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Streik

 

 

 

Gliederung:

 

1. Die Regelung zu Beginn der BRD

2. heutige Missstände

    a. Tarifeinheit bedroht

    b. Erpressung seitens kleiner Gewerkschaften

    c. Erpressung gegenüber unbeteiligten Endverbrauchern

3. Reformvorschläge

   a. Abhilfe durch Individualgüter

   b. Verbesserte Information

   c. Die Grundprinzipien des obersten Arbeitsgerichtes

   d. Zwangsschlichtung

   e. Friedensabkommen

 

 

 

1. Die Regelung zu Beginn der BRD

 

Lange Zeit galt das deutsche Tarifvertragswesen als geradezu vorbildlich. Fast in allen Wirt­schafts­zweigen fanden periodische Tarifverhandlungen statt. Diese verliefen in aller Regel friedlich, führten also nur in Ausnahmefällen zu längeren Streiks. Deutschland zählte europa-, ja sogar weltweit zu den Staaten mit einem sehr geringen Produktionsausfall aufgrund von Arbeitsniederlegungen.

 

Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass dann, wenn die Produktionsausfälle aufgrund von Arbeitsniederlegungen nicht wesentlich höher ausfallen als 3% des Inlandsproduktes, diese in der Folgezeit mit Hilfe von Überstunden weitgehend ausgeglichen werden können, während bei wesentlich höheren Ausfällen die Gefahr droht, dass viele ausländischen Kunden auf Dauer abspringen und bei Unternehmungen in anderen Ländern einkaufen, welche in geringerem Maße von streikbedingten Ausfällen bedroht sind. In diesen Fällen schwächt sich das wirtschaftliche Wachstum in diesen Ländern nachhaltig ab.

 

Es galt das Prinzip der Einheitsgewerkschaften. Zwar bildeten sich unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges neben den im DGB zusammengeschlossenen Industriegewerkschaften auch christliche Gewerkschaften, welche in einigen wenigen Tarifbezirken wie etwa im Saarland auch eine gewisse Bedeutung im Rahmen der Tarifverhandlungen erlangen konnten.

 

Es entstand jedoch recht bald innerhalb der christlichen Gewerkschaftsmitglieder eine Diskussion darüber, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des DGB zusammenschließen sollten. Die Entscheidung fiel zugunsten einer Lösung innerhalb des DGB aus.

 

Es galt weiterhin das Industrieprinzip, wonach die Tarifparteien und damit auch die Tarif­verhand­lungen jeweils für einen Wirtschaftszweig geführt wurden, sodass die Unternehmungen innerhalb einer Tarifvertragsperiode von etwa einem Jahr nur einmal und hier nur für wenige Wochen durch Auseinandersetzungen der Tarifparteien belastet waren. Dies bedeutete vor allem, dass die Unterneh­mungen für die restlichen Wochen und damit für den größten Teil eines Jahres davon ausgehen konnten, im Hinblick auf die Arbeitskosten mit sicheren und stabilen  Grundlagen rechnen zu können.

 

Es galt schließlich der Grundsatz, dass in aller Regel – nur mit geringen Ausnahmen – Tarifverhandlungen überbetrieblich, aber zumeist nicht für die gesamte Bundesrepublik geführt wurden. Zwar sind die Gewerkschaften und dementsprechend auch die Arbeitgeberverbände zentral für die gesamte Bundesrepublik organisiert. Die Tarifverhandlungen fanden trotzdem zumeist auf regionaler Ebene statt. Auf diese Weise konnten sehr wohl regionale Unterschiede in der Produktivität der einzelnen Wirtschaftsbereiche bei Tarifvertragsabschluss berücksichtigt werden.

 

Tarifverträge gelten zunächst einmal lediglich für die Vertragspartner. Dies bedeutet, dass ein Arbeitnehmer nur dann einen rechtlichen Anspruch auf den Tariflohn hat, wenn er erstens der Gewerkschaft angehört, welche diesen Tarifvertrag mit den Arbeitgebern vereinbart hat und wenn zweitens auch der Unternehmer, bei dem der betreffende Arbeitnehmer beschäftigt ist, ebenfalls dem (den Tarifvertrag abschließenden) Arbeitgeberverband angehört.

