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A L L G E M E I N E

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

 

V O N  B E R N H A R D  K Ü L P

 

 

 

Gliederung:

 

01. Betrachtungsweisen            

02. Methoden                              

03. Zielanalyse                            

04. Mittelanalyse                      

05. Trägeranalyse                        

06. Politische Ökonomie              

07. Wohlfahrtstheorie                

08. Ordnungsanalyse                  

09. Ordnungskonzeption           

10. Ordnungsdynamik       

 

 

Kapitel 3: Zielanalyse  Fortsetzung

 

 

Gliederung:

 

0. Vorbemerkungen

1. Die Frage nach dem normativen Gehalt politischer Ziele

2. Die Frage nach der Aktualität politischer Ziele

3. Die Frage nach der Begründung politischer Ziele

4. Die Frage nach Zielkonflikten

5. Die Frage nach der Realistik von Zielen

 

 

 

3. Die Frage nach der Begründung politischer Ziele

 

Wie bereits vermerkt wurde, können Ziele um ihrer selbst willen verfolgt werden oder deshalb, weil man auf diese Weise andere, übergeordnete Ziele anstrebt. Ziele, welche einen Eigenwert haben, bedürfen eigentlich keiner Begründung, sie verstehen sich von selbst. Dies gilt z. B. für das Ziel der Vollbeschäftigung. Dieses Ziel ergibt sich unmittelbar aus der Forderung, dass jedes Individuum das Recht auf Arbeit hat.

 

Trotz des Eigenwertcharakters einiger Ziele sehen sich die Politiker veranlasst, diese Ziele im politischen Wettkampf zu verteidigen. Um an die Macht zu kommen, benötigt der Politiker die Mehrheit der Wähler und zunächst einmal sind es nur seine eigenen Ziele; er muss erst die Wähler von dem Wert dieser Ziele überzeugen.

 

Wenn jedoch der Politiker annahmegemäß gar nicht auf sachlich überprüfbare instrumentale Zusammenhänge zurückgreifen kann, muss der Politiker zu gewissen Ersatzbegründungen Zuflucht nehmen. So kann der Politiker erstens seine Ziele damit rechtfertigen, dass er auf beim Wähler anerkannte Autoritäten verweist. Dies können Personen sein; aber auch der Hinweis, dass sich dieses Ziel aus der Verfassung ergibt oder auch dass die Mehrheit der anderen Staaten dieses Ziel verfolgt, kann zum Rechtfertigungsgrund werden.

 

Bisweilen werden Ziele auch damit begründet, dass sie schon immer gegolten haben. Man verweist auf die Tradition, eine Rechtfertigung, welche in einer rein stationären Gesellschaft ohne große Datenänderungen sogar eine gewisse Berechtigung besitzt.

 

Die Tatsache, dass sich in einer sich nicht verändernden Welt bestimmte Aktivitäten bewährt haben, lässt die Vermutung nahe, dass sie sich auch in Zukunft bewähren werden. Aber wir leben eben in einer sehr dynamischen Welt, in der täglich Änderungen eintreten; hier ist der bloße Umstand, dass sich bestimmte Ziele in der Vergangenheit bewährt haben, keine Gewähr dafür, dass sie auch unter veränderten Bedingungen Erfolg versprechen.

 

Mitunter beruft sich eine Eigenwertbegründung auch einfach auf synonyme Begriffe oder stellt einen tautologischen Zusammenhang zu übergeordneten, bereits anerkannten Werten her.

 

Die Aufgabe der Wissenschaft in diesem Zusammenhange beschränkt sich auf den Hinweis, dass ein nicht weiter zu begründender Eigenwert vorliegt. Nun besteht bei dieser Art von Rechtfertigung folgende Gefahr: Im Prinzip kann ein Politiker in jedem Ziel einen Eigenwert sehen. Es findet dann eine Zielimmunisierung statt, welche keine sachbezogene Kritik mehr zulässt und eine politische Diskussion äußerst erschwert.

