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Der Organisationsgrad der Gewerkschaften

 

Gliederung:

 

1. Die historische Entwicklung

2. Kollektivgüterangebot

3. Globalisierung und Gewerkschaften

4. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft

5. Bildungsgesellschaft und Organisationsgrad

6. Gewerkschaften und Eigentumsstruktur

7. Größe der Einzelgewerkschaft

 

 

1. Die historische Entwicklung

 

Die deutschen Gewerkschaften entstanden schon früh im 19. Jahrhundert. Jedoch wurden zunächst nur sehr vereinzelt Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern geführt und Tarifverträge abgeschlossen. Auch wurden vor allem unter Bismarck im Zuge des Sozialistengesetzes die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften politisch verfolgt. Erst in der Weimarer Republik entwickelte sich eine Praxis, nach der in fast allen Wirtschaftszweigen und Wirtschaftsräumen periodische Tarifverhandlungen mit dem Ziel geführt wurden, einen Tarifvertrag abzuschließen.

 

Im Zuge dieser Entwicklung vergrößerte sich zu Beginn der Weimarer Republik die Zahl der Mitglieder um das Dreifache. Der Organisationsgrad der Gewerkschaften, der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an der Gesamtzahl der Beschäftigten, stieg an.

 

Für diese Entwicklung waren vor allem zwei Ereignisse von Bedeutung. Im Jahre 1916 wurden im Rahmen des Hilfsdienstgesetzes die Gewerkschaften staatlich anerkannt. Der Staat sah sich zu dieser Anerkennung der Gewerkschaften gezwungen, da sich die wirtschaftliche Lage während des ersten Weltkrieges dramatisch verschlechtert hatte und eine reibungslose, nicht durch Streiks erschütterte Wirtschaftslage für eine erfolgreiche Kriegsführung als unerlässlich angesehen wurde.

 

Das für die Entwicklung der Gewerkschaften entscheidende zweite Ereignis lag darin, dass nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches auch die Arbeitgeber mit dem Stinnes-Legyen-Abkommen vom 15. November 1918 die Gewerkschaften als "berufene Vertreter der Arbeiterschaft" anerkannten. Die Arbeitgeber waren bereit, mit den Gewerkschaften kollektive Tarifverträge abzuschließen.

 

Zur Durchführung dieses Abkommens und zur Schlichtung von möglichen Streitfällen wurde eine Zentralarbeitsgemeinschaft gegründet, welche zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gebildet wurde und paritätisch besetzt war. Eine größere praktische Bedeutung erlangte allerdings diese Zentralarbeitsgemeinschaft nicht. Nachdem durch eine neue Arbeitszeitverordnung der Achtstundentag weitgehend seine Gültigkeit verloren hatte, trat bereits im Jahre 1924 der mitgliederstärkste und einflussreichste Dachverband der Gewerkschaften (der ADGB) enttäuscht aus der Zentralarbeitsgemeinschaft aus.

 

Ein Erfolg der Zentralarbeitsgemeinschaft wurde weiterhin durch die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung verhindert. Es bildeten sich drei weltanschaulich miteinander konkurrierende Gewerkschaften: der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, welcher der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nahe stand, der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seiner christlichen Orientierung sowie die Hirsch-Dunker‘schen Gewerkvereine, die sich von sozialliberalem Gedankengut leiten ließen.

 

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und des starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit mussten die Gewerkschaften einen dramatischen Mitgliederverlust hinnehmen. Es kam zu einer politischen Polarisierung mit der Gründung der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation und der kommunistischen Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Das vorläufige Ende der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland wurde durch die Zerschlagung der Gewerkschaften durch das NS-Regime 1933 eingeleitet.

 

In der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg entstanden zunächst einmal in den einzelnen Zonen 16 Einzelgewerkschaften. Erst nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde dann auch am 12. 10. 1949 der DGB (Deutsche Gewerkschaftsbund) als Vereinigung der deutschen Gewerkschaften gegründet. Neben den im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften entstanden christliche Gewerkschaften, die sich allerdings nur in einigen wenigen Bundesländern halten konnten, weiterhin die DAG (Deutsche Angestelltengewerkschaft) und schließlich der Deutsche Beamtenbund.

 

Bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten stiegen die Mitgliederzahlen vorwiegend aufgrund einer stark steigenden Beschäftigung; aber auch der Organisationsgrad der Gewerkschaften erhöhte sich kontinuierlich. Alle Gewerkschaften zusammen verzeichneten 1960 etwas unter 8 Millionen Mitglieder, die Mitgliederstärke stieg bis 1990 kurz vor der Wiedervereinigung auf etwas unter 10 Millionen. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung wuchs die Mitgliederzahl zunächst auf fast 14 Millionen an, wobei dieser Zuwachs dadurch erzielt wurde, dass in den ehemaligen Gebieten der DDR ein Teil der FDBG-Mitglieder übernommen werden konnte.

 

Seither sinkt die Zahl der Mitglieder kontinuierlich, in den neuen Ländern sogar stärker als in den alten Bundesländern. Ende 2006 lag die Gesamtzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer unter 8 Millionen, die Zahl der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften sogar nur noch bei circa 6 Millionen. Der Organisationsgrad aller Arbeitnehmer sank in den alten Bundesländern auf 17,1 %, in den neuen Bundesländern auf 19,1%. Im Jahre 2009 betrug der Organisationsgrad der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften sogar nur noch 17,5% der Beschäftigten.

 

Untergliedern wir die Arbeitnehmer nach strukturellen Merkmalen, lassen sich allerdings beachtliche Unterschiede erkennen. Dies gilt einmal für die Aufteilung der Arbeitnehmer in Arbeiter, Angestellte und Beamten. So sank der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer an der Zahl der Beschäftigten bei den Arbeitern in den alten Bundesländern von 36,3% im Jahre 1980 auf 28% im Jahre 2002. Die entsprechenden Prozentsätze bei den Angestellten bewegen sich von 26,3% auf 24,2%. Nur bei den Beamten fand in diesem Zeitraum sogar eine Steigerung von 45,2% auf 53,3% statt.

 

Unterschiede im Organisationsgrad ergeben sich auch zwischen Männer und Frauen. Frauen weisen einen deutlich geringeren Organisationsgrad auf als Männer. So gehörten in den alten Bundesländern im Jahre 2000 30,5% der Männer, aber nur 26,8% der Frauen einer Gewerkschaft an. Im Jahre 2006 sank die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Männer auf 22,3%, die der Frauen auf 11,1% ab. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass dieser deutlich geringere Anteil der Frauen vermutlich auch damit zusammenhängt, dass Frauen vorwiegend in Berufen und an Arbeitsplätzen arbeiten, bei denen eine geringere Organisationsfähigkeit unterstellt werden kann.

 

Auch zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten lassen sich Unterschiede im gewerkschaftlichen Organisationsgrad erkennen. So waren (wiederum bezogen auf die alten Bundesländer) im Jahre 2000 26,8% der Vollzeitbeschäftigten, aber nur 14% der Teilzeitbeschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Im Jahre 2006 sank der Organisationsgrad der Vollbeschäftigten auf 19,4%, der Organisationsgrad der Teilzeitbeschäftigten jedoch auf 8,7%.