 

Faktisch allerdings gewährten die Unternehmungen in sehr großem Umfang die Tariflöhne auch den nicht organisierten Arbeitnehmern. Sie tun dies sicherlich nicht in erster Linie aus einer altruistischen Haltung heraus, sondern einfach deshalb, weil sie sich auf lange Sicht gerade dann besser stellen, wenn sie die Tariflöhne allen Beschäftigten gewähren.

 

Sie zahlen in diesem Falle kurzfristig zwar eine höhere Lohnsumme als rechtlich gesehen verlangt, langfristig erreichen sie jedoch auf diese Weise einmal einen größeren Betriebsfrieden, der nur gewahrt werden kann, wenn sich alle Arbeitnehmer als einigermaßen gerecht behandelt ansehen können.

 

Zum andern würden sich viele nichtorganisierten Arbeitnehmer bei einer Beschränkung der tariflichen Löhne auf die organisierten Arbeitnehmer gezwungen sehen, der Gewerkschaft beizutreten. Die Gewerkschaften wären gestärkt und könnten deshalb auch höhere Lohnsatz­steigerungen durchsetzen.

 

Die geltenden Gesetze sahen weiterhin vor, dass einer der Tarifparteien das Recht besitzt, beim zuständigen Landesarbeitsminister bzw. beim Bundesarbeitsminister eine Allgemeinverbindlich­keitserklärung zu beantragen. Werden Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt, gelten sie für alle Beschäftigten der jeweiligen Branche, gleichgültig, ob der einzelne Arbeitnehmer der jeweiligen Gewerkschaft angehört oder in einer Unternehmung beschäftigt wird, welche Mitglied des jeweiligen Arbeitgeberverbandes ist. Seit einiger Zeit gibt es weiterhin einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn.

 

Das Grundgesetz gewährt den Gewerkschaften das Recht zu streiken. Wenn die Gewerkschaften zu einem Streik aufrufen, so legen die betroffenen Arbeitnehmer ihre Arbeit kollektiv (gemeinsam) für eine bestimmte Zeit nieder, ohne dass dadurch die geltenden Arbeitsverträge auslaufen. Der Gesetzgeber verleiht diesen Verträgen einen stärkeren Schutz als den sonst üblichen Verträgen zwischen Privatpersonen und privaten Organisationen.

 

Da das Grundgesetz oder ausführende Gesetze diese Bestimmungen nicht näher konkretisieren, haben die obersten Arbeitsgerichte zur Begrenzung dieser Rechte Prinzipien entwickelt und zwar das Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel, das Prinzip der Neutralität des Staates und das Prinzip der Friedenspflicht.

 

Beginnen wir zunächst mit dem Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien. So bemühten sich die obersten Arbeitsgerichte vor allem um eine Ausgewogenheit in der Machtausübung beider Tarifpartner. Ohne die Anerkennung der Gewerkschaften müsste befürchtet werden, dass die Arbeitgeber auf den Arbeitsmärkten über ein Nachfragemonopol verfügt hätten.

 

Würde die Tarifordnung nur den Arbeitnehmern ein Kampfrecht zuerkennen, bestünde die Gefahr, dass das Pendel der Machtverteilung umschlüge und dass deshalb die Gewerkschaften ein einseitiges Angebotsmonopol erlangen könnten. Deshalb wird den Arbeitgebern in der BRD ein Aussperrungsrecht zuerkannt, wobei der Umfang der Aussperrungsmöglichkeit selbst wiederum zur Wahrung der Kampfparität in Abhängigkeit des Streikumfanges der Gewerkschaften begrenzt wird.

 

Im Allgemeinen sind die Arbeitgeber nur zu sogenannten Abwehraussperrungen berechtigt, die dazu dienen, zuvor eingeleitete Streiks zu begrenzen. Angriffsaussperrungen würden nur dann als zulässig gelten, wenn die Arbeitgeber das Ziel verfolgen würden, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Da in der Bundesrepublik bisher keine Angriffsaussperrungen durchgeführt wurden, haben sich die Gerichte auch noch nicht eigens mit diesem Kampfmittel befasst und sind deshalb nur am Rande auf dieses Kampfmittel eingegangen. Hieraus erklärt sich auch, dass die Berechtigung von Angriffsaussperrungen kontrovers diskutiert wird.

