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Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik in wettbewerbspolitischer Sicht

 

(The free collective bargaining in the Federal Republic in view relating to competition)

 

von Bernhard Külp, Freiburg

 

 

* Dieser Artikel erschien in der Festschrift für Karl Brandt und Alfred E. Ott

    ‚Zur Zukunft des Wettbewerbs‘ Marburg 2012

 

 

Gliederung:

 

1. Zur Definition der Tarifautonomie

2. Zur Rechtfertigung der Tarifautonomie

3. Die von den obersten Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätze

4. Der Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften

 

 

1. Zur Definition der Tarifautonomie

 

In der BRD besteht Tarifautonomie. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes erlaubt den Arbeitnehmern, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Diese haben das Recht, mit den Arbeitgebern Tarifverhandlungen zu führen. Hierbei wird den - zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern abgeschlossenen - Tarifverträgen ein weit größerer gesetzlicher Schutz gewährt als dies üblicherweise für Verträge gilt, welche zwischen privaten Personen und Verbänden abgeschlossen werden.

 

Für die Tarifverträge gilt vor allem das Unabdingbarkeitsprinzip. Aufgrund dieses Prinzips dürfen bei Gültigkeit des Tarifvertrages keine Zusatzvereinbarungen geschlossen werden, aufgrund derer sich der Arbeitnehmer schlechter stellt als im Tarifvertrag vereinbart, auch dann nicht, wenn diese Vereinbarung mit Zustimmung des Betriebsrates oder des betroffenen Arbeitnehmers erfolgt, vorausgesetzt natürlich, dass der betreffende Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsabschließenden Gewerkschaft ist.

 

Dieses Unabdingbarkeitsprinzip wird nun von den Gerichten sehr streng ausgelegt. Es wird stillschweigend unterstellt, dass sich ein Arbeitnehmer stets schlechter stellt, wenn effektive Lohnsätze mit dem Arbeitgeber vereinbart werden, welche unterhalb des tariflich gültigen Lohnsatzes liegen. In Wirklichkeit müssen wir jedoch davon ausgehen, dass die Wohlfahrt eines Arbeitnehmers nicht nur von der Lohnhöhe, sondern auch von den übrigen Arbeitsbedingungen abhängt, vor allem auch von der Sicherheit des Arbeitsplatzes. Wenn also ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Sicherheit des Arbeitsplatzes garantiert, dafür aber einen Lohnsatz zahlt, der unterhalb des Tariflohnes liegt, dann wird hierdurch im Allgemeinen das Interesse des Arbeitnehmers nicht verletzt.

Die Meinungsbefragungen, welche in der Vergangenheit unter den Arbeitnehmern der BRD durchgeführt wurden, haben durchgehend gezeigt, dass die Masse der Arbeitnehmer das Ziel der Sicherheit des Arbeitsplatzes höher einschätzt als das Ziel der Einkommenssteigerung. Es ist dringend erforderlich, dass die Arbeitsgerichte diese Vorstellungen der Arbeitnehmer zur Kenntnis nehmen und bei der Überprüfung der Unabdingbarkeit das Gesamtinteresse der Arbeitnehmer berücksichtigen, wobei selbstverständlich der Arbeitnehmer selbst zu entscheiden hat, wie sein Gesamtinteresse durch einen Arbeitsvertrag verändert wurde. 

 

Die zurzeit geltende Auslegung der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie räumt vor allem den mit den Gewerkschaften eingeräumten Tarifverträgen eindeutig den Vorrang vor Vereinbarungen zwischen Unternehmungsleitung und Betriebsrat ein. Betriebsräten wird das Recht abgesprochen, mit den Unternehmungen Tarifverträge abzuschließen. Widersprechen sich ein Tarifvertrag und die betrieblichen Vereinbarungen des Betriebsrates mit der Unternehmensleitung, so gilt der Vorrang des Tarifvertrages.

 

Diese Auslegung gefährdet jedoch in nicht notwendiger Weise das Ziel der Vollbeschäftigung. Wie bereits gezeigt, wird von der Masse der Arbeitnehmer das Ziel der Arbeitsplatzsicherheit höher eingeschätzt als das Ziel der Lohnsatz-steigerung. Wenn es einem Betriebsrat gelingt, Garantien für eine Arbeitsplatzsicherheit gegen einen gewissen Abschlag von den tariflichen Löhnen zu erzielen, so liegt diese Änderung in der Regel sowohl im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer als auch der Allgemeinheit.

 

Es ist deshalb dringend notwendig, dass in den Tarifverträgen Öffnungsklauseln vorgesehen werden, welche den Betriebsräten die Möglichkeit einräumen, mit der Unternehmungsleitung Vereinbarungen zu treffen und zur Sicherung der Arbeitsplätze oder anderer vorrangiger Ziele der Belegschaft auch Lohnsätze zu akzeptieren, welche die Tariflöhne unterschreiten. Andererseits sollten die Gerichte bei ihren Entscheidungen weniger auf den formellen Vorrang der Tarifverträge als auf das Interesse der betroffenen Arbeitnehmer sowie der Öffentlichkeit achten.

 

Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert den Tarifpartnern darüber hinaus das Recht, ihre Forderungen, insbesondere ihre Lohnvorstellungen ggf. mit Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen. Auch dieses Recht geht weit über die Rechte hinaus, die ansonsten privaten vertragsabschließenden Personen und Verbänden zustehen.

