Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen ausländischer Staaten?

 

 

Immer häufiger werden in der Öffentlichkeit Forderungen erhoben, dass Menschenrechtsverletzungen ausländischer Staaten durch Sanktionen unsererseits geahndet werden sollten. So wird z. B. gefordert, dass Russland wegen der Vergiftung Alexej Nawalnys von Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft mit Sanktionen belegt werden müsse. Es wird z. B. die Forderung erhoben, dass sich Deutschland aus dem Piplinegeschäft mit Russland zurückziehen solle.

 

Es fragt sich allerdings, ob in diesem Falle Sanktionen gerechtfertigt sind. Wie für alle politischen Maßnahmen gilt auch im Hinblick auf das Instrument der Sanktion gegenüber anderen Staaten, dass vor Verhängung dieser Maßnahmen geprüft werden muss, ob sie zum Erfolg führen, also ob sie effizient sind und darüber hinaus, mit welchen negativen Folgen für unser eigenes Volk gerechnet werden muss.

 

Beginnen wir mit der Effizienzsanalyse. Offensichtlich wird mit dieser Maßnahme bezweckt, dass die russische Führung in Zukunft ihre politischen Gegner nicht mehr vergiftet oder ihrer Freiheit beraubt. Dabei geht man davon aus, dass Sanktionen dem gegnerischen Land schaden und dass die politische Führung in Zukunft zur Vermeidung dieses Schadens auf weitere Menschenrechtsverletzungen verzichtet.

 

Fragen wir uns zunächst, inwieweit der beabsichtigte Schaden tatsächlich eingetreten ist. Hierbei muss unterschieden werden zwischen dem Schaden, welcher der Bevölkerung eines Landes zugefügt wird und dem Schaden, welchen die Machthaber erleiden. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass gerade nicht ein Schaden der Bevölkerung angestrebt wird. Man könnte allerdings davon ausgehen, dass ein solcher Schaden bisweilen in Kauf genommen wird, um auf diesem Umweg den Machthaber zu zwingen, diesen Schaden abzuwenden auf weitere Menschenrechtsverletzungen zu verzichten.

 

Hinter dieser Vermutung steht die Hypothese, dass bei wirtschaftlichem Schaden der Bevölkerung deren Zustimmung zum herrschenden Regime schwindet und dass aus diesen Gründen diese Maßnahmen zum Erfolg führen.

 

Aber gerade diese Hypothese muss angezweifelt werden. Es mag richtig sein, dass wirtschaftliche Rückschläge dann zu einer Vertrauenseinbuße bei der Bevölkerung führen, wenn die Bevölkerung von der Überzeugung ausgeht, Misswirtschaft der eigenen Politiker habe diese wirtschaftliche Notlage ausgelöst. Für wirtschaftliche Rückschläge, welche durch Sanktionen des Auslandes ausgelöst werden, gelten jedoch ganz andere Zusammenänge.

 

Von außen ausgelöster Schaden bewirkt im Allgemeinen das Gegenteil. Die Bevölkerung wendet sich vermehrt wiederum dem politischen Machthaber zu und erwartet, dass sich die eigene Regierung gegen die ausländischen Angriffe zur Wehr setzt. In Zeiten äußerer Bedrohung rücken die Bewohner eines Landes zusammen und vergessen die bisherigen Auseinandersetzungen.

 

Dies bedeutet jedoch: Sanktionen, welche die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zur Folge haben, schaden dem politischen Machthaber nicht, sie nützen ihm sogar, weil er nun in geringerem Maße als bisher Unzufriedenheit unter der Bevölkerung und damit eine Abwahl befürchten muss. Die politischen Machthaber werden sogar bemüht sein, einen bisher ohnehin stattfindenen wirtschaftlichen Rückschlag auf das Konto der Sanktionen des Auslandes zurückzuführen.

 

Politische Machthaber neigen ohnehin dazu, dann, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Bevölkerung gegen sie wendet, künstlich Konflikte mit dem Ausland auszulösen, um auf diese Weise die Bevölkerung wiederum stärker an sich zu binden und damit die Gefahr einer politischen Revolte abzuwenden.

 

Gerade weil die westlichen Staaten die Bevölkerung der fraglichen Staaten schonen wollen, werden seit längerer Zeit Sanktionen bevorzugt, welche nur einzelne führende Politiker belasten. So werden oftmals die Konten führender Politiker des Auslandes eingefroren oder konfisziert. In der öffentlichen Diskussion wird davon ausgegangen, dass solche Sanktionen die führenden Politiker des Auslandes gravierend belasten könnten, sodass damit zu rchnen sei, dass die Politiker in Zukunft von Menschenrechtsverletzungen Abstand nehmen. Aber auch dann, wenn die fraglichen Politiker in ihrem amoralischen Verhalten fortfahren, seien die Sanktionen berechtigt, da sie eine gerechte Strafe für sittenwidriges oder dem Völkerrecht widersprechendes Verhalten darstellen.

