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Sorgt euch nicht um euer Leben!

 

‚Seht euch die Lilien an: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen‘ (Lukas 12, 22-32)

 

 

 

Gliederung:

 

1. Der Widerspruch

2. Der Textzusammenhang

3. Die pointierende Darstellungsweise

4. Andere Hinweise in der Bibel

5. Kontraproduktive Sorge

6. Analoga

 

 

1. Der Widerspruch

 

Im Matthäus-Evangelium Kapitel 6,25-34 und im Lukas-Evangelium Kapitel 12, 22-32 begegnen wir mit fast gleichen Worten einer Aussage Jesu, welche zumindest auf den ersten Blick aller heute üblichen Ratschläge für einen mustergültigen Bürger zu widersprechen scheinen. Dort lesen wir:

 

‚Sorgt euch nicht um euer Leben!‘

 

Und Jesus fährt fort:

 

‚und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt….

 

Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?...

 

Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.‘

 

Von einem mustergültigen Bürger erwarten wir ganz im Gegensatz zu diesen Feststellungen, dass er Vorsorge betreibt. Dass er dann, wenn er heute im Überfluss lebt, die Teile, welche er heute entbehren kann, zurücklegt und Vorräte bildet, damit er morgen auf diese Vorräte zurückgreifen kann, wenn aus den verschiedensten zufälligen Gründen heraus das sonst übliche Einkommen unerwartet ausfällt.

 

Zwar sammelt der Einzelne in unserer modernen Welt nicht mehr die einzelnen für die Lebensführung notwendigen Waren in Natura, dies wäre auch sehr schwierig, da sich nicht alle für die Lebensführung unerlässlichen Güter aufbewahren lassen.

 

Wir legen vielmehr einen Teil des heute nicht benötigten Einkommens in Geldform zurück und legen diese Gelder in Sparbüchern oder vielleicht auch Wertpapieren an und können dann in Zukunft aufgrund einer funktionierenden Geldordnung diese Wertpapiere wieder abstoßen und mit Hilfe des hierdurch erworbenen Geldes in Zukunft zumeist die dann benötigten Waren einkaufen.

 

Diese Vorsorge wird in unserer Gesellschaft für so wichtig gehalten, dass der Staat finanzielle Anreize setzt, um eine solche Vorsorge anzuregen. So lassen sich z. B. die Aufwendungen für Kranken-, Unfall- oder Altersversicherung von der Einkommensteuer absetzen oder der Staat gewährt auf bestimmte Ersparnisse Prämien.

 

Auch die bereits erwähnten Sozialversicherungszweige (Kranken-, Unfall- oder Altersversicherung) stellen bereits eine von der Gesamtgesellschaft her organisierte Vorsorge dar. Wenn diese Vorsorge nicht in Form von Sozialversicherung, sondern als staatlich finanzierte Versorgungseinrichtungen betrieben wird, wird schon in der Wortwahl: ‚Versorgung‘ die Verbindung zur Sorge für das zukünftige Leben angedeutet.

 

Oder nehmen wir das Beispiel der Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge. Jeder, welcher ein Kraftfahrzeug erwirbt, ist danach verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Die Verpflichtung hierzu wird damit begründet, dass im Falle eines von dem Kraftfahrzeughalter verursachten Unfalls der Kraftfahrzeughalter für diesen von ihm verursachten Schaden aufkommen muss, dass aber dieser Schaden sehr oft so hoch ausfällt, dass der Einzelne vollkommen überfordert wäre, diese Ausgaben aus seinem laufenden Einkommen zu bezahlen. Eine Haftung kann nur garantiert werden, wenn die Beseitigung größere Schäden von einer Versicherungsgemeinschaft übernommen wird.

 

Unsere alltägliche Sorge bezieht sich jedoch nicht allein darauf, dass wir in guten Zeiten Teile unseres Einkommens sparen und uns gegen die Unsicherheiten versichern lassen. Auch das Planen stellt eine Art Sorge dar. Und unser gesamtes Leben vollzieht sich im Planen.

 

Dies beginnt bereits bei der Erziehung der Kinder, welche ja den Zweck erfüllt, die Heranwachsenden auf das zukünftige Leben als Erwachsene so vorzubereiten, dass der Einzelne auf der einen Seite in die Lage versetzt wird, sein eigenes Leben zu gestalten, dass aber auf der anderen Seite der Einzelne auch lernt, seine Mitmenschen nicht zu schädigen und ihnen hilfreich zur Seite zu stehen, wenn sie der Hilfe bedürfen.

 

Dieses Planen setzt sich fort, wenn sich die Individuen auf ihren Beruf vorbereiten, weiterhin bedarf jede Unternehmung, welche Güter produziert, einen Plan, der darüber bestimmt, was, wie viel und mit welcher Technik produziert werden soll. Und auch alle staatlichen Aktivitäten unterliegen dem Zwang, dass nur bei einem Minimum von Voraussicht überhaupt die alltäglichen gesellschaftlichen Probleme einigermaßen befriedigend gelöst werden können.

 

Für das alltägliche Leben gilt somit alles andere als ‚Sorget euch nicht‘.

 

 

2. Der Textzusammenhang

 

Nun könnte man ja einwenden, dass es Menschen waren, welche die Reden Jesu aufgezeichnet haben, dass Menschen unvollkommen sind in jeder Hinsicht und dass deshalb im Einzelnen immer wieder damit gerechnet werden muss, dass einige Passagen aus der Bibel nicht korrekt wiedergegeben wurden.

 

Aber auch dann, wenn wir in formaler Hinsicht die Reden Jesu korrekt wiedergeben, besteht durchaus die Gefahr, dass die Ansichten des Zitierten trotz wörtlicher Zitate verfälscht wiedergegeben werden, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Das wohl berühmteste Beispiel für diese Möglichkeit ist die Emser Depesche.

 

Zur Erinnerung:  Im Jahre 1868 war der spanische Thron verwaist, da die bisherige Königin Isabella vertrieben wurde. Die Spanier bemühten sich um eine Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen. Der französische Kaiser Napoleon III. setzte sich bei dem preußischen König Wilhelm I. dafür ein, mit aller Gewalt diese Thronfolge zu verhindern, er drohte auch mit Krieg, falls es dazu komme, da er befürchtete, dass Frankreich in diesem Falle von einer Allianz zwischen Spanien, Österreich und Preußen eingekreist werde.