 

 

 

 

2. Zur Rechtfertigung der Tarifautonomie

 

Diese positive Koalitionsfreiheit widerspricht auf den ersten Blick den allgemeinen Grundsätzen einer Marktwirtschaft. Die Koordination der Einzelinteressen aller wirtschaftenden Personen setzt einen Wettbewerb zwischen den Marktpartnern voraus, sodass im Allgemeinen ein Kartellverbot oder zumindest eine staatliche Überwachung der Aktivitäten von Kartellen vorgesehen ist. Ein intensiver Wettbewerb ist aus allokationspolitischen Gründen notwendig, damit auf der einen Seite die Preise den Knappheitsverhältnissen entsprechen und somit eine optimale Aufteilung der knappen Produktionsfaktoren auf die einzelnen Verwendungsarten erfolgt. Auf der anderen Seite trägt der Wettbewerb unter den Anbietern dazu bei, dass die Unternehmungen stets nach Erneuerungen Ausschau halten und damit zu einer Qualitätsverbesserung und einer Kostensenkung beitragen. In verteilungspolitischer Hinsicht trägt der Wettbewerb dazu bei, dass die Arbeitnehmer nach Leistung entlohnt werden, wobei die Leistung nach dem Beitrag des einzelnen zum Inlandsprodukt gemessen wird.

 

Nun gibt es allerdings durchaus Ausnahmen von dieser Regel, auch auf anderen Märkten als dem Arbeitsmarkt. So entspricht es weitgehender Auffassung, der allerdings Friedrich von Hayek widersprochen hat, dass die Ausgabe von Banknoten nicht dem Wettbewerb konkurrierender Banken überlassen werden darf, dass zur Sicherung der Geldwertstabilität ein Monopol der Notenbank erforderlich ist. Der Geldwert kann nur stabil bleiben, wenn die umlaufende Geldmenge am Inlandsprodukt ausgerichtet wird und wenn deshalb der Wert einer Banknote nicht einfach deshalb sinken darf, weil Banknoten im Allgemeinen zu wesentlich geringeren Kosten hergestellt werden können als es dem Preis entspricht, der sich aus dem an der Stabilität des Geldwertes ausgerichteten Preis ergibt. Also muss durchaus überprüft werden, ob eine solche Ausnahmesituation nicht auch für den Arbeitsmarkt gilt.

 

Dass auch der Arbeitsmarkt einer Ausnahmeregelung bedürfe, wird im Allgemeinen damit gerechtfertigt, dass ohne diesen Verfassungsschutz die Arbeitnehmer einem natürlichen Nachfragemonopol auf den Arbeitsmärkten ausgesetzt wären und dass damit die Startchancengleichheit gravierend verletzt wäre.

 

Ein natürliches Nachfragemonopol wurde in der Anfangsphase der Industrialisierung damit begründet, dass wegen fehlender Mobilität ein Arbeitnehmer auf die wenigen Angebote an Arbeitsplätzen in der jeweiligen Wohngemeinde angewiesen war. Oftmals gab es in einer Gemeinde nur eine Unternehmung und mangels eines ausgebauten Verkehrsnetzes war es für die meisten Arbeitnehmer unzumutbar, in Nachbargemeinden eine Arbeit zu suchen.

 

Heute ist es aufgrund der drastischen Senkung der Verkehrskosten für den Arbeitnehmer möglich, seinen Arbeitsplatz auch in benachbarten Gemeinden zu suchen. Viele Arbeitnehmer legen heutzutage viele KM im eigenen Wagen oder mit dem Motorrad oder mit den öffentlichen Verkehrseinrichtungen zurück, um täglich zur Arbeitsstelle, welche sich in benachbarten Gemeinden befindet, zu fahren.

 

Trotzdem kann man auch heute noch von einer nachfragemonopolartigen Macht sprechen, da die Arbeitgeber vor allem der Großunternehmungen bei der Einstellung von Arbeitskräften über ein Informationsmonopol verfügen. Während ein Arbeitnehmer oftmals nur einmal während seines gesamten Lebens eine neue Arbeitsstelle sucht oder zumindest nur einige wenige mal auf Arbeitsplatzsuche gehen muss, ist die Suche von Arbeitskräften für Großunternehmungen ein Routinegeschäft, aufgrund dessen sich der Arbeitgeber Spezialwissen aneignet und eigene ausgebildete Fachkräfte für Personalangelegenheiten beschäftigen kann. Das Recht der Arbeitnehmer, sich in Gewerkschaften zu organisieren und in Tarifverhandlungen für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, trägt somit auch heute noch dazu bei, auf den Arbeitsmärkten die Startchancengleichheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern durchzusetzen.

 

Die Tarifautonomie richtet sich zunächst gegen den Staat: Es ist in der BRD nicht Aufgabe des Staates, Lohnpolitik zu betreiben und die Rechte der Tarifpartner zu beschneiden.  Der Staat hat sich darauf zu beschränken, allgemeine Richtlinien für die Tariflohnpolitik zu verabschieden, die notwendig sind, um negative Auswirkungen der Tariflohnpolitik auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele zu verhindern. Tarifautonomie bedeutet jedoch zweitens auch, dass Tarifverhandlungen auf Arbeitnehmerseite nur von den Gewerkschaften, aber z. B. nicht von den Betriebsräten, die ja ebenfalls die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, geführt werden dürfen.

 

Nicht in allen Ländern der westlichen Welt besteht eine derartige Tarifautonomie, obwohl fast in allen Staaten kollektive Tarifverhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geführt werden. Es gibt Staaten (z. B. die Niederlande oder Schweden), in denen der Staat Mindestlöhne vorschreibt oder vorschrieb und andere Staaten (z. B. Dänemark, die USA), in denen die Regierung das Recht besitzt (besaß), unter gewissen Voraussetzungen die Beendigung des Streiks festzusetzen (bzw. einen Streik vorübergehend auszusetzen und einen bindenden Schiedsspruch zu fällen).

