SPD-Mitglieder gelten zumeist als stramme Keynesianer. Sie sehen das Heil in einer Defizitpolitik des Staates. Entsprechend der Keynesianischen Lehre ist in Zeiten der Rezession die private Nachfrage zu gering, um Vollbeschäftigung zu garantieren, es sei Aufgabe des Staates, die fehlende private Nachfrage dadurch zu ersetzen, dass der Staat Ausgabensteigerungen durchführt, welche nicht durch Steuererhöhungen abgedeckt werden.
Zunächst scheint diese Haltung der SPD durchaus verständlich, da Meinungsumfragen wiederholt bestätigt haben, dass für Arbeitnehmer die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtiger ist als ein hoher Lohn.
Es ist jedoch fragwürdig, ob auf diesem Weg, also über eine Verschuldung des Staates, Arbeitslosigkeit auf Dauer beseitigt werden kann. Eine Defizitpolitik hatte bisher nur kurzfristig Erfolg. Dies gilt weniger für den New Deal Roosevelts, da zwar der New Deal durchaus in der Lage war, die Beschäftigung zu steigern, der New Deal wurde jedoch weniger über eine Defizitpolitik erreicht, Beschäftigungssteigerungen traten vielmehr insbesondere aufgrund öffentlicher Beschäftigungsprogramme auf.
Sicherlich hatte jedoch Karl Schiller, der nach der ersten größeren Rezession im Nachkriegsdeutschland als Finanzminister der ersten großen Koalition durch eine keynesianische Fiskalpolitik die Rezession zu überwinden suchte, durchaus Erfolg.
Langfristig hat jedoch die Defizitpolitik die Massenarbeitslosigkeit nicht vermindert, obwohl nahezu alle größeren westlichen Nationen Defizitpolitik betrieben hatten. Die heutige Massenarbeitslosigkeit ist eher höher als zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Hierbei ergeben sich allerdings beachtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Nationen. Während die Arbeitslosigkeit vor allem in den Staaten wie z. B. Italien und Frankreich besonders hoch ist, welche eine hohe Staatsverschuldung ansteuerten, ist die Arbeitslosenrate in den Ländern, welche nur in gemäßigter Form Defizitpolitik betrieben, wesentlich geringer.
Dass eine Defizitpolitik zu einem Anfangserfolg führen konnte, lässt sich leicht erklären. Die zusätzliche Staatsnachfrage erhöhte die Preise und Gewinne der Unternehmer und aufgrund gestiegener Gewinnerwartungen stiegen die Produktion und damit auch die Beschäftigung.
Höhere Preise und Gewinne bedeuten jedoch gleichzeitig, dass die Lohnquote und die Reallohneinkommen in gleichem Umfang zurückgingen. Eine solche Entwicklung ließen sich die Gewerkschaften nicht gefallen, bestand doch eines der gewerkschaftlichen Hauptziele in einer Erhöhung der Reallöhne und der Lohnquote.
Sobald jedoch die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen höhere Löhne durchgesetzt haben, gehen die Anreize für die Unternehmer für eine erhöhte Produktion wieder zurück. Die Gewinnerwartungen sinken und mit ihnen die Bereitschaft zu einer erhöhten Produktion und Beschäftigung.
Genauso wie sich die Gewerkschaften an die veränderte Situation angepasst hatten, passen sich auch die Unternehmer an das veränderte Verhalten der Gewerkschaften an. Wenn die Gewinnerwartungen sinken, wird nun die Produktion auch dann nicht ausgeweitet, solange die Löhne noch nicht gestiegen sind.
Aufgrund eines restriktiven gesetzlichen und tariflichen Kündigungsschutzes lohnt es sich nämlich für die Unternehmer nicht mehr, kurzfristige und einmalige Gewinnchancen auszunutzen, da sie wegen des Kündigungsschutzes nicht in der Lage sind, Arbeitskräfte dann kurzfristig zu entlassen, wenn die Produktionsmöglichkeiten zurückgehen. Damit entfallen jedoch auch die von einer Defizitpolitik ausgehenden Anreize zur Ausweitung von Produktion und Beschäftigung.
Nun erschöpft sich der Keynesianismus nicht in der Allgemeinen Theorie (1936), welche die Grundlage für eine keynesianische Fiskalpolitik abgab. Zuvor hatte Keynes 1930 den ‚A Treatise on Money’ veröffentlicht.
Während in der Allgemeinen Theorie Verteilungsfragen ausgeklammert wurden, zeigte Keynes im ‚Treatise‘ dass die gesamtwirtschaftliche Gewinnquote entscheidend davon abhängt, inwieweit die Investitionssumme die Sparsumme übersteigt. Ist nämlich die Investitionssumme größer als die Sparsumme, steigen mit der Nachfrage die Preise und Gewinne und die Unternehmer haben die Möglichkeit, diese zusätzlichen Investitionen mit ihren Gewinnen selbst zu finanzieren. Steigt aber die Gewinnquote, so sinkt im gleichen Umfang die Lohnquote.
Nun gelten diese Überlegungen allerdings zunächst nur für ein Denkmodell, in dem von der wirtschaftlichen Aktivität des Staates sowie von außenwirtschaftlichen Beziehungen abgesehen wird. Bei der Übertragung dieser Erkenntnisse auf die Realität müssen die wirtschaftliche Aktivität des Staates sowie die außenwirtschaftlichen Beziehungen berücksichtigt werden.
