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Analyse des bestehenden Steuersystems

 

 

 

Gliederung:

 

1. Ziele und Mittel

2. Verbrauchs- und Umsatzsteuern

3. Einkommenssteuer

4. Vermögens- und Erbschaftssteuer

5. Kraftfahrzeug- und Mineralsteuer

6. Sozialabgaben

7. Gewinnsteuern

8. Zölle und Subventionen

                9. sonstige Steuern (Grund-, Gewerbe-, Körperschaftsteuer)

 

 

 

Kapitel 6: Sozialabgaben Teil III

 

 

Gliederung:

 

1. Einführung

2. Zum Begriff: ‚soziales Risiko’

3. Schutz gegenüber Risiken u. Absicherung gegenüber materielle Risikofolgen

4. Einkommensersatzfunktion versus Ausgabenausgleichsfunktion

5. Allokation versus Distribution

6. Individuelle versus kollektive Vorsorge

7. Versorgung versus Versicherung

8. Das Problem der Dynamisierung

9. Umlageverfahren versus Kapitaldeckungsverfahren

 

 

6. Individuelle versus kollektive Vorsorge

 

Wir hatten bereits eingangs darauf hingewiesen, dass man Vorsorge gegenüber den sozialen Risiken sowohl individuell als auch kollektiv betreiben kann. Bei der individuellen Vorsorge legt das Individuum, das im Hinblick auf die Risiken Vorsorge betreiben möchte, von seinem regulären Einkommen Ersparnisse zurück und bildet damit eine Rücklage, auf welche es zurückgreifen kann, wenn es aufgrund des Auftretens eines Risikos vorübergehend über keine Erwerbseinkünfte verfügt oder wenn im Zusammenhang mit diesen Risiken hohe zusätzliche Ausgaben entstehen. Im Bedarfsfalle kann der einzelne entweder von den Zinserträgen seines angesparten Vermögens leben oder aber auch Teile des Vermögens auflösen.

 

Bei den kollektiven Formen der sozialen Absicherung erfolgt der Schutz innerhalb eines Kollektivs, also einer Sicherungsgemeinschaft von mehreren Individuen. Auch hier werden wie bei der individuellen Vorsorge regelmäßig Teile des Einkommens für Sicherungszwecke abgezweigt, sie werden allerdings nicht zum Aufbau einer individuellen Rücklage verwendet, sondern entweder als Beiträge oder auch als Steuern an die Sicherungsgemeinschaft eingezahlt. Wird der Einzelne nun von einem Risiko betroffen, hat er das Recht, von der Sicherungsgemeinschaft unterstützt zu werden, also Einkünfte als Ersatz des ausbleibenden Erwerbseinkommens und einen Ausgleich für die risikobedingten zusätzlichen Ausgaben zu erhalten.

 

Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass der kollektive Schutz im Allgemeinen eindeutig der individuellen Vorsorge überlegen ist. Dies mag zunächst verwundern. Im Rahmen einer Sicherungsgemeinschaft entstehen nämlich zahlreiche Kosten, welche der einzelne bei einer rein individuellen Vorsorge einspart. Bei individueller Vorsorge hat der einzelne im Gegensatz zu der kollektiven Vorsorge keine Verwaltungskosten aufzubringen. Weiterhin entfällt jede Form des Missbrauchs, der einzelne kann nur auf sein eigenes Vermögen zurückgreifen und man wird unterstellen können, dass er diese Mittel im eigenen Interesse so effizient wie möglich einsetzt. Selbst dann, wenn er mit diesen Mitteln ineffizient umgeht, wird man davon sprechen müssen, dass der hierdurch erzielte geringere Ertrag der Preis dafür ist, dass er aus eigener Verantwortung nicht sorgsam mit seinen Ressourcen umgegangen ist. Er hat dann diesen verminderten Ertrag zu verantworten, wird selbst damit belastet und beeinträchtigt deshalb auch nicht die Wohlfahrt anderer.

 

Demgegenüber muss bei einer kollektiven Lösung immer damit gerechnet werden, dass erstens Verwaltungskosten entstehen, es muss ein eigenes Büro errichtet werden und Personal eingestellt werden. Es müssen Konten für die einzelnen Sicherungsnehmer eingeführt werden, die Beiträge eingezogen und die Zuwendungen ausgezahlt werden.

 

Zweitens ist in einer größeren Gemeinschaft immer damit zu rechnen, dass es Missbrauch gibt, dass einzelne bestrebt sind, entweder weniger einzuzahlen als eigentlich erforderlich ist oder aber mehr aus der Sicherungsgemeinschaft herauszuholen, als ihnen aufgrund des Versicherungsvertrages zusteht.

 

Diese Gefahr ist besonders groß, da z. B. im Rahmen der Krankensicherung die Schwere und Dauer einer Krankheit nicht immer eindeutig geklärt werden kann, weiterhin die Schwere der Krankheit von Ärzten festgestellt werden muss, diese aber unter Umständen kein Interesse daran haben, nur das allernotwendigste zu verschreiben; beide Gruppen, welche zusammen eigentlich über das Wissen verfügen, wie viel Mittel zur Ausheilung der Krankheit unbedingt benötigt werden, haben ein Interesse an einer möglichst umfangreichen Behandlung der Krankheit. Die Ärzte handeln oft nach der Maxime: für Gesundheit kann man nicht zu viel ausgeben, oder: besser zu viel ausgeben als zu wenig.

 

Auch im Zusammenhang mit der Einzahlung der Beiträge bestehen zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten. Der Beitrag hängt bei bürokratischen Einrichtungen (Sozialversicherung oder Versorgung) von der Einkommenshöhe ab, hier besteht die Gefahr, dass schwarz verdientes Geld bei der Feststellung der Beitragshöhe verschwiegen wird. Bei einer Privatversicherungslösung hingegen, bei der die Beitragshöhe vor allem von der Höhe des zu versichernden Risikos abhängt und diese Höhe selbst wiederum dadurch bestimmt wird, wie oft der Versicherte in der Vergangenheit bereits von bestimmten Krankheiten befallen war, besteht die Gefahr, dass die individuelle Krankengeschichte des Versicherungsnehmers vor der Versicherung geschönt wird.

 

Drittens entstehen im Rahmen kollektiver Lösungsansätze zusätzliche Kosten, um gerade diesem Missbrauch zu begegnen. Es müssen Ausgaben dafür vorgesehen werden, um die für den Einzug der Beiträge sowie der Auszahlung der Zuwendungen notwendigen Kriterien möglichst lückenlos und sachgerecht zu ermitteln. Der Missbrauch muss bekämpft werden, unter Umständen werden positive finanzielle Anreize gewährt, die einen Missbrauch unwahrscheinlich werden lassen.

