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Gliederung der Vorlesung:

 

01. Einführung                    

02. Das Ziel der Vollbeschäftigung

03. Das Ziel der Geldwertstabilität

04. Das Ziel eines angemessenen wirtschaftlichen Wachstums

05. Die theoretischen Grundlagen der Beschäftigungspolitik

06. Die theoretischen Grundlagen der Stabilisierungspolitik

07. Die theoretischen Grundlagen der Wachstumspolitik

08. Die geld- und außenwirtschaftspolitischen Mittel

09. Die finanzpolitischen Mittel

10. Die einkommenspolitischen Mittel

11. Institutionelle Maßnahmen

12. Die Träger der Konjunktur- und Wachstumspolitik

 

 

Kapitel 5 Die theoretischen Grundlagen

der Beschäftigungspolitik Teil I

 

 

Gliederung:

 

01. Das Say‘sche Theorem als Ausgangspunkt

02. Die neoklassische Kritik am Say‘schen Theorem

03. Die Bedeutung der Inflexibilität

04. Politische Schlussfolgerungen aus der klassischen Position

05. Die Kritik der Keynes-Schule

06. Die Beschäftigungstheorie von Keynes

07. Beschäftigungspolitische Schlussfolgerungen

08. Die Bestimmungsgründe der effektiven Nachfrage

09. Die Kritik an der Keynes'schen Beschäftigungstheorie

10. Stagflation und Hystereseerscheinungen.

11. Zu geringes Angebot an Arbeitsplätzen ?

 

 

 

01. Das Say‘sche Theorem als Ausgangspunkt

 

Wir wollen uns in den weiteren drei Kapiteln dieser Vorlesung mit den theoretisch Grundlagen der Konjunkturpolitik befassen. Beginnen wir mit der Beschäftigungspolitik. Entsprechend dem von Jean Baptiste Say formulierten Theorem gilt: Jedes Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage.

 

Denn die Erlöse der Unternehmungen werden stets zu Einkommen. Zunächst zahlt der Unternehmer aus den Verkaufserlösen die zur Produktion eingesetzten Produktionsfaktoren. Er zahlt den Arbeitnehmern einen Lohn, er entrichtet für die von anderen Unternehmungen gekauften Rohstoffe und Halbfabrikate den jeweiligen Preis. Falls er Böden anmietet, hat er weiterhin eine Miete zu entrichten, schließlich werden für die aufgenommenen Kredite Zinsen gezahlt. Der gesamte Restbetrag aus den Verkaufserlösen fällt dem Unternehmer als Gewinn zu. Also muss die Summe aller Ausgaben sowie des Gewinnes ex definitione der Summe der Verkaufserlöse entsprechen. Auf der Ausgabenseite dieser konsolidierten Bilanz werden somit nur Einkommen aufgeführt.

 

Diese Werte für die Ausgaben und Einnahmen stellen wir in einer konsolidierten Bilanz gegenüber. Konsolidiert heißt, dass es in der Realität eine Vielzahl von Unternehmungen gibt, welche durch Arbeitsteilung miteinander verbunden sind, dass aber in der hier erstellten Bilanz einerseits die Erlöse, andererseits die Ausgaben aller Unternehmungen zusammengefasst werden. Hierbei lassen sich die Ausgaben, welche Unternehmer an andere zahlen, gegenseitig verrechnen.

 

Man geht davon aus, dass die wirtschaftlichen Zusammenhänge so komplex sind, dass sie nur dann erkannt werden können, wenn man in der Analyse schrittweise vorgeht. In einem ersten Schritt geht man von einem Modell ohne außenwirtschaftliche und staatliche Beziehungen aus, um dann erst in einem zweiten Schritt das Modell schrittweise an die Wirklichkeit heranzuführen und sowohl den Außenhandel wie auch die finanzwirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Staat mitzuberücksichtigen.

