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Negativzinsen Wohltat oder Fluch?

 

 

Bundesfinanzminister Scholz beabsichtigt ein Verbot negativer Zinsen für Empfänger geringen Einkommens. Kritisch wird in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob eine solche Regelung überhaupt mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Es wir weiterhin die Befürchtung geäußert, dass eine solche Regelung katastrophale Auswirkungen habe.

 

 

Auch Söder, der bayerische Ministerpräsident, hatte angekündigt, dass er sich auf Bundesratsebene dafür einsetze, Ersparnisse bis 100.000 Euro grundsätzlich von negativen Zinsen auszunehmen. Für Kleinsparer sollten Negativzinsen verboten werden. Banken sollten die ihnen auferlegten Negativzinsen anders ausgleichen. „Sparen muss belohnt und darf nicht bestraft werden“, sagte Söder.

 

De facto wälzen einzelne Bankinstitute die für sie geltenden  Strafzinsen der Europäischen Zentralbank bereits seit einiger Zeit an Unternehmen oder große Investoren wie Fonds weiter. Und in einigen Fällen werden sogar bereits Empfänger hoher Einlagen mit den Strafzinsen belastet. Das Gros der Privatkunden wird jedoch noch von Strafzinsen verschont, um nicht auf diese Weise die Kunden zu verprellen.

 

Nun hat EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt, dass die Notenbank überlege, den negativen Einlagenzins womöglich schon in ihrer nächsten Zinssitzung am 12. September noch zu verschärfen. Die Reaktion des Bundesverbandes deutscher Banken folgte prompt: Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken Andreas Krautscheid drohte damit, „dass viele Banken auf Dauer nicht mehr umhinkönnen, die zusätzlichen Belastungen auch in der Breite an Privatkunden weiterzugeben“.

 

Ähnliche Stimmen waren von einigen Genossenschaftsbanken zu hören: „Es wird für Banken immer schwerer, bei anhaltenden Negativzinsen eine angemessene Profitabilität im Kundengeschäft sicherzustellen, insbesondere, wenn auf die Weitergabe der negativen Zinsen im Mengengeschäft verzichtet wird.“

 

Bankenvertreter kritisieren den Plan, Negativzinsen zu verbieten: „Gesetzliche Verbote sind systemfremd, helfen den Kunden nicht weiter und können letztlich zu einer gefährlichen Instabilität der Finanzmärkte führen. Derartige Vorschläge zeigen, wie weit die unerwünschten Nebenwirkungen der Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank schon reichen.“

 

Auch von wissenschaftlicher und politischer Seite wird ein Verbot von Negativzinsen für Kleinsparer abgelehnt. So äußerte sich der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der Passauer Neuen Presse: „Im Extremfall könnte das zur Destabilisierung des deutschen Bankensystems führen.“

 

Der Chef der Verbraucherzentrale Klaus Müller meinte gegenüber der Augsburger Allgemeinen: „Ein Gesetz gegen Negativzinsen ist gut gemeint, hätte aber vor allem Symbolcharakter“, dagegen sprach der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Fabio De Masi davon, dass  „Strafzinsen für Kleinsparer das Vertrauen in die Einlagensicherung“ untergraben würden.

 

Bei der Beurteilung dieser Pläne gilt es zwischen der Zielsetzung, also der Frage zu unterscheiden, wie Negativzinsen generell zu beurteilen sind und der ganz anderen Frage, auf welchem Wege denn Negativzinsen vermieden werden können, falls Negativzinsen negativ beurteilt werden.

 

Wenden wir uns zunächst der Frage zu, wie Negativzinsen zu bewerten sind.

 

Die Vorstellung, man könne Wirtschaftskrisen dadurch vermeiden, dass man Negativzinsen einführt, ist nicht neu. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts vermeinte Silvio Gesell, man könne Wirtschaftskrisen dadurch bekämpfen, dass sich das Geld mit der Zeit automatisch entwerte, sodass der Einzelne gezwungen sei, Geld möglichst schnell auszugeben. Diese Entwertung des Geldes könne dadurch erreicht werden, dass man Sparen mit einem Negativzins belegt.