 

Obwohl also in dieser Hinsicht eine individuelle Vorsorge besser abschneidet als alle bekannten kollektiven Lösungswege, sind letztere doch eindeutig der allein individuellen Vorsorge überlegen. Der Grund hierfür liegt darin, dass bei einer individuellen Vorsorge nur dann ein vollkommener Schutz vor den Risiken erreicht wird, wenn der höchstmögliche Umfang des Risikoschadens abgedeckt ist, während in einer Sicherungsgemeinschaft unter normalen Bedingungen die Beitragshöhe lediglich am durchschnittlichen Schadensumfang ausgerichtet werden muss.

 

In der Regel können wir davon ausgehen, dass der durchschnittliche Risikoumfang wesentlich geringer ausfällt als der höchstmögliche. Wir können also damit rechnen, dass die Einkommensteile, welche für einen vollständigen Sicherungsschutz bei rein individueller Vorsorge zurückgelegt werden müssen, wesentlich höher ausfallen als die Beitragszahlungen an die jeweilige Sicherungsgemeinschaft. Dies gilt auch dann, wenn bei einer kollektiven Lösung – wie gezeigt – zusätzliche Ausgaben wie Verwaltungskosten etc. entstehen.

 

Worin liegt nun der Grund dafür, dass eine kollektive Lösung der individuellen im Allgemeinen so eindeutig überlegen ist? Wenn ein einzelner für sich allein Vorsorge betreibt, so muss er mit der Möglichkeit rechnen, dass er von jeder denkbaren Risikoart betroffen wird und dass unter Umständen der höchstmögliche Schaden eintritt. Zwar mag die Wahrscheinlichkeit eines solchen höchstmöglichen Schadens sehr gering sein, ein Schaden ist im Einzelfall immer möglich und ein vollständiger Risikoschutz liegt eben nur dann vor, wenn die angesammelten Reserven auch für diesen Extremfall ausreichen.

 

Innerhalb einer Sicherungsgemeinschaft kann man nun in der Regel davon ausgehen, dass nicht alle Sicherungsnehmer vom höchstmöglichen Risiko betroffen werden, in der Krankenversicherung z. B. wird es Teilnehmer geben, die fast immer gesund bleiben und andere, die besonders häufig und besonders schwer erkranken. Man wird erwarten können, dass in einer Sicherungsgemeinschaft ein gewisser Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken von selbst erreicht wird, sofern nur die Mitgliederstärke einer Sicherungsgemeinschaft eine Mindestgröße überschreitet.

 

Es kommt noch ein weiterer Vorteil hinzu. Bei der individuellen Vorsorge muss zunächst einmal eine längere Zeit gespart werden, bis dann die Rücklagen ausreichen, um die zusätzlichen Ausgaben zu finanzieren. Es besteht aber die Gefahr, dass das Risiko bereits dann eintritt, wenn der einzelne noch am Beginn des Sparens steht. Bei der individuellen Vorsorge wird also erst nach einer gewissen Zeit ein ausreichender Schutz vor den materiellen Risikofolgen erreicht werden. Anderes gilt für die Sicherungsgemeinschaften.

 

Schon in der ersten Periode nach Errichtung der Sicherungsgemeinschaft werden über die Beiträge so viel finanzielle Mittel vereinnahmt, um die durchschnittlichen Ausgaben finanzieren zu können. Denn in jeder Periode dürfte es ja sowohl besonders kranke als auch besonders gesunde Mitglieder geben. Natürlich wird es auch innerhalb einer Sicherungsgemeinschaft Perioden geben, in denen überdurchschnittlich hohe Ausgaben anfallen. Trotzdem kann immer davon ausgegangen werden, dass sich in jeder Periode zumindest ein Teil der Risiken ausgleicht.

 

Auch hat natürlich eine Sicherungsgemeinschaft sehr viel bessere Möglichkeiten, durch Kredite oder Rückversicherungen in den Zeiten, in denen das Beitragsaufkommen nicht ausreicht, zusätzliche finanzielle Mittel zu erwerben, als dies für ein einzelnes Individuum gilt. Der einzelne ist im Allgemeinen gar nicht in der Lage, die Sicherheiten aufzubringen, welche für einen solchen Kredit notwendig sind. Gerade der Umstand, dass ein Individuum von einem besonders schweren und folgenreichen Risiko betroffen wurde, vermindert im Allgemeinen die zukünftige Erwerbsfähigkeit und damit auch seine Kreditwürdigkeit. Gerade weil im Gegensatz hierzu innerhalb einer Sicherungsgemeinschaft die Berechnung der Beiträge nach exakten Methoden erfolgt, ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Kredite später aus dem Beitragsvermögen zurückgezahlt werden können, größer und deshalb die Kreditwürdigkeit erhöht.

 

Damit jedoch die kollektive Absicherung der individuellen eindeutig überlegen ist, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Als erstes leuchtet es ohne weiteres ein, dass der Vorteil der kollektiven Lösung von der Größe der Sicherungsgemeinschaft abhängt. Offensichtlich reicht es nicht aus, dass sich nur zwei oder drei Individuen zusammen tun, um diese kollektive Überlegenheit zu sichern. Wenn die Sicherungsgemeinschaft nur aus einer geringen Zahl von Sicherungsnehmern zusammengesetzt ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bereits in dieser Gruppe ein Ausgleich der Risiken erfolgt.

 

Es bedarf also einer recht großen Zahl von Sicherungsnehmern, um einen Ausgleich der Risiken zu erreichen. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass der Schutz zunächst mit der Größe der Sicherungsgemeinschaft ansteigt, allerdings dürfte es auch eine Versicherungsgröße geben, von der ab ein weiteres Wachsen keinen wesentlich größeren Ausgleich bringen kann. Da die Ausgleichsvorteile immer kleiner werden und da gleichzeitig mit wachsender Größe die Missbrauchsgefahr und unter Umständen auch der Umfang der Verwaltungskosten pro Mitglied ansteigen dürfte, gibt es sicherlich so etwas wie eine optimale Größe der Sicherungsgemeinschaft.

 

Es darf jedoch nicht erwartet werden, dass diese optimale Versicherungsgröße ein für alle mal feststeht. Es hängt selbst wiederum von der Art der zu versichernden Risiken sowie von den bekannten Methoden zur Bekämpfung der Risiken ab, bei welcher Anzahl der Versicherungsnehmer diese optimale Versicherungsgröße erreicht ist.