 

Es gibt also in diesem ersten Modell weder Importausgaben noch Exporterlöse. Gleichzeitig werden die Steuerzahlungen der Bürger an den Staat sowie die vom Staat den privaten Haushalten und Unternehmungen gewährten unentgeltlichen Leistungen (Subventionen und Transfereinkommen) vernachlässigt.

 

Wie werden nun die verschiedenen Einkommen verwendet? Einkommen können entweder konsumiert oder gespart werden. Ersparnisse werden investiert. Die Summe der Nachfrage (Konsum und Investition) entspricht deshalb stets dem Angebotswert. 

 

 

 

Ein Wort noch zu der Aussage, dass die Ersparnisse voll zu Investitionen werden. In der Realität müssen wir davon ausgehen, dass es auf der einen Seite private Haushalte gibt, welche ihre Ersparnisse horten, sodass also dieser Teil der Ersparnisse nicht für Investitionen verwendet wird. Auf der anderen Seite gilt es aber in Wirklichkeit auch zu berücksichtigen, dass Privatbanken die Möglichkeit haben, in gewissen Grenzen den Unternehmungen eine größere Kreditsumme zur Verfügung zu stellen als sie selbst durch die Spareinlagen vereinnahmt haben. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Giralgeldschöpfung der Privatbanken.

 

Wenn Say von diesen Möglichkeiten abgesehen und unterstellt hat, dass alle Ersparnisse investiert werden, so geschah dies deshalb, weil zu Zeiten von Say Ersparnisse fast nur von Unternehmern angelegt werden konnten, die Masse der Arbeitnehmer verfügte über ein so geringes Einkommen, sodass es nur für den existentiellen Konsumbedarf ausreichte und deshalb keine Möglichkeit bestand, größere Teile des Einkommens zu sparen.

 

Dies bedeutet, dass zur Zeit von Say Sparer und Investor in einer Person zusammenfielen. Wenn ein Unternehmer investieren wollte, musste er die hierzu benötigten Geldmittel durch eigene Ersparnisse aufbringen, umgekehrt galt, dass der Unternehmer nur dann überhaupt ein Interesse daran haben konnte, Teile seines Einkommens zu sparen, wenn er die Absicht hatte, diese zu investieren. Mit anderen Worten: Da Sparer und Investoren ein- nd dieselbe Person waren, konnte man auch davon ausgehen, dass Ersparnis und Investitionssumme gleich groß waren, dass also jede Ersparnis auch investiert wurde.

 

 

02. Die neoklassische Kritik am Say'schen Theorem

 

Diese Annahme entspricht allerdings nicht mehr der heutigen Wirklichkeit. In der Folgezeit nach Say entstanden nämlich Kapitalgesellschaften, deren Kapitalbedarf das Eigenkapital überstieg. Gleichzeitig war das Einkommen vieler Arbeitnehmer so weit gestiegen, dass sie Einkommensteile sparen konnten. Also konnte man  nicht mehr von der Annahme ausgehen, dass Sparer und Investor eine Person darstellen. Folglich konnte auch nicht mehr von einer Identität von Sparen und Investieren ausgegangen werden.

 

Trotzdem besteht – entsprechend neoklassischer Sicht - auf normalen Kapitalmärkten eine Tendenz zum Gleichgewicht von Ersparnis und Investition. Zinsvariationen sorgen nämlich für ein Gleichgewicht. Ist das Sparangebot größer als die Investitionsnachfrage, sinkt der Zinssatz, übersteigt jedoch die Investitionsnachfrage das Sparangebot, steigt der Zinssatz. Eine Zinssenkung führt dann über eine Reduzierung der Ersparnis und eine Zunahme der Investition zu einem Abbau des Angebotsüberhanges auf dem Kapitalmarkt, während eine Zinserhöhung über eine Zunahme der Ersparnis und einem Rückgang in der Investitionsnachfrage den Nachfrageüberhang abbaut.

 

 

 

 

03. Die Bedeutung der Inflexibilität

 

Dem Say’schen Theorem zum Trotz entstand während der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts Massenarbeitslosigkeit.