 

Wenden wir uns nun den Zielen zu, welche nicht um ihrer selbst willen angestrebt werden, sondern deshalb, weil auf diesem Wege andere, übergeordnete Ziele realisiert werden sollen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass bei dieser Art Rechtfertigung stets gewisse Sachhypothesen behauptet werden, welche unter Umständen falsch, aber von einem wirtschaftswissenschaftlichen Laien schwer einsehbar sind. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, die Richtigkeit dieser Hypothesen zu überprüfen.

 

Folgende Fälle sind denkbar: Die zur Diskussion stehende Hypothese ist erstens in mehreren empirischen Untersuchungen überprüft und falsifiziert worden; die Zielbegründung ist hinfällig.

 

Zweitens ist es denkbar, dass die zur Diskussion stehende Hypothese in einer einzigen empirischen Untersuchung falsifiziert werden konnte. Hier ist darauf hinzuweisen, dass diese Hypothese möglicherweise falsch ist, dass es aber weiterer Untersuchungen bedarf; es muss immer damit gerechnet werden, dass in einer konkreten Untersuchung Fehler gemacht wurden; so könnten die Fehler z. B. in Folgendem bestehen: Es wurde übersehen, dass die Schlussfolgerungen nur für ganz bestimmte Spezialfälle gültig sind.

 

Drittens können mehrere Untersuchungen vorliegen, in denen keine Falsifizierung möglich war. Hier kann man von einer vorläufigen Bestätigung der Hypothese sprechen; man muss allerdings berücksichtigen, dass aufgrund in der Zukunft auftretenden Datenänderungen u. U. bei weiteren Untersuchungen eine Falsifizierung möglich wäre.

 

Viertens werden sich empirische Untersuchungen oftmals widersprechen, was darauf hinweist, dass offensichtlich noch nicht alle kausalen Zusammenhänge berücksichtigt wurden, dass also weitere Untersuchungen notwendig sind.

 

Bisweilen liegen fünftens überhaupt keine empirische Untersuchungen vor, es werden dann u. U. Plausibilitätsbeweise angeführt; man überprüft, ob der in der Hypothese formulierte Zusammenhang in einem verwandten Bereich bereits mit Erfolg getestet wurde. So mag ein Verhalten, das auf Gütermärkten nachgewiesen wurde, mit einiger Berechtigung auch auf Faktormärkte übertragen werden, wenn es keine Gründe gibt, welche für ein unterschiedliches Verhalten auf beiden Märkten spricht.

 

Im Hinblick auf den Inhalt einer Hypothese ist zwischen ausreichenden und notwendigen Bedingungen zu unterscheiden. Der engste Zusammenhang zwischen dem Ziel, das es zu begründen gilt und den Umständen, mit deren Hilfe dieses Ziel gerechtfertigt wird, besteht dann, wenn notwendige und ausreichende Bedingungen vorliegen. So wurde in der keynesianischen Wirtschaftstheorie die Meinung vertreten, dass nur Nachfrageüberhänge Preissteigerungen auslösen, also eine notwendige Bedingung für inflationäre Tendenzen darstellen und dass darüber hinaus jeder Nachfrageüberhang zu Preissteigerungen führt und somit auch als ausreichende Bedingung bezeichnet werden kann.

 

Die Zusammenhänge zwischen den Kausalketten sind sehr viel loser, wenn bestimmte Bedingungen nur noch notwendig oder ausreichend oder sogar weder notwendig noch ausreichend sind. In der Regel müssen nämlich mehrere Bedingungen zusammenkommen, damit ein bestimmtes Ereignis auch eintritt, es bedarf hier flankierender Maßnahmen (hier sind die Bedingungen nicht ausreichend); gleichzeitig könnte der erwünschte Erfolg auch auf andere Weise erzielt werden, es besteht also dann eine Konkurrenz der einzelnen Mittel untereinander (diese Bedingungen sind dann auch nicht notwendig).

 

Gerade wegen dieser Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer Beweisführung wurde von Hans Albert vorgeschlagen, ganz auf die Rechtfertigung von Zielen zu verzichten, jedoch zu versuchen, Ziele soviel wie möglich einer Kritik auszusetzen. Gerechtfertigt erscheinen dann jene Ziele, welche wiederholten Kritiken ausgesetzt waren, welche aber der Kritik standhielten. Die Parallelen zur wissenschaftlichen Vorgehensweise bei der Auffindung von Theorien sind hierbei beabsichtigt, auch hier gelangt man nicht durch Verifizierung, sondern durch den wiederholten Versuch einer nicht gelungenen Falsifizierung zu bewährten Theorien.