 

Wenn z. B. die medizinische Behandlung von Krankheiten vorwiegend nur darin besteht, dass ein Arzt ohne größere Ausstattung mit medizinischen Geräten und ohne aufwendige Untersuchungen allein aufgrund seiner Kenntnis zu einer Diagnose gelangt und einige (leicht herstellbare) Medikamente verschreibt und Verhaltensanweisungen gibt, so wird eine relativ kleine Zahl von ( wenigen Hundert) Sicherungsnehmern ausreichen, um eine optimale Versicherungsgröße zu erreichen. Wenn jedoch sehr komplizierte medizinische Großgeräte zur Diagnose und Therapie eingesetzt werden, so wird die optimale Größe erst bei sehr vielen Tausenden Mitgliedern erreicht werden. Der medizinische Fortschritt hat es mit sich gebracht, dass immer mehr Krankheiten, die lange Zeit als unheilbar galten, erfolgreich behandelt werden können, allerdings nur unter Einsatz hoher Kosten.

 

Es ist dann immer nur ein sehr geringer Prozentsatz der Mitglieder, die von dieser Krankheit betroffen sind und diese Art Kosten verursachen. Es bedarf dann einer wesentlich größeren Versicherungsgruppe, um einen Ausgleich auch für diese Risiken zu erhalten. Wir werden allerdings weiter unten sehen, dass für besonders große und außerordentlich seltene Risiken andere Instrumente wie vor allem die Rückversicherung zur Verfügung stehen.

 

Eine zweite Voraussetzung dafür, dass eine kollektive Lösung der Risikoprobleme einer individuellen Vorsorge überlegen ist, liegt darin, dass die einzelnen Sicherungsnehmer nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Dieser Zusammenhang leuchtet ohne weiteres ein. Nehmen wir den Fall, dass eine Versicherung nur aus Mitgliedern bestehe, die einen bestimmten Beruf haben und mit ihm an ganz bestimmten Krankheiten erkranken. Selbstverständlich könnte man in diesem Falle nicht davon ausgehen, dass sich die Krankheitshäufigkeiten dieser Mitglieder einigermaßen ausgleichen. Nur dann, wenn auf ein Mitglied, das eine bestimmte Krankheit aufweist, ein anderes Mitglied kommt, das eben nicht an dieser Krankheit erkrankt ist, kann ein Ausgleich der Risiken erfolgen.

 

In diesem Zusammenhang ergeben sich bei den traditionellen regionalen Kriterien der Bildung von Krankenkassen allerdings große Schwierigkeiten. Wenn z. B. als Gliederungsprinzip einer Krankenkasse die Gemeinde gewählt wird, wie dies in der Vergangenheit oftmals der Fall war, muss man damit rechnen, dass ihre Mitglieder im Hinblick auf die auftretenden Krankheiten auch nicht zufällig ausgewählt sind.

 

So sind in einzelnen Gemeinden Großbetriebe angesiedelt, von denen aufgrund der von ihnen ausgehenden Umweltverschmutzung im Hinblick auf ganz bestimmte Krankheiten eindeutig höhere Krankheitswahrscheinlichkeiten ausgehen als in anderen Gemeinden. Dieser Gefahr könnte allerdings dadurch begegnet werden, dass man das regionale Aufteilungsprinzip aufgibt und den einzelnen Krankenkassen das Recht einräumt, in einem größeren Gebiet Mitglieder anzuwerben. Im Zeitalter des Internet dürfte eine solche Vorgehensweise keine größeren Schwierigkeiten aufweisen. Der hierbei auftretende Wettbewerb der Kassen untereinander kann im Hinblick auf die Leistungssteigerung nur erwünscht sein.

 

Ob eine kollektive Lösung des Risikoproblems einer individuellen Vorsorge überlegen ist, hängt drittens auch davon ab, welche Leistungen eine Sicherungseinrichtung vorsieht. Wenn z. B. eine Vielzahl von Bagatellfällen mitversichert wird, ist kaum damit zu rechnen, dass sich die für ein Mitglied notwendigen Ausgaben stark voneinander unterscheiden. Der Vorteil einer kollektiven Lösung liegt ja gerade darin, dass sich eine kollektive Einrichtung nur am Durchschnittsrisiko, eine individuelle Vorsorge hingegen am höchstmöglichen Risiko ausrichten muss.

 

Je größer dieser Unterschied zwischen durchschnittlichen und höchstmöglichen Risiko ist, umso größer ist der Vorteil der kollektiven Vorsorge. Je mehr nun Leistungen in den Leistungskatalog aufgenommen werden, welche bei fast allen Versicherten anfallen – und dies gilt natürlich in erster Linie für die alltäglichen Bagatellfälle – um so geringer ist dann auch der Vorteil der kollektiven Lösung. Von einem bestimmten kritischen Punkt ab schneidet die kollektive Vorsorge sogar schlechter ab als die individuelle, da bei der individuellen Vorsorge keine Verwaltungskosten und keine Ausgaben aufgrund einer missbräuchlichen Inanspruchnahme entstehen.

 

Es gibt allerdings eine Ausnahme von dieser Regel. Es ist üblich, dass Krankenkassen Vorsorgeuntersuchungen übernehmen, ja sogar dann, wenn sich das einzelne Versicherungsmitglied regelmäßig solchen Untersuchungen unterzieht, Prämien und Gebührennachlässe gewähren. Dies erfolgt deshalb, weil die Häufigkeit und Schwere bestimmter Krankheiten reduziert werden kann, wenn Krankheiten im Rahmen von Früherkennungsuntersuchungen schon vor oder zumindest unmittelbar nach Auftreten der Krankheit behandelt werden können. Hier stehen zwei Grundsätze in einem Konflikt zueinander, dass nämlich einerseits Vorsorge zu einer Senkung der Kosten führt und dass andererseits Vorsorgeuntersuchungen eigentlich von fast allen Versicherten durchgeführt werden sollen und gerade deshalb den Unterschied zwischen höchstmöglichen und durchschnittlichen Risiken verringern.

 

Gerade dieses letzte Beispiel macht darauf aufmerksam, dass der Vorteil einer kollektiven Vorsorge auch davon abhängt, wie hoch die Verwaltungskosten ausfallen und wie hoch der Prozentsatz der Fälle ist, in denen die Sicherungseinrichtung missbräuchlich benutzt wird. Im Allgemeinen sind Verwaltungskosten relativ gering und machen nur wenige Prozentpunkte der Gesamtausgaben aus. Aber gerade dann, wenn zwischen den einzelnen Sicherungseinrichtungen keine Konkurrenz besteht, wenn sie also eine Monopolstellung einnehmen, haben die einzelnen Vorstände der Kassen kein zu großes Interesse daran, die Verwaltungskosten soweit wie möglich zu senken. Eine solche Verringerung der Verwaltungskosten würde auf der einen Seite die Bedingungen, unter denen die tägliche Arbeit verrichtet werden muss, für die Bediensteten verschlechtern, auf der anderen Seite wäre es aber nicht möglich, auf diese Weise die Aktivitäten auszuweiten.

