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Zur Erhöhung des Renteneintrittsalters

 

Gliederung

 

 

1. Historische Einführung in die Problematik

2. Die Bilanzgleichung als Ausgangspunkt der Betrachtung

3. Die Determinanten der Beitragseinnahmen

4. Die Determinanten der Rentenausgaben

5. Das finanzielle Gleichgewicht der Rentenversicherung

6. Der Einwand fehlender Arbeitsplätze

7. Sind alle Arbeitnehmer zur verlängerten Arbeitszeit überhaupt fähig?

 

1. Historische Einführung in die Problematik

 

Die gesetzliche Rentenversicherung der BRD geriet in der Vergangenheit bereits in den 70 er Jahren in finanzielle Schwierigkeiten, sie geriet seither wiederholt  (vor allem in den 90er Jahren) in eine Finanzkrise und vor allem für die Zeit um 2030 herum muss mit einem sehr dramatischen Defizit in der gesetzlichen Rentenversicherung gerechnet werden. Unten aufgeführte Tabelle gibt an, wie im Zeitablauf aufgrund der Finanzkrisen der Vergangenheit die Beitragssätze zur Rentenversicherung erhöht werden mussten und wie der Prozentsatz der Rentenausgaben am Sozialprodukt in dieser Zeit angestiegen ist.

 

 

Beschreibung: stat

 

Diese Tabelle ist entnommen einem Internetbeitrag, Quelle: 2005 Bundeszentrale für politische Bildung.

 

 

Diese Tatsache mag zunächst verwundern, da die Rentenreform von 1957 (die Einführung der dynamischen Rente) so konstruiert wurde, dass Beitragseinnahmen und Rentenausgaben prozentual von der Höhe des Einkommens der Versicherungspflichtigen abhängen. Die Rentenversicherungsbeiträge wurden als Prozentsätze der versicherungspflichtigen Einkommen erhoben; die Renten stiegen mehr oder weniger automatisch mit dem Lohneinkommen. Es hätte also eigentlich mit gleich gerichteten und gleich großen Bewegungen in den Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung gerechnet werden müssen.

 

Dass trotzdem in der Vergangenheit Finanzkrisen auftraten und in Zukunft mit weiteren Finanzkrisen zu rechnen ist, hängt mit der Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Rentnern und Erwerbstätigen ab (R/A). De facto hatte sich die Geburtenrate zunächst während des zweiten Weltkrieges, später - seit etwa den 60 er Jahren - aufgrund des sogenannten Pillenknicks reduziert.

 

Weiterhin ist die Lebenserwartung der Neugeborenen bei Männern seit der Nachkriegszeit um etwa 10 Jahre gestiegen, die der Frauen um circa 7 Jahre, wobei die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen trotz dieses etwas geringeren Wachstums um etwa 5 Jahre über der Lebenserwartung der Männer liegt. Aufgrund dieser demographischen Fakten ergibt sich ein enormer Anstieg des Alterskoeffizienten. Diese Belastungsquote: Anzahl der Rentner bezogen auf einen erwerbstätigen Arbeitnehmer (R/A) betrug 1958 noch 34,7%, stieg 1975 auf 55,3% an und wird für das Jahr 2030 auf 70% geschätzt. Während also in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg 3 Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen einen Rentner finanzieren mussten, hat ein Arbeitnehmer im Jahre 2030 fast 3/4 eines Rentners zu finanzieren!

 

 

 

 

Darüber hinaus wurde die Altersgrenze für den Berufsaustritt um mehrere Jahre reduziert, im Jahre 2004 waren z. B. nur noch 38,9% der 60- bis 65-jährigen Männer erwerbstätig, während die gleichen Prozentsätze 1980 noch bei 44,2% lagen.

 

Als weitere finanzielle Belastung kam hinzu, dass der Gesetzlichen Rentenversicherung zur Erfüllung der Rentenansprüche der Aussiedler und der DDR-Rentner Fremdleistungen auferlegt wurden. Schließlich trägt auch die augenblicklich hohe Arbeitslosigkeit dazu bei, dass das Beitragsaufkommen bei gleich bleibenden Rentenzahlungen stark zurückgegangen ist.

 

Die unten aufgeführte Tabelle zeigt die Determinanten des Altersquotienten (R/A) auf. Sie gibt an, wann diese Determinanten auftraten, mit welcher zeitlichen Verzögerung die Veränderung im Altersquotienten eingetreten ist und ob die Veränderung einmalig oder permanent erfolgt.

 

 

 

 

 

Eine Lösung der Finanzkrise kann nur dadurch erzielt werden, dass die Einnahmen der Rentenversicherung erhöht und/oder die Rentenausgaben verringert werden. Mögliche Einnahmenerhöhungen können durch Beitragssatzerhöhung, durch Ausweitung des Kreises der Versicherungspflichtigen, durch Einführung von Beiträgen für Arbeitslose und für Kranke, durch Staatszuschüsse und durch Heraufsetzen der Altersgrenze erzielt werden.

 

Hierbei gilt es zu bedenken, dass die Einführung von Beiträgen aus Arbeitslosen- und Krankengeld an den gesamtwirtschaftlichen Daten nichts ändert, und dass eine Vergrößerung des Versicherungskreises nur vorübergehend eine finanzielle Entlastung bringen kann, solange die neu hinzu kommenden Versicherungspflichtigen noch nicht ins Rentenalter eingetreten sind.

 

Eine echte Entlastung kann immer nur durch Erhöhung der Abgaben (Beiträge oder Steuern) oder durch Heraufsetzen der Altersgrenze erreicht werden. Bei der Heraufsetzung der Altersgrenze tritt zusätzlich eine Reduzierung der Ausgaben ein.

 

Die Ausgaben der Rentenversicherung wurden in der Vergangenheit teilweise durch Aussetzen bzw. Reduzierung der Bestandsrentenanpassung, durch Aufhebung der verzögerten Anpassung und durch Einführung des Nettolohnprinzips reduziert. Die Orientierung am Nettolohn bringt allerdings nur in den Zeiten, in denen die Abgabenbelastung der Erwerbstätigen ansteigt, eine finanzielle Entlastung der Rentenversicherung.

 

Das Aussetzen der Verzögerung brachte weiterhin nur deshalb eine einmalige Entlastung, da sie in Zeiten der Rezession eingeführt wurde. Auch bei den Maßnahmen zur Verringerung der Ausgaben fanden sich optische Lösungen (GKV-Beitragsabzug von den Renten, Kinderzuschuss wird durch Kindergeld ersetzt), die keine gesamtwirtschaftliche Entlastung brachten, sondern lediglich bestimmte Ausgaben anderen Einrichtungen aufbürdeten.