 

Aber nicht die Ungleichgewichte auf dem Kapitalmarkt werden von den Neoklassikern für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Vielmehr sind es entsprechend dieser Theorie die Mängel des Arbeitsmarktes, welche Arbeitslosigkeit verursachen.

 

Preisstarrheit und Immobilität sind nach Auffassung der Neoklassiker die wichtigsten Ursachen der Arbeitslosigkeit. Bei vollständiger Lohnflexibilität könnte über Lohnsenkungen die Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Werden die Löhne aber nicht auf die Gleichgewichtshöhe gesenkt, bleibt es bei Arbeitslosigkeit.

 

 

 

 

04. Politische Schlussfolgerungen aus der klassischen Position

 

Die neoklassischen Gedankengänge lassen zwei verschiedene Strategien zur Überwindung der Arbeitslosigkeit zu:

 

Die optimale Strategie besteht in einem Abbau der Inflexibilität durch Wettbewerbspolitik auf allen Märkten, auch auf den Arbeitsmärkten!

 

Eine zweitbeste Strategie bestünde in einer zwangsweisen Senkung der Preise und Löhne!

 

Der Weg der ersten Alternative wurde von der Politik Hoovers in den USA, der Weg der zweiten Alternative hingegen von der Politik Brünings in Deutschland beschritten.

 

 

05. Die Kritik der Keynes-Schule

 

John Maynard Keynes übte Kritik am Say’schen Theorem. Für Keynes gilt erstens die These vom Horten der Ersparnisse: Ersparnisse werden nicht alle zinsbringend angelegt.

 

Zweitens geht Keynes von der These aus, dass Investitionen zinsunelastisch sind, also nicht ausreichend auf Zinssenkungen reagieren.

 

Die Folge ist eine allgemeine Arbeitslosigkeit: Infolge der Zunahme der Ersparnis werden weniger Konsumgüter nachgefragt, die Produktion wird eingeschränkt und schließlich werden Arbeitnehmer entlassen.

 

Zur Erklärung der These vom Horten entwickelte Keynes die These von der Liquiditätsfalle: Von einer bestimmten geringen Zinshöhe ab werden Ersparnisse nicht mehr zinsbringend angelegt. Bei sehr geringem Zinssatz steigt nämlich die Erwartung, dass der Zins in naher Zukunft wieder ansteigen wird. Ein Anstieg des Zinses ist jedoch – zumindest bei festverzinslichen Wertpapieren – mit einer Kurssenkung verbunden, da die zukünftigen Gewinne abdiskontiert werden.

 

Somit ist mit der Kapitalanlage bei extrem geringem Zinssatz ein Kursverlust verbunden, der größer werden kann als der in diesen Zeiten ohnehin geringe Zinsertrag. Also lohnt es sich im Tiefpunkt der Konjunktur nicht mehr, die Ersparnisse zinsbringend anzulegen. Die Ersparnisse werden gehortet und erst wiederum nach dem beginnenden Aufschwung zinsbringend angelegt. Es sind also keinesfalls irrationale Handlungen, welche nach Meinung von Keynes dazu führen, dass Teile der Ersparnis gehortet werden.

 

 

 

Wie erklärt nun Keynes seine These von der geringen Zinselastizität der Investitionen? In Zeiten von Absatzrückgängen lohne es sich nicht, durch Nettoinvestitionen die ohnehin zu große Produktionskapazität noch zu vergrößern. Zinssenkungen bringen darüber keinen Zusatzgewinn, da der starke Wettbewerb in Zeiten des Konjunkturabschwungs die Unternehmer zwingt, Zinssenkungen durch Preissenkungen sofort weiterzugeben. Schließlich ist auch der Anteil der Zinskosten an den Gesamtkosten so gering, dass Zinssenkungen nicht ausreichen, die Investitionsnachfrage auszuweiten. Deshalb sinken – folgt man Keynes – bei Zinssenkungen die Gesamtkosten nur geringfügig.

