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Volkswirtschaftslehre für Laien

 

 

 

 Gliederung:

 

  1. Genügt der gesunde Menschenverstand?

  2. Was heißt Wirtschaften?

  3. Wie funktioniert ein Markt?

  4. Ist von einem ‚Arbeitsmarkt‘ zu sprechen entwürdigend?

  5. Ist das Eigeninteresse moralisch verwerflich?

  6. Die Rolle des Wettbewerbs

  7. Umverteilung zu Lasten der Millionäre?

  8. Moral Hazard und Versicherung

  9. Von ideologischen Betrachtungsweisen

10. Können Werturteile wissenschaftlich bewiesen werden?

11. Die Rolle des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft

12. Staatliche Planwirtschaft versus Marktwirtschaft

 

 

  1. Genügt der gesunde Menschenverstand?

 

 

 

Gliederung:

 

1. Der Adressat dieser Vorlesung

2. Vorbild Naturwissenschaften

3. Der Schwierigkeitsgrad ökonomischer Probleme

4. Verfahren zur Überprüfung von Aussagen

5. Tautologische Beweise

6. Verschiebung der Beweisführung

7. Nichtbeachtung als Beweis

8. Überprüfung bei technischen Fragen

9. Fremdwörter und Fachausdrücke

                 10. Vorteile einer graphischen Darstellung

                 11. Marktwirtschaft versus staatliche Planwirtschaft

 

 

 

1. Der Adressat dieser Vorlesung

 

Diese Vorlesung über Volkswirtschaftslehre soll sich in erster Linie an Laien richten. Vorlesungen werden ja im Allgemeinen in allererster Linie für Studenten gehalten und dienen dazu, den Lehrstoff für eine höhere berufliche Ausbildung anzubieten. Der Besuch dieser Vorlesungen setzt in aller Regel beachtliche Grundkenn­tnisse (z. B. in Mathematik) voraus, ohne welche die Vorlesungen in Wirtschaftstheorie auch nicht richtig verstanden werden können.

 

Diese Vorlesung will sich bewusst von dieser Art Vorlesung unterscheiden und richtet sich an jene, welche keine spezielle Berufsbildung anstreben, sondern lediglich an den wirtschaftlichen Zusammenhängen interessiert sind. Natürlich baut jedes Wissen auf gewissen Grundlagen auf und sicherlich ist es auch nicht möglich, vollkommen voraussetzungslos die Zusammenhänge einer Volkswirtschaft befriedigend darzustellen.

 

Man hätte diese Vorlesung auch Volkswirtschaftslehre für Anfänger nennen können, von der Sache her wäre dies sicherlich berechtigt gewesen. Wenn ich mich trotzdem dafür entschieden habe, von Vorlesungen für Laien zu sprechen, so hat dies folgenden Grund.

 

Bisweilen wird der Hinweis, man sei Anfänger, etwas abschätzig gebraucht. Es ist dann ein Versuch, den Anfänger von der Diskussion auszuschließen und dies kommt fast einer Beleidigung gleich. Dies wäre jedoch genau das Gegenteil von dem, was hier beabsichtigt ist, nämlich den an und für sich schwierigen Stoff der Volkswirtschaftslehre auch einem größerem Publikum näher zu bringen, das nicht alle Voraussetzungen erfüllt, welche man im Allgemeinen mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium verbindet.

 

Wenn man will kann man diese Einführung in die Volkswirtschaftslehre auch als eine Art Philosophie der Marktwirtschaft bezeichnen. Wir wollen in dieser Vorlesung stets auch nach dem Sinn des Wirtschaftens fragen und unter anderem überprüfen, ob die moralisch motivierten Angriffe auf die Marktwirtschaft wirklich dem Marktsystem gerecht werden.

 

 

2. Vorbild Naturwissenschaften

 

Nun setzt dieser Versuch, den wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstoff auch Laien zu vermitteln, selbst wiederum einige Voraussetzungen voraus. Wenn es nämlich nur eine einzige Möglichkeit gäbe, wie man diesen Lehrstoff vermitteln kann, dann wäre es wohl kaum möglich, eine Vorlesung für Laien abzuhalten. Man braucht nur ein beliebiges Lehrbuch der Wirtschaftstheorie aufzuschlagen oder eine Vorlesung – vielleicht mit Ausnahme einer Vorlesung für erste Semester – anzuhören, dieser Stoff ist voll mathematischer Ableitungen, welche ohne vertiefte Kenntnisse in Mathematik wohl kaum verstanden werden können.

 

Ein solches Vorhaben hat nur Sinn, wenn man die Grundfragen des Wirtschaftens erklären kann, auch ohne dass man zu hoch komplizierten mathematischen Formeln Zuflucht nimmt. Es muss also möglich sein, auch schwierigen Lehrstoff so mit einfachen Worten darzustellen, dass der Nutznießer dieser Abhandlungen diesen Stoff auch einigermaßen versteht.

 

Dass ein solches Unterfangen möglich ist, wurde nun wiederholt für die Naturwissenschaften bewiesen. Die Naturwissenschaften zählen ja nun gerade zu den exakten Wissenschaften, welche an und für sich wohl kaum ohne mathematischen Apparat dargestellt werden können. Vor allem Stephen Hawking hat mit mehreren Arbeiten diese Möglichkeit auch populärwissenschaftlicher Schriften über die Probleme der Naturwissenschaft unter Beweis gestellt.

 

Steven Hawking wurde 1946 geboren, ist querschnittgelähmt und hat seit 1979 einen Lehrstuhl für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik in Cambridge (Großbritannien), eines der renommier­testen naturwissenschaftlichen Fakultäten, inne, ein Lehrstuhl übrigens, welchen Issac Newton Mitte des 17. Jahrhunderts bereits inne hatte und der zu den ganz berühmten Forschern der beginnenden Neuzeit zählte.

 

Hawking hat zahlreiche Beiträge zur modernen Kosmologie geleistet, wofür er mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten hat. Er hat aber auch – und dies ist der Grund, weshalb ich ihn hier erwähne – zwei populärwissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, 1988 ‚Eine kurze Geschichte der Zeit‘, eine Arbeit, die zu den Bestsellern zählt und 2001 ‚Das Universum in der Nussschale‘.

