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Gliederung der Vorlesung:

 

01. Einführung                    

02. Das Ziel der Vollbeschäftigung

03. Das Ziel der Geldwertstabilität

04. Das Ziel eines angemessenen wirtschaftlichen Wachstums

05. Die theoretischen Grundlagen der Beschäftigungspolitik

06. Die theoretischen Grundlagen der Stabilisierungspolitik

07. Die theoretischen Grundlagen der Wachstumspolitik

08. Die geld- und außenwirtschaftspolitischen Mittel

09. Die finanzpolitischen Mittel

10. Die einkommenspolitischen Mittel

11. Institutionelle Maßnahmen

12. Die Träger der Konjunktur- und Wachstumspolitik

 

 

Kapitel 9: Die finanzpolitischen Mittel

 

 

Gliederung:

 

01.  Neutrale Finanzpolitik versus Fiskalpolitik

02.  Genügt eine Ankurbelung der Konjunktur?

03.  Built-in flexibility versus autonome Konjunkturpolitik

04.  Antizyklische versus kompensatorische Finanzpolitik

05.  Deficit (without) spending, spending without deficit

06.  Die unterschiedlichen Finanzierungsarten des Defizits

07.  Zur Problematik der Staatsverschuldung

 

 

01.  Neutrale Finanzpolitik versus Fiskalpolitik

 

Beginnen wir mit dem Konzept der neutralen Finanzpolitik. Ausgangspunkt ist die These von der Selbstheilungskraft der Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft benötigt danach zur Beseitigung von Ungleichgewichten nicht das Eingreifen des Staates, sie führt von selbst zu optimalen Ergebnissen. Tritt aufgrund von Datenänderungen ein Marktungleichgewicht auf, so sorgen die Marktkräfte von sich aus, dass dieses Ungleichgewicht relativ schnell und ohne eigenes Zutun des Staates abgebaut wird.

 

Entsteht z. B. ein Angebotsüberhang auf den Arbeitsmärkten, der sich in Arbeitslosigkeit ausdrückt, so kommt es zu Lohnsenkungen und diese Lohnsenkungen führen auf der einen Seite zu einer Mehrnachfrage nach Arbeitskräften seitens der Unternehmer und auf der anderen Seite zu einem verminderten Angebot an Arbeit. Also wird der Angebotsüberhang von zwei Seiten aus von selbst abgebaut.

 

Die Neutralität gegenüber den Marktereignissen erreicht nach diesem Konzept der Staat genau dann, wenn sein Budget ausgeglichen ist. Ein ausgeglichenes Budget wird also als ein neutrales Budget angesehen! Begründet wird dies damit, dass die expansiven Effekte der Steigerung in den Staatsausgaben genau den kontraktiven Effekten des Zuwachses in den Steuereinnahmen entsprechen, dass sich also beide Wirkungen vollständig  kompensieren.

 

Gegenüber diesen Überlegungen lassen sich vor allem zwei Kritikpunkte formulieren. Als erstes sei das Haavelmoo-Theorem erwähnt. Haavelmo hat gezeigt, dass auch bei ausgeglichenem Budget expansive Effekte auf die gesamte Güternachfrage ausgehen, dass also mit anderen Worten die kontraktiven Effekte der Steuereinnahmen die expansiven Effekte der Staatsausgaben keinesfalls gerade ausgleichen.

 

Haavelmo geht vielmehr davon aus, dass eine gleichzeitige Erhöhung der Staatsausgaben sowie der Steuereinnahmen von 1 Mrd. € zu einer Zunahme der gesamten Güternachfrage eben um 1 Mrd. € führt. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Multiplikator einer Ausweitung eines ausgeglichenen Budgets gerade den Wert eins beträgt.

 

Man kann diese These auf zweierlei Weise veranschaulichen, in einer statischen oder in einer dynamischen Analyse. In einer statischen Betrachtung gilt: Man teilt die gesamten Ausgaben einer Volkswirtschaft in die Ausgaben, welche von den privaten Haushalten oder den privaten Unternehmungen getätigt werden und in die restlichen Ausgaben, welche vom Staat ausgehen.

 

Haavelmo unterstellt nun mit Keynes, dass die Ausgabenneigung (Konsumneigung) der Haushalte stets kleiner eins ist, dass also ein Zuwachs des privat verfügbaren Einkommens zwar immer zu einem Zuwachs der Konsumausgaben führt, dass aber dieser Zuwachs immer kleiner ist als der Einkommenszuwachs, dass also mit anderen Worten ein gewisser Teil der Einkommenszuwächse gespart wird und somit auch nicht mehr die Ausgaben erhöht.

 

Eine gewisse Einschränkung muss allerdings gemacht werden. Es gibt so etwas wie eine Mindestkonsummenge, welche jeder Haushalt ausüben wird, um überhaupt überleben zu können. Solange das privat verfügbare Einkommen diese Mindestausgabensumme (das Existenzminimum) noch nicht erreicht hat, wird entweder gar nicht gespart oder sogar - wenn möglich - mehr konsumiert als die Einkommenssumme. Mit anderen Worten: Die These, dass die Konsumneigung der Haushalte kleiner eins ist, gilt erst ab einem Einkommen, das größer als das Existenzminimum ist.

 

Wenn wir weiterhin davon ausgehen können, dass der Staat stets für ein ausgeglichenes Budget sorgt, dann ist ex definitione die Ausgabenneigung des Staates gerade gleich eins. Somit hat der Staat auf jeden Fall eine größere Ausgabenneigung (=1) als die Privaten (<1) hat. Und dies bedeutet, dass immer dann, wenn der Staat sein Budget ausweitet und die Steuereinnahmen genauso stark ansteigen wie die Staatsausgaben, nicht nur eine Zunahme in den Staatsausgaben stattfindet, sondern dass gleichzeitig auch der Anteil des Staates an den gesamten (öffentlichen wie privaten) konsumtiven Ausgaben einer Volkswirtschaft ansteigt.