 

Die Zahl der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften hat sich im Zeitablauf verringert. Bei der Gründung des DGB im Jahre 1949 gehörten noch 16 Einzelgewerkschaften dem DGB an. Im Jahre 1978 schloss sich die Gewerkschaft der Polizei als 17. Einzelgewerkschaft dem DGB an. Bis zum Jahre 2001 ist diese Zahl der angeschlossenen Einzelgewerkschaften durch Fusionen auf 8 Einzelgewerkschaften zusammengeschrumpft.

 

So fusionierten 1989 die IG Kunst, Kultur und Medien mit der IG Druck und Papier; im Jahre 1996 gab es einen Zusammenschluss der IG Bau-Steine Erden mit der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft zur IG Bauen-Agrar-Umwelt. Im Jahre 1997 folgte eine Fusion der IG Bergbau und Energie, der Gewerkschaft IG Chemie, Papier und Keramik sowie der Gewerkschaft Leder zur IG Bergbau, Chemie, Energie.

 

Zwischen 1998 und 2000 gingen weiterhin die Gewerkschaft Holz und Kunststoff sowie die Gewerkschaft Textil und Bekleidung in der IG Metall auf. Im Jahre 2001 schließlich wurden die vier DGB-Einzelgewerkschaften (Deutsche Postgewerkschaft, Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen, IG Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst sowie die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr ) unter Einbeziehung der Deutschen Angestelltengewerkschaft in der neu gegründeten Gewerkschaft ver.di zusammengeschlossen.

 

 

2. Kollektivgüterangebot

 

Es gibt zwar eine Reihe empirischer Untersuchungen über die möglichen Bestimmungsgründe dieses Wandels im gewerkschaftlichen Organisationsgrad, aber nur sehr wenige Versuche, diesen Wandel aus einer systematischen Theorie abzuleiten. Zu den empirischen Arbeiten siehe z. B. den Sammelbeitrag von Claus Schnabel, Joachim Wagner im Internet: ‚Gewerkschaftsmitgliedschaft in Deutschland: Strukturen, Determinanten und Tendenzen’.

 

Ein erster Beitrag von Jelle Visser verdeutlicht, dass der Rückgang der gewerkschaftlichen Mitgliederstärke in Deutschland vor allem auf einige strategische Fehler der deutschen Gewerkschaften zurückzuführen sei. Claus Schnabel und Joachim Wagner empfehlen u.a. eine stärkere Präsenz der Gewerkschaften im Betrieb. Ihre ökonometrische Analyse deutet darauf hin, dass Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur eine wesentlich geringere Rolle beim Rückgang des Organisationsgrades gespielt haben als oftmals vermutet werde.

 

Hendrick Biebeler und Hagen Lesch identifizieren als signifikante Einflussfaktoren einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft u.a. die Betriebsgröße sowie wirtschaftspolitische Einstellungen der Beschäftigten. Laszlo Goerke und Markus Pannenberg weisen in einem vierten Beitrag darauf hin, dass der Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Westdeutschland und der fallende Anteil gewerkschaftlich organisierter Betriebsräte eng miteinander verknüpft sein dürften.

 

In einem letzten Artikel äußert Anke Hassel die Vermutung, dass die institutionelle Sicherheit und die geringe Konkurrenz, welche die traditionellen Gewerkschaften in Deutschland genießen, mit zu ihrem Niedergang beigetragen haben könnten.

 

Das von Mancur Olson abgeleitete Modell zählt zu den ganz wenigen theoretischen Versuchen zur Erklärung des Wandels im Organisationsgrad eines Verbandes. Wir wollen uns deshalb in einem ersten Schritt dieser Theorie zuwenden.

 

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Definition eines Kollektivgutes. Immer dann, wenn ein potentieller Nachfrager nicht vom Konsum eines Gutes ausgeschlossen werden kann, auch dann nicht, wenn er nicht bereit ist, sich an den Kosten der Erstellung dieses Gutes zu beteiligen, wird von einem Kollektivgut gesprochen. Im Gegensatz hierzu liegt immer dann ein Individualgut vor, wenn nur derjenige Nachfrager ein Gut erwerben und konsumieren kann, der bereit ist, den Preis für dieses Gut zu entrichten.

 

Es gilt also das Prinzip der Nichtausschließbarkeit. Das Paradebeispiel für ein so definiertes Kollektivgutes ist eine Straßenlaterne. Sie leuchtet für jeden, der in dieser Straße wohnt, unabhängig davon, ob er bereit ist, sich an den Kosten der Erstellung und der Benutzung dieser Laterne zu beteiligen. Es wird hier natürlich stillschweigend unter­stellt, dass es keine Möglichkeit gibt, dem Anrainer dieser Straße bei Nichtbezahlung der Laternenkosten das Wohnrecht zu entziehen.

 

Olson unterscheidet sich mit seiner Definition des Kollektivgutes von einer anderen Definition, die z. B. von Paul A. Samuelson gewählt wurde. Für Samuelson gilt das Prinzip der Nichtrivalität. Bei Individualgütern geht der Anstieg im Konsum des einen Nachfragenden in der Regel auf Kosten eines andern Nachfragenden. Ein Individualgut kann nur einmal nachgefragt und konsumiert werden; wenn ein Individuum von einer bestimmten Gütermenge eine Einheit mehr beansprucht, so muss der Konsum aller anderen Individuen um diese Einheit reduziert werden. Bei Kollektivgütern besteht keine Rivalität, der Mehrkonsum des einen verringert nicht die Konsummöglichkeiten der anderen.

 

Ein Beispiel für ein Kollektivgut im Sinne von Samuelson ist eine Theateraufführung in einem nicht überfüllten Theatersaal. Der Umstand, dass das Theaterstück von einem Individuum zusätzlich besucht wird, schränkt in einem nicht vollbesetzten Theatersaal den Konsum der anderen im Allgemeinen nicht ein.

 

Wenn wir zur Definition des Kollektivgutes mit Olson das Prinzip der Nichtausschließbarkeit unterstellen, können wir nachweisen, dass auf freien Märkten von diesem Gut weniger produziert wird, als es optimal wäre. Machen wir uns diese Beziehungen anhand eines Diagramms klar:

 

 

Beschreibung: org1

 

Wir tragen auf der Abszisse die Menge des Kollektivgutes, auf der Ordinate den Preis ab, den die Individuen für dieses Gut zu zahlen bereit sind. Die rot eingezeichnete Kurve gibt an, welche Grenzkosten bei alternativen Güterangeboten den Anbietern entstehen. Sie hat eine positive Neigung, da das Gesetz von den ansteigenden Grenzkosten unterstellt wird.