 

Während die bisher besprochenen Maßnahmen im Rahmen des geltenden Rentenversicherungssystems durchgeführt wurden, werden zur Lösung der Finanzkrise auch Änderungen am System vorgeschlagen. So wird erstens der Vorschlag gemacht, vom Prinzip der Vollrente abzugehen und die gesetzliche Altersvorsorge auf eine Mindestrente zu beschränken.

 

Für diesen Vorschlag spricht der Tatbestand, dass sich die Vorstellungen über eine optimale Aufteilung des Lebenseinkommens sehr unterscheiden und dass diesen unterschiedlichen Bedürfnissen am besten entsprochen wird, wenn der einzelne über private Zusatzrenten selbst bestimmen kann, in welchem Maße seine individuelle Gesamtrente von einer für alle gleichen Mindestrente abweichen soll. In der Regel wird gefordert, diese Mindestrente aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren. Diese Regelung hätte den Vorteil, dass den Zielen der vertikalen Umverteilung besser entsprochen werden könnte, allerdings dürfte eine Steuerlösung die Antileistungsanreize erhöhen.

 

Von liberaler Seite wird vorgeschlagen, wiederum zum Kapitaldeckungsverfahren zurückzukehren, da in einem solchen System das Budgetgleichgewicht nicht durch Veränderungen in den demographischen Daten beeinflusst werden kann. Die Schwierigkeit liegt darin, dass während einer Übergangszeit von etwa 40 Jahren die Beiträge so hoch angesetzt werden müssten, dass auf der einen Seite die in der Vergangenheit eingegangenen Rentenverpflichtungen erfüllt werden können, gleichzeitig aber auch ein Kapitalstock zur Finanzierung zukünftiger Renten aufgebaut wird.

 

Da weder eine weitere Kürzung des Rentenniveaus noch eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge politisch opportun erschien, folgte die große Koalition den Vorschläge der Wissenschaft, die Finanzkrise dadurch zu lösen, dass man das Renteneintrittsalter stufenweise bis zum Jahre 2030 – dem Jahr mit der vermutlich höchsten  demographischen Belastung – auf 67 Jahre heraufsetzt.

 

Dieser Vorschlag begegnet in der Öffentlichkeit vor allem von seiten der Gewerkschaften und den Linksparteien starker Kritik, es wird befürchtet, dass gar nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Beschäftigung der älteren Arbeitnehmer vorhanden sind und dass deshalb das Rentenniveau allgemein abfalle. Auch wird moniert, dass bestimmten Berufsgruppen wie z. B. den Dachdeckern eine Arbeit bis zum 67. Lebensjahr gar nicht zugemutet werden könne.

 

Wir wollen uns in diesem Artikel mit der Problematik einer Heraufsetzung des Renteneintrittsalters befassen und klären, wie die einzelnen Alternativen zur Überwindung der Finanzkrisen in der Gesetzlichen Rentenversicherung geeignet sind, diese Ziele zu erreichen und wie sie im Hinblick auf mögliche unerwünschte Nebenwirkungen auf Beschäftigung und Verteilung zu beurteilen sind.

 

    

 

2. Die Bilanzgleichung als Ausgangspunkt der Betrachtung

    

Ausgangspunkt unserer Überlegungen sei die Feststellung, dass man nur dann von einem finanziellen Gleichgewicht der Gesetzlichen Rentenversicherung sprechen kann, wenn die Einnahmen dieser Institution ihren Ausgaben entsprechen. Hierbei wollen wir unterstellen, dass die Ausgaben der Rentenversicherung allein durch die Auszahlung von Renteneinkommen und die Einnahmen allein durch die Beitragseinzahlungen bestimmt werden.

 

Bevor wir uns näher mit den Determinanten dieser beiden Seiten der Rentenversicherungsbilanz befassen, soll kurz geklärt werden, wie tragfähig eine solche Beschränkung auf Beitragseinnahmen und Rentenausgaben ist.

 

Beginnen wir mit den Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. Die zwei wichtigsten Posten der GRV-Bilanz auf der Ausgabenseite neben den Rentenausgaben stellen die Verwaltungskosten und die Kosten zur Rehabilitation einschl. der Zuschüsse zur Krankenversicherung dar. Die Verwaltungsausgaben machen hierbei 1-2%, die Ausgaben für Gesundheit hingegen immerhin 5-6% aus.  

 

Auch dann, wenn die Rentenversicherungsanstalten aufgefordert sind, ihre Verwaltungskosten zu senken und der absolute Umfang dieser Kosten den Wert von 1 Mrd. €  übersteigt, wird die Einbeziehung dieser Kosten unsere Schlussfolgerungen kaum tangieren, sodass wir keine großen Fehler begehen, wenn wir in unseren Betrachtungen von den Verwaltungskosten im weiteren absehen.

 

Der Umfang der Gesundheitskosten ist demgegenüber bedeutend höher, trotzdem spricht einiges dafür, auch diesen Posten aus der Betrachtung auszuschließen, da diese Ausgaben systematisch der Krankenversicherung zugeordnet werden müssen und nur aus historischen Gründen im Bereich der Rentenversicherungen anfallen.

 

Wenden wir uns nun der Einnahmenseite zu. Neben den Versicherungsbeiträgen können die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung auch aus Zuschüssen des Staates finanziert werden. In der Tat betrug der Staatszuschuss bei Einführung der dynamischen Renten in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts etwa ein Drittel der Ausgaben. Dieser durch Kriegsfolgelasten verursachte Staatszuschuss wurde dann seit den 70er Jahren heruntergefahren und erreichte Ende der 80 er Jahre etwa 1/5 der Gesamtausgaben, um dann aber seit den 90 er Jahren wieder anzusteigen. Er beträgt heutzutage wiederum fast 1/3 der Beitragseinnahmen.

 

Es ist also sicherlich zunächst nicht berechtigt, vom Staatszuschuss zur Rentenversicherung abzusehen. Nun ist zwischen zwei Möglichkeiten der letztlichen Finanzierung dieses Staatszuschusses zu unterscheiden: Der Staatszuschuss kann entweder aus Steuermitteln finanziert werden oder aber durch ein Defizit des Staatshaushaltes aufgebracht werden.