 

Steigt aber der Anteil des Staates an der Gesamtnachfrage, so steigt bei einem Einkommenszuwachs von eins (z. B. einer Milliarde) die hierdurch ausgelöste Nachfrage stärker an als bisher, da annahmegemäß der Staat ja einen größeren Prozentsatz seiner zusätzlichen Einnahmen für konsumtive Ausgaben verwendet als die privaten Haushalte. Somit steigt auch die durchschnittliche Ausgabenneigung der Volkswirtschaft, wenn der Staat sein Budget ausgeglichen erweitert.

 

 

 

 

Versuchen wir nun die Aussage des Haavelmo-Theorems im Rahmen einer dynamischen Analyse zu erklären. Von einer dynamischen Analyse sprechen wir immer dann, wenn wir uns nicht wie im Zusammenhang mit einer statischen Betrachtung auf die Frage beschränken, welche Variablen und in welchem Umfang miteinander zusammenhängen, sondern darüber hinaus auch zu klären versuchen, wie viel Zeit denn verstreicht, damit eine Variable x eine andere Variable verändert.

 

In diesem Zusammenhang spielt vor allem die Konsumfunktion eine entscheidende Rolle. Die Konsumfunktion gibt an, wie sich Veränderungen im Einkommen auf den Konsum auswirken. Während Keynes sich bei der Formulierung dieser Funktion auf die statische Aussage beschränkte, dass ein Zuwachs im Einkommen eine Zunahme im Konsum auslöst, welche geringer ist als die Einkommensvariation, geht die nach Robertson benannte Konsumfunktion davon aus, dass sich Veränderungen im privat verfügbaren Einkommen in der Periode 0 erst in der nächsten Periode 1, also mit einer Zeitverzögerung in einer Variation der Konsumnachfrage auswirkt:

 

Ct = f(Eprvt-1)

 

Dass zwischen der Variation des Einkommens und der Veränderung im Konsum eine gewisse Zeit (ein time lag) verstreicht, bis sich die Einkommensänderung im Konsum auswirkt, lässt sich leicht erklären. Damit sich die Individuen an die veränderte Situation anpassen, verstreicht Zeit, sie müssen erst von der Veränderung im Einkommen Kenntnis erhalten, sie müssen sich Gedanken machen, für welche Bedürfnisse sie einen Zuwachs im Einkommen verwenden werden, vielleicht haben schließlich die Anbieter eine Lieferungsfrist.

 

Eine solche Verzögerung ist vor allem deshalb verständlich, weil sich ja in aller Regel  diese Veränderung nicht auf lebenswichtige Güter bezieht. Wenn eine Reduzierung des Einkommens zur Diskussion steht, muss auch beachtet werden, dass der Bezug einiger Waren und Dienstleistungen gekündigt werden muss und dass bei dieser Kündigung bestimmte Fristen einzuhalten sind.

 

Wir wollen nun unterstellen, dass in der Periode 1 das privat verfügbare Einkommen (Eprv) um eine Einheit reduziert wurde, weil der Staat den Einkommenssteuersatz erhöht hatte. In dieser ersten Periode verringert sich aus diesem Grunde allein das privat verfügbare Einkommen, nicht das Bruttoeinkommen. Annahmegemäß schlägt sich die hierdurch hervorgerufene Konsumänderung erst in der nächsten Periode 2 nieder.

 

Da der Staat aber annahmegemäß in Periode 1 auch die Staatsausgaben um den gleichen Betrag erhöht hatte, stieg gleichzeitig auch das Einkommen um diesen Betrag an. Die Ausgabensteigerung kann hierbei darin bestehen, dass der Staat die Beamtengehälter anhebt oder dass er mehr Güter ankauft, in diesem Falle erhöht sich der Erlös der Unternehmungen und diese Erhöhung schlägt sich letztendlich in Steigerungen der Gewinne oder anderer Einkommen nieder. Insgesamt hat sich also in dieser ersten Periode das Bruttoeinkommen um den Staatsausgabenzuwachs erhöht.

 

In allen folgenden Perioden bleibt das Inlandsprodukt konstant, da die durch Steuererhöhungen verursachte Verminderung der Konsumausgaben gerade durch die Konsumsteigerungen ausgeglichen wird, welche aufgrund der induzierten Einkommenssteigerungen eintreten. Damit ist gezeigt, dass nach Beendigung dieses Prozesses, den die Erweiterung des staatlichen Budgets mit sich gebracht hatte, das Bruttoeinkommen gerade um den Betrag der Staatsausgabensteigerung zugenommen hatte. Der Multiplikatoreffekt beträgt also gerade eins.

 

Wenden wir uns nun der Kritik der Keynes-Schule zu. Es wird von den Keynesianern nicht nur bestritten, dass ein ausgeglichenes Staatsbudget keinen Einfluss auf das Volkseinkommen hat, es wird darüber hinaus auch die Forderung, der Staat solle keinen Einfluss auf die Konjunktur nehmen, sich also im Hinblick auf das Volkseinkommen neutral verhalten, verneint.

 

Im Gegensatz zu den Klassikern bezweifelt Keynes das Say’sche Theorem, wonach sich jedes Angebot seine Nachfrage von selbst schaffe und wonach deshalb eine gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit niemals auf einen Nachfragemangel nach Gütern zurückgeführt werden könne. Wie bereits weiter oben gezeigt, geht Keynes von der Annahme aus, dass der Kapitalmarkt versage, ein Teil der Ersparnis werde gehortet, weiterhin seien Zinssenkungen nicht in  der Lage, bei einem Zuwachs an Ersparnis die Investition soweit auszuweiten, dass die Arbeitnehmer, welche im Konsumgüterbereich aufgrund des Rückgangs im Konsum entlassen werden mussten, nun im Investitionsbereich aufgrund der Zunahme der Investitionen beschäftigt werden könnten.