 

Es fanden mehrere Gespräche zwischen dem französischen Botschafter und dem deutschen Kaiser statt, in denen Frankreich darauf drang, dass sich der preußische König öffentlich festlegte, eine solche Kandidatur  nicht zu dulden. Auch nachdem der Prinz Leopold auf eine Kandidatur verzichtet hatte, bestand Frankreich nach wie vor auf eine formelle Ablehnung einer Kandidatur des Prinzen Leopold, auch für alle Zukunft.

 

König Wilhelm I. lehnte dieses Ansinnen ab, da es seiner Meinung nach einer Demütigung Preußens gleichkäme. Nach seinem letzten Gespräch in dieser Sache mit dem französischen Botschafter Graf Benedetti in Bad Ems ließ der König Bismarck eine Depesche zukommen, in der er mitteilen ließ, dass er es gegenüber Graf Benedetti abgelehnt habe, sich für alle Zeiten in dieser Frage festzulegen, im übrigen erwarte er noch einen ausführlichen Bericht seitens Bismarck und könne deshalb ohnehin noch nichts Endgültiges sagen.

 

In einem weiteren Absatz erwähnt die Depesche, dass er (der König) in der Zwischenzeit den Bericht Bismarcks erhalten habe und dass er durch einen Adjutanten dem französischen Botschafter sagen ließ, dass er diese Nachricht nun erhalten habe, dass sich aber seine ablehnende Haltung seit dem letzten Gespräch mit dem französischen Gesandten nicht verändert habe und dass sich deshalb ein weiteres Gespräch erübrige. Die Depesche endet mit dem Hinweis, dass der König Bismarck anheimstelle, den Inhalt dieser Depesche der Presse mitzuteilen.

 

Bismarck ließ nun diese Emser Depesche in einer stark verkürzten Form veröffentlichen. Es wird darin festgehalten, dass der französische Gesandte auch nach dem offiziellen Rücktritt des Prinzen Leopold von einer Kandidatur auf den spanischen Thron den preußischen König Wilhelm I. aufgefordert habe, für alle Zeiten sich gegen eine Kandidatur von Leopold auszusprechen. Es folgt dann unmittelbar der Satz, der König habe es hierauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.

 

In dieser Form musste die Verlautbarung des preußischen Königs wie ein Affront gegenüber Frankreich erscheinen, vor allem auch deshalb, weil das französische Büro bei der Übersetzung dieser Depesche ins Französische nicht von einem Adjutanten, sondern von einem Unteroffizier sprach.

 

König Wilhelm hatte jedoch in keiner Weise die Absicht, den französischen Kaiser vor den Kopf zu stoßen und zu beleidigen, er wollte nur zum Ausdruck bringen, dass er eben nicht dem Wunsch des französischen Kaisers in der Sache folgen könne und dass sich seine Meinung in dieser Frage seit der letzten Unterredung mit dem französischen Botschafter nicht verändert habe und dass sich aus diesen Gründen ein weiteres Treffen erübrige.

 

Soweit zur Emser Depesche als Beispiel dafür, dass auch wörtliche Zitate etwas verkürzt den Sinn einer Aussage in ihr Gegenteil kehren können. Wir haben uns also zu fragen, ob unter Umständen die Aufforderung Jesu, sich nicht zu sorgen, deshalb falsch verstanden werden konnte, weil wir diese Aussagen aus ihrem größeren Zusammenhang herausgerissen haben. Überprüfen wir also, ob der Sinn dieser Aussagen Jesu verändert und abgemildert wird, wenn wir das oben zitierte Zitat mit den Texten vergleichen, die diese Aussagen begleiten.

 

Da erfahren wir, dass Jesus seinen Jüngern vorhält, ob nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung sei?

 

Bereits durch diese Frage wird der Sinn des obigen Zitates (‚sorget euch nicht‘) relativiert. Es geht offensichtlich nicht um die Sorge ganz allgemein, Jesus will offensichtlich den Jüngern nicht etwa raten, dass sie sich überhaupt nicht sorgen sollen, sondern Jesus kritisiert, dass sich die Juden der damaligen Zeit offensichtlich um falsche Dinge sorgen, dass sie also aus Sorge um die täglichen Bedürfnisse das eigentliche Ziel eines jeden gläubigen Menschen außer Acht lassen, nämlich sich stets darum zu sorgen, dass man selbst alles dazu beiträgt, nach dem Tode ins Himmelreich einzugehen.

 

Eine solche Relativierung des obigen Zitates stimmt auch mit der Tatsache überein, dass in der Bibel ganz allgemein nicht wie es in einer wissenschaftlich-philosophischen Abhandlung der Fall wäre, als erstes die letztlichen, immer gültigen Maximen festgestellt werden, sondern dass es sich in den meisten Fällen mit Ausnahme des Dekaloges um Anwendungen dieser immer gültigen Maximen auf eine ganz besondere und konkrete Situation handelt.

 

Wenn z. B. der Schöpfungsbericht des Alten Testamentes damit endet, dass Gott die Menschen auffordert: ‚wachset und vermehret euch‘, so handelt es sich hierbei sicherlich nicht um eine immer gültige Maxime. Sich zu vermehren, soweit es nur möglich ist, gilt sicherlich vor allem für die Zeiten, in denen die Erde menschenleer war, nicht aber für die heutige Zeit, in welcher die knappen Ressourcen kaum ausreichen, die bestehende Bevölkerung zu ernähren. Vielmehr ist Gottes Aufforderung, zu wachsen und zu vermehren als eine konkrete Anwendung der immer gültigen Maxime zu verstehen, stets ein vernünftiges Verhältnis zwischen vorhandenem Nahrungsspielraum und Bevölkerungsanzahl einzuhalten.

 

In diesem Sinne können wir davon ausgehen, dass auch Jesus in aller Regel seine Ermahnungen als eine konkrete Anwendung der immer gültigen religiösen Werte betrachtet. Offensichtlich zeichneten sich die führenden Israeliten zur Zeit Jesu unter anderem dadurch aus, dass sie sich allzu sehr um die täglichen Bedürfnisse kümmerten und hierbei die Sorge um das ewige Leben außer Acht gelassen haben.

 

Und in diesem Sinne widerspricht die Aufforderung Jesu, sich nicht um das irdische Leben zu kümmern, überhaupt nicht dem hohen Stellenwert der Sorge im heutigen Leben. Die Aufforderung Jesu bezieht sich dann in Wirklichkeit nur darum, bei der alltäglichen Sorge nicht die wichtigeren Ziele zu vernachlässigen.