 

Im Rahmen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel achten die Gerichte darauf, dass die Maßnahmen im Hinblick auf die Ziele der Tarifpartner verhältnismäßig sind. So darf keine Tarifpartei Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, den jeweiligen Tarifpartner vernichtend zu schlagen.

 

Auch muss darauf geachtet werden, dass allgemeine Gemeinwohlziele von den Kampfmaßnahmen nicht zu stark beeinträchtigt werden. So sind Streiks im Gesundheitswesen nur in begrenztem Maße erlaubt. Auch sind politische Streiks, die sich gegen die demokratischen Entscheidungen der Parlamente und Regierungen wenden, untersagt.

 

Schließlich dürfen die Kampfmaßnahmen nicht in erster Linie unbeteiligte Dritte treffen. Dies war jedoch in der Vergangenheit sehr oft bei Streiks im Gesundheitswesen, im Verkehrssektor (Bundesbahn und Luftfahrt) sowie im öffentlichen Dienst (Müllabfuhr, städtische Verkehrsbetriebe) der Fall.

 

Was besagt nun das Prinzip der Neutralität des Staates? Tarifautonomie bedeutet, dass der Lohnbildungsprozess den Tarifpartnern vorbehalten bleibt, dass der Staat nicht einseitig Partei zugunsten der einen Seite ergreifen darf. Trotzdem übt der Staat einen vielfältigen Einfluss auf das Tarifgeschehen aus, wobei diese Einflussnahme vor allem damit gerechtfertigt werden kann, dass über die Festlegung der Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen gesamtwirtschaftliche Ziele, deren Verfolgung dem Staate obliegen, beeinträchtigt werden können. Dies gilt insbeson­dere im Hinblick auf das Ziel der Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung.

 

Im Zusammenhang mit dem Prinzip der Friedenspflicht sind die Gerichte weiterhin bemüht, Arbeitskonflikte soweit wie möglich zu vermeiden. Diesem Ziel dient insbesondere der Grundsatz, dass während der Dauer der Tarifverhandlungen keine Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet werden dürfen. Strittig ist allerdings die Frage, inwieweit Warnstreiks, die nur für eine kurze Zeit eine Arbeitsunterbrechung vorsehen und die von vornherein zeitlich auf wenige Stunden oder Tage begrenzt sind, die Friedenspflicht verletzen.

 

Weiterhin gelten sogenannte wilde Streiks, die ohne formale Urabstimmung und ohne Leitung der Gewerkschaftsspitze von einzelnen Mitgliedern ausgerufen werden, als illegitim. Zwar sind die formalen Voraussetzungen für einen offiziellen Streik in den Gewerkschaftssatzungen niedergelegt und betreffen deshalb zunächst lediglich das Innenverhältnis zwischen Gewerk­schafts­mitgliedern und Gewerkschaftsführung.

 

Die Tarifautonomie sieht jedoch für die Aktivitäten der Tarifpartner einen weit größeren gesetzlichen Schutz vor als dies für Aktivitäten sonstiger privater Organisationen gilt, und dieser besondere Schutz entfällt, wenn z. B. im Rahmen wilder Streiks die Interessensphäre der Arbeitgeber verletzt wird.

 

 

2. heutige Missstände

 

    a. Tarifeinheit bedroht

 

In dem Maße, in dem nun seit einigen Jahren das Prinzip der Einheitsgewerkschaft verlassen wurde und eine Reihe kleinerer Gewerkschaften – zumeist auf dem Berufsprinzip aufbauend – entstanden, wurde nun auch dieses Prinzip der Tarifeinheit verletzt, viele Unternehmungen sehen sich gezwungen, getrennte Tarifverhandlungen mit verschiedenen Gewerkschaften zu führen, damit vergrößern sich automatisch die Verhandlungskosten, der Verhandlungsprozess zieht sich in die Länge, es gibt immer weniger Perioden, in denen die Unternehmungen von sicheren Entwicklungen in den Arbeitskosten ausgehen können.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass dann, wenn in einer nachfolgenden Tarifverhandlung besonders hohe Lohnabschlüsse erreicht wurden, selbst wiederum die vorhergehenden Tarifabschlüsse anderer Gewerkschaften in Frage gestellt werden.