 

Diese Mängel des Kapitalmarktes bewirkten somit eine Reduzierung der Beschäftigung. Aufgrund dieser Mängel des Kapitalmarktes habe der Staat die Aufgabe, mit finanzpolitischen Mitteln die Konjunktur zu stützen.

 

Die klassische Gegenkritik lautet hingegen: Die finanzpolitischen Maßnahmen sind ineffizient, da Steueränderungen nur langfristig durchgeführt werden können. Steuersätze müssen vom Parlament verabschiedet werden, es bedarf im Allgemeinen einer langen Zeit, Steuergesetze zu verabschieden.

 

Es vergeht eine gewisse Zeit, bis die Politiker überhaupt von den Problemen, die es zu lösen gilt, erfahren und sich zu einem Vorschlag zur Lösung dieser Probleme durchgerungen haben. Es folgt ein erster Entwurf, der vom Kabinett ins Parlament eingebracht wird. Dieser Entwurf wird in drei Lesungen im Parlament beraten. Nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes muss zumeist auch der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen, da zumeist Länderinteressen berührt werden.

 

Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzungen von Bundestag und den Länderparlamenten weichen die Vorstellungen des Bundesrates oftmals von den Gesetzesvorlagen des Bundestages ab, hier muss in einem zeitintensiven Vermittlungsausschuss beider Gremien ein Kompromiss erzielt werden. Ist es endlich soweit, dass das Gesetz alle Hürden genommen hat, muss es vom Bundespräsidenten in Kraft gesetzt werden. Auch bedarf es zur Anwendung dieses Gesetzes zahlreicher Ausführungsbestimmungen. Man hat geschätzt, dass vom ersten Auftreten des Problems bis zur Durchführung dieser politischen Maßnahmen etwa ein Zeitpunkt von 1 ½ Jahren vergeht.

 

Dies bedeutet natürlich, dass diese Gesetze nur dann erfolgreich sein können, wenn dementsprechend früher mit der politischen Aktivität begonnen wird und dies ist nur möglich, wenn wir über einigermaßen zuverlässige Prognosen über den Konjunkturverlauf verfügen.

 

Eine weitere Kritik gegen die keynesianischen Vorschläge bestand darin, dass darüber hinaus eine Staatsverschuldung zu unerwünschten Sekundärwirkungen auf Geldwertstabilität und Wachstum führt. Die vom Defizit des Staatsbudgets ausgelösten Nachfragesteigerungen werden auf jeden Fall teilweise in Preissteigerungen verpuffen, da die konjunkturelle Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftszweigen asynchron erfolgt und da deshalb in einzelnen Bereichen bereits Preissteigerungen auftreten, lange bevor, im Rest der Volkswirtschaft die Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden konnte.

 

Der weitere Umstand, dass eine keynesianische Beschäftigungspolitik dazu führt, dass in einem go and stop die staatlichen Maßnahmen dem Konjunkturverlauf folgen müssen, führt zu einer zusätzlichen Verunsicherung über die Entwicklung der Zinssätze, was selbst wiederum die Gefahr auslöst, dass langfristige Investitionen zurückgehen und damit das langfristige Wachstum behindert wird.

 

In der Nachkriegszeit kam es zu Bemühungen, diese Effizienzmängel der fiskalpolitischen Instrumente teilweise zu verringern. So wurde vor allem vorgesehen, dass Steuererhöhungen aus konjunkturpolitischen Gründen auch auf dem Verordnungswege durchgeführt werden können und erst nachträglich vom Parlament genehmigt werden müssen.

 

 

02.  Genügt eine Ankurbelung der Konjunktur?

 

 

Während der Weltwirtschaftskrise wurde die Frage diskutiert, ob es ausreicht, dass der Staat einmalig im Sinne eines Pump Priming die Konjunktur anregt und aus dem Konjunkturtief herausführt oder ob es eines permanenten Budgetdefizites bedarf, um sicherzustellen, dass das Ziel der Vollbeschäftigung nicht sofort wiederum in Frage gestellt wird, wenn der Staat die Konjunkturspritzen absetzt.

 

Die von Keynes entwickelte Multiplikatortheorie spricht an und für sich dafür, dass es eines permanenten Eingriffes bedarf, um über Fiskalpolitik einen dauerhaften Erfolg zu haben. Nur bei permanenten Steigerungen der Staatsausgaben kommt es nämlich auch zu einer anhaltenden Steigerung des Inlandsproduktes. Für jede Periode gilt, dass Vollbeschäftigung nur dann und solange zu erwarten ist, solange die gesamte gesamtwirtschaftliche Nachfrage dem möglichen Güterangebot bei Vollbeschäftigung entspricht.

 

Damit es ausreicht, durch einmalige Konjunkturspritzen die Konjunktur nachhaltig positiv zu beeinflussen, ist es notwendig, dass ein Gleichgewichtspfad überhaupt existiert und dass es nur daran mangelt, dass der Markt die Fähigkeit verloren hat, von sich aus das bestehende Ungleichgewicht (den Angebotsüberhang) zu beseitigen.  Folgende Graphik macht diesen Zusammenhang deutlich:

 

 

 

 

Der Schnittpunkt der roten Angebots- und der blauen Nachfragekurve zeigt auf, bei welchem Inlandsprodukt (Xgl) Vollbeschäftigung erreicht wird. Der Verlauf der Nachfragekurve lässt erkennen, dass ein Gleichgewichtspunkt existiert und dass nur der Markt keine Gleichgewichtstendenz aufweist, also unfähig ist, von der augenblicklichen Lage (X0) von sich aus Vollbeschäftigung anzusteuern. In einer solchen Situation würde es ausreichen, dass der Staat durch eine einmalige Starthilfe die Nachfrage auf das Vollbeschäftigungsniveau heben könnte und dass in den weiteren Perioden dieses Vollbeschäftigungseinkommen auch dann aufrechterhalten würde, wenn der Staat auf weitere Konjunkturspritzen verzichten würde.