 

Paradebeispiel einer Begründung für ein instrumentales Ziel ist das Ziel der Geldwertstabilität. Ein stabiler Geldwert hat zunächst keinen oder allenfalls einen sehr geringen Eigenwert. Man strebt eine Geldwertstabilität vorwiegend deshalb an, weil man der Meinung ist, dass Inflationen unerwünschte Wirkungen auf Wachstum, Verteilung und Allokation nach sich ­ziehen.

 

Ob ein wirtschaftliches Wachstum eine Geldwertstabilität voraussetzt, wurde im Rahmen der Inflationstheorie kontrovers diskutiert. Die Keynesianer waren der Überzeugung, dass sogar eine geringe Inflationierung dem Wachstum nutze, weil die Unternehmungen durch Preissteigerungen finanzielle Anreize zur Investition erhielten und weil der Umfang eines Wachstums von dem Ausmaß an Investitionen abhänge. Demgegenüber befürchten Neoklassiker und Neoliberale, dass Inflationsprozesse die Notwendigkeit effizienter Produktion verringere und dass es auf diesem Wege zu Fehlinvestitionen komme, welche das Wachstum schwächen.

 

Inflationen werden weiterhin deshalb für unerwünscht gehalten, weil im Zuge einer Inflation eine nicht berechtigte Umverteilung der Einkommen stattfinde, benachteiligt von einer Inflation seien auf der einen Seite die Arbeitnehmer, weil diese erst verzögert in der nächsten Tarifrunde einen Kaufkraftausgleich erhielten. Auf der anderen Seite würden bei einer Inflation die Besitzer von Geldvermögen benachteiligt, da mit der allgemeinen Preissteigerung der Realwert der Geldvermögen sinke.

 

Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass diese negativen Wirkungen nur unter bestimmten Bedingungen befürchtet werden müssen. Wenn es nämlich den Gewerkschaften gelingt, in den Tarifverhandlungen bereits für die erwarteten Preissteigerungen der kommenden Periode einen Kaufkraftausgleich zu erlangen, sind sie durch die Preissteigerung nicht benachteiligt. Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass sich Besitzer von Geldvermögen durch Wertsicherungsklauseln gegen Wertverluste absichern können und dass in die Höhe des Zinses in der Regel die erwartete Inflationsrate Eingang findet.

 

Negative Allokationswirkungen einer Inflation werden deshalb befürchtet, weil Inflationsprozesse zumindest vorübergehend zu einer Verzerrung der Preisverhältnisse und damit der Allokation führen, da die Preissteigerungen bei den einzelnen Gütern zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten.

 

 

4. Die Frage nach Zielkonflikten

 

Im Rahmen der Politik wird im Allgemeinen nicht nur ein einziges Ziel, sondern eine Vielzahl von Zielen gleichzeitig verfolgt. Also muss man damit rechnen, dass sich nicht alle angestrebten Ziele in einem harmonischen Verhältnis zueinander befinden, sondern sich u. U. gegenseitig ausschließen und zumindest gegenseitig beeinträchtigen in dem Sinne, dass in dem Maße, in dem man sich dem einen Ziel nähert, man sich gleichzeitig von dem anderen Ziel entfernt. Für mögliche Zielkonflikte gibt es recht unterschiedliche Gründe.

 

Als erstes lassen sich die Zielkonflikte danach unterscheiden, ob sie sich aus logischen Gründen oder aufgrund faktischer Zusammenhänge ergeben. Man kann z. B. nicht zur gleichen Zeit eine Erhöhung der Einkommensquote der Arbeitnehmer anstreben unter der Nebenbedingung, dass die Einkommensquote der Selbständigen konstant bleibt. Zumindest dann, wenn man die gesamte Bevölkerung nur in die beiden Klassen: Arbeitnehmer und Selbständige teilt, muss notwendiger Weise der Einkommensanteil der Selbständigen genau so stark zurückgehen, wie die Lohnquote steigt.

