ihre Gesetzesvorlage auch eine Mehrheit findet, es reicht dann im Einzelfall zu einem Scheitern der Regierung aus, dass einige wenige Mitglieder ihrer eigenen Partei – z. B. aus Gesundheitsgründen – nicht an der Abstimmung im Parlament teilnehmen.

 

Mehrheitswahlsysteme zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass sie zumeist über eine satte Mehrheit im Parlament verfügen. Die Regierung kann sich darauf verlassen, dass ihre Gesetzesvorlagen im Parlament auf jeden Fall eine Mehrheit finden, selbst dann, wenn einige Abgeordnete daran gehindert sind, an der Abstimmung im Parlament teilzunehmen oder einige Mitglieder der eigenen Partei gegen die Gesetzesvorlage votieren.

Ein weiterer Vorteil eines Mehrheitswahlrechtes liegt darin, dass dieses System sensibler auf die Stimmung in der Bevölkerung reagieren kann. Es reicht dann aus, wenn ein etwas größerer Anteil der Wähler mit der Regierung unzufrieden ist und deshalb bei der nächsten Wahl zum Parlament seine Stimme der bisherigen Opposition gibt, um ein Wechsel in der Regierung zu erzwingen.

Bei einem Verhältniswahlrecht können auch große Teile der Bevölkerung mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sein und deshalb bei der Wahl die Partei wechseln, es kommt aber trotzdem nicht zu einem Regierungswechsel, weil schon bisher der größte Teil der auf dem Boden der Verfassung stehenden Parteien der bisherigen Regierung angehört hat. Wahlen führen dann lediglich dazu, dass einige kleinere Parteien und auch Spitzenpolitiker ausgewechselt werden, dass aber die Politik der neuen Regierung weitgehend unverändert bleibt.

Die größere Sensibilität des Mehrheitswahlrechts bringt dann auch im Vergleich zum Verhältnis­wahlrecht eine größere Stabilität in langfristiger Hinsicht mit sich. Wenn nämlich der Unmut der Wähler nicht dazu führt, dass die bisherige Regierung abgewählt werden kann, dann steigt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung an und dieser wachsende Unmut hat zur Folge, dass sich immer größere Teile der Wählerschaft radikalen Parteien zu wenden, die allenfalls oberflächlich auf dem Boden der Verfassung stehen, aber das Ziel verfolgen, dann, wenn sie die Mehrheit im Parlament erlangt haben, die Verfassung außer Kraft zu setzen.

Das Wählerverhalten zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist ein gutes Beispiel für diesen Zusammenhang. Vergleichen wir hierzu die Entwicklung in den USA (mit einem Mehrheitswahlrecht) im Vergleich zur Weimarer Republik Deutschlands (mit einem Verhältniswahlrecht). Beide Länder wurden von einer starken Depression und mit einer – mehrere Millionen umfassenden – Massenarbeitslosigkeit erfasst. In den USA hatte die republikanische Partei unter Herbert Hoover die bisherige Regierung gebildet, die Massenarbeitslosigkeit hatte dazu geführt, dass die Republikaner bei der nächsten Wahl die Mehrheit verloren und dass nun die demokratische Partei unter Franklin D. Roosevelt die Regierung übernahm.

In Deutschland hingegen bestanden Koalitionsregierungen, welche nahezu alle auf dem Boden der Weimarer Verfassung stehenden Parteien (vor allem die Sozialdemokraten, das Zentrum und die liberale Volkspartei) umfassten. Der Umstand, dass auch bei großer Unzufriedenheit der Wähler kein entscheidender Wechsel der Regierung möglich war, führte dann dazu, dass sich immer mehr Wähler den radikalen Parteien zugewendet haben, die arbeitslosen Arbeitnehmer den Kommunisten und die in Konkurs gegangenen mittelständischen Unternehmer und die meisten Fachkräfte den Nationalsozialisten. Die Folge war, dass bei der letzten noch demokratischen Wahl zum Parlament die auf dem Boden der Verfassung stehenden bürgerlichen Parteien die Mehrheit verloren und der Reichspräsident (Hindenburg) eine rechtsradikale Koalition mit Hitler als Reichskanzler eingesetzt hat.

So trug die größere Sensibilität des Mehrheitswahlrechts auch zu einer größeren langfristigen Stabilität bei, die darin bestand, dass die Gefahr einer Revolution geringer war als bei einem Verhältniswahlrecht. Die Unzufriedenheit der amerikanischen Bürger schlug sich darin nieder, dass die bisherige Regierung abgewählt wurde und dass die bisherige Opposition die Wahlen für sich entschied. Es war somit möglich, dass die Unzufriedenheit der Bürger mit der bisherigen Regierung zu einer auf dem Boden der demokratischen Verfassung stehenden Lösung führte. In Deutschland hingegen waren bereits nahezu alle Parteien, welche die Weimarer Verfassung bejahten, in den vorangegangenen Koalitionsregierungen beteiligt, mit der Folge, dass eine Abwahl der bisherigen Regierung dazu führte, dass radikale, die Verfassung verneinende Parteien die Macht ergreifen konnten.

Ein dritter Vorteil eines Mehrheitswahlrechts besteht darin, dass die einzelnen Parteien gezwungen werden, die Interessen aller oder zumindest der meisten Bevölkerungsgruppen zu vertreten, während bei einem Verhältniswahlrecht die Parteien zumeist die Interessen einer einzigen Bevölkerungsgruppe vertreten; diese Parteien können trotzdem darauf hoffen, an der Regierung beteiligt zu werden, da es keiner Partei gelingt, die Mehrheit der Stimmen zu erlangen und da deshalb eine Koalition mit mehreren Parteien notwendig wird.

Es besteht also bei einem Mehrheitswahlrecht für die Parteien der Zwang als Volksparteien aufzutreten, welche die Interessen fast aller größeren Bevölkerungsgruppen mit vertreten. Nur eine Partei, welche einen Kompromiss zwischen den Interessen der einzelnen Bürger anstrebt, hat Chancen, die Mehrheit zu erlangen. Demgegenüber ist es bei einem reinen Verhältniswahlrecht für die Parteien sehr viel erfolgversprechender, extreme Positionen zu beziehen, welche lediglich auf die Interessen einzelner Gruppen Rücksicht nehmen, aber gerade deshalb sehr viel besser die Interessen dieser Gruppen zum Ausdruck bringen können.

Als Nachteil eines Mehrheitswahlrechts wird im Allgemeinen darauf abgehoben, dass die Verteilung der Parlamentssitze nur bei einem Verhältniswahlrecht der Verteilung der abgegebenen Stimmen entspräche, während bei einem Mehrheitswahlrecht das Gewicht der jeweils siegenden Partei im Parlament sehr viel größer sei als es der Stimmenanzahl bei den Wahlen entspreche.

Die Feststellung also solche, dass die regierende Partei prozentual über mehr Stimmen verfügt als es dem Prozentsatz der Stimmen entspricht, welche für die Regierung abgegeben wurden, ist formal sicherlich richtig. Machen wir uns diesen Zusammenhang an einem extremen Fall klar. Unterstellen wir, dass die Partei, welche die Wahlen gewinnt, in jedem Wahlbezirk gerade 51% der Stimmen erreicht habe. Dies hätte zur Folge, dass die Regierungspartei über sämtliche Parlamentssitze verfügen würde, da ja die Stimmen der nicht gewählten Parteien bei diesem Wahlsystem unter den Tisch fallen würden. Im Parlament würde also die Regierung über 100% der Stimmen verfügen, obwohl sie annahmegemäß nur 51% der Stimmen erhalten hatte. Das Parlament spiegelt also hier nicht mehr die Zusammensetzung der Wähler wider.

Nun treten natürlich solche Extremfälle in Wirklichkeit nicht auf, da jede Partei über Hochburgen verfügt, in welcher sie eindeutig zu den Siegern zählt. Trotzdem bleibt bestehen, dass die regierende Partei in der Regel über weit mehr Stimmen im Parlament verfügt, als es dem Stimmenanteil bei den Wahlen entspricht.