 

Kritisch ist nur anzumerken, dass Keynes von einer anderen Situation ausgegangen ist. Seine Annahmen entsprechen folgendem Diagramm:

 

 

 

 

Hier wird davon ausgegangen, dass das Gütermarktgleichgewicht bei dem augenblicklichen Inlandsprodukt mit Unterbeschäftigung liegt. Wenn nun der Staat durch einmalige Konjunkturspritzen das Inlandsprodukt auf das Niveau anheben würde, bei dem Vollbeschäftigung herrscht (Xgl), bestünde auf dem Gütermarkt ein Angebotsüberhang und aufgrund dieses Angebotsüberhanges würde der sich selbst überlassene Markt wiederum auf das Anfangsniveau (X0) zurückfallen. Dauerhafte Vollbeschäftigung könnte nur erreicht werden, wenn der Staat durch ein entsprechendes Budgetdefizit die Gesamtnachfrage auf Dauer anheben würde. Ein Pump Priming würde nicht ausreichen, um auf Dauer Vollbeschäftigung zu garantieren.

 

Aber es gibt auch im Rahmen der Weiterentwicklung keynesianischer Theorien Thesen, welche dafür sprechen, dass einmalige Konjunkturspritzen ausreichen und dass der Markt dann, wenn mit Hilfe des Staates das Vollbeschäftigungsniveau erreicht sei, von selbst das Vollbeschäftigungsniveau aufrechterhalten könne.

 

Einmalige Konjunkturspritzen verbesserten kurzfristig das Investitionsklima und hätten deshalb auch langfristige Auswirkungen, da dann das Investitionsvolumen langfristig angehoben werden würde. Vor allem die Berücksichtigung des Akzelerationsprinzips spricht für den Erfolg auch einmaliger Eingriffe des Staates. Paul Samuelson hat gezeigt, dass das Zusammenwirken von Multiplikator und Akzelerator zu länger anhaltenden Konjunkturaufschwüngen führen kann.

 

 

 

Hierbei zeigt die schwarze Linie die Entwicklung in den defizitär finanzierten Staatsausgaben an. In der Graphik wird das Budgetdefizit annahmegemäß bereits in der Periode 2 auf null gefahren. Die rote Linie markiert die in der Multiplikatortheorie aufgezeigte induzierte Zunahme des Einkommens. Die Graphik zeigt deutlich, dass zwar die Multiplikatorwirkung auch dann noch anhält, wenn die Staatsausgabenzuwächse eingestellt werden, dass aber dieser Einfluss sehr schnell auf null zugeht.

 

Die orangenfarbene Linie zeigt, wie die Investitionen auf die Einkommenszuwächse reagieren, die Investition steigt zunächst stark an, um dann aber wiederum abzunehmen, sobald das Einkommen seinen Höchststand erreicht hat. Die blaue und rosa Kurve schließlich zeigen auf, wie sich Einkommen und Konsum in Reaktion sowohl des Multiplikators wie auch des Akzelerators entwickeln.

 

Die Graphik macht deutlich, dass eine einmalige Konjunkturspritze einen recht lang anhaltenden Aufschwung auslöst, sodass dieser Konjunkturaufschwung auch nicht in Gefahr ist, wenn der Staat nach der ersten Periode seine finanzielle Unterstützung wiederum zurückfährt. Allerdings zeigt diese Graphik auch, dass es wohl kaum möglich ist, die Gefahr von konjunktureller Arbeitslosigkeit mit einer einmaligen Spritze für alle Zeiten zu bannen. Etwa ab Periode 7 fällt auch hier wiederum das Einkommen und die Beschäftigung stark zurück, sodass dann auf lange Sicht wiederum erneut staatliche Konjunkturspritzen notwendig werden.

 

Es bleibt deshalb auch an der grundsätzlichen Kritik gegen eine keynesianische Vollbeschäftigungspolitik. Sie dringt nicht zu den eigentlichen Ursachen einer Massenarbeitslosigkeit vor und beschränkt sich deshalb auf ein Kurieren am Symptom.

 

 

03.  Built-in flexibility versus autonome Konjunkturpolitik

 

Wenden wir uns nun einem weiteren Streitpunkt innerhalb der keynesianischen Beschäftigungstheorie zu. Soll der Staat in jeder Periode die Höhe des Budgetdefizites an die jeweils erforderliche Höhe autonom anpassen oder soll man versuchen, gewisse Mechanismen, sogenannte eingebaute Stabilisatoren, zu entwickeln, welche automatisch ohne permanentes Eingreifen der Regierung dafür Sorge tragen, dass das Defizit des Staatsbudgets die erforderliche Höhe erreicht?

 

Zunächst gilt es den Begriff der eingebauten Stabilisatoren zu definieren: Ein eingebauter Stabilisator löst ohne weitere autonome Entscheidungen des Staates die erwünschte Beeinflussung der Konjunktur aus. Als Beispiel diene die Steuerprogression im Einkommensteuertarif.  