 

In begrenztem Umfang können jedoch auch die Arbeitsbedingungen in der BRD vom Staat festgesetzt werden. So hatten die Arbeitsminister des Bundes und der Länder schon immer die Möglichkeit, auf Antrag eines der Tarifpartner den zunächst nur für die Gewerkschaftsmitglieder gültigen Tarifvertrag auf die ganze Branche zu übertragen. Weiterhin wurde seit den 90er Jahren zunächst in der Baubranche, später auch in einer Reihe von weiteren Branchen ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Es ist das Ziel der Gewerkschaften, aber auch der SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn für die gesamte Volkswirtschaft einzuführen.

 

John Kenneth Galbraith hat nun in seiner Theorie der ‚countervailing powers’ die Auffassung vertreten, dass von den ‚countervailing powers’ eine ähnliche – nämlich Ordnung stiftende – Funktion ausgehe, wie sie allgemein dem Wettbewerb im Rahmen liberaler Theorien zugedacht werde. Vor allem in verteilungspolitischer Hinsicht könne eine Gegenmacht auf der Arbeitnehmerseite die sonst monopolbedingten Lohnverzerrungen abbauen.

 

Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Entstehung eines einseitigen Monopols, z. B. des Nachfragemonopols der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt, welches entsprechend der von Antoine Augustin Cournot entwickelten Monopoltheorie dazu führt, dass die Löhne und die Nachfrage nach Arbeit im Vergleich zu den Konkurrenzmärkten zu niedrig ausfallen. Diese sowohl allokations- wie auch verteilungspolitisch unerwünschten Wirkungen eines Nachfragemonopols könnten nun nach Galbraith dadurch wiederum behoben werden, dass sich auch die Angebotsseite des Arbeitsmarktes monopolistisch organisiere. Die Löhne könnten nun wiederum auf das Konkurrenzniveau angehoben werden und die Nachfrage nach Arbeit  würde dementsprechend auch wiederum der Nachfrage bei Konkurrenz entsprechen.

 

Es bleibt allerdings unklar, ob die Bildung eines Monopols der Angebotsseite des Arbeitsmarktes das Pendel nicht wiederum in die andere Richtung ausschlagen lässt, also Löhne erzielt werden, die zu hoch sind und die Knappheit der Arbeitskräfte nicht korrekt widerspiegeln und welche deshalb auch die Produktionslenkung – nun in die andere Richtung – verzerren.

 

Es liegt nahe, zur Klärung dieser Frage die Theorie des bilateralen Monopols heranzuziehen. Die Theorie des bilateralen Monopols wurde zunächst für Gütermärkte entwickelt, aber sehr bald (z. B. von William J.  Fellner) auf den Arbeitsmarkt übertragen. Diese Theorie konnte zwar im Hinblick auf die Frage nach der genauen Höhe des im bilateralen Monopol erzielten Lohnsatzes keine neuen wesentlichen Erkenntnisse bringen. Die Theorie des bilateralen Monopols geht nämlich davon aus, dass die Morphologie dieser Marktform die Verhaltensweisen der Marktpartner nicht eindeutig bestimmt, wie dies ansonsten auf Wettbewerbsmärkten aber auch im Cournot‘schen Monopol der Fall ist, dass also im bilateralen Monopol recht unterschiedliche Verhaltensweisen möglich sind. Die Partner können sich wie auf Wettbewerbsmärkten als Mengenanpasser, weiterhin wie Monopolisten, aber auch als Optionsfixierer verhalten, welche sowohl den Preis wie auch die Menge bestimmen und ihren Partner nur die Option lassen, entweder zu diesen Bedingungen den Vertrag abzuschließen oder vom Vertrag zurückzutreten.

 

Schließlich gibt es auch die Strategie der schrittweisen Einigung. Danach einigt man sich in einem ersten Schritt auf die Regelungen, die auch zu Beginn der Verhandlungen bereits unstrittig sind, um sich dann in weiteren Schritten auf Veränderungen zu einigen, welche beiden Partnern Nutzengewinne versprechen. Die Strategie der schrittweisen Einigung endet in dem Punkt, in welchem jede weitere Änderung mindestens einem der Tarifpartner einen Nachteil bringen würde.

 

Der Hinweis, dass von den morphologischen Bedingungen her recht unterschiedliche Verhaltensweisen der Marktpartner möglich sind, führt dann dazu, dass der Lohnsatz zwar nicht über das Durchschnittsprodukt der Arbeit und auch nicht unter das Existenzminimum der Arbeitnehmer fallen kann, dass aber innerhalb dieser Grenzen jede Lohnhöhe je nach Machtverhältnissen der Tarifpartner erreicht werden kann. Dies ist eine Binsenwahrheit und bringt keinerlei neuen Erkenntnisse. Insoweit bringt diese Theorie keinen befriedigenden zusätzlichen informativen Gehalt.

 

Vielleicht lässt sich jedoch aus diesem Hinweis in negativem Sinne ableiten, dass die von Galbraith ins Gespräch gebrachte Korrekturfunktion der Countervailing Powers doch nicht in jedem Falle zu erwarten ist, dass zwar in einem bilateralen Monopol eine Angleichung der Löhne an das Konkurrenzniveau möglich ist, dass aber nicht mit Sicherheit mit diesem positiven Ergebnis gerechnet werden kann.

