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Macht, Machtmissbrauch und Machtkontrolle (4)

 

 

Gliederung:

 

0. Die Entstehung von Macht

1. Das Machtmonopol des Staates

2. Gewaltenteilung u. die Bedeutung der Opposition

3. Vollständige Konkurrenz und countervailing powers

4. Die Glaubensfreiheit

5. Die Pressefreiheit

6. Streik und Aussperrung

7. Die Macht im Betrieb

8. Die Macht in der Familie

9. Informelle Macht

 

 

 

5. Die Pressefreiheit

 

Unter Pressefreiheit wird im allgemeinen das Recht der Presse verstanden, über die Aktivitäten und Versäumnisse der Regierungen und auch der anderen politischen Akteure unbeeinflusst zu berichten und diese auch gegebenenfalls zu kritisieren, ohne dass diese Kritik von der Regierung unterbunden werden kann oder durch Einschüchterungen oder andere Behinderungen im Sinne der Politiker beeinflusst wird.

 

Unter Pressefreiheit im weiteren Sinne versteht man allerdings nicht nur die Freiheit der Presse im engeren Sinne. Die Pressefreiheit bezieht sich in der BRD vielmehr auf die freie Meinungsäußerung durch die Presse (das heißt auf alle Druckerzeugnisse), weiterhin auf Rundfunk, Fernsehen und neuerdings vielleicht sogar auf das Internet. Der Begriff der Pressefreiheit ist im Grundgesetz selbst nicht definiert. Nach der deutschen Rechtsprechung umfasst jedoch die Pressefreiheit die Freiheit der Berichterstattung, das Recht auf das Äußern und Verbreiten von Nachrichten (aktive Pressefreiheit), das Verbreitungsrecht, durch das der Weg von Presseerzeugnissen vom Verlag bis zum Empfänger geschützt wird, und das Informationsrecht, nach dem der Presse nicht nur die Nutzung allgemein zugänglicher Quellen, sondern auch ein Anspruch auf Auskunft durch die Behörden zusteht. 

 

Ihre Schranken findet die Pressefreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, vor allem den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Es ist allerdings strittig, ob auch die innere Pressefreiheit geschützt ist, ob also auch das Weisungsrecht von Verlegern gegenüber ihren Redakteuren durch das Grundgesetz eingeschränkt ist.

 

Zu der Zeit, als die Forderung nach Pressefreiheit aufkam, waren die Zeitungen und Zeitschriften die einzigen öffentlichen Medien; deshalb wurde zunächst von Pressefreiheit gesprochen, obwohl natürlich diese Forderung im Grunde genommen für alle Medien gilt, da es für die Wirkung gleichgültig ist, in welchem Medium diese Kritik geäußert wird. In der Zwischenzeit gibt es den Rundfunk, das Fernsehen und neuerdings auch das Internet. Alle diese Medien zeichnen sich dadurch aus, dass sie öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung darstellen, dass sie sich an einen größeren Teil der Bevölkerung richten. In diesem Sinne wäre es korrekter, wenn man heute nicht mehr von Pressefreiheit, sondern von der Freiheit der öffentlichen Medien sprechen würde.

 

Die Wirkungen von gedruckten Zeitungen, gesprochenen Rundfunksendungen, dargestellten Vorgängen im Fernsehen und schließlich verbreiteten Nachrichten im Internet unterscheiden sich sehr wohl. Auf Papier festgehaltene Äußerungen lassen sich im Allgemeinen sehr viel intensiver einprägen, man kann auf diese Verlautbarungen – wenn man den Sinn einer Äußerung bei erstem Durchlesen nicht verstanden oder bereits vergessen hat – immer wieder zurückgreifen, man hat es – wie man sagt – schwarz auf weiß, und was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.

 

Das gesprochene Wort ist demgegenüber zunächst auf der einen Seite flüchtig, man erfasst in der Regel – beim ersten Anhören – nicht den gesamten Umfang der Nachrichten oder Meinungen; auf der anderen Seite kann das gesprochene Wort unter Umständen besser überzeugen, vor allem dann, wenn ein geübter und raffinierter Redner durch seine Artikulation die Hörer mitreißen kann.

 

Allerdings lassen sich durch die Fortentwicklung der Technik geäußerte Worte speichern, sodass sie jederzeit wiederholt abgespielt werden können. Somit entfallen im Wesentlichen die Nachteile des gesprochenen Wortes gegenüber dem gedruckten Text. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Speichermedien in der Zwischenzeit so billig geworden sind, dass auch eine große Zahl der Bürger sich durchaus solche Speichermedien leisten kann.

 

Das Fernsehen zeichnet sich gegenüber dem gedruckten und nur gesprochenen Wort vor allem dadurch aus, dass Äußerungen und Meinungen durch Bilder belegt werden können und dass der Nachrichtensprecher auch durch seine Mimik seinen Äußerungen Nachdruck verleihen kann. Natürlich können in Zeitungen auch Bilder abgedruckt werden, auch hier hat die technische Entwicklung dazu beigetragen, dass in Zeitungen veröffentlichte Bilder durchaus aussagekräftig sein können und dass auf diese Weise die entscheidenden Augenblicke im Bild festgehalten werden können, zumindest dann, wenn der Photograph sein Handwerk versteht.

 

Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Bildern, welche in einer Zeitung veröffentlicht oder im Fernsehen gezeigt werden: Die Zeitung bringt eine Momentanaufnahme eines einzigen Augenblickes, das Fernsehen gestattet ganze Filme, also bewegte Bilder und damit eine ganze Abfolge von Bildern. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass ein bewegtes Bild im Allgemeinen mehr aussagt als ein einzelnes Photo, vor allem wenn der Photograph kein Künstler ist, es also nicht fertigbringt, in der Momentanaufnahme das entscheidende Moment der Aussage festzuhalten. Bewegte Bilder untermauern das Gesagte; man sagt Papier ist geduldig, man kann viel behaupten, das Bild erscheint zumindest auf den ersten Blick als Beleg des Gesagten und ist im Allgemeinen in der Lage, weit besser als bloß gesprochene oder zu Papier gebrachte Worte den Adressaten zu fesseln und zu überzeugen.

 

Natürlich muss eingeräumt werden, dass auch Bilder keinen vollständigen Beweis einer Behauptung bringen können, einzelne Bilder können durch Retouchierung sehr wohl gefälscht sein, selbst bewegte Bilder können gestellt sein und deshalb etwas vortäuschen, was gar nicht der Wirklichkeit entspricht. Trotzdem bleibt bestehen, dass Fernsehaufnahmen von der breiten Öffentlichkeit als Beleg der Äußerungen angesehen werden; und selbst dann, wenn aufgrund einer Berichtigung oder einer Gegendarstellung eines anderen Senders die gezeigten Bilder als Fälschung enttarnt wurden, besteht die Gefahr, dass das in den Bildern gezeigte in den Köpfen der Zuschauer zum Teil haften bleibt, nach dem Motto: „wo Rauch ist, ist auch ein Feuer“.