 

Wenn wir eine Hochkonjunktur unterstellen, ist eine Nachfragedämpfung zur Vermeidung einer Inflation notwendig: Da in dieser Konjunkturphase das Einkommen steigt, steigt auch der durchschnittliche Steuersatz, und da der Steuersatz steigt, sinkt letztlich die Konsumquote bezogen auf das Bruttoeinkommen. Es tritt also von selbst - ohne direkte Eingriffe des Staates - eine stabilisierende Wirkung ein.

 

Als zweites Beispiel für einen eingebauten Stabilisator sei die gesetzliche Arbeitslosenversicherung erwähnt. Wenn wir eine Rezession unterstellen, ist eine Nachfragestimulation zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit notwendig: Da das Einkommen sinkt, sinkt auch die Beitragssumme; da gleichzeitig die Arbeitslosigkeit steigt, steigt auch die Ausgabensumme, und da die Ausgabensumme steigt, steigt schließlich die Nachfrage. Es tritt also auch hier eine Konjunkturbelebung automatisch ein.

 

Worin liegen nun die Vorteile eines eingebauten Stabilisators? Die Wirkung tritt unmittelbar ein (es gibt also keinen inside lag). Wir haben aber gesehen, dass gerade in dem Umstand, dass sehr viel Zeit verstreicht von dem Augenblick, in dem z. B. die Massenarbeitslosigkeit eintritt bis zu dem Zeitpunkt, in dem die politische Maßnahme in Kraft tritt, die mangelnde Effizienz dieser Maßnahmen liegt.

 

Eingebaute Stabilisatoren haben allerdings auch Nachteile. Diese Nachteile bestehen darin, dass hier keine Berücksichtigung der augenblicklichen Situation möglich ist. Wir müssen aber davon ausgehen, dass jede Konjunktursituation gewissermaßen einmalig ist. So hat z. B. Walter Eucken davon gesprochen, dass es eben wegen dieser Einmaligkeit keine allgemeine Konjunkturtheorie geben könne.

 

Diese Einmaligkeit ergibt sich daraus, dass jede Volkswirtschaft aus einer Vielzahl von Märkten besteht, wobei jeder Markt eine Vielzahl von Merkmalen aufweist, welche sich im Einzelfall von einander unterscheiden. Wenn aber jede einzelne Konjunkturphase unterschiedliche Merkmale aufweist, dann ist es auch nicht möglich, in einem Gesetzgebungswerk alle Eventualitäten zu berücksichtigen.

 

Und in diesem Falle könnte man bei einer autonomen Entscheidung des Staates sehr wohl viel mehr Unterschiede in der Struktur der Märkte berücksichtigen und damit sehr viel sachgerechtere Lösungen erreichen als dann, wenn ein Automatismus, der auf viele Konjunkturphasen angewandt wird, diese Entscheidung den Politikern abnehmen würde.

 

Betrachten wir nun die Wirkungsweise einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung als eingebauten Stabilisators etwas genauer. Ausgangspunkt sei ein I-S-Modell, wobei der Schnittpunkt beider Kurven (der privaten Investitions- und Sparfunktion) bei einem Einkommen unterhalb der Vollbeschäftigung liege.

 

Die Einführung einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung führt nun einerseits zu einer Verschiebung der Sparkurve parallel nach oben um die Beitragseinnahmen (b), sie wird nun zur Kurve der Kaufkraftstilllegung (S+b)  andererseits zu einer Verschiebung der Investitionskurve aufgrund der Gewährung von Arbeitslosengeldern (AG); anstelle der Investitionskurve tritt nun die Kurve der Kaufkraftschöpfung (I+AG).

 

Bei Vollbeschäftigung würde die Kaufkraftschöpfungskurve mit der Investitionskurve zusammenfallen, da annahmegemäß kein Arbeitslosengeld zu zahlen ist. Je geringer jedoch das Einkommen und die Beschäftigung ausfällt, umso größer ist der Betrag der Arbeitslosengelder und um so mehr weicht die Kurve der Kaufkraftschöpfung von der Investitionsfunktion nach oben ab.

 

Selbst dann, wenn das Arbeitslosengeld 100% des bisherigen Lohneinkommens ausmachen würde, stiege die Arbeitslosengeldkurve nur um 45° an. Da aber das Arbeitslosengeld deutlich unter dem bisherigen Lohneinkommen liegen muss, um Missbrauch zu vermeiden, ist die Neigung der Arbeitslosenkurve in Wirklichkeit wesentlich geringer als 45°.

 

Würde das Arbeitslosengeld dem bisherigen Lohn entsprechen, hätten die Arbeitslosen nämlich keinen ausreichenden Anreiz, eine neue Arbeit anzunehmen. Es wäre für sie vorteilhafter, ein Arbeitslosengeld in Höhe des bisherigen Einkommens in Anspruch zu nehmen, ohne dafür die Mühen einer erwerbswirtschaftlichen Arbeit auf sich zu nehmen.

 

 

 

I: Investitionsausgaben

S: Sparsumme

Y0: Volkseinkommen ohne Arbeitslosenversicherung

YArb : Volkseinkommen bei Gewährung von Arbeitslosengeldern

Yvoll : Volkseinkommen bei Vollbeschäftigung

b: Beitragssumme zur Arbeitslosenversicherung

AG: Summe der Arbeitsloengelder

 

Die beiden vom Punkt der Vollbeschäftigung und der Investitionssumme ausgehenden Linien nach links oben zeigen den Verlauf des Arbeitslosengeldes in Abhängigkeit vom Volkseinkommen, wobei die 45% Linie für den Fall gelten würde, dass das Arbeitslosengeld zu 100% dem bisherigen Verdienst entspricht, während die Linie < 45° den Verlauf der Arbeitslosengelder wiedergibt für den Fall, dass das Arbeitslosengeld wie in der Realität deutlich unter den bisherigen Verdiensten der Beschäftigten liegt.