 

Die grün eingezeichnete Kurve gibt den Verlauf des Grenzertrages an, der bei alternativen Angebotsmengen für die gesamte Volkswirtschaft entsteht. Da es sich um ein Kollektivgut handelt, ist der gesamte Grenzertrag immer größer als der Grenzertrag, der von denjenigen erzielt wird, welche für dieses Gut einen Preis entrichten. Da wir das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag unterstellen, ist die gesamtwirtschaftliche Grenzertragskurve negativ geneigt.

 

Die blau eingezeichnete Kurve gibt hingegen an, welchen Grenzertrag diejenigen erzielen, welche dieses Gut durch Zahlung des Güterpreises erwerben. Nennen wir diese Kurve die privatwirtschaftliche Grenzertragskurve.

 

Notwendigerweise ist bei einem Kollektivgut der gesamtwirtschaftliche Ertrag immer größer als der privatwirtschaftliche Ertrag, da bei einem Kollektivgut immer ein Teil des gesamtwirtschaftlichen Grenzertrages Personen zufällt, die nicht bereit sind, sich an den Kosten der Erstellung dieses Gutes zu beteiligen, trotzdem aber nicht vom Konsum dieses Gutes ausgeschlossen werden können. Es gibt immer beim Angebot von Kollektivgütern Trittbrettfahrer und je größer die Zahl der Trittbrettfahrer ist, umso größer ist auch der Abstand beider Ertragskurven.

 

Betrachten wir nun den Fall der Produktion eines Individualgutes, bei dem annahmegemäß gesamtwirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Grenzertrag zusammenfallen. Unterstellen wir einen Wettbewerbsmarkt, so wird das Gleichgewicht des Marktes der Menge x0 entsprechen, also dem Schnittpunkt der Nachfragekurve mit der Angebotskurve. Denn in diesem Punkt erreichen die Marktpartner ihr Nutzenmaximum. Die Anbieter maximieren ihren Gewinn ex definitione dann, wenn der Grenzerlös, der hier dem Güterpreis entspricht, mit den Grenzkosten zusammenfällt; die Nachfrage erreichen ihr Nutzenmaximum dann, wenn der Preis dem Grenznutzen entspricht.

 

Da in diesem Falle der privatwirtschaftliche mit dem gesamtwirtschaftlichen Grenzertrag zusammenfällt, entspricht der Gleichgewichtspunkt auch dem Schnittpunkt der Angebotskurve mit der gesamtwirtschaftlichen Grenzertragskurve. Dieser Schnittpunkt markiert jedoch das gesamtwirtschaftliche Optimum.

 

Ex definitione ist nämlich in diesem Schnittpunkt der Grenznutzen der Gesellschaft gerade gleich hoch wie die Grenzkosten. Wenn wir nun die Kosten der Produktion dieses Gutes im Sinne von Opportunitätskosten definieren, so messen die Grenzkosten gerade den entgangenen Nutzen, der dadurch entsteht, dass man sich für die Produktion dieses Gutes und nicht eines Gutes zweitbester Wahl entschieden hat. Mit anderen Worten: Im Gleichgewichtspunkt entsprechen sich Nutzenzuwachs und Nutzenentgang. Wollte man die Gütermenge erhöhen oder auch verringern, wäre aufgrund der unterstellten Neigung beider Kurven der Nutzenzuwachs stets kleiner als der Nutzenentgang, der Gleichgewichtspunkt stellt also den optimal zu erreichenden Zustand dar.

 

Wenn wir jedoch die Produktion von Kollektivgütern betrachten, ist die auf einem freien Markt erzielbare Gleichgewichtsmenge geringer als die Menge, bei der ein Optimum erzielt wird. Die Gleichgewichtsmenge wird durch den Schnittpunkt der Angebotskurve mit der privatwirtschaftlichen Grenzertragskurve bestimmt, dieser liegt jedoch bei einer geringeren Menge, als der Schnittpunkt der Angebotskurve mit der gesamtwirtschaftlichen Grenzertragskurve. Die Gleichgewichtsmenge x0 ist deshalb auch suboptimal. Auf freien Märkten wird von Kollektivgütern zu wenig angeboten.

 

Übertragen auf die Erstellung von Verbandsleistungen, bedeutet dies also, dass Verbandsleistungen – also auch die Leistungen der Gewerkschaften gegenüber ihren Mitgliedern – in zu geringem Maße angeboten werden, zumindest dann, wenn der Beitritt zum Verband (zur Gewerkschaft) freiwillig erfolgt. Die Leistungen, welche die Gewerkschaften ihren Mitgliedern traditionell anbieten, bestehen in Kollektivleistungen, so etwa in einem kollektiv für alle Gewerkschaftsmitglieder geltenden Tarifvertrag.

 

Wovon hängt es nun ab, wie groß die Differenz zwischen privatwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Grenzerträgen ist? Olson macht in diesem Zusammenhange vor allem auf die Größe einer Gruppe aufmerksam. Je kleiner eine Gruppe ist, umso leichter ist es, sich in einem Interessenverband zu organisieren, die Kosten der Verbandsbildung sind gering. Je größer jedoch eine Gruppe ist, umso schwieriger gestalten sich die Versuche, diese Gruppe in einem Interessenverband zusammen zu schließen. Mehrere Gründe sind hierfür verantwortlich.

 

Als erstes gilt es festzustellen, dass ab einer bestimmten Gruppengröße die Interessen dieser Gruppe nach außen nur vertreten werden können, wenn ein Verbandsapparat eingerichtet wird, der die notwendigen Arbeiten erledigt; dies ist mit Kosten verbunden. Darüber hinaus wird es aber auch mit zunehmender Gruppengröße schwieriger, zu einer einheitlichen Meinung zu gelangen. Mit der Gruppengröße steigt auch die Gefahr, dass die Interessen der einzelnen Mitglieder differieren, es muss ein schwieriger Willensbildungsprozess in Gang gesetzt werden und sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um eine einheitliche Meinung zu erlangen.

 

Je größer eine Gruppe ist, umso geringer ist der Anreiz, dem Verband beizutreten und aktiv mitzuwirken. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelnes Gruppenmitglied durch seinen Beitritt oder durch seine Beteiligung an den Abstimmungen einen effektiven Einfluss auf die Verbandsarbeit erlangen kann, wird immer geringer und geht auf null zu. Damit entfällt jedoch auch der Anreiz, dem Verband beizutreten und sich aktiv zu beteiligen, da ja Beitritt und Verbandsaktivität stets mit persönlichen Kosten verbunden sind.

 

Je weniger Gruppenmitglieder jedoch dem Interessenverband beitreten, umso größer fällt die Differenz zwischen privatwirtschaftlichen und gruppenbezogenen Grenzerträgen aus, da es immer mehr Trittbrettfahrer gibt.

 

Fragen wir uns, was denn nun getan werden müsste, um zu erreichen, dass die Leistungen der Gewerkschaften einen optimalen Umfang erreichen? Da ein Teil der Leistungen einen externen Ertrag darstellen, müssten diese Erträge internalisiert werden. Olson schlug vor, die Gewerkschaften sollten vermehrt dazu übergehen, Individualgüter an­stelle von Kollektivgütern anzubieten.