 

 

06. Die Beschäftigungstheorie von Keynes

 

Allgemeine Preissenkungen sind nach Meinung von Keynes nicht absatzsteigernd, da sie zu Einkommensrückgängen führen. Preissenkungen würden nur dann zu einer Mehrnachfrage führen, wenn das gesamte Einkommen konstant bliebe. Damit könne aber gerade bei Konjunktureinbrüchen nicht gerechnet werden. Die Preissenkungen würden über eine Reduzierung des Angebotes zu einer Verringerung des Lohneinkommens führen, sodass trotz Preissenkung die Güternachfrage nicht ansteige, sondern sogar weiter zurückginge.

 

Preissenkungen würden nur dann zu Nachfragesteigerungen führen, wenn der Preis des einen Gutes im Vergleich zum Preis anderer Güter zurückginge und wenn darüber hinaus der Preis der Güter im Vergleich zum Preis der Produktionsfaktoren abnehme. Aufgrund kumulativer Prozesse finde schließlich eine Verstärkung der Kontraktion statt. Damit erfolge per saldo eine Zunahme der Absatzschwierigkeiten.

 

In einem Diagramm tragen wir auf der Abszisse das Inlandsprodukt und die Beschäftigung, sowie auf der Ordinate den Konsum und die Investition ab. Die Angebotskurve fällt mit der 45°- Linie zusammen, die durch den Koordinatenursprung geht. Die Nachfragekurve hat einen steigenden Verlauf, der dadurch zustande kommt, dass die Konsumnachfrage mit wachsendem Einkommen ansteigt und die Investitionsnachfrage als konstant (autonom) angesehen wird.

 

Es wird davon ausgegangen, dass unabhängig vom Einkommen ein bestimmter Mindestkonsum ausgeübt wird, sodass die Konsumkurve nicht im Ursprung beginnt. Entsprechend der Keynesianischen Theorie steigt die Konsumnachfrage immer geringer als das Einkommen.

 

 

 

Preissenkungen lösen keine Gleichgewichtstendenz aus, da weder die Angebotskurve noch die Nachfragekurve auf Preissenkungen reagieren.

 

Gilt aber bei Keynes auch die weitere These von der Inflexibilität der Preise? Zwar unterstellt Keynes Inflexibilität der Preise vor allem nach unten, diese Annahme stellt jedoch keinesfalls den eigentlichen Keynes'schen Beitrag dar. Auch nach klassischer These führt nämlich Inflexibilität der Preise und Löhne zu Arbeitslosigkeit.

 

Wiederum betrachten wir ein Diagramm, auf dessen Abszisse wir die Arbeit und auf dessen Ordinate wir den Lohnsatz abtragen. Wir gehen von einer normal verlaufenden Angebotskurve an Arbeit  (steigender Verlauf) und von einer normal verlaufenden Nachfragekurve (fallender Verlauf) nach Arbeit aus.

 

Wir unterstellen nun, dass der tatsächliche Lohnsatz (l1) über dem Gleichgewichtslohn (l0) liege. Bei diesem Lohnsatz übersteigt das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage (Arbeitslosigkeit). Auf einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt würde der Lohnsatz auf den Gleichgewichtslohn absinken und damit die Arbeitslosigkeit abbauen. 

 

 

 

Fragen wir uns nun nach der Kritik von Keynes an einer Deflationspolitik, wonach durch politisch herbeigeführte Preissenkungen Arbeitslosigkeit abgebaut werden soll, so wie es vor allem die Regierung Brüning versucht hatte. Die Antwort Keynes lautet demgegenüber: Preisvariationen gehen nicht in die Bestimmungsgründe der Nachfrage ein, da Preissenkungen auch zu Einkommensreduzierungen führen. Es finden zwar auf den Gütermärkten Gleichgewichtsprozesse statt, aber nicht Preis-, sondern Mengenbewegungen führen zum Gleichgewicht!