 

Gehen wir von dem Marktgleichgewicht vor Einführung der Arbeitslosenversicherung aus. Es liegt bei Y0, beim Schnittpunkt der Investitionskurve mit der Sparkurve. Die Einführung der Arbeitslosenversicherung bewirkt nun, dass das neue Marktgleichgewicht beim Schnittpunkt der neuen Kaufkraftstillegungskurve mit der Kaufkraftschöpfungskurve und zwar bei YArb liegt. Das Volkseinkommen und mit ihm die Beschäftigung ist somit gestiegen.

 

Allerdings zeigt diese Graphik auch, dass auf diesem Wege allein niemals Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Der neue Schnittpunkt liegt eindeutig bei einem Volkseinkommen, das noch keine Vollbeschäftigung garantiert, und dies würde sogar für den Fall gelten, dass das Arbeitslosengeld dem bisherigen Lohneinkommen der jetzt Arbeitslosen entsprechen würde.

 

 

04.  Antizyklische versus kompensatorische Finanzpolitik

 

Ein weiterer Streitpunkt innerhalb der keynesianischen Beschäftigungstheorie bestand in der Frage, ob die Fiskalpolitik antizyklisch oder kompensatorisch ausgerichtet sein sollte.

 

Beginnen wir mit der Definition der antizyklischen Politik: Bei einem Konjunkturabschwung werden Budgetdefizite, bei einem Konjunkturaufschwung hingegen Budgetüberschüsse realisiert, wobei das Ausmaß des (positiven oder negativen) Saldos jeweils dem Umfang der konjunkturbedingten Marktungleichgewichte entsprechen muss.

 

Es wird hierbei von der Annahme ausgegangen, dass auf lange Sicht gesehen, also über einen gesamten Konjunkturzyklus hinweg Angebot und Nachfrage sich entsprechen und eben nur kurzfristig asynchron verlaufen, im Konjunkturabschwung bleibt die Nachfrage hinter dem Angebot zurück, in Konjunkturaufschwung hingegen übersteige die Nachfrage das Angebot.

 

Aus diesem Grunde kann aber auch das Budget langfristig, das heißt über einen Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen bleiben, nur in Zeiten des Abschwungs müsse das Staatsbudget ein Defizit, in Zeiten des Aufschwungs hingegen einen gleich großen Überschuss aufweisen. Arbeitslosigkeit wird also hier als ein ausschließlich konjunkturelles und nicht säkulares Problem angesehen. Kritisch wäre im Hinblick auf die Forderung nach einer antizyklischen Politik allerdings darauf hinzuweisen, dass es keine regelmäßigen Konjunkturzyklen gibt.

 

Demgegenüber sieht eine kompensatorische Politik vor, dass in jeder Periode der Staat eine mangelnde private Nachfrage durch gleich hohe Budgetdefizite ersetzt, hingegen eine zu große private Nachfrage durch eben falls gleichhohe Budgetüberschüsse ausgleicht.

 

Im Gegensatz zu der antizyklischen Politik bezweifelt man, dass sich die Konjunkturausschläge entsprechen und dass deshalb über einen gesamten Konjunkturzyklus ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage erfolge. Es sei vielmehr damit zu rechnen, dass es auch auf lange Sicht, aus säkularen Gründen an Nachfrage mangle, sodass auch auf lange Sicht hinweg ein Defizit im Staatsbudget notwendig sei.

 

Gerade weil aber die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gar kein Problem der Konjunktur sei, spiele es bei der Festlegung der jeweiligen erforderlichen Höhe des Defizites im Staatsbudget eine Rolle, in welcher Konjunkturphase wir uns gerade befinden. Selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwungs müsse mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass das Investitionsvolumen der Unternehmungen nicht ausreiche, um den Ausfall an Konsumnachfrage, ausgelöst durch eine Zunahme der Ersparnis, zu kompensieren.

 

Nur in einer stark wachsenden Bevölkerung sei die freiwillige Investitionsbereitschaft groß genug, um der Sparsumme zu entsprechen. Die zwei wichtigsten Motive zur Investition lägen darin, dass bei einem Bevölkerungswachstum Arbeitsplätze und Wohnungen neu errichtet werden müssten. Stagniere hingegen die Bevölkerung, würden diese beiden Motive entfalten und die Investitionssumme würde nicht mehr der Sparsumme entsprechen. Dies gelte vor allem auch deshalb, weil mit wachsendem Pro-Kopf-Einkommen die Sparrate steige. Da also im Zusammenhang mit der Stagnation in der Bevölkerungsentwicklung das Investitionsvolumen immer mehr zurückgehe und gleichzeitig die Sparsumme zurückgehe, sei die durch zu geringe Nachfrage ausgelöste Arbeitslosigkeit ein säkulares, also anhaltendes Problem.

 

Die Forderung nach einem Ausgleich des Nationalbudgets verlangt somit, dass in jeder Periode die gesamte Nachfrage dem Angebot bei Vollbeschäftigung entspricht. In einem Nationalbudget sei für jede Periode zu ermitteln, wie groß die Differenz zwischen Investitionen und Exporten die Summe der Ersparnisse sowie der Importe übersteigt und der Saldo des Staatsbudget sei so auszurichten, dass die gesamte effektive Nachfrage jeweils in jeder Periode der gesamten Stilllegung (S, Im, T) entspricht.

 

 

 

·        AST: Staatsausgaben

·        T:    Steuersumme

·        I:     Investitionssumme

·        S:    Sparsumme

·        Ex: Exporterlös

·        Im: Importausgaben

 

 

Zusammenfassung:

 

01. Vor der Weltwirtschaftskrise waren die Regierungen in der Regel bestrebt, das Staatsbudget so anzusetzen, dass von ihm keine Wirkungen auf die Konjunkturlage ausgehen. Man sprach von dem Konzept einer neutralen Finanzpolitik.