 

In der Tat hatten die Gewerkschaften in ihrer Anfangsphase im 19. Jahrhundert nur vereinzelt Kollektivverträge mit den Arbeitgebern abgeschlossen; die Leistungen der Gewerkschaft gegenüber ihren Mitgliedern bestanden in stärkerem Maße in Individualleistungen wie etwa Unterstützung im Falle der Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Erst das oben bereits erwähnte Stinnes-Legyen-Abkommen vom 15. November 1918 führte zu periodischen Tarifverhandlungen; gleichzeitig führte der Umstand, dass das Netz der Sozialversicherung immer mehr ausgebaut wurde, dazu, dass zusätzliche individuelle Leistungen von Seiten der Gewerkschaft in den Hintergrund traten.

 

Der Vorschlag Olsons zielt also darauf ab, dass die Gewerkschaften ihren Mitgliedern vermehrt Individualleistungen anbieten. So könnten z. B. die Gewerkschaften ihren Mitgliedern einen Rechtsschutz gewähren, in dem sie ihnen bei Streitigkeiten mit den Arbeitgebern beratend zur Seite stehen, Rechtsanwälte stellen oder vermitteln und schließlich die Kosten eines Versicherungsschutzes übernehmen.

 

Die Gewerkschaften selbst sind dafür eingetreten, das oben geschilderte Dilemma der Kollektivgutproblematik dadurch zu lösen, dass den nicht organisierten Arbeitnehmern ein Solidarbeitrag abverlangt wird, da die Aktivitäten der Gewerkschaften auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern zugute kämen. Kritisch gegen diese Vorschläge muss allerdings eingewandt werden, dass der negativen Koalitionsfreiheit, also dem Recht jedes Arbeitnehmers, selbst darüber zu bestimmen, ob er einer Gewerkschaft beitritt oder nicht, also einer Gewerkschaft auch fern zu bleiben, eine entscheidende ordnungspolitische Funktion zukommt.

 

Nur aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit ist sichergestellt, dass die Verbandsfunktionäre auch ein Interesse daran haben, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Im Allgemeinen wird diese Funktion in politischen Organisationen durch den Wettbewerb verschiedener Parteien oder Verbände um die Mitgliedschaft erfüllt. Sofern die Gewerkschaften wie in der BRD als Einheitsgewerkschaft organisiert sind und die einzelnen Arbeitnehmer bei Unzufriedenheit mit der Arbeit ihrer Gewerkschaft nicht die Möglichkeit haben, zu einer konkurrierenden Gewerkschaft überzuwechseln, wird diese Funktion nicht mehr erfüllt; in diesem Falle trägt nur noch die negative Koalitionsfreiheit dazu bei, die Interessen der Mitglieder und Verbandsfunktionäre mit einander zu verbinden.

 

Nun wird in der Literatur oftmals zwischen reinen Kollektivgütern und sogenannten Clubgütern unterschieden. Die Clubgüter kommen zwar auch allen Mitgliedern eines Clubs zugute, haben also in diesem Sinne die Eigenschaft eines Kollektivgutes. In den Genuss eines Clubgutes gelangen jedoch nur Clubmitglieder; diese haben sich durch Beiträge an den Kosten des Clubs zu beteiligen und wenn sie nicht bereit sind, ihre Beiträge regelmäßig zu entrichten, können sie aus dem Club ausgeschlossen werden.

 

Hierin liegt auch der Unterschied zu reinen Kollektivgütern. Natürlich müssen auch diese durch die eine spezielle Art von Beiträgen, den Steuern finanziert werden, auch der Staat kann zwar gegen Steuersünder vorgehen, aber in einem Rechtsstaat können Bürger zum Verlassen einer Staatsgemeinschaft nicht gezwungen werden.

 

Betrachten wir die Gewerkschaften, so lassen sich ihre kollektiven, allen Mitgliedern zufließenden Dienstleistungen eher als Clubgüter bezeichnen. Eine Gewerkschaft finanziert ihre Aktivitäten vorwiegend durch Mitgliedsbeiträge. Somit scheint es, dass nur Mitglieder der Gewerkschaft in den Genuss der im Tarifvertrag vereinbarten Lohnerhöhungen und Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen gelangen, es scheint somit auch keine Trittbrettfahrer zu geben und damit auch keine Differenz zwischen den einzelwirtschaftlichen und gruppenbezogenen Grenzerträgen.

 

Aber diese Feststellung gilt nur im juristischen Sinne. In der Tat erwächst den Unternehmungen aus den Tarifverträgen nur die Verpflichtung, den Arbeitnehmern den Tariflohn zu gewähren, welche der Gewerkschaft angehören, die den Tarifvertrag unterzeichnet hat. Nichtorganisierte Arbeitnehmer haben also unter normalen Bedingungen keinen Rechtsanspruch auf Auszahlung der tariflich vereinbarten Löhne und Arbeitsbedingungen.

 

Trotzdem lässt sich feststellen, dass die Unternehmungen im Allgemeinen die vereinbarten Tariflohnerhöhungen auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern zugute kommen lassen. Sie tun dies natürlich nicht aus Nächstenliebe, sondern aus einem Erwerbskalkül heraus. Werden die Tariflohnsteigerungen den nichtorganisierten Arbeitnehmern vorenthalten, haben diese einen starken Anreiz, der Gewerkschaft beizutreten. Damit würde der Organisationsgrad der Gewerkschaften erhöht, die Verhandlungsposition der Arbeitgeber würde dadurch geschwächt. Also kann es durchaus im Interesse einer Unternehmung liegen, auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern den Tariflohn zu zahlen, obwohl sie hierzu rechtlich gesehen nicht verpflichtet sind.

 

Auch nichtorganisierte Arbeitnehmer kommen also im Allgemeinen in den Genuss der gewerkschaftlichen Aktivitäten, obwohl sie sich nicht an den Kosten der gewerkschaftlichen Arbeiten beteiligen. Insofern gibt es realiter sehr wohl Trittbrettfahrer und damit auch eine Differenz zwischen einzel- und gruppenwirtschaftlichen Grenzerträgen; diese Differenz trägt jedoch entscheidend dazu bei, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften geringer ausfällt, als dann, wenn die Tariflöhne nur den Gewerkschaftsmitgliedern gewährt würden.

 

Nun ist es nicht nur die freiwillige Bereitschaft der Arbeitgeber, die tariflichen Lohnsteigerungen allen Beschäftigten zukommen zu lassen, die dazu führt, dass die nichtorganisierten Arbeitnehmer ohne Gegenleistung begünstigt werden. Das geltende Arbeitsrecht sieht zwei Ausnahmen von der bestehenden rechtlichen Regelung vor, die bewirken, dass die Tariflohnsteigerungen allen beschäftigten Arbeitnehmern gewährt werden müssen.

