Startseite

 

 

 

Randbemerkungen zur politischen Verdrossenheit Forts.

 

 

 

Gliederung:

 

1. Einführung

2. Ursachen:

    2a. Komplexität

    2b. Der Umgang der Politiker untereinander

    2.c Das Einhalten von Spielregeln

    2.d Rücktritt wegen Übernahme der Verantwortung

    2.e Amoralisches privates Verhalten

    2.f Angriff aufgrund überraschender Fragen durch die Medien

    2.g Zur Frage nicht gutgeheißener Rücktritte.

3. Lösungsvorschläge

    3a. Ausweitung von Volksbefragungen

    3b. Änderungen im Umgang von Politikern und Medien

 

 

2.g Zur Frage nicht gutgeheißener Rücktritte.

Wir haben oben über die Erwünschtheit politischer Rücktritte gesprochen, es ging hierbei in erster Linie darum, unter welchen Voraussetzungen Rücktritte geboten erscheinen. Bisweilen treten jedoch Politiker zurück, obwohl die öffentliche Meinung diesen Rücktritt nicht für erwünscht und für nicht berechtigt ansieht. Bringen wir das Beispiel des Rücktritts des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Wie war es zu diesem Rücktritt gekommen und aus welchen Gründen wurde in den öffentlichen Medien dieser Rücktritt missbilligt?

Horst Köhler hatte bekanntlich auf seiner Rückreise aus Afghanistan im Flugzeug  ein Interview gegeben, in dem er unter anderem die Meinung äußerte, dass die BRD unter Umständen auch wirtschaftliche Grundinteressen mit Waffengewalt verteidigen müsse. Diese Aussage war nun missverstanden worden und dahingehend interpretiert worden, dass sich diese Feststellungen auf die Beteiligung der BRD an der Verteidigung Afghanistans im Rahmen des NATO- und  UNO-Auftrags beziehe. 

Ich hatte mich sofort gewundert, wie diese Äußerungen so missverstanden worden waren, in dem Interview selbst war keinerlei Bezug zu Afghanistan enthalten, man hätte vielleicht einen solchen Bezug vermuten können, wenn Horst Köhler dieses Interview auf dem Hinflug nach Afghanistan gegeben hätte. Nun wurde Köhler auf dem Rückflug aus Afghanistan interviewt, also zu einer Zeit, in dem der Aufenthalt und die Mission in Afghanistan bereits beendet waren und Köhler sich neuen Aufgaben zuwenden konnte.

Sofern man aber meint, dass die Nähe zum Afghanistanaufenthalt diese Fehlinterpretation nahelege, warum hat dann der interviewende Journalist Köhler nicht sofort um eine Klärung dieser Frage gebeten, in diesem Falle wäre dieses Missverständnis auch gar nicht entstanden oder zumindest sofort ausgeräumt worden.

Stattdessen machte in den folgenden Tagen in den öffentlichen Medien die Runde, der Bundespräsident habe auf dem Rückflug von Afghanistan zum Ausdruck gebracht, dass die BRD ihre Beteiligung am Einsatz in Afghanistan auch zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen zu verstehen habe und man warf deshalb Köhler vor, er habe damit verfassungsfeindliche Thesen vorgetragen und habe eine grundlegend neue Strategie vorgeschlagen.

Dieser Vorwurf ist aus mehreren Gründen erstaunlich und unverständlich. Erstens hatte Köhler noch am gleichen Tage, als dieses Missverständnis erstmals in den öffentlichen Medien geäußert wurde, dementiert, dass sich seine Äußerungen auf Afghanistan bezogen hätten, wo Deutschland keinerlei wirtschaftliche Interessen verfolgt und wo es ganz eindeutig darum ging, die Aktivitäten der Terroristen zu bekämpfen und dass sich seine Äußerungen z. B. auf die Bekämpfung der Piraten am Horn von Afrika bezogen hatten, wie ein unbefangener Zuhörer auch ohne diese Richtigstellung sofort hätte vermuten können. Warum wurde auch nach der Richtigstellung tagelang in den öffentlichen Medien die Meinung verbreitet, Köhler wolle dazu aufrufen, in Afghanistan mit Waffengewalt  wirtschaftliche Interessen zu verteidigen?

Zweitens war ziemlich schnell in den öffentlichen Medien darauf hingewiesen worden, dass Thesen, die BRD müsse gegebenenfalls auch einmal wirtschaftliche Interessen mit Waffengewalt verteidigen, wenn Piraten Handelsschiffe kapern und eine friedliche Seefahrt verhindern, bereits vorher in einem Weißbuch des Verteidigungsministeriums formuliert worden waren. Warum sprach man dann – auch nach Bekanntwerden dieser Thesen in einem Weißbuch des Verteidigungsministeriums – immer noch tagelang davon, dass Köhler mit diesem Interview eine Wende in der bisherigen Strategie einleiten wollte?

Besserwisser aus den Reihen der Journalisten wussten sehr schnell, aus welchen Gründen Horst Köhler von seinem Amt als Bundespräsident zurückgetreten war, obwohl Köhler selbst bewusst darauf verzichtet hat, seine näheren Beweggründe für seinen Rücktritt öffentlich zu erläutern. Köhler sei maßlos enttäuscht darüber, dass seine politischen Freunde aus den Regierungsparteien ihn gegenüber gewissen Kritiken seitens einiger Oppositionspolitiker und auch der öffentlichen Medien im Stich gelassen hätten. Er sei für das durchaus politische Amt eines Bundespräsidenten einfach zu dünnhäutig gewesen und habe nicht verstanden, dass derjenige, der Kritik übe, auch Kritik einstecken müsse.

Ich glaube kaum, dass Köhler so naiv ist, dass er tatkräftige Unterstützung von Seiten der Politiker erwartet hatte, die er selbst einige Wochen vorher selbst kritisiert hatte und dass er aus dieser Enttäuschung heraus von seinem Amt zurückgetreten ist. Wenn man die Vorgänge kurz vor seinem Rücktritt aufmerksam verfolgt, tritt ein ganz anderes Motiv in den Vordergrund. Köhler war kurz vor seinem Rücktritt zweimal vorgeworfen worden, er habe verfassungsfeindliche Äußerungen getan. Einmal, weil er angeblich gefordert habe, man solle in Afghanistan die wirtschaftlichen Interessen der BRD mit Waffengewalt verteidigen.

Zum andern hatte Köhler einige Wochen vorher bei der Einführung des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Voßkuhle in seiner Rede davon gesprochen, dass die Politiker allzu oft dazu neigen, politische Probleme durch das Bundesverfassungsgericht entscheiden zu lassen. Aus diesem Satz wurde dann von Journalisten der Vorwurf konstruiert, Köhler wolle das verfassungsmäßig garantierte Recht von Minderheiten, bis zum Verfassungsgericht zu klagen, beschneiden, er verfolge damit verfassungs­widrige Ziele.

Auch hier muss festgestellt werden, dass die in der besagten Rede des Bundespräsidenten gemachte Aussage im Grunde genommen wiederholt in Kreisen der Rechtswissenschaft und auch von mehreren ehemaligen Richtern dieses Bundesverfassungsgerichtes geäußert wurde, sie widerspricht keinesfalls dem Grund­gesetz, ganz im Gegenteil liegt nach allgemeiner rechtswissenschaftlicher Interpretation die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes eben gerade nicht in einem Eingreifen in das politische Alltagsgeschäft.

