Startseite

 

Zur Reform der Verfassung

 

 

Gliederung:

 

1. Problemeinführung

2. Der Idealzustand

3. Die Realität

   a. Das Prinzip der Gewaltenteilung

   b. Das Zweikammersystem

   c. Das Wahlsystem

   d. Die Rolle der Medien

4. Gedanken zu einer Reform

   a. Das Prinzip der Gewaltenteilung

   b. Das Zweikammersystem

   c. Das Wahlsystem

   d. Die Rolle der Medien

   e. Der Volksentscheid

 

 

 

 

4. Gedanken zu einer Reform

  

4a. Das Prinzip der Gewaltenteilung

 

Wir hatten im Abschnitt 3 gesehen, dass das von Locke und Montesqieu formulierte Prinzip der Gewaltenteilung im Hinblick auf die Trennung von Exekutive und Legislative in repräsentativen Demokratien nicht funktionieren kann. An die Stelle dieses Prinzips erfolgt die Machtkontrolle vorwiegend durch die Auseinandersetzungen von Regierung und Opposition. Die Opposition greift die Regierung im Parlament – aber nicht nur dort, sondern auch in der Öffentlichkeit  – an, entwickelt zur Regierungsvorlage alternative Vorschläge, weist auf mögliche Mängel der Regierungsvorlage hin, wobei diese Mängel darin liegen könnten, dass sie gar nicht zu dem erhofften Erfolg führen oder dass von ihnen ungewollte Nebenwirkungen auf andere Ziele der Politik ausgehen. Schließlich überprüft die Opposition die vor der Wahl formulierten Versprechungen der Regierungsparteien und weist gegebenenfalls daraufhin, dass diese Versprechungen nicht eingehalten werden.

 

Negativ gesehen ist es nicht primäre Aufgabe der Opposition, die einzelnen gesetzgeberischen Aktivitäten mit zu verantworten. In aller Regel verfügen die Regierungsparteien über genügend Abgeordnete, um die geplanten Gesetzesvorhaben im Parlament mit der geforderten Mehrheit zu beschließen. Es bedarf also im Allgemeinen nicht der  Zustimmung der Opposition zu den Vorlagen der Regierung. Es wäre auch ohne reale Bedeutung, wollten die Oppositionsparteien eigene Gesetzesvorhaben im Parlament zur Abstimmung stellen. Da sie hier über keine Mehrheit verfügen, kann auch im Regelfall nicht damit gerechnet werden, dass diese Vorlagen im Parlament beschlossen werden.

 

Ausnahmen von dieser Regel sind dort gegeben, wo die Regierung Änderungen in der Verfassung verfolgt, welche nur mit einer qualifizierten Mehrheit verabschiedet werden können. In aller Regel verfügt eine Regierung im Parlament nicht über eine qualifizierte Mehrheit und bedarf deshalb in diesen Fällen der Mitwirkung der Opposition. Qualifizierte Mehrheiten werden bisweilen auch noch bei anderen Beschlüssen gefordert, so z. B. dann, wenn ein Land einer internationalen Gemeinschaft (beispielsweise der Europäischen Union) beitreten möchte.

 

Oftmals bemühen sich die Regierungen auch um eine gemeinsame Außenpolitik. Die einheimische  Regierung erlangt gegenüber den ausländischen Regierungen eine bessere Verhandlungsposition, wenn sie daraufhinweisen kann, dass alle größeren Parteien einem bestimmten Vorhaben zustimmen. Die Gefahr für das Ausland, dass eine zukünftige Regierung bestrebt sein wird, die internationalen Abmachungen nicht einzuhalten und rückgängig zu machen, ist in diesem Falle geringer.

 

Auch kann es aus der Sicht der Opposition bei den nächsten Wahlen von Vorteil sein, wenn sie sich zugunsten gewisser Vorhaben ausgesprochen hat, die in der Bevölkerung eine hohe Präferenz genießen, die Wahlchancen der Opposition können auf diese Weise verbessert werden.

 

Oppositionsparteien haben schließlich zumeist auch das Recht, Untersuchungsausschüsse durchzusetzen, in denen Vorwürfe gegenüber Regierungsmitgliedern oder anderen Spitzenpolitikern behandelt werden. Ansonsten dient die Verhaltensweise der Opposition im Parlament primär dazu sich so aufzustellen, dass die Wahlchancen für die nächste Wahl verbessert werden.

 

Allerdings dürfte es für alle Parteien und auch für die Allgemeinwohl wenig hilfreich sein, wenn diese Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition mit persönlichen Beleidigungen verbunden werden. Auf der einen Seite reicht es vollkommen aus, wenn die Opposition sachlich auf Mängel der Regierung hinweist. Der Wähler erhält auf diese Weise die Informationen, welche er für eine rationale Wahlentscheidung benötigt. Er kann in diesem Falle überprüfen, inwieweit die regierenden Parteien ihre Versprechen eingehalten haben und inwieweit die Vorschläge der einzelnen Parteien seinen Interessen und Zielsetzungen am besten entsprechen.

 

Auf der anderen Seite belasten persönliche Beleidigungen auch die zukünftigen Beziehungen der Parteien untereinander. Vor allem dann, wenn keine Partei die absolute Mehrheit bei den Wahlen erringen konnte, bedarf sie der Zusammenarbeit anderer Parteien und diese Zusammenarbeit wird erschwert, wenn die Parteien in der Vergangenheit zu rau miteinander umgegangen sind. Erfolgreiche Zusammenarbeit in der Regierung setzt ein Vertrauen voraus und dieses wird verloren, wenn sich die Politiker gegenseitig mit persönlichen Beleidigungen gegenseitig beschimpfen.

 

Eine solche Zusammenarbeit kann auch dann notwendig werden, wenn ein Mehrheitswahlrecht vorliegt und eine einzige Partei über die Mehrheit verfügt und deshalb allein die Regierung bilden kann. Wir haben oben gesehen, dass bei Verfassungsänderungen, aber auch bei internationalen Fragen eine qualifizierte Mehrheit benötigt wird, welche auch in einem Mehrheitswahlsystem in aller Regel nicht erreicht wird.

 

Inwieweit die Beziehungen zwischen Regierung und Opposition sachlich bleiben, hängt unter anderem auch davon ab, wie die öffentlichen Medien über die politischen Ereignisse berichten. Eine sachliche Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition wird dadurch gefördert, dass die Medien ebenfalls die Bevölkerung sachlich informieren. Andererseits kommt es sehr leicht zu hitzigen und gereizten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition, wenn die Medien die Parteien gegeneinander ausspielen und aufhetzen. Für ein erfolgreiches Zusammenspiel von Regierung und Opposition ist also auch das Verhalten der Medien abhängig. Nur bei sachlicher Auseinandersetzung der Parteien untereinander erhält der Wähler die Informationen, welche er zu einer rationalen Wahl benötigt.

 

Eine sachliche Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Parteien liegt aber nicht nur im Interesse der Parteien im Hinblick auf mögliche zukünftige Zusammenarbeit. Die Art und Weise wie die politischen Auseinandersetzungen geführt werden, entscheidet auch auf lange Sicht darüber, über welche Spitzenpolitiker ein Land verfügen wird. Es besteht die Gefahr, dass immer dann, wenn Schlammschlachten geschlagen werden, wenn der Eindruck entsteht, dass ein politischer Erfolg nur dann erreicht werden kann, wenn man sich nicht auf eine sachliche Auseinandersetzung beschränkt, sondern den politischen Gegner auch persönlich angreift, sich immer mehr fähige Führungskräfte aus der Politik zurückziehen und im In- oder auch Ausland Führungspositionen im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich suchen.