 

 

07. Beschäftigungspolitische Schlussfolgerungen

 

Wenn wir die Keynes’sche Theorie unterstellen, ergeben sich folgende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die erwünschte Beschäftigungspolitik: Nur eine Steigerung der effektiven Nachfrage kann einen Zuwachs der Beschäftigung auslösen! Die effektive Nachfrage setzt sich hierbei zusammen aus:

 

·        Konsumausgaben (C),

·        Investitionsausgaben (I),

 

und wenn wir nun auch die wirtschaftliche Aktivität des Staates sowie die außenwirtschaftlichen Beziehungen mitberücksichtigen zusätzlich aus:

 

·        dem Defizit des Staatshaushaltes (A-T) und den

·        Überschüssen der Leistungsbilanz (X-M).

 

Für den Beschäftigungseffekt ist die Art der Nachfrage irrelevant, Beschäftigungssteigerungen können durch eine Zunahme der Investition, des Konsums, der Exporterlöse sowie der Staatsausgaben ausgelöst werden.

 

Es kommt zu einer multiplikativen Wirkung: Eine Zunahme der effektiven Nachfrage führt zu einer Einkommenssteigerung, die ein Vielfaches der Zunahme der effektiven Nachfrage des Staates darstellt.

 

Ausgangspunkt sei ein einfaches graphisches Modell der Keynestheorie mit einer Abszisse, auf der wir das Inlandsprodukt und die Beschäftigung und mit einer Ordinate, auf der wir die effektive Nachfrage abtragen.

 

Wir zeichnen in dieses Diagramm die Investitionsgerade ein, die parallel zur Abszisse verläuft, da wir von einem autonomen Investitionsvolumen ausgehen.

 

Weiterhin zeichnen wir die Sparfunktion ein, welche einen positiven Verlauf aufweist, da mit wachsendem Einkommen die Ersparnis ansteigt.  

 

Entgegen der Keynesianischen Theorie, die bei wachsendem Einkommen von einer steigenden Sparquote ausgeht, wird hier der Einfachheit halber eine gleichbleibende Konsumquote unterstellt. Die Ergebnisse werden dadurch nicht verfälscht.

 

Wir unterstellen nun, dass das Investitionsvolumen steige, z. B. um den Wert von eins (z. B. 1 Milliarde Euro). In unserem Diagramm führt dies  zu einer Verschiebung der Investitionsgeraden nach oben um den Betrag eins. Unser Diagramm zeigt, dass der neue Schnittpunkt bei einem Einkommen liegt, das gegenüber dem Ausgangspunkt stärker gestiegen ist als die auslösende Investitionssteigerung. Entsprechend dem Satz von Pythagoras determiniert nämlich die Steigung der Spargeraden (= Sparquote s) den Umfang der Einkommenssteigerung dY. Es gilt die Formel:

 

 

 

Induzierte Nachfragesteigerungen reichen nicht aus, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Es bedarf einer autonomen Nachfragesteigerung, also einer Steigerung der Nachfrage bei gleichbleibendem Einkommen.

 

Nehmen wir das Beispiel von Lohnerhöhungen: Lohnerhöhungen induzieren über Einkommenssteigerungen einen Nachfragezuwachs, die Nachfrage steigt nur bei zunehmendem Einkommen. Weil aber bei einer Mehrproduktion die Nachfragesteigerung immer geringer ausfällt als die Angebotssteigerung – die Konsumquote ist ja bei Keynes stets kleiner als ein –, steigt die Nachfrage notwendiger Weise geringer als das Angebot, der Angebotsüberhang nimmt sogar zu und die Unternehmungen werden die Produktion wiederum auf ihr ursprüngliches Niveau reduzieren.

 

 

 

Wie könnte nun – die keynesianische Beschäftigungstheorie unterstellt – eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit hervorgerufen werden? Bei Erhöhung der Transfereinkommen kommt es zu einer Steigerung in der Beschäftigung. Im Gegensatz zur Lohnerhöhung wird hier nämlich eine Nachfragesteigerung bei gleichbleibendem Volkseinkommen hervorgerufen.