 

In dem 2001 veröffentlichten Werk charakterisiert Hawkins die Zielsetzungen dieses Buches unter anderem mit folgenden Sätzen:

 

‚Ich möchte dem Leser einen Eindruck von der Faszination der Entdeckungen verschaffen, die gegenwärtig gemacht werden, und von dem Bild der Wirklichkeit, das sich herauszukristallisieren beginnt. Damit das Gefühl der Unmittelbarkeit stärker zum Tragen kommt, konzentriere ich mich dabei auf Bereiche, in denen ich selbst gearbeitet habe. Die Einzelheiten dieser Arbeit sind sehr wissenschaftlich, doch ich glaube, die Ideen lassen sich in ihren Grundzügen ohne großen mathematischen Ballast mitteilen. Ich hoffe, es ist mir gelungen‘.

 

Diesem Anspruch möchte ich auch mit dieser Vorlesung genügen.

 

 

3. Der Schwierigkeitsgrad ökonomischer Probleme

 

Nun ist nicht jede Wissenschaft gleich, der Nachweis, dass dieses Unterfangen für die Naturwissenschaft mit Erfolg durchgeführt werden konnte, besagt noch nicht, dass dies auch für jede andere Wissenschaft, so vor allem für die Wirtschaftswissenschaft gelingen kann. Worin bestehen nun die hier maßgeblichen Unter­schiede?

 

Nach allgemeinem Verständnis zählen die Naturwissenschaften zu den Bereichen, die wohl von einem Nichtwissenschaftler am schwierigsten zu verstehen sind. Demgegenüber hat es den Anschein, dass wirtschaftliche Vorgänge wohl von jedem wie von selbst verstanden werden. Nach weitgehender Überzeugung reiche der gesunde Menschenverstand hierzu vollkommen aus.

 

Ich möchte bezweifeln, ob diese generelle Einschätzung mit den Tatsachen übereinstimmt. Der Nobelpreis­träger Friedrich von Hayek hat in seiner Theorie der komplexen Handlungen eine etwas andere Sicht vermittelt. Als erstes gilt es zu erkennen, dass es recht unterschiedliche Zweige der Naturwissenschaft gibt und dass der Schwierigkeitsgrad dieser Zweige sehr unterschiedlich ist.

 

Das große Vorbild für jedes wissenschaftliche Bemühen zu Beginn der Neuzeit war die Mechanik und die Astronomie. Gerade in diesem Bereich war der Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen auf der einen Seite sehr exakt, auf der anderen Seite handelt es sich jedoch bei diesen Gesetzmäßigkeiten um recht einfache Beziehungen, relativ leicht zu beobachtende und deshalb auch überprüfbare Regelmäßigkeiten.

 

Es gibt andere Bereiche der Naturwissenschaft, für welche wie z. B. bei der Chemie längst nicht dieser Grad an Eindeutigkeit gewonnen werden konnte und es gibt sogar Bereiche, wie die subatomare Physik, bei welcher nur noch Wahrschein­lichkeiten festgestellt werden können, bei denen jedoch die Bestimmung der Lage von Raum und Zeit der einzelnen Partikel schon allein deshalb gar nicht möglich ist, da uns die Methoden der Erfassung dieser kleinsten Teile Begrenzungen auferlegen.

 

Genauso wie die Chemie auf den physikalischen Grundlagen aufbaut und deshalb die in der Chemie untersuchten Partikel einen komplexeren Charakter aufweisen als die physikalischen Grundeinheiten, genauso gilt für die medizinische Wissenschaft, dass auch sie wiederum auf der einen Seite auf den chemischen Gesetzen aufbaut, aber einen wesentlich höheren Komplexitätsgrad erreicht als die Chemie.

 

Wenn wir in dieser Entwicklung fortfahren, so ist die Medizin ein Sonderfall eines Wissenszweiges, der sich mit menschlichen Gegebenheiten und Verhaltensweisen befasst und die Wirtschaftswissenschaft gehört ihrerseits zu den Wissenszweigen, welche die wechselseitigen wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander untersuchen. Aus diesen Gründen befassen sich die Wirtschaftswissenschaften mit einem weit komplexeren Sachverhalt, als dies für die Wissenszweige gilt, die sich mit dem Verhalten des einzelnen Menschen allein befassen.

 

Auf diese Zusammenhänge führt es Friedrich von Hayek zurück, dass im Rahmen der Wirtschafts­wissenschaften immer nur Musteraussagen gemacht werden können, welche zwar das Muster eines Geschehens abbilden können, welche diese Aufgabe aber nie so eindeutig erfüllen können, dass man – wie dies z. B. in der Mechanik der Fall ist – genau die räumliche Lage sowie den Zeitraum wie schließlich die genaue Größe der untersuchten Variablen bestimmen  kann. Wir wollen also festhalten, dass im Hinblick auf den Komple­xitäts­grad wirtschaftlicher Phänomene die Wirtschaftswissenschaft hinter den Naturwissen­schaften keines­falls zurücksteht.

 

Aber gerade der Umstand, dass – wie wir gesehen haben fälschlicher Weise – in der Öffentlichkeit die Meinung vorherrscht, dass es sich bei den wirtschaftlichen Vorgängen um alltägliche und gerade deshalb von jedem erkennbare und einsehbare Ereignisse handelt, bringt bei dem Verständnis wirtschaftlicher Vorgänge neue Schwierigkeiten mit sich. Der Umstand, dass jeder im Hinblick auf wirtschaftliche Phänomene tägliche Erfahrungen macht, sagt natürlich noch nichts darüber aus, ob diese Vorgänge auch leicht einsehbar sind. Sie sind nur scheinbar einfach.

 

Um dies einzusehen, wollen wir uns einen Angestellten vorstellen, welcher in einem Forschungslabor für die Buchhaltung verantwortlich sei. Der Umstand, dass sein Arbeitsplatz räumlich in demselben Gebäude wie die einzelnen Forschungseinrichtungen untergebracht ist und dass er alltäglich die Arbeiten dieser Forscher beobachten kann, sagt noch nichts darüber aus, dass diese Forschungsarbeiten auch von jedem, der diese Arbeiten mitansieht und miterlebt, erkennbar sind.

 

 

4. Verfahren zur Überprüfung von Aussagen

 

Es gibt natürlich Gründe dafür, dass viele Menschen der Auffassung sind, die wirtschaftlichen Vorgänge auch zu verstehen. Fragen wir uns hierzu, worin denn  die Voraussetzungen dafür liegen, dass jemand glaubt, bestimmte Vorgänge zu verstehen. Man macht sich Vorstellungen über den Ablauf gewisser Ereignisse und wenn dann die Ereignisse auch so eintreten wie man sie erwartet hatte, glaubt man auch die Zusammenhänge richtig erkannt zu haben.