 

Dass gerade in den letzten Jahrzehnten ein solcher Ausblutungsprozess in der BRD – aber nicht nur dort – stattgefunden hat, ist wohl kaum zu bezweifeln. Und dass für diesen Ausblutungsprozess unter anderem auch der sehr raue Ton im politischen Gespräch verantwortlich ist, dürfte ebenfalls nicht geleugnet werden können. Die im politischen Alltag gepflegten Umgangsformen entscheiden darüber, welche Spitzenkräfte sich im politischen Kampf durchsetzen und welche Eigenschaften dann diese Führungskräfte aufweisen.

 

Hierbei spielen die öffentlichen Medien wiederum eine entscheidende Rolle. Wenn derjenige Politiker öffentlich gelobt wird, der seinen politischen Gegner möglichst hart angefasst hat, der dem Gegner möglichst viele Schläge ausgeteilt hat, wenn also mit anderen Worten die Anzahl der Beleidigungen und die Lautstärke darüber entscheiden, wer aus diesem Ringkampf als Sieger hervorgeht, braucht man sich auch nicht zu wundern, dass diese Eigenschaften bei den übriggebliebenen Politikern vorherrschen. Wenn andererseits die Beschränkung auf sachliche Argumente und das Verzichten auf persönliche Angriffe als Schwäche ausgelegt wird, braucht man sich wiederum nicht zu wundern, dass gerade Führungskräfte mit diesen positiven Eigenschaften der Politik den Rücken kehren.

 

Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass unsere modernen Gesellschaftssysteme hochkomplex sind und deshalb Fachwissen und Kompetenz verlangen. Schon lange gilt nicht mehr der Ausspruch, dass Gott demjenigen, dem er ein Amt verliehen habe, auch den Verstand hierzu gegeben habe. Nur wer über ausreichendes Wissen und darüber hinaus auch über ausreichende Fähigkeiten verfügt, wird die anstehenden Probleme befriedigend lösen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass derjenige, der am lautesten schreit und seinem Gegner die härtesten Schläge ausgeteilt hat, auch die beste Eignung für die Lösung der anstehenden politischen Probleme aufweist.

 

 

4b. Das Zweikammersystem

 

Wir hatten im dritten Abschnitt dieses Artikels gezeigt, dass auch das in unserer Verfassung verwirklichte Zweikammersystem dazu beiträgt, dass die Regierung oftmals regierungsunfähig wird.

Dass im bestehenden System solche gravierenden Ineffizienzen überhaupt auftreten können, liegt vor allem an zwei Tatbeständen: einmal daran, dass die Verfassung nicht eindeutig die Kompetenzen von Bund und Ländern festgelegt hat, zum andern an der Tatsache, dass die Landtagswahlen an unterschiedlichen Zeiten und zumeist zwischen der Legislaturperiode stattfinden.

 

Das Grundgesetz legt nur bei einem relativ kleinen Teil der anstehenden politischen Aufgaben eindeutig fest, welchem Träger (dem Bund oder den Ländern) diese Aufgabe allein zu übertragen ist. Bei einem beachtlich großen Teil der Aufgaben besteht eine konkurrierende Gesetzgebung, die sich dadurch auszeichnet, dass im Grunde beide Organe (der Bund wie die Länder) über diese Fragen entscheiden können und vor allem die Länderkammer Mitbestimmungsrechte auch bei Bundesgesetzen erlangen und zwar dadurch, dass diese Gesetzesvorhaben im Bundesrat zustimmungspflichtig sind.

 

Es wäre vermutlich sehr viel effizienter, wenn die Verfassung die einzelnen Aufgaben eindeutiger einem dieser beiden Organe (dem Bund oder den Ländern) zuweisen und nur dort eine konkurrierende Gesetzgebung erlauben würde, wo die Interessen beider Instanzen in etwa gleich groß sind.

 

Natürlich wird man bei allen politischen Vorhaben davon ausgehen können, dass bei nahezu jedem Gesetz auch Interessen einzelner Länder berührt werden. Diese Interdependenz gilt jedoch für wohl alle anderweitigen Interessen. Es gibt wohl kaum eine Gesetzesvorlage, welche außer den Interessen der Mehrheit nicht auch die Interessen einzelner Minderheiten und zwar negativ berührt. Es wird hier immer davon ausgegangen, dass eine Mehrheitsentscheidung immer noch das kleinere Übel darstellt als wenn man ganz auf diese Maßnahme verzichtet, mit dem Argument, dass Interessen einzelner Minderheiten verletzt würden.

 

Den Belangen der Minderheit wird dadurch entsprochen, dass das Grundgesetz Grundrechte kennt, welche durch kein Gesetz verletzt werden dürfen und dass darüber hinaus unter gewissen Bedingungen ein Bürgerentscheid zugelassen wird, welcher die Politiker zwingt, im Sinne dieses Votums zu handeln. Deshalb muss auch im Hinblick auf die Länderinteressen gesagt werden, dass es wenig Sinn macht, auf der einen Seite festzulegen, dass der Bund im Sinne der Mehrheit der Wähler bestimmte Probleme lösen sollte und dann gleichzeitig aber zulässt, dass in der Länderkammer, die ja letzten Endes ebenfalls in ihrer Gesamtheit von den gleichen Bürgern bestimmt wurde, diese Gesetzesvorhaben blockiert werden können.

 

Ineffizienzen im Zusammenhang mit dem föderativen Charakter unserer Verfassung entstehen jedoch vor allem zweitens deshalb, weil unterschiedliche Wahltermine im Bund und in den einzelnen Ländern dafür verantwortlich sind, dass in beiden Kammern unterschiedliche Abstimmungsergebnisse erzielt werden.

 

Die Termine zu den Landtagswahlen sind so gelegt, dass sie zwischen der Legislaturperiode erfolgen. Dies hat dann zur Folge, dass sich mit der Änderung im Wählerwillen auch die Zusammensetzung der Parlamente ändert und dass aus diesen Gründen die Vorhaben des Bundestages bzw. der Bundesregierung von der Länderkammer abgelehnt werden können.

 

Ein solches Verfahren ist ineffizient. Es gibt keinen Sinn, dass die gleiche  Bevölkerung Abgeordnete einer bestimmten Partei in den Bundestag entsendet und Abgeordnete anderer Parteien in die Landtage wählt. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob es nicht eigentlich erwünscht wäre, dass eine grundlegende Änderung im Willen der Mehrheit der Bevölkerung auch in den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen einen Niederschlag finden sollte.

 

Ist man jedoch dieser Meinung, dann sollte man die Legislaturperiode des Bundestages verkürzen. Denn dann würden die Abgeordneten auch dem geänderten Wählerwillen voll entsprechen. Wählt man jedoch den heute gültigen Weg der Zustimmungspflicht eines Teils der Gesetze seitens des Bundesrates, erreicht man überhaupt nichts. Auf der einen Seite werden die Gesetzesvorhaben des Bundestages von Seiten der Länderkammer blockiert, auf der anderen Seite ist aber auch die Länderkammer nicht befugt oder in der Lage, ihrerseits Bundesgesetze zu verabschieden.

 

In Wirklichkeit gibt es gute Gründe dafür, die Wahlperiode nicht auf ein Jahr oder zwei Jahre zu beschränken, da komplizierte Gesetzesvorhaben auf der einen Seite einer Vielzahl von Einzelgesetzen bedarf, die aber aufeinander abgestimmt sein sollten. Auf der anderen Seite bedarf es einer intensiven Diskussion, um unter verschiedenen Alternativen gerade die bestmögliche auszuwählen. Wäre die Wahlperiode auf zwei Jahre beschränkt, bliebe nicht genügend Zeit, die Gesetze sorgfältig vorzubereiten und auszuführen.