 

 

 

Wir hatten bereits weiter oben angedeutet, dass es im Rahmen der keynesianischen Theorie an und für sich gleichgültig ist, welche Art der Nachfrage gesteigert wird. Nur die Tatsache, dass die Nachfrage nach Gütern gesteigert wird, sei von Bedeutung.

 

Eine eingehendere Analyse zeigt allerdings, dass diese Schlussfolgerung modifiziert werden muss. Wie groß nämlich die multiplikativen Effekte einer Nachfragesteigerung im Einzelnen sind und wie eine solche Politik zu bewerten ist, hängt sehr wohl von der Frage ab, ob die Konsum- oder die Investitionsausgaben ansteigen bzw. ob die Staatsausgaben gesteigert oder die Steuersätze reduziert werden.

 

Die Entscheidung zugunsten einer bestimmten Nachfrageart beeinflusst nämlich:

 

·        den Umfang des Multiplikators, ein Budgetdefizit aufgrund einer Staatsausgabensteigerung hat einen höheren Multiplikator als aufgrund einer Steuersenkung!

 

·        die politische Realisierbarkeit dieser Maßnahmen, ein Defizit im Staatshaushalt kann z. B. an der Verfassung scheitern!

 

·        und die Sekundärwirkungen auf andere Ziele, Investitionssteigerungen haben einen größeren Wachstumseffekt als Steigerungen des Konsums!

 

 

Zusammenfassung:

 

1. Das Say'sche Theorem wendet sich gegen Unterkonsumtionstheorien, wonach eine zu geringe Konsumgüternachfrage Arbeitslosigkeit verursache.

 

2. Entsprechend dem Say'schen Theorem kann eine zu geringe Güternachfrage allgemeine Arbeitslosigkeit nicht erklären, da sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe. Der Wert des Angebotes werde voll zu Einkommen und dieses voll zu Nachfrage, da Ersparnisse stets investiert werden. Generelle Arbeitslosigkeit – die keinesfalls geleugnet wird – muss danach mit strukturellen Gründen wie vor allem Inflexibilität erklärt werden.

 

3. Das Say'sche Theorem entspricht der Wirklichkeit, solange die Personengesellschaft dominiert, in der Sparer und Investor in einer Person zusammenfallen.

 

4. Durch das Aufkommen von Kapitalgesellschaften sahen sich die Unternehmungen veranlasst, Fremdkapital aufzunehmen, gleichzeitig bilden immer mehr Nichtunternehmer-Haushalte Ersparnisse, die sie auf dem Kapitalmarkt anbieten.

 

5. Die Neoklassiker halten trotz des Auseinanderfallens von Sparer und Investor am Say'schen Theorem fest, da auf funktionierenden Kapitalmärkten Zinsvariationen anfängliche Ungleichgewichte zwischen Sparen und Investieren von selbst abbauen.

 

6. Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit wird im Rahmen der Neoklassik damit erklärt, dass aufgrund von Vermachtungsprozessen die Preise nicht mehr in ausreichendem Maße auf Ungleichgewichte reagieren, vor allem dass die Reallöhne über den markträumenden Gleichgewichtslöhnen verharren.

 

7. Entsprechend einer optimalen Strategie kommt es darauf an, Vermachtungserscheinungen abzubauen. Da dies kurzfristig nicht immer möglich erscheint, haben Brüning in Deutschland und Hoover in USA die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der dreißiger Jahre dadurch zu bekämpfen versucht, dass durch eine allgemeine Deflationspolitik Preise und Löhne auf politischem Wege auf das Gleichgewichtsniveau abgesenkt wurden.

 

8. J. M. Keynes bezweifelte, dass die Kapitalmärkte in dem Sinne funktionieren, dass Ungleichgewichte zwischen Sparen und Investieren über Zinsvariationen abgebaut werden. Ein Teil der Ersparnisse werde gehortet, ein anderer Teil werde zwar auf dem Kapitalmarkt angeboten. Trotz dadurch ausgelöster Zinssenkungen finde jedoch keine ausreichende Ausweitung des Investitionsvolumens statt.