 

Wird der Staatszuschuss aus Steuermitteln finanziert, erfolgt die Finanzierung der Rentenausgaben genauso wie im Falle der Beitragseinnahmen über zwangsweise eingetriebene Abgaben. Zwar muss berücksichtigt werden, dass die Steuern über andere Aufteilungsschüssel erhoben werden als die Beiträge, so steigt bei den Einkommenssteuern der Steuersatz mit dem Einkommen, während der Beitragssatz (zumindest bis zur Beitragsbemessungsgrenze) von der Einkommenshöhe unabhängig ist.

 

Dieser Unterschied bezieht sich jedoch auf die Verteilung der Finanzierungslasten auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen, hat jedoch keinen entscheidenden Einfluss auf die durchschnittliche Belastung der Gesamtbevölkerung. Wir wollen in diesem Artikel unsere Betrachtungen in einem ersten Schritt auf die durchschnittlichen Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung beschränken und erst in einem zweiten Schritt auf die Verteilung der Lasten auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen kurz eingehen.

 

Für die gesamtwirtschaftliche Durchschnittsbetrachtung ist es also durchaus berechtigt, lediglich von einer Art der Einnahmen auszugehen, die wir als Beitragseinnahmen, bzw. als Einnahmen aus zwangsweise erhobenen Abgaben bezeichnen können. Aus der Sicht des Versicherungsnehmers ist es schließlich gleichgültig, ob er (im Durchschnitt) Beiträge oder Steuern zur Finanzierung der Versicherungsausgaben aufwenden muss.

 

Etwas andere Überlegungen gelten für den Fall, dass der Staatszuschuss zur Rentenversicherung aus dem Defizit des Staatshaushaltes finanziert wird. Wiederum sind zwei Fälle zu unterscheiden. Der Umstand, dass der Staat ein Defizit ausweist, also mehr ausgibt als er durch reguläre Steuereinnahmen einnimmt, kann sich gesamtwirtschaftlich zumindest zum Teil inflationär, also preissteigernd auswirken, wiederum trägt die Gesamtbevölkerung voll die Versicherungsausgaben, in einer realen Betrachtung unterscheidet sich also dann die durchschnittliche Belastung bei einer Finanzierung aus dem Staatsdefizit nicht von der einer Beitrags- (Abgaben-) Belastung.

 

Nun weisen Keynesianer daraufhin, dass das Staatsdefizit in Zeiten der Unterbeschäftigung zu einer Ausweitung der Produktion und damit auch der Beschäftigung führe; in diesem Falle erfolge die Finanzierung des Defizits letztendlich aus einem Einkommenszuwachs und belaste deshalb das bisherige Einkommen nicht oder zumindest nicht ausschließlich.

 

Diese Überlegungen mögen zutreffen, wenn die Ursachen der Arbeitslosigkeit in einer zu geringen Gesamtnachfrage liegen. Trotzdem scheint es mir aus mehreren Gründen angebracht, diese Finanzierungsmöglichkeit aufgrund eines durch das Staatsdefizit verursachten Einkommenszuwachses hier nicht zu berücksichtigen. Vieles spricht dafür, dass die augenblickliche Massenarbeitslosigkeit primär nicht Folge einer zu geringen Gesamtnachfrage, sondern vielmehr Folge struktureller Anpassungsschwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ist. In diesem Falle ist aber nicht damit zu rechnen, dass das Staatsdefizit zu dem erwähnten realen Einkommenszuwachs führt.

 

Darüber hinaus hat Milton Friedman darauf hingewiesen, dass eine keynesianisch orientierte Politik des Staatsdefizits nur solange die erwünschten Einkommens- und Beschäftigungssteigerungen auslöst, als die Marktpartner von der staatlichen Aktivität überrascht werden; beziehen sie hingegen die staatliche Konjunkturpolitik in ihre Erwartungen mit ein, bleiben die erhofften Einkommenswirkungen aus. So führe z. B. die Mehrnachfrage des Staates in einem ersten Schritt zu Preissteigerungen, was die Unternehmungen veranlasst, aufgrund steigender Gewinnerwartungen tatsächlich die Ausweitung der Produktion zu planen.

 

Längerfristig würden jedoch die Gewerkschaften die Preis- und Gewinnsteigerungen zum Anlass nehmen, eine Lohnkorrektur nach oben zu verlangen. Damit sänken wiederum die Gewinne und mit ihnen die Bereitschaft der Unternehmungen, die Mehrproduktion aufrechtzuerhalten. Die Voraussetzungen für eine anhaltende Mehrbeschäftigung gingen wieder verloren.

 

Schließlich muss daraufhin gewiesen werden, dass die Europäische Union die Möglichkeiten eines Staatsdefizits aus stabilitätspolitischen Gründen beschnitten hat; das laufende Staatsdefizit darf 3% des Sozialproduktes (BIP) nicht überschreiten, gleichzeitig sind die Möglichkeiten einer defizitären Finanzierung auch insoweit begrenzt, als der Gesamtumfang der Staatsverschuldung nicht 60% des Sozialproduktes (BIP) überschreiten darf. Schließlich besteht die Zielvorgabe, längerfristig das Staatsdefizit auf null zu senken. Angesichts dieser Gründe ist es sicherlich sinnvoll und berechtigt, in einer ersten Betrachtung von den Möglichkeiten eines Defizit finanzierten Staatszuschusses abzusehen. 

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen haben wir einen Bilanzposten der Rentenversicherung außer Acht gelassen: die Möglichkeit, die laufenden Ausgaben der Rentenversicherung aus Rücklagen zu finanzieren, bzw. die Beitragseinnahmen dazu zu verwenden, Rücklagen zu bilden. Bei der Reform der Rentenversicherung in den 50 er Jahren des letzten Jahrhunderts war eine solche Rücklage auch vorgesehen; aufgrund der Finanzkrisen der deutschen Rentenversicherung in der Vergangenheit sind diese Reserven jedoch aufgebraucht und aufgrund der finanziellen Misere kann auch nicht damit gerechnet werden, dass solche Rücklagen in naher Zukunft gebildet werden.