 

Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass nur ein relativ kleiner Kreis von Sicherungsnehmern die Sicherungseinrichtungen missbräuchlich ausnutzt. Es gibt aber Umstände, bei denen der Prozentsatz missbräuchlicher Inanspruchnahme über eine kritische Grenze steigt und damit den Vorteil der kollektiven Vorsorge vermindert. Es entsteht hier ein Teufelskreis, der in folgendem besteht: Eine Zunahme der Ausgaben aufgrund missbräuchlicher Inanspruchnahme führt zu einer Erhöhung der Beiträge und einer Verminderung der Leistungen, aber gerade diese Maßnahmen vergrößern den Missbrauch, da die Bereitschaft zu missbräuchlicher Inanspruchnahme vor allem vom Verhältnis zwischen Leistung und Beitragssatz abhängt. 

 

 

7. Versorgung versus Versicherung

 

Wir hatten weiterhin zwischen erwerbswirtschaftlich orientierten Privatversicherungen und bürokratischen Sicherungseinrichtungen unterschieden. Wir wollen überprüfen, wie sich die Entscheidungen der unterschiedlichen Einrichtungen in allokativer und distributiver Hinsicht unterscheiden und inwieweit unerwünschte Sekundärwirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen in unterschiedlichem Maße eintreten.

 

Privatversicherungen arbeiten nach den gleichen Grundsätzen wie jede andere marktwirtschaftlich orientierte Unternehmung. Wir können unterstellen, dass die wichtigsten Entscheidungen gewinnorientiert erfolgen und dass die Gewinne den Eignern der Privatversicherung zufließen.

 

Damit allerdings die allokativen Entscheidungen der privaten Unternehmungen letztendlich dem Bedarf der Versicherungsnehmer entsprechen, dürfen die einzelnen Unternehmungen keine monopolistische Macht besitzen und müssen in gegenseitiger Konkurrenz zueinander stehen. Nur dann können wir davon ausgehen, dass die Anreize, die vom Markt ausgehen, so kanalisiert sind, dass eine gewinnorientierte Entscheidung auch dem Wohl der Versicherungsnehmer am besten entspricht.

 

Eine bürokratische Einrichtung hat es demgegenüber im Hinblick auf die allokativen Zielsetzungen wesentlich schwieriger. Es gibt auf der einen Seite keinen dem Markt vergleichbaren Mechanismus der Information, der den Bürokraten eröffnet, welche allokative Entscheidung dem Bedarf der Versicherungsnehmer am besten entspricht, noch gehen von einer bürokratischen Einrichtung genügend materielle Anreize aus, die jeweils kostengünstigste Lösung zu wählen und zwischen dem Ziel der Qualitätsverbesserung und der Kostensenkung einen vernünftigen Kompromiss anzusteuern, der von den Versicherten nachgefragt wird.

 

Bürokratische Systeme weisen darüber hinaus einen weiteren Allokationsmangel auf. So werden die Beitragssätze sowie die Leistungskataloge bei diesen Systemen in aller Regel von den Regierungen bzw. Parlamenten, also auf politischem Wege beschlossen. Haben wir eine funktionierende repräsentative Demokratie, so spiegeln zwar die politischen Beschlüsse ähnlich wie in marktwirtschaftlichen Systemen den Willen der Bürger wider. Im Gegensatz zum Markt hingegen, in dem im Prinzip jeder Konsument selbst bestimmen kann, welchen Umfang an Leistungen er nachfragt, zeichnen sich die politischen Systeme der Demokratie dadurch aus, dass der Wille der Mehrheit zum Zuge kommt. Dies bedeutet, dass immer eine Minderheit überstimmt werden kann und sich nach den Entscheidungen dieser Mehrheit richten muss. Hierbei ist keinesfalls sicher, dass es sich hier stets um eine verschwindend kleine Minderheit handelt, es ist durchaus denkbar – bei knappen Mehrheiten –, dass fast die Hälfte der Bürger überstimmt wird.

 

Man kann nun davon ausgehen, dass die Masse der Wähler relativ risikoscheu ist. Dies bedeutet, dass bei politischen Entscheidungen die Tendenz besteht, möglichst viele Risiken abzudecken und einen sehr hohen Risikoumfang zu versichern und dass deshalb die Minderheit, die durchaus mehr oder weniger risikobewusst handeln und einen Teil der geringeren Risiken selbst übernehmen möchte, entgegen ihrem Willen zu einer höheren Risikoabsicherung gezwungen wird. Die Minderheit wird so zu einer Lösung gezwungen, welche für sie suboptimal ist.

 

Die Variante der Sozialversicherungen weist in der in der BRD realisierten Form noch einen weiteren Allokationsmangel auf. Die Sozialversicherungen stellen in der BRD Körperschaften mit Selbstverwaltung dar. Soweit den Sozialversicherungen ein Entscheidungsspielraum belassen wird und nicht alle Entscheidungen durch Gesetzte und Verordnungen festgelegt werden, entscheiden die Vertreter der Versicherten im Rahmen dieser Selbstverwaltung zusammen mit den Vertretern der Arbeitgeber über die anstehenden Probleme. Die Vertreter der Versicherten werden hierbei in periodisch stattfindenden Sozialwahlen gewählt.

 

Nun ist bekannt, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Sozialwahlen äußerst gering ist. Dies hat jedoch zur Folge, dass die Entscheidungen dieser Selbstverwaltungsorgane noch nicht einmal dem Willen der Mehrheit der Mitglieder entsprechen müssen. Nur der Entscheidungswille der Versicherten, welche sich an der Sozialwahl beteiligen, kommt hier zum Zuge.

 

Wenden wir uns nun der distributiven Problematik zu. Wir haben weiter oben bereits gesehen: Das wichtigste verteilungspolitische Ziel einer Sicherungseinrichtung besteht darin, dass diejenigen, welche von den sozialen Risiken überproportional betroffen sind, materiell zu Lasten derjenigen, welche unterproportional von den Risiken betroffen sind, begünstigt werden. Obwohl der Markt im Allgemeinen nur eine Verteilung der Ressourcen entsprechend dem Leistungsprinzip ermöglicht, kann – wie bereits gezeigt – auch eine Privatversicherung diesem primären Ziel jeder kollektiven Sicherungseinrichtung entsprechen.

 

Das Äquivalenzprinzip sorgt nämlich allein dafür, dass die Beiträge der Höhe der zu versichernden Risiken entsprechen, die Gleichheit von Beitrag und Leistung bezieht sich allein auf die ex ante Verteilung. Gerade weil aber bei Abschluss eines Versicherungsvertrages (bzw. bei Eintritt in die Versicherung) nicht bekannt ist, in welchem Umfang der einzelne Versicherungsnehmer in Zukunft von den sozialen Risiken tatsächlich betroffen ist, wird ex post gesehen derjenige, welche stärker von den Risiken betroffen wurde, auch stärker materiell entlastet.