 

Aber auch diese Annahme, dass sich diese Politiker aufgrund von Sanktionen in Zukunft dieser Maßnahmen enthalten, ist fragwürdig. Einigermaßen überzeugend wäre dieses Argument allenfalls dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, welche in der Vergangenheit noch nicht angewandt wurde und deshalb für die ausländischen Politiker überraschend kommt. Man geht hier davon aus, dass diese Politiker bestrebt seien, Schaden zu vermeiden und deshalb in Zukunft auf solche sittenwidrigen Maßnahmen verzichten.

 

Aber diese Art von Sanktionen sind in der Vergangenheit wiederholt angewandt worden und die Politiker müssen damit rechnen, dass sie auch in Zukunft angewandt werden. Wenn aber der ausländische Machthaber, der Menschenrechtsverletzungen plant, sich darüber im Klaren ist, dass seine Aktionen persönliche Sanktionen zur Folge haben, dann wird dieser Machthaber  z. B. durch Verlagerung seiner ausländischen Konten in ein sicheres Land Vorsorge treffen, bevor er mit diesen rechtswidrigen Handlungen beginnt.

 

Vielleicht aber lässt er seine Konten im gegnerischen Ausland bewusst bestehen, um zu erreichen, dass die ausländischen Staaten nicht schärfere Sanktionen durchführen. Im Allgemeinen kann man aber davon ausgehen, dass ein ausländischer Machthaber durchaus in der Lage ist, zum Ausgleich für diesen Scvhaden sein Vermögen im Inland zu vergrößern. Bezogen auf das Inlandsprodukt dieses Staates dürften in aller Regel die im Ausland angelegten Vermögenwerte eines Spitzenpolitikers gering sein.

 

Auch ist damit zu rechnen, dass die Sanktionen eines Tages wieder aufgehoben werden, da dieser Kapitaltransfer im Interesse beider Staaten liegt, sodass also der Schaden nur vorübergehend zu befürchten ist.

 

Wenden wir uns den möglichen Sekundärwirkungen einer Transaktion in dem Lande zu, von dem aus die Sanktionen durchgeführt werden. Im Allgemeinen muss man davon ausgehen, dass Sanktionen auch in dem Land, das die Sanktion verhängt, negative Auswirkungen zur Folge haben. Sollte sich z. B. die BRD dazu entschließen, das Pipeline-Projekt mit Russland nicht zu beenden, kämen enorme Schäden in Milliardenhöhe auf deutsche und andere europäische Firmen zu. Aber selbst das Einfrieren von Konten einzelner Spitzenpolitiker hätte für die Bürger der BRD negative Folgen, da der freie Kapitalverkehr auf diese Weise eingeschränkt würde.

 

Es sind jedoch nicht nur wirtschaftliche Folgen, welche von Sanktionen jeder Art ausgehen. Sanktionen jeglicher Art sind feindliche Akte und verschlechtern das politische Klima zwischen den betroffenen Ländern. Trotz ideologischer Unterschiede zwischen den betroffenen Ländern gibt es zahlreiche Probleme zwischen diesen Staaten, welche gelöst werden müssen. Es ist zu befürchten, dass nach Verhängung von Sanktionen immer weniger gemeinsame Probleme gelöst werden können und dass auf diese Weise zusätzlicher Schaden auch in den Ländern auftritt, welche diese Sanktionen verhängt haben.

 

Selbst auf dem Bereich humanitärer Entscheidungen können per saldo negative Folgen auftreten. Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und den westlichen Mächten konnten die Westmächte gewisse Zugeständnisse im humanitären Bereich erreichen als Gegenleistung gegen Entgegenkommen westlicher Mächte. Diese Akte werden erschwert, wenn zwischen den Staaten die Verhandlungsmöglichkeiten immer mehr abgebrochen werden.

 

Fragen wir uns zum Schluss, was das Vorhandensein negativer Sekundärwirkungen für die Berechtigung von Sanktionen bedeutet. Es wäre sicherlich falsch, wenn man die Tatsache, dass nahezu jede Sanktion auch negative Nebenwirkungen für unseren eigenen Staat aufweist, zum Anlass nehmen würde, Sanktionen jeder Art abzulehnen. Die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen auch gegenüber Bürgern anderer Nationen stellt in den freiheitlichen Demokratien des Westens ein sehr hohes Gut dar, für dessen Erreichung durchaus auch ein hoher Preis gezahlt werden kann.

 

Wenn allerdings die Sanktionen gar nicht zum Ziel führen, verlischt jede Berechtigung von Sanktionen. Es ist jedoch die Überzeugung fast aller Politiker, dass Sanktionen in der Vergangenheit zu keinem sichtbaren Erfolg geführt haben. Dieser Artikel sollte aufzeigen, woran es denn liegt, dass Sanktionen in den meisten Fällen gar nicht zum Ziel führen können und bisweilen sogar die Machtposition der kritisierten Mächte verbessern.

 

Finden also im Ausland Menschenrechtsverletzungen statt, dann sollten sich die freiheitlichen und demokratischen Staaten darauf beschränken, diese Maßnahmen entschieden zu verurteilen. Sollten trotz der oben aufgezeigten Bedenken Sanktionen beschlossen werden, sollten sie nicht von einzelnen Staaten, sondern im Rahmen der UNO beschlossen werden.