 

In der Tat werden hier scheinbar genau die gleichen Methoden wie in der Wissenschaft angewandt. Im Rahmen der empirischen Wissenschaften gibt es im Grunde genommen nur ein Verfahren, um die Gültigkeit bestimmter Theorien zu überprüfen. Aus den vergangenen Beobachtungen glaubt man einen bestimmten Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Variablen festgestellt zu haben. So führe das Auftreten einer bestimmten Variablen, wie z. B. einer Preissteigerung nach einer gewissen Zeit zu einer Reduzierung in der Nachfrage nach diesem Gut.

 

Aufgrund dieser Feststellungen formuliert man nun eine Hypothese, in unserem Beispiel z. B. die These, dass Preissteigerungen immer zu einer Reduzierung der Nachfrage nach diesem Gut führen. Damit nun diese These – sozusagen ein Anfangsverdacht – zu einer empirisch bestätigten Theorie wird, bedarf es einer Vielzahl von Untersuchungen, in denen überprüft wird, ob tatsächlich Ereignis X (die Preissteigerung in unserem Beispiel) immer auch das Ereignis Y (die Nachfragereduzierung) auslöst.

 

Vor allem dann, wenn unsere These für alle denkbaren Fälle gelten soll, wenn also diese These die Behauptung enthält, dass ein bestimmtes Ereignis immer – in jedem Einzelfall also  – gelten soll, müssen natürlich die Experimente so angelegt sein, dass wirklich unter den unterschiedlichsten Bedingungen diese Zusammenhänge überprüft werden. Im Allgemeinen werden deshalb Hypothesen auch so formuliert, dass nur unter ganz bestimmten Bedingungen gewisse Zusammenhänge behauptet werden. So wird z. B. im Allgemeinen die Nachfragereaktion auf Preissteigerungen nur unter der Bedingung behauptet, dass ein intensiver Wettbewerb zwischen den einzelnen Marktteilnehmern besteht.

 

Nun sprach ich davon, dass hier die Vorgehensweise des Laien nur scheinbar der von den Wissenschaftlern vorgenommenen Untersuchungen entspricht. Eine der wesentlichen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens besteht nun darin, dass eine Hypothese so formuliert wird, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass sie wiederlegt werden kann. Thesen können aber auch so formuliert werden, dass sie ex definitione richtig sind. Wenn ich z. B. die Bevölkerung in zwei Teile gliedere: die Arbeitnehmer und die Selbständigen und wenn ich nun feststelle, dass die Gewinnquote am gesamten Volkseinkommen gestiegen ist, dann folgt hieraus logisch zwingend, dass die Lohnquote gesunken ist. Dies ergibt sich aus den zugrunde gelegten Definitionen und hat gerade deshalb keinen informativen Gehalt. Dieser Zusammenhang besteht eben nur deshalb, weil diese beiden Begriffe so definiert sind, dass sich die eine Größe (also z. B. die Lohnquote) genau so stark verändern muss wie die andere Größe (in unserem Beispiel die Gewinnquote), nur eben in die entgegengesetzte Richtung.

 

 

5. Tautologische Beweise

 

Oft werden zur Beweisführung nun solche tautologischen – das heißt nichtssagenden – Formeln verwendet, um bestimmte Aussagen zu beweisen. Nehmen wir als Beispiel die These der Verelendung der Arbeiter in einer kapitalistischen Gesellschaft. Diese These nimmt in der marxistischen Theorie, wonach die kapitalistische Gesellschaft eines Tages zwingend in eine sozialistische Gesellschaft überführt werde, eine zentrale Rolle ein. Damit nämlich die Arbeitnehmer auch zu einer Revolution bereit sind, müssen sie nach Marx’schen Vorstellungen zuvor verelendet sein.

 

Nun kann sicherlich nicht bestritten werden, dass die Arbeitnehmer am Beginn der Industrialisierung tatsächlich ein Lohnbeinkommen erhielten, das noch nicht einmal das Existenzminimum absicherte, dass sie – um überhaupt überleben zu können – 10 und noch mehr Stunden am Tag arbeiten mussten und dass auch die Kinder zur erwerbswirtschaftlichen Arbeit herangezogen wurden.

 

Diese Verelendung war jedoch nicht so sehr die Folge der Industrialisierung, sondern ergab sich aus dem Umstand, dass ein Großteil der Landbevölkerung in die Städte zog und damit sowohl den Schutz vor den Risiken des Lebens verloren hatte als dass auch jegliche im Mittelalter wirkende Begrenzung der Geburtenrate entfiel. Die Folge war ein rasantes Bevölkerungswachstum, was wiederum dazu führte, dass das Pro-Kopf-Einkommen sank, obwohl der Industrialisierungsprozess von Anfang an zu einer Ausweitung der Produktion geführt hatte.

 

In der Zwischenzeit stieg das Inlandsprodukt stärker an als die Bevölkerung, gleichzeitig ging auch die Geburtenrate wiederum zurück, sodass auch das Einkommen der Arbeiter auf lange Sicht gerade wegen der Industrialisierung anstieg. Von einem bestimmten Zeitpunkt an konnte auf jeden Fall nicht mehr davon gesprochen werden, dass die gesamte Arbeitnehmerschaft verarmte.

 

Aber anstatt dass man deshalb die Verelendungsthese von einem bestimmten Zeitpunkt an als empirisch widerlegt aufgab, hielt man im Rahmen der kommunistischen Theorie an der Verelendungsthese fest, deutete sie so um, dass sie wiederum als gültig angesehen werden konnte. Man sprach jetzt von einer relativen Verelendung und verstand darunter die Behauptung, dass die Lohnquote, der Anteil der Lohnempfänger am Inlandsprodukt mit der Zeit immer mehr zurückgehe. Die Lohnquote kann aber sehr wohl zurückgehen, auch dann, wenn das absolute und reale Lohneinkommen ansteigt. Die Löhne steigen hier eben nur nicht so stark an wie die sonstigen Einkommen.

