Die meisten
Politiker sind sich einig: Der Bundestag platzt aus allen Nähten, eine Verringung der Anzahl der Bundestagsabgeordneten ist
dringend notwendig. Und man wird zugeben können, dass eine Reduzierung der
Abgeordnetenanzahl mehrere Vorteile hätte. Bei einem kleineren Bundestag käme
der einzelne Abgeordnete öfters zu Wort. Da mit der Anzahl der Abgeordneten
auch im Allgemeinen die Zahl der unterschiedlichen Meinungen ansteigt, würde
eine Reduzierung der Abgeordnetenzahl auch die Kompromissfindung erleichtern
und da schliessslich mit jedem Abgeordneten
zahlreiche Kosten verbunden sind, käme der Bundestag dem Steuerzahler auch
billiger.
Trotzdem ist
es notwendig, dass sich die Diskussion um die Wahlrechtsreform stärker mit der
Frage auseinandersetzen muss, welche Rückwirkungen eine Wahlrechtsreform auf
die Wahrung der demokratischen Spielregeln haben wird. In der Diskussion sind
vor allem zwei Vorschläge: die Reduzierung der Überhangmandate bzw. der
Ausgleichsmandate und eine Verringerung der Wahlkreise. Hierbei sieht der jetzt
getroffene Kompromiss zwischen CDU und SPD vor, dass für die nächste Wahl
Überhangmandate und Ausgleichsmandate etwas reduziert werden sollen und dass
dann ab der übernächsten Wahl die Wahlkreise von 298 auf 280 Wahlkreise
verringert werden sollen. Für später soll dann auch das aktive Wahlalter von 18
auf auf 16 Jahre herabgesetzt werden, die Wahlperiode
auf fünf Jahre verlängert werden und schließlich paritätische Wahllisten von
Frauen und Männern vorgesehen werden.
Hierbei
besteht die Gefahr, dass zwei elementare Voraussetzungen einer jeden Demokratie
gefährdet werden: die Forderung, dass jeder Wähler ein gleiches Wahlrecht hat
und die weitere Forderung, dass der Wähler in der Wahl die Grundrichtung der Politik
bestimmt.
Zunächst
einige Worte zur Forderung nach gleichem Wahlrecht. Jeder Bürger hat über seine
Wahlstimme nur dann einen gleichen Einfluss auf die Politik, wenn die einzelnen
Wahlkreise in etwa eine gleiche Anzahl von Wahlberechtigten umfassen. Natürlich
ist es nicht möglich, diese Forderung exakt zu erfüllen, zumindest dann, wenn
sich die Wahlkreise auf die Gemeindeordnungen stützen. Aber wir wollen davon
ausgehen, dass dieser Forderung bisher in etwa entsprochen wurde, dass es also
nicht Wahlkreise gibt, welche nur ganz wenige Wahlberechtigte umfassen und
andere wiederum, welche Millionen Wahlberechtigte zählen.
Würden nun
einige wenige Wahlkreise zusammengelegt werden, wären nur diese wesentlich
größer als die anderen Wahlkreise mit der Folge, dass der Forderung nach
gleichem Wahlrecht nicht mehr auch nur annähernd entsprochen würde.
Dabei ist es
relativ einfach, eine Reduzierung der Wahlkreise vorzunehmen, welche dem
Gleichheitsgebot entspricht. So könnte man jeweils zwei beieinanderliegende
Wahlkreise zusammenlegen, wobei man dort, wo mehrere Wahlkreise
aneinandergrenzen, den Bürgern ein Mitspracherecht darüber einräumen könnte,
welche beiden Wahlkreise zusammengelegt werden sollen. Auf diese Weise wären
die neuen Wahlkreise im Hinblick auf die Anzahl der Wahlberechtigten geauso wie bisher annähernd gleich groß.
Schwierigkeiten
ergeben sich auch im Zusammenhang mit einer möglichen Reduzierung von Überhang-
oder Ausgleichsmandaten. Überhangmandate werden notwendig, wenn eine Partei
mehr Direktmandate erzielt als Zweitstimmen erreicht wurden. Um dann wiederum
dem Verhältniswahlrecht zu entsprechen, wurden Ausgleichsmandate geschaffen.
Das bestehende Wahlsystem stellt eine Mischung des Verhältniswahlrechts und des
Mehrheitswahlrechts da, wobei die Erststimme dem Mehrheitswahlrecht und die
Zweitstimme dem Verhältniswahlrecht entspricht.
