„Unser Modell ist neoliberal mit monopolistischen Machtstrukturen."
Diese These fand sich in den aktuellen Nachrichten der ARD im Zusammenhang mit einem Bericht über Guatemala. Ähnliche Aussagen, in denen der Neoliberalismus mit kapitalistischen Machtstrukturen gleichgesetzt wird, finden sich jedoch auch bei vielen Politikern linker und grüner Prominenz sowie bei vielen Journalisten, für die der Neoliberalismus geradezu zu einem Schimpfwort geworden ist.
Diese Vorstellungen entsprechen jedoch in keinster Weise den Überzeugungen, welche Walter Eucken als Hauptvertreter des in Deutschland entwickelten Neoliberalismus vertreten hatte.
Der wohl wichtigste Unterschied zwischen dem Neoliberalismus Walter Euckens und dem älteren Liberalismus bestand gerade darin, dass er erkannt hatte, es reiche nicht aus, den Wettbewerb in einem einzigen politischen Akt einzuführen. Der Wettbewerb erhalte sich nicht von selbst, für die Unternehmungen sei Wettbewerb äußerst lästig, sodass die Unternehmungen immer wieder den Versuch unternehmen würden, durch Kartellabsprachen und Fusionen den Wettbewerb auszuschalten.
Es bedürfe also einer aktiven Wettbewerbspolitik des Staates, Kartellabsprachen seien zu verbieten und Unternehmungszusammenschlüsse zu vermeiden, sofern sie zu monopolitischen oder oligopolistischen Marktstrukturen führen. Hierzu bedürfe es aber eines starken Staates.
Warum aber wird der Neoliberalismus immer wieder mit monopolistischen Praktiken verbunden? Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder haben sich diejenigen, welche diesen Vorwurf öffentlich erheben, überhaupt nicht mit den Vorstellungen Walter Euckens befasst oder aber sie täuschen die Öffentlichkeit trotz besserem Wissen. Beide Möglichkeiten sind unakzeptabel.
In gleicher Weise wird mit dem Neoliberalismus in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck erweckt, als sei der Neoliberalismus unsozial und vernachlässige die Interessen der Arbeitnehmer.
Auch diese Vorstellungen finden in den Veröffentlichungen Walter Euckens keinerlei Entsprechung. Ganz im Gegenteil hat Walter Eucken in seinen Grundsätzen der Wirtschaftspolitik davon gesprochen, dass die zentrale Aufgabe der Ordnungspolitik nicht nur in der Lenkung des Wirtschaftsprozesses, sondern auch in der Lösung der sozialen Frage zu sehen sei.
Walter Eucken fährt fort, dass es kein Wunder sei, dass die freie Marktwirtschaft, welche im 19. Jahrhundert den Arbeitnehmern faktisch keine Freiheit gebracht habe, bei den Arbeitnehmern zunächst auf Widerstand gestoßen sei.
Es sei jedoch falsch, diese anfänglich schlechten verteilungspolitischen Ergebnisse damit zu erklären, dass die Arbeitnehmer über kein Eigentum an den Produktionsfaktoren besitzen. Die Ursache für diese anfänglichen Unzulänglichkeiten liege darin, dass wir – vor dem Erstarken der Gewerkschaften – auf den Arbeitsmärkten ein Nachfragemonopol hatten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich die materielle Lage der Arbeitnehmer kontinuierlich verbessert, obwohl sich an den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsfaktoren nichts verändert habe.
Positiv zu beurteilen sei zwar, dass die soziale Frage nicht mehr wie früher punktuell angegangen werde, sondern eine gesamtwirtschaftliche Lösung angestrebt werde. Die vom Sozialismus vorgeschlagenen beiden Lösungen: das Privateigentum an den Produktionsfaktoren durch Verstaatlichung aufzuheben, sowie die Nachfrage nach Gütern auf staatlich-planwirtschaftliche Weise zu lenken, hätten nur zu einer Verschiebung der sozialen Frage geführt. Die heutige soziale Frage bestehe darin, dass die Freiheit aller und nicht nur der Industriearbeiter bedroht sei.
Das Anliegen der sozialen Gerechtigkeit könne nicht ernst genug genommen werden. Es könne aber nur durch Garantierung des Wettbewerbs und durch Anwendung aller konstituierender und regulierender Prinzipien erfüllt werden.
Ob durch Geldentwertung Sparer enteignet werden, ob durch Schließung der Märkte Personen von den Erwerbschancen ausgeschlossen werden, ob durch Missbrauch der Vertragsfreiheit die Freiheit anderer eingeengt werde oder durch Haftungsbeschränkung das Risiko auf andere abgewälzt wird, immer werde durch Manipulation ein gerechter Austausch der wirtschaftlichen Leistungen unterbunden.
Der Neoliberalismus richtet sich also nicht in erster Linie gegen die Ziele der Sozialpolitik, sondern gegen den Einsatz marktinkonformer Maßnahmen, welche zumeist einerseits die Ziele der Sozialpolitik gar nicht erreichen und gleichzeitig mit der Verringerung der Wachstumskräfte dem Staat gerade die Mittel entziehen, welche für eine erfolgreiche Sozialpolitik benötigt werden.