 

Anders verhält es sich mit faktisch bedingten Zielkonflikten. Unterstellen wir, dass die Politiker Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität zur gleichen Zeit verfolgen. Beide Ziele scheinen auf den ersten Blick – also logisch gesehen – in einem harmonischen Verhältnis zueinander zu stehen. Vollbeschäftigung setzt voraus, dass Angebotsüberhänge vermieden werden, die wichtigste Bedingung für Geldwertstabilität ist das Vermeiden von Nachfrageüberhängen. Beide Ziele lassen sich in der Forderung nach einer gleichgewichtigen Entwicklung im Angebot und in der Nachfrage zusammenfassen.

 

Trotzdem gehen wir im Allgemeinen davon aus, dass beide Ziele in einem faktisch bedingten Zielkonflikt zueinander stehen. Arthur W. Phillips hat im Rahmen einer empirischen Studie nachgewiesen, dass zwischen Arbeitslosenrate und Lohnsteigerungsrate ein trade-off besteht. Paul A. Samuelson hat aufgezeigt, dass diese Phillipskurvenbeziehung in eine Beziehung zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenrate überführt werden kann, dass also eine Reduzierung der Arbeitslosenrate durch eine expansive Fiskalpolitik erreicht werden kann, dass aber diese Politik zu Preissteigerungen führt. Es gibt also ein faktisch begründeter Zielkonflikt zwischen Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung.

 

Zielkonflikte lassen sich zweitens auch danach untergliedern, ob sie quantitativer oder qualitativer Natur sind. Qualitativ verursachte Zielkonflikte ergeben sich im Allgemeinen aus logischen Beziehungen, die einzelnen Ziele schließen sich einander aus. Der oben erwähnte Konflikt zwischen den beiden Zielen: Lohnquotensteigerung und Konstanz des Einkommensanteils der Selbständigen wäre ein solcher qualitativer Zielkonflikt. Bei quantitativen Zielkonflikten geht man hingegen davon aus, dass in dem Maße, in dem man sich der Realisierung des einen Zieles nähert, gleichzeitig das andere Ziel in geringerem Maße verwirklicht werden kann.

 

Drittens kann man auch zwischen permanenten und situationsbedingten Zielkonflikten unterscheiden. Während permanente Zielkonflikte in jeder Situation auftauchen, hängt das Auftreten eines Konfliktes bei situationsbedingten Zielkonflikten von den näheren Umständen ab. So tritt z. B. der Konflikt zwischen dem Ziel einer ausgeglichenen Devisenbilanz und dem Ziel der Konjunkturstabilisierung nur dann auf, wenn zur gleichen Zeit entweder in der Binnenwirtschaft eine Rezession vorherrscht, in der Außenwirtschaft hingegen ein Devisenbilanzdefizit ausgewiesen wird oder wenn eine Konjunkturüberhitzung mit einem Devisenbilanzüberschuss einhergeht.

 

Eine besondere Bedeutung kommt viertens der Unterscheidung zwischen zielbedingten und mittelbedingten Zielkonflikten zu. Bei zielbedingten Konflikten liegt die eigentliche Ursache dieses Zielkonfliktes in den Beziehungen der Ziele selbst. So wird man z. B. unterstellen können, dass die individuelle Unsicherheit in dem Maße steigt, in dem die Freiheitsrechte ausgeweitet werden; das Freiheitsziel und das Ziel größtmöglicher Sicherheit stehen also in einem zielbedingten Konflikt.

 

Bei mittelbedingten Zielkonflikten liegt es jedoch an der Auswahl der eingesetzten Mittel, dass ein Zielkonflikt entsteht. Hätte man ein anderes besser geeignetes Mittel eingesetzt, hätte der Zielkonflikt vermieden werden können oder wäre zumindest in geringerem Umfang aufgetreten.

