Beurteilung aufgrund des Motivs?

 

 

Journalisten pflegen die Entscheidungen der Politiker immer wieder nach deren Motiven zu hinterfragen und kommen dann zumeist zu ganz anderen Schlussfolgerungen als zumindest die betroffenen Politiker selbst ihre Handlungen in der Öffentlichkeit rechtfertigen.

 

So wurde jüngst mit der Entscheidung des CDU-Präsidiums, die Wahlen zum Vorsitzenden der CDU vom Dezember auf den Beginn des nächsten Jahres zu verschieben, verfahren. Als Erklärung gab die CDU-Führungsspitze an, dass in einer Zeit, in der auch kleinste Zusammenkünfte wegen der Corona-Pandemie verboten werden müssen, es nicht zu rechtfertigen sei, eine tausend Personen umfassende Versammlung abzuhalten.

 

Da eine real stattfindende Versammlung im Prinzip einer reinen online-Veranstaltung vorzuziehen sei, wolle man die Entwicklung in den nächsten Wochen abwarten, um dann später zu entscheiden, ob man die second-Lösung der online Abstimmung wirklich ergreifen muss oder ob sich die Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie dann soweit beruhigt habe, dass man ohne Bedenken eine reale Versammlung verantworten kann. 

 

Folgt man hingegen der Argumentation der Journalisten und auch der Opposition, so ging es einem Teil der Bewerber, vor allem Laschet darum, Zeit zu gewinnen, sich noch in der Bewältigung der Corona-Krise zu bewähren und damit insbesondere die Startchancen von Merz, ebenfalls Bewerber um das Amt des Vorsitzenden, zu verschlechtern.

 

Ich halte eine solche Art von Motivforschung für unerwünscht, sie ist auf diese Weise gar nicht möglich, sie ist auch gar nicht notwendig und sie führt zu einer Verschlechterung der politischen Ergebnisse, vor allem zu einer Vergiftung der politischen Atmosphäre. 

 

Eine solche Motivforschung ist erstens gar nicht möglich oder zumindest sehr erschwert und deshalb ungenau. Wir können nicht in die Seele eines Menschen hineinschauen und eindeutig erkennen, welche Motive einen Politiker bei seinen Handlungen bewegen. Wir erfahren zunächst nur darüber, was die Politiker über ihre Ziele selbst angeben, es ist zunächst nicht klar, inwieweit diese Äußerungen die eigentliche Motivlage der Politiker wiedergeben, vor allem ist die Fähigkeit und auch der Wille der einzelnen Politiker in dieser Frage sehr unterschiedlich. Eine Beurteilung der politischen Handlungen vorwiegend aufgrund der Motive würde deshalb zu einer Verzerrung der Startchancengleichheit führen.

 

Wir können nur Vermutungen äußern, welche Motive für die Handlungen der Politiker ausschlaggebend waren. Es besteht die Gefahr, dass die Journalisten und die konkurrierenden Politiker ihren politischen Gegnern falsche Motive unterschieben, um auf diese Weise die politischen Geschehnisse in ihrm Sinne zu beeinflussen. Erst eine sehr langwierige Überprüfung seitens der historischen Wissenschaften kann in dieser Frage Klarheit bringen.

 

Eine Motivforschung ist aber zweitens auch gar nicht notwendig. Der Nutzen einer politischen Maßnahme für die gesamte Gesellschaft wird allein danach bestimmt, in welchem Maße eine Maßnahme das Allgemeinwohl der gesamten Gesellschaft beeinflusst. Steigt das Allgemeinwohl, ist eine Maßnahme zu rechtfertigen, sinkt das Allgemeinwohl hingegen, ist diese Maßnahme abzulehnen.

 

Nur dann, wenn man davon ausgehen könnte, dass das private Wohl der handelnden Politiker immer konträr zum Wohl der Allgemeinheit stehen würde, wenn also immer dann, wenn eine Maßnahme das private Wohl eines Politikers verbessern würde, gleichzeitig das allgemeine Wohl der Bevölkerung Schaden nehmen würde, wäre es berechtigt, die Beurteilung einer politischren Maßnahme anhand des Motivs, das die Politiker jeweils bewegt, zu beurteilen.

 

In Wirklichkeit besteht aber keine solche Verbindung zwischen dem Wohl des handelnden Politikers und dem Wohl der Allgemeinheit. Sehr oft führen Maßnahmen sowohl zu einer Verbesserung des Wohls der Allgemeinheit wie des handelnden Politikers, sehr oft wird auch das Allgemeinwohl geschädigt, wenn eine Maßnahme einem handelnden Politiker ebenfalls schadet.

 

Nehmen wir das Beispiel Otto von Bismarck. Bismarck hatte in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland eine Sozialversicherung eingeführt, welche in der damaligen Zeit in ganz Europa als vorbildlich galt und sicherlich das Allgemeinwohl, insbesondere das der Industriearbeiter, entscheidend gesteigert hatte.

