Medizinischer Fortschritt und die Ethik

 

Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten sicherlich enorme Fortschritte erzielt. Eine neue Situation entstand vor allem in dem Augenblick, in dem die DNA der Menschen nicht nur entschlüsselt war, sondern auch erste erfolgreiche wissenschaftliche Versuche unternommen wurden, defekte DNA-Ketten zu entfernen und durch gesundes DNA-Material zu ersetzen. Nun träumen einige Zukunftsforscher von der Möglichkeit, das Erbmaterial der Menschen so zu verändern, dass die Menschen gar nicht mehr krank werden müssen. Von der Idee bis zur Verwirklichung ist aber auch hier ein sehr weiter Weg und es ist keinesfalls bereits erwiesen, dass ein solches Experiment je gelingen wird.

 

Unabhängig jedoch von der Frage, wie realistisch solche Träume vom gesunden Menschen sind, entsteht die ganz andere Frage, wieweit denn solche Pläne überhaupt wünschenswert sind. Wenn eine Person, welche an Nierenversagen leidet und ohne Transplantation einer fremden Niere dem sicheren Tod geweiht gewesen wäre, nun aufgrund der ihr eingepflanzten Niere weiterleben und damit ihr Leben verlängern kann, besteht kein Zweifel, dass es sich hierbei um eine durch und durch erwünschte Operation handelt. Aber gilt dies auch für den Fall, dass es gelingt, durch Reparatur der DNA Nierenversagen oder andere schwere Krankheiten überhaupt zu vermeiden?

 

Natürlich hängt diese Frage mit der anderen Frage zusammen, ob wir Menschen überhaupt das Recht haben, in die Erbanlagen der Menschen einzugreifen. Die Befähigung, das Genmaterial zu verändern (man öffnet die DNA-Ketten, schneidet fehlerhafte Gene heraus und ersetzt diese durch funktionsfähige Gene), setzt aber voraus, dass wir zuvor nicht nur die Struktur der Gen-Ketten kennen, sondern auch gesichertes Wissen darüber haben, welche langfristigen Folgen eine Reparatur der DNA haben wird.

 

 Als erstes gilt es – und dies gilt bei jeder technischen Erneuerungfestzustellen, welche Wirkungen insgesamt von einer technischen Erneuerung ausgehen. Bisher ist es in keinem Bereich gelungen, neue Techniken zu entwickeln, von denen nur positive Wirkungen ausgehen. Es ist immer damit zu rechnen, dass Änderungen in einer Technologie mehrere Wirkungen hervorrufen, nicht nur die beabsichtigten, sondern auch unbeabsichtigte und dass ein Teil dieser unbeabsichtigten Wirkungen Schaden verursacht. Gleichzeitig kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die gleiche Maßnahme bei unterschiedlichen Personen auch stets den Gleichen, erwünschten Effekt bewirkt. Diese allgemeinen Überlegungen gelten auch für Änderungen am menschlichen Erbgut.

 

Wenn dieser Schaden stets bei den gleichen Personen auftreten würde, welche auch in den Genuss dieser Änderungen gelangen würden, könnte man diese Entscheidung denjenigen Personen überlassen, welche von diesen Änderungen profitieren, der Einzelne kann selbst darüber entscheiden, ob er die positiven Wirkungen höher einschätzt als die negativen. Und dieses Urteil würde selbst in den Fällen gelten, in denen es nicht sicher ist, welche Wirkungen von einer Maßnahme ausgehen. Der einzelne Betroffene kann auch selbst darüber entscheiden, ob er den erwarteten Nutzen so hoch einschätzt, dass er das unter Umständen zu befürchtende Risiko einzugehen bereit ist.

 

Da aber zumeist die negativen Wirkungen bei ganz anderen Individuen eintreten als bei den Begünstigten, lassen sich Vor- und Nachteile nicht mehr so einfach miteinander aufrechnen. Es muss geklärt werden, ob es überhaupt berechtigt ist, die Vor- und Nachteile, welche mit einer Maßnahme verbunden sind, gegeneinander aufzurechnen, ob man also einen Schaden, welcher bei einer bestimmten Person A auftritt, billigend in Kauf nehmen kann, um bei einer anderen Person B eine Verbesserung zu erzielen. Nur dann, wenn die Verbesserung bei den positiv beteiligten Personen für das Überleben eines Menschen notwendig ist und gleichzeitig die negativen Folgen bei anderen Menschen gerade nicht lebenswichtig sind, dürfte diese Aufrechnung allgemein akzeptiert werden.

 

Dieser Vergleich wird dadurch noch erschwert, dass die erwarteten Auswirkungen bei einer Änderung einer Technologie zumeist gar nicht eindeutig bekannt sind und nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten oder befürchten sind. Nun müssen wir hier zwischen Fällen unterscheiden, bei denen es um eine einmalige Entscheidung handelt und den ganz anderen Fällen, welche immer wieder auftreten.

 

Bei immer wiederkehrenden Fällen lässt sich sehr wohl eine rationale Entscheidung fällen. Wenn z. B. eine Investition in jeder Periode anfällt und einen Gewinn von 100 € verspricht, der jedoch nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% zu erwarten ist, dann kann man davon ausgehen, dass im langfristigen Durchschnitt ein Gewinn von 100 * 0,5 = 50 erzielt werden kann. Es wird Perioden geben, in denen kein Gewinn oder ein viel geringerer Gewinn erzielt wird, diese werden jedoch dadurch ausgeglichen, dass in anderen Perioden ein Gewinn von 100 oder höher zu verzeichnen ist. Dadurch, dass diese Entsdcheidung immer wieder gefällt wird und diese Entscheidungen sehr häufig auftreten, können Gewinne und Verluste gegeneinander verrechnet werden.