 

Aber auch dann, wenn wir eine solche Rücklagenbildung aus grundsätzlichen Überlegungen berücksichtigen wollten, würde gelten, dass diese Möglichkeit nur für eine sehr kurzfristige Betrachtung Geltung besäße. Wenn wir den Zeitraum der Betrachtung ausweiten, z. B. auf einen gesamten Konjunkturzyklus, würde gelten, dass in den guten Jahren in der Rentenversicherung Überschüsse gebildet, in den schlechten Jahren hingegen Defizite erwirtschaftet würden; über den gesamten Konjunkturzyklus hinweg würde nach wie vor gelten, dass die laufenden Einnahmen für die laufenden Ausgaben verwendet werden. Es ist also sehr wohl sinnvoll, in einer ersten Betrachtung von der vereinfachten Bilanzgleichung auszugehen, wonach sich Rentenausgaben und Beitragseinnahmen (langfristig) entsprechen müssen.

 

  

3. Die Determinanten der Beitragseinnahmen

 

Die Beitragseinnahmen (B) werden von der Höhe des Beitragssatzes (b), der Höhe des durchschnittlichen Einkommens der Versicherten (e) sowie der Anzahl der Versicherten (A) bestimmt und entsprechen dem Produkt dieser drei Determinanten:

 

B = b * e * A

 

Der Beitragssatz wird durch Gesetz bestimmt, wobei die Hälfte der Beitragssumme von den Arbeitgebern, die andere Hälfte von den Arbeitnehmern zu zahlen ist. Der Beitragssatz berechnet sich als Prozentsatz des Einkommens und ist in seiner nominellen Höhe unabhängig von der Einkommenshöhe. Allerdings ist das Einkommen nur bis zu einer bestimmten Beitragsbemessungsgrenze beitragspflichtig. Dies bedeutet, dass der effektive Beitragssatz (Beitragssumme bezogen auf das gesamte Einkommen des Versicherten) ab der Beitragsbemessungsgrenze mit wachsendem Einkommen zurückgeht.

 

Da Rentenversicherungsbeiträge nur bis zur Bemessungsgrundlage gezahlt werden müssen, weicht das in der obigen Formel angesetzte durchschnittliche Einkommen (e) von der tatsächlichen durchschnittlichen Einkommenshöhe ab und zwar um so mehr, je mehr Einkommen oberhalb der Bemessungsgrundlage von den Versicherten bezogen werden. Die Höhe dieses durchschnittlichen Einkommens wird von den wirtschaftlichen Ausgangsdaten, vor allem von der Konjunkturlage und dem Wachstumsniveau eines Landes bestimmt und unterliegt nicht wie der Beitragssatz der unmittelbaren kurzfristigen Beeinflussbarkeit seitens des Staates des Staates.

 

Etwas komplizierter ist die Festlegung der Anzahl der Versicherten (A). Wir gehen hierbei zunächst von der Stärke der einzelnen Jahrgänge versicherungspflichtiger Erwerbstätigen aus. Die Anzahl der Erwerbstätigen der einzelnen Jahrgänge hängt hierbei vor allem von Daten ab, die weit in die Vergangenheit reichen. So wird die Zahl der x-jährigen Erwerbstätigen von der Zahl der Geburten vor x Jahren bestimmt. Weiterhin kann diese Zahl durch nachfolgende Sterbefälle, durch Auswanderungen verringert oder durch Einwanderungen vergrößert worden sein. Alle diese Faktoren sind Daten, die von der heutigen Politik nicht mehr verändert werden können. Nur durch eine sehr langfristige Familien-, Bevölkerungs- und  Wanderungspolitik lassen sich diese Daten für die weitere Zukunft verändern.

 

Weiterhin wird der Umfang der Gesamtzahl der Erwerbstätigen vom durchschnittlichen Eintritts- und Austrittsalter in bzw. aus dem Erwerbsleben bestimmt, wobei das Erwerbsaustrittsalter zusammenfällt mit dem Renteneintrittsalter. Je früher das Erwerbsleben beginnt und je später es aufhört, um so größer ist ceteris paribus die Zahl der einen Beitrag zahlenden Erwerbstätigen.

 

Desweiteren müssen wir berücksichtigen, dass immer nur ein Teil der gesamten Erwerbspersonen auch tatsächlich einem versicherungspflichtigen Erwerb nachgeht. Es gibt Personen, die überhaupt nicht erwerbstätig sind, weiterhin Personen, die als Selbständige erwerbstätig sind und deshalb keiner gesetzlichen Rentenversicherung angehören und es gibt schließlich vor allem Arbeitnehmer, die zwar ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten, aber keine Beschäftigung finden, deshalb arbeitslos sind und somit nicht zum Beitragsaufkommen der gesetzlichen Versicherung beitragen. Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist somit ein wesentlicher, das Beitragsvolumen negativ beeinflussender Faktor. Steigt die Arbeitslosigkeit, sinkt automatisch ceteris paribus das Beitragsaufkommen. Hierbei handelt es sich um einen Faktor, der mittelfristig sehr wohl durch konjunkturpolitische Maßnahmen beeinflusst werden kann.

 

Halten wir fest: Das Beitragsvolumen wird von drei kurz- oder mittelfristig politisch zu beeinflussende Faktoren bestimmt: der Höhe des Beitragsatzes, dem Eintritts- und Austrittsalter in bzw. aus dem Erwerbsleben und schließlich dem Erfolg einer Politik zur Senkung der Arbeitslosigkeit.

 

 

4. Die Determinanten der Rentenausgaben

 

Die Höhe der Rentenausgaben (RA) hängt von der Anzahl der Rentner (R) und der durchschnittlichen Höhe des Renteneinkommens eines Rentners (r) ab und wird wie folgt bestimmt:

 

RA = R * r

 

Genauso wie die Zahl der versicherungspflichtigen Erwerbstätigen (A) aus den Stärken der einzelnen erwerbstätigen Personenjahrgänge gebildet wurde, lässt sich auch die Zahl der Rentner als Summe der einzelnen Rentnerjahrgänge (der 66-jähringen, der 67-jährigen usw.) bestimmen. Auch hier gilt, dass die Stärke eines Jahrganges von Geburten, Sterbefällen, Ein- und Auswanderungen in der Vergangenheit bestimmt wird. Auch hier ist der wichtigste kurz- oder mittelfristig beeinflussende Faktor das Eintrittsalter ins Rentnerleben. Von den langfristig wirkenden Faktoren ist vor allem die durchschnittliche Lebenserwartung der Rentner von Bedeutung, die in den letzten 50 Jahren bei den Männern immerhin um etwa 10 Jahre (!) angestiegen ist.

