Zur Verfassungsmäßigkeit des Klimaschutzgesetzes

 

 

Im September 2019 hatte der Bundestag ein Klimaschutzzgesetz beschlossen, das den Zweck verfolgt, die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Danach soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten. Auch soll damit das Bekenntnis Deutschlands auf dem UN-Klimagipfel am 23. September 2019 in New York gestützt werden, bis zum Jahre 2050 Treibhausgasneutralität als langfristiges Ziel zu erreichen.

 

Gegen dieses Gesetz hatten junge Aktivisten beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht, das diese Klage wie folgt nun beschieden hat. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts greife das Klimaschutzgesetz von 2019 zu kurz. Es fehle an ausreichenden Vorgaben für die Emissionsminderung ab 2031. Das Gesetz müsse auch festlegen, mit welchen Mitteln ab 2030 dieses Ziel erreicht werden soll.

 

Begründet wird diese Aufforderung damit, dass das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar sei. Es fehlten ausreichende Vorgaben für die Minderung der Emissionen ab dem Jahr 2031, teilte das Bundesverfassungsgericht mit. Da in dem Gesetz lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionsverringerung vorgesehen seien, würden die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und damit zu Lasten der jüngeren Generation verschoben.

 

Wohlbemerkt: Es geht bei diesem Streit nicht um die Ziele der Umweltpolitik, diese sind unbestritten, es kann nicht geleugnet werden, dass Maßnahmen zur Erhaltung unseres Klimas niotwendig sind. Es geht bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Rechtmäßigkeit des Klimaschutzgesetzes allein um die Frage des Mitteleinsatzes zur Ereichung der unbestrittenen Ziele.

 

Hierbei muss als erstes daran erinnert werden, dass in der Politik nahezu immer, auch bei dieser Frage wiederum, mehrere Ziele zur Diskussion stehen, welche in einem Konfliktverhältnis zueinander stehen, weil zur Realisierung fast aller politischen Ziele knappe Ressourcen eingesetzt werden müssen und dies bedeutet, dass in dem Maße, in dem Maßnahmen zugunsten des einen Zieles vermehrt eingesetzt werden, gleichzeitig jeweils andere Ziel vermindert realisiert werden können. So haben wir bei der Diskussion um die Umweltpolitik davon auszugehen, dass augenblicklich Ziele der Vollbeschäftigung sowie des Gesundheitsschutzes in Konkurrenz zum Umweltziel stehen.

 

Stehen Werte, welche durch unsere Verfassung geschützt werden, in einem solchen Konfliktverhältnis zueinander, dann müssen Kompromisse geschlossen werden, die Juristen sprechen in diesem Zusammenhang von Güterabwägung, es muss geklärt werden, bei welchem Kompromiss den in Frage stehenden Werten noch am besten entsprochen wird.

 

Für den Wirtschaftswissenschaftler liegt hier ein Zielkonflikt vor, welcher mit den beiden Gossen’schen Gesetzen umschrieben wird. Das erste Gosssen’sche Gesetz besagt, dass eine Vermehrung des Konsums eines Gutes mindestens bis zu einer Grenze zu einer Nutzensteigerung führt, dass aber bei vermehrtem Konsum der Zuwachs der Nutzensteigerung immer mehr zurückgeht. Der Grenznutzen (der Nutzenzuwachs der letzten konsumierten Einheit) sinkt also mit wachsendem Konsum.  Übertragen auf die Politik besagt das erste Gossen’sche Gesetz, dass ein vermehrter Mitteleinsatz dazu führt, dass der Zuwachs an hierdurch hervorgerufener Wohlfahrssteigerung sinkt.

 

 Das 2. Gossen’sche Gesetz besagt im Gegensatz hierzu folgendes: Solange die Grenznutzen der einzelnen Konsumgüter unterschiedlich sind, kann eine Nutzensteigerung erzielt werden, wenn man den Konsum auf das Gut verlagert, welches noch einen höheren Grenznutzen aufweist, und zwar auf Kosten des jewels anderen Gutes mit einem geringeren Grenznutzen. Wiederum übertragen auf politische Verhältnisse besagt das 2. Gossensche Gesetz, dass solange eine Wohlstandssteigerung erzielt werden kann, solange die Wohlstandssteigerungen bei den einzelnen Zielen unterschiedlich sind.