 

Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn eine bestimmte Geldsumme in unterschiedliche Projekte angelegt wird. Nehmen wir den Fall, dass jemand eine bestimmte Geldsumme in Wertpapieren anlegen möchte. Der erwartete Ertrag ist bei jedem Wertpapier nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Würde man sich dazu entscheiden, die gesamte Geldsumme lediglich in einem Wertpapier einer Unternehmung anzulegen, so müsste man damit rechnen, dass der Gewinn sehr ungewiss ist, vielleicht bleibt der Gewinn sogar aus und im schlimmsten Fall erzielt man aufgrund von Kurssenkungen sogar hohe Verluste.

 

Wenn jedoch die gleiche Geldsumme in Wertpapiere verschiedener Unternehmungen angelegt wird, wenn man also sein Kapital streut, kann man im Allgemeinen  hohe Verluste vermeiden, da in der Regel die Verluste bei dem einen Wertpapier durch besonders hohe Gewinne bei einem anderen Wertpapier ausgeglichen werden. Auch hier kann man auf lange Sicht mit einem bestimmten Gewinn rechnen.

 

Weit schwieriger ist die Situation, wenn – wie bei der Manipulation der DNA – Begünstigte und Belastete möglicher Weise auseinanderfallen, der Risikofaktor sehr hoch ist und eine einmalige Änderung zur Diskussion steht, nämlich eine Reparatur der DNA vor der Geburt. Auf der einen Seite haben wir Begünstigte, welche aufgrund der Eingriffe in die DNA weniger häufig und weniger schwer als ohne diese Eingriffe krank werden, auf der anderen Seite sind die Langfristwirkungen aufgrund solcher Manipulationen noch vollkommen unbekannt. Wir müssen bedenken, dass sich das Erbgut der Menschen über Millionen und Abermillionen Jahren gebildet hat und dass deshalb die Beantwortung der Frage, welche weiteren Veränderungen am menschlichen Erbgut noch zu erwarten sind und wie sich deshalb die Eigenschaften des Menschen langfristig verändern werden, in heutiger Zeit völlig unbekannt ist. Auf jeden Fall sind in diesem Falle auch Personen betroffen, welche nicht aufgrund dieser Manipulationen begünstigt wurden und weiterhin handelt es sich hierbei um eine Änderung, welche nur einmal – vor der Geburt – durchgeführt wurde, sodass ein Ausgleich durch Streuung ausgeschlossen ist.

 

Und gerade in diesem fehlenden Wissen liegt das Fatale. Wenn wir genau voraussagen könnten, welche Menschen in Zukunft von einer bestimmten Krankheit betroffen werden, wären auch die Kosten bekannt, welche den einzelnen Individuen im Zusammenhang mit diesen Krankheiten entstehen werden. In diesem Falle aber fehlt die freiwillige Bereitschaft all derjenigen, welche nicht von dieser Krankheit betroffen sind, zur Finanzierung dieser Kosten einen Versicherungsbeitrag zu zahlen.

 

Es ist bisher gerade die Ungewissheit darüber, ob man nicht selbst von bestimmten Krankheiten eines Tages befallen werden wird, welche die generelle Bereitschaft schafft, sich wegen dieser Unsicherheit durch allgemeine Beiträge zur Krankenversicherung abzusichern. Entfällt diese Unsicherheit, so gibt es auch keinen Grund, weshalb jemand freiwillig bereit sein sollte, sich gegen Ereignisse zu versichern, welche mit Sicherheit nicht eintreten.

 

 Auch der Einwand, dass man eben dann Gesundheitsleistungen in einem Versorgungssystem, dem alle Bürger zwangsweise angehören, abwickeln muss, bringt keine Lösung, da ja zumindest in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft letztendes die Mehrheit der Bevölkerung über Wahlen die politischen Entscheidungen akzeptieren muss.

 

Neben dem Umstand, dass die Frage, mit welchen Langzeitwirkungen an der DNA noch zu rechnen ist, völlig unklar ist, kommt als weiteres hinzu, dass in den menschlichen Beziehungen weitere negative Auswirkungen zu befürchten wären.

 

Diese Gefahren würden nur dann nicht eintreten, wenn es gelänge, restlos für alle Menschen diese Gen-Manipulationen vorzunehmen und deshalb in Zukunft niemand mehr die Dienstleistungen im Gesundheitswesen in Anspruch nehmen müsste. Dies wird jedoch aus zweierlei Gründen nicht möglich sein. Genmanipulationen sind sehr kostspielig und werden deshalb wohl kaum für alle Menschen durchgeführt. Auch ist es zumindest in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht möglich, den Zeugungsakt lückenlos zu kontrollieren, sodass immer wieder Menschen geboren werden, welche eine unveränderte und damit möglicherweise krankhafte Erbanlage aufweisen.

 

Zweitens können gesundheitliche Schäden auch immer noch aufgrund der Wechselfälle des Lebens auch bei gesunder Erbanlage auftreten, z. B. durch einen Autounfall oder aufgrund von Kampfhandlungen. Dieser Umstand hat aber zur Folge, dass die ohnehin zu hohe Ungleichheit zwischen den einzelnen Personen aufgrund der Gen-Manipulationen noch steigen wird. Und dies bedeutet, dass zumindest bei unserem heutigen Wissensstand über die langfristigen Auswirkungen einer Gen-Manipulation Eingriffe in die DNA nicht gutgeheißen werden können.