 

Es ist vielmehr durchaus möglich, dass die Korrektur auf der einen Seite über ihr Ziel hinausschießt und den Gewerkschaften so etwa bei Optionsfixierung seitens der Arbeitnehmerseite so viel Macht bringt, dass den Unternehmungen keine Gewinne verbleiben und diese somit auch nicht in der Lage sind, durch Investitionen Qualitätsverbesserungen und Kostensenkungen herbeizuführen. Auf der anderen Seite ist es aber auch denkbar, dass den Arbeitgeberverbänden so viel Macht verbleibt, um im Sinne einer Optionsfixierung die Löhne auf das Existenzminimum zu drücken. 

 

Diese Erkenntnis führt dann zu der Schlussfolgerung, dass von der Tarifautonomie nur dann eine positive Korrekturfunktion ausgeht, wenn zusätzlich zu der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie durch die Arbeitsgerichte Spielregeln entwickelt werden, welche sicherstellen, dass diese möglichen Fehlfunktionen eines bilateralen Monopols in praxi nach Möglichkeit unterbunden werden. In der Tat haben die obersten Arbeitsgerichte in der Bundesrepublik eine Reihe von Prinzipien entwickelt, welche ein positives Ergebnis der Tarifpraxis ermöglichen sollen. Wir werden weiter unten auf diese Grundätze noch ausführlich zu sprechen kommen.

 

In einem Punkt allerdings brachte die Theorie des bilateralen Monopols eine neue Erkenntnis. Man kann nämlich nachweisen, dass unter gewissen vereinfachenden Bedingungen die Strategie der schrittweisen Einigung genau bei der Arbeitsmenge und damit bei der Allokation endet, die auch unter Wettbewerbsbedingungen erreicht worden wäre. Zu diesen Bedingungen zählt einmal, dass die Tarifpartner eine Strategie der schrittweisen Anpassung wählen (eine Annahme, welche durchaus realistisch erscheint) und dass unter Bedingungen homogenlinearer Ertragsfunktionen produziert wird, eine Annahme, welche zwar in der Regel in der Ertragstheorie unterstellt wird, welche jedoch keinesfalls immer der Realität entspricht.

 

Die traditionelle Wohlfahrtstheorie hatte bekanntlich nachgewiesen, dass bei vollständiger Konkurrenz auf allen Märkten (und bei Fehlen externer Effekte) gerade das gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsoptimum und damit auch Vollbeschäftigung erreicht werde. Dies bedeutet nun gleichzeitig, dass bei Anwendung der Strategie der schrittweisen Einigung zwar Löhne erreicht werden können, die über den Wettbewerbslöhnen liegen, dass aber trotzdem das Ziel der Vollbeschäftigung nicht verletzt wird. Damit glaubte man nachgewiesen zu haben, dass im bilateralen Monopol die allgemeine Regel, dass Abweichungen vom Konkurrenzlohn immer zu Fehlallokationen und damit zu Arbeitslosigkeit führen müssen, außer Kraft gesetzt sei.

 

Darüber hinaus gelang es der Theorie des bilateralen Monopols nachzuweisen, dass das Cournot’sche Monopol keinesfalls immer eine für den Arbeitgeber optimale Lösung darstellt, der Cournot’sche Punkt umschließt nämlich im Allgemeinen eine Fläche (von Kombinationen zwischen Lohnsatz und Arbeitsmenge), welche beiden Tarifpartnern vom Cournot’schen Punkt ausgehend einen Nutzengewinn ermöglichen.

 

 

3. Die von den obersten Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätze

 

Befassen wir uns nun etwas ausführlicher mit den von den obersten Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätzen. Das Bundesarbeitsgericht hat seit Bestehen der Bundesrepublik insbesondere folgende Prinzipien entwickelt: das Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel, das Prinzip der Neutralität des Staates und das Prinzip der Friedenspflicht.

 

Beginnen wir zunächst mit dem Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien. So bemühten sich die obersten Arbeitsgerichte vor allem um eine Ausgewogenheit in der Machtausübung beider Tarifpartner. Ohne die Anerkennung der Gewerkschaften müsste befürchtet werden, dass die Arbeitgeber auf den Arbeitsmärkten über ein Nachfragemonopol verfügten. Würde die Tarifordnung nur den Arbeitnehmern ein Kampfrecht zuerkennen, bestünde die Gefahr, dass das Pendel der Machtverteilung umschlüge und dass deshalb die Gewerkschaften ein einseitiges Angebotsmonopol erlangen könnten. Deshalb wird den Arbeitgebern in der BRD ein Aussperrungsrecht zuerkannt, wobei der Umfang der Aussperrungsmöglichkeit selbst wiederum zur Wahrung der Kampfparität in Abhängigkeit des Streikumfanges der Gewerkschaften begrenzt wird.

 

Im Allgemeinen sind die Arbeitgeber nur zu sogenannten Abwehraussperrungen berechtigt, die dazu dienen, zuvor eingeleitete Streiks zu begrenzen. Angriffsaussperrungen gelten als nur dann zulässig, wenn die Arbeitgeber das Ziel verfolgen würden, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Da in der Bundesrepublik bisher keine Angriffsaussperrungen durchgeführt wurden, haben sich die Gerichte auch noch nicht eigens mit diesem Kampfmittel befasst und sind deshalb nur am Rande auf dieses Kampfmittel eingegangen; hieraus erklärt sich auch, dass die Berechtigung von Angriffsaussperrungen kontrovers diskutiert wird.