 

Vor allem würde die sachliche Diskussion dadurch belastet, dass die Gesetze vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der nächsten Wahl diskutiert würden und dass auf diese Weise vor allem auch alle diejenigen Gesetze, welche zwar notwendig sind, jedoch aufgrund einer kurzfristigen Sicht unpopulär erscheinen, hinausgeschoben würden. Eine rationale Politik hat stets die Gesamtheit auch der Langzeitwirkungen einer Maßnahme zu berücksichtigen. Es besteht aber bei zu kurzen Legislaturperioden die Gefahr, dass nur die kurzfristigen Auswirkungen Berücksichtigung finden. So werden Maßnahmen, welche kurzfristig nützen, langfristig aber schaden, zu Unrecht eingeführt und gleichzeitig Maßnahmen, welche kurzfristig Kosten verursachen, aber langfristig hohen Nutzen versprechen, nicht eingeführt. Bei dem derzeitig gültigen Verfahren haben Parteien die zumeist negativen Langzeitwirkungen aus der vorhergehenden Legislaturperiode mit zu verantworten mit der Folge, dass die Politiker zum Teil immer für Schäden anderer haften. 

 

Wählt man dann – wie dies heute üblich ist – auf der einen Seite relativ lange Legislaturperioden, lässt aber zu, dass im Verlaufe der Legislaturperiode zeitlich verteilt Landtagswahlen stattfinden, treten genauso oder sogar noch größere unerwünschte Nebenwirkungen auf wie bei sehr kurzen Wahlperioden. Die einzelnen Diskussionen finden stets unter Wahlgesichtspunkten statt. Trotzdem kann auch dann, wenn sich die Volksmeinung entscheidend verändert hatte, nicht damit gerechnet werden, dass solche Gesetze verabschiedet werden, welche dem heutigen Mehrheitswillen in der Bevölkerung entsprechen.

 

Hier würde die Gesetzgebungsarbeit sehr viel effizienter durchgeführt, wenn möglichst alle Landtagswahlen auf einen Termin gelegt und wenn darüber hinaus Bundestags- und Landtagswahlen am gleichen Termin stattfinden würden. Es wäre dann auf der einen Seite sichergestellt, dass genügend Zeit für eine sachliche Diskussion über die einzelnen gesetzgeberischen Maßnahmen bestünde; auf der anderen Seite würden die bei einer Wahl entstehenden Kosten verringert, in dem eben nur einmal aufwendige Wahlveranstaltungen der einzelnen Parteien notwendig würden und gleichzeitig die ohnehin geringe Bereitschaft der Bürger, zur Wahl zu gehen, nicht überstrapaziert würde.

 

 

4c. Das Wahlsystem

 

Wir hatten oben gesehen, dass man  allgemein zwischen einem Mehrheits- und einem Verhältniswahlrecht unterscheidet und dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eine Mischung beider Systeme dadurch vorsieht, dass jeder Wähler zwei Stimmen hat, wobei mit der Erststimme wie beim Mehrheitswahlrecht derjenige Kandidat als gewählt gilt, der die Mehrheit der Stimmen in einem Wahlbezirk erlangt hat, während die Zweitstimme dafür Sorge trägt, dass die Zusammensetzung des Parlaments derjenigen der Wähler weitgehend entspricht.

 

Wir hatten ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass die aufgezeigten Mängel nicht damit zusammenhängen, dass das Grundgesetz einige Elemente des Mehrheitswahlrechtes übernommen hat, dass diese Fehlentwicklungen auch hätten erwartet werden müssen, wenn wir in der BRD ein reines Verhältniswahlrecht gehabt hätten.

 

Vermutlich hängen diese aufgezeigten Mängel eher damit zusammen, dass unser Wahlsystem Bestandteile des Verhältniswahlrechts aufweist. Fragen wir uns deshalb, ob diese Mängel dann vermieden werden bzw. zumindest deutlich verringert werden könnten, wenn wir ein reines Mehrheitssystem einführen würden.

 

Wir haben bereits weiter oben eingeräumt, dass bei einem Mehrheitswahlrecht die Zusammensetzung des Parlaments durchaus von der Zusammensetzung der Wählerschaft mehr oder weniger abweichen kann. Aber unabhängig davon, ob nach Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht gewählt wird, die Regierung wird aus den Parteien gebildet, welche bei der Wahl die Mehrheit erlangt haben. Und diese Regierung wird ihr Programm durchzuführen versuchen, unabhängig davon, ob die Zahl der Abgeordneten der Regierungsparteien gerade wie beim Verhältniswahlrecht dem Anteil der Wähler entspricht, welche diese Parteien gewählt haben oder ob – was in einem reinen Mehrheitssystem üblich ist – die Regierung über mehr Sitze im Parlament verfügt als es dem Prozentsatz der Wähler entspricht, welche die Regierungsparteien gewählt haben.

 

Im Allgemeinen wird man unterstellen können, dass sich die Aktivitäten der Regierung, welche aus einem Mehrheitssystem hervorgegangen ist, nicht von einer Regierung der gleichen Parteien unterscheiden, welche bei einem Verhältniswahlrecht zustande gekommen wäre. Nur in zwei Ex­tremfällen könnten eine andere Regierung und damit auch andere Aktivitäten erwartet werden.

 

Wenn erstens im Parlament den einzelnen Abgeordneten durchgehend bei jeder Abstimmung freigestellt würde, ob sie die Gesetzesvorlage ablehnen oder ihr zustimmen und wenn darüber hinaus nur solche Gesetzesvorhaben im Parlament zur Abstimmung kämen, bei denen sich die Parteien bereits vor der Wahl für eine ganz bestimmte Haltung ausgesprochen hätten, wäre es denkbar, dass dann ein verabschiedetes Gesetz bei einer Zusammensetzung des Parlaments entsprechend dem Verhältniswahlrecht die politische Lösung dem Willen der Mehrheit der Wähler besser entsprechen könnte als dann, wenn die Regierung aus einem Mehrheitswahlrechtssystem hervorgegangen wäre.

 

Nun sind entsprechend unserer Verfassung die Abgeordneten in der Tat nur ihrem Gewissen verantwortlich und immer dann, wenn ein Abgeordneter von der Meinung der Regierung oder der Fraktionsspitze abweicht, könnte in der Tat die Abstimmung in beiden Wahlsystemen unterschiedlich verlaufen. In praxi muss jedoch damit gerechnet werden, dass es nur in den seltensten Fällen und bei für das Regierungsprogramm eher nebensächlichen Fragen den einzelnen Abgeordneten frei gestellt wird, auch gegen die Regierungsvorlage zustimmen. Zwar kann ein solches Verhalten nicht erzwungen werden, die Chancen eines Abgeordneten, welcher immer wieder gegen die Vorlagen der eigenen Partei stimmen würde, in der Partei aufzusteigen, wären extrem gering. Es gehen also in der Realität auf die einzelnen Abgeordneten der Regierungsparteien sehr starke Anreize aus, sich bei den Abstimmungen regierungskonform zu verhalten.

 

Auch dann, wenn eine solche Praxis rein formal als verfassungswidrig bezeichnet werden könnte, gilt es nicht nur festzustellen, dass dies die vorherrschende Praxis nahezu aller westlichen Demokratien ist, sondern auch, dass eine völlige Freigabe des Abstimmungsverhaltens geradezu zu chaotischen Verhältnissen führen würde. Kein vernünftiges Regierungsprogramm könnte realisiert werden, es würde von Zufälligkeiten abhängen, welche Gesetze gerade verabschiedet werden und ein Teil der so verabschiedeten Gesetze würde mit anderen Gesetzen in Widerspruch geraten. Ein gewisser Koalitionszwang kommt also sehr wohl dem Allgemeinwohl zugute.