 

Wenn auch der heutige politische Mitteleinsatz in erster Linie die Verwirklichung der einzelnen poilitischen Ziele in der gegenwärtigen Periode bewirkt, gehen trotzdem von den heute eingesetzten Maßnahmen weitere Wirkungen auf die Zielrealisierung in der Zukunft aus. Hier findet eine Art Weichenstellung statt. Dadurch zum Beispiel, dass sich die Politik für die alleinige Förderung des elektrisch betriebenen Autos entschieden hat, wird auch die zukünftige Entwicklung des Straßenverkehrs nachhaltig beeinflusst und es muss durchaus mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass gerade diese Entscheidung (vorwiegend die Entwicklung des E-Autos zu fördern) langfristig die Realisierung der Umweltziele erschwert, da unter Umständen in Zukunft andere Entwicklungen (z. B. die Wasserstoffzelle) eine bessere Realisierung der Umweltziele und des bestehenden Konfliktverhältnis zu anderen politischen Zielen ermöglicht hätte. Es wäre in diesem Falle besser gewesen, nicht einseitig eine bestimmte Technologie zu fördern.

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, wann bindende Entscheidungwn über den Einsatz politischer Mittel in den zukünftigen Perioden gefällt werden sollten. Hier gelten die Bedenken im Zusammenhang mit der Weichenstellung heutiger Maßnahmen für zukünftigen Mitteleinsatz a priori.

 

Eine Beurteilung darüber, wie sich politische Maßnahmen, welche heute für die Zukunft festgelegt werden, in zukünftigen Perioden auswirken werden, setzt die Kenntnis über die Wirkungszusammenhänge in der Zukunft voraus. Diese Kenntnis wäre jedoch nur dann gegeben, wenn sich die Technik in Zukunft entweder überhaupt nicht verändern würde oder wenn wir in der Lage wären, die Entwickung des technichen Fortschrittes vorauszusagen.

 

Beides ist jedoch nicht der Fall. Wir haben von einer sehr rasenten Entwicklung der angewandten Technik auszugehen. Es ist jedoch vollkommen unbekannt, wie schnell und in welche Richtung sich der technische Fortschritt in der weiteren Zukunft entwickeln wird. Der Staat kann zwar einseitig die Entwicklung ganz bestimmter Technologien gezielt fördern und kann auf diese Weise Einfluss auf Geschwindigkeit und Richtung des technischen Fortschritts nehmen. Es bleibt aber stets ungewiss, ob sich der Staat jeweils für die Technologien eingesetzt hat, welche auch die größte Wohlfahrtssteigerung in Zukunft versprechen. Deshalb ist es auch der falsche Weg, zu verlangen, dass der Staat bereits heute die politischen Mittel bindend festlegt, welche erst in weiter Zukunft einzusetzten sind. Es ist sehr viel besser (also wohlfahrtssteigernd), nur die Ziele, aber nicht auch die in weiter Zukunft einzusetzenden Maßnahmen bereits heute verbindlich einzusetzen.

 

Selbstverständlich lässt sich eine Regierung auch dann kritisieren, wenn nur das Ziel, aber nicht die zu ergreifenden Maßnahmen in der Vergangenheit festgelegt wurden. Wenn für die Zukunft feste Vorgaben für die zu verwirklichenden Ziele festgelegt wurden, ist die Regierung in der Zukunft verpflichtet, die Ziele soweit wie möglich auch zu realisieren. Natürlich kann sie in diesem Falle die Ziele verfehlen. Dies wäre jedoch auch dann möglich, wenn in der Vergangenheit die zu ergreifenden Mittel ebenfalls festgelegt wurden, die Regierung jedoch keine Möglichkeit sieht, diese Maßnahmen auch hundertprozentig durchzuführen. Es könnte sogar der Fall eintreten, dass die Regierung in den zukünftigen Perioden alle in der Vergangenhit festgelegten Maßnahmen durchführt und trotzdem das Ziel verfehlt, weil man eben in der Vergangenheit von falschen Annahmen über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ausgegangen war. Durch die Festlegung der Mittel in der Vergangenheit ist somit nichts gewonnen.

 

Unabhängig davon, wie berechtigt die vom Bundesverfassungsgericht verfügten Vorgaben auch sind, sie sind trotzdem einzuhalten. In einem Rechtsstaat ist das Verfassungsgericht die letzte Instanz, welche bei einem Streit über konkrete Maßnahmen darüber entscheidet, welche der umstrittenen Lösungen zu ergreifen ist. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass wegen nicht zu lösender Streitgkeiten eine Regierung völlig handlungsunfähig wird. Und dies gilt auch dann, wenn in Einzelfällen die Entscheidung des obersten Gerichtes sachlich falsch ist.

 

In diesem Falle kann man nur hoffen, dass in Zukunft möglichst wenige sachlich falsche Entscheidungen getroffen werden. Wie hatte Bertolt Brecht in seiner Dreigroschenoper in der  Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens‘ bereits gesagt:

 

Ja, mach nur einen Plan!

Sei nur ein großes Licht!

Und mach dann noch’nen zweiten Plan

Gehn tun sie beide nicht.