Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind Forderungen erhoben worden, den Patentschutz für einige Jahre auszusetzen, um die Produktion und Entwicklung von Impfstoffen auszuweiten. Man hofft, dass auf diese Weise die Pandemie schneller besiegt werde. Zu den Befürwortern der von Südafrika und Indien gestarteten Initiative gehören mittlerweile mehr als 100 Länder und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO sprach sich für einen solchen Vorstoß aus. So hat beispielsweise die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai die Hoffnung geäußert, ein solcher Schritt würde helfen, mehr Impfstoffe zu mehr Menschen zu bringen.
Den Befürwortern zufolge könnte auf diese Weise die weltweite Impfstoff-Produktion angekurbelt werden, der Patentschutz verhindere eine weitere Produktion. Auch Unternehmungen könnten auf diese Weise die globale Impfstoff-Produktion übernehmen und die Gesamtproduktion entscheidend vergrößern.
Man sollte auch berücksichtigen, dass die benötigten Grundlagen für eine schnelle Entwicklung der Impfstoffe an staatlichgestützten Universitäten erbracht wurden. Es sei deshalb nicht zu rechtfertigen, dass private Unternehmen die Gewinne abschöpften und sich in einer weltweiten Notlage der moralischen Verpflichtung zu außergewöhnlichen Maßnahmen entziehen könnten.
Ferner sei zu bedenken, dass viele Staaten nicht zuletzt durch großzügige Investitionen und finanzielle Unterstützungen des Pharma- und Biotechsektors zu Beginn der Krise die schnelle Bereitstellung eines Impfstoffes überhaupt erst ermöglicht hätten. In einer Krise derart globalen Ausmaßes hätten die Gewinninteressen der Unternehmungen zurückzutreten.
Auch der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank-Ulrich Montgomery habe an die Pharmaunternehmen die Forderung gerichtet, staatlichen Maßnahmen zuvorzukommen und die Patente für Corona-Impfstoffe freizugeben. In Folge dieser Forderungen haben die Kurse der Pharmaindustrie bereits stark nachgegeben. Man hat daraus den Schluss gezogen, dass die Anleger ein Aussetzen des Patentschutzes für wahrscheinlich halten.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über das Aussetzen des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe sind zwei Fragen zu unterscheiden. Erstens: Kann damit gerechnet werden, dass ein solches Aussetzen des Patentschutzes tatsächlich dazu führt, dass die Corona-Pandemie schneller überwunden wird und mit welchen langfristigen Folgen müsste bei einem solchen Schritt gerechnet werden? Zweitens: Wieweit ist der Patentschutz überhaupt in der Lage, eine sachgerechte Lösung herbeizuführen?
Zunächst einige wenige Worte zu der erstgenannten Frage nach dem Erfolg einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Eine vorübergehende Aufhebung des Patentschutzes wird vermutlich nicht dazu führen, dass die Produktion des Impfstoffes bedeutend schneller erfolgen wird. Wenn der Patentschutz ausgesetzt wird, geht für die Unternehmungen ein wichtiger Anreiz verloren, die in die Milliarden gehenden Investitionen aufzubringen, die für die Entwicklung eines Impfstoffs erforderlich sind. Es ist zu befürchten, dass in Zukunft von den Unternehmungen sehr viel weniger als bisher für die Weiterentwicklung der Technologie im Gesundheitswesen investiert wird und dass deshalb der Fortschritt im Gesundheitswesen verlangsamt wird.
Weiterhin ist zu befürchten, dass bei einer Freigabe des Patentschutzes vor allem China und Russland profitieren und damit ihre ohnehin bereits bestehende Vormachtstellung ausbauen und damit weiteren Einfluss auf die Europäische Union gewinnen können.
Der eigentliche Grund für den verzögerten Verlauf der Impfungen liegt in Wirklichkeit nicht an einem Mangel an globalen Produktions- und Laborkapazitäten, sondern an der rechtzeitigen Bereitstellung der benötigten Rohstoffe und Zwischenprodukte sowie der Transportkapazitäten. Auch haben teilweise Handelsbeschränkungen und Exportkontrollen zwischen den Staaten zu Engpässen bei der Auslieferung des Impfstoffes geführt. So haben beispielsweise die USA ein Exportverbot für Corona-Impfstoffe verhängt. Die pharmazeutischen Unternehmungen, welche den Impfstoff gegen Corona entwickelt haben, verfügen viel beser als andere Unternehmungen über das notwendige Know-How, um die Produktion von Impfstoffen schnellstmöglich auszubauen.