 

Es gibt noch eine zweite Voraussetzung, welche erfüllt sein muss, damit die Aktivität der regierenden Parteien nicht entscheidend davon abhängt, welches Wahlsystem besteht. Wenn die einzelnen Wahlkreise gleich groß sind, dürften ceteris paribus immer die gleichen Parteien die Mehrheit erlangen, unabhängig vom praktizierten Wahlrecht. Fällt jedoch die Größe (der Umfang der Wähler) der Stimmbezirke unterschiedlich aus, so ist es nicht mehr ganz unmöglich, dass unter dem Mehrheitswahlrecht Parteien als Sieger aus der Wahl hervorgehen, welche gemessen an dem Prozentsatz der für sie abgegebenen Stimmen überhaupt nicht über die Mehrheit der Wählerstimmen verfügen.

 

In der Tat gab es lange Zeit in Großbritannien eine Aufteilung der Wahlkreise, bei der einzelne Wahlbezirke nur auf eine Hand voll Wähler kamen, während auf der anderen Seite andere Wahlbezirke wegen des rapiden Anwachsens einzelner Großstädte auf viele Tausend Wähler gekommen waren. Hier könnte in der Tat eine Partei die Mehrheit der Parlamentssitze erhalten, obwohl nur eine Minderheit der Wähler für diese Partei gestimmt hat.

 

Unterstellen wir einmal in einem vereinfachten, bewusst extremen und deshalb unrealistischen Denkmodell, es gäbe 100 Wahlbezirke, sechzig Wahlbezirke würden jeweils 10 Wahlberechtigte umfassen, während in den übrigen Wahlbezirken jeweils 1000 Wahlberechtigte registriert wären. Wir wollen weiter davon ausgehen, dass eine Partei X in den sechzig kleinen Wahlbezirken jeweils 6 Jastimmen erhalten hätte, aber in den großen Wahlbezirken nur auf – im Durchschnitt – 100 Ja-Stimmen gekommen wäre. Annahmegemäß hätte die Partei X in 60 von 100  Bezirken die Wahl und damit die Mehrheit gewonnen, obwohl sie annahmegemäß nur 60 x 6 = 360 plus 100 x 40 = 4000, also zusammen 4360 Wählerstimmen erlangt hätte, was gerade einem Verhältnis von 4360/ (1000 x 40), also gerade circa 11% entsprechen würde.

 

In einem gewissen Sinne repräsentiert das aus Mehrheitswahlen hervorgegangene Parlament aber auch den Mehrheitswillen der Bevölkerung besser als es im Rahmen des Verhältniswahlrechts überhaupt möglich ist. Da in den einzelnen Wahlkreisen bei Mehrheitsrecht nur derjenige die Wahl gewinnen kann, der auch die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis erlangen kann, ist er gezwungen, bereits vor der Wahl die Interessen aller größeren Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen und damit die notwendigen Kompromisse zu benennen, sodass der Wähler hier auch wirklich über die später zu verwirklichenden Kompromisse entscheiden kann.

 

Auch beim Verhältniswahlrecht müssen diese Kompromisse schließlich geschlossen werden, aber gerade deshalb, weil die Politiker sich erst nach der Wahl um diese Kompromisse bemühen müssen, kann hier der Wähler gar nicht an der Kompromissbildung beteiligt werden.

 

Das Mehrheitswahlrecht führt jedoch nicht nur deshalb zu effizienteren Ergebnissen, weil es in stärkerem Maße als das Verhältniswahlrecht dem Willen der Mehrheit entspricht, das politische System ist unter einem Mehrheitswahlrecht im Allgemeinen auch stabiler, also vor einem Umsturz mehr geschützt als unter dem Regime des Verhältniswahlrechts. Dies gilt in mehrerer Hinsicht.

 

Als erstes kann festgesellt werden, dass in aller Regel eine Regierung im System der Mehrheitswahl bei gleicher Wählerstruktur über eine größere und damit eindeutigere Mehrheit verfügt als im System der Verhältniswahl. Systeme der Verhältniswahl zeichnen sich dadurch aus, dass oftmals eine hauchdünne Mehrheit von ein bis drei Stimmen gegeben ist. Bei den Abstimmungen muss die Regierung immer darum bangen, dass sie für ihre Gesetzesvorlage auch die absolute Mehrheit erreicht, zu groß ist die Gefahr, dass entweder einige wenige Abweichler im eigenen Lager die Mehrheit gefährden oder aber die Abwesenheit einiger weniger Abgeordnete wegen Krankheit die Regierung in Gefahr bringt. Dies bedeutet, dass auch dann, wenn die Abgeordneten der Koalitionsparteien die Regierung durchaus unterstützen, wegen Zufälligkeiten die Regierung trotzdem gestürzt werden kann.

 

Auch der Umstand, dass die Koalitionsparteien unterschiedlichen Parteien mit unterschiedlichen Parteiprogrammen entstammen, bringt es mit sich, dass wegen Meinungsdifferenzen die Regierung weit vor Beendigung einer Legislaturperiode auseinanderbricht. Gerade weil die einzelnen Parteien vor der Wahl bestimmte Versprechungen gemacht haben, welche sie nun wegen des Zusammengehens mit einer anderen Koalitionspartei nicht mehr erfüllen können, bringt sie in die Zwangslage, vor den Wählern zu beweisen, ihre Wahlversprechungen auch einzuhalten. Es ist notwendig, die Muskeln spielen zu lassen, um  bei der nächsten Wahl wiederum echte Wahlchancen zu erreichen.

 

Auch der Umstand, dass keinesfalls alle anzugehenden Maßnahmen in einem Koalitionsvertrag festgelegt werden können, z. B. deshalb, weil bestimmte dringende Probleme erst im Verlauf der Legislaturperiode sichtbar werden, erhöht die Gefahr eines Zusammenbruches einer Koalition, da nicht auf gemeinsame Grundwerte zurückgegriffen werden kann.

 

Schließlich ist auch bei einer langfristigen Sichtweise das Verhältniswahlrecht instabiler als das Mehrheitswahlrecht. Im Allgemeinen sind es im System des Verhältniswahlrechts immer wieder die gleichen, auf dem Boden der Verfassung stehenden  Parteien, welche sich an der Regierungsbildung beteiligen, oftmals wird nur der Chef der Regierung ausgewechselt. Eine echte Alternative zur bestehenden Regierung bilden dann nur noch die radikalen rechten oder linken Parteien, welche nicht auf dem Boden der Verfassung stehen und die Verfassung nur dazu benutzen, um ohne Blutvergießen ins Parlament zu kommen und dann die Verfassung von innen auszuhöhlen.

 

 

4d. Die Rolle der Medien

 

Weiterhin wollen wir uns mit möglichen Reformmaßnahmen der Medien  befassen. Da ich mich allerdings mit Fehlentwicklungen in den Medien in einem eigenen Artikel auseinandergesetzt habe, soll auch an dieser Stelle nur ganz kurz auf diese Problematik eingegangen werden.

 

Wir hatten oben gesehen, dass den Medien im Rahmen unserer Verfassung eine besondere Funktion zukommt. Sie haben auf der einen Seite die Aufgabe, die Bevölkerung über alle wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse zu informieren, denn nur so kann die Bevölkerung in den allgemeinen Wahlen zum Parlament ihre Wahlentscheidung  sachgerecht und ihren Interessen entsprechend fällen. Auf der anderen Seite kommt jedoch den Medien auch eine entscheidende Kontrollfunktion zu. Jeder, der über Macht verfügt, unterliegt der Versuchung des Machtmissbrauches und vor allem der Versuchung, diesen Missbrauch zu verschleiern. Es ist Aufgabe der Medien, jeglichen Machtmissbrauch seitens der Politiker und aller gesellschaftlichen Führungskräfte aufzudecken.