 

 

Nach den ursprünglichen Vorstellungen bei der Einführung der dynamischen Rente 1957 sollten die Rentner am Wachstum des Sozialproduktes automatisch beteiligt werden, in dem die Rentenhöhe an die Höhe der Lohneinkommen gekoppelt wurde. Aus der Befürchtung heraus, dass die Renten auf diese Weise stärker steigen könnten als dies volkswirtschaftlich verkraftet werden könnte, war die Politik allerdings nur bereit, die sogenannten Zugangsrenten also die Renten im ersten Jahr der Verrentung vollautomatisch an das Lohneinkommen zu koppeln, während die Bestandsrenten (die Rentenbezüge in den folgenden Jahren) vom Staat jeweils durch einen Verwaltungsakt nach Anhörung von Sachverständigen erhöht werden sollte. Immerhin wurden bis zu den 80er Jahren auch die Bestandsrenten entsprechend dem Lohnzuwachs jährlich (mit wenigen Ausnahmen) angepasst.

 

Die gesetzliche Rentenversicherung ist in den 70er Jahren in eine Finanzkrise geraten; ohne drastische Reduzierungen der Ausgaben und Erhöhungen der Einnahmen hätte ein hohes Defizit gedroht. Die Ursache hierfür lag in der geringen Geburtenrate während des zweiten Weltkrieges und danach. In den 90er Jahren kam es dann zu einer erneuten Finanzkrise und es kam zu einem Wegschmelzen der Reserve. Nun lag die Ursache hierfür vor allem in der hohen Arbeitslosigkeit sowie in den Fremdleistungen durch Rentenanspruch von Aussiedlern und DDR-Rentnern.

 

Für die weitere Zukunft (vor allem bis zum Jahr 2030) droht eine weitere Finanzkrise viel größeren Ausmaßes. Die Ursache wird einmal in dem Pillenknick der 60 er Jahre gesehen, zum andern in der bedeutend höheren Lebenserwartung (um circa 10 Jahre in Nachkriegszeit). Die Altersstruktur verschlechterte sich dramatisch; die Belastungsquote, die Anzahl der Rentner bezogen auf einen erwerbstätigen Arbeitnehmer (R/A) betrug 1958 noch 34,7%, stieg 1975 auf 55,3% an und wird für das Jahr 2030 dem voraussichtlichen Höhepunkt dieser Entwicklung auf 70% geschätzt.

 

Aufgrund dieser Entwicklung seit den 70er Jahren und der damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten wurde dann wiederholt die Anpassung der Bestandsrenten teilweise ausgesetzt. Das Rentenniveau wurde darüber hinaus reduziert, indem ein demographischer Faktor der Formel zur Berechnung der Rentenhöhe zugefügt wurde. Diese Kürzungen brachten es dann mit sich, dass die Rente nicht mehr wie bisher als Vollrente angesehen werden konnte, sondern sich den Vorstellungen einer Mindestrente annäherte, die durch eigene Sparanstrengungen ergänzt werden musste. Aufgrund des Rückganges der Lohnzuwachses in den vergangenen Jahren kam es zu einer Stagnation im Rentenzuwachs.

 

Trotz dieser Korrekturen besteht bei den Politikern nach wie vor der Anspruch, die Rente in Zukunft mit dem Lohneinkommen ansteigen zu lassen. Wir wollen deshalb trotz dieser Verschlechterungen davon ausgehen, dass die Höhe der durchschnittlichen Rente (r) von der Höhe der Lohneinkommen (e) abhängt. Immerhin gehen die Politiker davon aus, dass in naher Zukunft mit Erhöhungen der Renten zu rechnen ist.  Es gilt deshalb die Formel:

 

r =  r * e.

 

Der Faktor r (der Rentensatz) gibt hierbei an, in welchem Verhältnis die Rentenhöhe zum Lohneinkommen steht. Hierbei hängt dieser Rentensatz einmal von einem in der Rentenformel verankerten Faktor zum andern von der Anzahl der zurückgelegten Versicherungsjahre ab. 

 

 

5. Das finanzielle Gleichgewicht der Rentenversicherung

 

Wenn wir nun die einzelnen Determinanten der Beitragseinnahmen und der Rentenausgaben in die Gleichgewichtsbedingung einsetzen, erhalten wir eine Gleichung, welche die Beziehungen zwischen Beitragssatz, Rentensatz und Altersquotienten (Verhältnis Beitragszahler zur Zahl der Rentner) aufzeigt. Ausgangspunkt ist das bilanzielle Gleichgewicht:

 

Beitragseinnahmen = Rentenausgaben.

 

Wir setzen die einzelnen Determinanten in die Gleichung und erhalten:

 

b * e * A = r * e * R.

 

Wenn wir beide Bilanzseiten um das Durchschnittseinkommen kürzen und die einzelnen Determinanten anders anordnen, erhalten wir schließlich die Gleichung:

 

b/r = R/A.

 

Die dramatische Verschlechterung im Alterskoeffizienten (R/A) aufgrund des Rückganges in der Geburtenrate und aufgrund der Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung führt zu einem bilanziellen Ungleichgewicht, das nur auf dreierlei Weise wiederum beseitigt werden kann. Entweder werden die Beitragssätze erhöht und/oder die durchschnittliche Höhe der Renten wird gekürzt und/oder das Rentner-Arbeitnehmerverhältnis wird dadurch verbessert, dass das Renteneintrittsalter erhöht wird.

 

Legt man nun obige Gleichung zugrunde, lässt sich leicht bestimmen, um wieviel der Beitragssatz steigen müsste, wenn man die 2030 drohende Finanzkrise allein durch Anhebung des Beitragssatzes lösen wollte. Wenn wir von einem Altersquotienten (R/A) von 0,7 ausgehen und entsprechend den ursprünglichen Zielsetzungen unterstellen, dass das Rentenniveau bei voller Erwerbszeit 60% des Lohneinkommens erreichen sollte, müsste der Beitragssatz bis zum Jahre 2030 auf etwa 42% ansteigen:

 

b = (R/A) * r = 0.7 * 0.6 = 0.42

 

 

Umgekehrt müsste das Rentenniveau um etwa die Hälfte gekürzt werden, würde man versuchen, die Finanzkrise allein durch Kürzung der Renten zu lösen, wobei wir von dem heute erreichten Niveau des Beitragssatzes  von 19,9% ausgehen wollen.

 

r = b/(R/A) = 0.199 / 0.7 = 0.28,

 

Das Rentenniveau würde dann bei voller Erwerbszeit statt 60% nur noch 28% des Lohneinkommens betragen.