 

Mittelbedingte Zielkonflikte entstehen entweder aus der Art eines gewählten Mittels oder auch daraus, dass die Anzahl der Mittel zu gering ist. Ein mittelartbedingter Zielkonflikt könnte z. B. vorliegen, wenn die Einführung eines Investivlohnes, der von allen Unternehmungen gezahlt werden muss, die Grenzbetriebe belasten würde und wenn deshalb Arbeitskräfte entlassen würden. Hätte man das vermögenspolitische Ziel jedoch über eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer zu erreichen versucht, wären diese unerwünschten Wirkungen auf den Beschäftigungsgrad ausgeblieben, da ja die Unternehmer in diesem Falle nur im Umfang ihrer Gewinne den Arbeitnehmern eine Beteiligung gewähren müssten. Bei Wahl eines Investivlohnes läge also dann ein Zielkonflikt vor, der sich aus der Wahl des Mittels ergeben hatte.

 

Ein Zielkonflikt, der sich aus einer zu geringen Anzahl eingesetzter Mittel ergibt, lässt sich anhand eines von Jan Tinbergen formulierten Theorems erläutern. Danach können wirtschaftspolitische Ziele nur dann konfliktfrei realisiert werden, wenn die Anzahl der eingesetzten, von einander unabhängigen Mittel der Zahl der Ziele entspricht. Machen wir uns diese Aussage anhand einer Graphik klar.

 

Beschreibung: ziel2

 

Wir betrachten ein einfaches Angebots-Nachfrageschema. Auf der Abszisse wird die Menge eines Gutes, auf der Ordinate der Preis dieses Gutes abgetragen. Die dunkelrote Kurve stellt die ursprüngliche Angebotskurve, die dunkelblaue Kurve hingegen die ursprüngliche Nachfragekurve dar. Der Staat verfolge zwei Ziele: Der Preis soll auf (p0) gesenkt und die produzierte Menge auf (x0) angehoben werden. Der Staat habe prinzipiell die Möglichkeit, den Verlauf der Angebots- und/oder der Nachfragekurve – beispielsweise über Subventionen – zu beeinflussen.

 

Die Graphik macht klar, dass der Staat nicht in der Lage ist, beide Ziele (p0) und (x0) nur mit einem Mittel (nur mit der Verschiebung einer der beiden Kurven) zu realisieren. Der beiden Zielen entsprechende Punkt kann nur dadurch erreicht werden, dass der Staat beide Verhaltenskurven beeinflusst.

 

Das von Tinbergen formulierte Theorem gilt allerdings nur unter zwei Nebenbedingungen: Auf der einen Seite müssen die einzelnen Mittel voneinander unabhängig sein. Hierbei kommt es nicht in erster Linie auf die juristische Unabhängigkeit der Entscheidungsträger an. Es ist durchaus denkbar, dass z. B. die Notenbank im juristischen Sinne von der Regierung unabhängig ist; wenn die Notenbank die Fiskalpolitik der Regierung stets unterstützt, also etwa eine expansive Fiskalpolitik stets mit einer Geldmengenausweitung begleitet, liegen im ökonomischen Sinne trotzdem bei Geld- und Fiskalpolitik keine unabhängigen Instrumente vor.

 

Auf der anderen Seite müssen die eingesetzten Instrumente wirkungsspezifisch sein, sie müssen mit anderen Worten in der Lage sein, die zu beeinflussenden Größen auch tatsächlich zu beeinflussen. In unserer Graphik zählen nur solche Instrumente, welche die Lage der Angebots- bzw. Nachfragekurve beeinflussen können.

 

Der zwischen Außenwirtschaft und Konjunkturpolitik bestehende Zielkonflikt stellt nicht nur einen situationsgebundenen Konflikt dar, sondern lässt sich auch auf das Tinbergen - Theorem zurückführen. Den beiden Zielen Devisenbilanzgleichgewicht und Konjunkturstabilisierung steht nur ein einziges im ökonomischen Sinne unabhängiges Instrument gegenüber: die gleichzeitige Steuerung der Außen- und Binnenwirtschaft durch expansive oder kontraktive Methoden der Beeinflussung.

 

Entsprechend eines Vorschlages von Robert A. Mundell und Harry G. Johnson lässt sich dieser Zielkonflikt dadurch aufheben, dass man die Notenbank verpflichtet, ihre Geldpolitik allein am Ziel des Devisenbilanzausgleichs zu orientieren, während die Regierung ihre Fiskalpolitik allein an dem Ziel der Konjunkturstabilisierung auszurichten hat. In diesem Falle stellen Geld- und Fiskalpolitik auch im ökonomischen Sinne zwei unabhängige Instrumente dar und der Zielkonflikt zwischen Konjunktur- und monetärer Außenpolitik kann vermieden werden.