 

In der hier zur Diskussion stehenden Rede fragt Jesus seine Jünger weiter, „wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“

 

Auch in diesem Ausspruch klingt der Vorwurf durch, dass die damals lebenden Israeliten offensichtlich stärker darum bemüht waren, ihr irdisches Leben zu verlängern und über diese Sorge vergessen haben, sich vorrangig darum zu sorgen, die Voraussetzungen dafür zu erlangen, nach dem Tode ins Himmelreich einzugehen. Auch hier wiederum geht es nicht primär darum, dass Jesus seinen Zuhörern vorwerfen möchte, dass sie sich zu viel Sorgen machen, sondern dass ihre Sorgen falschen Zielen dienen, dass also die Gewichtung der angestrebten Ziele falsch ist.

 

Die Ermahnung Jesu an seine Jünger endet mit der Aufforderung: ‚Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen‘

 

Auch hier mahnt Jesus in allererster Linie eine richtige Gewichtung der Ziele an, um derentwillen sich die Menschen sorgen. Allerdings fährt Jesus mit einigen Bemerkungen weiter, welche in der Tat auf einen etwas anderen Zusammenhang hinweisen. Er spricht nämlich davon: ‚dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.‘

 

Diese Schlussworte richten sich in der Tat auch gegen die Sorge als solche, unabhängig davon, für welchen Zweck die Sorge gilt. Sorgen zumindest in unserem heutigen allgemeinen Verständnis hat es immer mit dem ‚Morgen‘ zu tun. Im ‚Heute‘ haben wir das auszubaden, um das wir uns im ‚Gestern‘ nicht gekümmert haben.

 

Diese Aussagen Jesu machen offensichtlich deutlich, dass es Jesus mit seiner Rede nicht nur darum ging, dass das ‚Wichtigere‘ nicht vor lauter Alltagssorgen vergessen und vernachlässigt werden soll. Offensichtlich will Jesus uns auch ermahnen, dass eine allzu große Sorge für das alltägliche Leben Ausdruck eines mangelnden Glaubens Gott gegenüber darstellt:

 

‚Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.‘

 

Aber gerade diese Ermahnung steht offensichtlich in Widerspruch zu allem, was wir alltäglich erleben. In Anbetracht dessen, dass es auf dieser Welt immer wieder Hungersnöte gibt und dass Jahr für Jahr Abertausende von Menschen an mangelnder Nahrung sterben, fragt es sich, ob ein solches Gottvertrauen uns Menschen überhaupt zugemutet werden kann.

 

Natürlich mag es in vielen Fällen richtig sein, dass der einzelne in Not Geratene selbst die Verantwortung für sein Elend trägt und dass er es an der notwendigen (und auch von Jesus bejahten) Sorgfalt mangeln ließ. In einem jedoch sicherlich noch sehr viel größeren Umfang müssen wir feststellen, dass nicht die mangelnde Sorgfalt des Einzelnen, sondern die Bosheit der jeweils Anderen dieses Elend verursacht hat und dass darüber hinaus Naturkatastrophen in sehr vielen Fällen diese Not bewirkt haben.

 

Und wenn man dann zur gleichen Zeit auch davon überzeugt ist, dass alles, was hier auf Erden geschieht, Gottes Willen ist und von ihm bewirkt wurde, kommt man in der Tat in große Erklärungsnot. Gehen nicht alle monotheistischen Religionen davon aus, dass Gott gerecht, barmherzig und gütig ist und widerspricht dieser Glaube nicht der gleichzeitigen Überzeugung, dass es Gott selbst ist, welcher alles, also auch das Elend der Menschen, bewirkt hat, obwohl er doch als gütig und allmächtig gilt?

 

In Beantwortung dieser Frage müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass solche offensichtlichen Widersprüche in der Bibel sicherlich nicht von Gott gewollt sind, dass hier vielmehr Fehldeutungen der Menschen vorliegen, welche die Offenbarungen der Bibel deuten. Wir müssen stets damit rechnen, dass die Menschen, welchen Gott sich offenbart hat oder welche diese Botschaften weitergetragen haben, im Gegensatz zu Gott unvollkommen sind und deshalb durchaus die Botschaft Gottes nicht immer vollkommen erkannt und weitergegeben haben.

 

Das Vorliegen von Not und Elend hier auf Erden kann nämlich auch ganz anders erklärt werden. Nichts geschieht zwar ohne Wissen und Willen Gottes, Gott hat aber den Menschen im Gegensatz zu den Tieren als ein freies Wesen erschaffen und dies schließt ein, dass Menschen durchaus gegen den Willen Gottes handeln und auf diese Weise Not und Elend hervorrufen können.

 

In diesem Falle ist es nicht Gott, sondern sind es die Menschen, welche dieses Elend herbeiführen. Wir können allenfalls davon sprechen, dass Gott diese Taten der Menschen um eines höheren Zieles (der Freiheit der Menschen) willen zulässt. Ganz im Gegensatz hierzu will Gott, dass die Menschen sich nicht schaden und dass sie sich in Not einander helfen. Gerade hierzu hat Gott die zehn Gebote erlassen und hat Jesus die Nächstenliebe zugleich mit der Gottesliebe als wichtigstes Gebot benannt. Und im Gleichnis vom Weltgericht (Matthäus 25,45) erfahren wir, dass Gott die Not der Menschen sich zu eigen macht: ‚Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.‘

 

Es bleiben somit die auf den ersten Blick offenbar vom Menschen nicht unmittelbar verursachten Naturkatastrophen. Aber selbst hier gilt es daran zu erinnern, dass es die ersten Menschen waren, welche das Gebot Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, übertreten haben, damit das Paradies verwirkt haben und in Kauf genommen haben, unter den viel schlechteren Bedingungen dieser Erde ihr Leben zu fristen.

 

Nach der Vertreibung aus dem Paradies hatte Gott die Menschen aufgefordert: ‚macht euch die Erde untertan‘. Dies bedeutet, die Naturgesetze zu studieren und entsprechend dieser Kenntnisse zu handeln. Aufgrund unserer heutigen Kenntnis der Naturgewalten wissen wir, dass auch der Mensch durch sein naturwidriges Handeln an den Naturkatastrophen nicht ganz unschuldig ist und somit selbst hier das durch Naturkatastrophen verursachte Leid mitverursacht hat.

 

 

3. Die pointierende Darstellung

 

Um den Sinn der hier zu behandelnden Aussage Jesu besser zu verstehen, müssen wir uns auch mit der Darstellungsweise befassen, welche Jesus in seinen Gleichnissen angewandt hat. Er wählte oftmals eine pointierende, zuspitzende Formulierung, so wie sie übrigens auch in anderen Teilen des damaligen Orients angewandt wurde. Es wurde bewusst übertrieben, um auf diese Weise die Zuhörer aufzurütteln und zu einer Umkehr zu bewegen.