 

Auf der einen Seite können Tarifverträge von den Landesarbeitsministern oder vom Bundesarbeitsminister für allgemein gültig erklärt werden und zwar auf Antrag eines der Tarifpartner. Auf der anderen Seite sieht das Entsendegesetz im Bausektor (das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen vom 26. Februar 1996) zwingend vor, dass die im Tarifvertrag vereinbarten Lohnsteigerungen allen Beschäftigten des Bausektors gewährt werden müssen. In der Zwischenzeit finden ähnliche Regelungen in einer Reihe weiterer Wirtschaftszweige statt.

 

Gewerkschaften und SPD sind darüber hinaus seit längerer Zeit darum bemüht, dass ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird, der wiederum allen Beschäftigten der gesamten Volkswirtschaft zusteht. Da die CDU gegenüber allgemeinen Mindestlohnforderungen skeptisch gegenübersteht, sind Bemühungen im Gange, die Gültigkeit des Entsendegesetzes auch auf weitere Branchen auszuweiten.

 

Mit der allgemeinen Problematik eines Mindestlohnes und der Ausweitung des Entsendegesetzes habe ich mich in einem anderen Artikel bereits ausführlich auseinandergesetzt. An dieser Stelle möchte ich mich deshalb nur auf die Frage beschränken, wie sich diese gesetzlichen Maßnahmen auf den Organisationsgrad der Gewerkschaften auswirken. Zumindest bei allen Versuchen, den Tariflohn per Gesetz auch den Nichtorganisierten Arbeitnehmern zugute kommen zu lassen, wird das Interesse eines Arbeitnehmers der Gewerkschaft beizutreten, vermindert.

 

Bei einem echten gesetzlichen Mindestlohn ist dieser negative Anreiz geringer, da ja annahmegemäß die organisierten Arbeitnehmer einen rechtlichen Anspruch auf Lohnsteigerungen erhalten, die im allgemeinen über den gesetzlich garantierten Mindestlohn liegen. Insofern lohnt es sich für einen Arbeitnehmer nach wie vor, der Gewerkschaft beizutreten.

 

Auch dann, wenn die Unternehmer die Tariflohnsteigerungen allen Beschäftigten gewähren, gibt es allerdings eine Situation, bei der sich der organisierte Arbeitnehmer besser stellt als die nichtorganisierten und bei der deshalb der Arbeitnehmer einen Anreiz besitzt, der Gewerkschaft beizutreten. Diese Situation tritt ein, wenn ein Arbeitskampf ausbricht.

 

Rufen die Gewerkschaften einen Streik aus, so erhalten die streikenden Arbeitnehmer während de Dauer des Streiks keinen regulären Lohn. Gehören sie der Gewerkschaft an, so erhalten sie allerdings ein Streikgeld, das natürlich nur einen Teil ihres Lohneinkommens ausmacht. Nichtorganisierte Arbeitnehmer stellen sich nun schlechter, wenn sie sich am Streik beteiligen. Sie erhalten weder den Lohn noch ein Streikgeld.

 

Wovon hängt es nun ab, ob sich nichtorganisierte Arbeitnehmer am Streik beteiligen? Es gibt viele Arbeitnehmer, welche sich aus Solidarität zu den streikenden Kollegen ebenfalls am Streik beteiligen, auch wenn sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Es muss auch damit gerechnet werden, dass Arbeitnehmer, welche an und für sich auch während eines Streiks arbeiten wollen, von den Streikposten gehindert werden, das Betriebsgelände zu betreten. Auf jeden Fall haben sie zu befürchten, als Streikbrecher in Verruf zu kommen.

 

Schließlich ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass eine Unternehmung in Reaktion auf den Streikausbruch ihrerseits die Arbeitnehmer aussperrt, mit der Folge, dass auch die während des Streiks arbeitswilligen Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes keiner geregelten Arbeit nachkommen können und deshalb auch keinen Anspruch auf einen Lohn während dieser Zeit besitzen.

 

Während wir also davon ausgehen können, dass sich in normalen Zeiten, in denen kein Arbeitskampf stattfindet, ein Arbeitnehmer materiell nicht schlechter stellt, wenn er nicht gewerkschaftlich organisiert ist, ändert sich diese Situation, wenn es zum Arbeitskampf kommt. Denn nun stellen sich die nicht organisierten Arbeitnehmer in der Regel materiell schlechter als ihre organisierten Arbeitskollegen. Nun haben die Arbeitnehmer einen starken Anreiz, der Gewerkschaft beizutreten.

 

Empirisch lässt sich in der Tat feststellen, dass in Zeiten, in denen häufig und längere Zeit gestreikt wird oder zumindest ein Streik droht, Arbeitnehmer vermehrt der Gewerkschaft beitreten, sodass sich in diesen Zeiten der Organisationsgrad der Gewerkschaften erhöht; während in Zeiten, in denen längere Zeit kein Arbeitskampf stattfand, die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften wieder zurückgehen.

 

Dieser Zusammenhang hat zur Folge, dass die Gewerkschaften einen zusätzlichen Anreiz besitzen, immer wieder einen Streik auszurufen oder zumindest mit Streik zu drohen. Die Drohung mit einem Streik erfüllt natürlich in erster Linie die Funktion, die Arbeitnehmerposition in den Tarifverhandlungen zu verbessern und höhere Löhne zu erkämpfen.

 

Zusätzlich bewirkt jedoch der Streik auch einen höheren Organisationsgrad und kann auf diese Weise den langfristigen Erfolg der Gewerkschaften verbessern, da die Glaubwürdigkeit und die Erfolgaussichten der Gewerkschaften unter anderem auch von der Höhe des gewerkschaftlichen Organisationsgrades abhängt. Je höher der Organisationsgrad einer Gewerkschaft ist, um so größer ist auch ceteris paribus das Vermögen einer Gewerkschaft, und um so länger kann ein Streik ausgedehnt werden und um so größer kann der Anteil der bestreikten Betriebe ansteigen. Alle diese Faktoren tragen dazu bei, die Position der Arbeitnehmer in den Tarifbeziehungen zu stärken.

 

 

3. Globalisierung und Gewerkschaften

 

Bisweilen wird von der Vorstellung ausgegangen, dass Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur Einfluss auf den Organisationsgrad der Gewerkschaften genommen haben. Überprüfen wir diese Thesen. Als erstes sei der Frage nachgegangen, ob die in den letzten Jahrzehnten festzustellenden Globalisierungstendenzen Einfluss auf den Organisationsgrad der Gewerkschaften genommen haben.

 

Mit dem Begriff der Globalisierung werden vor allem zwei Merkmale verbunden. In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff Globalisierung oft in dem Sinne verstanden, dass die inländische Wirtschaft in immer stärkerem Maße von multinationalen Konzernen beherrscht werde, welche einen solchen Umfang und eine solche Machtfülle erlangt hätten, dass ihr Einfluss sogar über den der einzelnen Regierungen hinausginge.