Fragen wir uns jedoch, ob dieser Nachteil so gravierend ist, dass aus diesen Gründen auf die oben aufgezählten Vorteile verzichtet werden sollte. Da wir davon ausgehen müssen, dass bei einem Verhältniswahlrecht immer mehrere Parteien eine Regierung bilden und da in aller Regel rein rechnerisch fast immer mehrere Koalitionen nach einem Wahlausgang denkbar sind, hat der Wähler mit seiner Wahlstimme auch nur einen denkbar geringen Einfluss auf die tatsächliche Politik der Regierung. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn sich die Parteien vor der Wahl eindeutig festlegen würden, mit welchen anderen Parteien sie bei einem Wahlsieg zu koalitionieren gedenken und welche anderen Koalitionen sie auf jeden Fall ausschließen.

Hierzu sind jedoch im Allgemeinen die Parteien nicht bereit, einfach deshalb, weil bei einer vorherigen Festlegung die Möglichkeiten, eine funktionsfähige Regierung zu bilden, wesentlich geringer sind als dann, wenn sie sich nicht von vornherein festlegen. Gerade weil beim Mehrheitswahlrecht eine Partei nur dann eine Regierung bilden kann, wenn sie alle größeren Bevölkerungsgruppen anspricht und deshalb unter dem Zwang steht, bereits vor der Wahl die angestrebten Kompromisse offenzulegen, hat der Wähler hier selbst zu entscheiden, welche Alternativen, die in den Parteiprogrammen angeboten werden, ihm am besten entsprechen.

Beim Verhältniswahlrecht hingegen schwindet dieser Einfluss des Wählers, da bei der gleichen Abgabe der Wahlstimmen nach der Wahl die unterschiedlichsten Kompromisse zustande kommen können. Es fragt sich, ob aufgrund dieses Sachverhaltes wirklich davon gesprochen werden kann, dass der Wählerwille beim Mehrheitswahlrecht wegen der abweichenden Sitzverteilung im Parlament nicht oder zumindest weniger als beim Verhältniswahlrecht zum Zuge kommt.

Auch gilt es zu bedenken, dass die einzuschlagende Politik immer von der Regierung vorgegeben wird, gleichgültig ob nun die Verteilung der Parlamentssitze der Verteilung der Wählerstimmen entspricht oder nicht. Und wenn die Regierungspolitik von einer Partei festgelegt wird, welche in der Mehrzahl der Wahlbezirke die Mehrheit erlangt hat, kommt der Wille der Mehrheit der Bevölkerung zumindest genauso gut zum Zuge wie dann, wenn die Sitzverteilung im Parlament genau der Verteilung der Wählerstimmen entsprechen würde.

Es entspricht gerade nicht den Leitideen einer indirekten parlamentarischen Demokratie, wenn bei jeder politischen Einzelentscheidung genau die Vorstellungen verwirklicht werden, welche gerade von der Mehrheit der Wähler bevorzugt würden. Ein System der parlamentarischen Demokratie trägt dazu bei, dass das gesamte Regierungsprogramm schlüssig und wider­spruchsfrei ist, während dann, wenn bei jeder einzelnen Entscheidung der Wille der Mehrheit der Bevölkerung zum Zuge käme, unter Umständen recht widersprüchliche Einzelentscheidungen zustande kämen.

Karl Raimund Popper hatte einmal davon gesprochen, dass das wichtigste Ergebnis einer Demokratie darin besteht, dass eine Regierung dann abgewählt werden kann, wenn die Regierungspolitik immer weniger den Vorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Nun kann der Wille der Mehrheit sehr wohl den Grundprinzipien einer freiheitlichen Demokratie widersprechen, dann nämlich, wenn die Mehrheit den Willen der Minderheit unterdrückt. Gerade deshalb ist für ein freiheitliches System der Demokratie genauso wichtig wie die Abwahlmöglichkeit unliebsamer Politiker, dass jeder noch so kleinen Bevölkerungsgruppe gewisse Mindestrechte als unabdingbare Grundrechte zustehen. Das weitere Ziel, dass sich bei jeder Einzelentscheidung der Wille der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt ist – gegenüber diesen beiden grundlegenden Zielen – nachrangig.

Nun sollte man sich allerdings keine Illusionen darüber machen, dass es in naher Zukunft politisch wahrscheinlich würde, das erwünschte Mehrheitswahlrecht auch in der BRD einzuführen. Die Veränderung des Wahlrechts bedarf einer Änderung des Grundgesetzes, welche nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 beschlossen werden kann.

Rein rechnerisch könnte natürlich eine solche Grundgesetzänderung mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD erreicht werden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die beiden großen Parteien zu einer solchen Änderung in naher Zukunft bereit sein werden. Ein Teil der SPD-Abgeordneten dürfte einerseits aus grundsätzlicher Überzeugung gegen die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes sein, da das Übergewicht der jeweils bei den Wahlen obsiegenden Partei im Parlament als ungerecht angesehen wird. Andererseits ist die SPD aber auch auf die kleineren möglichen Koalitionspartner vor allem auf die Grünen angewiesen, deren Chancen, Regierungsverantwortung zu übernehmen, bei einem Mehrheitswahlrecht schwinden und die sich deshalb gegen eine solche Verfassungsänderung aussprechen würden. Für die CDU/CSU gilt das gleiche Argument im Hinblick auf den möglichen Koalitionspartner FDP.

Angesichts dieser Schwierigkeiten kommt es darauf an, im Sinne einer zweitbesten Lösung die Möglichkeiten der Koalitionsbildung zwischen den einzelnen im Parlament vertretenen Parteien zu verbessern. Grundsätzlich gilt, dass alle diejenigen Koalitionen möglich sein sollten, bei denen alle Parteien, welche einer Koalitionsregierung möglichweise angehören, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Andererseits sind natürlich nur solche Bündnisse sinnvoll, bei denen zwischen den – eine Koalitionsregierung bildenden – Parteien eine genügend große gemeinsame Schnittstelle von Lösungsmöglichkeiten gegeben ist. Ob zwei oder mehrere Parteien eine gemeinsame Koalitionsregierung bilden, sollte keine Frage der gemeinsamen Sympathie der einzelnen Partner sein, sondern allein danach entschieden werden, ob es eine ausreichende gemeinsame Schnittfläche zwischen den Wahlprogrammen der betreffenden Parteien gibt.

Dieser Grundsatz wird auch im Allgemeinen von allen möglichen Koalitionspartnern anerkannt, es fragt sich jedoch, ob die Parteien auch in den konkreten Koalitionsverhandlungen nach diesem Grundsatz handeln. Gerade das Beispiel der Koalitionsverhandlungen nach der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen lassen Zweifel aufkommen, ob nicht doch persönliche Rivalitäten den Ausschlag dafür gaben, dass bestimmte Koalitionen von vorn­herein ausgeschlossen wurden.

Es ist nur schwer nachzuvollziehen, dass z. B. die  SPD eine Koalition mit der CDU grundsätzlich ausschloss und gleichzeitig eine Regierung mit der Linken für möglich hielt und sich schließlich auch für eine Minderheitsregierung entschied, bei welcher der Linken eine entscheidende de facto Beteiligung bei Einzelentscheidungen im Parlament zukommt, und dies obwohl führende Mitglieder der Linken es ablehnen, die ehemalige DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen oder auch einzelne Mitglieder den Mauerbau und den Schießbefehl verteidigt haben.

Ich möchte mich in den folgenden Ausführungen mit der Frage befassen, welche Parteien denn miteinander koalitionieren können. Ich möchte diese Frage jeweils anhand von vier  Kriterien diskutieren.

Weisen die betreffenden Parteien erstens eine mehr oder weniger große Schnittstelle gemeinsamer Programme auf, die eine Koalitionsbildung erwünscht sein lassen? Hierbei gehe ich weniger auf die einzelnen Äußerungen der Führungs­mitglieder dieser Parteien ein, sondern möchte nach der grundsätzlichen Übereinstimmung bestimmter ideeller Systeme wie z. B. des Liberalismus und eines ökologischen Systems, so wie sie in der Wissenschaft entwickelt wurden, fragen.