Wenden wir uns nun der zweiten Frage zu, inwieweit die Patentschutzgesetzgebung allgemein den technischen Fortschritt beeinflusst. Ich habe diese Frage bereits in meinem Artikel von 2017 ‚Einige Gedanken zur Patentgesetzgebung‘ (siehe Archiv) veröffentlicht. Ich kam in diesem Artikel zu fogenden Schlussfolgerungen:
1. Im Vergleich mit der Schutzzollpolitik und der staatlichen Subventionierung innovativer Bemühungen stellt der gesetzliche Patentschutz das effizientere Verfahren dar, um neue Terchnologien zu entwickeln. Während sowohl eine Schutzzollpolitik als auch eine Subventionierungspolitik die Ergebnisse der Außenhandelstheorie außer Acht lassen und auf lange Sicht die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt beeinträchtigen, geht die Forderung nach einem gesetzlichen Patentschutz von der richtigen Erkenntnis aus, dass eine effiziente Produktion auf Dauer nur dann möglich ist, wenn die Unternehmungen für alle Kosten aufkommen, welche sie aufgrund der Produktion von Gütern verursachen und wenn die Konsumenten im Kaufpreis alle einer Volkswirtschaft mit der Produktion eines Gutes entstandenen Kosten zu tragen haben.
2. Allerdings weisen die derzeitig geltenden Patentverfahren sowie die gerichtliche Verfolgung von Verletzungen des Patentschutzes auf gravierende Mängel hin. So überwiegt auf jeden Fall per Saldo der volkswirtschaftliche Schaden, wenn es den Unternehmungen erlaubt wird, Patente aufzukaufen, ohne dass sie beabsichtigen, diese auch zu verwerten. Es muss möglich sein, dass dann, wenn Unternehmungen Patente in der Schublade verschwinden lassen, ihnen nach Ablauf einer angemessenen Frist das Patent auch wiederum entzogen werden kann.
3. Es ist zwar heute möglich, aber nicht die Regel, dass auf der Grundlage von patentierten Verfahren Lizenzen an die Unternehmungen vergeben werden, welche eine Produktion auf der Grundlage dieser Erneuerungen planen. Da diese Lizenzen verkauft werden, kann nach wie vor ein Wettbewerb zwischen den Unternehmungen erhalten bleiben und es wird trotzdem Sorge dafür getragen, dass jede Unternehmung, welche die Produktion auf der Grundlage dieser neuen Verfahren aufnimmt, genauso wie auch die anderen Konkurrenten an den Entwicklungskosten beteiligt wird.
Auf diese Weise verringern sich sogar die Kosten, welche die einzelne Unternehmung aufzubringen hat, erheblich, die Gefahr eines ruinösen Wettbewerbs ist weitgehend gebannt und der Wettbewerb zwischen mehreren Unternehmungen trägt dazu bei, dass die Produktivitätssteigerungen in Form von Preissenkungen an die Konsumenten weitergegeben werden.
4. Die derzeitige Praxis des Patentschutzes berücksichtigt fast ausschließlich nur die Schäden, die einzelnen Unternehmungen entstehen, wenn sie neue Verfahren entwickeln und wenn andere Unternehmungen diese Verfahren übernehmen, ohne sich jedoch an den Entwicklungskosten zu beteiligen. Da jedoch in jedem Falle ein Patentschutz in der derzeitigen Gestalt den Wettbewerb vorübergehend einschränkt und damit ein gesamtwirtschaftlicher Schaden in Kauf genommen wird, gilt es den Patentschutz so einzurichten, dass bei der Vergabe von Patenten und bei der gerichtlichen Überprüfung von Verletzungen des Patentschutzes immer auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen mitberücksichtigt werden und im Sinne einer Abwägung konkurrierender Rechtsgüter ein tragbarer Kompromiss zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Interessen gefunden wird.