 

9. Entsprechend der Liquiditätstheorie von Keynes wird in Zeiten der Depression ein Großteil des Geldes aus spekulativen Gründen in Kasse gehalten. Man unterstellt, dass der Zins sein Tiefpunkt erreicht hat, somit erwartet man eine Zinssteigerung. Diese ist jedoch mit einem Fallen der Kurse bei den festverzinslichen Wertpapieren verbunden.

 

10. Es ist in diesem Falle rational, das Geld vorübergehend nicht zinsbringend anzulegen, da die befürchteten Kursverluste beim Wiederverkauf dieser Papiere den ohnehin geringen Zinsertrag übersteigen.

 

11. Entsprechend der Keynes'schen Investitionstheorie reagieren die Investitionen der Industrie nicht in ausreichendem Maße auf Zinssenkungen, da

 

a) wegen der vorausgehenden Absatzkrise Überkapazitäten bestehen und diese eine Erweiterung der Produktionskapazität unzweckmäßig erscheinen lassen, da weiterhin

 

b) wegen kurzer Ausreifungsperioden der Investitionen der Anteil der Zinskosten gering ist und somit Zinssenkungen die Gesamtkosten nur geringfügig verringern und da schließlich

 

c) im Konjunkturabschwung der starke Wettbewerb der Unternehmer auf den Gütermärkten diese zwingt, alle Kostensenkungen im Preis weiterzugeben, mit der Folge, dass die Rentabilität der Investitionen trotz Zinssenkungen nicht ansteigt.

 

12. Im Mittelpunkt der Keynes'schen Beschäftigungstheorie steht die These, das Ungleichgewichte auf den Gütermärkten vorwiegend nicht durch Preisvariationen, sondern durch Mengenbewegungen abgebaut werden.

 

13. Ein vorübergehender Angebotsüberhang auf den Gütermärkten führt unmittelbar zu einer Reduzierung der Produktion; da dies eine Verminderung der ausgeschütteten Einkommen auslöst, verringert sich die Konsumnachfrage.

 

14. Da allerdings entsprechend der keynesianischen Theorie die Ausgabenneigung der Haushalte stets kleiner eins ist, verringert sich die Konsumnachfrage in geringerem Umfang als das Angebot, mit der Folge, dass der Kontraktionsprozess den Angebotsüberhang auf den Gütermärkten abbaut. Das neue Gleichgewicht auf den Gütermärkten verharrt bei Arbeitslosigkeit.

 

15. Aus den keynes’schen Lehren ergibt sich die Notwendigkeit, auf politischem Wege die Güternachfrage soweit auszuweiten, dass das neue Gleichgewicht wiederum bei Vollbeschäftigung erreicht wird. Hierbei ist es im Hinblick auf das beschäftigungspolitische Ziel gleichgültig, welcher Nachfragestrom politisch beeinflusst wird.

 

16. Allerdings bringt nur ein Anstieg in der autonomen effektiven Nachfrage eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt, der Anstieg in der induzierten Nachfrage verändert die Gleichgewichtslage auf den Gütermärkten nicht.

 

17. In diesem Sinne lässt sich durch bloße Lohnsteigerungen das Beschäftigungsproblem nicht lösen, es findet nur eine Bewegung entlang der Konsumfunktion statt, ohne dass sich der Schnittpunkt zwischen Angebots- und Nachfragekurve verändert.

 

18. Eine Anhebung der Transfereinkommen würde hingegen die Konsumfunktion nach oben und damit gleichzeitig das Gütermarktgleichgewicht nach rechts verschieben.