Zweitens gilt es zu klären, inwieweit denn in der Realität gerade in diesen Fragen, in denen die potentiellen Koalitionspartner eine Gemeinsamkeit aufweisen, ein Reformbedarf besteht? Gemeinsame Vorstellungen über Bereiche, die bereits befriedigend gelöst sind, sind bei der Frage der Koalitionsfähigkeit von geringerer Bedeutung.

Drittens soll untersucht werden, ob nach allgemeiner Auffassung diese Parteien auch die Kompetenz zur Lösung dieser Fragen aufweisen, also auch geeignete Mittel vorsehen, welche zu einer Lösung der anstehenden Probleme geeignet sind. Es reicht eben nicht aus, dass man berechtigte Ziele verfolgt, diese Ziele lassen sich nur dann realisieren, wenn auch geeignete Mittel zur Lösung der anstehenden Probleme eingesetzt werden.

Viertens schließlich muss auch überprüft werden, inwieweit unter Umständen die Beteiligung einer Partei die bestehende parlamentarische und marktwirtschaftliche Ordnung gefährdet. Wenn eine Partei nicht auf dem Boden der Verfassung steht, kommt es auch nicht darauf an, ob in einzelnen Fragen eine Überstimmung zwischen zwei Parteien besteht. Wenn die Gefahr besteht, dass eine Partei, wenn sie einmal an der Macht ist, diese dazu nutzen wird, die Verfassung außer Kraft zu setzen, muss die Erwünschtheit einer solchen Koalition verneint werden.

 

2. CDU und FDP

Beginnen wir nun mit der Untersuchung, mit welchen Parteien eine Koalitionsregierung möglich und erwünscht erscheint. Als erstes sei das Verhältnis zwischen CDU/CSU und FDP untersucht. Hierbei wollen wir die CDU und CSU als eine einzige Partei betrachten, obwohl es sich natürlich formal gesehen um zwei selbständige Parteien handelt.

Wenden wir uns zunächst dem ersten Beurteilungskriterium: der Frage nach den gemeinsamen Programmpunkten zu. Es handelt sich hier wohl – wenn man sich auf die Bundes- und Landesebene beschränkt – um eine Koalition, welche in der Vergangenheit am meisten realisiert wurde. Es kann auch kein Zweifel bestehen, dass aus der Sicht der Parteiprogramme sowie der Grundziele dieser beiden Parteien beide Parteien in weiten Strecken identische Ziele verfolgen. Es war vor allem Ludwig Erhard, der zu Beginn der BRD maßgebend für die Einführung der sozialen Marktwirtschaft verantwortlich war und der damit die Grundideen des Ordoliberalismus, so wie sie von Walter Eucken in Deutschland entwickelt wurden, übernommen hatte. Eines der Grundanliegen der FDP hingegen ist gerade auch die weitmöglichste Verwirklichung liberaler Konzeptionen.

Natürlich kann man nicht davon sprechen, dass beide Parteien nun über identische Programme verfügen und dass es sich deshalb insoweit eigentlich gar nicht – zumindest in ideeller Hinsicht – um zwei eigenständige Parteien handele. Die CDU unterscheidet sich zur FDP vor allem dadurch, dass sie in starkem Maße durch christliche Ideale geprägt ist und auch sehr starke konservative Wurzeln hat, während die FDP zumindest in der Vergangenheit keinerlei religiöse Wurzeln kennt und auch zumindest die Art von konservativen Werten, welche im Mittelpunkt der CDU besonders auch der CSU stehen, strikt ablehnt. Die gemeinsame Grundüberzeugung beider Parteien beschränkt sich deshalb auch im Wesentlichen auf den wirtschaftspolitischen Bereich, während sich – vor allem bei der Durchsetzung ethischer Werte – die Grundvorstellungen beider Parteien grundsätzlich unterscheiden.

 Nun scheint zumindest auf den ersten Blick diese Feststellung einer weitgehenden Übereinstimmung in wirtschaftspolitischen Fragen dem Umstand zu widersprechen, dass die augenblicklich regierende Koalition zwischen CDU/CSU und FDP entgegen den Erwartungen vor der Koalitionsbildung mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und sich sehr viel schwerer tat, eine Einigung über den einzuschlagenden Weg zu finden, als dies z. B. zwischen CDU und SPD in der vorangegangenen großen Koalition der Fall war.

Nun scheinen mir diese realen Schwierigkeiten beider Parteien weniger an den grundsätzlichen Positionen, sondern eher daran zu liegen, dass vor allem die FDP zunächst Positionen bezog, die der realen Wirklichkeit in keinster Weise entsprachen. Die FDP hatte vor der Wahl beachtliche Steuersenkungen versprochen und vermeinte nun auf Biegen und Brechen diese Konzeption durchsetzen zu müssen.

Dabei hätte die FDP ohne weiteres – ohne das Gesicht zu verlieren – diese Pläne zurückstellen können, da auf der einen Seite die augenblickliche Konjunkturlage es verbat, mit einer beachtlichen Steuersenkung die Regierungsarbeit zu beginnen und da auf der anderen Seite die FDP als wesentlich kleinerer Koalitionspartner stets hätte darauf verweisen können, dass sie in dieser Frage von dem Koalitionspartner überstimmt wurde. Eine Koalitionsregierung kann eben immer nur solche Ziele verwirklichen, die von beiden Koalitionspartnern geteilt werden.

Ob eine Koalition möglich und erwünscht ist, hängt jedoch nicht nur davon ab, ob es eine ausreichend große übereinstimmende Schnittfläche gemeinsamer Ziele zwischen zwei Parteien gibt, sondern zweitens auch davon, ob es in diesen Fragen einen Handlungsbedarf gibt. Ist der Handlungsbedarf groß, besteht also ein Reformstau in bestimmten Fragen, so wächst auch die Bereitschaft der Wähler, solche Parteien zu wählen, welche die Kompetenz für die Lösung dieser Fragen besitzen bzw. in den Augen der Wähler zu besitzen vermögen. Gleichzeitig ist es auch aus übergeordneter Sicht erwünscht und notwendig, dass Parteien mit solchen Eigenschaften an die Macht gelangen.

Nun könnte man im Hinblick auf die gemeinsamen Zielvorstellungen von CDU und FDP die Meinung vertreten, dass die Ziele einer sozialen Marktwirtschaft bereits in ausreichendem Maße realisiert seien, dass also gerade im Hinblick auf die gemeinsamen Parteiprogramme beider Parteien im Augenblick kein Handlungsbedarf bestehe und dass aus diesem Grunde eine gelb-schwarze Koalition augenblicklich auch nicht erwünscht sei.

Diese Auffassungen mögen zwar bei den linken Parteien und in Teilen der öffentlichen Medien weit verbreitet sein, trotzdem scheint mir diese Einstellung mehr als fraglich. Etwa 30% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) werden für soziale Zwecke ausgegeben, der Anteil der Staatsausgaben für soziale Zwecke beträgt mehr als 47% des BIP.

Das bedeutet, dass nahezu 2/3 der öffentlichen Ausgaben für soziale Zwecke verwendet wird. Bei diesem erschreckend hohen Anteil sowohl der Staatsausgaben insgesamt und der Sozialausgaben im Besonderen sollte man doch vermuten, dass es in der BRD keine Armut gibt, dass die schwächeren Bevölkerungsgruppen ausreichend versorgt werden. Wenn wir hingegen die Armutsberichte heranziehen, so werden immer wieder in hohem Maße das Anwachsen der Armutsquote sowie die vollkommen nicht ausreichenden Maßnahmen zugunsten der Ärmsten unserer Gesellschaft beklagt.

Diese Diskrepanz zwischen dem faktischen Umfang der Maßnahmen zugunsten der Armen und der tatsächlichen Situation der Begünstigten sollte eigentlich Zweifel aufkommen lassen, ob wir mit unserem Sozialstaat in der bisherigen Form wirklich den richtigen Weg beschritten haben und ob nicht gerade in dieser Hinsicht Reformbedarf besteht.