 

Für die Frage, mit welchen Kompromissen sich eine Gewerkschaft zufrieden gibt, spielt selbstverständlich auch die Frage eine entscheidende Rolle, welche Löhne die von anderen Gewerkschaften vertretenen Arbeitnehmer erhalten.

 

Steigt deren Einkommen in viel stärkerem Maße als das Einkommen der von einer anderen Gewerkschaft vertretenen Arbeitnehmer und auch stärker als erwartet, wird der zuvor eingegangene Kompromiss in Frage gestellt und Nachverhandlungen gefordert. Schließlich muss auf diese Weise die Unternehmung mit permanenten Nachverhandlungen rechnen.

 

 

b. Erpressung von kleinen Gewerkschaften

 

Mit dieser Entwicklung ging einher, dass eine Reihe von Einzelgewerkschaften entstanden, die bezogen auf ihre Mitgliederzahl immer nur einen kleinen Teil der Gesamtbelegschaft ausmachen, aber aufgrund einer Schlüsselstellung in der Produktion (Dienstleistung) einen entscheidenden Einfluss auf das gesamte Betriebsgeschehen nehmen konnten und welche in der Lage sind, mit Hilfe eines Streiks den gesamten Betrieb stillzulegen. Dies gilt z. B. für die Vereinigung der Fluglotsen. Ohne Fluglotsen bricht der gesamte Flugverkehr zusammen, obwohl die Fluglotsen immer nur einen sehr kleinen Teil der Belegschaft ausmachen.

 

Gerade aufgrund dieser entscheidenden Streikmacht fallen dann auch die Lohnforderungen dieser Gewerkschaften bisweilen exorbitant hoch aus. So wurden in der Vergangenheit Lohnforderungen weit über 50% erhoben. Es sollte klar sein, dass solch hohe Forderungen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht keinerlei Berechtigung haben. Es gilt stets zu berücksichtigen, dass ein Zuwachs der Lohnforderungen letzten Endes immer aus dem Zuwachs des Inlandsproduktes, also aus der wirtschaftlichen Wachstumsrate, finanziert werden muss.

 

Die Gesamtsumme der Einkommen kann nicht stärker ansteigen als das gesamte Inlandsprodukt. In dem Maße, in dem es einzelnen Gewerkschaften gelingt, einen höheren Zuwachs ihrer Einkommen zu erreichen als die Wachstumsrate des Volkseinkommens, müssen notwendiger Weise die realen Einkommenszuwächse anderer Arbeitnehmergruppen oder anderer Einkommensempfänger geringer als die Wachstumsrate des Inlandsproduktes ausfallen.

 

Es bleibt aber im Allgemeinen nicht bei diesen Ungerechtigkeiten. Wenn nämlich nur für eine sehr kleine Gruppe von Arbeitnehmern überdurchschnittlich hohe Lohnzuwächse vereinbart würden, fielen die hierdurch notwendig gewordenen unterdurchschnittlichen Lohnzuwächse bei den jeweils anderen Arbeitnehmergruppen zunächst relativ gering aus. Aber gerade der Umstand, dass es einer kleinen Gruppe gelungen ist, überdurchschnittlich hohe Lohnzuwächse zu erkämpfen, führt selbst wiederum dazu, dass weitere Gruppen ebenfalls den Versuch unternehmen, diesen nachzueifern und ebenfalls überdurchschnittlich hohe Lohnforderungen durchzusetzen.

 

Im Endergebnis wird auf diese Weise ein Prozess eingeleitet, aufgrund dessen die gesamte Volkswirtschaft Schaden nimmt. Steigt nämlich die gesamte Einkommenssumme stärker als das reale Inlandsprodukt, so gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder gelingt es den Unternehmungen, die Lohnkostensteigerungen auf den Preis abzuwälzen, dann kommt es zu generellen Preissteigerungen, was nichts anderes bedeutet als dass das reale Lohneinkommen längst nicht so stark steigt wie zunächst angenommen. Auf lange Sicht sinkt die Wachstumsrate des Inlandsproduktes, da unter Inflationsbedingungen die Unternehmungen immer weniger unter dem Druck stehen, Innovationen (Erneuerungen) einzuführen.