 

Im Rahmen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel achten die Gerichte darauf, dass die Maßnahmen im Hinblick auf die Ziele der Tarifpartner verhältnismäßig sind. So darf keine Tarifpartei Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, den jeweiligen Tarifpartner vernichtend zu schlagen. Auch muss darauf geachtet werden, dass allgemeine Gemeinwohlziele von den Kampfmaßnahmen nicht zu stark beeinträchtigt werden. So sind Streiks im Gesundheitswesen nur in begrenztem Maße erlaubt. Auch sind politische Streiks, die sich gegen die demokratischen Entscheidungen der Parlamente und Regierungen wenden, untersagt. Schließlich dürfen die Kampfmaßnahmen nicht in erster Linie unbeteiligte Dritte treffen. Dies war jedoch in der Vergangenheit sehr oft bei Streiks im Gesundheitswesen und im Verkehrssektor (Bundesbahn und Luftfahrt) der Fall.

 

Was besagt nun das Prinzip der Neutralität des Staates? Tarifautonomie bedeutet, dass der Lohnbildungsprozess den Tarifpartnern vorbehalten bleibt, dass der Staat keine einseitige Partei zugunsten der einen Seite ergreifen darf. Trotzdem übt der Staat einen vielfältigen Einfluss auf das Tarifgeschehen aus, wobei diese Einflussnahme vor allem damit gerechtfertigt werden kann, dass über die Festlegung der Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen gesamtwirtschaftliche Ziele, deren Verfolgung dem Staate obliegen, beeinträchtigt werden können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung.

 

Im Zusammenhang mit dem Prinzip der Friedenspflicht sind die Gerichte weiterhin bemüht, Arbeitskonflikte soweit wie möglich zu vermeiden. Diesem Ziel dient insbesondere der Grundsatz, dass während der Dauer der Tarifverhandlungen keine Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet werden dürfen. Strittig ist allerdings die Frage, inwieweit Warnstreiks, die nur für eine kurze Zeit eine Arbeitsunterbrechung vorsehen und die von vornherein zeitlich auf wenige Stunden oder Tage begrenzt sind, die Friedenspflicht verletzen.

 

Weiterhin gelten sogenannte wilde Streiks, die ohne formale Urabstimmung und ohne Leitung der Gewerkschaftsspitze von einzelnen Mitgliedern ausgerufen werden, als illegitim. Zwar sind die formalen Voraussetzungen für einen offiziellen Streik in den Gewerkschaftssatzungen niedergelegt und betreffen deshalb zunächst lediglich das Innenverhältnis zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsführung. Die Tarifautonomie sieht jedoch für die Aktivitäten der Tarifpartner einen weit größeren gesetzlichen Schutz vor als dies für Aktivitäten sonstiger privater Organisationen gilt, und dieser besondere Schutz entfällt, wenn z. B. im Rahmen wilder Streiks die Interessensphäre der Arbeitgeber verletzt wird.

 

 

4. Der Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften

 

Wir haben bei unseren bisherigen Überlegungen stillschweigend unterstellt, dass dem Prinzip der Tarifautonomie dadurch entsprochen wird, dass auf den Arbeitsmärkten ein bilaterales Monopol besteht, dass also auf der Arbeitgeberseite nur ein einzelner  Verband als Tarifpartner agiert, der die Gesamtheit der betroffenen Unternehmungen in den Tarifverhandlungen vertritt und dass auch alle betroffenen Arbeitnehmer in einer einzigen gemeinsamen Gewerkschaft vertreten sind. Ein bilaterales Monopol liegt ja im eigentlichen Wortsinne nur dann vor, wenn sowohl auf der Angebots- wie auch Nachfragseite eines Arbeitsmarktes stets nur ein Akteur (Arbeitgeberverband bzw. Gewerkschaft) vorhanden ist.

 

In der Realität müssen wir allerdings davon ausgehen, dass im Einzelfall durchaus auch mehrere Organisationen vorhanden sind und mit der jeweiligen Gegenseite Tarifverhandlungen führen. Wir haben dann durchaus eine wettbewerbliche Marktform, wobei es allerdings von den näheren Umständen abhängt, ob auch von diesem Wettbewerb positive Funktionen auf Distribution und Allokation ausgehen oder ob mit negativen Dysfunktionen zu rechnen ist. Wir können davon ausgehen, dass die Morphologie der Marktformen in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich ausgestaltet ist und dass auch in ein und demselben Land im historischen Ablauf Veränderungen in der jeweils realisierten Marktform eingetreten sind.

 

Hierbei wird die spezielle Marktform vor allem von drei Prinzipien bestimmt. Besteht erstens das Prinzip der Einheitsgewerkschaft (bzw. einheitlicher Arbeitgeberverband) oder können die Arbeitnehmer zwischen mehreren Gewerkschaften wählen, sind die Gewerkschaften zweitens nach Berufen oder nach Wirtschaftszweigen gegliedert und wird drittens auf betrieblicher, auf der Ebene regionaler Branchen oder schließlich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene verhandelt?

 

Man versteht unter Einheitsgewerkschaft eine Gewerkschaftsorganisation, die nicht nach weltanschaulichen Kriterien gegliedert ist. In der BRD war dieses Prinzip lange Zeit weitgehend realisiert, allerdings mit geringen Ausnahmen: Es gab vereinzelt christliche Gewerkschaften, welche in bestimmten Bundesländern zu Beginn der BRD  (vor allem im Saarland) eine gewisse tarifpolitische Bedeutung erlangt haben. In der Tat wurde auch unmittelbar nach Gründung der Bundesrepublik diskutiert, ob die in christlichen Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer selbständig auftreten sollten oder sich innerhalb des DGB als Dachverband aller (oder zumindest der meisten Arbeitnehmer) organisieren sollten. Die meisten christlichen Arbeitnehmer entschieden sich schließlich, sich innerhalb des DGB zu organisieren. Die Beamten waren schon immer teilweise im DGB zusammengeschlossen, teilweise bildeten sie jedoch den selbständigen Beamtenbund, der für die Interessen der staatlichen Beamten auftritt.