Hierbei ist zu betonen, dass nicht der Umfang der sozialen Hilfen als solche unerwünscht ist; wenn es tatsächlich so viel Arme gibt und wenn ihre Gesamtsituation tatsächlich in diesem bedauernswerten Zustand ist, sind wir entsprechend den Zielvorgaben unserer Verfassung zur Hilfe verpflichtet. Alarmierend ist vielmehr die Tatsache, dass es eines solchen Ausmaßes an Hilfen überhaupt bedarf, um den Verpflichtungen eines Sozialstaates nachzukommen. Es kann nicht das Ziel eines Sozialstaates sein, immer mehr Almosenempfänger zu schaffen. Und es bedarf offensichtlich anderer Maßnahmen, um die Ziele der Armutsbekämpfung und der Beschäftigung eines jeden arbeitswilligen Arbeitnehmers zu realisieren. Insofern ist gerade ein Ausbau der bestehenden sozialen Marktwirtschaft vorrangig.

Auch im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung hat sich gezeigt, dass die Ordnung des Finanzsystems unbefriedigend ist und dass gerade in dieser Frage ein hoher Nachholbedarf besteht. Es wäre falsch, wenn man von der Vorstellung ausginge, dass hier die liberale Ordnung versagt habe, dass deshalb dirigistische Maßnahmen notwendig seien und damit eine Abkehr von einer sozialen Marktwirtschaft erwünscht sei. Ganz im Gegenteil muss man feststellen, dass gerade der Ordoliberalismus von Walter Eucken das Haftungsprinzip zu den konstituierenden Prinzipien einer Marktwirtschaft gezählt hat und dies bedeutet, dass der Staat dafür Sorge tragen muss, dass jeder Unternehmer – auch die Bankunternehmungen – für ihre risikobehafteten Entscheidungen die volle Haftung übernehmen müssen. Es sind gerade liberale Grundideen, welche eine Ordnung des Finanzmarktes fordern.

 

Weiter gilt es drittens zu überprüfen, ob CDU und FDP die Kompetenz zur Lösung der anstehenden Probleme besitzen. Es entspricht in der Tat einer weitgehenden Überzeugung in der Bevölkerung, dass sowohl CDU wie auch die FDP unter den zur Diskussion stehenden Parteien die größte Kompetenz zur Lösung dieser anstehenden Probleme besitzen und deshalb auch die geeigneten Maßnahmen zur Überwindung der augenblicklichen Krise einleiten können.

 

Schließlich wäre viertens zu überprüfen, ob von einer Koalition dieser beiden Parteien negative Sekundärwirkungen auf die gesamte wirtschaftliche und politische Ordnung ausgehen. Oftmals wird davon gesprochen, dass die FDP in Wahrheit eine Partei sei, welche die Ziele der unternehmerischen Interessenverbände zu vertreten beabsichtige. So wurde z. B. davon gesprochen, dass die Bevorzugung des Hotelgewerbes im Rahmen des jüngst verabschiedeten Wachstumsgesetzes oder die Verlängerung der Laufzeiten für die bestehenden Atomkraftwerke ein eindeutiges Indiz dafür sei, dass hier von der FDP, aber auch von Teilen der CDU eine reine Interessenpolitik zugunsten der Hotelwirtschaft sowie der Atomindustrie betrieben worden sei.

 

Nun gehen wir in der Wirtschaftswissenschaft davon aus, dass die Menschen ganz überwiegend ihr Eigeninteresse verfolgen, dass aber im Rahmen einer Wettbewerbsordnung trotzdem damit gerechnet werden kann, dass das Gemeinwohl verwirklicht wird, sogar besser als in einer Ordnung, in welcher es den Führungskräften obliegt, stets das Eigenwohl hintanzustellen und das Gemeinwohl zu verfolgen, in welcher jedoch nur dann das Gemeinwohl zum Zuge kommt, wenn sich die Führungskräfte moralisch einwandfrei verhalten und nicht den Verlockungen zu Machtmissbrauch nachgeben.

 

Im Rahmen der politischen Ökonomie unterstellen wir weiterhin, dass es in einer repräsentativen Demokratie stets Interessengruppen gibt, welche den Versuch unternehmen, politischen Einfluss zu nehmen und dass es zur Realisierung des Gemeinwohl wiederum einer Ordnung bedarf, welche Einzel- und Gemeininteressen so kanalisiert, dass trotz Eigenstrebens letztlich das Gemeinwohl verwirklicht werden kann. Angesichts dieser Erkenntnisse reicht es auch nicht aus, darauf hinzuweisen, dass Interessengruppen auf politische Entscheidungen Einfluss genommen haben, es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall des Nachweises, dass auf diese Weise das Gemeinwohl verletzt wurde. Noch einmal: Auch bei Einfluss von Einzelinteressen kann sich sehr wohl das Gemeinwohl durchsetzen, der Nachweis, dass Eigeninteresse im Spiel war, reicht nicht aus, um nachzuweisen, dass bereits dadurch die Gemeinwohlziele verletzt wurden.

 

 

3. SPD und Grüne

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Gemeinsamkeiten SPD und Grüne aufweisen, die ein Zusammengehen beider Parteien nahelegen. Genauso wie eine gelb-schwarze Koalition von den beiden betroffenen Parteien als Wunschkoalition betrachtet wird, gilt auch für ein rot-grünes Bündnis, dass SPD und Grüne selbst ein solches Bündnis als am meisten erwünscht ansehen. Dabei kommen beide Parteien von recht unterschiedlichen Grundideen her. Während die SPD von ihren Wurzeln aus betrachtet als eine Arbeiterpartei gestartet war, die sich nur allmählich zu einer alle Bevölkerungsgruppen ansprechenden Volkspartei weiterentwickelt hat, sind die Grünen als eine Protestgruppe gestartet, welche sich zunächst gegen die bestehende Ordnung richtete und fast nur ein einziges Ziel verfolgte: die Erhaltung oder Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichts.

Nachwievor steht im Mittelpunkt jeder sozialdemokratischen Programmatik das Wohl der Arbeitnehmer, das Ziel der Vollbeschäftigung und der Armutsbekämpfung. Im Zweifel steht das Ziel der Erhaltung von Arbeitsplätzen im Vordergrunde, weshalb z. B. Erhaltung und Förderung des Bergbaus nach wie vor im Mittelpunkt der Zielsetzungen der SPD stehen.

Die Grünen haben sich jedoch allmählich zu einer normalen bürgerlichen Partei entwickelt, welche die Gepflogenheiten einer parlamentarischen Partei übernommen hat und auf der einen Seite ökologische Zielsetzungen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt und andererseits vor allem soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen versucht.

Während der Zeit der Rot-Grünen Koalition auf Bundesebene trafen sich beide Parteien in der gemeinsamen Forderung, den schnellen Ausstieg aus der Atomwirtschaft zu forcieren. Gleichzeitig konnte man nun davon ausgehen, dass die Übernahme und der Ausbau der alternativen Energien nicht mehr wie zu Beginn dieser Entwicklung Arbeitsplätze in großem Umfang bedrohte. Ganz im Gegenteil ist zu erwarten, dass die Forcierung dieser Wirtschaftszweige insgesamt wesentlich mehr neue Arbeitsplätze schafft als dass an anderer Stelle – mit der Reduzierung der traditionellen Energiegewinnung – bestehende Arbeitsplätze vernichtet werden. Die SPD konnte sich nun – ohne ihr Vollbeschäftigungsziel zu verletzen – für den Ausbau der alternativen Energie einsetzen.

Der weitere Umstand, dass sich nun auch die Grünen immer mehr als eine Partei verstehen, welche die Angelegenheiten gerade der ärmeren Bevölkerungsschichten in den Mittelpunkt der Bemühungen rückt, hat die Partei der Grünen der SPD angenähert. Insofern kann man sicherlich davon sprechen, dass beide Parteien durchaus eine große Schnittfläche gleicher Programmatik aufweisen. Aber für die Frage nach der Koalitionsfähigkeit beider Parteien muss auch hier wiederum überprüft werden, inwieweit gerade die Durchsetzung dieser Zielsetzungen augenblicklich vorrangig ist und in diesen Fragen so etwas wie ein Reformstau besteht.