Köhler selbst hat seinen Rücktritt damit begründet, dass die Würde des Amtes verletzt wäre, wenn er trotz der Vorgänge in den letzten Wochen noch im Amt verbliebe. Der wiederholte Vorwurf, die Verfassung durch verfassungsfeindliche Äußerungen zu verletzen, ist in der Tat wohl einer der gravierendsten Vorwürfe an einen Bundespräsidenten, der in erster Linie darüber zu wachen hat, dass durch die Aktivitäten der Politiker die Verfassung nicht verletzt wird. Wenn man die Würde des Amtes als verletzt ansieht, solange sich solche Vorwürfe im politischen Alltag in den öffentlichen Medien halten, hat dies sicherlich nichts mit Dünnhäutigkeit zu tun.

Es kommt noch hinzu, dass Köhler von einem maßgebenden Politiker der Opposition mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Lübke verglichen wurde. Um diesen Vergleich zu verstehen, muss man wissen, dass Lübke in den letzten Jahren seiner Amtsführung an Demenz erkrankt war und dass zu Zeiten seines Amtes üble Karikaturen die Runde machten, welche Lübke aufs schlimmste der Lächerlichkeit preisgaben. Ein solcher Vergleich kann sehr wohl dazu führen, dass die Würde des Amtes als verletzt gilt, wenn ein solch beschimpfter Bundespräsident im Ausland den Versuch macht, die BRD würdig zu vertreten. Es geht hierbei nicht darum, ob dieser Vergleich berechtigt ist, sondern darum, dass von maßgebenden Politikern und in den Medien ganz offen diese Vergleiche kolportiert wurden.

Wie gesagt, in den öffentlichen Medien wurde dieser Rücktritt des Bundespräsidenten Köhler als falsch gehalten, aber gleichzeitig die Meinung vertreten, dass im Grunde genommen Köhler für das politische Amt eines Bundespräsidenten ungeeignet gewesen sei. In den Meinungsumfragen wurde zwar auch der Rücktritt bedauert, aber eher deshalb, weil die Angriffe auf Köhler als falsch angesehen wurden und weil man Köhler bis zuletzt als einen der Bevölkerung verbundenen Präsidenten angesehen hatte.

 

3. Lösungsvorschläge

    3a. Ausweitung von Volksbefragungen

 

In den öffentlichen Medien, vor allem aber bei der SPD und bei den Grünen, wird der Vorschlag unterbreitet, diese politische Verdrossenheit in der Bevölkerung insbesondere dadurch zu überwinden, dass man sehr viel häufiger als bisher die Bevölkerung über entscheidende politische Sachthemen selbst entscheiden lässt. Wir kennen heute in der BRD zwar die Möglichkeit von Volksbefragungen und Volksentscheiden bereits, diese sind mit gewissen Ausnahmen jedoch auf die Ebene der Gemeinden, Kreise und z. T. auch der einzelnen Bundesländer beschränkt. Nur im Zusammenhang mit der Neugliederung des Gebietes der BRD sind auch Volksentscheide über die Landesgrenzen hinaus vorgesehen.  Es wird nun vorgeschlagen, dass dieses Instrument der Volks­befragung auch auf die Bundesebene, ja sogar europaweit ausgeweitet werden soll. So hat z. B. Gabriel, der derzeitige Vorsitzende der SPD dafür geworben, dass europaweit die Bevölkerung darüber entscheiden solle, ob eine Finanzmarkttransaktionssteuer eingeführt werden solle. Der Vorschlag einer Finanzmarkttransaktionssteuer entspricht in etwa der Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer, bei der alle (oder die meisten an der Börse getätigten Umsätze) mit einem proportionalen Steuersatz belastet werden sollen. In der BRD gab es bis zum Jahre 1991 eine Börsenumsatzsteuer.

 

Das Instrument einer Volksbefragung kann in zweierleiweise ausgestaltet sein. In dem einen Fall stellt die Volksbefragung lediglich eine Befragung der Wähler dar und wenn sich eine qualifizierte Mehrheit für eine bestimmte Lösung entscheidet, haben die Parlamentarier über diese Frage eine Entscheidung zu fällen. Diese Entscheidung kann auch gegebenenfalls der Volksbefragung widersprechend ausfallen. Von diesen Volksbefragungen muss unterschieden werden der Volksentscheid, bei dem ein bestimmtes Gesetz von den gesetzgeberischen Organen verabschiedet werden muss, wenn sich eine bestimmte Mehrheit der Wähler für das zur Diskussion stehende Projekt entschieden hat. Während in einer reinen repräsentativen Demokratie die Gesetzgebung in der Hand der vom Volk gewählten Parlamentarier liegt, wird in einer Demokratie, in der Volksentscheide zugelassen werden, ein Teil der Gesetzgebungsbefugnis an die Bevölkerung zurückgegeben. Bisweilen wird in der Öffentlichkeit auch dafür geworben, dass der Bundespräsident unmittelbar vom Volk – in Anlehnung an die Wahl des Präsidenten der USA  – gewählt werden sollte.

 

Bei der Frage, ob eine Volksbefragung oder auch ein Volksentscheid über bestimmte Sachfragen stattfinden sollte, ist klar zu trennen, zwischen Befragungen auf lokaler Ebene, also auf Ebene der Gemeinden und vielleicht auch der Länder und solchen Befragungen, welche auf übergeordneter Ebene, also auf Ebene der gesamten Bundesrepublik oder sogar europaweit durchgeführt werden sollen. Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass Volksentscheide auf Gemeindeebene durchaus berechtigt sind und im Sinne des Gemeinwohls zu optimalen Ergebnissen führen können. Auf der einen Seite handelt es sich bei diesen Befragungen zumeist um Themen, bei denen die Bevölkerung einer Gemeinde unmittelbar betroffen ist, bei denen zumeist (natürlich nicht immer) nur die Belange dieser Gemeinde, in der die Befragung durchgeführt wird, zur Diskussion stehen und bei denen die Mehrheit der Bürger sehr wohl über die Vor- und Nachteile der anstehenden Lösungen Bescheid wissen, da die anstehenden Fragen zumeist recht unkompliziert sind. Hier trägt sicherlich das Instrument der Volksbefragung dazu bei, dass die Bevölkerung am politischen Leben teilnimmt.

 

Ganz anderes gilt jedoch für die Erwünschtheit von Volksbefragungen auf Bundes- oder sogar Europaebene. Hier muss davon ausgegangen werden, dass hier nicht nur die Belange der einzelnen abstimmenden Bürger zur Diskussion stehen, sondern dass zwischen den Interessen sehr unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ein Kompromiss gefunden werden muss, vor allem aber ist davon auszugehen, wie bereits im ersten Teil dieses Artikels gezeigt wurde, dass die zugrunde liegenden Sachverhalte äußerst komplex sind und auch nur von Sachverständigen in ihrer Tragweite verstanden werden können. Dem einzelnen Bürger ist hier zumeist nicht klar, welche Auswirkungen die anstehenden Alternativen auf die einzelnen Ziele der Politik haben und wie effizient die zur Diskussion stehenden Alternativen tatsächlich sind.

 

Nun könnte man einwenden (wir sprachen bereits weiter oben davon), dass diese Vorbehalte auch für viele Parlamentarier gelten, dass auch der größte Teil der Parlamentier nicht über das Sachwissen verfügt, das zur Beurteilung der anstehenden Probleme unerlässlich ist. Dieser Einwand mag sogar für einen großen Teil der Politiker gelten, es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Politiker sowohl der Regierung wie auch der Parlamente sich den zur Entscheidung notwendigen Sachverstand von einer Vielzahl von Fachleuten einholen können. Die Minister und Ministerpräsidenten (bzw. der Bundeskanzler (die Bundeskanzlerin) werden durch Bürokratien unterstützt, fast jedes wichtige Ministerium verfügt über unabhängige Sachverständigenräte und auch die einzelnen Parlamentarier können sehr wohl das Wissen von Sachverständigen einholen.