 

Oder aber den Unternehmungen gelingt die Kostenüberwälzung nicht, weil etwa die Notenbank zur Wahrung der Geldwertstabilität nicht bereit ist, den für den Inflationsprozess notwendigen Geldmengenzuwachs zur Verfügung zu stellen, dann sinkt die Rentabilität der Unternehmungen, diese sind nicht mehr in der Lage, die notwendigen Investitionen durchzuführen mit der Folge, dass Produktion und mit ihr auch die Beschäftigung reduziert werden. Gerade die Arbeitnehmer sind dann die Leidtragenden dieser Entwicklung.

 

An und für sich können diese eben geschilderten Gefahren einer Inflation oder Unterbeschäftigung auf zweierlei Weise vermieden werden. Entweder beschränken sich die Lohnsteigerungen in den einzelnen Branchen auf die gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung. Steigen alle Löhne nur im Umfang der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung, so beschränkt sich die lohnbedingt herbeigeführte Nachfragesteigerung auch auf den Anstieg in der Produktion.

 

Die Preisniveaustabilität würde zwar auch dann gewahrt, wenn in allen Wirtschaftszweigen die Lohnsatzsteigerungen den Produktivitätssteigerungen eben dieses Wirtschaftszweiges entsprechen. Auch hier wäre gewährleistet, dass die aus den Lohnsteigerungen herrührende Gesamtnachfrage nicht größer ausfallen würde als das Angebot.

 

Nun gibt es jedoch Wirtschaftszweige wie z. B. den öffentlichen Dienst, in welchen keinerlei Produktivitätssteigerungen nachgewiesen werden können, und zwar nicht etwa deshalb, weil die Bediensteten in den öffentlichen Verwaltungen besonders faul und unproduktiv sind, sondern allein deshalb, weil es keinen Marktwert der vom Staat angebotenen Güter und Leistungen gibt.

 

Während die von den privaten Unternehmungen produzierten Güter einen Marktpreis erzielen, weil sie auf Märkten verkauft werden, stehen die vom Staat erstellten Kollektivgüter der Bevölkerung zur Verfügung, ohne dass diese Güter von den einzelnen Konsumenten gekauft werden müssen. Es gibt deshalb auch keinen Marktpreis für Kollektivgüter. Die Produktivität misst sich nun jedoch im Allgemeinen an dem zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Output (dem Marktwert eines Gutes) und dem Input (der Anzahl der benötigten Produktionsfaktoren).

 

Da es für die vom Staat angebotenen Kollektivgüter keinen Marktwert gibt, misst man den Wert dieser Kollektivgüter hilfsweise an dem Wert der zur Produktion notwendigen Produktionsfaktoren. Dies bedeutet jedoch, dass bei den Kollektivgütern die Arbeitsproduktivität stets dem Wert eins entspricht (Zähler und Nenner sind identisch) und dass somit auch keinerlei Produktivitätszuwachs festgestellt werden kann.

 

Es wäre weder berechtigt noch politisch möglich, aus diesen technischen Gründen heraus den Bediensteten im öffentlichen Dienst jede Form von Teilnahme an den allgemeinen Einkommenssteigerungen zu verwehren. Also lässt sich eine Ausrichtung der Lohnsatzsteigerungen an den einzelwirtschaftlichen Produktivitätszuwächsen auch nicht rechtfertigen.

 

De facto würden in den Wirtschaftszweigen mit überdurchschnittlich hohen Produktivitätszuwächsen auch überdurchschnittlich hohe Lohnzuwächse erkämpft, während in den Wirtschaftszweigen mit unterdurchschnittlichen Produktivitätszuwächsen Lohnsatzsteigerungen entsprechend dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs oder darüber realisiert würden. Die Folge wäre, dass Lohneinkommen und Güternachfrage stärker steigen würden als das reale Inlandsprodukt mit den oben beschriebenen negativen Auswirkungen auf den Geldwert und/oder die Beschäftigung.

 

Exorbitant hohe Lohnsatzforderungen sind auch dann nicht gerechtfertigt, wenn in bestimmten Wirtschaftszweigen bzw. Berufsgruppen in der Vergangenheit eindeutig zu niedrige Lohnsätze vereinbart wurden. Wird nämlich der Versuch unternommen, Fehlentscheidungen in der Vergangenheit in einem einzigen Schritt zu korrigieren, treten im Allgemeinen schwerwiegende Belastungen der Volkswirtschaft ein.