 

Das Internet stellt schließlich ein Medium dar, das die meisten Vorzüge der bisher besprochenen Medien übernehmen kann, die im Internet gemachten Äußerungen können darüber hinaus jederzeit erneut aufgerufen oder auch abgespeichert werden, die geäußerten Behauptungen können jederzeit durch sowohl stehende wie bewegte Bilder erläutert werden.

 

Im Vergleich zu den übrigen Medien zeichnet sich die Nachricht im Internet dadurch aus, dass sie fast sekundenschnell an den ‚Mann’ gebracht werden kann. Zeitungen erscheinen in der Regel nur einmal am Tag, vielleicht sogar nur einmal in der Woche; es besteht gerade deshalb die Gefahr, dass die Nachricht in dem Augenblick, in dem sie gelesen wird, bereits durch die Ereignisse überholt ist. Demgegenüber haben Hörfunk und Fernsehen den Vorteil, dass sie mehrmals täglich zu festgelegten Zeiten abgehört bzw. angesehen werden können; bei ganz wichtigen Mitteilungen besteht sogar die Möglichkeit, an die Stelle normaler Sendungen eine Sondersendung zu bringen oder die normalen Sendungen zu unterbrechen und eine ganz wichtige Nachricht in die laufende Sendung einzublenden.

 

Trotzdem verzichten Hörfunk und Fernsehen nicht darauf, ihre Sendungen durch ins Internet gestellte Beiträge zu ergänzen. Der Grund hierfür liegt einmal darin, dass Hörfunk und Fernsehen im Allgemeinen nicht den ganzen Tag über verfolgt werden, im Allgemeinen dürfte das Radio oder Fernsehen nur zu bestimmten Zeiten eingeschaltet werden, sodass also auch eingeblendete Nachrichten von dem meisten Bürgern gar nicht außerhalb der normalen Nachrichtenzeit wahrgenommen werden. Internet-Nachrichten lassen sich hier sehr viel einfacher vor dem Computer am Schreibtisch verfolgen, es reicht, auf dem Bildschirm ein einfaches kleines Fenster einzurichten, um besonders wichtige Nachrichten sofort zur Kenntnis zu nehmen.

 

Zum andern eignet sich das Internet sehr viel besser dafür, bestimmte kurze Nachrichten durch zahlreiche Unterlagen zu ergänzen; es wäre z. B. nicht möglich, im normalen Fernsehen den ganzen Text eines neuen Gesetzes im Wortlaut beizufügen und dann auch noch zu erwarten, dass dieser Text von den Zuschauern gelesen wird. Das Internet kann diese Texte sehr viel einfacher veröffentlichen, vor allem auch deshalb, weil jeder Internetbenutzer diese Mitteilungen zu den unterschiedlichsten Zeiten abfragen kann, es ist hier im Gegensatz zum Fernsehen nicht notwendig, dass alle Zuschauer einen Text zur gleichen Zeit lesen.

 

Im Gegensatz vor allem zur Presse im engeren Sinne ist hingegen das Internet ein sehr flüchtiges Medium; die Mitteilungen vor ein paar Tagen sind heute zumeist Makulatur. Obwohl es technisch möglich wäre, auch jede einzelne im Internet veröffentlichte Äußerung abzuspeichern, macht der normale Bürger wohl keinen Gebrauch von dieser Möglichkeit, zu groß ist die Flut der im Internet gebrachten Nachrichten. Demgegenüber lässt sich viel einfacher eine Zeitung oder eine Wochenschrift für längere Zeit archivieren.

 

Wie bereits kurz angedeutet, bezieht sich die Pressefreiheit sowohl auf die Veröffentlichung von Tatsachen wie von Meinungen, also Bewertungen dieser Tatsachen. Im Prinzip darf über jeden und über alles berichtet werden, wobei der Sinn der Pressefreiheit vor allem darin besteht, über die Politiker und die übrigen Führungskräfte des öffentlichen Lebens wie z. B. Unternehmer, Verbandsfunktionäre, Repräsentanten der Kirchen usw. zu berichten.

 

Für einen normalen Bürger besteht durchaus ein gewisser Schutz vor einer Veröffentlichung in den Medien, so ist z. B. das Bild eines normalen Bürgers geschützt und darf nicht ohne Einwilligung des Betroffenen in den Medien im Normalfall veröffentlicht werden. Von diesem generellen Schutz sind auf der einen Seite Personen des öffentlichen Lebens auf der anderen Seite Personen, welche Straftaten begingen, ausgenommen. Im Sinne einer Abwägung der einzelnen Rechtsgüter gilt hier die Kontrolle der Führungskräfte durch die Medien für gewichtiger als der an und für sich bestehende individuelle Schutz dieser betroffenen Personen.

 

Natürlich kann es nicht in das Belieben der öffentlichen Medien gestellt sein, alles über die Politiker zu behaupten und zu veröffentlichen. Die Medien sind verpflichtet, sich streng an die Wahrheit zu halten und eindeutige Diffamierungen zu vermeiden. Auch gilt stets der Grundsatz, dass das allgemeine Wohl einer Gesellschaft nicht verletzt werden darf, die Medien stehen nicht über der Verfassung und es bedarf in jedem einzelnen Fall einer Abwägung aller durch die Veröffentlichung in den Medien betroffenen Rechtsgüter.

 

Wenden wir uns nach diesen Vorbemerkungen der Frage zu, aus welchen Gründen denn der Medienfreiheit innerhalb unserer Verfassung eine so entscheidende Schlüsselstellung eingeräumt wird. Ausgangspunkt der Überlegungen ist auch hier wiederum das Problem des Machtmissbrauchs. Wie bereits gezeigt, fällt dem Staat die Aufgabe zu, die einzelnen Bürger vor willkürlichen Übergriffen anderer Bürger (und anderer Staaten) zu schützen. Zu diesem Zwecke wird den Staatsorganen ein Machtmonopol zugesprochen. Der einzelne Bürger darf seinen Mitbürgern durch Einsatz willkürlicher Maßnahmen keinen Schaden zufügen und ist verpflichtet, sich der Macht des Staates zu beugen. Die Staatsorgane haben sich ihrerseits an Recht und Gesetz zu halten, tun sie dies nicht, können sie auf normalem Wege gerichtlich belangt werden.