5. Hierzu ist der Gesetzestext auf der einen Seite so zu formulieren, dass in jedem Falle auch die gesamtwirtschaftlichen Belange berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite sollten nur solche Gerichte über diese Streitfragen zu entscheiden haben, bei denen auch ein Staatsanwalt die Interessen der Allgemeinheit vertritt und bei denen die Richter auch die beruflichen Voraussetzungen für diese hochkomplexen Entscheidungen mitbringen.
6. Bei der Vergabe eines Patentes spielt die Frage, für welche Laufzeiten ein Patentschutz gewährt wird, eine entscheidende Frage. Dem Patentinhaber wird während der Dauer des Patentschutzes eine monopolistische Stellung eingeräumt, nur er allein kann während dieser Zeit das Patent verwerten. Weiterhin haben wir zu bedenken, dass die Rechtfertigung einer freiheitlichen Marktwirtschaft damit steht und fällt, dass die Unternehmungen in Konkurrenz zueinander stehen.
Die Konsumenten werden während der Laufzeit eines Patentes einmal dadurch in ihren Interessen verletzt, als die mit der Erneuerung verbundenen Kostensenkungen mangels Wettbewerb nicht an die Konsumenten in Form von Preissenkungen weitergegeben werden, zum andern aber auch deshalb, weil ein Monopolist die Möglichkeit hat, durch Verknappung den Preis künstlich in die Höhe zu treiben. Eine solche Verknappungsstrategie findet vor allem dann statt, wenn Patente aufgekauft, aber nicht verwertet werden, aus der Absicht heraus, auf diese Weise lediglich zu verhindern, dass potenzielle Konkurrenten diese Erneuerungen durchführen.
Dies bedeutet, dass es keinesfalls erwünscht sein kann, dass man möglichst lange Laufzeiten des Patentes vergibt, mit der Absicht sicherzustellen, dass der Patentinhaber auf jeden Fall - ohne Konkurrenz befürchten zu müssen - seine Entwicklungsvorhaben ungestört zu Ende führen kann. Von einem Patentschutz gehen also mit anderen Worten auf jeden Fall sowohl wohlfahrtssteigernde als auch wohlfahrtsmindernde Effekte aus. Die Festlegung der Laufzeit darf also auf keinen Fall allein an den Bedürfnissen des Patentinhabers gemessen werden. Es müssen stets die Interessen des Antragstellenden den Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt und mit ihnen abgewogen werden.
Die Länge der erforderlichen Laufzeit eines Patentes hängt nun in erster Linie von der Höhe der erwarteten Entwicklungskosten ab. Von der Idee des Patentschutzes her soll ja der Patentinhaber genau solange vor Konkurrenz geschützt werden, als noch nicht ausreichende Erträge aus der Erfindung erzielt werden konnten, um die Entwicklungskosten auszugleichen. Hierbei muss zwischen zwei Zeiträumen unterschieden werden.
Der erste Zeitraum beginnt mit dem Moment, in dem unter Laborbedingungen die Realisierbarkeit bestimmter Erfindungen getestet wird und endet mit dem Moment, in dem die Produktion neuer Produkte bzw. die Produktion auch bisher schon produzierter Waren mit neuen technischen Verfahren begonnen werden kann.
Befassen wir uns etwas ausführlicher mit der ersten Entwicklungsphase. Wir müssen uns hierbei darüber klar sein, dass Erforschungen wohl nie ab ovo beginnen, dass jede Forschung auf die Ergebnisse vorhergehender Forschungen zurückgreift und darauf aufbaut. Es gibt ein Allgemeinwissen, dass allen Forschern frei zur Verfügung steht und das sie bei der Entwicklung neuer Verfahren einsetzen können, ohne hierfür bestimmte Rechte erst erwerben zu müssen.
Schon seit langer Zeit hat sich nun eine Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Erforschungsphasen herausgebildet, man unterscheidet zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Die Grundlagenforschung wird grundsätzlich an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Institutionen betrieben. Diese Institutionen verfolgen kein Erwerbsinteresse. Dies bedeutet zwar nicht, dass auch die in diesen Einrichtungen tätigen Wissenschaftler kein Eigeninteresse verfolgen, dieses Eigeninteresse bezieht sich aber auf das Erkennen neuer theoretischer Zusammenhänge und auf das Ansehen innerhalb der Gemeinschaft der Wissenschaftler und nicht darauf, auf eine baldige Produktion neuer Produkte oder auf den Einsatz neuer technischer Verfahren hinzuwirken.