 

Mit Recht fanden diese Ideen im Verlauf der wirtschaftstheoretischen Lehrgeschichte kaum Beachtung. Auch die Lehren von Keynes können nur schwerlich so gedeutet werden, dass er diese Ideen weitergeführt habe. Keynes ging vielmehr von der Vorstellung aus, dass die Geldpolitik überhaupt nicht in der Lage sei, die Volkswirtschaft aus einer Krise herauszuführen, es bedürfe vielmehr der Finanzpolitik, um die effektive Nachfrage so anzuheben, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut werde.

 

Er begründete diese Auffassung damit, dass bei einer konjunkturellen Krise wegen Rückgangs der Nachfrage die Produktionskapazitäten nicht voll ausgelastet seien, sodass auch bei Zinssenkungen nicht erwartet werden könne, dass die Unternehmer durch Investitionen ihre Kapazitäten noch ausbauen.

 

Wenn die Keynesianer trotzdem eine easy-money policy, also eine Politik niedriger Zinsen, betrieben, so lag dies daran, dass sie auf diese Weise die Zinsausgaben des Staates zu reduzieren hofften.

 

Solange Kapital aus volkswirtschaftlicher Sicht ein knappes Gut darstellt, kann die volkswirtschaftliche Wohlfahrt durch Investitionen vermehrt werden. Und die knappen Ressourcen werden nur dann optimal eingesetzt, wenn die Preisrelationen den Knappheitsrelationen entsprechen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass es aus volkswirtschaftlicher Sicht weiterer Investitionen sowohl im privat- wie auch öffentlichen Bereich dringend bedarf.

 

Also sollte entsprechend der Knappheitsrelationen Kapital auch einen positiven Ertrag erzielen. Nur dann, wenn Kapital ein freies Gut wäre, bei dem also keine Knappheit herrscht, wäre es berechtigt, für Kapital auch keinen Preis (Zins) zu entrichten.

 

Aber selbst in diesem Falle wäre es nicht zu rechtfertigen, das Angebot an Kapital, das Sparen, mit einem negativen Zins zu belegen. Kosten sind immer nur dann gerechtfertigt, wenn derjenige, welcher knappe Ressourcen anbietet, aufgrund dieses Angebotes anderen Individuen Nutzenverluste verursacht.

 

Nun könnte man einwenden, dass es doch unter Umständen gerechtfertigt sei, dass eine Bank, welche Ersparnisse annimmt, dem Sparer insofern eine Dienstleistung erbringt, da auf diese Weise Diebstahl und anderer Verlust vermieden werden kann.

 

Aber die Tatsache, dass der Sparer in diesem Falle für diese Dienstleistung einen Preis zahlen muss, kann nur scheinbar als Negativzins bezeichnet werden. In Wirklichkeit werden zwei Geschäfte miteinander verbunden. Der Sparer bietet der Bank Kapital an und hat für dieses Angebot einen Zins zu beanspruchen, welcher der Knappheit des Kapitals entspricht. Gleichzeitig bietet die Bank dem Sparer Schutz vor Diebstahl und anderem an und hat für diese Dienstleistung einen Preis zu beanspruchen.

 

Nun sah Keynes in der Tatsache, dass in Zeiten der Rezession die Ersparnis ansteigt, ein Übel, da eine Mehrersparnis einen Minderkonsum darstellt und da die Unternehmer bei einem Rückgang des Konsums nicht bereit seien, die ohnehin leerstehenden Produktionskapazitäten noch zu erweitern.

 

Aber in Wirklichkeit ist die eigentliche Ursache für die Rezession nicht die Zunahme der Ersparnis, sondern der Umstand, dass die Unternehmer nicht willens sind, die zusätzlichen Ersparnisse zu investieren. Zwar wird man nicht erwarten können, dass Unternehmer bei einem Rückgang  der Konsumnachfrage ihre Produktionskapazitäten ausbauen. Es gibt aber nicht nur Erweiterungsinvestitionen, sondern auch Rationalisierungsinvestitionen und diese sind in Zeiten der Rezession notwendiger denn je.