 

In der Offenbarung des Johannes in Kapitel 3,15 heißt es: ‚Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.‘ Es ist also notwendig, die Zuhörer zuerst aus ihrer Lethargie aufzurütteln.

 

Das wohl eindeutigste Beispiel für eine solche Zuspitzung ist Jesu Aussage, dass ‚eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Himmelreich eingehe‘. Wollten wir diese Aussage wortwörtlich nehmen, dann müssten wir folgern, dass es für einen Reichen vollkommen ausgeschlossen sei, dass er der ewigen Verdammnis entgeht und nach seinem Tode ins Himmelreich eingeht, da ja ein Kamel – auch nicht das kleinste – in keinem einzigen Fall durch ein Nadelöhr  – auch nicht durch das allergrößte – gehen kann.

 

Vielmehr will Jesus eben in zugespitzter und deshalb wirksamerer Weise darauf aufmerksam machen, dass Reiche es außerordentlich schwer haben, den christlichen Vorstellungen eines gläubigen Lebens zu entsprechen. Auch gilt hier als Reicher sicherlich nicht jeder, der über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und Vermögen verfügt, sondern in erster Linie ein Mensch, der sich allein von dem Begehren leiten lässt, sein Vermögen zu mehren, unabhängig davon, ob er damit dem Gebot der Nächstenliebe entspricht oder nicht. Dass keine wörtliche Übersetzung dieses Kernsatzes vom Kamel und dem Nadelöhr gemeint war, geht schon daraus hervor, dass Jesus sehr wohl freundschaftlichen Kontakt mit Reichen pflegte.

 

Die Feststellung (dass kein Reicher das ewige Heil erreiche) widerspricht nämlich eindeutig der Bibelstelle über Zachäus, einem sehr reichen Zollpächter, in der Jesus zu Zachäus sagte: ‚Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.‘ Wenn Zachäus das Heil geschenkt wurde und wenn auch er als Sohn Abrahams bezeichnet wird, ist auch er ein Anwärter auf das jenseitige Reich Gottes.

 

Aber die Feststellung, dass kein einziger Reicher in das Himmelreich gelangen kann, steht auch bereits in Widerspruch zu dem Einleitungssatz dieses Gleichnisses: ‚Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen.‘ Wenn etwas schwer ist, dann ist es nicht unmöglich, dann bedarf es zwar starker Anstrengungen eines Reichen, aber wenn er sich Mühe gibt, kann er es sehr wohl erreichen, ins Reich des Himmels einzugehen.

 

Vor allem aber stünde eine solche Feststellung, kein einziger Reicher gelange ins Himmelreich, in eindeutigem Widerspruch zu der Antwort, welche Jesus seinen Jüngern gab, als diese über dieses Gleichnis vom Kamel, das durch kein Nadelöhr geht, entsetzt waren und vermeinten, dass dann ja nahezu niemand das Heil erreichen könne: ‚Jesus sah sie an und sagte zu ihnen: Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.‘ Danach kann sehr wohl auch ein Reicher ins Himmelreich eingehen.

 

Aber auch die Art und Weise, wie Jesus das Bild vom Kamel und dem Nadelöhr einleitet, verbietet eigentlich die Feststellung, dass kein einziger Reicher ins Himmelreich eingehen kann. Jesus hatte in einem ersten Satz davon gesprochen, dass es ein Reicher schwer habe, ins Himmelreich einzugehen. Dies bedeutet, dass es keinesfalls ausgeschlossen ist, dass je ein Reicher in das Reich Gottes gelange. Jesus fährt dann fort: ‚Nochmals sage ich euch‘, um dann das Bild vom Kamel anzuschließen.

 

Wollte Jesus durch den Vergleich mit dem Kamel aussagen, dass kein einziger Reicher das Himmelreich erreiche, hätte er vielleicht fortfahren können: ‚nein es ist nicht nur schwierig, sondern sogar unmöglich für einen Reichen, ins Himmelreich einzugehen, die Unmöglichkeit würde dann in mehreren Schritten aufgezeigt. In Wirklichkeit sagt Jesus jedoch, nochmals sage ich euch, er bringt damit zum Ausdruck, dass er den Inhalt der ersten Aussage (es ist schwierig) wegen der Wichtigkeit der Aussage wiederholen möchte, indem er ein Bild benutzt, das jeder Zuhörer sofort erkennen kann.

 

Und wenn wir nun diesen Zusammenhang auch auf die Aufforderung Jesu, sich nicht um das Leben zu sorgen, übertragen, müssen wir auch hier davon ausgehen, dass die einzelnen Ermahnungen Jesu nicht so sehr wortwörtlich zu verstehen sind, dass es hierbei nicht darum geht, die Jünger aufzufordern, planlos in den Tag zu leben, sondern dass Jesus wiederum nur von der Feststellung ausgeht, dass sich die damalige Bevölkerung all zu sehr den alltäglichen Problemen zugewandt und hierüber die eigentlichen wichtigen Ziele des Lebens vergessen und hintangestellt hatte.

 

 

4. Andere Hinweise in der Bibel

 

Wenn einzelne Bibelstellen in Widerspruch zu unseren allgemeinen Grundregeln geraten, lässt sich der Wahrheitsgehalt einer Bibelstelle auch dadurch klären, dass man den Inhalt der einzelnen Bibelstellen miteinander vergleicht.

 

Wenn z. B. eine Aussage mit einer Vielzahl anderer Bibelstellen in Widerspruch gerät und diese anderen Stellen als gesichert gelten, dann wird man vermuten können, dass sich bei Niederschrift der Bibeltexte Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Umgekehrt gilt aber auch, dass dann, wenn andere Bibelstellen die gleichen Aussagen enthalten, dies als Bestätigung für die Richtigkeit dieser Stelle angesehen werden kann.

 

Natürlich gehen Gläubige davon aus, dass der Heilige Geist über den Wahrheitsgehalt der Bibel entscheidet. Diese Feststellung ist jedoch weniger so zu verstehen, dass mit diesem Hinweis bereits jede einzelne Bibelstelle als korrekt angesehen werden muss, sondern vielmehr eher in dem Sinne, dass das Wirken des Heiligen Geistes zur Folge hat, dass Ungenauigkeiten mit der Zeit erkannt und berichtigt werden, wobei gerade die kontroverse Diskussion unter den Theologen wesentlich zur Klärung beiträgt.

 

Fragen wir also nach den Äußerungen Jesu an anderer Stelle der Evangelien, welche das Thema der Sorge ebenfalls aufgreifen. 

 

Betrachten wir nun als erstes das Gleichnis von den zehn Jungfrauen. Bei Matthäus Kapitel 25,1-13 lesen wir u. a.: ‚Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen.