 

Das Machtmonopol des Staates verschafft nun den Staatsorganen eine außerordentliche Fülle von Macht. Es besteht die Gefahr, dass auch diese Macht missbraucht wird. Die geistigen Väter der freiheitlichen Verfassung (unter anderem John Locke, Charles Louis de Montesquieu) haben deshalb den Versuch unternommen, durch eine Vielzahl von in der Verfassung garantierten obersten Prinzipien die Möglichkeiten des Machtmissbrauch so gering wie möglich zu halten, wobei von vornherein klar war, dass Machtmissbrauch nicht vollständig vermieden werden kann.

 

Nun können die Gewaltenteilung und die Garantierung der Menschenrechte allein einen staatlichen Machtmissbrauch nicht verhindern. Gerade aus diesen Gründen kann man nur dann davon ausgehen, dass eine Verfassung wirkungsvoll Machtmissbrauch soweit wie möglich unterbindet, wenn eine Vielzahl von Vorkehrungen zur Verhinderung von Machtmissbrauch vorgesehen ist, sodass dann, wenn die erste Hürde aus welchen Gründen auch immer versagt, eine zweite und weitere Hürde genommen werden muss und dass auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit einer effektiven Kontrolle wächst.

 

Es bedarf also weiterer Vorkehrungen, um Machtmissbrauch soweit wie möglich zu verhindern. Hier kommt nun die Pressefreiheit ins Spiel. Man kann davon ausgehen, dass es genauso, wie die herrschenden Politiker immer wieder Möglichkeiten finden, Machtmissbrauch zu verschleiern, auch Journalisten gibt, denen es gelingt, diese Verschleierungen aufzudecken. Voraussetzung dafür, dass dies gelingt, ist jedoch, dass die Journalisten in ihrer Arbeit nicht behindert werden, dass sie vor allem nicht für die Aufdeckung von Straftaten der Politiker eben von diesen Politikern selbst bestraft werden können. Gerade weil findige Politiker auch bei Vorliegen einer Gewaltenteilung Wege finden, ihre Macht trotzdem zu missbrauchen, ist die Einhaltung der Pressefreiheit von entscheidender Bedeutung, ihr muss deshalb ein hoher Verfassungsrang eingeräumt werden.

 

Wir haben nun zu berücksichtigen, dass auch von der Pressefreiheit negative Wirkungen ausgehen können, da die Gewährung von Pressefreiheit selbst wiederum den Journalisten eine Macht einräumt, welche ebenfalls missbraucht werden kann. Fragen wir uns deshalb, welchen Schaden die Ausübung der Pressefreiheit gegebenenfalls verursachen kann.

 

Als Erstes muss darauf hingewiesen werden, dass durch eine bestimmte Art der Ausübung der Pressefreiheit die religiösen Gefühle von Menschen verletzt werden können. Die Glaubens- und Religionsfreiheit zählt zu den elementaren Menschenrechten, die in den Verfassungen zumindest der freiheitlich demokratischen Staaten verankert sind. Zu der Glaubensfreiheit zählt das Recht, dass jedes Individuum selbst bestimmen darf, woran es glaubt, ob es sich also zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft bekennen will oder als Atheist von der Überzeugung ausgehen will, dass die Welt durch Zufall entstanden ist und dass der Mensch nur sich selbst verantwortlich ist.

 

Nun müssen wir davon ausgehen, dass auch in der Verfassung geschützte Grundrechte – so etwa das Grundrecht der Pressefreiheit und der Glaubensfreiheit – in einen gewissen Zielkonflikt zueinander geraten können und dass deshalb beide Rechte bisweilen nur dadurch gewahrt werden können, dass zugunsten des jeweils anderen geschützten Rechtes in einer Rechtsgüterabwägung gewisse Einschränkungen notwendig werden.

 

Es wäre jedoch falsch, aus diesen Überlegungen den Schluss zu ziehen, dass zur Aufrechterhaltung der Pressefreiheit auch gewisse Verunglimpfungen religiöser Überzeugungen hingenommen werden müssen. Zu dem Recht, sich frei für eine bestimmte Religion bekennen zu dürfen, zählt eben nicht nur die Glaubensfreiheit, also das Recht, selbst zu bestimmen, welcher Religionsgemeinschaft man angehören will. Wird ein Individuum aufgrund des von ihm selbst gewählten Glaubens lächerlich gemacht und sein Glauben in den Schmutz gezogen, so wird auch die in den Verfassungen geschützte Menschenwürde verletzt.

 

Bei Glaubensfragen handelt es sich eben nicht nur um beliebige Meinungen, die frei geäußert werden dürfen, es geht hierbei vielmehr um den letztlichen Sinn des Lebens und man wird kaum davon sprechen können, dass ein Individuum ein menschenwürdiges Leben führen kann, wenn es wegen seiner Glaubensüberzeugungen öffentlich missachtet, beleidigt und verfolgt wird. Die Menschenwürde ist in den Verfassungen der freiheitlich demokratischen Staaten unantastbar und das heißt, sie darf nicht zu Gunsten eines anderen Rechts – auch nicht zugunsten eines in der Verfassung geschützten Grundrechtes – eingeschränkt werden.

 

Ganz davon abgesehen wird man die Beleidigung keiner Person als von der Pressefreiheit gedeckt ansehen können. Zur Pressefreiheit zählt in diesem Zusammenhang das Recht, Missstände in den Religionsgemeinschaften aufzudecken und zu einer Abschaffung dieser Missstände aufzurufen. Der Hinweis auf Fakten und auch sachbezogene Bewertungen dieser Zustände kann und darf nicht bereits als Beleidigung aufgefasst werden, umgekehrt ist jedoch keine Äußerung, welche die Haltung von Menschen in den Schmutz zieht, durch die Pressefreiheit gedeckt. Sie ist nicht zur Erfüllung des Auftrages notwendig, aufgrund dessen den öffentlichen Medien besondere Rechte eingeräumt werden und sie verstößt andererseits gegen die unantastbare Menschenwürde der herabgesetzten Individuen.

 

Als besonders beleidigend wird man es ansehen müssen, wenn Personen, die von einer Religionsgemeinschaft als Religionsstifter und als Mittler zwischen Menschen und Gott angesehen werden, der Beleidigung ausgesetzt werden. Dies gilt sicherlich sowohl bei den Versuchen, Mohammed, den Religionsstifter des Islam als auch Christus, auf den die Überzeugung der christlichen Religionen zurückgeht, ins Lächerliche zu ziehen; wobei eigentlich eine beleidigende Darstellung von Christus von den Christen als eine schwerere Schmähung empfunden werden muss, da nach Überzeugung eines jeden Christen Christus nicht nur ein wichtiger Prophet, sondern Gottessohn (also Teil des dreieinigen Gottes) darstellt, während im Islam Mohammed allein als Prophet und Religionsstifter und nicht als göttliches Wesen verehrt wird.