Die angewandte Forschung wird hingegen vorwiegend von Unternehmungen betrieben, welche vorrangig das Ziel verfolgen, die Erfindungen dann auch in der Produktion von Gütern einzusetzen. Diese Arbeitsteilung ist allerdings nicht so strikt, dass keine Unternehmung Grundlagenforschung betreibt oder dass auch an Universitäten keinerlei angewandtes Wissen erforscht wird. In Wirklichkeit lässt sich auch keine eindeutige Trennungslinie zwischen beiden Forschungsbereichen ziehen. Auf der einen Seite kann man damit rechnen, dass die Grundlagenforschung bisweilen auch ungewollt konkret anwendbares Wissen hervorbringt, auf der anderen Seite sieht sich eine Unternehmung bisweilen gezwungen, auch Grundlagenforschung zu betreiben, einfach deshalb, weil es an Grundlagenwissen mangelt, welches für eine angewandte Forschung unerlässlich ist.
Auch können wir davon ausgehen, dass Unternehmungen gerade deshalb, weil sie an der Entwicklung von Grundlagenwissen interessiert sein müssen, diese dadurch fördern, dass sie Universitäten und anderen reinen Forschungseinrichtungen Spenden zur Verfügung stellen. Andererseits fördert auch der Staat sehr oft die von Unternehmungen betriebenen Forschungen durch Gewährung von Subventionen.
Wie lang die erste Entwicklungsphase einer unternehmerischen Innovation dauert, hängt nun entscheidend davon ab, wo genau dieser Trennungsstrich zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung liegt. Würde auch die Grundlagenforschung in Toto von erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen betrieben, wäre die erste Entwicklungsphase dementsprechend relativ lang. Andererseits wäre es denkbar, dass im Grunde fast alle Forschung einschließlich des angewandten Wissens in nicht erwerbswirtschaftlichen Institutionen erforscht würde, sodass hier die Innovationstätigkeit der Unternehmungen im Grunde erst mit der zweiten Entwicklungsphase beginnen würde.
Im Extremfall würde alle Forschung auf nicht erwerbswirtschaftliche Einrichtungen verlagert, es wären dann auch diese Einrichtungen, welche in aller Regel ein Patent anmelden und an Unternehmungen verkaufen. Eine solche Vorgehensweise brächte auch den Vorteil mit sich, dass die Entwicklungskosten von der Allgemeinheit getragen würden. Im Zusammenhang mit der Einführung dieser Innovationen würden zwar immer noch Risiken anfallen, diese Risiken würden sich jedoch in Art und Umfang nicht wesentlich von den Risiken unterscheiden, welche mit jeder Investition, ja sogar mit jeder unternehmerischen Produktion verbunden sind. Hier erscheint es jedoch berechtigt, dass diese Risiken von den Unternehmungen getragen werden, sie erleiden zwar Verluste, wenn der Erfolg ausbleibt, kommen aber im Gegenzug auch in den Genuss von Gewinnen, wenn die Innovation erfolgreich verläuft.
Befassen wir uns nun etwas ausführlicher mit der zweiten Entwicklungsphase, die mit dem Einsatz der Erfindungen in der Produktion beginnt. Der augenblicklich gewährte Patentschutz besteht vor allem darin, dass nur die Unternehmung, welche das Patent besitzt, berechtigt ist, diese Erfindung in der Produktion anzuwenden. Sofern eine andere Unternehmung gegen dieses Recht verstößt und ebenfalls diese neuen Verfahren anwendet, kann ein Gericht eine Abfindungszahlung verhängen, welche dem Patentinhaber den hierdurch entstandenen Schaden ersetzt und gegebenenfalls Produktion und Verkauf der Produkte verbieten, welche diese patentierten Verfahren anwenden.