 

 

Nach weitgehender Überzeugung haben die Beiträge bereits die Schmerzgrenze nach oben erreicht, vor allem auch deshalb, weil eine Beitragserhöhung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmungen um ein weiteres verschlechtern würde. Auch eine weitere starke Reduzierung des Rentenniveaus wird allgemein abgelehnt, da die Rente schon heute für viele Rentner nahe am Existenzminimum liegt.

 

Die einzige realistische Alternative zur Beseitigung des finanziellen Ungleichgewichtes in  der Rentenversicherung liegt also in der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Sie führt auf zweierlei Weise zu einer Verminderung des finanziellen Ungleichgewichtes der Rentenversicherung. Dadurch dass im Durchschnitt länger gearbeitet wird, erhält die Rentenversicherung zusätzliche Beitragseinnahmen; dadurch, dass die Dauer des Rentenbezuges verkürzt wird, vermindern sich gleichzeitig die Rentenausgaben.

 

Schon sehr früh (seit den 70 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts) wird von Seiten der Wissenschaft auf die dramatische Entwicklung in der Bevölkerungsstruktur hingewiesen und Maßnahmen zur Beseitigung der drohenden finanziellen Krise in der Rentenversicherung gefordert. Die vergangenen Regierungen haben viel zu lange ihre Augen vor dieser Entwicklung verschlossen und die Einleitung einer grundlegenden Reform immer wieder verzögert. Die jetzt von der großen Koalition beabsichtigte stufenweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters kann gerade noch einen finanziellen Kollaps Anfang der dreißiger Jahre verhindern, für ein weiteres Hinausschieben dieser Reform ist kein Raum mehr.

 

Eine solche Reformmaßnahme entspricht auch durchaus dem Interesse der Betroffenen. Steigt das Lebensalter, so ist es durchaus sinnvoll, diesen Zuwachs an Jahren zum Teil für eine Ausweitung der Arbeitszeit und zum Teil für eine Ausweitung der Rentnerzeit einzusetzen.

 

       

6. Der Einwand fehlender Arbeitsplätze

 

Der in der Öffentlichkeit am meisten geäußerte Kritikpunkt an diesen Reformmaßnahmen ist der Einwand, es mangle an Arbeitsplätzen, um die Arbeitnehmer bis zum 67. Lebensjahr zu beschäftigen. Schon heute hätten arbeitslose Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr erreicht hätten, kaum noch Chancen eingestellt zu werden; die Unternehmungen seien bestrebt, ältere Arbeitnehmer zu entlassen. In diesem Falle bestünde jedoch die Gefahr, dass aufgrund des Nichterreichens der vorgesehenen Lebensarbeitszeit  das Rentenniveau absinken würde.

 

Als erstes muss festgestellt werden, dass diese Reform nur dann Erfolg verspricht, wenn Sorge dafür getragen wird, dass die Arbeitnehmer auch länger als bisher beschäftigt werden können. Die Beseitigung der augenblicklichen allgemeinen Krise des Sozialstaates erfordert nicht nur eine Reform der Sozialversicherung, sondern auch des Arbeitsmarktes.

 

Es ist zwar richtig, dass in der Vergangenheit ältere Arbeitnehmer keine ausreichenden Chancen zur Wiedereinstellung besaßen, auch wenn sich in der jüngsten Zeit diese Situation etwas zugunsten der älteren Arbeitnehmer verbessert hat. Diese Chancenungleichheit älterer Arbeitnehmer muss jedoch nicht sein, in anderen Ländern ist der Anteil der älteren Arbeitnehmer an der Arbeitslosigkeit geringer, es sind Fehlentwicklungen in der Vergangenheit speziell der BRD, die diesen Trend zur vermehrten Arbeitslosigkeit bei den älteren Arbeitnehmern ausgelöst haben. Auf der einen Seite hat die Politik lange Zeit das Bestreben der Unternehmungen, sich von den älteren Arbeitnehmern zu trennen, durch finanzielle Anreize massiv unterstützt. Auf der anderen Seite gibt es nur solange bei den Unternehmungen das Bestreben, sich von älteren Arbeitskräften zu trennen, als die Entlohnung über dem produktiven Beitrag dieser Arbeitnehmergruppe liegt.

 

Es gibt keinen Grund dafür, dass Arbeitskräfte schon ab dem 60. Lebensjahr generell arbeitsunfähig sind. Bestimmte Leistungsfaktoren (vor allem die physische Arbeitsfähigkeit, die Risikofreudigkeit und die Lernbereitschaft)) gehen zwar mit dem Alter zurück, andere (wie etwa die Verantwortungsbereitschaft und die akkumulierte berufliche Erfahrung) steigen an. In dem Maße, in dem die Produktivität mit steigendem Alter tatsächlich zurückgeht, ist es auch berechtigt, das Lohnniveau der mangelnden Produktivitätsentwicklung anzupassen.

 

Man muss aufhören, in jedem altersbedingten Rückgang des Einkommens einen Prestigeverlust zu sehen. Ein gewisser Rückgang im Einkommen aufgrund gestiegenen Alters kann durchaus verkraftet werden, da auf der einen Seite mit einem bestimmten Alter im Haushalt sehr viel weniger Investitionsausgaben anfallen als in der Jugend. Junge Arbeitnehmer haben im Zusammenhang mit der Familiengründung zunächst hohe Investitionsausgaben, die im  Alter wegfallen.

 

Auf der anderen Seite ist das Durchschnittseinkommen im Vergleich zu früher so stark angestiegen, dass auch Arbeitnehmer aus mittleren Kreisen in der Lage sind, Vermögen zu bilden, das im Alter neben den Lohneinkommen auch ein Zinseinkommen bringt. Der altersbedingte Rückgang im Lohneinkommen wird deshalb zum Teil dadurch kompensiert, dass im Alter in stärkerem Maße als in den früheren Arbeitsjahren Zinseinkünfte anfallen.

 

Der Einwand, dass eine Erhöhung des Renteneintrittsalters deshalb abgelehnt werden müsse, weil sie de facto zu einer Reduzierung der Renten führe, verkennt weiterhin, dass die Alternative zu dieser Reformmaßnahme ebenfalls in einer drastischen Verkürzung der Rentenhöhe liegt. Eine erneute Heraufsetzung der Beitragssätze, die dritte mögliche Alternative kommt schon deshalb nicht in Frage, da sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden würde und somit den allgemeinen Reformbemühungen zuwiderliefe.