 

Der einzelne Bürger hingegen wäre überfordert, bei jeder anstehenden Sachfrage auch den notwendigen Sachverstand einzuholen, er wüsste auf der einen Seite gar nicht, bei wem er diesen Sachverstand einholen könnte, zum andern wären dann, wenn jeder einzelne sich an der Abstimmung beteiligende Bürger solchen Sachverstand ‚ankaufen‘ wollte, die hierbei entstehenden Gesamtkosten viel zu hoch. Diese Feststellung gilt sogar für die heutige Zeit, in der fast über alle anstehenden politischen Fragen im Internet Äußerungen zu finden sind, ein Laie auf diesen Gebieten kann jedoch nur sehr schwer feststellen, inwieweit diese Beiträge im Internet sachlich richtig berichten. Vor allem aber gilt es zu bedenken, dass der ‚einfache normale‘ Bürger in der Regel einer Beschäftigung nachgeht, die mit den anstehenden politischen Fragen nichts zu tun haben, während es eben gerade der Beruf des einzelnen Politikers ist, sich mit diesen politischen Fragen zu beschäftigen.

 

Ich möchte im Folgenden versuchen, die Komplexität der anstehenden politischen Fragen auf Bundes- oder sogar Europaebene anhand des von Gabriel gemachten Vorschlages aufzeigen, über die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer die Bürger selbst in einem Volksentscheid entscheiden zu lassen.

 

Vor allem die SPD und die Gewerkschaften, welche sich für die Einführung einer solchen Steuer einsetzen, sprechen sich für die Einführung dieser Steuer aus, weil man erstens die Spekulation an der Börse für gemeingefährlich hält und weil auf diesem Wege die Spekulation begrenzt werde, weil zweitens auf diesem Wege dem Staat auch schon bei geringen Steuersätzen (etwa ein Prozent oder weniger vom Börsenumsatz) Mehreinnahmen in Milliardenhöhe entstünden und weil drittens auf diesem Wege die Banken, welche letztlich für die vergangene Krise verantwortlich seien, an den Kosten der Überwindung dieser Krise maßgeblich beteiligt würden.

 

Jeder einigermaßen Eingeweihte weiß, dass diese Argumente schlicht falsch sind. Zunächst einige Bemerkungen zu der Frage der Bewertung der Spekulation. Es ist schlichtweg falsch, zu behaupten, die Spekulation sei generell dem Gemeinwohl schädlich und deshalb möglichst zu unterbinden. In Wirklichkeit gehen wir in der Wirtschaftswissenschaft davon aus, dass der Spekulation eine entscheidende Bedeutung bei der Anpassung der Produktion an Veränderungen in den Knappheitsverhältnissen zukommt. Wir haben davon auszugehen, dass technischer Fortschritt, Bedarfswandel und Veränderungen in den Wirtschaftsordnungen die Knappheitsverhältnisse der Ressourcen permanent verändern und dass diese Veränderungen eine Anpassung der Produktion erfordern. Diese Anpassung erfolgt in einer Markt­wirtschaft über eine Veränderung der Preisverhältnisse zueinander. Solange diese Anpassung noch nicht vollzogen ist, bleiben die Produktionsergebnisse suboptimal. Die Spekulation trägt nun dazu bei, dass dieser Anpassungsprozess schneller verläuft und dies ist gleichbedeutend damit, dass gerade aufgrund der Spekulation optimale Produktionsergebnisse schneller erreicht werden.

 

Allerdings unterscheiden wir in der Wirtschaftswissenschaft zwischen Spekulationen, welche zur Stabilisierung einer Volkswirtschaft beitragen (die sogenannten stabilisierenden Spekulationen) und anderen Spekulationen, die destabilisierend wirken (destabilisierende Spekulation). Nur die destabilisierenden Spekulationen sind dem Gemeinwohl abträglich, während eine stabilisierende Spekulation dem Gemeinwohl zugutekommt.

 

Jedes Wirtschaftssubjekt, welches Erwartungen über eine Veränderung der Preise hegt und seine Nachfrage oder sein Angebot aufgrund dieser Erwartungen ändert, spekuliert. Erwartet nun ein Individuum, dass die Preise in naher Zukunft steigen werden, so ist es nutzensteigernd, den zukünftigen Bedarf nach Möglichkeit schon heute abzudecken, da ja annahmegemäß heute noch niedrigere Preise als in Zukunft gelten. Diese Nachfragesteigerung führt jedoch ceteris paribus (bei unveränderter Produktion) selbst zu Preissteigerungen. Dies bedeutet, dass zusätzlich zu den in Zukunft erwartenden Preissteigerungen schon heute Preissteigerungen eintreten. Schon die Tatsache der Spekulation allein hat also in diesem Falle dazu geführt, dass die Preise stärker steigen als dies ohne Spekulation der Fall wäre. Ähnliches gilt mutatis mutandis für erwartete Preissenkungen.

 

Eine solche Spekulation ist in der Tat dem Gemeinwohl abträglich, die konjunkturellen Schwankungen werden verstärkt und diese Verstärkung der Konjunkturausschläge wirkt gemeinwohlgefährdend, da generelle Preissteigerungen eine Inflation bedeuten, welche sowohl das Wachstum hemmt und einem Teil der Bevölkerung (vor allem den Empfängern von Fixeinkommen) reale Einkommensverluste verursacht. Ein konjunktureller Abschwung hingegen führt immer dann, wenn sich eine Volkswirtschaft nicht unmittelbar an diese Preisänderungen anpassen kann, zu Arbeitslosigkeit. Wir halten also fest: Es gibt in der Tat spekulative Verhaltensweisen, welche der Volkswirtschaft einen Zuwachs an Inflation in Zeiten des Konjunkturaufschwungs und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit während des Konjunkturabschwungs  bringen. Diese Art von Spekulation ist sicherlich gemeinwohlmindernd.

 

Es ist aber keinesfalls selbstverständlich, dass sich Spekulanten so wie oben beschrieben verhalten. Nehmen wir nochmals den Fall, dass Preissteigerungen erwartet werden. Unterstellen wir nun, dass diese Preissteigerungen jedoch eintreten, obwohl sich die Knappheitsverhältnisse nicht gravierend verändert haben. Die Preissteigerungen werden also nicht durch eine Veränderung in den Knappheitsverhältnissen ausgelöst. Ein Kenner der Wirtschaftsverhältnisse weiß also, dass diese heutigen Preissteigerungen sehr bald korrigiert werden und durch anschließende Preissenkungen abgelöst werden. In diesem Falle lohnt es sich aber die Nachfrage nach Möglichkeit in die Zukunft zu verschieben. Damit verringert sich jedoch die heutige Nachfrage und dies bedeutet wiederum, dass der heutige Preissteige­rungs­­­prozess schneller als sonst gestoppt wird und dies ist ja erwünscht, da den Preissteigerungen annahmegemäß keine Veränderung in den Knappheitsverhältnissen zugrundelagen. In diesem Beispiel tragen also Spekulationen zu einer Stabilisierung der Konjunkturlage bei, sie sind also erwünscht und fördern das Gemeinwohl.

 

Nun ist es äußerst schwierig, im Voraus zu erkennen, welche Spekulation stabilisierend und welche destabilisierend wirken wird. Gerade deshalb, weil von der Spekulation im Allgemeinen positive Wirkungen (Beschleunigung des Anpassungsprozesses) ausgehen, ist es unerwünscht, über eine Besteuerung Spekulationen ganz allgemein zu behindern. Fragen wir uns deshalb, unter welchen Voraussetzungen denn Spekulationen destabilisierend wirken. In der Geschichte der Spekulationen sind vor allem zwei Fälle bekannt, bei denen man davon ausgehen kann, dass von ihnen destabilisierende Effekte ausgehen.