 

Seit einigen Jahren ist allerdings eine Reihe von kleineren Gewerkschaften entstanden; diese traten auch sehr aggressiv auf und erreichten auf diese Weise für ihren Berufsstand wesentliche Verbesserungen. Zu diesen Spartengewerkschaften zählen vor allem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die Vereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleitungsorganisation (UFO), die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und der Marburger Bund der Ärzte.

 

In anderen Ländern (Frankreich, Italien, aber auch in der Weimarer Republik) haben (hatten) wir eine weltanschauliche Ausrichtung der Gewerkschaften, es gibt (gab) christliche, kommunistische und sozialistische Gewerkschaften. In Holland gab es sogar auch eine weltanschauliche Ausrichtung der Arbeitgeberverbände.

 

Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang hierbei zu untersuchen: Welchen Einfluss hat dieses Prinzip der Einheitsgewerkschaften auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und welchen Einfluss hat dieses Prinzip auf das Verhältnis zwischen Mitglieder und Funktionäre?

 

Soweit das Prinzip der Einheitsgewerkschaft verwirklicht ist, verhandeln die Arbeitgeber hier nur mit einer einzigen Gewerkschaft. Der Organisationsgrad der einzelnen Gewerkschaft ist hier in der Regel größer. Beide Faktoren (Prinzip der Einheitsgewerkschaft sowie Gewerkschaftsgröße) stärken die Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Gleichzeitig sind die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Verhandlungen einschließlich der Streikkosten geringer, als wenn mit mehreren Gewerkschaften verhandelt werden müsste. Nur einmal innerhalb einer Tarifperiode (zumeist einem Jahr) stehen Verhandlungen an. Sobald die Tarifverhandlungen abgeschlossen sind und ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wurde, haben die Unternehmungen Planungssicherheit, sie können die Kosten anstehender Investitionen abschätzen, ihr allgemeines Unternehmerrisiko ist gesunken.

 

Der intergewerkschaftliche Wettbewerb der einzelnen Verbände um Mitglieder entfällt; dies bedeutet eine Reduzierung der potentiellen Kontrolle der Verbandsfunktionäre, welche die Arbeitnehmer bei einem Wettbewerb zwischen einzelnen Gewerkschaften grundsätzlich ausüben. Diese Kontrolle ist bei den Gewerkschaften von besonderer Bedeutung, da auch der intragewerkschaftliche Wettbewerb um Führungsämter im Allgemeinen nicht so funktioniert (Lipset), wie dies im Rahmen der staatlichen Demokratie zumeist der Fall ist.  Nur selten werden bei den Vorstandswahlen den Mitgliedern mehrere Alternativen zur Wahl gestellt.

 

Allerdings ist der Wettbewerb zwischen weltanschaulich gegliederten Gewerkschaften ebenfalls gering, da die Bereitschaft zum Gewerkschaftswechsel im Falle der Unzufriedenheit mit der eigenen Organisation gering sein dürfte. Ein überzeugter Christ wird z. B. in der Regel auch dann nicht zu einer kommunistischen Gewerkschaft überwechseln, wenn es dieser Gewerkschaft gelang, durch besonders aggressives Auftreten bessere Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder zu erkämpfen. Andererseits dürfte auch ein überzeugter Kommunist nicht bereits deshalb zu einer christlichen Gewerkschaft überwechseln, weil es der kommunistischen Gewerkschaft nicht gelungen ist, den mit den anderen Gewerkschaften erzielten allgemeinen Standard zu erreichen. Man gehört aus ideellen Gründen der weltanschaulich gegliederten Gewerkschaft an und wechselt bei Verschlechterung der materiellen Bedingungen nicht sofort das eigene Hemd.

 

Da somit der Wettbewerb aufgrund vorwiegend weltanschaulich gegliederter Gewerkschaften gering ist, dürfte auch der sonst positive Einfluss eines Wettbewerbs hier gering ausfallen und nur wenig dazu beitragen, dass die Lohnsätze der Grenzproduktivität der Arbeit angenähert werden. Andererseits kann der Wettbewerb der einzelnen Gewerkschaften dazu beitragen, besonders aggressiv aufzutreten und den Unternehmungen durch häufige und lang anhaltende Streiks hohen Schaden zufügen, der sich weniger darin äußert, dass der Gewinn der Unternehmerhaushalte zurückgeht, sondern eher darin, dass die Fähigkeit der Unternehmungen zu Wachstum zurückgeht und mit ihr auch die Beschäftigungschancen.

 

Soweit das Prinzip der Einheitsgewerkschaft realisiert ist, kommt der im Grundgesetz geschützten sogenannten negativen Koalitionsfreiheit eine besondere Bedeutung zu. Man versteht darunter das Recht des einzelnen Arbeitnehmers, bei Unzufriedenheit mit der gewerkschaftlichen Arbeit aus der eigenen Gewerkschaft auszutreten bzw. der Gewerkschaft von vornherein fernzubleiben. Die positive Koalitionsfreiheit bezieht sich hingegen auf das Recht der Arbeitnehmer, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Da nämlich sowohl der inter- wie auch der intragewerkschaftliche Wettbewerb äußerst gering ist, geht von dem Prinzip der negativen Koalitionsfreiheit die einzige größere kontrollierende Wirkung auf die Funktionäre aus.  Sind die Arbeitnehmer mit der Arbeit der Gewerkschaft nicht zufrieden, können sie diese Unzufriedenheit nicht dadurch kundtun, dass sie zu einer anderen Gewerkschaft überwechseln; sie können aber dann immerhin der Gewerkschaft fern bleiben. 