 

Im schlimmsten Falle, falls es nicht gelingen würde, die Arbeitsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmer zu verbessern, würde in jedem Falle mit oder ohne eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters das Rentenniveau sinken. Im günstigsten Falle, wenn nämlich die erforderlichen Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt greifen, würde hingegen das Rentenniveau gerade bei einer Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wieder ansteigen.

 

 

7. Sind alle Arbeitnehmer zur verlängerten Arbeitszeit überhaupt fähig?

 

Gegen eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wird in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass bestimmte Arbeitnehmergruppen wie z. B. die Dachdecker physisch überfordert wären, sollten sie bis zum 67. Lebensjahr arbeiten müssen. Auch aus diesen Gründen seien die geplanten Reformmaßnahmen abzulehnen.

 

Als erstes muss festgestellt werden, dass man natürlich eine gute und an für sich berechtigte Forderung nicht einfach deshalb ablehnen kann, weil sie nicht restlos auf alle Arbeitnehmergruppen angewandt werden kann. Es gibt keine politische Maßnahme, die ausnahmslos durchgeführt werden kann. Ausnahmen bestätigen die Regel! Im Hinblick auf die Lebensarbeitszeit gab es schon immer gewisse Berufszweige, in denen aus physischen oder anderen Gründen eine wesentlich kürzere Lebensarbeitszeit vorgesehen war. So scheiden z. B. Flugkapitäne schon sehr früh aus dem aktiven Flugdienst. Gewisse Ausnahmen sind immer notwendig und auch möglich. Aus solchen Gründen sollte eine generelle Regelung sicherlich niemals scheitern.

 

Als zweites ist der Versuch, die Aufteilung der Lebenszeit und vor allem den Eintritt ins Rentnerdasein für alle Arbeitnehmer einheitlich zu regeln, an sich schon fragwürdig. Die einzelnen Menschen unterscheiden sich in beachtlichem Maße in der Frage, was sie mit ihrem dritten Lebensabschnitt anfangen wollen und wie lange sie fähig sind, in ihrem früher einmal gewählten Beruf zu arbeiten. Der Alterungsprozess verläuft bei jedem Menschen etwas anders. Sowohl im Hinblick auf Neigungen wie auch Fähigkeiten unterscheiden sich nun einmal die Menschen in dieser Frage ganz beachtlich. Bei einer einheitlichen Regelung kann man keine optimale Lösung der Aufteilung des Lebens in die drei Phasen erwarten. Man tut den einzelnen auf diese Weise unrecht.

 

Es wäre also sicherlich sehr viel besser, wenn man die Frage, wann jemand aus dem Berufsleben ausscheiden soll, dem einzelnen im Grundsatz selbst überlassen würde. Genau dieses Ziel lag ja auch der Einführung der flexiblen Rente im Jahre 1972 zugrunde. Mit der Reform von 1972 wurde den Arbeitnehmern das Recht eingeräumt, auf Wunsch schon ab dem 63. Lebensjahr (bei Männern), bzw. ab dem 60. Lebensjahr (bei Frauen) eine Altersrente zu beziehen und somit vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.

 

Diese Feststellung gilt allerdings nur mit gewissen Einschränkungen. Wir leben in einem Rechtsstaat mit Menschenrechten, in dem der Staat u. a. verpflichtet ist, jedem Bürger ein Existenzminimum zu garantieren. Dieser Verpflichtung kann der Staat nur nachkommen, wenn immer nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Bürger diese Hilfe benötigt. Hierzu ist es notwendig, dass alle Bürger sich um eine Absicherung im Alter kümmern.

 

Der Verpflichtung des Staates, in der Not zu helfen, entspricht das Recht des Staates, die Bürger zu einer Altersvorsorge anzuhalten. Es kann dem einzelnen Bürger nicht freigestellt sein, ob er eine Mindestversorgung für das Alter betreibt. Nur in der Frage, ob der einzelne mehr an Vorsorge vorsieht als zur Erhaltung des Existenzminimums notwendig ist, kann, darf und sollte auch der einzelne selbst entscheiden.

 

Wenn also auch vieles dafür spricht, dass über den Umfang der Altersvorsorge über das Existenzminimum hinaus der Einzelne selbst bestimmen sollte, so kann diese Empfehlung nicht zur Folge haben, dass der einzelne seine Entscheidung auf Kosten der Allgemeinheit fällen darf. Entscheidet er sich dafür, früher als andere aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, so hat er auch die materiellen Folgen, die sich aus dieser Entscheidung ergeben, selbst zu tragen.

 

Worin liegen nun die materiellen Folgen eines früheren Austritts aus dem Erwerbsleben? Entscheidet sich ein Versicherungspflichtiger dafür, ein Jahr früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, so führt er für ein Jahr weniger Beiträge an die Rentenversicherung ab, da er ja auch ein Jahr weniger arbeitet und nur während seiner Arbeitszeit Versicherungsbeiträge entrichten muss. Gleichzeitig bezieht er jedoch auch ein Jahr lang mehr Rente als bisher, wenn wir einmal unterstellen, dass seine Entscheidung, früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, keinen Einfluss auf seine Lebenserwartung hat.

 

Diese Annahme ist durchaus im Durchschnitt berechtigt; im Einzelfall werden einige Frührentner gerade deshalb, weil sie früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden und deshalb mehr für ihre Gesundheit tun können, länger leben; bei anderen hinwiederum verkürzt sich die Lebenserwartung, da sie bisher voll im Beruf aufgegangen sind und nun keine Möglichkeit mehr sehen, neue, nicht berufsbezogene Lebensziele aufzubauen.

 

Die Entscheidung, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, wird im allgemeinen ohne Not aus freien Stücken gefällt, es gibt deshalb auch keine Rechtfertigung, die Versicherungsgemeinschaft oder die Volksgemeinschaft mit den materiellen Kosten dieser Entscheidung zu belasten.

 

Anders liegen natürlich die Fälle, bei denen jemand gesundheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet, hier entscheidet nicht der einzelne aus freien Stücken, vielmehr ein Arzt im Auftrag der Versicherungsgemeinschaft, ob aus Gesundheitsgründen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten vorzeitig endet. Aus dem Versicherungsgedanken heraus ergibt sich hier die Notwendigkeit, die hier entstehenden Kosten der Allgemeinheit anzulasten.