 

Das Hauptanliegen Bismarcks bestand jedoch mit diesen Maßnahmen in dem Versuch, auf diese Weise die Arbeiter von den Gewerkschaften und der Sozialistischen Partei zu trennen. Es war eine Politik des Zuckerbrotes und der Peitsche. Die Einführung der Sozialversicherung galt als das Zuckerbrot, das Verbot der Sozialistischen Partei und einiger Gewerkschaften als die Peitsche dieses politischen Vorstoßes. Bismarck wollte auf diese Weise die Position der Krone (des Kaisers) gegenüber dem Parlament stärken. Trotz dieses fragwürdigen Motives hat diese Politik sicherlich die allgemeine Wohlfahrt gesteigert.

 

Wir müssen sogar davon ausgehen, dass sowohl die Marktwirtschaft im wirtschaftlichen Bereich als auch die repräsentative Demokratie im politischen Bereich Mechanismen enthält, die darauf hinwirken, dass die Politiker gerade dann eine Steigerung ihres eigenen Wohls erfahren, wenn sie auch Maßnahmen ergreifen, welche der gesamten Bevölkerung zugute kommen.

 

In einer Marktwirtschaft steigt in einer funktionierenden Wettbewerbsgesellschaft der Unternehmergewinn gerade dann, wenn er seine Produktion an den Wünschen der Konsumenten ausrichtet. Ein Unternehmer kann seinen Gewinn im Allgemeinen gerade dadurch steigern, dass er die die Güter produziert, welche den Wünschen der Konsumenten entsprechen.

 

In gleicher Weise kann man davon ausgehen, dass derjenige Politiker bei den Wahlen innerhalb einer repräsentitiven Demokratie obsiegt, welcher sein Programm an den Wünschen der Bevölkerung ausrichtet. Wenn jeder Wähler den Politiker wählt, der genau die Maßnahmen verspricht, welche dem einzelnen Wähler den größten Gesamtnutzen bringen, ist auch sichergestellt, dass genau der Politiker als Sieger aus den Wahlen hervorgeht, welcher den Wünschen der Gesamtbevölkerung am besten entspricht.

 

Natürlich ist es richtig, dass diese Kopplung des Eigenwohls am Gesamtwohl der gesamten Bevölkerung nur dann eintritt, wenn gewisse ordnungspolitische Voraussetzungen gegeben sind. So führt eine Marktwirtschaft nur dann automatisch auch zu einer Optimierung des Nutzens der gesamten Bevölkerung, wenn zwischen den Unternehmungen ein intensiver Wettbewerb besteht und wenn darüber hinaus alle einer Volkswirtschaft im Zusammenhang mit der Produktion entstehenden Kosten auch von den Unternehmungen getragen werden und deshalb letzten Endes in  die Höhe der Endpreise eingehen.

 

In gleicher Weise gilt für eine repräsentative Demokratie, dass die Ausrichtung der Politik an den Wünschen der Wähler nur dann funktioniert, wenn unter anderem sichergestellt ist, dass auch die Partei die Regierung stellt, welche die meisten Stimmen auf sich vereinigt.

 

Diese Voraussetzungen sind sicherlich nicht immer gegeben. In diesem Falle gilt es jedoch diese eigentlichen Ursachen einer unbefriedigenden Lösung zu beseitigen und nicht im Sinne einer Symptombehandlung die Politik an den Motiven zu bemessen.

 

Drittens führt eine Fokusierung der politischen Handlungen auf die Frage nach dem Motiv, von dem sich die Politiker leiten lassen, zu negativen Nebenwirkungen. So führt sie erstens zur Vergiftung des politischen Klimas und erschwert auf diese Weise eine befriedigende Lösung der politischen Probleme.

 

Zweitens treten die eigentlichen Auswirkungen bestimmter Maßnahmen in den Hintergrund mit der Folge, dass eine wirkliche Lösung der anstehenden Probleme unwahrscheinlicher wird. Die einzelnen zur Verfügung stehenden Alternativen werden nicht mehr danach unterschieden, inwieweit sie in der Lage sind, das Allgemeinwohl zu fördern. Der Hinweis, dass ein Politiker eigensüchtige Interessen verfolgt, reicht aus, um diese Lösungen abzulehnen, umgekehrt führt eine andere Alternative nur deshalb zum Erfolg, weil angeblich der Politiker aus guter Absicht handelt.

 

Drittens schließlich werden auf lange Sicht immer mehr geeignete Politiker der Politik den Rücken kehren, da sie vom politischen Treiben angeekelt sind. So trägt eine solche Politik dazu bei, dass das Allgemeinwohl immer mehr zurückgeht, da immer weniger befähigte Politiker das politische Feld beherrschen.