 

Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit.

 

Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!

 

Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den  Händlern und kauft, was ihr braucht.

 

Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.‘

 

Die Ankunft Jesu am Ende der Zeiten wird in diesem Gleichnis damit verglichen, dass der Bräutigam zur Wohnung seiner Braut kommt, wobei die Braut das zukünftige Reich (die christliche Gemeinde) symbolisiert. Die Jungfrauen sind die Gläubigen, ein Teil der Gläubigen, die klugen Jungfrauen haben nicht nur die göttliche Botschaft erhalten (sie sind mit Lampen ausgerüstet), sondern befolgen auch Gottes Gebote, sie haben in der Sprache des Gleichnisses für Öl gesorgt, das sicherstellt, dass die Lampen auch stets leuchten, dass also das Verhalten der Gläubigen stets vorbildlich ist.

 

Die törichten Jungfrauen haben zwar auch die Botschaft erfahren (sie sind ebenfalls in Besitz der Lampen), sie verhalten sich jedoch nicht wie erforderlich, weil sie glauben, dass das Ende der Zeiten noch lange nicht kommt, dass sie sich somit irdischen Freuden zuwenden können, da noch lange Zeit zur Umkehr bleiben wird.

 

In diesem Gleichnis werden diejenigen getadelt und bestraft, welche keine Vorsorge getroffen hatten, natürlich handelt es sich hier um eine Sorge für das allerwichtigste, es war ja in dem Gleichnis die wichtigste Aufgabe der Jungfrauen, den Bräutigam zu empfangen.

 

Betrachten wir nun ein zweites Gleichnis, das Gleichnis vom anvertrauten Geld bei Matthäus, Kapitel 25,14–30:

 

Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. …

 

Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn….

 

Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener…

 

Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.

 

Auch hier wiederum wird derjenige bestraft, der sich nicht um die Vermehrung des Vermögens sorgte und gleichzeitig die anderen Knechte, welche mit dem Geld arbeiteten, also eine Vermehrung des Geldes planten und somit Vorsorge betrieben, gelobt und belohnt. Aber auch hier ging es nur vordergründig um irdische Sorgen.  Das Gleichnis steht vielmehr für die Sorge im Zusammenhang mit der eigentlichen Aufgabe der Diener.

 

Betrachten wir als drittes Beispiel das Gleichnis von der falschen Selbstsicherheit des reichen Mannes, das im Lukasevangelium, Kapitel 12,13–21 erzählt wird:

 

‚Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!

 

Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast? So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.‘

 

Dieses Gleichnis geht nun im Gegensatz zu den beiden ersten Beispielen auf eine Sorge ein, die allein dem Wohlsein hier auf Erden dient, eine Sorge, die diesen Mann so einnimmt, dass er darüber seine Sterblichkeit vergisst und nichts unternimmt, um vor Gott zu bestehen.

 

Jesus war weiterhin stets bemüht, die Lehren der Propheten zu erfüllen: ‚Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist (Mt 5,17-18).

 

Wir wollen deshalb zum Abschluss dieses Abschnittes ein Beispiel aus dem Alten Testament betrachten, das wiederum von der Sorge der Menschen handelt. In Buch Genesis Kapitel 41,34-36 erfahren wir von der Deutung des Traumes des Pharaos von den sieben wohlgenährten und den sieben mageren Kühen durch Joseph. Hierbei deutete Josef den Traum wie folgt:

 

‚Der Pharao möge handeln: Er bestelle Bevollmächtigte über das Land und besteuere Ägypten mit einem Fünftel in den sieben Jahren des Überflusses. Die Bevollmächtigten sollen alles Brotgetreide der kommenden guten Jahre sammeln und auf Weisung des Pharao Korn aufspeichern; das Brotgetreide sollen sie in den Städten sicherstellen. Das Brotgetreide soll dem Land als Rücklage dienen für die sieben Jahre der Hungersnot, die über Ägypten kommen werden. Dann wird das Land nicht an Hunger zugrunde gehen.‘

 

Diese Erzählung wird ausdrücklich mit dem Satz, den Josef an den Pharao richtete, eingeleitet: ‚Nicht ich, sondern Gott wird zum Wohl des Pharao eine Antwort geben.‘

 

Auch hier wird die Vorsorge der Menschen als höchst erwünscht angesehen. Im Gegensatz zu den ersten drei Beispielen geht es hier aber weniger um die Sorge für das ewige Leben. Die Kornspeicher, die angelegt werden sollten, dienten ja dem irdischen Überleben.

 

Dieses Beispiel zeigt also, dass auch eine Sorge um das irdische Leben durchaus erwünscht sein kann. Diese Sorge darf nur nicht so stark werden, dass darüber die viel wichtigere Sorge für das ewige Leben vergessen wird. Und nur in diesem Sinne ist die Ermahnung Jesu zu verstehen, wenn er seinen Jüngern empfiehlt, sich nicht um das Leben zu kümmern.

 

Es geht immer um ein zu viel irdischer Sorgen und ein zu wenig an Sorgen um das Seelenheil. Und die Ermahnung, sich nicht um das irdische Wohl zu kümmern, erfolgte deshalb, weil zu der Zeit Jesu viele Juden offensichtlich vor der Sorge um das irdische Leben die Sorge um das Seelenheil vollständig vernachlässigt hatten.

 

 

5. Kontraproduktive Sorge

 

Wir kamen also bisher zu dem Ergebnis, dass die Ermahnung Jesu, wir sollten uns nicht um das alltägliche Leben kümmern, uns in erster Linie davor bewahren soll, vor lauter Sorge um das alltägliche Leben die viel wichtigere Sorge um das ewige Leben zu vernachlässigen.

 

Wir haben uns aber auch zu fragen, ob wirklich das Ausmaß an Sorge für das alltägliche Leben nicht auch für sich allein betrachtet bisweilen zu groß ist, ob es nicht auch eine kontraproduktive Sorge gibt.

 

In der Tat gibt es nicht nur Sorgen, welche wohlfahrtssteigernd wirken, sondern auch Sorgen, welche gar nichts Positives bewirken, ja sogar Sorgen, welche eindeutig eine Minderung unserer materiellen und immateriellen Wohlfahrt auslösen.

 

Wir hatten oben erwähnt, dass ein großer Teil der Sorgen um das alltägliche Leben darin besteht, dass wir ein Teil unseres Einkommens sparen und damit für den Konsum in der Zukunft reservieren.