 

02. Als neutral galt in früheren Zeiten die finanzpolitische Tätigkeit des Staates so lange, als das Staatsbudget ausgeglichen war. Hinter dieser Vorstellung stand die Annahme, dass von den Staatsausgaben die gleichen, aber entgegengesetzt gerichteten Wirkungen auf die makroökonomischen Größen ausgingen wie von den Steuereinnahmen.

 

03. Im Rahmen des Haavelmotheorems konnte gezeigt werden, dass von einem ausgeglichenen Budget sehr wohl Einflüsse auf die konjunkturelle Lage ausgehen können. Unterstellt man, dass die durch die staatliche Aktivität begünstigten Einkommensempfänger eine gleich hohe Konsumneigung wie die Steuerzahler haben, so führt eine Erweiterung des ausgeglichenen Staatsbudgets von 100 zu einer Vergrößerung des Nettoinlandsproduktes von ebenfalls 100.

 

04. Der Multiplikator einer Veränderung des ausgeglichenen Budgets ist somit hier gleich eins. Dieser expansive Effekt erklärt sich daraus, dass die privaten Haushalte stets eine geringere Ausgabenneigung als der Staat aufweisen, sodass bei einer Ausweitung des Staatsbudgets auf Kosten der privaten Haushalte und Unternehmungen die gesamtwirtschaftliche durchschnittliche Ausgabenneigung ansteigt.

 

05. Während der Weltwirtschaftskrise wurde die Frage diskutiert, ob es eines permanenten Eingreifens von Seiten des Staates bedürfe oder ob eine einmalige Konjunkturspritze genüge, um das Wirtschaftssystem aus der Krise herauszuholen.

 

06. In den Anfangsjahren der Krise überwog die Meinung, dass der Staat die Konjunktur lediglich ankurbeln müsse und dass das Wirtschaftssystem - einmal wiederum in Gang gebracht - selbst in der Lage sei, ein hohes Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten.

 

07. Beschränken wir uns auf die Multiplikatortheorie, so lässt sich eindeutig feststellen: Eine einmalige Erhöhung der Staatsausgaben wird das Volkseinkommen und mit ihm auch den Grad der Beschäftigung nur vorübergehend erhöhen. Will man das Einkommensniveau auf lange Sicht anheben, so bedarf es auch eines permanenten Einsatzes der fiskalpolitischen Mittel.

 

08. Berücksichtigen wir neben der Multiplikatortheorie auch das Akzelerationsprinzip, so fallen die Schlussfolgerungen keinesfalls mehr so eindeutig aus. Wie P. A. Samuelson gezeigt hat, können von einmaligen Veränderungen der effektiven Nachfrage (also auch von einmaligen Staatsausgabenerhöhungen) durchaus kumulative Effekte ausgehen, und das Volkseinkommen für mehrere Perioden auf das Vollbeschäftigungsniveau anheben.

 

09. Im Rahmen der konjunkturpolitischen Diskussion wurde die Frage diskutiert, ob sich der Staat gewisser automatisch wirkender Mechanismen (Built-in flexibility) bedienen solle oder ob der Staat ein Instrumentarium bevorzugen solle, das jederzeit autonome Entscheidungen ermögliche. Automatisch wirkende Mechanismen liegen z. B. in der Arbeitslosenversicherung oder in der Steuerprogression vor.

 

10. Innerhalb der Arbeitslosenversicherung steigen in Zeiten der Rezession und Depression automatisch die Ausgaben an (es werden Arbeitslosengelder gewährt), die Beitragseinnahmen gehen aufgrund des Rückganges der Leistungseinkommen zurück.

 

11. Der Zuwachs in den Ausgaben vergrößert das Niveau der Konsumausgaben, ohne dass dieser expansive Effekt durch kontraktive Wirkungen von Seiten der Beitragseinnahmen kompensiert wird.

 

12. Auch von der Steuerprogression gehen konjunkturstabilisierende Effekte aus. Steigt das Einkommen aus konjunkturellen Gründen an, so nehmen die Steuereinnahmen wegen der Progression überproportional zu.

 

13. Automatisch wirkende Mechanismen haben den Vorteil, dass sie von keinem inside lag begleitet sind, also schneller wirken und dass sie auch dann in Wirkung treten, wenn die konjunkturpolitisch notwendigen Maßnahmen unpopulär sind und wenn die Politiker aus wahltaktischen Gründen nicht bereit sind, diese Maßnahmen zu beschließen.

 

14. Der Nachteil eines eingebauten Stabilisators besteht jedoch darin, dass der Staat hier keine Möglichkeit hat, die beschäftigungspolitischen Maßnahmen auf die konkrete Situation anzupassen. So könnte es z. B. erwünscht sein, je nach Höhe der Arbeitslosigkeit und Schwere der strukturellen Defizite ein unterschiedlich umfangreiches Beschäftigungsprogramm anzustreben. Auf solche Unterschiede muss verzichtet werden, wenn Konjunkturpolitik allein auf dem Wege eingebauter Stabilisatoren angesteuert wird.