Man könnte durchaus die Meinung vertreten, dass der langfristige Ausstieg aus der Atomwirtschaft bereits beschlossene Sache sei und auch von den übrigen Parteien eigentlich gar nicht in Zweifel gezogen wird, Meinungsverschiedenheiten bestehen vorwiegend nur in der Frage, wie schnell der Ausstieg aus der Atomwirtschaft vollzogen werden soll, während in der Zielsetzung, dass auf lange Sicht die Volkswirtschaft auf die alternative Energiegewinnung umgestellt werden sollte, alle größeren Parteien in der BRD übereinstimmen.

Dabei geht es weniger darum, wie man die mit der atomaren Energiegewinnung verbundenen Gefahren bewertet, sondern vielmehr darum, wie groß die Gefahren eines konjunkturellen Abschwungs bei einer zu schnellen Umstellung eingeschätzt werden. Die Umstellung auf alternative Energien wird auf jeden Fall zu beachtlichen Steigerungen der Energiekosten führen und diese Steigerungen können, wenn sie zu schnell und zu drastisch erfolgen, sehr wohl die Konjunktur erneut einbrechen lassen.

Es muss auch drittens wiederum überprüft werden, ob die entsprechenden Parteien (SPD und Grüne) tatsächlich die Kompetenz zur Lösung der gemeinsam angestrebten Zielsetzungen besitzen, ob sie also auch die Mittel vorzusehen beabsichtigen, welche geeignet erscheinen, um die anstehenden Probleme zu lösen. Man gewinnt oftmals den Eindruck, dass die SPD und die Grünen bisweilen offensichtlich von der Vorstellung ausgehen, dass es ausreicht, die notwendigen Ziele zu verfolgen und dass sie zu wenig danach fragen, inwieweit denn die vorgesehenen Mittel auch geeignet erscheinen, um diese Ziele auch zu erreichen.

Das sicherlich vordringlichste Problem der nächsten Jahre besteht in der Reformierung der Volkswirtschaft, insbesondere der Finanzmärkte, um langfristig zu einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung zu gelangen. Gerade in dieser Frage findet man sowohl bei der SPD wie auch den Grünen oftmals ideologische Positionen, welche zu wenig danach fragen, ob die vorgeschlagenen Instrumente auch tatsächlich zur Lösung der anstehenden Probleme geeignet erscheinen.

Schließlich sollte viertens zur Klärung der Frage nach der Koalitionsfähigkeit von SPD und Grüne die Frage geklärt werden, inwieweit die Gefahr negativer Sekundärwirkungen auf die bestehende wirtschaftliche Ordnung besteht. Bekanntlich entstand die Partei der Grünen aus einer mehr außerparlamentarischen Bewegung. Es hatte lange Zeit den Anschein, dass die Grünen diese Wurzeln abgestreift haben und bereit sind, im Rahmen der parlamentarischen Demokratie mitzuwirken. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass ein großer Teil der Anhängerschaft der Grünen nach wie vor die bestehende politische Ordnung verneint und dass deshalb immer noch die Gefahr besteht, dass die grüne Partei zu diesen Verhaltensweisen zurückkehrt. Insgesamt dürften jedoch diese Gefahren immer geringer werden.

 

4. CDU und SPD

 

Wenden wir uns nun der Frage nach der Koalitionsfähigkeit von CDU/CSU und SPD zu. Man spricht hier auch von der großen Koalition um anzudeuten, dass hier die beiden großen Volksparteien ein Bündnis eingehen. Bekanntlich hatten wir eine solche große Koalition auf Bundesebene nur zweimal im Verlaufe der Geschichte der BRD. In den 70er Jahren bildeten beide Parteien eine gemeinsame Regierung, da die Befürchtung bestand, dass die Republik bei bestehendem, unverändertem Grundgesetz nicht in der Lage sei, den linksradikalen Terrorismus der Bader-Meinhold-Bande wirksam zu bekämpfen. Man schloss sich zusammen, um die für eine Änderung der Verfassung notwendige 2/3 Mehrheit zu erreichen.

Aus ganz anderen Gründen bildete Anfang des 21. Jahrhunderts CDU/CSU und SPD erneut eine große Koalition. Diese Koalition kam damals einfach deshalb zustande, weil das Wahlergebnis weder eine grün-rote, noch eine schwarz-gelbe Koalition möglich machte.

Fragen wir uns nun, wieweit sich denn die Programme beider Parteien decken und somit die Voraussetzungen für eine effiziente Koalition gegeben sind. Beide Parteien bejahen im Grunde die Ordnung einer sozialen Marktwirtschaft, sodass eigentlich auch ausreichend gemeinsame Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung denkbar sind. Dies galt auch zunächst vor allem deshalb, weil die SPD unter der Regierung Schröder sehr wohl einige marktwirtschaftlich feindliche Relikte aus früheren Zeiten überwand und in der Tat mit der Einleitung der Harzt IV-Reformen die Voraussetzungen für eine Überwindung der seit der Wiedervereinigung bestehenden Arbeitsmarktkrise schuf.

Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass die SPD in der Zwischenzeit vor allem seit der Führung der Partei durch Sigmar Gabriel einen Teil dieser Reformideen wiederum aufgab. Trotz allem wird man feststellen können, dass beide Parteien sehr wohl durchaus zum Teil gemeinsame Ziele verfolgen, welche die Koalitionsfähigkeit beider Parteien von dieser Seite aus sicherstellen.

Man wird zweitens sicherlich auch nicht behaupten können, dass die dringend notwendig gewordene Reform des Arbeits- und Finanzmarktes und die Anpassung unserer Volkswirtschaft an die globale Weltwirtschaft bereits abgeschlossen sei und bestreiten können, dass deshalb nach wie vor hoher Reformbedarf in diesen Fragen besteht.

Wenn auch im Allgemeinen in der Öffentlichkeit (z. B. bei Meinungsumfragen) der CDU/CSU die größere Kompetenz in wirtschaftspolitischen Fragen zugesprochen wird, so dürften sich doch beide Parteien insoweit ergänzen, als die gleiche Öffentlichkeit der SPD in sozialpolitischen Fragen die größere Kompetenz zuspricht. Natürlich wird man davon ausgehen müssen, dass eine wirksame Reform immer nur dann zu erwarten ist, wenn auch die sozialen Belange ausreichend berücksichtigt werden.

Die eigentlichen Gefahren einer großen Koalition werden deshalb auch vor allem in den möglichen negativen Sekundärwirkungen gesehen. Wenn nämlich beide Parteien zusammen über eine Zweidrittel-Mehrheit der Stimmen verfügen, besteht immer die Gefahr, dass sie diese Mehrheit dazu benutzen, um langfristig ihre Startpositionen bei den Wahlen zu verbessern und damit die Ausgewogenheit des Grundgesetzes aushebeln. Allerdings wird man hinzufügen können, dass diese Gefahr in Zukunft geringer werden dürfte, da die beiden großen Parteien in der Zwischenzeit so stark geschrumpft sind, dass sie in naher Zukunft wahrscheinlich immer weniger zusammen diese Zweidrittel-Mehrheit erreichen können.

 

5. SPD und FDP

 

Eine weitere Koalition, die wir in der Vergangenheit auf Landes- aber auch Bundesebene hatten, bestand in einem Bündnis zwischen SPD und FDP. Nun sollte man zunächst meinen, dass die Programme dieser beiden Parteien so unterschiedlich sind, dass nur schwerlich eine ausreichend große Schnittmenge zwischen beiden Parteien besteht, die ausreicht, um das Zusammengehen während einer ganzen Wahlperiode zu ermöglichen. Die SPD ist traditionell eine Partei, welche vorwiegend die Interessen der Arbeitnehmer, vor allem der ärmeren Bevölkerungsschichten verfolgt, während die FDP in dem Geruch steht, die Interessen vorwiegend mittelständischer Unternehmer zu vertreten.

 

Auf Bundesebene verfolgte die rot-gelber Koalition unter Willi Brandt und Walter Scheel auch deshalb vorwiegend außenpolitische Ziele (die Öffnung gegenüber dem damaligen Ostblock) und versuchte innenpolitisch vorwiegend liberale Rechtspositionen durchzusetzen, welche in Zusammenarbeit mit der CDU/CSU wegen deren konservativen Zielsetzungen nur schwer möglich waren. Wirtschaftspolitisch hingegen scheinen die Unterschiede beider Parteien so groß, dass von keiner Grundlage für eine gemeinsame Politik gesprochen werden kann.