 

Wenn wir auch davon ausgehen können, dass Sparen sehr oft geeignet ist, unsere materielle Wohlfahrt zu erhöhen, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dieser mögliche positive Effekt stets dadurch entsteht, dass Sparen immer positive wie negative Effekte auslöst.

 

Sparen bedeutet ja zweierlei: Erstens verzichten wir in der Gegenwart auf sonst möglichen Konsum. Hätten wir nicht Teile unseres heutigen Einkommens zurückgelegt, hätten wir in der heutigen Periode mehr Güter konsumieren können und damit unser heutiges Wohlfahrtsniveau vergrößern können. Auf diese mögliche Wohlfahrtssteigerung in der heutigen Periode verzichten wir also bewusst, wenn wir sparen.

 

Dies sind jedoch keineswegs alle negativen Effekte des Sparens. Weitere Kosten entstehen uns beim Sparen im Zusammenhang mit der Anlage der Ersparnis. Bunkern wir die Ersparnisse z. B. in Form von Gold oder Schmuck zu Hause, so laufen wir die Gefahr, dass die Ersparnisse gestohlen werden. Um die negativen Auswirkungen eines möglichen Diebstahls zu verringern, können wir eine Versicherung abschließen, für diesen Versicherungsabschluss entstehen uns jedoch auf jeden Fall zusätzliche Kosten in Form der Versicherungsgebühren.

 

Kostenfrei ist das Sparen jedoch auch dann nicht, wenn wir die Ersparnisse in Wertpapieren anlegen. Wertpapiere ermöglichen den Unternehmungen Investitionen und nahezu jede Investition ist mit mehr oder weniger hohen Risiken verbunden. Eine Investition, welche dann, wenn alles so funktioniert wie gedacht, sagen wir 1000 € bringen würde, wird bei einem Risiko von 50% eben nur einen Erwartungswert von 500 € bringen und dies bedeutet wiederum Kosten in Höhe dieser fehlenden 500 €.

 

Diesen Kosten des Sparens stehen dann Nutzensteigerungen in den zukünftigen Perioden gegenüber, wenn diese Ersparnisse wieder aufgelöst werden und den Konsum in der Zukunft steigern helfen. Der materielle Gesamtgewinn einer Ersparnis entsteht dann aus dem Saldo der heutigen Kosten und der Nutzensteigerungen in der Zukunft. Hierbei müssen wir allerdings berücksichtigen, dass aus heutiger Sicht, in welcher die Entscheidung über die Ersparnis erfolgt, die gleiche Menge eines Konsumgutes in der Zukunft dann in aller Regel einen höheren Nutzenwert erhält, als wenn dieses Gut heute konsumiert würde.

 

Hierfür gibt es gute Gründe. Wir können davon ausgehen, dass der Nutzenzuwachs einer Einheit eines Konsumgutes immer geringer wird, je mehr wir bereits von diesem Gut konsumiert haben. Die Wirtschaftstheorie spricht hierbei von dem Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, ein Gesetz, das als erstes Gossen’sches Gesetz zu Ehren Gossens, der wohl als erster diese Gesetzmäßigkeit erkannt hatte, bezeichnet wird.

 

Gehen wir z. B. davon  aus, dass wir in Zukunft, wenn wir nicht mehr erwerbstätig sind, ein wesentlich geringeres Einkommen als heute beziehen. In diesem Falle steigt unser Gesamtnutzen über das gesamte Leben hinweg durch das Sparen an. Der heutige Nutzenverlust durch das Sparen ist im Verhältnis zum zukünftigen Nutzengewinn sehr gering, das Sparen lohnt sich auf jeden Fall.

 

Würden wir nur allein von dieser Gesetzmäßigkeit ausgehen, würden wir unseren Gesamtnutzen dann maximieren, wenn uns in allen Perioden, heute genauso wie in der Zukunft, die gleiche Geldsumme zur Verfügung stehen würde.

 

Eugen von Böhm-Bawerk, einer der Hauptvertreter der Neoklassik hat allerdings die These aufgestellt, dass die Menschen ganz allgemein den Nutzen in der Zukunft mindereinschätzen. Auch dann, wenn es sicher wäre, dass ein bestimmtes Gut in der zukünftigen Periode einem Individuum den gleichen Nutzen stiften würde wie in der Gegenwart, würde dieses Individuum trotzdem in der heutigen Periode den zukünftigen Nutzen geringer einschätzen. Im Volksmund heißt es hierzu: Das Hemd ist uns näher als der Rock.

 

Ich möchte allerdings bezweifeln, ob es sich hierbei wirklich um ein – für jeden Menschen gültiges – Gesetz handelt. Es ist nämlich auch eine hierzu entgegengesetzte Verhaltensweise denkbar. Wenn wir uns dafür entscheiden, Einkommenteile zu sparen, dann leisten wir zwar in der Gegenwart einen Konsumverzicht. Das Heute ist jedoch sehr schnell vergangen und vergessen. Im Gegensatz zu einer Entscheidung, diese Einkommensteile bereits heute zu konsumieren, haben wir bei einer heutigen Sparentscheidung heute die Vorfreude und morgen den vermehrten Genuss zukünftiger Güter. In diesem Fall gilt nicht ein Gesetz von der Minderschätzung zukünftiger Güter, sondern eher ein Gesetz der vermehrten Schätzung zukünftiger Güter.

 

Halten wir also fest: Denken wir an das Sparen als eine wichtige Form der Sorge, dann wird die Sorge von einem bestimmten Umfang an kontraproduktiv, es gibt also sicherlich auch ein Zuviel an Sorge um das alltägliche Leben, unabhängig davon, ob die Sorge nach dem ewigen Heil hierdurch vernachlässigt wurde.

 

Keynes wies sogar darauf hin, dass Sparen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, dann, wenn nicht in gleichem Maße seitens der Unternehmer Investitionen stattfänden, Arbeitslosigkeit hervorrufen könne und somit schädlich sei.

 

Dass Sorge im Einzelfall auch kontraproduktiv wirken kann, gilt aber nicht nur für die Formen der Sorge, welche im Sparen liegen. Eine übermäßige Sorge kann auch darin liegen, dass man aus lauter Sorge gelähmt ist und gar nicht mehr in der Lage ist, vernünftig zu denken und zu entscheiden und dass wir gerade deshalb Fehlentscheidungen treffen oder auch notwendige Entscheidungen unterlassen und gerade auf diese Weise Wohlfahrtsverluste erleiden.