 

Der Umstand, dass eine einzelne Gewerkschaft exorbitante Lohnforderungen stellt und sie auch durchsetzt, hätte unweigerlich zur Folge, dass sich auch die übrigen Gewerkschaften gezwungen sehen, auch ihre Forderungen nach oben zu korrigieren. Gerade aus solchen Gründen hatte der Gesetzgeber in der Vergangenheit z. B. bei geplanten Mieterhöhungen verfügt, dass eine Korrektur der zu niedrigen Mieten allenfalls zu einer 20%igen Steigerung der Miete in einem Zeitraum von zwei Jahren führen darf, unabhängig davon, in welchem Umfang nach Meinung der Vermieter die bisherige Miete nicht dem Standard entsprach.

 

Kommen wir nochmals zu der Forderung zurück, die Lohnsätze über 50% anzuheben. Es ist falsch – wie dies leider in der Öffentlichkeit oftmals getan wird – davon auszugehen, dass die Gewerkschaften tatsächlich diese Forderung erheben und mit Gewalt durchzusetzen versuchen. Eine solche Darstellung widerspricht dem Procedere einer Tarifverhandlung.

 

Wir haben davon auszugehen, dass die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Hinblick auf den zu realisierenden Lohnsatz auseinandergehen. Genauso wie die Arbeitnehmer daran interessiert sind, möglichst hohe Löhne zu erhalten, liegt es im Interesse der Unternehmungen, die Kosten im Allgemeinen und damit auch die Lohnsätze möglichst niedrig zu halten.

 

Dies bedeutet, dass nur dann eine Einigung erzielt werden kann, wenn Kompromisse angeboten werden, welche die Positionen der beiden Tarifparteien einander annähern. Im Allgemeinen wird man aber nur dann von den Tarifparteien erwarten können, dass sie zu Abstrichen von ihren Vorstellungen (Forderungen bei den Gewerkschaften bzw. Angeboten bei den Arbeitgebern) bereit sind, wenn auch die jeweilige Gegenseite zu solchen Abstrichen bereit ist.

 

Kompromisse kann man aber nur dann schließen, wenn man nicht mit der letztmöglichen Forderung bzw. dem letztmöglichen Angebot die Verhandlung beginnt. Nur dadurch, dass die Gewerkschaften die Verhandlungen damit beginnen, dass sie mehr fordern, als sie eigentlich für berechtigt und realistisch halten, haben sie überhaupt die Möglichkeit, im Verlaufe der Verhandlungen Abstriche von ihren Forderungen vorzunehmen.

 

In gleicher Weise gilt auch für die Arbeitgeber, dass das Angebot zu Beginn der Verhandlungen wesentlich niedriger ist, als sie bereit sind zu zahlen. Ein amerikanischer Unternehmer soll eines Tages beschlossen haben, auf das Procedere der üblichen Tarifverhandlungen zu verzichten und sofort sein letztes Angebot zu präsentieren. Die Gewerkschaften gingen jedoch davon aus, dass sie noch etwas mehr an Zugeständnissen erreichen könnten und drohten deshalb mit Streik. Schließlich erwarteten ihre Mitglieder, dass sie mehr erhalten, als der Arbeitgeber auch ohne Gewerkschaftsdruck bereit war zu zahlen. Da aber der Arbeitgeber bereits sein letztes Angebot abgegeben hatte, blieb den Gewerkschaften nichts anderes übrig, als den angedrohten Streik auch wahrzumachen.

 

Offensichtlich gibt es keine plausible Alternative zu dem üblichen Verhandlungsmarathon. Nur auf diese Weise werden beide Partner bereit sein, sich aufeinander zuzubewegen. Auch sollte man sich darüber klar werden, dass dieser Handel für den Einigungsprozess wesentlich ist. Es ist nicht möglich, dass die Arbeitnehmer auf ihren Anfangsforderungen bzw. die Arbeitgeber auf ihrem ersten Angebot verharren. Auf der anderen Seite können die Verhandlungspartner nur dann von ihrem Gegenüber Kompromissbereitschaft hervorrufen, wenn sie zunächst den Eindruck erwecken, es mit dieser anfänglichen Position ernst zu meinen.