 

Aber auch diese These konnte empirisch nicht aufrechterhalten werden. Die Wirtschaftswissenschaft sprach vielmehr von einer bemerkenswerten Konstanz der Lohnquote. Auf sehr lange Sicht – also in den letzten 100 Jahren – ist sogar die Lohnquote beachtlich angestiegen. Auch jetzt war man nicht bereit, die Verelendungsthese als empirisch widerlegt anzusehen, sondern man nahm Zuflucht zu einer erneuten Umdefinierung des Begriffes der Verelendung. Nun sprach man davon, dass zwar an und für sich die Gesetze des Kapitalismus zu einer Verelendung der Arbeiter führen müssten, dass diese aber längere Zeit außer Kraft gesetzt worden seien, da es den Kapitalisten gelungen sei, die arbeitende Bevölkerung in den Kolonialstaaten (den heutigen Entwicklungsländern) anstelle der inländischen Arbeitnehmer auszubeuten.

 

Mit andern Worten: Es ging dann gar nicht mehr darum, eine Hypothese (die der Verelendung) empirisch zu testen. Es stand vielmehr fest, dass diese These auf jeden Fall als richtig zu gelten hat, und dass immer dann, wenn diese These in Widerspruch zu den Fakten gerät, diese These so umgedeutet werden musste, dass sie dann wiederum mit den Fakten übereinstimmte. Der Begriff der Verelendung wurde zu einer leeren Hülse, die sich einer empirischen Überprüfung entzog. Friedrich von Hayek sprach in einem etwas anderen Zusammenhang von einem Wieselwort. Das Wiesel kann ein Ei so aussaugen, ohne die äußere Form des Eies zu zerstören, dass nur die äußere Hülle bestehen bleibt. Man sieht also diesem Ei dann nicht an, dass es gar keinen Inhalt mehr hat.

 

 

6. Verschiebung der Beweisführung

 

Oftmals wurden die Beobachtungen auch dadurch verzerrt, dass man gar nicht auf das Ziel abhebt, auf das es eigentlich ankommt, sondern stillschweigend unterstellt, dass bestimmte Erscheinungen als Beleg eines Beweises angesehen werden können. Nehmen wir als Beispiel folgende Argumentation. Man will nachweisen, dass die Aktivtäten der (bösen) Unternehmer dem Gemeinwohl abträglich seien und verweist als Beweis für diese Behauptung darauf hin, dass Unternehmer aus egoistischen Motiven heraus handelten, nur ihren Gewinn im Auge hätten und deshalb dem Gemeinwohl zuwider handelten.

 

Man geht hier also von der Annahme aus, dass das, was dem einen (dem Unternehmer) nützt, notwendiger Weise der Allgemeinheit – den jeweils anderen – schaden müsse. In Wirklichkeit lässt sich nie aus dem Motiv eines Handelnden allein unmittelbar ableiten, wie das Gemeinwohl auf diese Weise berührt wird.

 

In der Tat war diese Auffassung auch die vorherrschende Lehre des Merkantilismus, der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre des Absolutismus. Dieser ließ sich bekanntlich von dem Leitsatz lenken, der Nachteil des anderen sei immer der eigene Vorteil. Diese irrige Lehre konnte jedoch von David Ricardo in seiner berühmten Theorie der komparativen Kosten widerlegt werden; Ricardo hat in dieser Theorie eindeutig gezeigt, dass die Abschaffung der Importzölle nicht nur den Ländern zugutekommt, gegen welche sich diese Handelsbehinderungen gewendet hatten, sondern dass durch Freihandel alle am internationalen Handel beteiligten Nationen Vorteile erlangen.

 

Dies bedeutet nicht, dass es nicht durchaus Fälle gibt, in denen Eigennutz dem Gemeinwohl schadet. Wichtig ist allein der Nachweis, dass dies nicht immer der Fall sein muss und dies bedeutet, dass der Hinweis, ein einzelner habe aus Eigeninteresse gehandelt, in keinem Falle ausreicht, um den gesamtwirt­schaft­lichen Schaden zu beweisen. Stets bedarf es einer Überprüfung, in wieweit bestimmte Aktivitäten dem Gemeinwohl tatsächlich nützen oder schaden. Der Hinweis, dass bestimmte Handlungen aus egoistischen Motiven heraus erfolgt sind, ist weder eine notwendige noch eine ausreichende Voraussetzung dafür, dass diese Aktivität gemeinwohl­gefährdend ist. Der Hinweis auf das Motiv ist in dieser Frage vollkommen irrelevant und trägt zusätzlich zur Brunnenvergiftung bei. Heilige gibt es in unserer Gesellschaft nur ganz wenige, der überaus größte Teil der Bevölkerung handelt aus Eigeninteresse, das ist aber auch gar nichts Ehrenrühriges oder Schädliches, wenn hierdurch nicht das Gemeinwohl geschädigt wird.

 

In dem genannten Beispiel wird also die Aufmerksamkeit auf einen Tatbestand (das Eigeninteresse) gelenkt, der sich zwar nicht aus logischen Überlegungen zwingend beweisen lässt, der jedoch nahezu immer erfüllt ist. Der Fehler liegt darin, dass man stillschweigend unterstellt, jedes Handeln aus Eigeninteresse würde per se dem Gemeinwohl schaden.

 

 

7. Nichtbeachtung als Beweis

 

Bisweilen wird auch drittens der bloße Tatbestand, dass sich gegen bestimmte Handlungen kein Wider­spruch erhebt, bereits als Nachweis angesehen, dass sich bestimmte Aktivitäten bewährt hätten. Nehmen wir das Beispiel der Einführung eines vom Gesetzgeber beschlossenen für alle Wirtschaftszweige geltenden, einheitlichen Mindestlohns. Von den Anhängern dieser Lösung wird wiederholt daraufhin gewiesen, dass es in einer Vielzahl von europäischen Ländern seit langer Zeit eine solche Regelung gebe und dass sie sich bewährt habe.

 

Nun ist nicht ganz eindeutig, wann hier eine Maßnahme als bewährt angesehen wird. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass ein gesetzlicher Mindestlohn überhaupt nur dann eine Wirkung (also bei den betroffenen Arbeitnehmern eine Lohnerhöhung) auslöst, wenn der Lohn aufgrund der Einführung dieser gesetzlichen Regelung gestiegen ist. Nun lässt sich natürlich im Nachhinein niemals eindeutig sagen, welcher Lohn gezahlt worden wäre, wenn diese Regelung nicht eingeführt worden wäre. Auch der Umstand, dass gegenüber der vorherigen Periode der Lohn tatsächlich erhöht wurde, ist kein eindeutiges Indiz dafür, dass die Lohner­höhung aufgrund der Einführung des Mindestlohnes stattgefunden hat.