Dieses Verfahren ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, den Patentinhaber zu schützen. Denkbar ist es auch, dass für das patentierte Verfahren Lizenzen ausgegeben werden, welche von den Unternehmungen, die dieses Verfahren anwenden wollen, gekauft werden müssen, wobei der Preis einer solchen Lizenz davon abhängig gemacht werden kann, wie viel Lizenzen verkauft werden können.
Die Möglichkeit einer Lizenzverteilung wird bereits im Gesetz vorgesehen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann und muss sogar das Patentamt bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses eine Lizenz gegebenenfalls auch gegen den Willen des Patentinhabers erteilen. Es entspricht jedoch offensichtlich der herrschenden Rechtsauffassung, dass eine Einschränkung des Wettbewerbs und damit die hierdurch hervorgerufene Verminderung der allgemeinen Wohlfahrt nicht dem öffentlichen Interesse widersprechen. Hier könnte also auch ohne Änderung des Gesetzes allein durch eine andere, der Sache besser entsprechende Rechtsauslegung die oben erwähnten Wohlfahrtsminderungen durch zeitweises Aussetzen des Wettbewerbes entscheidend gekürzt werden.
In diesem Falle könnte die mit dem Patentschutz verbundene Wohlfahrtsminderung deutlich verringert werden, ohne dass die berechtigten Interessen des Patentinhabers über Gebühr verletzt werden. Auf der einen Seite würde der Verkauf mehrerer Lizenzen verhindern, dass Monopolstellungen entstehen und dass auf diese Weise die Interessen der Konsumenten verletzt werden. Auf der anderen Seite wäre aber auch die Gefahr abgewendet, dass sich Wettbewerber dadurch einen Startvorteil sichern, dass sie neue Verfahren anwenden, ohne sich an den hierbei entstehenden Entwicklungskosten zu beteiligen.
Es bleibt das Problem der Produktpiraterie. Natürlich kann auch bei diesem Vorgehen nicht ausgeschlossen werden, dass Erfindungen geklaut werden oder auf dem schwarzen Markt zu einem nicht kostendeckenden Preis erworben werden. Produktpiraterie ist aber ein Unterfall des allgemeinen Diebstahls und bedarf auch keiner besonderen Behandlung. Die Gefahren der Produktpiraterie können auch dadurch wirksam bekämpft werden, dass der Staat größere Anstrengungen zur Aufdeckung und Bestrafung solcher Delikte unternimmt, dass die Patentinhaber die technischen Unterlagen zum Patent über Sicherungsanlagen besser schützen und gegebenenfalls eine Versicherung abschließen, welche den Schaden bei Produktpiraterie ersetzt.
Ein Großteil der tatsächlichen Produktpiraterie erfolgt allerdings dadurch, dass sie von ausländischen Konzernen und auch Staaten betrieben werden. Hier kommt es darauf an, dass durch bilaterale und multilaterale Abkommen zwischen den Staaten gemeinsame Anstrengungen gemacht werden, um die Produktpiraterie zu verringern.
7. Wir wollen uns abschließend mit der Frage befassen, welche Alternativen es gibt, um das hier anstehende Problem der Förderung der Technologieentwicklung zu lösen. Der Begriff der Entwicklungskosten wurde schon bei Friedrich List Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Friedrich List war der Auffassung, dass die deutschen Unternehmer den englischen Konkurrenten unterlegen seien, da sie erst etwa 50 Jahre später als die englischen Unternehmer die Industrialisierung begonnen hatten.
Diese Unterlegenheit der deutschen Industrie begründete List damit, dass zu Beginn der Industrialisierung Entwicklungskosten entstünden, die dann wegfielen, wenn die industriellen Anlagen errichtet seien. Dieser Umstand habe nun zur Folge, dass England gerade wegen seines früheren Beginns mit der Industrialisierung wesentlich geringere Stückkosten zur damaligen Zeit aufweise als die deutschen Unternehmer, welche gerade deshalb, weil sie noch am Anfang des Industrialisierungsprozesses stünden, neben den normalen Stückkosten auch noch die Entwicklungskosten aufbringen müssten.