 

In beiden Fällen wird man jedoch feststellen müssen, dass es zur Erfüllung der Funktionen, welche den öffentlichen Medien zugedacht sind, nicht notwendig ist, Personen, welche in der Vergangenheit gelebt haben, anzugreifen. Die Missstände, die es mit Hilfe der Presse anzugreifen gilt, beziehen sich stets auf die Gegenwart; denn nur die gegenwärtigen Verhältnisse können geändert werden.

 

Personen, welche in der Vergangenheit gelebt haben, können heute nicht mehr belangt werden; es ist deshalb auch nicht notwendig, zur Verhinderung von Machtmissbrauch von Religionsführern diese in besonderem Maße anzugreifen und diese Möglichkeiten des Angriffs grundgesetzlich zu schützen. Unberührt bleibt hiervon natürlich das Recht der Medien, in der Vergangenheit begangenes Unrecht aufzudecken. Demgegenüber ist es Aufgabe der Geschichtswissenschaft, bisher falsche oder auch unvollständige Auffassungen über den Verlauf der Geschichte und über das in der Vergangenheit ergriffene Handeln der Politiker zu korrigieren.

 

Wenn man berücksichtigt, welchen Verunglimpfungen Christen bis hin zu Christus selbst in öffentlichen Medien wie etwa im Kabarett oder in Filmen in den westlichen Staaten in den letzten Jahren ausgesetzt wurden, müssen die beleidigenden Worte und Zeichnungen über Mohammed, die vor einiger Zeit in westlichen Zeitungen veröffentlicht wurden, als eher gemäßigt angesehen werden, was keinesfalls heißt, dass sie verharmlost werden sollten; sie stellen ein Angriff auf die Menschwürde eines Islamisten dar und sollten deshalb auf jeden Fall unterlassen werden. Man kann aber kaum davon sprechen, dass die westliche Presse gegen den Islam in stärkerem Maße beleidigend aufgetreten sei als etwa gegenüber den christlichen Religionen.

 

Auch steht es in einem groben Missverhältnis, wenn als Reaktion auf diese verletzenden Veröffentlichungen gegen den Islam terroristische Mordanschläge verübt werden und diese dann auch noch als im Sinne und im Auftrag Gottes gerechtfertigt werden. Terroristische Akte ausgerechnet im Namen Gottes auszuführen stellt sicherlich eine viel größere Beleidigung Gottes dar, als wenn der Stifter einer Religion ins Lächerliche gezogen wird.

 

Es ist allerdings nicht nur die Menschenwürde, die bei solchen Veröffentlichungen angetastet wird. Was und vor allem in welcher Form etwas in der Presse veröffentlicht wird, ist darüber hinaus auch danach zu beurteilen, wie durch diese Veröffentlichungen die internationalen Beziehungen beeinträchtigt werden. Es kann kein Zweifel bestehen, dass durch diese Veröffentlichungen die ohnehin sehr angespannten Beziehungen der westlichen Nationen zu den islamisch orientierten Staaten um ein Weiteres belastet wurden und dass auf diese Weise den westlichen Demokratien und dem Weltfrieden großer Schaden zugefügt wurde.

 

Natürlich wird man mit diesem Zugeständnis nicht den Schluss ziehen können, dass – wie dies von einigen islamischen Staaten gefordert wurde – die westlichen Regierungen solche Veröffentlichungen verbieten sollten. Ein solches Verbot würde die eigentliche Aufgabe der Pressefreiheit verletzen. Die öffentlichen Medien dürfen auf keinen Fall von Seiten der staatlichen Exekutive in ihrem Recht eingeschränkt werden; dies bedeutet jedoch nicht, dass solche Veröffentlichungen nicht auf andere Weise, welche die eigentlichen Aufgaben der Pressefreiheit nicht verletzen, verhindert werden können und müssen. Wir werden in den letzten Abschnitten dieses Artikels noch ausführlich auf diese Möglichkeiten eingehen.

 

Es gehört sicherlich zu den elementaren Aufgaben der öffentlichen Medien, Verfehlungen der Politiker aufzudecken. Wir haben bereits gesehen, dass gerade in dieser Aufgabe die eigentliche Begründung liegt, den öffentlichen Medien größere Rechte als normalen Bürgern einzuräumen, da das Machtmonopol des Staates den jeweils regierenden Politikern eine Machtfülle einräumt, welche selbst wiederum die Gefahr des Machtmissbrauches nachsichzieht. Aber gerade diese Rechte der öffentlichen Medien verleihen den Journalisten Macht, welche natürlich ebenfalls missbraucht werden kann.

 

Worin liegen nun in diesem Zusammenhang die eigentlichen Gefahren? Natürlich muss immer mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass einzelne Journalisten ihre Macht dadurch missbrauchen, dass sie fehlerhaft recherchieren, deshalb über einzelne Politiker Unwahrheiten verbreiten und unliebsame Politiker zu Unrecht beleidigen. Aber dies ist eine allgemeine Gefahr, sie spielt im Zusammenhang mit der Pressefreiheit keine eigene besondere Rolle, es gilt eben nur, dass auch Journalisten Menschen sind und dass einzelne Menschen die ihnen übergebene Macht bisweilen missbrauchen.

 

In unserem Zusammenhang verdient die Gefahr größere Beachtung, dass die öffentlichen Medien durch ihr Verhalten dazu beitragen, Regierungskrisen auch dort auszulösen, wo bei sachlicher Betrachtung die Politiker zwar Fehler gemacht haben, diese Fehler aber keinesfalls eine Ablösung der Regierung rechtfertigen.

 

Diese Vorgänge beziehen sich auf eine Reihe unterschiedlicher Tatbestände. Journalisten greifen etwa Politiker wegen Verfehlungen an, welche die Politiker in ihrer Jugend unter ganz anderen politischen Systemen begangen haben; oder aber es werden Enthüllungen aus der Privatsphäre eines Politikers gemacht, die auf ein angeblich amoralisches Verhalten eines Politikers hinweisen. Oder aber es werden Praktiken bekannt, welche von einzelnen Politikern in ihrer Eigenschaft als Finanzchef ihrer Partei im Zusammenhang mit Spendenbeschaffungen angewandt wurden, welche zu der damaligen Zeit, als diese Verfehlungen begangen wurden, unter allen größeren Parteien üblich waren, aber aufgrund eines Wandels in den Auffassungen in der Zwischenzeit erfreulicherweise als amoralisch und verwerflich eingestuft werden. Schließlich machen die Journalisten vielleicht auch auf unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten von Parteien einer Koalitionsregierung aufmerksam und spielen diese Unterschiede hoch, obwohl eigentlich diese Unterschiede schon immer bekannt waren und auch nicht so groß sind, dass ein gemeinsames Regieren nicht mehr möglich erscheint.