 

Weiterhin gilt es zu bedenken, dass gerade bei gesetzlichen Regelungen nicht unbedingt jedes Jahr eine Anpassung erfolgt mit der Konsequenz, dass immer dann, wenn das allgemeine Preisniveau Jahr für Jahr um einige Prozent steigt, der reale Lohnsatz dann doch wiederum unter das Niveau sinkt, das bei der Festsetzung des Mindestlohnes garantiert war, es sei denn, der Mindestlohn wird immer wieder – das heißt praktisch jedes Jahr – an die Inflationsrate angepasst.

 

Auch muss befürchtet werden, dass negative Folgen der Einführung eines Mindestlohnes nicht unbedingt darin liegen müssen, dass gerade die Arbeitnehmer, die aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung profitieren, benachteiligt werden, indem ihnen z. B. gekündigt wird. Es ist durchaus möglich, dass sonst stattfindende Lohnerhöhungen unterbleiben. Es kann ja durchaus sein, dass die Weiterbeschäftigung der von dem Mindestlohn profitierenden Arbeitnehmer nach wie vor Vorrang hat, dass sich die Unternehmungen aber gezwungen sehen, diese Kostensteigerungen an anderer Stelle wieder durch Kostensenkungen wettzumachen.

 

Wir wollen also festhalten, dass in praxi eine Reihe von Mechanismen wirken, die alle darauf hinwirken, dass sich der einzelne Laie in seinen Vorstellungen bestätigt findet, obwohl in Wirklichkeit keine wissen­schaftlich einwandfreie Bestätigung stattgefunden hat.

 

 

8. Überprüfung bei technischen Fragen

 

In naturwissenschaftlichen und technischen Fragen begegnen wir ganz anderen Mechanismen. Es ist den meisten Laien von vornherein klar, dass sie nicht über den naturwissenschaftlichen Sachverstand verfügen, der notwendig ist, in technischen Fragen mitreden zu können. Zumeist ist es dem einzelnen klar, dass ihm das notwendige Wissen zur Beurteilung dieser Fragen fehlt, auch handelt es sich hierbei ja zumeist um Fragen, welche nicht jeden Tag im Alltag auftreten. Vor allem sind die Gefahren, welche bei einer Fehleinschätzung zu befürchten sind, oftmals katastrophal groß.

 

Nehmen wir an, wir säßen in einem Düsenflug­zeug, der Pilot wie auch der Kopilot seien aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen, es ginge darum, jemand zu finden, der in der Lage wäre, das Düsenflugzeug zu lenken und sicher zu landen oder auch den erkrankten Piloten erste Hilfe zu gewähren. Hier würde sich wohl kaum jemand in der Lage sehen, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn er nicht eigens für diese Aufgabe ausgebildet worden wäre. Nur ein Arzt kann entscheiden, wie den Piloten medizinisch geholfen werden kann und nur ein Pilot, der das Fliegen eines Düsenflugzeuges gelernt hat, wird die Maschine sicher auf die Erde steuern können. Der gute Wille reicht hier nicht aus, es kann einem Passagier noch so sehr am Herzen liegen, dass die Piloten gerettet werden oder dass das Flugzeug sicher zur Landung gebracht wird, der erfahrene Arzt bzw. Pilot ist hier eindeutig besser in der Lage, das zu tun, was notwendig ist, die Piloten zu heilen bzw. eine Bruchlandung des Flugzeuges zu verhindern.

 

 

9. Fremdwörter und Fachausdrücke

 

Fragen wir uns nun, worin sich denn eine populärwissenschaftliche Arbeit von den sonstigen wissenschaft­lichen Werken unterscheiden wird. Schwer verständlich für einen Laien mag einmal die Tatsache sein, dass sich Wissenschaftler oftmals mit einem ganzen Schwarm von Fachausdrücken zumeist lateinischen oder auch griechischen Ursprungs umgeben. Wenn man bei jedem zweiten oder dritten Satz zu einem Wörterbuch greifen muss, das einem den Sinn dieser Ausdrücke erklärt, verliert man sehr schnell die Lust am Weiterlesen. Bisweilen hat man auch den Eindruck, dass hier der Vortragende nur mit seinem Wissen protzen möchte oder auch möglicher Kritik vorbeugen möchte, da ja niemand zugeben möchte, dass er bestimmte Ausdrücke nicht kennt und vielleicht sogar den Kollegen bewundert über all das Wissen, das man selbst nicht hat.

 

Machen wir uns auch hier wiederum anhand einiger Beispiele das Gesagte klar. Wenn ein einzelner Unternehmer als einziger ein bestimmtes Gut anbietet, spricht man in diesem Zusammenhang davon, er habe ein Monopol für dieses Gut. Sicherlich wurde dieser Begriff zunächst für Märkte verwandt, auf denen ein einziger Anbieter einer Vielzahl von Nachfragern entgegentritt. Nun gibt es aber auch Märkte, auf denen ein Unternehmer als einziger Nachfrager eines bestimmten Gutes (z. B. eines bestimmten Rohstoffes) auftritt. Für diese Situation hatte Joan Robinson den Ausdruck Monopson vorgeschlagen. Kollegen erweiterten diese Begriffsbildungen dadurch, dass sie nun auch von einem Oligopson sprachen, wenn sie andeuten wollten, dass auf der Nachfrageseite (und nicht wie beim Oligopol auf der Angebotsseite) nur einige wenige Unternehmer auftreten.

 

Man kann diesen Prozess der Begriffsbildung beliebig fortsetzen, es fragt sich, ob man dadurch wirklich zur Entwicklung der Theorien beigetragen hat, ob hier nicht vielmehr alles sehr viel komplizierter wird, ohne dadurch mehr Klarheit zu gewinnen. Ein Kollege hatte in diesem Zusammenhang treffend darauf hingewiesen, dass auch schon die Verwendung des Wortes Monopol eine Ausweitung des ursprünglichen Wortes bedeute, da ‚μόνοs πωλεῖν‘ (monos pōlein = allein verkaufen) in der ursprünglichen griechischen Sprache zunächst nur für einen Händler gebraucht wurde, der als einziger Fleisch verkauft hatte.