Der
Hauptunterschied zwischen einem Verhältnis- und einem Mehrheitswahlrecht
besteht darin, dass bei einem Mehrheitswahlrecht nur die Kandidaten als gewählt
gelten, welche in ihrem Wahlkreis die Mehrheit erlangt haben. Da nur in den
seltensten Fällen eine Zielgruppe einer Partei mehr als 50 Prozent der Wähler
ausmacht, sehen sich bei diesem Wahlsystem die Parteien gezwungen, vor der Wahl
Kompromisse zwischen den Interessen der einzelnen Wählergruppen einzugehen. Bei
einem Verhältniwahlrecht hingegen werden jeder Partei
soviel Sitze zugesprochen, dass der ereichte Prozentsatz der Parlamentsitze
gerade dem Prozentsatz der Wähler entspricht, welche diese Partei gewählt
haben. Die Politiker haben hier kein Ineresse daran,
vor der Wahl Kompromisse zwischen den einzelnen Wählergruppen zu suchen, da die
Chance gewählt zu werden dann größer ist, wenn man den Zielgruppen verspricht,
ihre Interessen möglichst vollständig zu erfüllen. Das Verhältniswahlrecht
begünstigt deshalb auch das Aufkommen radikaler Parteien.
Gleichzeitig
führen Verhältniswahlrechtssysteme oftmals dazu, dass die Wahlergebnisse
widersprüchlich sind. Nach der letzten Bundestagswahl wären rein rechnerisch
neben der Koalition zwischen SPD und CDU/CSU auch eine Koalition zwischen CDU,
Grüne und FDP sowie eine Koalition zwischen SPD, Linke und Grüne
denkbar gewesen. Diese Koalitionen hätten jedoch widersprüchliche Ziele
realisiert. Hierbei war jedoch nicht der Wählerwille widersprüchlich, sondern
das Wahlsystem, das diese Ergebnisse ermöglicht hat.
Zugunsten
des Verhältniswahlrechts wird zumeist angeführt, dass nur auf diese Weise dem
Willen der Wähler entsprochen werde. Diese Schlussfolgerung gilt jedoch nicht
für das bestehende repräsentative Demokratiesystem. Danach bilden jeweils die
Parteien, welche eine Mehrheit der Stimmen erreichen konnten, die Regierung und
bestimmen damit die Geschicke des Landes. Dies gilt unabängig
davon, ob die Mehrheitsparteien nur eine hauchdünne Mehrheit oder eine
besonders starke Mehrheit an Parlamentssitzen erreicht haben. Nur in den
wenigen Fällen, in denen eine Änderung der Verfassung vorgesehen ist und
deshalb eine qualifizierte Mehrheit notwendig wird, könnte dadurch, dass die Mehrheitsparteien
aufgrund des Mehrheitswahlrechts mehr Parlamentssitze erreicht haben als dem Prozenzsatz ihrer Wähler entspricht, unerwünschte
Verzerrungen eintreten.
Nehmen wir
den Fall, dass die Regierungsparteien bei der Wahl eine hauchdünne Mehrheit der
Parlamentssitze erzielt haben. In diesem Falle muss damit gerechnet werden,
dass die Regierung nicht alle ihre Gesetzesvorlagen durchführen kann, allein
aufgrund des Umstandes, dass einige Parlamentarier der Regierungsparteien wegen
Krankheit oder aus anderen wichtigen Gründen nicht an der Abstimmung im
Parlament teilnehmen konnten. In diesen Fällen kann sich der Volkswille gerade
dann durchsetzen, wenn die Regierungsparteien über eine satte Mehrheit
verfügen, welche unter Umständen auch größer ist als ihr Prozentsatz bei den
Wählern.
Nur in den
wenigen Fällen, in denen aufgrund des Mehrheitswahlrechtes eine Partei die
Mehrheit erlangt, obwohl ihr Anteil an Wählerstimmen nicht die Mehrheit
erreicht hat, wird das Ziel einer jeden Demokratie, dass sich die Regierung auf
die Mehrheit der Wähler stützen sollte, verfälscht und allein in diesen Fällen
bedarf das Mehrheitswahlrecht einer Korrektur, also z. B. dadurch, dass
Ausgleichsmandate für diejenigen Parteien vorgesehen werden, welche zwar die
Mehrheit der Wählerstimmen, aber trotzdem nicht die Mehrheit der
Parlamentssitze erlangen konnten.
Fazit: Eine
Reduzierung der Überhangmandate verfälscht den Wählerwillen, während
Ausgleichsmandate nur in den genannten Ausnahmefällen (Abstimmung über
Verfassungsänderungen sowie Mehrheit der Parlamentssitze einer Partei obwohl
keine Mehrheit bei den Wählern erreicht werden konnte) notwendig werden, um dem
Wählerwillen zu entsprechen.