 

 

5. Die Frage nach der Realistik von Zielen

 

In Abschnitt 2 dieses Kapitels gingen wir der Frage nach, inwieweit die Ziele, welche die Politiker verfolgen, bereits realisiert sind bzw. inwieweit mangels bisheriger Realisierung ein Handlungsbedarf besteht. Dass bestimmte Ziele nicht realisiert sind, kann natürlich auch daran liegen, dass sie sich überhaupt nicht realisieren lassen, dass es sich hierbei um utopische Ziele handelt.

 

Nun werden die Wähler getäuscht, wenn die Politiker ihnen für den Fall, dass sie gewählt werden, die Realisierung bestimmter Ziele versprechen, obwohl sie gar nicht realisiert werden können. Und dies ist sicherlich in hohem Maße unerwünscht. Und da Politiker gerne mehr versprechen, als sie tatsächlich einhalten können, ist es eine Aufgabe der Wirtschaftspolitiklehre auch zu untersuchen, inwieweit denn die von den Politikern versprochenen Ziele realisiert werden können.

 

Diese Aufgabe besteht vor allem dann, wenn die Tatbestände, welche die Politiker zu beseitigen versprechen, äußerst komplex sind und deshalb auch gar nicht von den Wählern daraufhin überprüft werden können, ob diese Ziele tatsächlich realisiert werden können.

 

Nun bedeutet dieser Hinweis natürlich nicht, dass  utopische Ziele für den Politiker tabu sein sollten, dass sie sich überhaupt keine Gedanken darüber machen sollten, ob Ziele, die heute als utopisch gelten, nicht doch eines Tages realisiert werden könnten.

 

Es war lange Zeit ein sicherlich äußerst utopischer Wunsch, genauso wie die Vögel fliegen zu können. In der Zwischenzeit konnten Techniken entwickelt werden, dass das fliegen in Flugzeugen zu einer selbstverständlichen Aktivität zahlreicher Menschen geworden ist.

 

Oder aber nehmen wir das Beispiel des Telefonierens. Sicherlich wäre jemand, der noch vor 100 Jahren prophezeit hätte, dass es eines Tages möglich sei, durch Telefone und Handys sich normal mit Menschen zu unterhalten, welche sich in großer Entfernung, vielleicht auf einem ganz anderen Kontinent (oder sogar im Weltall) befinden, als Träumer und Spinner verschrien worden. Heute ist die Kommunikation mit den Mitmenschen unabhängig von der  räumlichen Entfernung der komunizierenden Individuen für den größten Teil der zivilisierten Menschen eine Selbstverständlichkeit geworden.

 

Diese beiden Beispiele zeigen deutlich, dass ein Ziel, welches in der augenblicklichen Periode als utopisch eingestuft werden muss, keineswegs für alle Zeiten als unrealisierbar zu gelten hat. Und deshalb ist es auch das gute Recht eines Politikers, seinen Zukunftsträumen nachzugehen und z. B. über die Gewährung von Subventionen Forschungsarbeiten mit dem Ziel zu fördern, auf diese Weise diese Ziele eines Tages realisieren zu können.

 

Eine weitere Einschränkung ist notwendig. Auch dann, wenn ein Ziel – auch über längere Zeit hinweg – als unerreichbar zu gelten hat, gibt es – wie bereits angedeutet – sehr wohl einen Sinn, sich diesem Ziel etwas zu nähern. Das Kriterium der Realisierbarkeit hat stets nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine quantitative Dimension.

 

Wenn wir von Unerreichbarkeit sprechen, gilt es stets zu präzisieren, für welche Zeitperioden dies gilt und wie nah man sich diesem Ziel nähern kann, um wie viel Prozent man sich also einem Ziel nähern kann, auch dann, wenn von vornherein feststeht, dass man sich niemals 100 %ig diesem Ziel annähern kann.