 

Gelingt es den öffentlichen Medien Verfehlungen der Politiker – vor allem in der Vergangenheit – aufzudecken, lässt sich ein allgemeines Verhaltensschema der so angegriffenen Politiker erkennen, das unabhängig von der Parteizugehörigkeit und auch unabhängig davon, in welchem Land diese Vorgänge sich abspielen, nach gleichen oder ähnlichen Mustern abläuft.

 

In einem ersten Schritt werden Politiker auf ihre Verfehlungen in der Vergangenheit angesprochen. Da diese Fragen für die Politiker oftmals unerwartet kommen, haben sie auch keine befriedigende Antwort parat. Da sie aber mit Fragen angegriffen werden und die Politiker ihr Gesicht wahren wollen, streiten sie die Vorwürfe pauschal ab oder geben auf Fragen, die sich auf bestimmte Zeitabläufe beziehen, falsche Antworten, gar nicht so sehr, um die Öffentlichkeit zu täuschen, sondern einfach deshalb, weil ihnen im Zeitpunkt der Befragung der genaue Zeitpunkt nicht bekannt ist, oder auch deshalb, weil sie eine schlechte Figur abgeben würden, wenn sie wahrheitsgemäß antworten würden, dass ihnen im Augenblick der genaue Zeitpunkt nicht gegenwärtig ist.

 

Ist einmal eine – auch unabsichtlich gegebene – falsche Antwort gefallen und stellen die angesprochenen Politiker den Fehler ihrer Aussagen fest oder werden sie von Parteifreunden gedrängt, ihre Aussagen richtigzustellen, so geraten sie sehr leicht in widersprüchliche Aussagen, da sie um Antworten kämpfen, bei denen sie nicht ihre Falschaussagen offen zugeben müssen; dies würde in der Öffentlichkeit bereits als Zugeständnis eines schuldhaften Verhaltens ausgelegt und den betroffenen Politiker im Kampf um Ansehen vor den Wählern zurückwerfen.

 

Die Krise zieht immer weitere Kreise und endet in der Regel damit, dass der betroffene Politiker seine Laufbahn mit großem Gesichtsverlust verliert. Hierbei geht es bei dem Verlangen nach Rücktritt gar nicht mehr so sehr um die eigentlichen Verfehlungen, sondern nur noch darum, dass die Unwahrheit – vielleicht sogar vor einem Untersuchungsausschuss des Parlaments – bestraft werden muss.

 

Hierbei gilt es zu bedenken, dass bei den betroffenen Politikern gar nicht so sehr die Absicht vorherrschte, die Öffentlichkeit zu belügen, sondern dass sie aus Unkenntnis und aus dem vermeintlichen Zwang, auf Angriffe aus der Presse angemessen zurückzuschlagen, sich zu diesem Verhalten gezwungen sahen. Es sind Mechanismen, welche sich im gegenseitigen Wettbewerb um die Wähler allmählich durchgesetzt haben, der Einzelne ist diesen Mechanismen ausgesetzt und macht sich schwer, aus diesen Mechanismen so auszubrechen, dass im Endergebnis anfangs gemachte unwahre Aussagen korrigiert werden können, ohne hierdurch das Gesicht zu verlieren und politischen Schaden zu nehmen. Würde man z. B. von Seiten der öffentlichen Medien vermeiden, dass die Politiker unvorbereitet angegriffen und mit vergangenen Aktivitäten konfrontiert werden, würde die Klarstellung der vergangenen Handlungen für alle beteiligten Personen vermutlich befriedigender verlaufen.

 

Befassen wir uns nun mit diesen unterschiedlichen Fällen etwas ausführlicher. Vor allem in der BRD – aber auch in anderen Ländern – wurden vereinzelt Politiker wegen ihrer Tätigkeiten in der Nazizeit von den Medien angegriffen und es wurde ein Prozess ausgelöst, der mit einem Rücktritt dieses Politikers endete und ein sonst durchaus verdienstvoller Politiker vor einem politischen Scherbenhaufen stand. Man kann sehr unterschiedlicher Meinung sein, ob Personen, welche in der Vergangenheit einer undemokratischen Partei angehört haben, überhaupt noch das Recht haben sollten, am politischen Leben aktiv teilzunehmen und höhere Positionen einzunehmen. Man sollte aber diese Frage für alle Personen gleich behandeln, unabhängig davon, ob dieser Politiker früher einmal einer rechts- oder linksextremen Partei angehörte.

 

Leider muss man feststellen, dass gerade in Deutschland ein Teil der Medien rechtslastige Politiker anders behandelt als solche, die sich im linksextremen Milieu bewegt haben. Zugunsten des Standpunktes, dass jedem, der einmal in seiner Jugend politische Fehlentscheidungen getroffen hat, eine zweite Chance eingeräumt werden sollte, wenn klar wird, dass sich diese Person in ihren Auffassungen gewandelt hat, spricht vor allem der Umstand, dass es an fähigen Politikern oft mangelt und dass eine Gemeinschaft Chancen unnötigerweise verschenkt, wenn sie auf Politiker verzichtet, die sehr wohl dem Gemeinwohl Nutzen bringen könnten. Es ist sicherlich zur Wahrung des Gemeinwohls nicht erwünscht, dass Politiker, welche Jahre lang unbestritten Regierungsverantwortung übernommen hatten und sich in diesen Ämtern keiner Verfehlungen schuldig gemacht haben, bei Bekanntwerden bestimmter politischer Aktivitäten in der Jugendzeit deshalb in Schande und Schmach gestürzt werden, ohne dass eine Beteiligung an kriminellen Akten für die betroffenen Politiker nachgewiesen werden konnte.

 

Besonders umstritten sind die Fälle, in denen Politiker wegen unsittlichen Verhaltens in ihrer Privatsphäre schließlich ihr Amt eingebüßt haben, auch dann, wenn ihre Fähigkeiten als Politiker unbestritten waren. Natürlich kann man der Auffassung sein, dass Politiker auch in moralischer Hinsicht ein Vorbild sein sollten und dass nur solche Politiker tätig sein sollten, welche sich auch in moralischer Hinsicht keine Blößen gegeben haben.

 

Diese Beurteilung übersieht jedoch, dass sich eine moderne Gesellschaft ein solches Verhalten gar nicht leisten kann. Die Auswahl eines Politikers im Rahmen einer freiheitlichen Demokratie erfolgt danach, welcher unter den konkurrierenden Politikern am erfolgreichsten in dem Bemühen ist, mehrheitsfähige Kompromisse herbeizuführen. Politische Ämter können nur dann erfolgreich für das Gemeinwohl geführt werden, wenn bei den in Frage stehenden Politikern eine Kompetenz für solche Entscheidungen vorliegt.