 

Man kann also nicht davon sprechen, dass Kapital in Zeiten der Depression aufhört, ein knappes Gut zu sein, ja sogar ein Übel darstellt, sondern dass hier der Markt versagt, da das vermehrte Angebot an Kapital nicht zu einer Ausweitung der Investitionen führt, obwohl gesamtwirtschaftlich Kapital immer noch ein knappes Gut darstellt.

 

Natürlich ist es richtig, dass diese erwünschten Investitionen auch dann erfolgen können, wenn keine Ersparnisse zur Verfügung gestellt werden. Investitionen können auch auf dem Wege der Selbstfinanzierung alimentiert werden. Der Staat erhöht hier die Nachfrage, dadurch erzielen die Unternehmer Preissteigerungen, welche sich in Gewinnsteigerungen niederschlagen. Und es sind hier diese Gewinne, mit denen die zusätzlichen Investitionen finanziert werden.

 

Wie aber Kaldor, welcher die keynesianische Theorie weiterentwickelt hat, gezeigt hat, schlagen sich Investitionen, welche mit Gewinnen finanziert werden, in einer Reduktion der realen Lohneinkommen nieder. Um zu verhindern, dass die Einkommensverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer umverteilt werden, ist es entsprechend der von Kaldor entwickelten Verteilungstheorie notwendig, dass die freiwillige Ersparnis der privaten Haushalte erhöht wird, da nur auf diese Weise die Einkommensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer verbessert werden kann.

 

Wenn also Negativzinsen auf jeden Fall vermieden werden sollen, entsteht die weitere Frage, auf welchem Wege dieses Ziel erreicht werden sollte.

 

Es ist auf jeden Fall falsch, den Banken zu verbieten, Negativzinsen für Ersparnisse zu verlangen. Solange die Notenbank den Kreditinstituten Strafzinsen auferlegen kann, müssen die Banken auch die Möglichkeit haben, diese an ihre Kunden weiterzugeben. Eine optimale Aufteilung knapper Ressourcen kann nur erreicht werden, wenn jeweils die privaten Haushalte den volkswirtschaftlich erwünschten Preis als Nachfrager zu zahlen haben und als Anbieter knapper Ressourcen erhalten. Nur auf diese Weise ist garantiert, dass die knappen Ressourcen auch optimal auf die einzelnen Verwendungsmöglichkeiten aufgeteilt werden.

 

Wenn es also erwünscht ist, dass keine Negativzinsen erhoben werden, so ist dieses Ziel nur dadurch zu erreichen, dass der Notenbank selbst das Recht abgesprochen wird, Strafzinsen von den Privatbanken zu verlangen. Ein solches Verbot würde auch dem Sinn der Eurogemeinschaft entsprechen. Danach ist es einzige Aufgabe der Notenbank, für eine Stabilität der Währung zu sorgen. Konjunkturpolitik ist hingegen alleinige Aufgabe der Regierung und der Parlamente.

 

Die Forderung nach einer solchen Aufgabenteilung ergibt sich übrigens nicht nur aus einer neoliberalen Sichtweise. Auch die keynesianische Theorie wurde vor allem von Johnsons und Mundell dahingehend weiterentwickelt, dass eine policy-mix-Strategie empfohlen wird.

 

Danach kann eine befriedigende Geld- und Fiskalpolitik nur dann erreicht werden, wenn sich die Notenbank darauf beschränkt, die Stabilität der Währung zu garantieren, während der Staat über seine Fiskalpolitik Vollbeschäftigung zu erreichen versucht.

 

Nach einem von Jan Tinbergen formulierten Theorem kann eine Zielrealisierung nur erreicht werden, wenn die Zahl der zur Verfügung stehenden Mittel der Zahl der angestrebten Ziele entspricht. Solange jedoch die Geldpolitik lediglich die Aufgabe hat, der Konjunkturpolitik des Staates zu folgen, also eine expansive Fiskalpolitik mit einer expansiven Geldpolitik zu begleiten, sind der Notenbankzins und das Budget des Staates keine unabhängigen Ziele. Zinspolitik und Budgetausrichtung müssen also getrennt voneinander festgelegt werden, um eine volle Zielrealisierung zu erreichen.