 

15. Im Rahmen der Diskussion um eine zweckmäßige Fiskalpolitik wurde die Frage diskutiert, ob sich der Staat antizyklisch oder kompensatorisch verhalten solle. Eine antizyklische Fiskalpolitik verlangt, dass der Staat in den Zeiten, in denen die effektive Nachfrage das potenzielle Güterangebot übersteigt, Einkommensteile still legt und in den Zeiten, in denen die Nachfrage zu gering ist, neue Nachfrage entfaltet. Diesem Konzept liegt die Vorstellung zugrunde, dass über den gesamten Konjunkturzyklus hinweg die effektive Nachfrage dem potenziellen Güterangebot entspricht, sodass die in Zeiten des Konjunkturabschwunges notwendig gewordenen Defizite durch die Überschüsse, die in Zeiten des Konjunkturaufschwunges aufgebracht werden, weitgehend kompensiert werden können.

 

16. Nun kann man bezweifeln, ob das Nachfragedefizit in der Rezession gerade dem Nachfrageüberschuss in der Hochkonjunktur entspricht. In diesem Falle kommt es weniger auf den Ausgleich im Konjunkturzyklus an als darauf, dass in jeder Periode das Nationalbudget ausgeglichen wird. Um diese Forderung nach einer kompensatorischen Fiskalpolitik von der Forderung nach einer antizyklischen Fiskalpolitik abzuheben, sprach man von einer kompensatorischen Fiskalpolitik. Ziel dieser Politik ist es, das Nationalbudget, die Gegenüberstellung von effektiver Nachfrage und Gesamtangebot bzw. von Kaufkraftschöpfung und Kaufkraftstilllegung in jeder Periode zum Ausgleich zu bringen.

 

 

Fragen zu Kapitel 9a:

 

01. Von welchen zwei Annahmen ging die traditionelle Finanzpolitik aus?

 

02. Warum gehen von einem ausgeglichenen Budget trotzdem Wirkungen auf das Volkseinkommen aus?

 

03. Warum ist nach keynesianischer Sicht eine aktive Fiskalpolitik notwendig?

 

04. Warum hält die neoklassische Finanztheorie die keynesianische Fiskalpolitik für gefährlich?

 

05. Warum wirkt nach Meinung der Neoklassik eine Politik des Budgetdefizits zu spät?

 

06. Auf welchem Wege versuchte die Politik diesen zu großen time lag zu verringern?

 

07. Reicht eine einmalige Konjunkturbelebung aus, wenn man sich auf die Multiplikatortheorie beschränkt?

 

08. Welche theoretischen Zusammenhänge rechtfertigen jedoch eine Politik der einmaligen Konjunkturbelebung?

 

09. Was versteht man unter ‚Built-in flexibility‘?

 

10. Welche Argumente sprechen für eine Politik des ‚Built-in flexibility‘?

 

11. Worin unterscheidet sich eine antizyklische Konjunkturpolitik von einer kompensatorischen Fiskalpolitik?

 

12. Welche Argumente sprechen gegen eine antizyklische Politik?

 

 

Antworten zu Kapitel 9a:

 

01. Die traditionelle Finanzpolitik ging von der Prämisse aus, dass über das Staatsbudget möglichst wenige Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft ausgehen sollten und dass dieser Forderung am besten mit einem ausgeglichenen Budget entsprochen werde.

 

02. Entsprechend dem Haavelmotheorem führt eine Ausweitung des Budgetvolumens auch bei ausgeglichenem Budget zu einer Einkommensexpansion, da die Ausgabenquote des Staates immer größer ist als die Konsumquote der Haushalte.

 

03. Nach keynesianischer Sicht versagt der Kapitalmarkt, indem eine Zunahme der Ersparnis keinesfalls von selbst zu einer gleichgroßen Investitionssteigerung führt. Der Staat habe deshalb die Aufgabe, durch ein Budgetdefizit die fehlende private Nachfrage zu ersetzen.

 

04. Nach Auffassung der Neoklassik ist die keynesianische Fiskalpolitik gefährlich, weil sie erst zu spät Wirkung zeigt, weil sie zu unerwünschten Nebenwirkungen auf die Ziele des Wachstums und der Geldwertstabilität führt.

 

05. Ein Budgetdefizit wirkt zumeist zu spät, da die Zeitspanne zwischen Auftreten einer Rezession und Verringerung der Arbeitslosigkeit aufgrund des Budgetdefizits etwa 1 1/2 Jahre beträgt und da deshalb diese Politik zu spät greift.

 

06. Die Politik versuchte den time lag dadurch zu verringern, dass konjunkturpolitisch motivierte Veränderungen in den Steuersätzen auch von der Regierung ohne vorherigen Beschluss des Parlamentes durchgeführt werden können.

 

07. Entsprechend der Multiplikatortheorie bedarf es einer länger anhaltenden Fiskalpolitik, um die Beschäftigung längerfristig zu steigern.

 

08. Samuelson hat durch die Verbindung der Multiplikatortheorie mit dem Akzelerationsprinzip aufgezeigt, dass auch von einmaligen Ausgabensteigerungen des Staates eine langfristige Belebung der Konjunktur ausgehen kann.

 

09. Bei der Politik des  built-in flexibility‘ tritt der erwünschte konjunkturpolitische Effekt automatisch ein, ohne dass die Regierung konkrete Maßnahmen beschließen muss.

 

10. Für eine Politik des ‚built-in flexibility‘ spricht erstens die Tatsache, dass auf diese Weise der time lag des Wirkungsprozesses verringert werden kann und dass zweitens so auch unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen durchgeführt werden können.

 

11. Bei der antizyklischen Politik wird der Grundsatz eines ausgeglichenen Staatsbudgets für den gesamten Konjunkturzyklus beibehalten, während bei einer kompensatorischen Politik die Höhe des Budgetdefizits in der Rezession unabhängig davon festgelegt wird, wie groß die Überschüsse im Aufschwung sind.

 

12. Eine antizyklische Politik setzt voraus, dass die konjunkturellen Auf- und  Abschwünge synchron verlaufen. De facto sind jedoch Auf- und Abschwünge unterschiedlich lang.