 

Das erste Beispiel bezieht sich auf die Währungsspekulation in einem System fester Wechselkurse. Bekanntlich hatten wir in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis Mitte der 70er Jahre weltweit ein System fester Wechselkurse mit dem Dollar als Leitwährung. Ende der 70er Jahre wurde dann für die europäischen Staaten das EWS geschaffen, welches bis zur Gründung der europäischen Währungsunion um die Jahrtausendwende ebenfalls ein System fester Wechselkurse war. In der europäischen Währungs­union hingegen  sind die Wechselkurse freigegeben worden.

 

In der Zeit davor hatten wir Länder wie vor allem die BRD, welche einen Stabilitätskurs verfolgten und andere Länder wie z. B. Frankreich und Italien, welche zur Vergrößerung ihres wirtschaftlichen Wachstums eine permanente Inflation in Kauf nahmen.

 

Diese Unterschiede in der Währungspolitik brachten es nun mit sich, dass die BRD enorme Devisenbilanzüberschüsse, Frankreich und Italien hingegen dementsprechend hohe und andauernde Defizite in ihrer Devisenbilanz aufwiesen. Es war klar, dass die Notenbanken der Defizitländer, welche durch Verkäufe von Währungen die Wechselkurse stabil halten mussten, sehr bald ihre Währungsreserven aufgebraucht hatten und dass nur noch durch eine Abwertung der französischen und italienischen Währung (was gleichbeutend mit einer Aufwertung der DM war) das Währungssystem Bestand hatte.

 

Es war also sicher, dass über kurz oder lang eine Aufwertung der DM beschlossen werden musste. Ein Spekulant, der DM aufkaufte, in der Erwartung diese Währung über kurz oder lang nach ihrer Aufwertung mit Gewinn wiederum verkaufen zu können, konnte also absolut sicher sein, ging überhaupt kein Risiko ein und gerade deshalb wurde praktisch nur auf eine baldige Aufwertung der DM spekuliert. Dieser zusätzliche Ankauf von DM verringerte natürlich die Währungsreserven an DM bei den Notenbanken mit der Folge, dass eine Aufwertung noch notwendiger wurde. Dieses Verhalten hat ganz eindeutig zu Instabilität des Währungssystems beigetragen, es mussten immer häufiger Währungskorrekturen vorgenommen werden. Hier lag ganz eindeutig eine destabilisierende, unerwünschte Spekulation vor.

 

Wie bereits erwähnt, wurden in den 70er Jahren bzw. innerhalb Europas um die Jahrtausendwende die Wechselkurse freigegeben, sodass wir heute auch nicht mehr mit der Gefahr einer destabilisierenden Spekulation aufgrund fester Wechselkurse rechnen müssen. Eine zweite Ursache für destabilisierende Spekulation ist heutzutage von größerer Bedeutung. Ob ein Wirtschaftssubjekt stabilisierend oder destabilisierend spekuliert, hängt entscheidend von seinem Wissensstand über die realen wirtschaftlichen Verhältnisse ab. Wie das oben erwähnte Beispiel einer stabilisierenden Spekulation zeigt, wird ein sachkundiger Teilnehmer an den Börsen auf Preissteigerungen nur dann auch mit vermehrten Käufen reagieren, wenn er davon ausgehen kann, dass sich die Knappheitsverhältnisse auch so verändert haben, dass Preissteigerungen gerechtfertigt erscheinen und deshalb auch über kurz oder lang erwartet werden können.

 

Es hängt also vom Wissensstand des Spekulanten ab, ob er stabilisierend oder destabilisierend spekuliert und der Wissensstand ist natürlich bei Börsenteilnehmern welche dieses Geschäft berufsmäßig betreiben weitaus größer als bei wirtschaftlichen Laien, welche zwar über gewisse Wertpapiere verfügen, aber ansonsten die globalen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht kennen.

 

Nun beteiligen sich entsprechend unserer geltenden Ordnung nur Personen mit beruflicher Eignung also vor allem ausgewiesene Makler und Banken als Käufer und Verkäufer an den Börsen und diese Personengruppen verfügen natürlich über das notwendige Wissen. Wenn trotzdem häufig destabilisierend spekuliert wird, so liegt dies daran, dass die Kunden der Banken, welche nicht immer über ausreichendes wirtschaftliches Wissen verfügen, ihre Geschäftsbanken damit betrauen können, die Markttransaktionen vorzunehmen und die Banken können zwar die Kunden bei besonders riskanten Geschäften von der beabsichtigten Transaktion abraten, letztlich entscheidet jedoch der Bankkunde, ob das Geschäft getätigt wird oder nicht.

 

Folgende beiden Beispiele zeigen, dass zurzeit das Börsengeschehen oftmals maßgebend von unkundigen Teilnehmern bestimmt wird. Nehmen wir als erstes das Beispiel der Zerstörung des World Trade-Zentrums im Jahre 2001. Bekanntlich stürzten in den folgenden Tagen die Börsenkurse weltweit um etwa 11% ab. Die realen Wirtschaftsverhältnisse hatten sich jedoch aufgrund dieser Ereignisse kaum geändert. Die Zerstörung des World Trade-Zentrums war gemessen in Wertgrößen weit geringer, als täglich aufgrund von Verkehrsunfällen etc. Wertverluste verkraftet werden. Von den realen Knappheitsverhältnissen her gesehen hätten die Kurse eigentlich nicht entscheidend fallen dürfen. Sie hatten sich auch in der Tat in der Folgezeit relativ schnell wiederum erholt. Wäre das Geschehen an den Börsen allein oder vorwiegend von sachkundigen Maklern bestimmt worden, wäre ein solcher abrupter Kursverfall auf keinen Fall eingetreten; dass es zu einem solchen massiven Kursverfall damals gekommen ist, zeigt, dass Panikreaktionen das Geschehen maßgebend beeinflusst haben.

 

Bringen wir als zweites Beispiel den Ausstoß von Asche des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull vor einigen Monaten. Der Flugverkehr musste über dem europäischen Luftraum mehr als eine Woche nahezu ganz eingestellt werden und Experten hatten davon gesprochen, dass diese Vulkanasche durchaus für viele Wochen über dem europäischen Luftraum liegen könnte, sodass ein Brachliegen des Luftverkehrs von oder nach Europa für sehr lange Zeit erwartet werden musste.

 

Diese vorübergehende Stilllegung des europäischen Luftverkehrs hatte wirtschaftlich verheerende Folgen, nicht nur für die Luftfahrtgesellschaften, die hohe Verluste erzielt haben und auch für Wochen mit weiteren Verlusten rechnen mussten. Auch Unternehmungen, welche auf bestimmte Rohstoffe oder andere Güter angewiesen waren, um die Produktion aufrechtzuerhalten, erwarteten für den Fall, dass dieses Ereignis über Wochen anhält, hohe Verluste. Weiterhin war die Existenz vieler Händler, welche auf ihren Waren sitzen blieben oder mangels Lieferung keine Ware verkaufen konnten, bedroht.

 

Die Börse hat auf diese Ereignisse kaum reagiert, die Kurse an den Börsen blieben nahezu konstant. Der Hinweis, dass ja doch der Aschenregen relativ schnell wiederum über dem europäischen Luftraum verschwunden war, reicht nicht aus, um dieses Nichtreagieren an den Börsen zu erklären. Die Börse stellt eine Einrichtung dar, in der nicht nur die schon eingetretenen Ereignisse registriert werden, sondern in der auch die kommenden erwarteten Ereignisse bereits heute die Entwicklung in den Kursen bestimmen. Wäre das Börsengeschehen vorwiegend von sachkundigen Maklern bestimmt worden, hätte man eigentlich auch beachtliche Ausschläge an den Kursen der Wertpapiere der betroffenen Unternehmungen erwarten müssen. Dass diese Reaktionen weitgehend ausblieben, muss wiederum so erklärt werden, dass der An- und Verkauf der Wertpapiere auf den Börsen in starkem Maße von unkundigen Personen erfolgte.