 

Wir haben allerdings auch zu berücksichtigen, dass Macht auch innerhalb der Medien selbst entstehen kann, dass auch die Journalisten nicht gegen Machtmissbrauch geschützt sind. Gerade deshalb, weil diese Art von Missbrauch nicht selbst wiederum von Seiten der Exekutive verfolgt werden kann, da sonst die Kontrollfunktion der Medien eben gegenüber diesen Staatsorganen ernsthaft gefährdet wäre, entsteht ein entscheidendes Problem.

 

Wir hatten im vorhergehenden Abschnitt dieses Artikels gesehen, dass es den Medien gelingt, über die Information hinaus auch die politischen Ereignisse selbst zu beeinflussen und dass hierbei auch die politischen Geschehnisse in einer unerwünschten und für das Allgemeinwohl schädlichen Weise beeinflusst werden können.

 

Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass die sonst in unserem Gesellschaftssystem wirkenden Kontrollmechanismen versagen. In einer funktionierenden Marktwirtschaft sorgt der gegenseitige Wettbewerb unter den Unternehmungen dafür, dass die Unternehmer unter starkem Druck stehen, ihre Produkte an den Wünschen der Konsumenten auszurichten, nach möglichen Kostensenkungen Ausschau zu halten und diese in Form von Preissenkungen auch an die Endverbraucher weiterzugeben.

 

In einem funktionierenden demokratischen System können wir wiederum davon ausgehen, dass der Wettbewerb der Parteien um die Gunst der Wähler und der Zwang, sich in periodischen Abständen in allgemeinen, geheimen und gleichen Wahlen um die Berechtigung zur politischen Führung bewerben zu müssen, auch sicherstellt, dass die Politiker den Wünschen der Mehrheit der Wähler weitgehend entsprechen.

 

Eine ähnliche Kontrolle findet im Bereich der Medien nicht statt. Auf der einen Seite werden die von den Medien angebotenen Leistungen nur zu einem geringen Anteil dadurch finanziert, dass die Endverbraucher diese Leistungen zu einem kostendeckenden Preis erwerben. Entweder wird ein Großteil der Kosten über Werbeaufträge finanziert oder aber der Staat subventioniert diese Leistungen.

 

Zwar besteht durchaus eine gewisse Rückkopplung zwischen Werbeetat und Zuschauerzahl. Werbeaufträge werden in dem Maße vergeben, in dem bestimmte Sendungen auch tatsächlich von den privaten Haushalten eingeschaltet werden. Aber auf diesem Wege lässt sich natürlich keine qualitative Auswahl erreichen. Wenn die Qualität einer Ware nachlässt, so wird aus diesen Gründen die Nachfrage nach diesem Produkt keineswegs automatisch zurückgehen.

 

Die allgemeinen Gesetze des Marktes gelten keineswegs für Sendungen der Medien. Die Nachfrage nach diesen Leistungen hängt vielmehr davon ab, wie hoch der Neuheitsgrad eingeschätzt wird. Je reißerischer ein Beitrag formuliert wurde, umso größer ist der Zuschauerkreis. Ob und inwieweit diese Informationen tatsächlich etwas Neues bringen, wie hoch ihr Wahrheitsgehalt ist, davon hängt es nicht ab, wie viel Personen diese Sendungen einschalten.

 

Ganz im Gegenteil, je reißerischer ein Artikel formuliert und aufgemacht wurde, für umso notwendiger wird es gehalten, dass man sich selbst diese Sendungen anschaut. Ganz davon abgesehen, dass man über die Qualität und den Wahrheitsgehalt einer Sendung erst dann urteilen kann, wenn man die Sendung gesehen hat. Für den Werbeerfolg ist jedoch nicht maßgebend, in welchem Maße die Zuschauer mit dem Inhalt einer Sendung einverstanden sind, sondern allein, ob sie die Sendung eingeschaltet haben und damit bewusst oder noch besser unbewusst die Werbetexte aufgenommen haben.

 

Sofern bestimmte Informationen der Wahrheit nicht entsprechen, vielleicht sogar verleumderisch sind, gestattet unsere Rechtsordnung, dass die zu falsch Beschuldigten und Geschädigten per Gericht eine Richtigstellung erzwingen können. Damit ist jedoch nicht sehr viel gewonnen. Denn erstens kommt es nur in den seltensten Fällen zu einer Anklage vor Gericht, da die Unwahrheit nur in den seltensten Fällen von dem Leidtragenden eindeutig nachgewiesen werden kann.

 

Oftmals sind diese öffentlichen Mitteilungen so verfasst, dass gar keine eindeutig falsche Aussage gemacht wurde, dass die Aussage im Unklaren blieb und der Schaden eben darin liegt, dass nun vom Publikum die Aussagen, die hier nur vage formuliert wurden, trotzdem für wahr oder zumindest wahrscheinlich gehalten werden und zwar nach dem Motto, ‚wo Rauch ist, da ist auch ein Feuer‘.

 

Derjenige, der falsche Behauptungen formuliert hatte, wird dann dazu verurteilt, diese Aussage wiederum zurückzunehmen. Ein solches Urteil führt jedoch im Allgemeinen dann nicht zur Rehabilitierung des zu Unrecht Beschuldigten, wenn die Angriffe gegen diese Person auf den ersten Zeilen für jeden sichtbar fett gedruckt und in Schlagzeilen zu lesen waren, während die Richtigstellung dieser unwahren Aussagen auf den hinteren Seiten unter ‚ferner liefen‘ und kleingedruckt veröffentlicht wird.

 

Während die Beschuldigung in diesem Falle jedem Leser ins Auge sprang, nehmen die meisten Leser die Entschuldigung gar nicht mehr war. Man kann ja nicht davon ausgehen, dass eine Zeitung von der ersten Seite bis zur letzten Zeile für Zeile gelesen wird, man kann vielmehr unterstellen, dass vor allem Kleingedrucktes überlesen wird. Es kommt noch hinzu, dass die Entschuldigung oftmals so vorgetragen wird, dass der Leser erfährt, die Zeitung und ihre Journalisten seien zu dieser Darstellung gezwungen worden, aber keineswegs davon überzeugt, dass sie die Unwahrheit verbreitet hatten, dass sie also nach wie vor davon überzeugt seien, dass diese Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen und dass sie deshalb diese Behauptungen nur deshalb zurücknehmen müssen, weil sie nicht eindeutig bewiesen werden können.

 

Wenn man jedes Medium dazu verurteilen würde, bestimmte falsche Aussagen an derselben Stelle und in der gleichen Aufmachung zu widerrufen, dann würde dieser Widerruf sicherlich seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn eine Zeitung gezwungen ist, auf der ersten Seite in großen Schlagzeilen zuzugeben, dass sie zuvor die Unwahrheit gesagt hatte, dann wird sie unglaubhaft und das Interesse, diese Zeitung zu kaufen, ginge bei vielen Lesern verloren, da man sich auf die Mitteilungen dieser Zeitung ohnehin nicht mehr verlassen kann. Wer will schon hinters Licht geführt werden. Und diese Gefahr schafft dann selbst wiederum starke Anreize, mit Anschuldigungen etwas vorsichtiger zu verfahren und sie stets so zu formulieren, dass sie auch wiederum zurückgenommen werden können, ohne gleich das Gesicht zu verlieren.