 

Wenn ein Verhandlungspartner schon im ersten Gespräch Kompromissbereitschaft erkennen lässt, besteht leicht die Gefahr, dass der andere Partner darauf hofft, auch ohne echte Zugeständnisse beim Partner Entgegenkommen zu erreichen. Es gehört also mit anderen Worten zu diesem Procedere, zunächst Härte zu zeigen und die Muskeln spielen zu lassen, um dann aber nach einer gewissen Zeit doch einzulenken, vorausgesetzt, auch der Partner ist zu Zugeständnissen bereit.

 

Nun besteht aber die Gefahr, dass die Mitglieder die Gefolgschaft verweigern, wenn ihre Verhandlungsführer beachtlich von ihren Anfangspositionen abrücken. Genauso wie die Verhandlungsführer in den eigentlichen Tarifverhandlungen alles daran setzen müssen, um bei ihrem Partner möglichst große Zugeständnisse abzuringen, genauso müssen nun nach dem Durchbruch und nach der Einigung die Verhandlungsführer ihre Mitglieder davon überzeugen, dass das Verhandlungsergebnis ein Erfolg darstellt, obwohl man von den Anfangspositionen mehr oder weniger abrücken musste.

 

Hier kommen nun auch die Medien ins Spiel. Wenn nämlich die Medien die Ereignisse um die Tarifkonflikte so darstellen, als ginge es um die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Anfangsforderungen, als seien diese voll berechtigt und wenn deshalb das Anfangsangebot der Arbeitgeber so dargestellt wird, als wollten die Arbeitgeber auch als Endergebnis der Verhandlungen nur Lohnerhöhungen im Umfang des Anfangsgebotes gewähren, so wird nicht nur die Realität falsch wiedergegeben, sondern der Einigungsprozess auf zweierlei Weise erschwert.

 

Auf der einen Seite werden nämlich die mit Streik drohenden Gewerkschaftsmitglieder in ihrer Haltung bestärkt, sie erfahren nun durch die Öffentlichkeit, dass ihre Anfangsforderungen berechtigt seien. Diese Haltung erschwert jedoch den Prozess der Kompromissfindung, es dauert dann auch länger, bis die Arbeitnehmer bereit sind, den von den Verhandlungsführern abgeschlossenen Kompromiss zu billigen. 

 

Im Allgemeinen kann man nämlich durchaus damit rechnen, dass aufgrund der Einschränkungen während eines Streiks die Bereitschaft der Gewerkschaftsmitglieder steigt, nach einer gewissen Zeit einem Kompromiss zuzustimmen. Darin sehen einige Konfliktforscher eine positive Funktion eines Streikausbruchs. Dieser positive Verlauf in der Einschätzung und Haltung der Arbeitnehmer bei einem Streik wird nun durch solche Darstellungen in den öffentlichen Medien erschwert und verzögert.

 

Auf der anderen Seite ruft eine solche falsche Darstellung der Arbeitskonflikte natürlich auch die anderen Arbeitnehmergruppen auf den Plan. Wenn öffentlich die Anfangsforderungen einer mit Streik drohenden Gewerkschaft als berechtigt hingestellt werden, so stimuliert dies die anderen Arbeitnehmergruppen ebenfalls ihre Lohnvorstellungen nach oben zu korrigieren und die Gewerkschaftsfunktionäre sehen sich gezwungen, diesen erhöhten Forderungen zu folgen, da von ihnen erwartet wird, dass sie die Interessen ihrer Mitglieder genauso energisch vertreten wie die anderen Gewerkschaften.

 

 

c. Erpressung unbeteiligter Endverbraucher

 

Wir haben im vorhergehenden Abschnitt Fälle untersucht, in denen Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgebern eine Schlüsselstellung einnehmen, die es ihnen erlaubt, den gesamten Betrieb stillzulegen. Wir wollen uns nun mit den Fällen befassen, in denen die Gewerkschaften auch gegenüber den Konsumenten über eine ähnlich starke Optionsfixierungsmacht verfügen.

 

Dies gilt in erster Linie für die meisten kleineren, in den letzten Jahrzehnten entstandenen Berufsgewerkschaften wie z. B. die Fluglotsen oder auch die ärztlichen Berufsverbände mit der Berechtigung Tarifverhandlungen zu führen, die aufgrund ihrer Schlüsselstellung auch bei einem Streik die Konsumenten in starkem Maße beeinträchtigen können.