 

In Anbetracht dessen, dass den Spekulationen durchaus eine positive Funktion zukommt und nur ein Teil der Spekulationen destabilisierend wirkt und deshalb schädlich ist, ist es also sicherlich nicht ratsam, alle spekulativen Geschäfte mit einer Steuer zu belegen, ganz davon abgesehen, dass die Spekulation als solche ja nicht erkannt wird, es wird immer nur der Kauf oder Verkauf an der Börse beobachtet, ob diese Transaktionen aus spekulativen Gründen (aus Erwartungen über die zukünftigen Preisbewegungen) erfolgten, ist als solches nicht zu erkennen. 

 

Destabilisierende Spekulationen könnten vermieden oder in ihrem Umfang verringert werden, wenn die Käufe und Verkäufe an den Börsen aufgrund besserer Kenntnisse über die Knappheitsverhältnisse erfolgen würden. Nun verfügen ja die Makler und Banken, welche normalerweise die Transaktionen an den Börsen ausführen, im Allgemeinen über ausreichendes Wissen. Die Makler und  wären also durchaus in der Lage, die potentiellen Käufer und Verkäufer von Wertpapieren so zu beraten, dass Panikreaktionen weitgehend vermieden werden. Nur ist zu bedenken, dass oftmals die Interessen der Banken nicht mit denen der Bankkunden zusammenfallen. Wenn es gelänge, dass die beratenden Makler oder Banken sowohl am Erfolg wie auch am Misserfolg der aufgrund der Beratung erfolgten Transaktionen  beteiligt werden, könnte der Umfang destabilisierender Spekulationen vielleicht verringert werden. Doch können die Banken und Makler natürlich nicht zu solchen Beratungsverträgen gezwungen werden.

 

Wir hatten weiterhin gesehen, dass die Befürworter einer Kapitalmarkttransaktionssteuer dieses Instrument zweitens deshalb fordern, weil sie sich durch Einführung dieser Steuer zusätzliche, milliardenhohe Steuereinnahmen erhoffen. So hatte bereits Oskar Lafontaine im November 2008 die Wiedereinführung der Börsensteuer mit einem Steuersatz von 1 % gefordert, wodurch nach seiner Angabe Steuermehreinnahmen von rund 70 Mrd. € entstehen würden, was immerhin 13 % des gesamten Steueraufkommens von ca. 538 Mrd. € (2007) ausmachen würde. Der Umsatz aller deutschen Börsen betrug im Jahr 2006 über 5 Billionen €, also das ca. 2,5-fache des Bruttonationaleinkommens (des früheren Bruttosozialproduktes). Alle diese Kalkulationen gehen davon aus, dass der Börsenumsatz durch die Einführung einer Börsenumsatzsteuer unverändert bliebe. Diese Annahme ist jedoch ökonomisch eindeutig falsch. Die isolierte Einführung einer Börsenumsatzsteuer in einem Land führt zu Verlagerung von Teilen des Handels in Länder ohne Börsenumsatzsteuer.

Aber selbst dann, wenn derartige Verlagerungen unterbunden werden könnten, würde ein Teil des Arbitragehandels zwangsläufig wegfallen, da dessen Kosten aufgrund der Steuer höher wären als die Erträge. So wurden in Schweden 1984 nach der Einführung einer Börsenumsatzsteuer statt der erwarteten 1,5 Milliarden Kronen (SEK) Steuereinnahmen von lediglich 50 Millionen SEK vereinnahmt. Dies sind gerade etwa 3% der erhofften Einnahmen. Hauptgrund war ein Rückgang der Umsätze im Rentenhandel an der Stockholmer Börse von 85 %.  Wir können also nicht davon ausgehen, dass die Einführung einer Börsenumsatzsteuer die Staatsfinanzen in starkem Maße entlasten würde.

Der dritte Grund, den die Befürworter einer Kapitalmarkttransaktionsteuer anführen, besteht darin, dass man erwartet, die Banken und deren Spitzenmanager und damit diejenigen Gruppen, die nach Meinung dieser Leute die vergangene Finanzkrise verursacht haben, hätten diese Steuern zu zahlen. Auch diese Meinung ist irrig. Die Kapitalmarkttransaktionssteuer ist eine Umsatzsteuer und wird deshalb wie jede andere Umsatzsteuer zum größten Teil auf die Kunden der Unternehmungen abgewälzt.

Dies bedeutet, dass eine Börsenumsatzsteuer nicht die Gewinne der Banken und damit die Einkommen der Spitzenmanager im Bankenbereich belastet, sondern weitergewälzt wird an die Bankkunden, insbesondere an die Unternehmungen und Haushalte, welche Kredite nachfragen. Im Allgemeinen unterstellt man in der Finanzwissenschaft der Einfachheit, dass eine Umsatzsteuer um 100% an die Käufer der jeweiligen Produkte weitergewälzt wird. Dies mag eine gewisse Vereinfachung bedeuten. In Wirklichkeit hängt der Umfang der Überwalzbarkeit von Umsatzsteuern vom Verhältnis der Angebots- und Nachfrageelastizität ab. Auf jeden Fall können wir aber fest damit rechnen, dass der größte Teil einer Umsatzsteuer weitergewälzt wird und somit gerade nicht – wie geplant – von den Steuer zahlenden Unternehmungen letztlich getragen wird.

Aber auch für die Unternehmungen, auf die eine Börsenumsatzsteuer weitergewälzt wird, gilt, dass die letztlichen Leidtragenden dieser Steuer in der Regel weniger die Unternehmerhaushalte selbst sind; auch diese Unternehmungen wälzen im Allgemeinen Kosten auf den Güterpreis weiter. Leidtragende dieses Überwälzungsprozesses sind vielmehr die Arbeitnehmer, da der Anstieg der Güterpreise die Gefahr mit sich bringt, dass die Absatzmöglichkeiten reduziert werden. In diesem Falle sinkt jedoch mit dem Absatz auch die Beschäftigung.

Einen sehr viel größeren Erfolg im Hinblick auf die Belastung der Banken und deren Spitzenmanager hätte übrigens der vom IWF gemachte Vorschlag einer Bankenabgabe gebracht, der anfangs auch von der Bundesregierung favorisiert worden war. Bei diesem Vorschlag hätten die Gewinne der Banken und die Boni an die Spitzenmanager besteuert werden sollen und dies hätte in der Tat – ceteris paribus  bei gleichbleibenden Bruttogewinnen – zunächst die Gewinne und Nettoeinkommen der Banker reduziert.

Ob diese Veränderung in der Einkommensverteilung allerdings angehalten hätte und damit endgültig gewesen wäre, ist allerdings ebenfalls fraglich. Zwei Szenarien sind möglich. Entweder passen die Unternehmungen die Bruttogewinne der Manager nicht an. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass Spitzenmanager ins Ausland abwandern, in dem nach wie vor die bisherigen Gewinnmargen gezahlt werden. Kommt es jedoch zu einer Abwanderung, so wandern gerade die besten Manager ab, mit der Folge, dass die Qualität der Unternehmungsleistungen – und damit das wirtschaftliche Wachstum – langfristig verringert wird.

Oder aber die Banken werden die Gehälter ihrer Spitzenmanager an das Weltniveau anpassen, um auf diese Weise zu verhindern, dass gerade die besten der Manager ins Ausland abwandern. Die Spitzenmanager der Banken werden hier nicht zur Kasse gebeten. Was auch passiert, für die Volkswirtschaft bleibt bestenfalls die beabsichtigte Umverteilung aus, schlimmstenfalls tritt wegen Abwanderung der Spitzenmanager eine Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums ein.