 

Nun werden im Rahmen der Einrichtungen der Sozialen Sicherheit zumeist weitergehende Verteilungsziele verfolgt. Als erstes haben wir davon auszugehen, dass erbbedingt und aufgrund einer unterschiedlichen vergangenen individuellen Krankengeschichte das Risiko jedes einzelnen unterschiedlich hoch ist. Im Allgemeinen wird die Überzeugung geäußert, dass unterschiedliche Risiken bei Vertragsabschluss – zumindest soweit den einzelnen keine Schuld an einem überproportional hohen Risiko trifft –, von der Allgemeinheit getragen werden sollten.

 

Diese weitergehende Zielsetzung kann bei einer rein privatwirtschaftlich ausgerichteten Versicherung nicht realisiert werden. Die Privatversicherungen stehen in Konkurrenz zueinander. Jeder Mitkonkurrent könnte dadurch, dass er nur Personen mit geringem Risiko bei Vertragsabschluss versichert, sich Wettbewerbsvorteile verschaffen, da solche Versicherte annahmegemäß weniger Kosten verursachen als Versicherte mit hohem Risikoniveau.

 

Man könnte natürlich vorsehen, dass Versicherungsverträge bereits bei der Geburt eines Individuums abgeschlossen werden, sodass mit keinem unterschiedlichen Risikoumfang zu rechnen wäre, soweit diese Unterschiede auf die unterschiedliche Krankengeschichte der einzelnen zurückgeführt werden könnten. Es bleiben jedoch insoweit Unterschiede bestehen, als bestimmte Krankheiten erbbedingt auftreten. Dieser zweite Bestimmungsgrund eines unterschiedlichen Risikoumfangs dürfte umso mehr eine Rolle spielen, je mehr die medizinische Forschung die Ursachen genetischer Erkrankungen erkannt hat.

 

Darüber hinaus werden in der Regel im Rahmen der Sozialen Sicherheit weitergehende verteilungspolitische Ziele angestrebt, welche nicht mit den eigentlichen Risikotatbeständen zusammenhängen. Hierzu zählen die Versuche, die Beitragshöhe nach der Einkommenshöhe und dem Familienstand zu staffeln, also die Einkommensschwachen und die kinderreichen Familien zu begünstigen sowie einen großen Teil (in der BRD bisher die Hälfte) der Beitragszahlungen von den Arbeitgebern zu erheben. Diese Ziele lassen sich im Rahmen einer erwerbsorientierten Lösung nicht realisieren. Auch hier gilt wiederum, dass die Versicherung, welche nur einkommensstarke und ledige Personen versichern würde, Wettbewerbsvorteile erlangen könnte.

 

Bei der Beurteilung dieser distributiven Mängel eines privatwirtschaftlichen Systems gilt es zwischen der Frage zu unterscheiden, ob und in welchem Umfang eine solche weitergehende Umverteilung überhaupt erwünscht ist und der ganz anderen Frage, ob eine solche Umverteilung – wenn sie denn erwünscht ist – im Rahmen der Sicherungseinrichtungen realisiert werden soll. Über die erstgenannte Frage soll hier nicht entschieden werden, sie ist eine politische Frage und kann sicherlich mit wirtschaftspolitischen Argumenten nicht abschließend untersucht werden. Wir wollen an dieser Stelle einfach davon ausgehen, dass die politische Absicht besteht, eine solche Umverteilung aus sozialen Gründen durchzuführen und uns auf die Frage beschränken, auf welchem Wege dieses Ziel am effizientesten realisiert werden kann.

 

In der Tat gibt es gute Gründe dafür, dass man im Rahmen der sozialen Sicherungseinrichtungen auf jede weitergehende Umverteilung verzichten sollte, dass es sehr viel zweckmäßiger ist, solche Zielsetzungen außerhalb der Einrichtungen der sozialen Sicherheit anzugehen.

 

Als erstes muss festgestellt werden, dass Allokation und Distribution in marktwirtschaftlichen Systemen immer uno actu entschieden werden. Der gleiche Beitragssatz, der von den einzelnen Versicherungsnehmern erhoben wird, entscheidet darüber, welche allokativen Leistungen möglich werden und wie die einzelnen Sicherungsnehmer unterschiedlich begünstigt werden. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Verwendung der Einnahmen einer Sicherungseinrichtung. Auch hier gilt, dass mit einer Verwendung nicht nur über die Allokation, sondern gleichzeitig darüber entschieden wird, wie stark einzelne Sicherungsnehmer begünstigt werden.

 

Erfolgen jedoch Allokation und Distribution uno actu, so muss man damit rechnen, dass eine verteilungspolitisch motivierte Entscheidung in der Regel auch zu einer suboptimalen Allokation führt. Diese Allokationsmängel sind übrigens auch unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten unerwünscht. Allokationsmängel schlagen sich stets in einer Minderung der Gesamtwohlfahrt nieder und reduzieren gerade auf diese Weise die Möglichkeit, knappe Ressourcen für sozialpolitische Zielsetzungen einzusetzen.

 

Es besteht in diesem Falle immer die Gefahr, dass die endgültige Höhe der Transfereinkommen nicht wie beabsichtigt, daran gemessen wird, ob der einzelne Begünstigte ein ausreichendes Mindesteinkommen bezieht. Personen mit gleichem Erwerbseinkommen und gleicher Bedürftigkeit erhalten dann unter Umständen ein recht unterschiedliches Transfereinkommen je nachdem, bei welchen Dienstleistungen Transferzahlungen gewährt werden. Hier kann auf der einen Seite eine Verschwendung knapper Ressourcen eintreten, gleichzeitig werden Transfereinkommensempfängern, welche aus sozialer Sicht eigentlich ein gleich hohes Einkommen erhalten sollten, recht unterschiedlich hohe Transferleistungen gewährt.

 

Diese Überlegungen gelten zwar zunächst in stärkerem Maße für erwerbsorientierte Einrichtungen, eine bürokratische Institution kann im Prinzip zwischen Allokation und Distribution stärker unterscheiden als der Markt. Trotzdem gilt das oben genannte Argument auch für bürokratische Einrichtungen. Auf der einen Seite wirkt sich eine allokative Entscheidung einer staatlichen Versorgungseinrichtung nicht nur auf den Einsatz innerhalb des Sicherungssystems aus. In dem Maße, in dem knappe Ressourcen für Sicherungszwecke eingesetzt werden, stehen sie allen übrigen Verwendungsarten der Volkswirtschaft eben nicht mehr zur Verfügung.