 

 

e. Der Volksentscheid

 

Zuletzt wollen wir überprüfen, ob etwa die oben aufgezählten Mängel dadurch behoben werden könnten, dass man in stärkerem Maße als bisher Elemente der direkten Demokratie und vor allem einen Volksentscheid unter vereinfachten Bedingungen zulassen würde.

 

Bisweilen werden die aufgezeigten Mängel als unmittelbare Folge einer indirekten, also repräsentativen Demokratie angesehen. Wenn das vorherrschende System nicht in der Lage sei, den Willen der Mehrheit zu vollziehen, dann müsse man sich eben dem Ziel einer direkten Demokratie zuwenden.

 

Nun werden mit den Ideen einer direkten Demokratie teilweise irrige Vorstellungen verbunden, welche heutzutage niemals realisiert werden könnten. Man verweist hierbei zu Unrecht auf die direkte Demokratie, so wie sie im klassischen Altertum vorübergehend in Athen verwirklicht war oder auch auf die Verfassung der schweizerischen Konföderation, welche in der Tat wesentlich mehr Elemente einer direkten Demokratie enthält  als die meisten westlichen Demokratien.

 

Befassen wir uns zunächst einmal mit der direkten Demokratie des klassischen Athens. Als erstes gilt es festzustellen, dass es sich hierbei um einen relativ kleinen, übersichtlichen Stadtstaat handelte, der in keiner Weise vergleichbar ist mit den sehr komplexen Gebilden der modernen Industriestaaten. Die Führung der modernen Gesellschaften kann genauso wenig mit einem altertümlichen Stadtstaat verglichen werden wie etwa das Lenken eines einfachen Segelflugzeuges mit der Steuerung eines modernen Düsenflugzeuges. Wer in der Lage ist, ein Segelflugzeug zu steuern, beherrscht damit noch lange nicht das Steuern eines modernen Düsenflugzeuges.

 

Vor allem aber waren im klassischen Athen keinesfalls die Ideale und Zielvorstellungen verwirklicht, die wir heutzutage mit der Verwirklichung einer Demokratie verbinden und die im Zuge der französischen Revolution bitter erkauft worden sind. Keinesfalls alle Bewohner Athens waren an den politischen Entscheidungen Athens beteiligt, vom politischen Mitspracherecht waren auf der einen Seite die Sklaven, auf der andere Seite auch die sogenannten Periöken ausgeschlossen. Die Hauptarbeit der menschlichen Arbeitskraft wurde von den Sklaven erbracht, während die Führung kleiner Handelsunternehmungen in den Händen von Ausländern, eben den Periöken lag.

 

Dies bedeutete, dass nur ein Bruchteil der Bewohner Athens überhaupt an den politischen Beratungen und Entscheidungen teilnahm, sodass es schon von der geringen Anzahl der abstimmungsberechtigten Bürger her möglich war, dass die anstehenden politischen Entscheidungen auf der Agora, einem Marktplatz inmitten Athens abgehalten werden konnten.

 

Zu den Idealen einer modernen Demokratie gehört es jedoch, dass restlos alle Bürger einer Volksgemeinschaft mit Ausnahme der noch nicht vollständig mündigen Kinder das Recht besitzen, am politischen Entscheidungsprozess beteiligt zu werden.

 

Schon von der Anzahl der heute abstimmungsberechtigten Bürger her wäre es unmöglich, eine Stätte zu finden, welche groß genug ist, um alle Abstimmenden Platz zu gewähren, ganz davon abgesehen, dass in so großen Versammlungsorten eine Verständigung auch unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel überhaupt nicht möglich wäre.

 

Man könnte nun vielleicht einwenden, dass durch das Internet ein solches virtuelles Forum geschaffen worden sei, hier sei es durchaus denkbar, dass sich restlos alle Bürger zur gleichen Zeit an einer Diskussion und Abstimmung beteiligen können. Dieser Einwand übersieht jedoch, dass sich das Internet gerade nicht dafür eignet, die Teilnahme eines jeden Bürgers zu kontrollieren.

 

Denken wir nur an die Vielzahl von Vorkehrungen, die notwendig werden, um die allgemeine Wahl zum Parlament durchzuführen und um sicherzustellen, das auf der einen Seite jeder Bürger nur einmal seine Stimme abgibt, dass die Stimme auch eindeutig einer Person zugeteilt werden kann, dass auch nicht Stimmen verloren gehen oder unterdrückt werden und dass die Stimmabgabe geheim bleibt. Gerade beim Medium des Internet sind die Kontrollmöglichkeiten extrem gering, man könnte nie davon mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Erfordernisse einer allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl erfüllt wären.

 

Die Komplexität der heute anfallenden Entscheidungen setzt weiterhin voraus, dass nur derjenige Bürger verantwortungsvolle Entscheidungen treffen kann, der über ausreichende Kenntnisse verfügt. Zwar verfügen die Politiker ebenfalls keinesfalls immer über das Sachwissen, das für eine rationale Entscheidung unerlässlich ist. Wir können aber davon ausgehen, dass die Politiker von Sachverständigen beraten werden und dass sie in aller Regel über eine solche Ausbildung verfügen, dass sie diesen Erläuterungen folgen können.

 

Der Gesamtheit der Bürger könnte zwar zur Not noch dieses Sachwissen kostenlos z. B. über das Internet zur Verfügung gestellt werden, mangels ausreichender Vorbildung wäre jedoch immer nur ein kleiner Teil der Abstimmungsberechtigten in der Lage, aufgrund dieser Informationen sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

 

Aber selbst dann, wenn jeder Bürger eine solche Ausbildung erfahren hätte, die ausreicht, um sachgerechte politische Entscheidungen zu treffen, würde es der Masse der Bürger an Zeit fehlen, um sich vor jeder Abstimmung so kundig zu machen, dass eine sachgerechte Entscheidung auch gefällt werden kann. Für die Politiker stellt diese Aktivität eine berufliche Arbeit dar, die Bürger hingegen haben in aller Regel einer anderen Erwerbsarbeit nachzugehen, sodass sie nur in ihrer Freizeit der politischen Aufgabe nachgehen könnten, die Komplexität der anstehenden Fragen macht es jedoch notwendig, diese Aufgaben hauptberuflich und nicht nur nebenher wahrzunehmen.

 

Nur weil im klassischen Athen gerade die erwerbswirtschaftlichen Aufgaben zu einem großen Teil von den Sklaven und den Periöken verrichtet wurden, hatten die wenigen abstimmungsberechtigten Bürger ausreichend Zeit, sich den politischen Fragen zu widmen, wobei wie bereits bemerkt die damals anstehenden Fragen längst nicht so komplex und schwierig waren wie die heute anstehenden politischen Probleme.

 

Wir haben uns aber nicht nur zu fragen, ob solche politischen Entscheidungen der gesamten Bevölkerung möglich sind, sondern wir haben auch zu klären, wer denn die Verantwortung für Fehlentscheidungen zu übernehmen hat. Im Rahmen einer repräsentativen Demokratie hat derjenige Politiker oder diejenige Partei die Verantwortung für Fehlentscheidungen zu übernehmen, welche sie vorgeschlagen und durchgesetzt hatte.