 

Der gute Wille und die moralische Integrität reichen auf jeden Fall nicht aus, die höchsten Ämter in Politik und Gesellschaft wahrzunehmen. Es würde dem Gemeinwohl sehr schaden, wollte man die Qualifikation allein an moralischen Qualitäten festmachen. Räumt man jedoch ein, dass in modernen Gesellschaftsstrukturen nur solche Führungskräfte gewählt werden können, welche eine fachliche Kompetenz aufweisen, so muss man damit rechnen, dass die moralische Qualität eines Politikers im Durchschnitt dem moralischen Standard der Bevölkerung notwendigerweise entsprechen muss, dass es deshalb auch unter Politikern genauso oft zu moralischen Verfehlungen kommt wie in der übrigen Bevölkerung.

 

In der BRD kam es in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit verschiedenen Spendenaffären zu politischen Krisen größten Ausmaßes. Die Krise wurde dadurch ausgelöst, dass die angesprochenen Politiker sich sehr schnell in Widersprüche verwickelten und nur nach wiederholten Versuchen schließlich mit der Wahrheit herausrückten. Diese Vorgänge entwickelten sich schließlich zu einer Staatsaffäre größten Ausmaßes. Da die Aburteilung einzelner Politiker durch die öffentlichen Medien zumeist deshalb erfolgt, da in der Beurteilung der Berechtigung bestimmter Praktiken ein entscheidender Wandel eingetreten ist, fragt es sich, ob hier nicht elementare Regeln der Fairness einer freiheitlichen Rechtsstaates verletzt werden, schließlich gilt der Grundsatz, dass man nur für solche Handlungen belangt werden kann, welche schon in dem Zeitpunkt, in dem diese Handlung erfolgte, als strafwürdig angesehen wurden.

 

Es geht hierbei nicht darum, dass Verfehlungen nicht rechtlich geahndet werden sollen; kommt es nämlich zu einem gerichtlichen Verfahren, so werden diese Grundsätze sehr wohl beachtet. Es geht hier vielmehr allein darum, dass auf diesem Wege eine Vorverurteilung in der Öffentlichkeit stattfindet und dass diese Verurteilung auch dann den Betroffenen im politischen Alltagskampf schadet, wenn diese später durch die Gerichte von diesem Vorwurf befreit werden können.

 

Schließlich einige Worte zu der Gefahr, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Koalitionspartnern oder auch innerhalb der Parteien so hochgespielt werden, dass sich hieraus die Gefahr einer Regierungskrise herausbildet. Nehmen wir das Beispiel der vergangenen großen Koalition in der BRD. Das Zusammengehen von CDU und SPD erfolgte bekanntlich nicht aus der gegenseitigen Überzeugung, dass ein solches Zusammengehen sinnvoll und erwünscht ist, sondern ergab sich allein aus der Tatsache, dass der Wähler sich bei den vorhergehenden Wahlen so entschieden hatte, dass andere Koalitionen nicht ernsthaft möglich waren. Es war der Wählerauftrag und nicht der freie Wille der Parteien, der zu dieser Regierungsbildung geführt hat. Nach wie vor war klar, dass sich beide Parteien als Konkurrenten im Kampf um die Wählerschichten verstanden und dass sich in ihren Parteiprogrammen unüberbrückbare Gegensätze feststellen lassen.

 

Diese Ausgangslage macht jedoch ein zeitweises Zusammengehen keinesfalls unmöglich, gibt es doch fast immer gewisse politische Felder, in denen übereinstimmende Vorstellungen existieren, welche für beide Parteien einen akzeptablen Kompromiss zulassen. Diese Zusammenhänge waren allen Beteiligten klar und man fragt sich, worin denn der Sinn liegen soll, wenn diese Gegensätze immer wiederum durch die Medien so stark hochgespielt werden, dass das Regieren in Frage gestellt wird. Da das Zusammengehen beider Parteien bis zur nächsten Wahl die einzige realistische Alternative darstellte, wäre es für das Gemeinwohl sehr viel zweckdienlicher gewesen, wenn die Presse nicht immer wiederum die bestehenden Unterschiede hervorgehoben hätte und emotional geführte Debatten zwischen den Koalitionspartnern ausgelöst hätte, welche fast an den Rand einer Regierungskrise geführt haben.

 

Ähnliches gilt für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Parteien. Es ist sehr bedenklich, wenn immer wieder – durch die Medien angestachelt – unterschiedliche Positionen einzelner Parteimitglieder so dargestellt werden, dass sie die Glaubwürdigkeit dieser Partei in Frage stellen, und dass es erwünscht sei, dass alle Mitglieder einer regierenden Partei mit einer Stimme sprechen. Abgeordnete sind in einer freiheitlichen Demokratie zunächst nur ihrem Gewissen unterworfen.

 

Es ist nicht nur ihr gutes Recht, zu Beginn einer Debatte unterschiedliche Positionen zu vertreten, es ist vielmehr auch für die Durchsetzung des Gemeinwohls zweckdienlich, wenn zunächst einmal auch innerhalb einer Partei um die jeweils beste Position hart gerungen wird; nur durch diese Diskussion werden alle Seiten einer geplanten Maßnahme bekannt und es können auf diese Weise unerwünschte Auswirkungen unterbunden werden. Meinungsverschiedenheiten zu tadeln ist allenfalls dann angebracht, wenn nach ausführlicher Diskussion um das Pro und Contra ein gemeinsamer Kompromiss geschlossen wurde und einzelne Abgeordnete nach dem Kompromiss, bei dem sie mitgewirkt und dem sie zugestimmt haben, diesen erneut in Frage stellen.

 

Unsere bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass den öffentlichen Medien auf der einen Seite eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates zukommt, dass aber auf der anderen Seite von der Pressefreiheit auch recht unterschiedliche negative Auswirkungen ausgehen können, die vor allem dadurch ausgelöst werden, dass den öffentlichen Medien durch die Pressefreiheit eine außerordentliche Machtfülle zuwächst und dass deshalb die Gefahr besteht, dass auch diese Macht im Einzelnen missbraucht wird. Fragen wir uns also nun, auf welchem Wege dieser Missbrauch – soweit wie nur möglich – verhindert werden kann.

 

Sicherlich kommt der allgemeinen Rechtsprechung in dieser Frage eine entscheidende Bedeutung zu. Die Rechtsprechung ist im Allgemeinen in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat in der Lage, fast jede Form von Verfehlungen ihrer Bürger zu verfolgen. Die allgemeinen Prinzipien der Rechtsprechung garantieren, dass die Rechte sowohl der angegriffenen wie auch der anklagenden Personen bestmöglich gewahrt werden. Die anstehenden Fragen werden weitgehend objektiv und interessefrei von den Richtern entschieden. Dadurch, dass gegen die erstinstanzlichen Urteile in der Regel Widerspruch eingelegt werden kann, können auch vereinzelt falsche Richterentscheidungen revidiert werden.