 

Auf der anderen Seite sind auch innerhalb der bürokratischen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit zahlreiche Kompromisse zwischen den einzelnen Zielen der Sozialen Sicherheit zu schließen. So sehen z. B. die historisch gewachsenen Sozialversicherungen vor, dass nur solche Individuen versichert werden, welche überhaupt ein Erwerbseinkommen beziehen und dass die Versicherungspflicht nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze gilt.

 

Dies bedeutet, dass sowohl die ganz Armen als auch die ganz Reichen nicht Mitglieder der Sozialversicherung sind und dass insoweit jede Form von Umverteilung, die innerhalb der Sozialversicherung stattfindet, den ganz Armen gerade nicht zugute kommt, noch dass die ganz Reichen an dieser Umverteilung beteiligt werden. Diese Tatsache widerspricht sicherlich allgemeinen Vorstellungen einer gerechten Verteilung. Denn danach geht es vor allem darum, die Ärmsten zu begünstigen und die Finanzierung dieser Hilfen sollte vor allem durch eine Belastung der Reichsten erfolgen.

 

Noch ein weiterer Grund spricht dafür, dass in den bürokratischen Systemen der Sozialen Sicherheit die Umverteilung in dem beabsichtigten Umfang gar nicht stattfindet. Beiträge und Steuern werden nämlich im Allgemeinen überwälzt und treffen damit letzten Endes gar nicht die Personengruppen, welche die Gebühren eigentlich zahlen sollen.

 

Zweierlei Überwälzungsprozesse sind im Zusammenhang mit der Entrichtung von Arbeitgeberbeiträgen und Steuern möglich. Auf der einen Seite stellen die Arbeitgeberbeiträge Arbeitskosten dar. In den Tarifverhandlungen sind die Arbeitgeber in erster Linie bemüht, die Gesamtsumme der Arbeitskosten zu begrenzen, je höher der Anteil der Lohnnebenkosten ist – und die Arbeitgeberbeiträge zählen zu den Lohnnebenkosten – um so weniger sind die Arbeitgeber bereit, den Lohnforderungen der Gewerkschaften zu entsprechen. Eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge wird zu dem Versuch führen, diese zusätzlichen Lasten auf die Lohnsätze dadurch rückwärts zu überwälzen, dass eben geringere Lohnsatzsteigerungen von den Arbeitgebern akzeptiert werden.

 

Auf der anderen Seite ist immer damit zu rechnen, dass Unternehmungen jede Form von Kostensteigerungen – also auch die Arbeitgeberbeiträge – auf den Güterpreis abzuwälzen versuchen. Dies gelingt vor allem dann, wenn die Mitkonkurrenten auf den Gütermärkten vor der gleichen Kostensteigerung stehen, sodass bei einer Überwälzung dieser Kosten auf den Güterpreis keine Gefahr besteht, dass die Konsumenten zu Konkurrenten abwandern. Nur dort, wo eine starke Konkurrenz zu ausländischen Konkurrenten besteht und wo darüber hinaus im Ausland geringere Sozialbeiträge entrichtet werden müssen, sind die Möglichkeiten der Arbeitgeber beschränkt, eine Steigerung in den Arbeitgeberbeiträgen auf die Güterpreise abzuwälzen.

 

Findet jedoch eine weitgehende Überwälzung der Beiträge zu den Systemen der Sozialen Sicherheit statt, so ist die Absicht, einen Teil der Kosten der Sozialen Sicherheit den Unternehmern aufzubürden, gescheitert. Als Konsumenten haben die Arbeitnehmer letztlich über Preissteigerungen zum großen Teil auch die Arbeitgeberbeiträge zu tragen. Darüber hinaus gilt, dass Überwälzungsprozesse je nach Elastizität auf den einzelnen Märkten in sehr unterschiedlichem Umfang stattfinden, sodass die tatsächlich eingetretene Lastenverteilung sehr willkürlich und damit ungerecht stattfindet.

 

Es sollte immer unterschieden werden, ob mit bestimmten Abgaben die Unternehmungen oder die Unternehmerhaushalte belastet werden sollen. Abgaben von Unternehmungen verringern im Allgemeinen gerade nicht die Einkommen der Unternehmer. Gleichzeitig besteht immer die Gefahr, dass sich die hierdurch erzielte Kostensteigerung negativ auf die Produktion und damit auch auf die Beschäftigung auswirkt.

 

Gegen eine weitergehende Umverteilung im Rahmen der spezifischen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit spricht vor allem der Umstand, dass die sozialen Verteilungsziele keinesfalls befriedigend im Rahmen einer verwendungsorientierten Einrichtung realisiert werden können. Sozialpolitisch geht es darum, jedem Bürger ein bestimmtes Mindesteinkommen zu garantieren. Die Höhe dieses Mindesteinkommen sollte eigentlich nicht davon abhängen, in welchem Umfang die einzelnen Versicherten bestimmte Leistungen nachfragen.

 

Überall dort, wo im Rahmen von Einrichtungen, welche bestimmte Allokationsentscheidungen zu treffen haben, Umverteilungen durchgeführt werden, hängt die Zuwendung an den Einzelnen eben auch davon ab, in welchem Umfang er diese Leistungen beansprucht. Insoweit wird gerade das Verteilungsziel sehr viel genauer erreicht, wenn die Umverteilung nicht als Summe der Leistungen sehr unterschiedlicher Einrichtungen zustande kommt, sondern einer zentralen Einrichtung übertragen wird.

 

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kam es sehr oft zu unerwünschten Rentenkumulationen, in dem eine Reihe von Rentnern in ihrem Alter mehrere Renten bezogen. Sie hatten nicht nur Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern bezogen darüber hinaus auch Renten von anderen öffentlichen Sicherungseinrichtungen, z. B. eine Unfallrente, eine Kriegsopferrente, eine Rente aus der Rentenversicherung für Arbeiter, während die Hauptrente aus der Rentenversicherung für Angestellte bezogen wurde.

 

Soweit die Höhe der Einzelrenten allein durch den Umfang des eingetretenen Risikos bestimmt wird, ist eine solche Kumulation erwünscht und unbedenklich. Kritisch wird es erst in dem Augenblick, in dem in den einzelnen Teilrenten nicht nur der Risikoumfang berücksichtigt wird, sondern weitergehende Umverteilungsziele der Sozialpolitik verfolgt werden, vor allem sichergestellt werden soll, dass der einzelne Rentner ein bestimmtes Mindesteinkommen erhält.