 

Die oben  erwähnte Einführung der flexiblen Altersgrenze im Jahre 1972 entsprach übrigens nur zum Teil diesen hier entwickelten Grundsätzen. Zwar verringerte sich die Rente derjenigen Arbeitnehmer, welche die flexible Altersrente in Anspruch nehmen, da die Rentenhöhe von der Anzahl der Jahre, in denen Beiträge gezahlt wurden, abhängt. Die Reduzierung der Rente ist jedoch hier geringer als die Kosten, die der Versicherung aufgrund dieser Entscheidung entstehen. Wie bereits gesagt, verringern sich nicht nur die Beitragseinnahmen, die Versicherung wird auch dadurch belastet, dass sie nun für die betroffenen Arbeitnehmer ein Jahr länger Rente zu zahlen hat.

 

Befassen wir uns nun etwas näher mit dem Einwand, dass es der Beruf bestimmter Arbeitnehmergruppen unmöglich oder zumindest unzumutbar macht, länger als bis zu 65 Jahren zu arbeiten. Als erstes muss festgestellt werden: Der bloße Umstand, dass bei bestimmten Berufen vor allem wegen der physischen Belastung eine Ausweitung der Erwerbszeit über das 65. Lebensjahr nicht zumutbar erscheint, bedeutet noch nicht, dass die Arbeitnehmer, die diesen Beruf ergreifen, aus diesen Gründen verarmen und deshalb Hilfe von der Volks- oder Versicherungsgemeinschaft zu beanspruchen haben. Oft handelt es sich bei diesen Berufen um Berufszweige, innerhalb derer sogar ein überproportionales Einkommen erzielt werden kann. Aber nur dann, wenn das Einkommen deutlich unter dem Durchschnittseinkommen liegen würde und die Gefahr bestünde, dass der einzelne ohne Unterstützung von Seiten der Volksgemeinschaft in Not geraten würde, wäre eine unentgeltliche Hilfe in der Form, dass ein Teil der durch früheren Ausstieg aus dem Erwerbsleben entstandenen Kosten von der Gemeinschaft übernommen werden, berechtigt.

 

Im allgemeinen wird man zweitens beobachten können, dass in diesen Berufen ein überdurchschnittlich hohes Monats- oder Jahreseinkommen bezogen wird, gerade weil ein Teil des augenblicklichen Einkommens dazu verwandt werden muss, um die überdurchschnittliche Zeit der Erwerbslosigkeit materiell zu überbrücken. Ein funktionierender Markt wird im allgemeinen dafür Sorge tragen, dass die Jahreseinkommen dieser Berufsgruppen höher ausfallen als beim Durchschnitt der Arbeitnehmer. Man wird es im allgemeinen sehr wohl dem Markt überlassen können, diese Aufgabe sachgerecht zu lösen. Sollten es wegen monopolistischer Marktstrukturen die Unternehmungen unterlassen, diese Anpassung der Einkommenshöhe vorzunehmen, wird es eben Aufgabe der Gewerkschaften sein, für eine sachgerechte Lösung der Einkommenshöhe zu kämpfen.

 

Drittens gilt es folgendes zu berücksichtigen: Aus der bloßen Tatsache, dass bestimmte Arbeitnehmer in den jüngeren Jahren Arbeiten verrichten, zu denen sie aus physischen oder anderen Gründen in den älteren Jahren nicht mehr fähig sein werden, lässt sich nicht folgern, dass solche Arbeiten ein ganzes Leben lang verrichtet werden müssen und dass deshalb in dem Augenblick, von dem ab diese Arbeiten nicht mehr verrichtet werden können, die Erwerbsfähigkeit automatisch ausläuft. Es gibt keine vernünftigen Gründe, die zu verrichtende Arbeit nicht auch vom Lebensalter des einzelnen Arbeitnehmers abhängig sein zu lassen. Es gibt auch wohl keine Unternehmung, in der nur die eine Tätigkeit, die annahmegemäß nur von jungen Arbeitnehmern vorgenommen werden kann, anfällt. Im allgemeinen können die älteren Arbeitnehmer sehr wohl mit Arbeiten beschäftigt werden, die auch von ihnen sachgerecht ohne unzumutbare Anstrengungen verrichtet werden können.

 

Es verbleibt somit lediglich ein viel kleinerer Teil von Arbeitnehmern, denen es auf der einen Seite nicht möglich ist, aus Altersgründen ihrer beruflichen Tätigkeit auch nach dem 65. Lebensjahr nachzugehen und auf der anderen Seite bei einer früheren Beendigung der Erwerbszeit eine Rentenhöhe verbleibt, die nicht den existenziellen Anforderungen entspricht und die deshalb eine Hilfe von Seiten der Volksgemeinschaft notwendig macht und als berechtigt erscheinen lässt.

 

Aber auch in diesem Falle dürfte es unzweckmäßig sein, diese Hilfe der Versicherungsgemeinschaft zu übertragen. Die primäre Aufgabe einer Versicherung liegt darin, den Einkommenstransfer von den gegenwärtigen Erwerbsjahren zu den Rentnerjahren, in denen kein reguläres Erwerbseinkommen erzielt wird, so effizient wie möglich zu gestalten. Diese allokative Aufgabe des Versicherungsschutzes im Alter wird gestört und kann deshalb nicht mehr  effizient erfüllt werden, wenn diese Aufgabe mit Problemen der Umverteilung verquickt wird. Aus mehreren Gründen ist es zweckmäßig Allokation und Verteilung voneinander zu trennen.

 

Jeder Versuch, Umverteilungsziele im Rahmen der Allokation zu lösen, führt über Preisverzerrungen zu Fehlallokationen, die sich in Wohlfahrtsverlusten niederschlagen. Aufgrund dieses Wohlfahrtsverlustes verringern sich auch die Ressourcen für die legitimen Umverteilungsziele. Gleichzeitig lässt sich auf diese Weise auch keine gerechte, an allgemeinen Kriterien orientierte Verteilung der materiellen Güter erreichen, da in  diesem Falle die Höhe der Begünstigung davon abhängig gemacht wird, wie der Begünstigte seine Einkünfte verwendet. Dies ist natürlich kein Argument, auf diese Unterstützung zu verzichten, sondern allein ein Hinweis, dass notwendige Unterstützungen aus dem allgemeinen Budget des Staates und nicht aus den durch Beiträge aufgebrachten Mitteln finanziert werden sollten.