 

Zwar gilt dieses Haftungsprinzip nicht in der rigorosen Weise, wie es in einer – zumindest funktionierenden ­ – Marktwirtschaft erfolgt. Das Haftungsprinzip der Marktwirtschaft verlangt eigentlich – das heißt in einer funktionierenden Marktwirtschaft –, dass der Unternehmer, welcher eine riskante Investition durchführt, bei Misserfolg für den gesamten von ihm verursachten wirtschaftlichen Schaden mit seinem eigenen Vermögen aufkommt. Politiker haften hingegen für Fehlentscheidungen nicht mit ihrem Vermögen. Aber sie können trotzdem im Allgemeinen zur Verantwortung gezogen werden. Politiker können auf der einen Seite bei der nächsten Wahl abgewählt werden, sodass ihr politisches Weiterkommen bei Fehlentscheidungen gefährdet ist. Auf der anderen Seite kann natürlich auch der Politiker wie jeder Bürger für Gesetzesübertretungen gerichtlich belangt werden.

 

Dieses politische Haftungsprinzip entfällt jedoch im Rahmen einer direkten Demokratie. Welcher Bürger soll denn nun für einen durch die Abstimmung verursachten Schaden zur Verantwortung gezogen werden? Es ist ja nicht möglich, jeden Bürger, der für eine – eine bestimmten Schaden verursachende – Alternative gestimmt hat, zur Verantwortung zu ziehen, da die Abstimmungen geheim zu erfolgen haben. Selbst dann wenn man auf das Prinzip der geheimen Abstimmung verzichten wollte, also die Bürger benennen könnte, die für die Fehlentscheidung verantwortlich sind, bleibt unklar, worin denn nun die Bestrafung bestehen sollte. Eine mit dem politischen Haftungsprinzip vergleichbare Strafe gibt es ja für den einzelnen Bürger nicht, man wird ja wohl kaum jemand das allgemeine Abstimmungsrecht deshalb entziehen können.

 

Da wir weiterhin davon ausgehen müssen, dass nicht jeder Bürger wie gezeigt über die Kenntnisse verfügt, die notwendig sind, um die Auswirkungen einer Entscheidung abschätzen zu können, verbietet sich ohnehin eine Bestrafung. Schuld setzt immer Kenntnis des angerichteten Schadens voraus.

 

In diesem Falle ist also der einzelne Abstimmende nur den Vorstellungen eines politischen Agitators gefolgt, der die Bürger aufgerufen hatte, in ganz bestimmter Weise abzustimmen. Also trägt gewissermaßen dieser Agitator die Verantwortung für den angerichteten Schaden. Aber auch hier wird man sicherlich nicht diese Politiker zur Verantwortung ziehen können.

 

In einer repräsentativen Demokratie würde wohlbemerkt eine Bestrafung in Form einer gerichtlichen Verfolgung nicht schon deshalb erfolgen, weil ein Politiker nicht eingehaltene Wahlversprechen oder auch Wahlversprechen, welche bestimmten Bevölkerungsgruppen Schaden verursachen, ausgesprochen hatte. Die Bestrafung erfolgt hier dadurch, dass sich eben aufgrund dieser Aktivitäten die Chancen der Wiederwahl verschlechtert haben. Aber gerade diese Möglichkeit besteht im Rahmen einer direkten Demokratie nicht, es werden ja keine Repräsentanten gewählt und der Politiker, welcher vor der Abstimmung für eine ganz bestimmte Lösung plädiert hat, übt nur sein grundgesetzlich geschütztes Recht auf freie Meinungsäußerung aus. Er braucht nicht wiedergewählt zu werden, er kann immer wiederum von dem grundgesetzlich geschützten Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen.

 

Auch gilt es zu bedenken, dass das für eine reale Demokratie geltende Mehrheitsprinzip ja nicht bereits Handlungen deshalb ausschließt, weil sie einem Teil der Bürger Schaden verursachen. Wohl von jeder konkreten politischen Maßnahme gehen Wirkungen aus, die einem Teil der Bürger schaden. Gerade weil dies so ist, ist man ja von der Forderung nach Einstimmigkeit abgerückt und verlangt lediglich, dass nur solche Vorschläge realisiert werden dürfen, für welche sich zumindest die Mehrheit entschieden hat. Da auch das Nichtstun eine Alternative darstellt, welche Schaden verursachen kann, ist die Mehrheitsentscheidung die Lösung mit dem geringsten möglichen Schaden.

 

Da es also gar nicht möglich ist, im Rahmen einer direkten Demokratie die für schädliche Entscheidungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, besteht hier ein starker Anreiz, dass politische Agitatoren für politische Maßnahmen werben, welche weniger dem Allgemeinwohl als dem speziellen Interesse dieser Agitatoren zugutekommen. Gerade weil die anstehenden Probleme wegen des hohen Komplexitätsgrades unserer modernen Gesellschaft nicht von jedem ohne ausreichende Spezialbildung erkannt werden können, besteht für politische Agitatoren die Möglichkeit, die Bürger zu Abstimmungen zu veranlassen, welche sie dann, wenn sie die Zusammenhänge richtig erkennen würden, abgelehnt hätten.

 

Hierbei ist von Bedeutung, dass Agitatoren zumeist mit Teilwahrheiten arbeiten. Würden sie vollkommen falsche Behauptungen aufstellen, könnten sie sehr schnell widerlegt werden. Es ist relativ einfach, total falsche Behauptungen dadurch zu widerlegen, dass man auf Beispiele verweist, die dieser Behauptung widersprechen. Es wird sich dann auch immer jemand finden lassen, der solchen Behauptungen widerspricht. Und in diesem Fall dürfte es dem Agitator auch schwer fallen, diese Gegenbeweise selbst wiederum zu widerlegen, weil sie ja annahmegemäß der Wahrheit entsprechen.

 

Eine weit bessere Position erlangt ein Agitator, welcher mit Teilwahrheiten arbeitet. Die Beispiele, auf die er verweist, sind ja hier annahmegemäß richtig. Sie können auch deshalb nicht widerlegt werden. Und bei jedem Versuch, diese Argumentation zu bekämpfen, da sie ja nur eine Teilwahrheit enthält, hat der Agitator die Möglichkeit darauf hinzuweisen, dass seine Argumente gar nicht widerlegt wurden. Er geht also scheinbar als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervor.

 

Nun muss man bei dem Vorbringen von Teilwahrheiten berücksichtigen, dass die fehlende Wahrheit zumeist eben nicht so einfach zu erkennen ist wie die vorgebrachten Argumente. Der Agitator beschränkt sich hier auf Argumente, die zumeist – allerdings nur scheinbar – die Argumentation zu unterstützen scheinen, während sich erst bei Kenntnis der tieferen Zusammenhänge die Argumentation als falsch erweisen würde. Wenn nun die Gegner dieser Argumentation diese zu widerlegen versuchen, besteht die Gefahr, dass wegen der Kompliziertheit der Zusammenhänge diese vom unkundigen, nicht einschlägig vorgebildeten Bürger gar nicht richtig erkannt werden und gerade deshalb nicht akzeptiert werden.

 

Bringen wir ein Beispiel aus der aktuellen Politik. Zur Überwindung der augenblicklichen Finanzkrise wird von mehreren Politikern die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer gefordert, unter anderem mit dem Argument, dass auf diese Weise die Banken, welche die Hauptschuld an dieser Finanzkrise trügen, an den Kosten zur Beseitigung dieser Krise beteiligt würden.

 

Es hat in der Tat den Anschein, dass mit Hilfe einer solchen Steuer tatsächlich die Banken zur Kasse gebeten werden, müssen sie doch einen bestimmten Prozentsatzes ihres Umsatzes an das Finanzamt abführen. Es wird jedoch nicht gesehen, dass wir in Wirklichkeit unterscheiden müssen zwischen denjenigen Wirtschaftspersonen, welche eine Steuer zu zahlen haben und denjenigen, welche diese Steuer letzten Endes in dem Sinne zu tragen haben, dass ihr privat verfügbares Einkommen auf diese Weise um den Betrag der Steuer reduziert wird.