 

Entscheidungen durch Gerichte weisen jedoch in zweierlei Hinsicht gravierende Mängel auf. Auf der einen Seite ist der Weg von der Tat bis zur möglichen Verurteilung bzw. bis zum Freispruch sehr langwierig. Gerade im Hinblick auf die Pressefreiheit erfolgen die Beeinträchtigungen oftmals dadurch, dass die Position der angegriffenen Politiker kurzfristig eingeschränkt wird; auch dann, wenn auf lange Sicht durch Gerichtsentscheid dem angegriffenen Politikern schließlich Recht gegeben wird, nützt diese Rehabilitation oftmals nichts mehr im alltäglichen Kampf um die politischen Ämter, so etwa, wenn ein Politiker aufgrund nicht berechtigter Angriffe die bevorstehenden Wahlen verloren hat.

 

Auf der anderen Seite können Streitfragen nur dann auf gerichtlichem Wege eindeutig geklärt werden, wenn die Beweislage eindeutig ist. Aber gerade dies ist in politischen Fragen in der Regel nicht der Fall. Es bestehen Vermutungen, die nicht eindeutig bewiesen werden können, bei denen jedoch auch eine eindeutige Widerlegung unmöglich erscheint. Die betroffenen Politiker werden dann mangels Beweisen freigesprochen, obwohl der angerichtete Schaden nur dann – und auch hier nur zum Teil – behoben wäre, wenn ein Freispruch erster Klasse (das heißt aufgrund eindeutiger Beweise) erfolgen könnte.

 

Bei einem Freispruch mangels Beweise gilt jedoch in der öffentlichen Meinung das Motto, ‚wo Rauch ist, ist auch ein Feuer’. Es bestehen in den Köpfen der Wähler weitgehende und unbewiesene Spekulationen, welche vor allem deshalb so gefährlich sind, da sie ja annahmegemäß von den Angeschuldigten nicht widerlegt werden können. Die ordentliche Rechtsprechung ist also gerade in diesen Bereichen nur sehr unvollkommen in der Lage, Missbräuche zu bestrafen und damit weitere Missbräuche zu unterbinden. Es bedarf weitergehender Vorkehrungen, um Machtmissbräuche von Seiten der öffentlichen Medien zu unterbinden.

 

Unsere bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass durch die ordentliche Rechtsprechung allein keine ausreichende Kontrolle der öffentlichen Medien erreicht werden kann. Gerade die Pressefreiheit gewährt den Medien eine außerordentliche Machtfülle, die durchaus in Einzelfällen zu Machtmissbrauch führen kann. Dieser Machtmissbrauch kann genauso wenig allein durch die Rechtsprechung im Allgemeinen in Schach gehalten werden, wie das ja auch gegenüber potentiellen Machtmissbrauch einzelner Politiker gilt, diese werden  – wie oben gezeigt – vorwiegend durch die unterschiedlichsten Institutionen wie Parlament, Rechtsprechung und Pressefreiheit kontrolliert und begrenzt.

 

Nun zeigen die oben gemachten Ausführungen aber auch, dass diese Kontrolle niemals auf dem Wege erfolgen darf, dass die öffentlichen Medien von den regierenden Politikern und von der von ihnen abhängigen staatlichen Bürokratie begrenzt werden, denn hierdurch würde die eigentliche Funktion der Pressefreiheit in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat in Frage gestellt.

 

Es bedarf also anderer Vorkehrungen, um einen Machtmissbrauch der öffentlichen Medien soweit wie möglich zu verhindern. Unter dem Stichwort der Selbstkontrolle wird eine Vielzahl solcher Vorkehrungen zusammengefasst.

 

Als erstes wäre in diesem Zusammenhang die Bildung eines Ehrengerichtes zu nennen, wobei hier nicht entscheidend ist, ob solche Instanzen mit den allgemeinen Rechten und Funktionen der allgemeinen Gerichtsbarkeit ausgestattet sind. Entscheidend ist allein, dass es eine oberste Instanz gibt, welche Verfehlungen der einzelnen Medien verfolgt, für diese spürbare Strafen verhängen kann und erzwingen kann, dass falsche Mitteilungen und nicht berechtigte Verunglimpfungen zurückgenommen werden. Alle Organe der öffentlichen Medien müssen bereit sein, sich den Entscheidungen dieser richterlichen Organe zu unterwerfen und diese Bereitschaft kann wohl nur dadurch erzwungen werden, dass im Rahmen einer staatlichen Ordnung mit möglichst Verfassungsrang die Berechtigung dieser richterlichen Entscheidungen festgelegt wird.

 

Nun gelten natürlich die oben genannten Beschränkungen bei der Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit auch für die berufsbezogenen richterlichen Instanzen. Man kann unter Umständen diese Schwächen zum Teil dadurch mindern, dass dem Prinzip ‚im Zweifel für den Angeklagten’ hier ein weiterer Grundsatz hinzugefügt wird, dass nämlich dann, wenn die in den Medien geäußerten Vorwürfe gegenüber Politikern nicht eindeutig nachgewiesen werden können, ohne dass jedoch die Unschuld der Politiker auch einwandfrei aufgezeigt werden kann, die Medien von diesen richterlichen Instanzen gezwungen werden können, diese Vorwürfe öffentlich zurückzunehmen. Wohlbemerkt: Diese Verpflichtung zur Zurücknahme gilt hier für die angeklagten Medienvertreter.

 

Hierdurch können jedoch keinesfalls alle Schwächen gerichtlicher Entscheidungen korrigiert werden, es bedarf somit weiterer Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass das Ausmaß an missbräuchlichen Äußerungen so gering wie möglich ausfällt.

 

Die Durchführung der Selbstkontrolle hat vielmehr bereits bei der Ausbildung der Journalisten zu beginnen. Ähnlich, wie z. B. Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung zur Einhaltung des Eides des Hippokrates eingeschworen werden (menschliches Leben auf jeden Fall zu schützen), sollte auch bereits in der Ausbildung von Journalisten ein berufliches Ethos entwickelt werden, wonach jeder Journalist als sein höchstes Gebot ansehen sollte, gewissenhaft zu recherchieren, nur eindeutig nachgewiesene Behauptungen aufzustellen, Bewertungen von Tatsachenbehauptungen eindeutig zu trennen und keine Verunglimpfungen der Personen vorzunehmen, die in den Medien angegriffen werden.