Ähnliche Überlegungen wie bei dem Beispiel der Börsenumsatzsteuer treten auch bei den meisten anderen zur Diskussion stehenden Volksbefragungen auf Bundes- oder Europa-Ebene auf. Je höher die zur Diskussion stehende politische Ebene ist, um so komplexer sind die zur Abstimmung gestellten Probleme und um so weniger ist damit zu rechnen, dass die Masse der Wähler überhaupt in der Lage ist, die Auswirkungen der zur Diskussion stehenden Alternativen zu erkennen. Die auf Bundes- und Europa-Ebene anstehenden Fragen setzen für die Handelnden zweierlei voraus: Erstens bedarf es sehr viel Sachwissen und zweitens können die anstehenden Fragen nur von Personen angegangen werden, welche über ausreichend Zeit verfügen und deshalb diesen Job als Beruf und nicht neben einer anderen vollen beruflichen Tätigkeit verrichten.

Natürlich verfügen wie bereits erwähnt auch keinesfalls alle Politiker über dieses Sachwissen; sie ziehen jedoch zur Erledigung ihre Aufgaben zahlreiche Sachverständige heran. Wollte man dieses Sachwissen allen wahlberechtigten Bürgern zur Verfügung stellen, käme dies einer Volkswirtschaft viel zu teuer.

Bisweilen wird in der Öffentlichkeit davon ausgegangen, dass Demokratie Volksherrschaft bedeute und dass das Volk nur dann herrsche, wenn es auch über die einzelnen anstehenden Sachfragen mitentscheiden könne. Hier liegen mehrere Irrtümer vor. Als Paradebeispiel einer direkten Demokratie wird immer wieder die des klassischen Athens im Altertum genannt. Aber gerade dieses Beispiel zeigt, dass in Wirklichkeit gar nicht die gesamte Bevölkerung am politischen Prozess beteiligt war. Die Bevölkerung von Athen im klassischen Altertum setzte sich aus freien Bürgern, weiterhin aus den Periöken, also Fremden, welche Handel betrieben sowie einer großen Schar von Sklaven zusammen.

Nur die freien Bürger waren berechtigt, an den Versammlungen auf der Agora teilzunehmen, sowohl die Frauen, die Periöken und die Sklaven waren von diesen Versammlungen ausgeschlossen. Hierbei konnten viele freie Bürger, die zu den Großgrundbesitzern zählten,  nur deshalb an den Versammlungen teilnehmen und mitentscheiden, weil die wichtigste Arbeit von den Sklaven und von den Periöken verrichtet wurde. Also ging ein großer Teil der sich politisch betätigenden Bürger auch keinem sonstigen Beruf nach und gerade deshalb lassen sich diese klassischen Modelle einer direkten Demokratie nicht auf die heutigen Verhältnisse übertragen, wo die wahlberechtigten Bürger im Allgemeinen einem ganztätigen Beruf nachgehen.

Ein zweites Missverständnis besteht oftmals darüber, worin denn eigentlich das Herrschen der Könige und Fürsten im Altertum und im Mittelalter bestand. Die Mehrzahl der Herrscher überließ die politischen Entscheidungen und Aktivitäten hierfür angestellten Beamten oder Adligen, ihre wahre Herrschaft beschränkte sich zumeist darauf, diese Beamten zu ernennen oder auch zu entlassen und die von diesen Beamten vorbereiteten Entscheidungen zu unterschreiben und damit die politische Verantwortung für diese Handlungen zu übernehmen. Nur wenige Kaiser und Könige wie z. B. der deutsche Kaiser Wilhelm II.  vermeinten alles besser zu wissen und versuchten, die politischen Geschehnisse selbst zu bestimmen. Wilhelm I hingegen überließ z. B. weitgehend das Herrschen Bismarck, alle wichtigen Entscheidungen, welche für Preußen und Deutschland damals gefällt wurden, trugen die Handschrift Bismarcks, mit Recht wird in den Geschichtsbüchern von der Ära Bismarcks und nicht des Kaisers Wilhelm I gesprochen.

Gerade wegen der Komplexität der anstehenden Fragen und wegen des Umstandes, dass die Wähler im Allgemeinen weder das Wissen für die anstehenden Sachfragen noch die hierfür notwendige Zeit aufweisen, bringt nun die Gefahr mit sich, dass die Bürger bei Volksbefragungen auf globaler Ebene (Bund, Europa) auf Propagandisten hereinfallen, welche nicht den Versuch unternehmen, die Bevölkerung über die eigentlichen Auswirkungen der zur Abstimmung stehenden Alternativen sachlich zu orientieren, sondern einfache ideologische Denkmuster vortragen, welche nichts, aber auch gar nichts mit den tatsächlichen Verhältnissen zu tun haben.

Wenn wir nochmals das Beispiel der Börsenumsatzsteuer nehmen: Den an der Abstimmung beteiligten Bürgern wird dann vorgegaukelt, dass man auf diese Weise der verabscheuungswürdigen Spekulation den Garaus mache und dass man die „bösen“ Kapitalisten und Banker zur Kasse bitten könne und dass die Gerechtigkeit verlange, dass man dies tue. Die eigentlichen Auswirkungen und die Unwirksamkeit dieser Maßnahmen gerade im Hinblick auf die angestrebten Ziele und die Gefahr eines Wachstumsverlustes werden verschwiegen. Der wählende Bürger meint dann wirklich, mit der Entscheidung zugunsten dieser Steuer etwas für die Gerechtigkeit zu tun. Er ist dann in der Regel auf die Populisten hereingefallen.

Es fragt sich auch, ob bei Volksbefragungen die Bevölkerung tatsächlich am politischen Prozess stärker beteiligt wird als bei den heute gültigen Spielregeln. Es kommt doch entscheidend darauf an, wie viel der Bürger sich an diesen Volksbefragungen beteiligen. Was berechtigt uns eigentlich zu der Erwartung, dass sich ein Großteil der Bevölkerung an diesen Volksbefragungen beteiligen wird? Die Volksbefragungen, welche bisher in den vergangenen Jahren auf Landes- oder sogar Gemeindeebene durchgeführt wurden, wiesen ebenfalls eine relativ geringe Beteiligung auf. Das dort gültige Quorum sieht bisweilen vor, dass Volksbefragungen bereits dann bindend sind, wenn 20 – 30% der Abstimmungsberechtigten sich an der Befragung beteiligt haben. Dies bedeutet, dass die Volksentscheide bereits bindend sind, wenn sich über 50% der sich am Abstimmungsprozess beteiligten Bürger für eine bestimmte Alternative ausgesprochen haben. Bei einer Beteiligung von 20%, sind dies gerade etwas mehr als 10% der Abstimmungsberechtigten!

 

Nun sind die zur Diskussion stehenden Probleme auf Bundes- und Europa-Ebene entscheidend komplexer und deshalb für die Bürger nicht unmittelbar einsichtig. Dies dürfte zweierlei zur Folge haben. Auf der einen Seite dürfte die Beteiligung an Volksbefragungen auf Bundes- und Europa-Ebene noch geringer ausfallen als auf Landes- und Gemeindeebene. Die Zahl der Bürger, welche dann letztlich über das anstehende Problem entschieden haben, fällt dann noch geringer aus! Es kommt noch hinzu, dass gerade wegen der Komplexität der anstehenden Probleme ideologische Argumente, welche von einigen Politikern vorgetragen werden, den Ausschlag geben, sodass im Endergebnis die eigentliche Macht bei einer Handvoll von Ideologen und Populisten liegt.