 

Sorge um das tägliche Leben ist erwünscht, wenn aufgrund dieser Vorsorge Maßnahmen ergriffen werden können, aufgrund derer die befürchteten negativen Wirkungen ausgeschaltet  oder zumindest vermindert werden können. Oftmals haben wir jedoch keinen Einfluss auf die Ereignisse, die uns bedrohen. In diesem Falle bringt uns jedoch annahmegemäß das Sorgen um die Zukunft keinerlei Gewinn, ganz im Gegenteil wir vermindern hierdurch unsere heutige Lebensqualität, es wäre viel besser gewesen, heute Ruhe zu bewahren und das Leben wie gewohnt fortzufahren.

 

 

6. Analoga

 

In unseren bisherigen Überlegungen hatten wir gezeigt, dass die Ermahnung Jesu in dem Sinne verstanden werden kann, dass wir vor lauter Sorgen um das alltägliche Leben, die Sorge um das viel wichtigere Ziel des ewigen Heils nicht außer Acht lassen dürfen und dass es auch sicherlich Formen der Sorge um das alltägliche Leben gibt, welche wohlfahrtsmindernd wirken und gerade deshalb unerwünscht sind.

 

Wir hatten allerdings auch bereits angedeutet, dass Jesus mit seiner Ermahnung auch noch auf einen weiteren Aspekt abgehoben hat. Er wirft seinen Jüngern vor, ihnen mangle es an Gottvertrauen:

 

‚Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? …

 

Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.  Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.‘

 

Natürlich können wir nicht erwarten, dass auch die Ungläubigen unter uns diesem weiteren Aspekt zustimmen werden, sie glauben ja an keinen Gott. Aber wenn wir ehrlich sind, dürften auch die meisten gläubigen Menschen nicht nach dieser Maxime handeln, wer in den Tag hineinlebt, nichts unternimmt, um ein reguläres Einkommen zu beziehen, gilt auch den meisten Gläubigen als liederlich und keinesfalls vorbildlich, zumindest dann, wenn wir an die Sorgen der einzelnen Individuen unter uns denken.

 

Etwas anders sieht es allerdings aus, wenn wir die Notwendigkeit des Sorgens auf die gemeinschaftlichen und staatlichen Organe beziehen. Auf dieser Ebene begegnen uns nämlich durchaus ernst zunehmende Konzeptionen, welche davon sprechen, dass der Staat und die Gemeinschaft überfordert seien, wenn sie den Gesamtbereich einer Bevölkerung planen wollten und dass eine solche Planung auch gar nicht notwendig sei, da es in der Realität Mechanismen gäbe, welche diese Aufgaben automatisch erfüllen könnten, ohne Zutun der gemeinschaftlichen Akteure und auch weit besser als diese.

 

Ich möchte an dieser Stelle nur zwei solcher analogen Systeme (Analoga) diskutieren. Adam Smith, der Begründer der Wirtschaftswissenschaft in der Neuzeit, hatte die These entwickelt, dass die wirtschaftlichen Aufgaben der Koordination vom unpersönlichen Markt weit besser als von einer staatlichen Planungsbehörde erfüllt werden könnten.

 

Der anonyme Markt wirke von selbst darauf hin, die immer wieder entstehenden Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage abzubauen und er sei auch in der Lage, die Güterproduktion besser als eine staatliche Stelle an den Bedarf der Konsumenten anzupassen.

 

Und dies erfolge, obwohl keiner der Marktpartner etwas unternehme, um die Marktungleichgewichte zu verringern und obwohl das eigentliche Anliegen aller Marktteilnehmer in erster Linie darauf ausgerichtet sei, das eigene Wohl zu fördern.

 

Adam Smith sprach in diesem Zusammenhange davon, dass die wirtschaftlichen Marktprozesse wie von einer unsichtbaren Hand geleitet würden. Und August von Hayek, einer der wichtigsten liberalen Denker des 20. Jahrhunderts, hat darauf hingewiesen, dass es für die Beamten einer staatlichen Planungsbehörde ganz unmöglich sei, all die Informationen, welche notwendig sind, um eine Ausrichtung der Produktion am Bedarf der einzelnen privaten Haushalte herbeizuführen, zu eruieren. Dass die Politiker dies trotzdem immer wieder versucht hätten, nannte von Hayek eine Anmaßung von Wissen.

 

Wohlbemerkt, es wird in diesem Zusammenhang nicht bestritten, dass sich de facto innerhalb der realen Wirtschaftssystemen der Marktwirtschaft immer wieder Mängel, ja sogar sehr große Mängel beobachten lassen. Diese automatisch wirkenden Mechanismen können ihre Wirkung selbstverständlich nur dann ausüben, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, wenn man mit anderen Worten den Markt nicht außer Kraft setzt, sondern ihn auch wirken lässt.

 

Der Markt erreicht die beiden aufgezeigten Wirkungen (automatischer Abbau von Ungleichgewichten sowie Ausrichtung der Produktion am Bedarf der privaten Haushalte) dadurch, dass bei Auftreten eines Marktungleichgewichtes die Preise verändert werden und dass eben diese Änderungen in den Preisen zu Korrekturen sowohl des Angebotes wie auch der Nachfrage führen.

 

Wenn die Politik die Preise daran hindert, die Knappheiten widerzuspiegeln oder die Mengenanpassungen an Preisänderungen vorzunehmen, kann dieser Mechanismus natürlich nicht wirksam werden. Die Folge hiervon ist dann, dass die Knappheit verewigt wird und dass deshalb gerade die Mängel, welche es baldmöglichst zu beseitigen gilt, andauern werden.

 

Hierbei geht es in dieser Kritik nicht darum, dass die Versuche des Staates, die Ergebnisse des Marktes den politischen Zielsetzungen anzupassen, als unerwünscht bezeichnet werden. Kritisiert wird hier allein der Weg, den der Staat bei direkten Eingriffen ergreift. Es wird lediglich die Forderung erhoben, dass der Staat seine Zielsetzungen auf indirekte Weise, als mit Hilfe marktkonformer Maßnahmen, zu erreichen versucht. Direkte Eingriffe bedeuten immer, dass der Staat das wirtschaftliche Wachstum schwächt und sich gerade dadurch der Mittel beraubt, welche er zur Lösung der sozialen Ziele dringend benötigt.

 

Hier an dieser Stelle geht es mir weniger darum, das Pro und Contra der liberalen Markttheorie zu erörtern, es geht mir hier vielmehr allein darum, aufzuzeigen, dass auch in der Literatur der Aufklärer, welche ja im Allgemeinen gerade die Lehren der christlichen Kirchen bekämpft haben, Gedankengänge entwickelt wurden, welche in gleicher oder ähnlicher Weise die Gefahr sahen, dass es im Hinblick auf die Handlungen des Staates auch ein Zuviel an staatlicher Planung gibt, Gedankengänge also, welche auf automatisch wirkende Mechanismen setzen.