 

Hierbei kommt der Trennung zwischen Tatsachenbericht und bewertendem Kommentar eine entscheidende Bedeutung zu. Wir hatten bei der Diskussion über den möglichen Missbrauch innerhalb der Wissenschaft das von Max Weber formulierte Postulat der Werturteilsfreiheit hervorgehoben. Danach wird dem Wissenschaftler zwar nicht verwehrt, an der politischen Diskussion über Bewertungen teilzunehmen, wohl aber wird verlangt, dass der Wissenschaftler seine höchstpersönlichen Bewertungen nicht als Ergebnis wissenschaftlicher Erforschungen ausgibt, welche für alle Individuen als wahr angenommen werden können. Gerade aufgrund dieser Trennung wird möglicher Missbrauch der Wissenschaftler weitgehend unterbunden.

 

Gleiche Schlussfolgerungen gelten auch für die öffentlichen Medien. Auch hier gilt, dass sich ihr eigentlicher Auftrag allein auf die Berichterstattung bezieht. Die politische Bewertung dieser Vorgänge ist nicht primäre Aufgabe der Medien. Auch hier gilt, dass die vom einzelnen Journalisten ausgesprochene Bewertung allein die Bewertung eines einzelnen Bürgers darstellt und nicht für sich in Anspruch nehmen kann, mehr zu sein als die politische Bewertung jedes anderen Bürgers. Die Erziehung zu ganz bestimmten Werten ist demgegenüber die Aufgabe kultureller Systeme, der Erziehungsstätten sowie der Weltanschauungssysteme.

 

Natürlich folgt aus dieser Begrenzung der Aufgaben nicht etwa, dass sich ein Journalist jeglicher Bewertung politischer Ereignisse enthalten sollte. Es wird allein verlangt, dass immer dann, wenn Journalisten die Tatsachenzusammenhänge, über die sie berichten, gleichzeitig bewerten, für jeden Konsumenten dieser Medien klar wird, was Tatsachenbehauptung darstellt, welche im Prinzip für alle Bürger gilt und was lediglich die höchstpersönliche Bewertung eines einzelnen Journalisten darstellt. Eine solche, für alle sichtbare Trennung erfolgt vor allem dadurch, dass Bewertungen nur in Kommentaren vorgenommen werden.

 

Für die Einhaltungen dieser Regeln ist natürlich nicht nur notwendig, dass die Einhaltung dieser Prinzipien allen Journalisten zur Pflicht gemacht wird, sondern dass das Anreizsystem, dem die Journalisten ausgesetzt sind, so ausgestaltet wird, dass die Einhaltung dieser Regeln dem Aufstieg eines jeden Journalisten nicht hinderlich ist und dass die Übertretung dieser Regeln keinesfalls zu einer Belohnung irgendeiner Art der betroffenen Personen führen darf.

 

Diese Anreizsysteme gehen nun in erster Linie von den Verlagen bzw. von den Organen der öffentlichen Medien aus. Nun unterscheiden wir im Bereich des Fernsehens und des Rundfunks zwischen öffentlich rechtlichen und privaten Sendern. Innerhalb der öffentlich rechtlichen Institutionen mag die Verankerung dieser notwendigen Anreizsysteme durchaus möglich sein. Innerhalb privatwirtschaftlicher Einrichtungen – und hierzu zählen nahezu alle Presseorgane sowie zahlreiche Hör- und Fernsehsender sowie Veröffentlichungen im Internet – ergeben sich bei der Durchsetzung dieser Prinzipien beachtliche Schwierigkeiten. Privatrechtlich geführte Medien werden nach erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt und diese erwerbswirtschaftlichen Interessen können durchaus in Konflikt mit der Einhaltung dieser Prinzipien geraten.

 

Dies gilt vor allem dann, wenn ein starker Wettbewerb zwischen den einzelnen Anstalten und Medien besteht und wenn von der Vorstellung ausgegangen werden muss, dass reißerische, nicht auf die Einhaltung dieser Kriterien gerichtete Veröffentlichungen von den Lesern bzw. Zuhörern und Zuschauern erwartet werden. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass sich Medienorgane, welche diese Prinzipien rigoros einhalten, Kunden verlieren auf Kosten der Medien, welche diese Regeln eindeutig verletzen.

 

Hier besteht dann die Gefahr, dass mögliche Strafen, welche von den Ehrengerichten verhängt werden, im Vergleich zu den durch die Nichtbeachtung dieser Regeln ausgelösten Umsatzsteigerungen gering sind, deshalb durchaus in Kauf genommen werden und somit ihre beabsichtigte Wirkung (den Missbrauch zu unterbinden) verfehlen.

 

Eine Lösung dieser Probleme könnte nur auf zweierlei Weise erreicht werden: Entweder vereinbaren die konkurrierenden Medien die Einhaltung dieser Prinzipien, verzichten also darauf, auch dann auf reißerische Veröffentlichungen zurückzugreifen, wenn durch solche Veröffentlichungen zusätzliche Kunden gewonnen werden könnten; sie vertrauen darauf, dass sich auch die Konkurrenten an diese Vereinbarungen halten und dass deshalb der potentielle Verlust aufgrund der Einhaltung dieser Prinzipien gering gehalten werden kann.

 

Dieser Vorschlag widerspricht natürlich dem geltenden Wettbewerbsrecht, wonach keine Absprachen zwischen Unternehmungen erlaubt sein dürfen, welche in Wettbewerb zueinanderstehen. Man muss also das Verbot von Absprachen für den Fall ausschließen, dass sich die Absprachen allein auf die Einhaltung der Regeln der Fairness beziehen.

 

Oder aber man hofft, dass im Rahmen der allgemeinen Bildungseinrichtungen die Menschen ganz allgemein stärker als bisher dazu erzogen werden, die Zeitungen und Sender stärker danach auszuwählen, ob wahrheitsgemäß berichtet wird und die angegriffenen Politiker in ihrer Menschenwürde geachtet werden und weniger danach, ob die Veröffentlichungen möglichst reißerisch vorgetragen werden.

 

Könnte ein solcher Erziehungserfolg erreicht werden, läge es auch nicht mehr im erwerbswirtschaftlichen Interesse der öffentlichen Medien, diese Regeln der Fairness zu durchbrechen. Vielleicht mag ein solcher Anspruch an die allgemeine Erziehung als unerreichbar und utopisch gelten; immerhin ist ein Erfolg bereits dann gegeben, wenn die Mehrheit der Bürger die Zeitungen und Sendungen nach diesen Kriterien aussucht; der Umstand, dass sich immer ein gewisser kleiner Prozentsatz nicht an diese Prinzipien hält, würde diesen Erfolg nicht in Frage stellen.

 

Fortsetzung folgt!