 

Aber auch einige traditionelle klassische Gewerkschaften wie vor allem die Verdi beeinträchtigen bei einem Streik in starkem Maße die Interessen der Bürger, so etwa wenn die Arbeitnehmer der Müllabfuhr oder der städtischen Verkehrsbetriebe oder schließlich der Kindergärten streiken.

 

In diesen Fällen laufen die Beziehungen der Tarifpartner nach folgendem Muster ab: Zwei Kontrahenten G (Gewerkschaften) und A (Arbeitgeber) führen miteinander Streit. Nun zieht der eine Kontrahent G einen Unbeteiligten K (Konsumenten) heran und verprügelt ihn und sagt zu seinem Kontrahenten A: Jetzt möchte ich einmal sehen, wie lange Du dies aushältst.

 

Es ist klar, dass auf diesem Wege – wiederum unterstützt durch die öffentlichen Medien – ein starker Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt wird, einzulenken. Es wird nicht nur wie bei den normalen Arbeitskonflikten die finanzielle Situation der Arbeitgeber verschlechtert – sie erzielen während des Streiks keine Einnahmen aus dem Verkauf der Güter und Dienstleistungen –, sondern die Öffentlichkeit erwartet, dass die Arbeitgeber baldmöglichst einlenken und Zugeständnisse machen und dass damit die Beeinträchtigungen der Konsumenten beendet werden.

 

Genauso klar sollte jedoch auch sein, dass ein solches Vorgehen sowohl gegen das von den obersten Arbeitsgerichten aufgestellte Prinzip der Angemessenheit der Kampfmittel verstößt und darüber hinaus dem Grundgesetz widerspricht. Das Grundgesetz bestimmt, dass die Menschenwürde nicht verletzt werden darf, dass sie unantastbar ist. Das Heranziehen dritter Unbeteiligter und ihre massive Beeinträchtigung ist wohl kaum mit der Würde eines freien Bürgers vereinbar.

 

Nun könnte man einwenden, dass ja auch der Konsument indirekt zu den Beteiligten zählt, da ja die Arbeitgeber lediglich die Wünsche der Konsumenten ausführen, also gewissermaßen im Auftrag der Konsumenten handeln. Eine solche Argumentation verkennt jedoch das eigentliche Problem. Es ist eine Sache, dass der Konsument letzten Endes im Preis auch die Kosten zu übernehmen hat, welche bei der Produktion der einzelnen Güter entstehen, es ist eine andere Sache, ob er auch im Hinblick auf die Beeinträchtigungen bei einem Arbeitskonflikt ein Partner ist, auf den man massiven Druck ausüben darf.

 

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass auf den Arbeitsmärkten im Allgemeinen ein Nachfragemonopol besteht und dass die Tarifverhandlungen den Zweck verfolgen, den tatsächlichen Lohn in Richtung Konkurrenzlohn zu korrigieren, so muss man davon ausgehen, dass mit dem Lohnsatz auch der vom Endverbraucher zu zahlende Preis bisher zu gering war und dass es deshalb erwünscht ist, dass auch im Preis der Endprodukte letztlich Löhne berücksichtigt werden, die dem Lohnsatz bei Konkurrenz entsprechen.

 

Entscheidend ist hierbei, dass der Konsument immer die Möglichkeit hat, selbst zu bestimmen, wie er auf die Preissteigerungen reagiert. Er kann seinen Konsum einschränken, indem er sparsamer wirtschaftet oder auf Substitute ausweicht.

 

Im Hinblick auf die streikbedingten Beeinträchtigungen verfügt jedoch der Konsument über keine Reaktionsmöglichkeiten. Er sitzt nicht wie die Gewerkschaften oder Arbeitgeber am Verhandlungstisch und ist deshalb auch nicht in der Lage, durch Zugeständnisse die Beeinträchtigungen abzuwenden.

 

Er wird vielmehr durch den Streik vor vollendete Tatsachen gestellt; nach dem Prinzip: ‚Vogel friss oder stirb‘ steht er in Wirklichkeit einer Situation gegenüber, bei dem man von einem Diktat eines Optionsfixierer sprechen kann.

 

Fortsetzung folgt!