 

Hier besteht die Gefahr, dass gerade über diese Rentenkumulation neue Ungerechtigkeiten entstehen und dass insgesamt zu hohe Rentenbezüge in der Summe ausgezahlt werden. Natürlich sind die einzelnen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit bemüht, bei der Festsetzung der Rente auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang der Rentner auch Ansprüche an andere Versicherungszweige besitzt und diese sonstigen Bezüge von der auszuzahlenden Rente abzuziehen.

 

Trotzdem war dieses Verfahren aus mehreren Gründen höchst unbefriedigend. Es entstand sehr viel an und für sich überflüssige Bürokratie, dem Missbrauch war Tür und Tor geöffnet, da stets die Gefahr bestand, dass bestimmte Einkommensquellen im Einzelfall verschwiegen wurden und dieser Missbrauch von den Behörden nur sehr unvollkommen aufgedeckt werden konnte. Es fand hier nicht nur eine Vergeudung von knappen Ressourcen statt, da manche Rentner in der Summe wesentlich höhere Renten bezogen, als es der Zielsetzung der Armutsbekämpfung entsprach, vor allem aber stellten sich die einzelnen Rentner in der Frage der Mindestabsicherung recht unterschiedlich, je nachdem, ob sie einen Anspruch auf nur eine oder auf mehrere Renten besaßen.

 

Die Frage, ob eher die bürokratischen oder die erwerbsorientierten Einrichtungen der Sozialen Sicherheit überlegen sind, darf aber nicht nur an der Frage gemessen werden, inwieweit die primären Allokations- und Distributionsaufgaben erfüllt werden, sondern muss auch danach beurteilt werden, wie stark die unerwünschten Sekundärwirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele in den einzelnen Einrichtungen im Einzelnen ausfallen. Unsere Ausführungen haben gezeigt, dass sich die einzelnen konkurrierenden Einrichtungsarten vor allem darin unterscheiden, mit welchen Kosten die allokativen Aufgaben durchgeführt werden. Da es bürokratischen Systemen an ausreichenden finanziellen Anreizen mangelt, die jeweils kostengünstigste Lösung anzusteuern, muss damit gerechnet werden, dass die bürokratischen Systeme insgesamt höhere Kosten verursachen als Privatversicherungen.

 

Diese Tatsache wirkt sich nun in zweierlei Weise negativ auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele aus. Auf der einen Seite tragen höhere Durchschnittskosten zu einem Rückgang in der Produktion und damit auch der Beschäftigung in der privaten Wirtschaft bei. Auf der anderen Seite kann jedoch zumindest ein Teil der durch bürokratische Einrichtungen verursachten Kosten auf die Güterpreise abgewälzt werden und führt somit zu einem Anstieg in der Inflationsrate. Welche dieser beiden Gefahren konkret bestehen, hängt von vielen Faktoren ab. Insbesondere die Geldpolitik der Notenbank bestimmt darüber mit, ob Kostensteigerungen die Beschäftigung mindern oder die Inflation erhöhen.

 

Ist die Notenbank aus stabilitätspolitischen Gründen nicht bereit, bei bestehendem Zinssatz die Geldmenge bereitzustellen, welche zur Finanzierung der höheren Kosten benötigt wird, kommt es zu Zinssteigerungen, die selbst wiederum einen Rückgang in der Investitionsnachfrage und damit auch in der Beschäftigung auslösen. Ist jedoch die Notenbank bei gleichbleibendem Zinssatz zu einer Ausweitung der Geldmenge bereit, kommt es zu den befürchtenden Steigerungen in den Güterpreisen, soweit die Geldvermehrung nicht durch eine gleich große Ausweitung der Güterproduktion kompensiert wird.

 

Wieweit das wirtschaftliche Wachstum schließlich aufgrund des Wirkens der unterschiedlichen Einrichtungen der sozialen Sicherheit beeinflusst wird, hängt selbst wiederum von verschiedenen Faktoren ab. In dem Maße, in dem es gelingt, den Umfang und die Schwere der sozialen Risiken als solche zu vermindern, gehen natürlich von diesen Einrichtungen positive Wachstumseffekte aus. Einerseits wird die Erwerbstätigkeit ansteigen, wenn es aufgrund der sozialen Risiken weniger Arbeitsausfälle gibt, andererseits stellt der bloße Tatbestand, dass weniger Krankheiten oder Unfälle auftreten, als solcher bereits eine immaterielle Wohlfahrtssteigerung dar.

 

Die Tatsache aber, dass vor allem in bürokratischen Systemen insgesamt weniger effizient gearbeitet wird, dass also in der Regel für die gleiche Leistung mehr Kosten aufgewandt werden müssen, führt natürlich zu einem Wachstumsverlust, hätte doch mit den gleichen Ressourcen bei effizienterer Produktion ein höheres Inlandsprodukt erzielt werden können.

 

Fragen wir uns nun, welche Unterschiede zwischen Sozialversicherungs- und Versorgungseinrichtungen in dieser Frage bestehen. Die Sozialversicherung ist eine Mischform, welche Elemente der Privatversicherung sowie der Versorgung enthält. Der erste wichtigste Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass es innerhalb einer Sozialversicherung einen begrenzten Kreis von Mitgliedern gibt – so z. B. alle Arbeitnehmer bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze –, während in einer Versorgung prinzipiell alle Bürger eines Staates mitversorgt werden.

 

Ein zweiter Unterschied ergibt sich daraus, dass innerhalb einer Sozialversicherung Beiträge – also zweckgebundene Abgaben – zur Finanzierung der Ausgaben erhoben werden, während in Versorgungseinrichtungen die Ausgaben zumeist aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Bisweilen wird es allerdings für notwendig angesehen, auch in der Sozialversicherung einen Teil der Ausgaben aus Staatszuschüssen zu finanzieren, so war z. B. bei der Rentenreform von 1957 vorgesehen, dass immerhin 1/3 der Ausgaben aus Steuermitteln zu finanzieren waren.

 

Diese beiden Unterschiede wirken sich nun bei der Erfüllung der primären Aufgaben dieser Einrichtungen der Sozialen Sicherheit aus. Da Beitragssätze zweckgebunden sind, ist bei den Mitgliedern der Zusammenhang zwischen Leistungen und Beiträgen enger und gerade deshalb dürfte der Versuch, diese Einrichtungen missbräuchlich auszunutzen, insgesamt in den Sozialversicherungen geringer ausfallen als bei einer Finanzierung aus dem allgemeinen Staatshaushalt.

 

Es ist dann unklar, aus welchen genauen Gründen die Steuern zu bezahlen sind und gegebenenfalls erhöht werden, es wird dem Einzelnen nun nicht mehr unmittelbar vor Augen geführt, dass eine Zunahme der Leistungen immer auch mit einem Anstieg in den Beiträgen verbunden ist. Also wird man auch erwarten können, dass die Entscheidungen, die Leistungen der Sicherungseinrichtungen zu verändern, eher in der Sozialversicherung als in Versorgungseinrichtungen dem Bedarf der Betroffenen entspricht.