 

Da in der Bundesrepublik Deutschland die Tariflöhne de facto zumeist auch den nichtorganisierten Gewerkschaften ausgezahlt werden, erleiden die Arbeitnehmer, die von diesem Austrittsrecht Gebrauch machen, unter normalen Bedingungen auch keine größeren materiellen Verluste. De facto ist der Organisationsgrad der im DGB organisierten Arbeitnehmer denkbar gering. Er lag 2008 für die im DGB zusammengeschlossenen Arbeitnehmer bei etwa 17,8%, während er 1997 für alle Gewerkschaften noch bei  33% lag.

 

Nur während eines Streiks stellen sich die nichtorganisierten Arbeitnehmer u. U. schlechter, da sie sich eventuell gezwungen sehen, sich am Streik zu beteiligen oder von den Arbeitgebern ausgesperrt werden, im Gegensatz zu den organisierten Arbeitnehmern jedoch kein Streikgeld beziehen.

 

Die negative Koalitionsfreiheit (zusammen mit der Gewährung der Tariflöhne auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern) führt andererseits dazu, dass die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Gewerkschaft geringer ausfällt als es im Interesse der Arbeitnehmer liegt.  Durch das Prinzip der negativen Koalitionsfreiheit wird nämlich die Gewerkschaftsaktivität zu einem Kollektivgut: An den Kosten der Gewerkschaftsaktivität beteiligen sich nur die organisierten Arbeitnehmer, während die Erträge aus der gewerkschaftlichen Arbeit auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern zufließen. Da somit die gruppenbezogenen Grenzerträge höher ausfallen als die Grenzerträge, die den organisierten Arbeitnehmern zufallen, liegt das optimale Aktivitätsniveau der organisierten Arbeitnehmer bei einer geringeren Aktivität als das gruppenbezogene Optimum.

 

Der Wettbewerbsgrad hängt eng zusammen mit einem weiteren Prinzip, der Frage nämlich, ob die Gewerkschaften nach dem Industrie- oder nach dem Berufsprinzip gegliedert sind. Das Industrieprinzip sieht eine Gliederung der Verbände nach Gütermärkten vor. Beim Berufsprinzip erfolgt die Gliederung der Verbände nach Faktormärkten.

 

Wie wirkt sich nun das Berufsprinzip im Vergleich zu dem in der BRD vorherrschenden Industrieprinzip auf Verteilung und Allokation aus? Die Gewerkschaften streben eine Nivellierung der Einkommen, allerdings zumeist nur bezogen auf ihre Mitglieder an. Im Hinblick auf die Einkommensunterschiede zwischen den einzelnen Gewerkschaften wird eher eine Erhaltung oder sogar Erhöhung des Platzes innerhalb der Lohnhierarchie angestrebt. Bei Verwirklichung des Industrieprinzips ist hingegen eine Nivellierungstendenz zwischen den Löhnen verschiedener Arbeitsqualität des gleichen Wirtschaftszweiges zu erwarten.

 

Es ist eine Faktenfrage, bei welchem Prinzip die möglichen Fehlallokationen größer sind.  Prinzipiell gilt, dass die Fehlallokationen dort größer sind, wo die Unterschiede zur Marktlösung am größten sind. Wenn man unterstellen könnte, dass sich die Grenzprodukte der Arbeit zwischen den einzelnen Arbeitsqualitäten stärker unterscheiden als zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen für die gleiche Arbeitsqualität, dann würden beim Industrieprinzip größere Fehlallokationen zu erwarten sein. Für diese These spricht, dass die Mobilität zwischen den Wirtschaftszweigen insgesamt größer sein dürfte als zwischen den Berufen. Es ist im Allgemeinen leichter, innerhalb desselben Berufes in einem andern Wirtschaftszweig einen Arbeitsplatz zu finden, als den Beruf zu wechseln.

 

Das Industrieprinzip gestattet allerdings darüber hinaus im Gegensatz zum Berufsprinzip eine einheitliche Verhandlungsführung, so dass die gesamtwirtschaftlichen Verhandlungs- und Arbeitskampfkosten beim Industrieprinzip insgesamt wesentlich geringer ausfallen. Das Aufkommen der Spartengewerkschaften hat nun dazu geführt, dass die Unternehmungen immer häufiger mit mehreren Gewerkschaften verhandeln müssen und dass damit das bisher weitgehend geltende Prinzip der Tarifeinheit innerhalb einer Branche aufgegeben wurde und damit die Kosten der Verhandlungsführung angestiegen sind. Allerdings könnten diese negativen Effekte vermieden werden, wenn aufgrund freiwilliger Vereinbarungen der Spitzenverbände oder auch durch gesetzliche Regelung eine einheitliche Tarifrunde vorgesehen wird, dass also alle maßgeblichen Gewerkschaften zur gleichen Zeit an den gemeinsam geführten Verhandlungen teilnehmen müssen.

 

Die Wettbewerbsposition wird drittens auch dadurch beeinflusst, auf welcher Ebene die Tarifverhandlungen stattfinden. Prinzipiell ist es denkbar, dass auf betrieblicher, auf regionaler, auf branchenwirtschaftlicher Gesamtebene und sogar auf gesamtwirtschaftlicher Ebene über die Branchen hinweg verhandelt wird. Die BRD zeichnet sich durch regionale Verhandlungen auf Branchenebene aus; nur in seltenen Fällen finden auf Betriebsebene Tarifverhandlungen statt, so etwa weil die Unternehmung (wie z. B. das Volkswagenwerk) keinem Arbeitgeberverband angehört. In den USA sind Betriebsverhandlungen die Regel, in den skandinavischen Ländern wird (wurde) oftmals auf der Ebene der gesamten Branche oder sogar der gesamten Volkswirtschaft verhandelt.