 

Wenn wir nun zweitens danach fragen, inwieweit denn tatsächlich eine Reformbedürf­tigkeit gerade in den gemeinsamen Zielsetzungen beider Parteien besteht, so wird man auch hier davon ausgehen müssen, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Koalition sehr gering sind. Allenfalls könnte man davon sprechen, dass eine Öffnung in Richtung multikultureller Gesellschaft auf der einen Seite notwendig ist und dass auf der anderen Seite die Vorstellungen beider Parteien in diesen Fragen weitgehend übereinstimmen. 

Die Frage der Kompetenz in diesen Fragen wird wohl für beide Parteien bejaht werden können, beide haben gerade in diese Richtung programmatische Vorstellungen entwickelt, wie die Lage der Immigranten verbessert und wie der Bedarf an ausländischen Fachkräften besser befriedigt werden kann. Da beide Parteien mit dem Grundgesetz fest verankert sind, dürften auch bei einem Zusammengehen beider Parteien keine negativen Sekundärwirkungen erwartet werden müssen.

 

6. CDU und Grüne

Wenden wir uns nun den etwas problematischeren Koalitionsmöglichkeiten zu. Seit einiger Zeit wird die Frage diskutiert, ob nicht auch die CDU/CSU zusammen mit den Grünen eine sinnvolle Koalition eingehen könnten. Auf Bundesebene war eine solche Koalition bisher als unmöglich angesehen und auch auf Landesebene hatten wir bis vor kurzem nur eine schwarz-grüne Koalition in Hamburg, die aber nur für eine sehr kurze Zeit (2008 bis 2010) erfolgreich war und sehr schnell zusammenbrach, als Ole von Beust aus der Politik ausschied. Eine Zusammenarbeit beider Parteien findet zurzeit auf Landesebene nur noch im Saarland statt. Häufiger hingegen findet man schwarz-grüne Koalitionen auf Gemeindeebene.

Eigentlich weisen beide Parteien gerade im Hinblick auf umweltpolitische Fragen durchaus eine breite Übereinstimmung in den Zielsetzungen auf. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die bisherigen Aktivitäten von Angela Merkel, die einerseits als Umweltministerin im Kabinett Kohl umweltpolitisch aktiv wurde und die sich vor allem als Bundekanzlerin im internationalen Bereich weltpolitisch um eine Wende in der Umweltpolitik eingesetzt hat.

Beide Parteien sehen die globalen Gefährdungen unserer Umwelt und betonen die Notwendigkeit eines schnellen und entschiedenen Handelns, um die Gefahren vor allem bei einer drohenden Erwärmung der Erde noch abzuwenden. Beide bejahen das Ziel, so schnell wie möglich von den bisherigen fossilen Energieträgern auf alternative Energiequellen umzuschalten und beide Parteien bejahen das Ziel, in absehbarer Zeit aus der Gewinnung von Strom aus Atomkraft auszusteigen.

Gleichzeitig wird man bejahen müssen, dass diese umweltpolitischen Fragen vordringlich sind, es besteht ein enormer Reformbedarf und auch die Kompetenz zur Lösung umweltpolitischer Fragen wird für keine der beiden Parteien ernsthaft geleugnet werden können.

Trotzdem ist die Bereitschaft zu einem Zusammengehen auf beiden Seiten äußerst gering, nur vereinzelt wird von einigen Vertretern beider Parteien ein Zusammengehen beider Parteien gefordert. Man hat allerdings den Eindruck, dass weniger sachliche, als persönliche Differenzen einiger Spitzenpolitiker ein Zusammengehen beider Parteien verhindern.

Rein äußerlich klammern sich die Spitzenpolitiker der Grünen an dem Beschluss der schwarz-gelben Koalition, die Laufzeiten der Atomwerke zu verlängern und deuten diesen Beschluss so, als würde nun die CDU-FDP-Regierung die Zielsetzung, baldmöglichst auf alternative Energiegewinnung umzusteigen, aufgeben. In Wirklichkeit geht es aber allein um die Frage, in welchem Zeitraum dieser Wandel vollzogen werden soll.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass ein zu schneller Wandel die Gefahr mit sich bringt, dass die Konjunktur erneut einknickt und eine erneute Rezession beginnt. Dass die Konjunktur ganz entscheidend vom Anstieg der Energiekosten abhängt, haben die beiden Ölkrisen in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eindrücklich gezeigt. Aufgrund des Ölboykotts der arabischen Staaten waren damals die Energiepreise drastisch gestiegen und die Konjunktur eingebrochen. Es kann auch kein Zweifel bestehen, dass die Umstellung auf alternative Energien und der Ausstieg aus der Stromgewinnung aus Atomkraft zunächst zu einem beachtlichen Anstieg in den Strompreisen führen wird, bis schließlich die Technologie für Gewinnung von Strom aus alternativen Energiequellen so fortgeschritten ist, dass die Herstellung von Strom und der hierzu notwendigen technischen Anlagen in Massenproduktion hergestellt werden kann.

Wie hoch ein solcher Anstieg der Energiekosten im Zusammenhang mit der Stilllegung von Atomkraftwerken sein wird und ob er tatsächlich so hoch sein wird, dass die Konjunktur auch wirklich einbricht, kann niemand ernsthaft voraussagen. Weder kann eindeutig gesagt werden, wie schnell die zur Umstellung der Energiegewinnung notwendigen Technologien entwickelt werden können; genau so wenig kann eindeutig vorausgesagt werden, wie elastisch die Nachfrage nach Energie auf den Anstieg in den Kosten reagieren wird. Wer aus diesen Gründen die Laufzeiten für den Ausstieg der Atomwerke verlängert, wendet sich deshalb auch nicht gegen das Ziel, so schnell wie möglich die atomare Gewinnung von Strom aufzugeben, sondern er versucht nur die damit verbundenen möglichen konjunkturellen Gefahren eines zu schnellen Ausstiegs zu verringern.

Über die möglichen negativen Sekundärwirkungen bei einer Beteiligung der Grünen habe ich bereits im Zusammenhang mit einer Koalition zwischen der SPD und den Grünen gesprochen.

 

7. SPD und Linke

Während lange Zeit unter den wichtigsten Parteien und auch in den öffentlichen Medien Einigkeit darüber bestand, dass die Linken eine linksradikale Partei darstellen und dass sich deshalb eine Koalition der SPD mit den Linken von vornherein ausschließt, wird immer häufiger von Seiten einzelner Politiker der SPD die Forderung erhoben, auch Koalitionen mit den Linken einzugehen. Bis vor den letzten Bundestagswahlen hatte die SPD-Führung ein Zusammengehen mit den Linken kategorisch ausgeschlossen, in der Zwischenzeit bröckelt die Front gegen ein Bündnis mit den Linken.

Nun gab es vereinzelt schon sehr früh Bündnisse auf kommunaler Ebene, welche auch nicht so negativ zu beurteilen sind, da auf der einen Seite ein Teil der kommunalen Links-Politiker eher pragmatisch argumentieren und keine Anzeichen einer revolutionären Bewegung erkennen lassen und da auf der anderen Seite die meisten Fragen, welche auf kommunaler Ebene entschieden werden müssen, ohnehin nicht den revolutionären Teil des Programmes der Linken berühren.

In der Zwischenzeit wurden vereinzelt – aber in immer häufigerem Wechsel – Koalitionen der SPD mit den Linken auf Länderebene eingegangen. Zuerst beschränkten sich diese Bündnisse auf die neuen Länder im ehemaligen DDR-Bereich und so wurde vor allem in Mecklenburg-Vorpommern eine rot-rote Koalition gebildet. Zwischenzeitlich wurden auch in den alten Bundesländern Bemühungen für ein Einbinden der Linken unternommen. So hatte die damalige Vorsitzende der hessischen SPD Ypsilanti eine Koalition mit den Linken angesteuert, obwohl sie noch vor den Wahlen ein solches Bündnis ausgeschlossen hatte. Schließlich versuchte auch die neue Regierungschefin in Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft ein Bündnis mit der Linken zu erreichen, gab diese Bemühungen jedoch auf, da die Linken ihrer Meinung nach nicht bereit waren, den Vorstellungen der SPD näherzukommen.