Die Folge sei, dass die englischen Unternehmer in der Lage seien, ihre Produkte zu einem niedrigeren Preis anzubieten und damit die Möglichkeit hätten, die deutschen Unternehmer aus den Märkten zu verdrängen. Da diese Unterlegenheit jedoch nur vorübergehend sei und da die deutschen Unternehmer nach Abschluss des Industrialisierungsprozesses durchaus mit der englischen Industrie konkurrenzfähig seien, sei es notwendig, mit Hilfe von Schutzzöllen den deutschen Unternehmungen vorübergehend eine Starthilfe zu gewähren. Diese Schutzzölle könnten entfallen, wenn der Industrialisierungsprozess auch in Deutschland abgeschlossen sei.
Diese Überlegungen ähneln nun in der Tat den Rechtfertigungsargumenten zugunsten der Einführung eines Patentschutzes. In beiden Fällen geht es um Innovationen, denn auch der Industrialisierungsprozess Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand ja in der Tat aus einer Reihe von Innovationen gegenüber der bäuerlichen Agrargesellschaft und der handwerklichen Produktion des Mittelalters.
Es sind wiederum in beiden Fällen in erster Linie die Kosten, welche bei der Entwicklung neuer technischer Verfahren entstehen und den Unternehmern Wettbewerbsnachteile bringen. Bei Friedrich List sind es allerdings die Unternehmer eines Landes, das in der Entwicklung sehr viel später begonnen hat als die Wettbewerber des Auslandes und diese ‚gefährlichen‘ Wettbewerber haben einen Wettbewerbsvorteil deshalb, weil sie mit der Erneuerung sehr viel früher begonnen haben und deren Entwicklungskosten heute bereits abgeschrieben sind. In der Debatte um den Patentschutz muss hingegen ein Innovator deshalb Konkurrenten befürchten, weil diese Konkurrenten neue technische Verfahren übernehmen, ohne sich an den entstandenen Entwicklungskosten zu beteiligen.
Bei Friedrich List ging es im Wesentlichen um ein Problem, das ein ganzes Land betraf, es ist der von den Liberalen geforderte und auch praktizierte Freihandel, der diese Probleme angeblich hervorrief, während es im Rahmen der Patentschutzgesetzgebung im Grunde um eine Schwierigkeit handelt, welche auch in einer weitgehend geschlossenen Volkswirtschaft ohne größeren Außenhandel entstehen würde.
Gerade deshalb, weil mit der Patengesetzgebung nicht in die Bestimmungsfaktoren des Außenhandels eingegriffen werden kann und ein Patentschutz im Prinzip auch auf internationaler Ebene geregelt werden könnte, ist auch mit dem Patentschutz die Gefahr, dass sich einzelne Länder mit Hilfe der Patentschutzgesetzgebung gegenseitig bekriegen, insgesamt geringer.
Im Endergebnis vernachlässigt die Forderung nach Schutzzöllen die Ergebnisse der Außenwirtschaftstheorie. Danach können über die Erhebung von Importzöllen nur kurzfristig die Terms of Trade zugunsten des Zoll erhebenden Landes verbessert werden. Auf lange Sicht muss davon ausgegangen werden, dass die Länder, gegen die sich die einseitige Zollpolitik richtete, ebenfalls Importzölle einführen werden. In diesem Falle werden jedoch die Terms of Trade wiederum in Richtung des Zustandes vor Einführung der Zölle zurückentwickelt, der anfängliche Vorteil des zollerhebenden Landes geht verloren.
Gleichzeitig verringert sich jedoch das Außenhandelsvolumen, die internationale Arbeitsteilung wird reduziert, was sich auf die Wohlfahrt aller am Außenhandel beteiligten Nationen negativ auswirkt. Es kommt noch hinzu, dass es äußerst schwierig ist, einmal eingeführte Importzölle rückgängig zu machen, auch dann, wenn dies volkswirtschaftlich erwünscht wäre. Auch Friedrich List ging von der Vorstellung aus, dass die Schutzzölle dann abgeschafft werden sollten, wenn die Unternehmer des eigenen Landes die Industrialisierung vollzogen hätten.
Die Forderung nach einem gesetzlichen und vorübergehenden Patentschutz (vor allem in Form einer Lizenzvergabe) basiert hingegen auf der richtigen Erkenntnis, dass nur dann, wenn alle Unternehmungen alle Kosten übernehmen müssen, welche einer Volkswirtschaft aufgrund der Produktion von Gütern entstehen, mit einer befriedigenden Produktion gerechnet werden kann. Und da die Unternehmungen ihre Kosten auf den Preis abwälzen, sind in diesem Falle auch die Konsumenten gezwungen, für die gesamtwirtschaftlichen Kosten aufzukommen, die sie durch ihre Nachfrage nach Konsumgütern letztlich verursachen.