 

Ein Vergleich mit dem Procedere in einer Marktwirtschaft wird das vorliegende Problem weiter erhellen helfen. Die Marktwirtschaft gilt – wenn gewisse Mindestvoraussetzungen wie Konkurrenz auf allen Märkten sowie das Fehlen externer Effekte erfüllt sind – als eine Ordnung, in welcher in viel stärkerem Maße als in einer politischen demokratischen Ordnung der einzelne Bürger (Haushalt) selbst darüber entscheiden kann, wie er seine knappen Ressourcen verwendet. In der demokratischen Ordnung der Politik kann der Wähler nur in Abständen von 4 bis 5 Jahren sein Votum abgeben, in einer funktionierenden Marktwirtschaft kann sich jedes Wirtschaftssubjekt jederzeit entscheiden, sein Einkommen anders als bisher zu verwenden.

 

Darüber hinaus werden die politischen Leistungen als Kollektivgüter angeboten, was bedeutet, dass jeder Bürger das gleiche Gut (die gleiche Leistung) empfängt. Innerhalb der Marktwirtschaft braucht der einzelne Konsument keine Rücksicht darauf nehmen, wie sein Nachbar sein Einkommen verwendet. Schließlich kann sich der Wähler in einer Demokratie nur zwischen verschiedenen Parteiprogrammen entscheiden, wobei keinesfalls sicher ist, dass die einzelnen Teile dieses Paketes den Interessen des einzelnen Wählers entsprechen. Es ist durchaus denkbar, dass ein Wähler in der Außenpolitik den Vorstellungen der Partei X, in der Wirtschaftspolitik denen der Partei Y und in der Kulturpolitik schließlich denen der Partei Z entspricht, trotzdem muss er sich für eine Partei und das heißt für den Kompromiss entscheiden, der ihm unter den angebotenen Parteiprogrammen am ehesten entspricht.

 

Obwohl also eine funktionierende Marktwirtschaft den einzelnen Personen eine weit größere Entscheidungs­freiheit lässt als eine repräsentative Demokratie, gibt es dennoch in einer Marktwirtschaft kein Pendant zu Volksentscheiden. Einem Volksentscheid auf wirtschaftlicher Ebene entspräche es, wenn der Konsument darüber mitentscheiden dürfte, wo und mit welcher Technik und mit welchen Produktions­faktoren ein bestimmtes Gut produziert werden soll. Diese Sachfragen werden innerhalb einer Unternehmung und nur von dieser entschieden, der Konsument hat im Allgemeinen nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen fertigen Produkten zu wählen. Auch hier gilt wiederum, dass der einzelne Konsument in der Regel weder über das Fachwissen verfügt noch über die Zeit, die benötigt wird, um diese Entscheidungen auch nur einigermaßen effizient fällen zu können.

 

 

3.b Änderungen im Umgang von Politikern und Medien

 

Es wäre zur Bekämpfung der politischen Verdrossenheit der Bürger sehr viel zweckmäßiger, man würde sich darum bemühen, den Umgang der Politiker miteinander und mit den öffentlichen Medien reformieren und effizienter ausgestalten.  Als erstes gilt dies sicherlich für den Umgangston der Politiker untereinan­der. Eine gedeihliche Regierungsarbeit kann nur erwartet werden, wenn zumindest die Mitglieder der Regierungsparteien untereinander sachlich und mit Würde diskutieren; aber wie bereits gesagt: Dies gilt eigentlich für den Umgang aller Politiker untereinander, auch für das Gespräch zwischen Regierung und Opposition.

 

Man sollte allerdings diese mehr selbstverständliche Forderung auch nicht überschätzen. Wir hatten oben gesehen, dass Diskussionen notwendig sind und dass es durchaus erwünscht ist, dass hart um die einzelnen Positionen und Alternativen – auch innerhalb einer Regierung – gerungen wird. Dass in der heutigen Regierung im ersten Amtsjahr offensichtlich der richtige Ton nicht gefunden wurde, liegt an wohl eher einmaligen Besonderheiten. Die FDP hatte gerade wohl aufgrund ihres Versprechens, die Steuer zu senken ein hervorragendes Wahlergebnis erzielt und sie wollte deshalb an dieser Forderung festhalten komme was wolle, um nicht als eine Partei gebrandmarkt zu sein, die ihre Wahlversprechen nicht einhält. Dabei hätte es die FDP so leicht gehabt, diese Vorschläge auf zukünftige Jahre zu verschieben. Auf der einen Seite war die größte Konjunkturkrise der Nachkriegszeit zu Ende gegangen und es war nun ­– im Hinblick auf Verfassung wie auch Spielregeln der Europäischen Gemeinschaft – unerlässlich, den in der Krise erzielten Schuldenberg abzubauen. Auf der anderen Seite hätte die FDP als kleiner (sehr kleiner) Koalitionspartner immer darauf verweisen können, dass eine kleine Partei in einer Koalition eben nur das verwirklichen kann, was vom größeren Partner mitgetragen wird.

 

Für die CSU hingegen war die Situation einmalig deshalb, weil sie kurz zuvor eine – fast ein halbes Jahrhundert realisierte – absolute Mehrheit bei den letzten Wahlen zum Landesparlament haushoch verloren hatte, sie war gezwungen, wiederum Fuß zu fassen und trat deshalb  mit ihren Forderungen besonders (zu besonders) forsch auf.

 

Schließlich hatten wir bereits gesehen, dass die Forderung, die CDU, vor allem die Bundeskanzlerin hätte energischer auftreten müssen und von sich aus bei Beginn der Diskussion ein festes Programm vorlegen müssen, in der Sache eindeutig falsch ist, dass gerade deshalb, weil ganz neue Probleme aufgetreten sind, eine offene und intensive Diskussion durchaus notwendig war.

 

Viel wichtiger scheint mir zu sein, dass es an den öffentlichen Medien lag, die immer wieder fälschlicherweise das Fehlen von Geschlossenheit zu Beginn der Diskussion bemängelten und vermeinten, diese als unerwünscht hinstellen zu müssen. Wenn die Medien immer wieder und allein auf Fehler der Regierung hinweisen und immer wiederum behaupten, es fehle an Durchsetzungswillen und an Geschlossenheit, dann glaubt eben auch ein Großteil der Wähler, dass dem so ist, auch dann, wenn in Wirklichkeit dieses kritisierte Verhalten durchaus angebracht und notwendig ist. Die Medien haben es fertig gebracht, den Eindruck in der Öffentlichkeit zu erwecken, als habe die Regierung in ihrem ersten Jahr auf der ganzen Ebene versagt, obwohl sich die Erfolgsbilanz der Regierung durchaus sehen lassen kann. So ist die Arbeitslosigkeit in den Jahren der Krise entscheidend geringer ausgefallen als in den vorhergehenden Jahren der Hochkonjunktur und die Arbeitslosigkeit in der BRD war auch wesentlich niedriger als in fast allen anderen größeren Ländern Europas und im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit hat die BRD in der Zwischenzeit innerhalb Europas Platz 1 und weltweit Platz 5 erreicht.