 

 

Fragen zu Kapitel 5:

 

01. Was besagt das Say‘sche Theorem?

 

02. Wie begründet Say das nach ihm benannte Theorem?

 

03. Wie muss deshalb nach Say Arbeitslosigkeit in größerem Umfang erklärt werden?

 

04. Inwieweit kommt es in der Neoklassik zu einer Korrektur des Say‘schen Theorems?

 

05. Wie erklärt die Neoklassik die automatische Tendenz zur Vollbeschäftigung?

 

06. Worin besteht eine optimale Strategie zur Vermeidung größerer Arbeitslosigkeit?

 

07. Worin besteht die Kritik von Keynes am Say‘schen Theorem?

 

08. Ergibt sich die These vom Horten aus der Annahme eines irrationalen Verhaltens?

 

09. Wie erklärt Keynes die geringe Zinselastizität der Investitionen?

 

10. Wie unterscheidet sich der Gleichgewichtsprozess bei Keynes von der Klassik

 

11. Worin besteht das keynesianische Grundrezept gegen Arbeitslosigkeit?

 

12. Worin liegt der Unterschied zwischen effektiver und induzierter Nachfrage?

 

 

Antworten zu Kapitel 5:

 

01. Das Say?sche Theorem besagt, dass eine allgemeine Arbeitslosigkeit auf funktionierenden Märkten nicht möglich ist.

 

02. Nach Say kann ein Rückgang in der Güternachfrage keine allgemeine Arbeitslosigkeit erklären, da sich jedes Angebot von selbst eine Nachfrage in vollem Umfange verschaffe.

 

03. Bei Say wird Arbeitslosigkeit in größerem Umfang mit verstopften Absatzwegen erklärt, welche durch Preisrelationen ausgelöst werden, die nicht den Knappheitsverhältnissen entsprechen.

 

04. Das Say‘sche Theorem wird insoweit im Rahmen der neoklassischen Theorie modifiziert, als die Existenz von Kapitalgesellschaften unterstellt wird und also zugegeben wird, dass Sparer und Investor durchaus nicht ein und dieselbe Person darstellen.

 

05. Nach neoklassischer Auffassung wird eine Gleichheit von Ersparnis und Investition durch Zinsvariationen erzwungen.

 

06. Nach neoklassischer Sicht führt ein Abbau der Inflexibilitäten auf allen Märkten automatisch zu Vollbeschäftigung.

 

07. Nach Keynes führen die Kapitalmärkte zu keinem automatischen Gleichgewicht, da Ersparnisse gehortet werden und da die Investition nicht ausreichend auf Zinssenkungen reagiert.

 

08. Entsprechend der Liquiditätstheorie ergibt sich die These vom Horten durchaus aus rationalem Verhalten. Wenn die Wirtschaftssubjekte mit Zinssteigerungen rechnen, lohnt es sich, vorübergehend auf Zinserträge zu verzichten, um auf diesem Wege  größere Kursverluste bei den festverzinslichen Wertpapieren zu vermeiden.

 

09. Nach Keynes sind die Investitionen zinsunelastisch, da auf der einen Seite Zinssenkungen im Güterpreis weitergegeben werden und deshalb die Rentabilität der Investitionen nicht erhöhen und da auf der anderen Seite wegen des Absatzrückganges die Bereitschaft zu – Anlage vergrößernden – Investitionen in Zeiten des Absatzrückganges gering ist.

 

10. Während beim klassischen Gleichgewichtsprozess Preisvariationen den Abbau des Ungleichgewichtes herbeiführen, kommt es innerhalb der keynesianischen Theorie zu einem Abbau der Ungleichgewichte durch Mengenbewegungen.

 

11. Arbeitslosigkeit lässt sich nach Meinung der Keynesianer dadurch abbauen, dass die effektive Nachfrage ausgeweitet wird.

 

12.  Induzierte Nachfragevariationen  stellen  immer  nur eine Bewegung auf der Nachfragefunktion dar, während eine Veränderung in der effektiven Nachfrage eine Bewegung der Nachfragefunktion selbst darstellt.

 

Fortsetzung folgt!