 

Unter diesem Einfluss seien auch die Chancen verringert worden, dass die Gewerkschaften einen effektiven Einfluss auf die Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen behalten könnten. Versuchten die Gewerkschaften durch Androhung von Streiks Einfluss auf die Lohnhöhe zu nehmen, so könnten die multinationalen Konzerne damit drohen, die Produktion in andere Länder zu verlagern und damit einen Beschäftigungsrückgang auszulösen. Unter diesem Einfluss sähen sich die Gewerkschaften gezwungen, ihre Lohnforderungen zurückzunehmen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die inländische Arbeitslosigkeit ansteige. Eine geringere Attraktivität der Gewerkschaften vermindert jedoch das Interesse der Arbeitnehmer, der Gewerkschaft beizutreten.

 

Dies sind jedoch nicht die einzigen möglichen Auswirkungen einer Globalisierung. Eine Globalisierung besteht zunächst darin, dass die Behinderungen internationaler Transfers auf den Güter-, Kapital- und Dienstleistungsmärkten abgebaut werden. Dies führt nicht nur zu einer Reduzierung der Kosten und einer Ausrichtung der Produktion auf diejenigen Unternehmungen, welche bestimmte Produkte am effizientesten produzieren können, es verstärkt gleichzeitig den Wettbewerb und gibt damit Anreize, nach neuen günstigeren Produktionstechniken auszuschauen und die Preise auf die Kosten zu senken.

 

Der Zusammenschluss von Unternehmungen dient zunächst einfach dazu, den inländischen Unternehmungen die Möglichkeit zu eröffnen, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Natürlich sind die Unternehmungen immer auch bemüht, neue Monopolstellungen aufzubauen; um dies zu verhindern, bedarf es einer wirksamen Monopolkontrolle, welche bei Ausweitung des internationalen Handels auch eine über die nationalen Grenzen hinausgehende Überprüfung notwendig macht.

 

Werden diese monopolistischen Tendenzen wirksam unterbunden, tendieren auch die Arbeitsmärkte zu Lohnsätzen, die dem Wettbewerb entsprechen. Wenn man nun die Aufgabe der Gewerkschaften darin sieht, die Lohnsätze über das Niveau anzuheben, das bei vollständigem Wettbewerb erreicht wird, dann hat es den Anschein, als ob die Gewerkschaften bei einer Globalisierung ihre Funktion verlieren. Bei starkem internationalem Wettbewerb können längerfristig keine Löhne erkämpft werden, welche über der Grenzproduktivität liegen. Verlieren die Gewerkschaften ihre Funktionen, ist längerfristig wiederum auch ein Mitgliederschwund zu befürchten.

 

Allerdings liegt die eigentliche Aufgabe der Gewerkschaften auch nicht primär darin, im Sinne eines Cournot’schen Monopolisten die Löhne anzuheben. Primäre Aufgabe der Gewerkschaften kann vielmehr darin gesehen werden, zu verhindern, dass die Arbeitgeber auf den Arbeitsmärkten eine Monopolstellung erlangen und damit den Lohnsatz unter das Lohnniveau bei vollständigem Wettbewerb drücken. In diesem Sinne fallen den Gewerkschaften auch in einer globalisierten Weltwirtschaft echte Funktionen zu.

 

 

4. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft

 

Wir wollen nun überprüfen, ob der Schwund in den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften etwas zu tun hat mit dem Übergang von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Seit etwa der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stieg der Anteil des tertiären Sektors (der Dienstleistungssektoren) bis heute – gemessen sowohl an der Zahl der Erwerbstätigen wie auch der Bruttowertschöpfung – von circa 51% auf über 70%.

 

Aus einer Vielzahl von Gründen neigen jedoch Arbeitnehmer in Industriebetrieben eher dazu, sich den Gewerkschaften anzuschließen als Arbeitnehmer aus dem Bereich der Dienstleistungssektoren. Als erstes gilt es festzuhalten, dass im Dienstleistungssektor ein höherer Prozentsatz an Angestellten beschäftigt wird als im Industriesektor. Arbeiter weisen jedoch schon immer einen höheren Anteil an in Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer auf als Angestellte.

 

So betrug in den alten Bundesländern der Anteil der in Gewerkschaften organisierten Arbeiter im Jahre 1980 36,3% und im Jahre 2002 28%. Die entsprechenden Prozentsätze bei den Angestellten beliefen sich auf 26,3% bzw. 24,2%. Die Gruppe der Beamten fällt allerdings aus diesem Schema heraus. Sie weisen mit über 40% Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer einen überdurchschnittlich hohen Organisationsgrad auf.

 

Zweitens weisen die privaten Unternehmungen im Dienstleistungssektor im Durchschnitt eine bedeutend geringere Betriebsgröße auf als im Industriesektor. Bekanntlich lassen sich jedoch Arbeitnehmer in Großbetrieben besser organisieren als in Kleinbetrieben. In Kleinbetrieben ist der Kontakt zwischen Betriebsleitung und Arbeitnehmer ins­gesamt noch größer, der einzelne Arbeitnehmer kann sich bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz noch eher an die Vorgesetzten wenden, während in Großbetrieben der einzelne Arbeitnehmer einer betrieblichen, unpersönlichen Bürokratie gegenübersteht und größere Schwierigkeiten hat, Beschwerden unmittelbar an die Vorgesetzten zu richten.

 

 

In Großbetrieben ist deshalb das Bedürfnis nach Unterstützung durch mächtige Gewerkschaften sehr viel größer als in Kleinunternehmungen. Auch sind die Möglichkeiten der Gewerkschaften in Großbetrieben größer und effizienter, die Beschäftigten anzusprechen und für einen Gewerkschaftsbeitritt zu gewinnen. Schließlich ist die Organisation eines Arbeitskampfes in Großbetrieben sehr viel einfacher, als wenn die gleiche Zahl an Beschäftigten sich auf Betriebe verteilt, die auch räumlich voneinander getrennt sind.

 

Eine Dienstleistungsgesellschaft bringt es drittens mit sich, dass der Arbeitsplatz des einzelnen Beschäftigten nicht mehr unbedingt mit dem Standort des Betriebs zusammenfällt, z. B dadurch, dass der einzelne Arbeitnehmer Kunden aufzusuchen hat und deshalb sehr viel öfters unterwegs ist. Der Kontakt mit seinen unmittelbaren Arbeitskollegen geht zurück und damit auch das Bedürfnis, sich mit den andern zu solidarisieren und gewerkschaftlich zu organisieren.

 

 

5. Bildungsgesellschaft und Organisationsgrad

 

Eng zusammen mit der Tendenz zur Dienstleistungsgesellschaft ist die ebenfalls in den letzten Jahrzehnten festzustellende Tendenz zu einer Bildungsgesellschaft. So ist der Anteil der Arbeitnehmer ohne berufliche Ausbildung bzw. Hochschulabschluss in den alten Bundesländern von 27,2% im Jahre 1985 auf 20,4% im Jahre 2005 gesunken. Weiterhin ist in der gleichen Zeit in den alten Bundesländern der Anteil der Arbeitnehmer mit einem Hochschulabschluss von 6,4% auf 9,9% gestiegen.