 

Den öffentlichen Medien und der Pressefreiheit kommt in unserer freiheitlichen Verfassung eine ganz entscheidende und unerlässliche Rolle zu. Ohne dass die Medien das Recht erhalten, die Regierungen zu kritisieren und auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen, können die Grundwerte einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung nicht realisiert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diesen Medien alles erlaubt ist, es ist notwendig, dass innerhalb der Medien selbst eine Ordnung besteht, die eine wirkungsvolle Selbstkontrolle ermöglicht. Gerade weil die Unternehmungen und Institutionen, welche diese Medien betreiben, im Gegensatz zu Unternehmungen in der freien Wirtschaft nicht unmittelbar von den Kunden dieser Medien kontrolliert werden, bedarf es einer zusätzlichen Ordnung, welche eine Selbstkontrolle vorsieht. In dem vor einer gewissen Zeit hier ins Internet eingestellten Artikel über Pressefreiheit hatte ich hierzu unter anderem ausgeführt:

 

Als erstes wäre in diesem Zusammenhang die Bildung eines Ehrengerichtes zu erwähnen, wobei hier nicht entscheidend ist, ob solche Instanzen mit den allgemeinen Rechten und Funktionen der allgemeinen Gerichtsbarkeit ausgestattet sind. Entscheidend ist allein, dass es eine oberste Instanz gibt, welche Verfehlungen der einzelnen Medien verfolgt, für diese spürbare Strafen verhängen kann und erzwingen kann, dass falsche Mitteilungen und nicht berechtigte Verunglimpfungen zurückgenommen werden. Alle Organe der öffentlichen Medien müssen bereit sein, sich den Entscheidungen dieser richterlichen Organe zu unterwerfen und diese Bereitschaft kann wohl nur dadurch erzwungen werden, dass im Rahmen einer staatlichen Ordnung mit möglichst Verfassungsrang die Berechtigung dieser richterlichen Entscheidungen festgelegt wird.

Nun gelten natürlich die in dem dortigen Artikel genannten Beschränkungen bei der Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit auch für die berufsbezogenen richterlichen Instanzen. Man kann unter Umständen diese Schwächen zum Teil dadurch mindern, dass dem Prinzip ‚im Zweifel für den Angeklagten’ hier ein weiterer Grundsatz hinzugefügt wird, dass nämlich dann, wenn die in  den Medien geäußerten Vorwürfe gegenüber Politikern nicht eindeutig nachgewiesen werden können, ohne dass jedoch die Unschuld der Politiker auch einwandfrei aufgezeigt werden kann, die Medien von diesen richterlichen Instanzen gezwungen werden können, diese Vorwürfe öffentlich zurückzunehmen. Wohlbemerkt: Diese Verpflichtung zur Zurücknahme gilt hier für angeklagte Medienvertreter.

Hierdurch können jedoch keinesfalls alle Schwächen gerichtlicher Entscheidungen korrigiert werden, es bedarf somit weiterer Vorkehrungen, um sicher zu stellen, dass das Ausmaß an missbräuchlichen Äußerungen so gering wie möglich ausfällt.

Die Durchführung der Selbstkontrolle hat vielmehr bereits bei der Ausbildung der Journalisten zu beginnen. Ähnlich, wie z. B. Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung zur Einhaltung des Eides des Hippokrates eingeschworen werden (menschliches Leben auf jeden Fall zu schützen), sollte auch bereits

 in der Ausbildung von Journalisten ein berufliches Ethos entwickelt werden, wonach jeder Journalist als sein höchstes Gebot ansehen sollte, gewissenhaft zu recherchieren, nur eindeutig nachgewiesene Behauptungen aufzustellen, Bewertungen von Tatsachenbehauptungen eindeutig zu trennen und keine Verunglimpfungen der Personen vorzunehmen, die in den Medien angegriffen werden. Dies sind übrigens allgemein anerkannte Prinzipien, die allerdings leider allzu oft durchbrochen werden.

Für die Einhaltungen dieser Regeln ist natürlich nicht nur notwendig, dass diese Prinzipien allen Journalisten zur Pflicht gemacht werden, sondern es ist unerlässlich, dass das Anreizsystem, dem die Journalisten ausgesetzt sind, so ausgestaltet wird, dass die Einhaltung dieser Regeln dem Aufstieg eines jeden Journalisten nicht hinderlich ist und dass die Übertretung dieser Regeln keinesfalls zu einer Belohnung irgend einer Art der betroffenen Personen führen darf.

Diese Anreizsysteme gehen nun in erster Linie von den Verlagen bzw. von den Organen der öffentlichen Medien aus. Nun unterscheiden wir im Bereich des Fernsehens und des Rundfunks zwischen öffentlich rechtlichen und privaten Sendern. Innerhalb der öffentlich rechtlichen Institutionen mag die Verankerung dieser notwendigen Anreizsysteme durchaus möglich sein. Innerhalb privatwirtschaftlicher Einrichtungen – und hierzu zählen nahezu alle Presseorgane sowie zahlreiche Hör- und Fernsehsender sowie Veröffentlichungen im Internet –  ergeben sich bei der Durchsetzung dieser Prinzipien beachtliche Schwierigkeiten. Privatrechtlich geführte Medien werden nach erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt und diese erwerbswirtschaftlichen Interessen können durchaus in Konflikt mit der Einhaltung dieser Prinzipien geraten.

Dies gilt vor allem dann, wenn ein starker Wettbewerb zwischen den einzelnen Anstalten und Medien besteht und wenn von der Vorstellung ausgegangen werden muss, dass reißerische, nicht auf die Einhaltung dieser Kriterien gerichtete Veröffentlichungen von den Lesern bzw. Zuhörern und Zuschauern erwartet werden. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass sich Medienorgane, welche diese Prinzipien rigoros einhalten, Kunden verlieren auf Kosten der Medien, welche diese Regeln eindeutig verletzen.

Hier besteht dann die Gefahr, dass mögliche Strafen, welche von den Ehrengerichten verhängt werden, im Vergleich zu den durch die Nichtbeachtung dieser Regeln ausgelösten Umsatzsteigerungen gering sind, deshalb durchaus in Kauf genommen werden und somit ihre beabsichtigte Wirkung (den Missbrauch zu unterbinden) verfehlen.

Eine Lösung dieser Probleme könnte nur auf zweierlei Weise erreicht werden: Entweder vereinbaren die konkurrierenden Medien gemeinsam die Einhaltung dieser Prinzipien, verzichten also darauf, auch dann auf reißerische Veröffentlichungen zurückzugreifen, wenn durch solche Veröffentlichungen zusätzliche Kunden gewonnen werden könnten; sie vertrauen darauf, dass sich auch die Konkurrenten an diese Vereinbarungen halten und dass deshalb der potentielle Verlust aufgrund der Einhaltung dieser Prinzipien gering gehalten werden kann.

Dieser Vorschlag widerspricht natürlich dem im Wettbewerbsrecht sonst geltenden Grundsatz, wonach keine Absprachen zwischen Unternehmungen erlaubt sein dürfen, welche in Wettbewerb zueinander stehen. Man muss also das Verbot von Absprachen für den Fall ausschließen, dass sich die Absprachen allein auf die Einhaltung der Regeln der Fairness beziehen.

Oder aber man hofft, dass im Rahmen der allgemeinen Bildungseinrichtungen die Menschen ganz allgemein stärker als bisher dazu erzogen werden, die Zeitungen und Sender stärker danach auszuwählen, ob wahrheitsgemäß berichtet wird und die angegriffenen Politiker in ihrer Menschenwürde geachtet werden und weniger danach, ob die Veröffentlichungen möglichst reißerisch vorgetragen werden. Könnte ein solcher Erziehungserfolg erreicht werden, läge es auch nicht mehr im erwerbswirtschaftlichen Interesse der öffentlichen Medien, diese Regeln der Fairness zu durchbrechen. Vielleicht mag ein solcher Anspruch an die allgemeine Erziehung als unerreichbar und utopisch gelten; immerhin ist ein Erfolg bereits dann gegeben, wenn die Mehrheit der Bürger die Zeitungen und Sendungen nach diesen Kriterien aussucht oder auch nur liest; der Umstand, dass sich immer ein gewisser kleiner Prozentsatz nicht an diese Prinzipien hält, würde diesen Erfolg nicht in Frage stellen.