Der Bundesvorstand der SPD betonte zwar in der Regel, dass er eine Koalition auf Bundesebene nach wie vor ausschließe, da vor allem in Fragen, welche das Nato-Bündnis betreffen, unüberwindliche Unterschiede zwischen beiden Parteien bestehen und da die Linken auch in der Wirtschaftspolitik konträre Auffassungen zur Programmatik der SPD hätten. Im Hinblick auf mögliche Koalitionen auf Länderebene jedoch enthielt sich der Bundesvorstand der SPD auf ein Einwirken auf die Landesparteien mit dem Argument, dass diese Entscheidung einzig und allein die jeweilige Landespartei zu treffen habe.

Es lässt sich jedoch erkennen, dass sich die SPD doch in  kleinen Schritten auf einen Kurs zubewegt, der eine Koalition mit den Linken auch auf Bundesebene nicht mehr grundsätzlich ausschließt. Dieser Kurswechsel vollzieht sich nur in kleinen Schritten. Schon immer hatte man gegen ein Zusammengehen beider Parteien auf Gemeindeebene keine grundsätzlichen Einwendungen, in einem zweiten Schritt hat man dann mit einem Zusammengehen auf Landesebene experimentiert, wobei zunächst wie jüngst in Nordrhein-Westfalen eine Minderheitsregierung gebildet wird, welche jedoch auf das Wohlwollen der Linken angewiesen ist und es ist dann nur noch ein kleiner Schritt, dass diese Experimente auch auf die Bundesebene ausgedehnt werden.

Grundsätzlich gibt es deshalb auch nur eine kleine Schnittfläche gemeinsamer Zielsetzungen. Natürlich können sich beide Parteien sehr schnell darauf einigen, gesetzliche Mindestlöhne für alle Branchen einzuführen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und die Steuersätze für die Empfänger höherer Einkommen drastisch zu erhöhen.

Sobald jedoch programmatische Ziele zur Diskussion stehen und die Stellung der BRD zu wichtigen außenpolitischen Fragen oder zu der Weiterentwicklung der Marktordnung zur Diskussion stehen, ergeben sich erhebliche unterschiedliche Positionen, die Linken werden die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftssektoren fordern und darauf drängen, sich in der Außenpolitik von der westlichen Allianz zu trennen, während die SPD zu diesen Schritten nicht bereit sein wird, da sie einen Bruch mit der westlichen Allianz und eine Umkehr zu den Programmen vor dem Godesberger Programm nicht in Erwägung zu ziehen bereit sein wird. Ohnehin ergeben sich diese Gemeinsamkeiten in der Sozialpolitik auch nur dadurch, dass die SPD in jüngster Zeit wiederum von dem Kurs, den die SPD unter Schröder eingeschlagen hatte und der eine konsequente Weiterentwicklung des im Godesberger Programm vollzogenen Schrittes auf eine soziale Marktwirtschaft hin darstellte, teilweise abrückte.

Ob sich die wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Linken und SPD auf Problembereiche beziehen, welche als reformbedürftig angesehen werden, ist äußerst umstritten. Natürlich werden es die SPD und die Gewerkschaften als äußerst dringend ansehen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn branchenübergreifend oder die Vermögenssteuer wiederum eingeführt wird oder dass eine drastische Verschärfung der Steuerprogression beschlossen wird. Man wird jedoch kaum davon sprechen können, dass diese Instrumente geeignete Mittel zur Realisierung der in der Sozialpolitik angestrebten Ziele darstellen, in Wirklichkeit führen diese Maßnahmen zu keiner realen Verbesserung der materiellen Situation der ärmeren Arbeitnehmer, sodass auch die Kompetenz der Linken in diesen Fragen verneint werden muss.

Das entscheidende Argument gegen ein Bündnis der SPD oder anderer Parteien (wie etwa die Grünen) besteht jedoch darin, dass nachwievor befürchtet werden muss, dass die Linken im Grunde genommen die Verfassung der BRD nicht bejahen und beabsichtigen, wenn sie einmal an der Macht sind, diese in Richtung sozialistischer Wirtschaft zu korrigieren.

Nun mag es durchaus richtig sein, dass einige Mitglieder dieser Partei auf dem Boden der Verfassung stehen. Wenn es jedoch richtig ist, dass man aus der Geschichte lernen kann, dann ist es sicherlich die Erkenntnis, dass radikale Parteien zunächst einmal vorgeben, die Verfassung achten zu wollen, um auf diesem Weg überhaupt an die Macht zu kommen, dann aber, wenn sie einmal an der Macht sind, die Verfassung außer Kraft setzen.

Solange führende Mitglieder dieser Partei sich weigern, im ehemaligen DDR-Regime einen Unrechtsstaat zu sehen und sogar den Mauerbau und den Schießbefehl rechtfertigen, sind sicherlich Zweifel angebracht, dass diese Partei tatsächlich bereit ist, das Grundgesetz zu achten. Wenn diese Partei es mit ihrer freiheitlich-demokratischen Gesinnung ernst gemeint hätte, warum wurden dann ehemalige Mitglieder der SED unbesehen übernommen und nicht auf ihre Aktivitäten im DDR-Staat hin überprüft? *

 

8. Grüne und FDP

 

Schließlich soll die Koalitionsfähigkeit einer Regierung überprüft werden, in welcher die Grünen und die FDP zusammenwirken. Natürlich verfügen beide Parteien zusammen über weniger Parlamentssitze, als zur Regierungsbildung notwendig ist. Zur Diskussion steht somit nicht eine Koalition aus Grünen und FDP, sondern allein eine Koalition, welche aus mehr als zwei Parteien besteht, in welcher die Grünen wie auch die FDP mitwirken.

 

In der jüngsten Zeit wurden in diesem Zusammenhang vor allem zwei Modelle diskutiert: Die sogenannte Ampelkoalition, bei der die SPD, die Grünen und die FDP eine gemeinsame Regierung bilden, also wie bei einer Verkehrsampel die Farben rot gelb und grün vertreten sind, sowie die sogenannte Jamaika-Koalition, bei welcher CDU/CSU, Grüne und FDP eine gemeinsame Regierung bilden; Jamaika-Koalition wird dieses Bündnis nach den Farben der Nationalflagge Jamaikas benannt.

 

Folgt man den Vertretern dieser Parteien, aber auch der Meinung in den wichtigsten Medien, so besteht überhaupt keine Gemeinsamkeit zwischen beiden Parteien, sodass also auch ein Jamaika-Bündnis als äußerst unwahrscheinlich angesehen wird. Es ist eine weitverbreitete Auffassung in der Öffentlichkeit, dass Koalitionen, bei denen beide Parteien an der Koalitionsregierung beteiligt sind, keine gemeinsamen Ziele und Programmpunkte aufweisen.

 

Diese Auffassung mag verwundern, da für beide Parteien bei einer grundsätzlichen Betrachtung ihrer Grundziele sehr wohl gleichgerichtete Grundideen festzustellen sind. Die Liberalen glauben daran, dass eine funktionsfähige Marktwirtschaft von selbst ausreichend Anreize entwickelt, um die anstehenden wirtschaftlichen Probleme bestmöglich zu lösen und dass eine Wettbewerbsordnung sehr viel bessere Lösungen hervorbringt als jeder Versuch, gegen den Markt Grundüberzeugungen durchzusetzen und in den Markt direkt einzugreifen.

 

Geistige Grundlage der Partei der Grünen ist die feste Überzeugung, dass eine befriedigende gesellschaftliche Ordnung nur dann aufrecht­erhalten werden kann, wenn das ökologische Gleichgewicht gewahrt wird. Störungen des ökologischen Gleichgewichtes aufgrund menschlicher Eingriffe werden von den Grünen genauso abgelehnt, wie marktinkonforme Eingriffe von Seiten der Liberalen. Beide Grundrichtungen glauben daran, dass natürliche Systeme auf lange Sicht sehr viel bessere Ergebnisse liefern als punktuelle Eingriffe des Menschen, welche die natürlichen  Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen versuchen und zu wenig auf die möglichen negativen Sekundärwirkungen achten.