 

Nehmen wir das Beispiel der Geldwertstabilität. In den 60 er und 70er Jahren schien das Ziel einer vollständigen Geldwertstabilität, also das Ziel die Inflationsrate auf null abzusenken, für Länder wie Frankreich oder Italien völlig illusorisch. Dies tatsächlich anzustreben, hätte in diesen Ländern und in diesen Zeiten als utopisch, niemals erreichbar angesehen werden müssen.

 

Aus der Unmöglichkeit, dieses Ziel 100%ig realisieren zu können, kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass man sich deshalb um dieses Ziel gar nicht kümmern solle. Auch dann, wenn es den Notenbanken gelingt, eine bisherige Inflation von etwa 30% auf 10% herabzudrücken, muss dies als ein kolossaler Erfolg angesehen werden, weil auch in diesem Falle sicherlich die Wohlfahrt dieser Bevölkerung ganz entscheidend verbessert werden konnte.

 

Die Nichtrealisierbarkeit bestimmter Ziele erwächst aus unterschiedlichen Ursachen. Als erstes können Ziele aus logischen Gründen unerreichbar sein.

 

So lässt sich beispielsweise nicht gleichzeitig die Lohnquote (der Einkommensteil der Arbeitnehmer erhöhen und gleichzeitig der Anteil der Selbstständigen konstant halten, zumindest wenn man lediglich zwischen zwei Einkommensklassen der Selbstständigen so wie der Arbeitnehmer (als einzige Nichtselbstständige) unterscheidet.

 

Eine logische Nichtrealisierbarkeit ist stets endgültig, also für alle Zeiten gültig. Ein so formuliertes Ziel kann auch nicht ein bischen erreicht werden. Immer dann, wenn der Anteil einer von zwei Personengruppen auch nur geringfügig erhöht wird, muss aus logischen Gründen der Anteil der anderen Personengruppe exakt um denselben Betrag zurückgehen.

 

In Wirklichkeit bezieht sich diese Unmöglichkeit überhaupt nicht auf reale Zusammenhänge. Logische Unmöglichkeiten beruhen vielmehr auf Widersprüche im System unserer Begriffe.

 

Eine weitere Unrealisierbarkeit kann aus technischen Gegebenheiten erwachsen. Wenn wir weiter oben davon gesprochen haben, dass die Aufteilung der Ressourcen nur Lösungen umfassen kann, welche entweder auf der Transformationskurve oder auch unterhalb dieser Kurve liegen, dann wird hiermit auch festgestellt, welche Kombinationen nicht realisierbar sind: nämlich alle denkbaren Kombinationen, welche in dem gezeigten Diagramm oberhalb der Transformationskurve liegen.

 

Diese Unmöglichkeit kann allerdings stets nur für die augenblickliche Situation festgestellt werden. Eine heute als nicht möglich bezeichnete Kombination könnte in Zukunft sehr wohl realisiert werden, so z. B. dann, wenn der gesamte Ressourcenbestand gegenüber heute vergrößert werden konnte oder auch dann, wenn neue Techniken bekannt und angewandt werden, welche die Produktivität der Produktionsfaktoren vergrößert. Die verbesserte Technik ist allerdings nur eine mögliche, aber nicht notwendige Voraussetzung dafür, dass in Zukunft einmal mehr Güter als heute produziert werden können.

 

Umgekehrt kann natürlich aus dem Umstand, dass in der heutigen Periode eine bestimmte Güterkombination als realisierbar gilt (, da sie auf oder unterhalb der Transformationskurve liegt), nicht als Beweis dafür angesehen werden, dass diese Güterkombination auch in Zukunft realisierbar ist. Es muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Ressourcenbestand zurückgeht und/oder dass bestimmte Techniken nicht mehr als akzeptabel angesehen werden.

 

Im Zusammenhang mit der These von Jan Tinbergen, dass die Anzahl der selbstständigen Mittel der Anzahl der Ziele entsprechen muss, haben wir eine dritte Ursache für eine Unerreichbarkeit bestimmter Ziele kennen gelernt. Wir haben dort gesehen: Es war unmöglich, zur gleichen Zeit das Ziel der Vollbeschäftigung sowie das Ziel der Wechselkursstabilität zu realisieren, solange die Notenbank angehalten wurde, stets die Konjunkturpolitik der Regierung zu unterstützen.