Ein Schutz der Unternehmungen, welche technische Erneuerungen einführen, kann drittens (neben der Einführung von Importzöllen oder einem gesetzlichen Patentschutz) auch dadurch erfolgen, dass der Staat einen Teil der Entwicklungskosten in Form von Subventionen übernimmt. Inwieweit hierdurch die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt gesteigert wird, hängt insbesondere auch von der Art ab, wie die Subventionierung erfolgt. Wenn nach dem Gießkannenprinzip jede Unternehmung, welche innovativ tätig werden will, subventioniert wird, ist der gesamtwirtschaftliche Erfolg fragwürdig. Es werden ja in diesem Falle auch diejenigen Unternehmungen gefördert, welche gar nicht in der Lage sind, die Voraussetzungen für eine langfristig rentable Produktion zu erfüllen. Auf diese Weise werden knappe Ressourcen verschwendet und es entstehen Opportunitätskosten, da ja diese knappen Ressourcen von anderen produktiven Verwendungen abgezogen bzw. abgehalten werden.
Nun könnte man meinen, dass diese Gefahr dadurch vermieden werden könne, dass der Staat nur einzelnen – Erfolg versprechenden – Unternehmungen Subventionen gewährt. In Wirklichkeit ist auch in diesem Falle nicht viel gewonnen. Woher will denn eine staatliche Behörde wissen, welche Unternehmungen später erfolgreich sind und welchen es nicht gelingen wird, eine rentable Produktion durchzuführen? Dieses Wissen entsteht erst ex post, also im Nachhinein; um eine solche Prüfung vorzunehmen, bedürfte es jedoch eines Wissens ex ante, also vor der Inangriffnahme einer Entwicklung neuer Verfahren. Friedrich von Hayek sprach in diesem Zusammenhang von einer Anmaßung von Wissen.
Natürlich stehen auch die privaten Unternehmungen, welche eine Innovation planen, sowie die Banken, welche diesen Unternehmungen Kredite gewähren, vor dem gleichen Problem. Trotzdem ist ein effizienter Einsatz knapper Mittel für technische Erneuerungen bei privaten Entscheidungen sehr viel wahrscheinlicher als bei Entscheidungen staatlicher Behörden. Es liegen hier nämlich unterschiedliche Anreizsysteme vor. In einer funktionierenden Marktwirtschaft erzielt der private Investor bei Erfolg einen Gewinn, in dem Falle jedoch, in dem die Investition nicht zu dem erwünschten Erfolg führt, trägt der Investor die Verluste mit seinem eigenen Vermögen. Diese positiven und negativen materiellen Anreize fehlen jedoch bei einer behördlichen Entscheidung. Weder hat der Beamte, der sich für eine Förderung eines Projektes entscheidet, bei Erfolg einen materiellen Gewinn, noch muss er volkswirtschaftliche Verluste aus eigener Kasse tragen.
Ein weiteres Argument spricht gegen den Versuch, durch staatliche Subventionierung neue Verfahren zu fördern. Genauso wie die Einführung von Importzöllen die ausländischen Unternehmungen beeinträchtigt, führt auch die Gewährung von Subventionen auf lange Sicht zu einem Subventionskrieg, der etwaige Anfangserfolge zunichte macht. Jede Subventionierung eines Staates hat zur Folge, dass sich die Wettbewerbsbedingungen ausländischer Unternehmungen verschlechtern. Diese Unternehmungen werden sich mit dem Argument, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sei, an ihre Staaten wenden und Gegenmaßnahmen in Form von Subventionierung auch dieser Unternehmungen fordern. Dies bringt dann – wie das Beispiel der Subventionierung der Solarzellenproduktion zeigt – den Staat, der mit der Subventionierung begonnen hatte, auf den Plan und dieser versucht dann unter Umständen diese Subventionierung des Auslandes mit Strafzöllen zu beantworten.