 

Steuern auf Umsätze werden von den Unternehmungen stets als Kosten angesehen, welche sie wenn immer möglich auf die Preise ihrer Leistungen aufschlagen. Da alle Mitkonkurrenten von dieser Steuer betroffen sind, erwachsen den Unternehmungen keine Wettbewerbsnachteile, wenn sie diese Steuer auf die Preise weiterwälzen, sie können ja davon ausgehen, dass jeder Mitkonkurrent vor der gleichen Situation steht und gerade deshalb diese Steuern ebenfalls auf die Preise weiterwälzt.

 

In Wirklichkeit sind es also die Bankkunden, welche diese Steuern letztendlich dadurch zu tragen haben, dass die Sollzinsen für Kredite erhöht werden. Es sind also in diesem Falle nicht die Banken, sondern die Bankkunden, welche die Steuer zu tragen haben. Aber selbst dann, wenn diese Überwälzung nicht gelingen würde, weil z. B. einzelne Banken in starker Konkurrenz zu ausländischen Bankinstituten stehen, welche keine ähnliche Steuer zu zahlen haben, sind es keinesfalls die Unternehmer der Banken selbst, welche die Zeche zu zahlen haben. Es muss nämlich deutlich unterschieden werden, ob eine Steuer die Unternehmung als Produktionseinheit oder die Haushalte der Unternehmer belastet. Eine Unternehmungssteuer belastet zunächst einmal die Unternehmung als Produktionsstätte. Ob aufgrund dieser Zunahme in den Unternehmungskosten auch die privat verfügbaren Einkommen der Unternehmerhaushalte verringert werden, ist eine ganz andere Frage.

 

Zunächst ist nur sicher, dass der Unternehmung in diesem Falle Geldmittel entzogen werden, welche nun für Investitionen fehlen. Unter Umständen besteht nun die Gefahr, dass die Unternehmungen sich gezwungen sehen, mangels ausreichender Erhaltungsinvestitionen zu rationalisieren und auf diesem Wege Arbeitnehmer zu entlassen. Leidtragende sind hier in allererster Linie die Arbeitnehmer und nicht die privaten Unternehmerhaushalte.

 

Fragen wir uns deshalb, ob zumindest damit zu rechnen ist, dass eine Erhöhung der Kosten aufgrund der Einführung der Steuer auch zu einer Kürzung der Gehälter der unternehmerischen Führungskräfte führt. Die Zusammenhänge zwischen allgemeiner Ertragslage einer Unternehmung und den Gehältern der Vorstandschefs ist in Wirklichkeit jedoch sehr viel komplexer, eine Erhöhung der Kosten führt nicht automatisch und zwingend zu einer Reduzierung der Unternehmergehälter.

 

Als erstes muss festgestellt werden, dass es vor allem für die Führungskräfte in Großunternehmungen einen internationalen Markt gibt, dass die Höhe des Nettogehaltes der unternehmerischen Spitzenkräfte international festgelegt wird. Ist eine Unternehmung nicht in der Lage oder bereit, diese international festgelegten Nettogehälter zu zahlen, besteht die Gefahr, dass Führungskräfte ins Ausland abwandern. Und wenn es zu einer Abwanderung kommt, verlassen gerade die fähigsten Führungskräfte die inländischen Unternehmungen, sie sind es, welche aufgrund ihrer Qualifikation am ehesten jederzeit auch im Ausland einen geeigneten Posten finden.

 

Verlassen aber gerade die fähigsten Führungskräfte die inländischen Unternehmungen, müssen sich also die einheimischen Unternehmungen mit den zweit- und drittbesten Führungskräften begnügen, schlägt sich diese Veränderung langfristig in einer Reduzierung der Produktivität nieder, welche letzten Endes gerade wiederum die Beschäftigungs- und Lohninteressen der Arbeitnehmer belastet.

 

Es gibt noch einen weiteren, sachlichen Grund dafür, dass ein Rückgang in der Ertragslage einer Unternehmung nicht automatisch dazu führt, dass auch die Gehälter der Führungskräfte gekürzt werden. Gerade dann, wenn sich die Ertragslage einer Unternehmung verschlechtert, kommt es darauf an, Anreize zu einem effizienten und innovativen Agieren auf Unternehmensebene  zu schaffen, um auf diese Weise möglichst bald wiederum rentabel zu arbeiten und damit auch die Sicherheit der Arbeitsplätze zu garantieren. Dem Interesse der Arbeitnehmer wird also keinesfalls immer gerade dann am besten entsprochen, wenn bei einer Kürzung der Lohneinkommen aus Gerechtigkeitsgründen heraus auch die Unternehmergehälter gekürzt werden.

 

Zugunsten einer Ausweitung der Elemente einer direkten Demokratie wird gerne auch auf das schweizerische Beispiel verwiesen. In der Tat finden in der Schweiz in viel stärkerem Maße als z. B. in der Bundesrepublik Deutschland auch über wichtige Sachfragen bindende Volksentscheide statt. Es ist jedoch fraglich, ob auf diesem Wege tatsächlich dem Allgemeinwohl besser entsprochen wird. Das Beispiel der Schweiz zeigt vielmehr, dass gerade im Hinblick auf die Entwicklung der modernen Demokratie die Schweiz in der jüngsten Vergangenheit hinter der Entwicklung in den repräsentativen Demokratien Europas zumeist zurückblieb.

 

So setzten sich die Ziele einer Emanzipation der Frau in der Schweiz sehr viel zögerlicher als in den anderen europäischen Demokratien durch. Auf der einen Seite hängen die Volksbefragungen in der Schweiz in starkem Maße von populistischen Argumenten ab, auf der anderen Seite ist gerade die Mehrheit einer Bevölkerung zumeist äußerst risikoscheu und wird deshalb Innovationen, welche immer mit Risiken verbunden sind, in viel geringerem Maße und zeitlich verzögert zustimmen.

 

Es gilt auch zu berücksichtigen, dass ja auch das bestehende Grundgesetz durchaus die Möglichkeit der Volksbefragung und des Volksentscheids bereits kennt. Vor allem wenn es Fragen gibt, die auf der einen Seite im Wesentlichen die Interessen einer relativ kleinen Gruppe von Menschen tangieren und die zugrunde liegenden Zusammenhänge leicht erkennbar sind, dürfte in aller Regel die Entscheidungen vor Ort und der unmittelbar Betroffenen bessere Ergebnisse liefern, als wenn die Entscheidungen von zentralen Stellen aus gefällt werden.

 

Es sollten aber auf jeden Fall die allgemeinen Prinzipien eines Rechtsstaates garantiert werden. Die Befragung der unmittelbar betroffenen Personen ist dann einzufordern, wenn die geplanten Aktionen erstmals diskutiert werden. Es würde jedoch rechtstaatlichen Prinzipien widersprechen, wenn ein solcher Entscheid erst dann eingeholt wird, wenn bereits die Entscheidungen der zutreffenden Staatsorgane gefällt sind und wenn auf der Grundlage dieser Entscheidungen private Unternehmungen bereits die hierfür notwendige Produktion begonnen haben und Arbeitskräfte eingestellt wurden.

 

Hier stünde der bei einer Rückgängigmachung dieser Projekte entstandene Schaden in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Nutzenzuwachs, der durch eine Beteiligung der betroffenen Bevölkerung erzeugt werden könnte. Würde man auch dann noch eine Kappung bereits anlaufender Projekte aufgrund einer Volksbefragung zulassen, entstünde eine hohe Rechtsunsicherheit, eine sichere Planung wäre nicht mehr möglich. Und gerade wegen dieses erhöhten Risikos würden auch die Kosten solcher Vorhaben immens ansteigen.