 

Bringen wir ein zweites Analogon. Auch die von Darwin entwickelte Evolutionstheorie kennt solche automatischen Prozesse, welche ohne Planung der einzelnen Menschen trotzdem Ergebnisse hervorbringen, welche eine Lösung anstehender Probleme herbeiführen.

 

In der populärwissenschaftlichen Literatur wird oftmals die Grundaussage der Darwin’schen Evolutionstheorie in dem Satz zusammengefasst, dass der Stärkere überlebe. In dieser Form erschöpft sich jedoch dieser Satz in einer Aussage ohne jeglichen inhaltlichen Gehalt. Dass der Stärkere überlebt, ist ja im Rahmen der Darwin’schen Lehre gerade nicht in dem Sinne gemeint, dass der physisch Stärkere überlebt. Denn dann würden heute die Dinosaurier die Erde beherrschen, aber diese sind ja gerade wegen des Wirkens dieser von Darwin beschriebenen Kräfte untergegangen.

 

Wenn man die Frage zu beantworten versucht, woran denn gemessen wird, wer im Rahmen dieser Theorie als der Stärkere zu gelten hat, so wird darauf verwiesen, dass derjenige als der Stärkere gilt, welcher aufgrund seiner größeren Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Veränderungen der Umwelt überlebt. Und dies hat überhaupt nichts mit der physischen Stärke eines Lebewesens zu tun.

 

Setzt man aber diese Definition in den oben erwähnten Lehrsatz ein, so wird festgestellt, dass derjenige, welcher aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit überlebt, tatsächlich überlebt, eine Binsenwahrheit ohne jeglichen Informationsgehalt.

 

In Wirklichkeit liegt die eigentliche Aussage der Darwin’schen Evolutionstheorie aber auch in ganz anderen Feststellungen. Bei jeder Geburt eines Lebewesens werden die Erbanlagen neu gemischt, gleichzeitig ereignen sich in diesem Zusammenhange  immer wieder Veränderungen in den Erbanlagen (die sogenannten Mutationen) und ein Teil dieser Mutationen erlaubt den von diesen Veränderungen in den Erbanlagen Betroffenen eine bessere Anpassung an die veränderten Umweltbedingungen.

 

Diese beiden Faktoren (neue Mischung der Erbanlagen sowie das Auftreten von Mutationen) bewirken nun automatisch, dass die von diesen Veränderungen betroffenen Lebewesen sich besser an die Umwelt anpassen und deshalb im Gegensatz zu den anderen Lebewesen die besseren Chancen aufweisen, zu überleben. Die Nichtangepassten werden aussterben und gerade auf diesem Wege findet eine Auslese statt, aufgrund derer nur die Angepassten überleben werden.

 

In dieser Formulierung enthält diese Theorie sehr wohl Informationen, welche vor Darwin nicht allgemein bekannt waren. Dass sich nämlich die Erbanlagen immer wieder ändern, ist ja keinesfalls selbstverständlich, denkbar wäre es ja auch gewesen, dass beim Entstehen neuen Lebens stets geklont werde, also immer identische und deshalb gleichbleibende genetische Anlagen jeweils auf die Kinder übertragen werden.

 

Und in dieser Form bezieht sich die von Darwin entwickelte Evolutionstheorie in der Tat wiederum auf einen automatisch wirkenden Mechanismus. Die Eltern planen im Geschlechtsprozess keineswegs eine bestmögliche Anpassung der Erbanlagen ihrer Kinder an mögliche Veränderungen in der Umwelt, auch hier bedarf es also im Hinblick auf eine lebenswichtige Frage keiner eigenen Planung seitens der Menschen.

 

Richard Dawkins spricht zwar in seinem 1976 erschienenen Buch über Evolutionsbiologie von dem egoistischen Gen, das eine bestmögliche Anpassung an die Veränderungen in der Umwelt herbeiführt, das Bild des egoistischen Gens darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass diese Anpassungsprozesse tatsächlich willentlich gesteuert werden. Natürlich können Gene nicht willentliche Strategien entwickeln, es handelt sich hierbei nur um ein Bild, um den hier vorliegenden automatischen Mechanismus der Vererbung besser zu verstehen.

 

Auch hier wiederum begegnen wir einer These, die in gleicher Weise wie in der von Jesus ausgesprochenen Ermahnung davon ausgeht, dass bestimmte notwendige Anpassungen automatisch erfolgen. Aber auch hier wiederum wurden diese Gedankengänge von einer Gruppe von Wissenschaftlern entwickelt, welche zumeist als Gegenposition gegenüber christlich-religiöser Lehren verstanden wurden.

 

Atheisten führen im Allgemeinen gerade die Ergebnisse der Darwin’schen Evolutionstheorie als Beleg dafür, dass es keinen Gott gäbe, der alles Leben und auch den Menschen erschaffen habe. Und in der Tat gab und gibt es andererseits auch heute noch einzelne Vertreter christlicher Religionen, welche die Darwin’sche Lehre als ketzerisch und unwahr ablehnen.

 

Und dies gilt, obwohl seit längerer Zeit unter den meisten theologischen Wissenschaftlern Einigkeit darüber besteht, dass die Bibel überhaupt nicht den Anspruch erhebt, irgendwelche empirischen Sachverhalte festzustellen. Die Bibel will vielmehr nach heutiger Überzeugung lediglich zu den metaphysischen Fragen Stellung beziehen, ob es einen Gott gibt und ob es nach dem Tode ein Fortbestehen der menschlichen Seele gibt und welche moralischen Werte aus dieser Erkenntnis folgen.

 

Die empirische Wissenschaft hat gar nicht die Möglichkeit, metaphysische Fragen endgültig zu beantworten, die Frage nach der Existenz eines Gottes kann mit wissenschaftlichen Mitteln gar nicht endgültig geklärt werden, aber gerade deshalb können sich Wissenschaft und Religion gar nicht widersprechen, ihre Aussagen beziehen sich stets auf getrennte Bereiche.

 

Wiederum geht es an dieser Stelle allein darum, aufzuzeigen, dass auch in der profanen Literatur sehr wohl Thesen formuliert werden, welche ebenfalls wie in der hier zu behandelnden Ermahnung Jesu davon ausgehen, dass in der Wirklichkeit Mechanismen in Kraft sind, welche automatisch ohne eigene Planung der Menschen wirken und dass es deshalb auch ein Zuviel an Sorge gibt. Insofern also stehen die Ermahnungen Jesu in diesem Zusammenhange auch gar nicht so sehr konträr zu unseren allgemeinen Überzeugungen.