 

Je höher nun der Ausbildungsgrad des einzelnen Arbeitnehmers ist, umso höher sind die Chancen, in der betrieblichen Hierarchie aufzusteigen. Ist der einzelne Arbeitnehmer stärker am beruflichen Aufstieg interessiert, so empfindet er den Kollegen eher als Konkurrenten und weniger als Mitstreiter, seine Interessen unterscheiden sich stärker von denen der anderen und die Bereitschaft, einer Gewerkschaft beizutreten, ist nun insgesamt geringer. Auch dürfte für diese Haltung ebenfalls maßgeblich sein, dass man sich mit den Vertretern der oberen Hierarchie gut stellen muss, um dadurch die Aufstiegschancen zu erhöhen. Man identifiziert sich nun leichter mit den Interessen der Arbeitgeber, da man hofft, sehr bald selbst zur Arbeitgebergruppe zu zählen.

 

Die höhere intellektuelle Ausbildung bringt es mit sich, dass man die im Beruf anstehenden Probleme differenzierter sieht und aus diesen Gründen weniger bereit ist, einer Gewerkschaft beizutreten, da sich eine Gewerkschaft – um erfolgreich zu sein – auf einige wenige Probleme konzentrieren muss und sich deshalb vorwiegend mit Forderungen befassen wird, die von der Mehrheit der Arbeitnehmer geteilt werden.

 

Gegen diesen Zusammenhang spricht allerdings die Tatsache, dass gerade Intellektuelle gegenüber linken Parolen besonders anfällig sind, obwohl diese Parolen zumeist sehr oberflächlich begründet werden. Da sich linke Positionen sicherlich nur kollektiv und damit auch nur innerhalb einer Gewerkschaft durchsetzen lassen, dürfte hier allerdings eine partielle Tendenz bestehen, dass der Organisationsgrad eher zunimmt.

 

 

6. Gewerkschaften und Eigentumsstruktur

 

Die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten hat nicht nur zu einer weltweiten Globalisierung, zu einer Tendenz zur Dienstleistungsgesellschaft und zur Bildungsgesellschaft geführt, auch in der Frage der Aufteilung und Streuung des Erwerbsvermögens lassen sich Veränderungen feststellen. Der Anteil der Arbeitnehmer, welche über Vermögen verfügen, steigt allmählich an. Vor allem die Investivlohnpolitik seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat dazu beigetragen, dass immer mehr Arbeitnehmer über ein Sparkonto verfügen.

 

Vielleicht ist heutzutage der Anteil der Arbeitnehmer, welche neben ihrem Lohneinkommen über nennenswerte Zinserträge verfügen, noch in absoluten Größen gering. Es ist aber fest damit zu rechnen, dass in dem Maße, in dem das Inlandsprodukt und mit ihm die Lohneinkommen steigen, immer mehr Arbeitnehmer auch einen Teil ihres Einkommens sparen und damit unter die Haushalte mit Vermögenserträgen fallen werden.

 

In dem Maße, in dem nun ein Arbeitnehmer neben dem Lohneinkommen auch über Zinserträge verfügt, verändert sich seine Interessenlage. Lohneinkommen und Zinserträge stehen in einem gewissen Interessenkonflikt zueinander. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Tarifparteien geht es immer um ein Problem der funktionellen Verteilung des gesamten Inlandsproduktes auf Arbeitseinkommen und auf Kapitaleinkommen. Je mehr es den Gewerkschaften gelingt, höhere Lohnsätze durchzusetzen, um so weniger verbleibt für die Kapitaleinkünfte.

 

Für einen vermögenslosen Arbeitnehmer ist die Interessenlage eindeutig: Jede Lohnsatzerhöhung, zumindest diejenige Lohnsteigerung, welche keine Beschäftigungsminderung auslöst, verbessert seine materielle Lage. Deshalb ist ein vermögensloser Arbeitnehmer auch daran interessiert, dass die Gewerkschaften erfolgreich sind und hierzu ist es unter anderem auch notwendig, dass möglichst viele Arbeitnehmer der Gewerkschaft beitreten.

 

Für einen Arbeitnehmer, welcher über Erwerbsvermögen verfügt, sieht die Interessenlage ganz anders aus. Gerade weil der Anstieg im Anteil der Lohneinkommen am Gesamteinkommen zu einer Reduzierung der Kapitaleinkünfte führt, muss ein vermögender Arbeitnehmer nun auch befürchten, dass ihm eine Lohnsatzsteigerung gar nicht mehr 100% zugute kommt, dass er das, was er mit der einen Hand als Lohneinkommen zusätzlich erhält, ihm wieder mit der anderen Hand in Form von geringeren Vermögenserträgen weg genommen wird.

 

Für den vermögenden Arbeitnehmer stellt sich nun der Verteilungskampf nicht mehr primär als ein Klassenkampf dar, da er ja nun beiden Seiten (Klassen) angehört, er gewinnt mehr Verständnis dafür, dass Lohn- und Zinssätze immer auch über eine optimale Allokation entscheiden.

 

Diese Zusammenhänge gelten vor allem dann, wenn Arbeitnehmer am Vermögen der Unternehmung beteiligt sind, in denen sie beschäftigt sind. Hier ist der Zusammenhang zwischen Zinsertrag und Lohnsteigerung für jeden Arbeitnehmer evident. Hier dürfte es für den einzelnen Arbeitnehmer wichtiger sein, dass nur solche Lohnsteigerungen durchgesetzt werden, welche den Arbeitsplatz erhalten.

 

Gerade weil sich die gewerkschaftliche Arbeit in der Regel auf Lohnerhöhungen der gesamten Branche bezieht, dürfte in dem Maße, in dem Arbeitnehmer am Betriebsvermögen beteiligt werden, auch die Bereitschaft, einer Gewerkschaft beizutreten, zurückgehen. Die Interessenlage der Beschäftigten in den einzelnen Unternehmungen ist sehr unterschiedlich und es kann für die Arbeitnehmer wichtiger werden, auf Betriebsebene zu entscheiden, ob Lohnsatzsteigerungen eher zu einer Wohlfahrtssteigerung beitragen als eine betriebliche Lösung mit Gewinnbeteiligung.

 

 

7. Größe der Einzelgewerkschaft

 

Wir wollen zum Abschluss die Frage untersuchen, ob auch gewerkschaftsinterne Faktoren wie vor allem die absolute Mitgliederstärke einer Gewerkschaft Einfluss auf den Organisationsgrad nehmen können.

 

Wie bereits eingangs festgestellt wurde, haben sich die Gewerkschaften in Reaktion auf den Mitgliederschwund, aber auch auf die allgemeinen Entwicklungstendenzen unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zusammengeschlossen, um auf diese Weise einen stärkeren Einfluss gegenüber den Arbeitgebern aber auch gegenüber der Gesellschaft zu gewinnen. Die Zahl der im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften betrug bei der Gründung des DGB im Jahre 1949 noch 16, während heute – aufgrund von Zusammenschlüssen – gerade noch 8 Gewerkschaften bestehen. Die Zahl der Gewerkschaften hat sich also halbiert.