 

Genauso, wie man aber von dem Begriff ‚allein Fleisch zu verkaufen‘ auf die Erweiterung kam, diesen Begriff für alle möglichen Güter zu verwenden, vorausgesetzt, dass auf der Angebotsseite nur ein einziger Verkäufer auftritt, genauso kann es sinnvoll sein, den Begriff Monopol um ein weiteres auszudehnen und nun diesen Begriff dafür dazu verwenden, dass auf einer beliebigen Marktseite ein einziger Marktteilnehmer vorhanden ist. Dies bietet sich vor allem auch deshalb an, da die Theorie des Nachfragemonopols (des Monopsons) analog zur Theorie des Angebotsmonopols entwickelt wurde. In der Tat haben Angebots- und Nachfrage­monopol so viel gemeinsam, dass es sehr sinnvoll ist, von einem beide Marktseiten umfassenden Begriff ‚Monopol‘ auszugehen.

 

Nehmen wir einmal an, wir würden im Kreis ausgewählter Wissenschaftler, von denen wir wissen, dass sie noch nie den Begriff ‚Monopson‘ gehört haben, vor dem einen Publikum von Monopson, vor einem zweiten Publikum von Nachfrage­monopol sprechen. Ich bin fest davon überzeugt, dass im ersten Falle die meisten Zuhörer über diesen neuen Begriff etwas verwirrt wären, während auf der anderen Seite die zweite Gruppe sofort über die Bedeutung des Wortes Nachfragemonopol klare Vorstellungen hätte.

 

Allerdings wäre es genauso falsch, in  dieser einführenden Abhandlung jedes Fremdwort zu vermeiden. Natürlich könnten wir statt von einem Angebotsmonopol auch von einem Alleinverkauf sprechen oder statt von Produktion von Herstellung sprechen. Damit wär jedoch nicht viel gewonnen. Denn unser Leser hätte dann vielleicht gewisse Grundkenntnisse in Volkswirtschaftslehre erworben, er wäre jedoch kaum in der Lage, mit Gewinn irgendeinen Artikel über wirtschaftswissenschaftliche Probleme zu studieren, da diese nahezu immer eine Vielzahl von Fremdwörtern verwenden, ohne diese im Einzelnen zu erklären. Viel besser ist es, in dieser Situation durchaus einige grundlegende üblicher Weise gebrauchte Fremdwörter zu verwenden, diese aber sofort beim ersten Gebrauch näher zu erläutern.

 

In diese Kategorie fällt auch die Neigung einiger Wissenschaftler oder die es nur sein wollen, für eine überaus große Zahl von Ausdrücken eine Abkürzung zu wählen. Man spricht vom GG und meint damit das Grundgesetz oder vom EStG, das für Einkommensteuergesetz steht. Natürlich spart man auf diese Weise beim Schreiben eines Artikels das wiederholte Tippen der selben Buchstabenfolge. Dieser Gewinn steht jedoch in keinem Verhältnis dazu, dass dieser Text gerade dadurch recht unverständlich wirkt und den Leser zwingt, das Lesen dieses Artikels andauernd zu unterbrechen, um die Bedeutung gerade dieses Begriffes in einem Verzeichnis von Abkürzungen nachzuschlagen.

 

Neben den Fachausdrücken ist es vor allem die Verwendung mathematischer über mehrere Seiten sich erstreckender Ableitungen, welche den Unkundigen abschrecken. Für einen großen Teil interessierter Zuhörer waren die Mathematikstunden auf der Schule ohnehin ein Gräuel, sie sind froh, diese Lebensphase endgültig abgeschlossen zu haben, sodass also mathematische Ableitungen sicherlich nicht dazu beitragen, ihnen den Lehrstoff der Volkswirtschaftslehre näher zu bringen.

 

Nun müssen wir natürlich berücksichtigen, dass das Wirtschaften immer eine Beschäftigung mit Zahlen in Form von Preisen und Mengen darstellt und es ist nun einmal die Aufgabe der Mathematik, sich mit den Beziehungen zwischen Zahlen zu beschäftigen. Also wird man auch nicht ohne jegliche Mathematik innerhalb einer Volkswirtschaftslehre auskommen können.

 

Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Anspruch an das Verständnis bei der Behandlung mathematischer Themen unterschiedlich ist, je nachdem, ob man eine graphische oder analytische Darstellungsweise wählt. Mit Hilfe von Graphiken lassen sich viele Themen sehr anschaulich darstellen, während die Darstellung mit Gleichungssystemen für viele große Verständnisprobleme mit sich bringt.

 

 

10. Vorteile einer graphischen Darstellung

 

Wir wollen nun die Vorteile einer graphischen Darstellung anhand eines einfachen Marktsystems zeigen. Inhaltlich geht es im Rahmen der neoklassischen Markttheorie darum aufzuzeigen, ob ein Gleichgewicht existiert, ob also Preise denkbar sind, bei denen die Angebotsmenge gerade der Nachfragemenge entspricht und ob der Markt darüber hinaus von sich aus Kräfte entfaltet, von einer beliebigen Ungleich­gewichtsposition aus dieses Gleichgewicht anzusteuern.

 

Bei der Frage nach der Existenz eines Gleichgewichtes gilt es zu überprüfen, ob es eine bestimmte Preishöhe und eine bestimmte Gütermenge gibt, bei der Angebot und Nachfrage übereinstimmen. Bei der Darstellung der Markttheorie gilt es nun drei Gleichungen zu bestimmen. So hat man als erstes eine Angebotskurve zu entwickeln, wobei die Angebotskurve jedem denkbaren Preis eine bestimmte Ange­bots­menge zuordnet. Man geht also davon aus, dass der Anbieter keine eigene Preispolitik betreibt, dass er also darauf verzichtet, etwa durch Werbung oder bewusste Preisnachlässe die Nachfrage zu beeinflussen. Für ihn ist also der Preis ein vorgegebenes Datum, der Unternehmer überprüft nun, bei welcher Menge er seinen Gewinn maximieren kann.

 

In analoger Weise wird nun zweitens eine Nachfragekurve entwickelt, welche angibt, welche Gütermenge der Nachfrager bei alternativen Preisen kauft. Auch für den Nachfragenden wird unterstellt, dass der Preis für ihn vorgegeben und also nicht verhandelbar ist.

 

Als drittes schließlich brauchen wir eine Gleichgewichtsbedingung, die einfach festlegt, dass der Markt als geräumt zu gelten hat, wenn Anbieter und Nachfrager die gleiche Menge anbieten bzw. nachfragen.