 

Auch im Hinblick auf die Notwendigkeit umweltpolitischer Maßnahmen zur Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichtes lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen. Es war der neoklassische Pigou, welcher bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die Existenz externer Kosten hinwies, welche zu einer suboptimalen Marktlösung führen und es war Pigou, der wohl als erster mit dem Vorschlag der nach ihm genannten Pigousteuer Wege aufzeigte, um externe Kosten nachträglich zu internalisieren.

 

Da allerdings die Höhe der externen Effekte nicht exakt bestimmt werden kann, da ja ex definitione für externe Kosten kein Markt besteht, ist der Staat auch nicht in der Lage, die Höhe der Pigousteuer anzugeben, bei welcher die externen Kosten internalisiert werden. Hier brachte die property right-Richtung, welche wiederum von vorwiegend liberal eingestellten Ökonomen entwickelt wurde, in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg die Lösung.

Die eigentliche Ursache für die Existenz externer Effekte liegt nach Auffassung dieser Gruppe von Wissenschaftlern darin, dass für die sogenannten freie Güter (wie z. B. Luft) keine Eigentumsrechte bestehen. Bestünden diese nämlich, so wären die Eigentümer dieser Rechte auch nicht bereit, diese Güter kostenlos zur Verfügung zu stellen. In dem der Staat nun Eigentumsrechte kreiert, die angeben, in welchem Umfang einzelne Produzenten diese freien Güter in Anspruch nehmen dürfen, wird sichergestellt, dass die Produzenten zumindest einen so hohen Preis für die Inanspruchnahme dieser Güter – sprich für die Verschmutzung – der Umwelt zahlen müssen, als sie durch diese Verschmutzung volkswirtschaftlichen Schaden (Kosten) verursachen.

So gering sind somit die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien gar nicht. Im Gegensatz zu den Leitbildern der SPD wenden sich sowohl die ökologische wie auch liberale Theorie gegen unmittelbare Eingriffe in die natürlichen Prozesse und vertrauen darauf, dass aufgrund eines über Jahrhunderte hinweg wirkenden natürlichen Anpassungsprozesses Markt bzw. die Naturkräfte sehr viel besser für ein Gleichgewicht der Kräfte sorgen als es der Mensch im Rahmen der Politik tun könnte.

Es kann auch kein Zweifel bestehen, dass sowohl im Hinblick auf die Anpassung der Marktwirtschaft an die weltweite Globalisierung der Wirtschaft als auch im Zusammenhang mit der Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichtes gerade heute und in naher Zukunft ein enormer Reformbedarf besteht. Weiterhin stellt die von liberalen und ökologischen Wissenschaften entwickelten Erkenntnisse genügend Sachwissen zur Verfügung, um beide Parteien gerade in diesen Fragen für kompetent zu halten.

 

9. Ausblick

Wir hatten gesehen: Die großen Volksparteien CDU/CSU auf der einen und SPD auf der anderen Seite haben an Wählerstimmen so stark verloren, dass in naher Zukunft ohne Änderung des Wahlrechts wohl kaum noch Alleinregierungen möglich sein werden. Es ist sogar damit zu rechnen, dass eine Koalition aus zwei Parteien allein immer weniger häufig möglich sein wird, sodass also Mehrparteien-Regierungen gebildet werden müssen. Da in der Öffentlichkeit im Augenblick auch keine Bereitschaft besteht, das Wahlrecht in Richtung Mehrheitswahlsystem zu ändern, kommt es darauf an, alles zu tun, damit möglichst viele Koalitionen zwischen den einzelnen Parteien möglich werden, sofern sie nur aus wohlfahrtspolitischer Sicht wünschenswert sind.

Nach allgemeinem Verständnis setzt eine Koalition zwischen zwei oder mehreren Parteien vor allem voraus, dass eine gemeinsame Schnittfläche in den Programmen der betroffenen Parteien besteht und dieser Auffassung ist auch zuzustimmen. Ich habe versucht darzulegen, dass die Schnittmengen zwischen den einzelnen Parteien auch sehr viel größer sind, als dies von den Parteien und auch von den öffentlichen Medien gesehen wird. Es sind oftmals viel mehr persönliche Animositäten und Unkenntnis über die den jeweils anderen Parteien zugrundeliegenden Ideen, welche in der Praxis eine Koalition verhindern oder – soweit eine Koalition zustande kommt  – eine erfolgreiche Zusammenarbeit erschweren.

Wenn wir einmal von den radikalen Parteien im rechten und auch im linken Spektrum absehen, stehen alle übrigen Parteien auf dem Boden des Grundgesetzes und weisen schon aus diesen Gründen eine große gemeinsame Programmatik auf. Das Grundgesetz verpflichtet alle Parteien, die Grundsätze eines Rechtsstaates einzuhalten und hierzu gehört vor allem, für die Menschwürde eines jeden Bürgers einzutreten. Zur Menschenwürde zählt u.a. auch, das Recht eines jeden einzelnen Bürgers auf ein mindestens dem kulturellen Existenzminimum entsprechenden Einkommens sowie das Recht, dieses Einkommen möglichst durch eigene Arbeit zu erwirtschaften.

Insofern gehen alle auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden Parteien von gleichen oder ähnlichen Grundwerten und daraus abgeleiteten Zielsetzungen aus und die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien bestehen dann in erster Linie in den unterschiedlichen Wegen, auf denen die einzelnen Parteien diese gemeinsamen Ziele zu erreichen versuchen.

In der Diskussion um die Verwirklichung der politischen Ziele wird hingegen der Eindruck hervor­gerufen, als würden sich die letztlichen Grundwerte und Ziele der einzelnen Parteien wesentlich unterscheiden. Darüber hinaus wird in der Öffentlichkeit die Meinung favorisiert, dass die einzelnen Parteien auch die grundsätzlichen Unterschiede herausstellen sollten, dass sie sich abgrenzen sollten. Es wird als unerwünscht angesehen, wenn man die Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien herausstellt und es wird ausdrücklich gelobt, wenn der politische Gegner attackiert wird.

Ein solches Vorgehen ist jedoch aus mehreren Gründen für das Allgemeinwohl unseres Staatensystems hinderlich. Auf der einen Seite erschwert es die Koalitionsbildung nach der Wahl. Es widerspricht auch den Tatsachen, da ja die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien gar nicht so groß sind und sich vor allem auf die Mittel beziehen, mit deren Hilfe die einzelnen Probleme gelöst werden sollen. Auch muss man betonen, dass es sich bei der Lösung der anstehenden Probleme zumeist um neu entstandene Probleme handelt, bei denen gar nicht von vornherein klar und eindeutig ist, welche Methoden zum Erfolg führen und welche nicht.

Stattdessen wird der Eindruck erweckt, als sei der Gegner moralisch schlecht, lasse sich von Interessengruppen leiten und vernachlässige das Allgemeinwohl. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass Einzel- und Gemeininteresse keinesfalls in jedem Einzelfall  auseinanderfallen. Der Nachweis, dass eine bestimmte Maßnahme bestimmten Interessengruppen zugutekommt, sagt noch nichts darüber aus, wie diese Maßnahme das allgemeine Wohl beeinflusst.

Weder kann aus dem Umstand, dass Einzelgruppen von einer Maßnahme profitieren, geschlossen werden, dass deshalb das Allgemeinwohl verletzt wird, noch kann davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen, welche bestimmten Interessengruppen schaden, deshalb dem Gemeinwohl nützlich seien. Dass Interessengruppen Einfluss auszuüben versuchen ist eine Tatsache, welche von sich aus noch nicht einmal schlecht ist; in jedem Einzelfall ist vielmehr zu überprüfen, welchen Einfluss eine Maßnahme auf das Allgemeinwohl hat. Der Nachweis, dass eine Maßnahme einer bestimmten Interessengruppe nützt, sagt noch nichts darüber aus, welcher Einfluss auf das Allgemeinwohl von dieser Maßnahme ausgeht.