 

Offensichtlich gingen die Gewerkschaftstheoretiker von der Vorstellung aus, dass durch diese Fusionen mit der dadurch zunehmenden Größe der Einzelgewerkschaften auch das gewerkschaftliche Durchsetzungsvermögen ansteigt. Dass die Mitgliederstärke aufgrund der Zusammenschlüsse ansteigt, ist trivial, weil im Zeitpunkt der Fusion die neugebildete Gewerkschaft über die Summe der Mitglieder der bisherigen aufgelösten Gewerkschaften verfügt. Längerfristig muss allerdings geprüft werden, ob nicht gerade der Zusammenschluss dazu führt, dass die Gewerkschaften weniger attraktiv werden und dass der bisher zu beobachtende Mitgliederschwund sogar noch verstärkt wird. Wir werden weiter unten auf diese Frage zurückkommen.

 

Wir wollen zunächst noch von der Annahme ausgehen, dass die Mitgliederstärke der Einzelgewerkschaft ansteigt, dass also aufgrund der Fusion kein nennenswerter Mitgliederschwund eintritt. Ein Zuwachs an Macht kann nun damit verbunden sein, dass mit der Mitgliederstärke die Beitragseinnahmen steigen und die Gewerkschaft dementsprechend die Streikdauer oder die Streikintensität ausweiten kann und damit bei den Arbeitgebern bessere Verhandlungsergebnisse erzielt. Die Streikintensität messen wir hierbei am Anteil der bestreikten Betriebe an der Gesamtzahl der Betriebe eines Tarifbezirkes. Aufgrund dieses Zuwachses an Macht könnten nun die Gewerkschaften attraktiver werden und der Mitgliederschwund könnte auf diese Weise gestoppt werden.

 

Dieser Zuwachs an Macht wäre jedoch nur dann gegeben, wenn die Zahl der notwendig gewordenen Streiks und der Umfang der Streikdauer und der Streikintensität aufgrund des Zusammenschlusses nicht ebenfalls ansteigt, also konstant bleibt. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn allein das größere Streikvermögen, über das die Gewerkschaften nun verfügen, ausreichen würde, die Arbeitgeber zu größeren Zugeständnissen zu bewegen, wenn also mit anderen Worten die Drohung mit dem Streik ausreichen würde und ein Streik gar nicht ausgeführt werden müsste, um die Arbeitgeber zum Nachgeben zu bewegen.

 

Dies mag im Einzelfall zutreffen. Im Allgemeinen sind jedoch die Zusammenhänge zwischen Mitgliederstärke und Organisationsgrad etwas komplizierter. Wir müssen nämlich unterscheiden, ob der Zusammenschluss zwischen Gewerkschaften stattgefunden hat, die bisher in Konkurrenz zueinander gestanden haben, die also in den gleichen Wirtschaftszweigen und Wirtschaftsräumen agiert haben.

 

Hier führt zwar die Fusion zu keinem Zuwachs am gesamten gewerkschaftlichen Organisationsgrad, aber sehr wohl zur Vergrößerung des Organisationsgrades der einzelnen Gewerkschaft. Die Gewerkschaften können in diesem Falle glaubhaft versichern, dass der größte Teil der betroffenen Arbeitnehmer hinter ihren Forderungen steht; und die Wahrscheinlichkeit, dass die Drohungen mit Streik wahr gemacht werden können, sind natürlich bei einem höheren Organisationsgrad auch größer.

 

Nun handelte es sich bei den meisten in der Vergangenheit durchgeführten Fusionen eben gerade nicht um konkurrierende Verbände; die Entstehung der Verdi-Gewerkschaft bildet hiervon eine gewisse Ausnahme, als die DAG in der Tat im Hinblick auf die beim Staat beschäftigten Angestellten zur ÖTV in Konkurrenz stand.

 

Bei allen anderen Fusionen handelte es sich jedoch um Gewerkschaften, die in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen tätig waren. Hier erhöht sich der Organisationsgrad der neu entstandenen Gewerkschaft zunächst nicht, da ja die Gesamtzahl der Beschäftigten in den relevanten Tarifbezirken auch dementsprechend angestiegen ist.

 

Auch ist die Machtfülle der Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgebern keinesfalls automatisch durch den Zusammenschluss angestiegen. Die Gewerkschaft verfügt zwar nun über ein höheres Streikvermögen und könnte deshalb die Streikdauer erhöhen, wenn die Streikintensität relativ konstant bliebe.

 

Die Haltung der Arbeitgeber wird aber nicht primär davon abhängig sein, wie viel Betriebe bestreikt und wie viel Arbeitnehmer sich tatsächlich am Streik beteiligen, sondern davon, wie groß der Anteil der bestreikten Betriebe oder der am Streik beteiligten Arbeitnehmer ist. Die relative Zahl der am Streik beteiligten Arbeitnehmer ist jedoch in diesem Falle aufgrund der Fusion keinesfalls größer geworden, da ja auch die Zahl der vertretenen Beschäftigten mit dem Zusammenschluss angestiegen ist.

 

Da die Fusion zwischen unterschiedlichen Wirtschaftszweigen stattgefunden hat, steht der Gewerkschaft in der einzelnen konkreten Tarifauseinandersetzung im Durchschnitt auch kein höheres Streikvermögen zur Verfügung, man kann lediglich davon sprechen, dass sich die Arbeitnehmer in den einzelnen Wirtschaftszweigen gegenseitig leichter helfen können, wenn sie für ihren Bereich über zu wenig Streikvermögen verfügen. In dem Maße, in dem jedoch Streikvermögen, das aus dem benachbarten Tarifbezirk stammt, für andere Wirtschaftszweige eingesetzt wird, in dem Maße steht auch für den gebenden Tarifbereich weniger Streikvermögen zur Verfügung.

 

Und gerade in diesem Zusammenhang entsteht die Frage, ob der Zusammenschluss die Attraktivität der Gewerkschaft für die Mitglieder nicht sogar geschwächt hat. Jeder Tarifbezirk hat seine eigenen Probleme. Dies bedeutet, dass aufgrund der Fusion die Mitglieder feststellen müssen, dass sich ihre Gewerkschaft immer häufiger mit ihnen fremden Problemen befasst und die Mitgliedsbeiträge für fremde Interessen einsetzt. Auf jeden Fall wird der Willensbildungsprozess immer schwieriger, je größer die Gewerkschaft ist und je differenzierter die Interessen der einzelnen Mitglieder sind.

 

Damit sind wir jedoch wiederum beim Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt: Die Organisationsfähigkeit einer Interessengruppe sinkt mit der Größe der Gruppe, da die Transaktionskosten der Verbandsbildung und Verbandsführung mit der Gruppengröße ansteigen. Wir kommen somit zu dem Ergebnis: Es ist fraglich, ob eine Fusion mehrerer Gewerkschaft zu einer großen Gewerkschaft wirklich in der Lage ist, den empirisch festzustellenden langfristigen Mitgliederschwund zu stoppen.