 

Wählen wir nun als erstes eine graphische Darstellung. Wir tragen auf der Abszisse eines Diagramms die Gütermenge und auf der Ordinate den Güterpreis ab. Wir müssen nun noch über den Verlauf beider Reaktionskurven Annahmen treffen. Drei Annahmen seien getroffen. Wir unterstellen erstens bei beiden Marktpartnern eine normale Reaktion, das will heißen, dass der Anbieter auf Preissenkungen mit einer Reduzierung und bei einer Preissteigerung mit einer Zunahme des Warenangebotes reagiert. Für den Nachfrager gilt, dass normales Verhalten dann vorliegt, wenn Preiszunahmen mit einer Reduzierung und Preis­senkungen mit einer Erhöhung der Nachfrage beantwortet werden. Es wird zweitens auch eine normale Preisflexibilität unterstellt, was bedeutet, dass Angebotsüberhänge mit Preissenkungen, Nachfrageüberhänge hingegen mit Preissteigerungen beantwortet werden.

 

Es wird weiterhin der Einfachheit halber unterstellt, dass beide Reaktionskurven einen linearen Verlauf aufweisen.

 

 

 

Diese Graphik versteht sich von selbst. Wir können sofort ersehen, dass sich beide Kurven in dem Punkt (pg,Xg) schneiden. Man sieht also auf einen Blick, dass unter den gemachten Annahmen ein Gleichgewicht existiert. Für den Fall, dass wir tatsächlich in der Lage sind, realistische Werte für die Angebots- und Nachfragereaktionen anzunehmen und somit die Steigung beider Kurven zu kennen, können wir sogar angeben, bei welchem Preis und bei welcher Menge ein Gleichgewicht möglich wird.

 

Auch die Frage nach der Tendenz zum Gleichgewicht kann relativ leicht anhand dieser Graphik beantwortet werden. Wir können z. B. davon ausgehen, dass der aktuelle Preis über dem Gleichgewichts­preis liegt. Die Graphik zeigt unmittelbar, dass hier ein Angebotsüberhang vorliegt, dass also damit zu rechnen ist, dass der Preis sinkt und das wiederum führt – wie sofort an der Graphik abgelesen werden  kann – dazu, dass sich der aktuelle Preis dem Gleichgewichtspreis annähert und dass der Angebotsüberhang abgebaut wird. Da solange mit Preissenkungen zu rechnen ist, solange noch ein Angebotsüberhang besteht, endet dieser Prozess genau im Gleichgewicht.

 

Analoge Überlegungen hätten auch für den Fall angestellt werden können, dass der aktuelle Preis unterhalb des Gleichgewichtspreises liegt. In diesem Falle wären wir von einem Nachfrageüberhang ausgegangen, welcher zu Preissteigerungen geführt hätte, die selbst wiederum das Ungleichgewicht abgebaut hätten.

 

Wir hätten darüber hinaus noch mannigfaltige Informationen über die Eigenheiten dieses Marktes ablesen können, so z. B. hätten wir unterstellen können, dass das Angebot z. B. wegen einer Missernte stark reduziert worden sei. In dieser Graphik wäre dieses Ereignis dadurch berücksichtigt worden, dass sich die Angebotskurve nach unten verschoben hätte. Wir hätten nun relativ leicht anhand dieses Diagrammes aufzeigen können, zu welchen Preisänderungen diese Missernte führen kann und wie das Ausmaß der Preisänderung von der Steigung sowohl der Angebots- wie der Nachfragekurve abhängt.

 

 

 

Nun wollen wir unterstellen, wir hätten anstelle der graphischen Darstellungsweise ein analytisches Modell gewählt. In diesem Falle hätten wir die Nachfrage- und Angebotsfunktionen exakt umschreiben müssen. So könnte z. B. die Angebotsfunktion folgende Werte aufweisen:

 

X = a0 + a1*p

 

mit

 

X: Angebotsmenge  a0: konstanter Parameter (für die Fixkosten) z. B. 10  a1: Steigung der Funktion z. B. 0,5 p: Preis

 

In analoger Weise hätten wir auch die Nachfragefunktion präzisieren müssen, z. B. mit folgenden Werten:

 

N = b0 - b1*p

 

mit

 

N: Nachfragemenge  b0: konstanter Parameter (Höchstpreis) z. B. 80  b1: Steigung der Funktion z. B. - 0,4   p: Preis

 

Als drittes haben wir die Gleichgewichtsbedingung festzulegen. Sie lautet:

 

X = N

 

Auch dieses System gestattet uns die Frage nach der Existenz des Gleichgewichtes und nach den genauen Werten des Gleichgewichtspreises sowie der Gleichgewichtsmenge zu beantworten. Wir haben drei Variablen N, X und p und für diese drei Variablen verfügen wir über drei unabhängige Gleichungen, sodass die Unbekannten X und p errechnet werden können. Mit der ersten und zweiten Ableitung kann dann prinzipiell auch überprüft werden, ob eine Tendenz zum Gleichgewicht besteht.

 

Wenn wir nun beide Darstellungsweisen miteinander vergleichen, so mag zwar in wissenschaftlicher Hinsicht die analytische Methode den Vorzug erhalten, da mit ihr die genauen Werte eindeutiger bestimmt werden können. Trotzdem erleichtert die graphische Darstellung das Verständnis ganz enorm. Ohne große Rechen­operationen lassen sich die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick erkennen. 

 

 

11. Marktwirtschaft versus staatliche Planwirtschaft

 

Welche Darstellungsweise den Vorzug verdient, hängt allerdings auch davon ab, für welche Zwecke wir die einzelnen Verfahren anwenden. Wir wollen hierbei zwischen zwei grundverschiedenen Zielvorgaben unter­schei­den. Ein erstes Forschungsziel kann darin liegen, die Prozesse, welche in einer Marktwirtschaft ablaufen, nachzuverfolgen. Es geht hier in erster Linie um ein Verständnis dieser Prozesse.