 

Das Allokationsproblem wird also in der Sozialversicherung eher den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechend gelöst werden als in Versorgungseinrichtungen. Nur dann, wenn man ex pressis verbis von einem meritorischen Bedarf ausgeht, wenn man also unterstellt, dass der einzelne Sicherungsnehmer diese Allokationsentscheidung gar nicht sachgerecht fällen kann, dass er die Bedürfnisse der Sozialen Sicherheit systematisch unterschätzt (These von der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse, Böhm-Bawerk), wird man eine Finanzierung aus Steuermitteln vorziehen.

 

Wir hatten weiterhin bereits gesehen, dass auch das Verteilungsproblem in den beiden Sicherungseinrichtungen unterschiedlich gelöst wird, dass gerade deshalb, weil nur Erwerbspersonen einer Sozialen Versicherung angehören und weil darüber hinaus gerade die besonders Reichen keiner Sozialversicherungspflicht unterliegen, in der Sozialversicherung eine Umverteilung angesteuert wird, in der eine Umverteilung zugunsten der nicht ganz Armen und zu Lasten der nicht ganz Reichen durchgeführt wird.

 

Dieser Umstand führt dazu, dass man die Lösung der Verteilungsprobleme eher den Versorgungs- und weniger den Sozialversicherungssystemen überträgt. Allerdings hatten wir auch schon darauf hingewiesen, dass weitergehende Umverteilungsziele zugunsten der Ärmeren und der kinderreichen Familien ohnehin in zweckgebunden Einrichtungen sehr ineffizient angegangen werden, dass aufgrund allokativer Nebenwirkungen solcher Umverteilungsmaßnahmen es wesentlich effizienter wäre, wenn man diese weitergehenden Umverteilungsziele außerhalb der Einrichtungen der Sozialen Sicherheit verfolgen würde und den Einrichtungen der Sozialen Sicherheit nur solche Verteilungsaufgaben übertragen würde, welche sich auf die unterschiedliche Häufigkeit und Schwere der sozialen Risiken selbst beziehen.

 

Hiermit ist eine letzte Unterscheidung einzelner bürokratischer Sicherungseinrichtungen angesprochen, wir haben nämlich auch danach zu unterscheiden, ob die Probleme der Sozialen Sicherung in risikospezifischen Einrichtungen oder aber in allgemeinen, unspezifischen Versorgungseinrichtungen angegangen werden sollen. Da es im Rahmen der Sozialen Sicherheit immer darum geht, denjenigen, welche aufgrund des Auftretens sozialer Risiken in materielle Schwierigkeiten geraten, Zuwendungen zu gewähren, könnte diese Funktion natürlich auch von einem allgemeinen Versorgungswerk erfüllt werden, unabhängig davon, welcher Risikotatbestand jeweils diesen außerordentlichen Bedarf ausgelöst hat.

 

In der Vergangenheit zählten vor allem die Einrichtungen der Fürsorge zu diesen unspezifischen Institutionen. Sie hatten einzelne Bürger überall dort, wo diese in materielle Not geraten sind, finanzielle und sachbezogene Hilfen zu gewähren, unabhängig davon, aufgrund welcher persönlicher Schicksalsschläge die betroffenen Bürger in diese Not geraten sind. Es wird also in diesen Einrichtungen zur Feststellung der Berechtigung zur Unterstützung nicht überprüft, aufgrund welcher Tatbestände der einzelne in Not geraten ist, sondern ob er bedürftig ist, ob er also ohne diese Hilfe ein bestimmtes Existenzminimum nicht erreichen würde.

 

Da in solchen Einrichtungen die Gefahr des Missbrauchs natürlich besonders groß ist, werden diese Zuwendungen in der Regel auch nur dann geleistet, wenn feststeht, dass der Einzelne tatsächlich bedürftig ist. Dies bedeutet, dass der einzelne Antragssteller zunächst seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen muss und nur dann einen Anspruch auf Leistungen erhält, wenn seine sonstigen Einkünfte einschließlich der Vermögenserträge unter dem festgesetzten Existenzminimum liegen.

 

Nun galt lange Zeit der Bezug einer Fürsorgezuwendung als etwas Verpöntes und Ehrenrühriges. Gerade aus diesen Gründen gab es viele notleidende Bürger, welche aus nicht berechtigter Scham heraus keinen Antrag auf Fürsorge stellten, obwohl sie die objektiven Voraussetzungen für einen Fürsorgebezug durchaus erfüllten. Um diesen Charakter der Diffamierung den Fürsorgemaßnahmen zu nehmen, wurden in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts die Fürsorgeeinrichtungen in den meisten hoch entwickelten Staaten reformiert. Man spricht seither nicht mehr von Fürsorge, sondern von Sozialhilfe. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass auch der Begriff der Sozialhilfe durchaus etwas Diffamierendes an sich haben kann, wenn nicht das Regelwerk der Sozialhilfe gegenüber früher entscheidend verändert wird und wenn sich nicht die Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Sozialhilfeempfängern grundsätzlich verändert hat.

 

Während in der Vergangenheit der einzelne Betroffene kein einklagbares Recht auf Fürsorge hatte, also gewissermaßen auf die Gnade der Fürsorgebehörden angewiesen war, hat der einzelne heute, wenn er die Voraussetzungen für den Bezug der Sozialhilfe erfüllt, auch einen Rechtsanspruch auf diese Hilfe, den er notfalls gerichtlich einklagen kann. Dies mag erwünscht sein und in gut funktionierenden Volkswirtschaften auch ohne größere Probleme realisierbar erscheinen, man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass ein solcher Rechtsanspruch nur gewährt werden kann, wenn eine Volkswirtschaft reibungslos funktioniert und über ausreichende Steuermittel verfügt.

 

Nehmen wir die zerrütteten Volkswirtschaften (wie z. B. Palästina), in denen teils über 50% der Bürger arbeitslos sind, dann besteht die Gefahr, dass dieser Rechtsanspruch gar nicht eingelöst werden kann. Eine Erhöhung der Steuersätze bringt dann in der Regel keine Lösung, da nicht jede Erhöhung des Steuersatzes auch die Steuersumme erhöht, es besteht immer die Gefahr, dass gerade dieser verzweifelte Versuch die Volkswirtschaften in noch größere Arbeitslosigkeit und Armut stürzen kann, da immer größere Teile der wirtschaftlichen Aktivität auf die nicht offizielle Schattenwirtschaft verlagert werden.

 

Fortsetzung!