 

Welche verteilungspolitischen Wirkungen sind nun von einer dezentralen Lösung zu erwarten? Die Gewerkschaften können in die Differentialgewinnzone eindringen und damit eine höhere Lohnquote erkämpfen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Gewinnzitrone, die zusammengepresst werden kann. Da die Gewinnhöhe der einzelnen Unternehmungen je nach Produktivität unterschiedlich hoch ausfällt, können bei dezentralen Tarifverhandlungen die Differentialgewinne der Unternehmer auch besser ausgeschöpft werden.

 

Bei zentraler Lösung muss auf die Situation des Grenzbetriebes Rücksicht genommen werden. Dieser Vorteil einer betrieblichen Lösung geht jedoch auf Kosten des Nivellierungszieles, da sich bei einer solchen Lösung die Löhne zwischen den Betrieben je nach Gewinnlage unterscheiden. Gleichzeitig bestimmt die Verhandlungsebene die Machtposition innerhalb der Gewerkschaft. Bei einer dezentralen (betrieblichen) Regelung ist hingegen die Position der Zentrale geschwächt.

 

Wie steht es nun um die allokationspolitische Wirkung einer dezentralen Lösung? Durch Reduzierung der Differentialgewinne entfallen die Anreize auf Unternehmerseite, jeweils das Kapital zu den Verwendungsarten abzuziehen, die volkswirtschaftlich die höchste Produktivität aufweisen. Andererseits werden die Anreize der Arbeitnehmer, zu den produktivsten Arbeitsstätten abzuwandern, verstärkt. Da die Mobilität der Unternehmungen und des Kapitals im Wettbewerb insgesamt größer sein dürfte als die der Arbeitnehmer, sind die Allokationswirkungen einer dezentralen Verhandlungsführung eher negativ zu beurteilen. Andererseits spricht für eine dezentrale Lösung, dass die Gefahr von Fehlallokationen dort geringer ist und dass auch Datenänderungen leichter verkraftet werden können.

 

Nach Vorstellungen in der Literatur ermöglichen zentrale Verhandlungen weit besser als dezentrale Verhandlungen die Lohnhöhe auf das gesamtwirtschaftlich erwünschte Ausmaß zu begrenzen. Auf der zentralen Ebene würden nur solche Lohnforderungen beschlossen, die von allen Branchen und Regionen getragen werden können. Damit erfolge automatisch eine Ausrichtung an den Grenzunternehmungen. Je nach Produktivitätsunterschied könnten in den einzelnen Branchen und Unternehmungen übertarifliche Lohnzuschläge vereinbart werden, die nicht die Beschäftigung gefährden.

 

In dezentralen, aber überbetrieblichen Verhandlungssystemen (z. B. BRD) sei die Gefahr expansiver Lohnsteigerungen größer als bei zentralen (z. B. Schweden) Verhandlungen, aber auch größer als bei Verhandlungen auf Betriebsebene (z. B. USA). Bei dezentralen überbetrieblichen Verhandlungen sei die Bereitschaft zu Lohnzugeständnissen der Unternehmer größer als bei betrieblichen Verhandlungen, da die Unternehmer davon ausgingen, dass Lohnkostensteigerungen auf den Güterpreis abgewälzt werden könnten, ohne dass die nationale Wettbewerbsposition dadurch beeinträchtigt werde.

 

Gleichzeitig seien die Lohnsteigerungen bei dezentralen Verhandlungen insgesamt größer als bei zentralen Verhandlungen, da sich die Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht an der gesamtwirtschaftlichen, sondern in den Wachstumsindustrien an der branchenwirtschaftlichen, zumeist höheren Produktivität ausrichteten (hump shape).

 

Kritisch ist anzumerken, dass de facto die Lohnstückkosten gerade in Schweden, das lange Zeit eine stark zentrale Verhandlung praktizierte, angestiegen sind. Erklären lässt sich dieser Tatbestand damit, dass in Schweden in immer stärkerem Maße auf regionaler und sektoraler Ebene Nachverhandlungen geführt wurden. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass die Verbindung der zentralen mit der dezentralen Verhandlung insgesamt die Lohnforderungen der Gewerkschaften erhöht. Die Einzelgewerkschaften können sich nämlich nur dadurch bewähren, dass sie höhere Forderungen durchsetzen als bereits auf zentraler Ebene beschlossen wurden. Die Neutralität der übertariflichen Lohnzuschläge ist darüber hinaus nur gewährleistet, wenn in den Tarifverhandlungen keine Effektivklauseln vereinbart werden. Im Gegensatz zur BRD gelang es jedoch den schwedischen Gewerkschaften oftmals, Effektivklauseln in den Tarifverträgen zu verankern.

 

Literatur:

 

European Agency for Safety and Health at Work: Europäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, 2009 

 

Fellner, William: Competition among few, New York 1960

 

Fellner, William: Prices and wages under bilateral monopoly (1947) , in: Quaterly Journal of Economics, Vol 61, S. 503 - 532

 

Galbraith,J.E.: American Capitalism, the concept of countervailing power, London 1957 2.Ed.

 

Hayek, Friedrich August von: Entnationalisierung des Geldes, Tübingen 1977, 1. Auflage

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