Der Gewinn hängt dann zusätzlich vom Überschuss der Staatsausgaben über den Steuereinnahmen sowie vom Überschuss der Exporteinnahmen über den Importausgaben ab, da es für die Preis- und Gewinnentwicklung gleichgültig ist, ob die Nachfragesteigerungen aufgrund zusätzlicher Investitionen oder Staatsausgaben oder Exportausgaben auftreten. Entscheidend ist allein, dass die Nachfrage autonom steigt und damit Preise und Gewinne ansteigen.
Berücksichtigt man jedoch diese Korrektur, so muss man erkennen, dass über ein staatliches Budgetdefizit die Gewinnquote erhöht und damit notwendiger Weise die Lohnquote verringert wird. Wenn die SPD für eine Erhöhung der Lohnquote eintreten will, dann wäre es angebracht, über andere Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nachzudenken, nicht nur weil eine Defizitpolitik langfristig erfolglos bleibt, sondern zusätzlich auch, weil sie den Anteil der Arbeitnehmer am Inlandsprodukt schmälert.
SPD und Keynesianer sprechen sich weiterhin oftmals für eine easy-money-Politik, also für geringe Zinsen aus. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, denn Keynes selbst war überzeugt, dass geringe Zinsen nicht in der Lage sind, die Konjunktur anzukurbeln. Keynes erklärte diese unterstellte fehlende Zinselastizität der Investitionsnachfrage damit, dass in Zeiten der Rezession die Unternehmer mangels Absatzes leere Kapazitäten aufweisen und deshalb auch bei extrem geringen Zinssätzen nicht bereit seien, durch Investitionen die Produktionskapazität noch zu vergrößern.
Dass Keynesianer trotzdem mehrheitlich für eine easy-money-Politik eintreten, liegt daran, dass über geringe Zinsen die Zinslast des Staates reduziert werden kann. Wer sich stark verschuldet, muss Zinsen zahlen.
Aber auch im Zusammenhang mit der Geldpolitik müssen wir uns daran erinnern, dass gerade in dieser Frage aus der Keynesianischen Lehre heraus neue Konzepte entwickelt wurden. So haben Mundell und Johnson, beide Keynesianer, im Hinblick auf die Geldpolitik eine Policy-Mix-Strategie empfohlen, wonach sich die Geldpolitik allein auf die Sicherung des Zieles der äußeren Währungsstabilität beschränken solle, während es Aufgabe des Staates sei, für Wachstum und Vollbeschäftigung zu sorgen.
Johnson und Mundell beziehen sich bei der Begründung für diese Strategie auf ein von Jan Tinbergen entwickeltes Theorem. Danach kann eine Politik ihre Ziele nur dann befriedigend erreichen, wenn sie über genauso viel unabhängige Instrumente verfügt, wie sie Ziele verfolgt.
Die für die Außenwirtschaft relevanten vier Ziele sind:
· die Wechselkursstabilität,
· der DB-Ausgleich,
· die freie Konvertibilität und
· eine autonome Konjunkturpolitik.
Zu den Mitteln der Außenwirtschaftspolitik zählen in diesem Falle:
· die Zinsänderungen,
· die Staatsausgaben,
· die Devisenkontrollen sowie
· die Wechselkursvariationen.
Im Rahmen der bisherigen keynesianischen Konjunkturpolitik war die Notenbank stets gehalten, die fiskalpolitischen Maßnahmen der Regierung zu unterstützen. Verfolgte die Regierung eine expansive Fiskalpolitik, in dem sie die Staatsausgaben bei Konstanz der Steuereinnahmen vergrößerte, hatte die Notenbank diese Politik dadurch zu unterstützen, dass sie ebenfalls eine expansive Geldpolitik einleitete und bei gleichbleibenden Zinssätzen die umlaufende Geldmenge ausweitete. In gleicher Weise sollte eine kontraktive Fiskalpolitik des Staates durch eine kontraktive Geldpolitik begleitet werden.
Folgt man nun den Empfehlungen Johnsons und Mundell, so sollte die Notenbank mit ihrer Diskontsatzpolitik lediglich einen Devisenbilanz-Ausgleich verfolgen. Der Staat hingegen sollte mit seiner Fiskalpolitik lediglich eine Konjunkturstabilisierung anstreben. Die These von Mundell lautet:
Wenn die Notenbank den Diskontsatz an der Devisenbilanz ausrichtet, der Staat hingegen sein Defizit an der konjunkturpolitisch angestrebten Inlandsprodukt-Höhe, könnten beide Ziele (Devisenbilanzausgleich sowie Konjunkturstabilisierung) zur gleichen Zeit voll realisiert werden.
Während bisher der Zinssatz an den vom Staat vorgegebenen konjunkturpolitischen Erfordernissen auszurichten war und deshalb die Geldpolitik neben der Fiskalpolitik gar nicht als ein unabhängiges Instrument angesehen werden konnte, gehen nun – folgt man dem Vorschlag der policy mix Strategie – Geld- und Fiskalpolitik eigene Wege, sie sind nun voneinander unabhängige Mittel.