 

Da diese Prozesse automa­tisch ablaufen und also nicht geplant sind, ist es nicht notwendig, die genauen Parameter der beiden Reaktionskurven zu kennen. Wenn wir von einem Angebotsüberhang ausgehen, so ist es nicht nötig, das genaue Ausmaß dieses Ungleichgewichtes zu kennen, es ist auch nicht notwendig zu wissen, um wie viel der Preis sinken muss, damit das Ungleichgewicht abgebaut wird. Diese Aufgaben erledigt ja der Markt anonym, wenn ein Gleichgewicht überhaupt existiert (wenn sich also Angebots- und Nachfragekurve in einem Punkt schneiden) und wenn die Reaktionen der Marktteilnehmer normal verlaufen, können wir fest davon ausgehen, dass das Ungleichgewicht abgebaut wird.

 

Dies bedeutet keineswegs, dass wir nicht auch hier innerhalb eines marktwirtschaftlichen Prozesses bisweilen über exakte Ergebnisse verfügen müssen. Nehmen wir einmal an, dass in praxi kein Abbau des Ungleichgewichtes stattfindet. In diesem Falle kann eine Lösung des Problems nur dadurch gefunden werden, dass wir überprüfen, welcher der einzelnen Prozessschritte versagt hat. So könnte man z. B. herausfinden, dass die fehlende Gleichgewichtstendenz dadurch verursacht wurde, dass wegen zu langer Kündigungsfristen der Gleichgewichtsprozess unterbrochen war. In diesem Falle könnte man überprüfen, ob die Ziele, welche mit einem rigorosen Kündigungsschutz angestrebt wurden, nicht auch auf anderem Wege als über unmittelbare Eingriffe in den Marktprozess erreicht werden könnten.

 

Nehmen wir nun an, dass wir im Gegensatz zur Realität in einer vom Staat gelenkten Planwirtschaft lebten. Rein äußerlich gäbe es zwar noch eine Marktwirtschaft, der Staat wäre jedoch bemüht, durch zahlreiche direkte Eingriffe in den Markt die Ergebnisse seinen Zielen entsprechend zu korrigieren. In diesem Falle müssen wir mit einer großen zentralen Planungsbehörde des Staates rechnen. Unterstellen wir weiterhin, dass 4 Millionen Arbeitnehmer als arbeitslos gemeldet seien und dass der Staat nun das Ziel verfolge, über eine keynesianische – das heißt von John Maynard Keynes empfohlene – Fiskalpolitik die Arbeitslosigkeit zu beseitigen.

 

Das wesentliche Merkmal einer keynesianischen Fiskalpolitik besteht bekanntlich darin, dass der Staat über ein Defizit (ein Überschuss der Ausgaben über den Steuereinnahmen) im Staatshaushalt Nachfrage schafft, aufgrund derer dann neue Arbeitskräfte beschäftigt werden können. Die staatliche Behörde bedarf nun von Seiten der Wissenschaft einer Auskunft darüber, wie hoch das Defizit des Staatsbudgets denn anwachsen muss, um insgesamt 4 Millionen neue Arbeitsplätze zu verschaffen.

 

Um diese Frage zu klären, müssen wir erstens überprüfen, um wie viel das Inlandsprodukt steigen muss, um einen Arbeitsplatz neu zu schaffen. Als zweites muss geklärt werden, um wie viel das Budgetdefizit (und damit die Staatsausgaben) steigen muss (bzw. müssen), um das Inlandsprodukt um eine Einheit zu steigern.

 

Wir wollen unterstellen, dass im Durchschnitt dann, wenn das Inlandsprodukt um das Doppelte eines durchschnittlichen Jahreslohneinkommens (L) steigt, gerade ein neuer Arbeitsplatz entsteht. Für diesen Arbeit­nehmer muss nun nämlich ein Lohneinkommen ausgezahlt werden, gleichzeitig entstehen jedoch den Unter­nehmungen weitere Kosten wie etwa Soziallasten sowie Investitionskosten, der Einfachheit halber sei unterstellt, dass diese zusätzlichen Kosten gerade der Lohnsumme (L) für den zusätzlich eingestellten Arbeitnehmer entsprechen, sodass in diesem Falle das Inlandsprodukt doppelt so stark wie die Lohnsumme steigen muss (2 * L).  Das Jahreslohneinkommen betrage 10 000 €.

 

Die weitere Frage, um wie viel denn das Defizit im Staatsbudget anwachsen muss, um das Inlandsprodukt (E) gerade um das Doppelte eines Jahreslohneinkommens zu erweitern, lässt sich mit dem sogenannten Multiplikator erklären. Der Einkommensmultiplikator gibt hierbei an, welche Einkommenssteigerung zu erwarten ist, wenn die mit Krediten finanzierten Staatsausgaben gerade um eine Geldeinheit (z. B. 1 Million €) ansteigen. Hierbei lässt sich zeigen, dass die ausgelöste Einkommenssteigerung stets ein Vielfaches der Ausgabensteigerung des Staates entspricht. Daher auch der Name Multiplikator.

 

Unter sehr einfachen Bedingungen entspricht dieser Multiplikator dem Kehrwert der Sparquote (s). Wenn diese 20% beträgt (wenn also 20% des Einkommens gespart wird), steigt das Inlandsprodukt um das 5 fache des Defizitzuwachses. 1 geteilt durch 0,20 ergibt gerade den Wert 5 .

 

Nun haben wir die notwendigen Daten zusammengestellt, mit deren Hilfe wir die Frage beantworten können, um wie viel das Defizit in Staatsbudget (Def+) steigen muss, um die bestehende Arbeitslosigkeit von 4 Millionen (Arbl) zu beseitigen. Es gilt:

 

DEF+ = Arbl * (2 * L)  * s       bzw.

DEF+ = 4 Mill. * 2 * 10.000 * 0,20 = 16 Milliarden €

 

Um also in dem konstruierten Beispiel die Arbeitslosigkeit von 4 Millionen zu beseitigen und allen derzeit arbeitslosen Arbeitnehmern einen Arbeitsplatz zu garantieren, bedarf es eines zusätzlichen Defizites im Staatsbudget in Höhe von 16 Milliarden €.

 

Dieses Beispiel macht deutlich, dass im Rahmen einer staatlichen Planwirtschaft sehr viel exaktere und weitergehende Kennt­nisse über den Wirtschaftsprozess notwendig sind als dann, wenn man automatisch ablaufende Markt­prozesse untersucht. Weiterhin zeigt dieses Beispiel, dass diese Zusammenhänge nur schwerlich von einem Laien voll verstanden werden können, da zur Beantwortung dieser Frage eine Vielzahl von Fachausdrücken sowie zumeist komplizierte Gleichungen benötigt werden.