 

Somit ergab sich die Nichtrealisierbarkeit eines Zielpaketes daraus, dass die Politik bestimmte Handlungsweisen vorschrieb, in unserem Beispiel die Forderung an die Notenbank, stets die Konjunkturpolitik der Regierung mit ihren geldpolitischen Maßnahmen zu unterstützen. Johnson und Mundell konnten zeigen, dass eine Änderung in diesen Forderungen diese Unmöglichkeit aufheben kann.

 

Ganz generell muss man darauf hinweisen, dass die Nichtrealisierbarkeit bestimmter Ziele oder Zielgruppen nicht nur an der nichtvorhandenen Technik, sondern auch an politischen Gegebenheiten liegen kann. Technisch gesehen wäre es in diesen Fällen durchaus möglich, bestimmte Ziele (Zielgruppen) zu realisieren, sie können aber trotzdem nicht realisiert werden, weil sie nicht politisch opportun sind.

 

Nehmen wir das Beispiel des Ausstiegs der BRD aus der Stromerzeugung aus Atom. Ursprünglich hatte die Bundeskanzlerin Merkel das Ziel verfolgt, erst auf lange Sicht aus dem Atomstrom auszusteigen. Nach dem Atomunglück in Fukushima riss Merkel das Ruder herum und verfolgte einen sofortigen Ausstieg aus der Atomindustrie.

 

Technisch gesehen hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, erst allmählich – wie ursprünglich geplant  – die Produktion von Atomstrom zurückzufahren. Politisch gesehen hätte jedoch ein solches Festhalten an den ursprünglichen Zielen vermutlich unweigerlich zu enormen Stimmenverlusten der CDU bei der nächsten Bundestagswahl geführt. Das Durchhalten der bisherigen Zielsetzung war also politisch gesehen kaum realisierbar.

 

 

Zusammenfassung:

 

01. Im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitiklehre steht die Frage nach den Zielen, Mitteln und Trägern der Wirtschaftspolitik.

 

02. Die Frage nach dem normativen Gehalt eines Zieles ist vor allem deshalb von Bedeutung, da die Wähler ihre Kontrollfunktion gegenüber den Politikern nur dann wahrnehmen können, wenn die von den Politikern vor den Wahlen geäußerten Zielsetzungen mit den Maßnahmen der Regierung nach der Wahl verglichen werden können.

 

03. Das Problem der Aktualität eines Zieles befasst sich mit der Frage, wieweit in einer konkreten Situation das Ziel bereits erreicht ist und wie groß der hieraus abzuleitende politische Handlungsbedarf ist.

 

04. Ziele können um ihrer selbst willen angestrebt werden oder deshalb, weil man sich hierdurch die Realisierung übergeordneter Ziele erhofft.

 

05. Die Analyse möglicher Zielkonflikte hat nicht den Zweck, den bestmöglichen Kompromiss zwischen den Zielen zu ermitteln, sondern dient lediglich dazu, festzustellen, wie sich Zielrealisierungen auf andere Ziele auswirken und welchen Preis (im Sinne entgangener Realisierungen bei anderen Zielen) deshalb Politiker und damit auch die Gemeinschaft zahlen müssen, wenn bestimme Ziele verwirklicht werden.

 

06. Eine erste Schwierigkeit im Rahmen einer Situationsanalyse erwächst daraus, dass die erfassbaren Konjunkturdaten über die jüngste Vergangenheit unterrichten, dass aber eine rationale Politik die Kenntnis zukünftiger Daten benötigt, für den Zeitraum, in dem die in Aussicht genommenen Maßnahmen ihre Wirkung zeigen sollen.

 

07. Es bedarf also einer Prognose, deren Veröffentlichung zu einer Selbstbestätigung oder Selbstwiderlegung führen kann.

 

08. Eine Selbstbestätigung würde z. B. vorliegen, wenn die Prognose einer Preissteigerung über Hamstereinkäufe zu Preissteigerungen führen würde.

 

09. Eine Selbstwiderlegung hingegen würde z. B. vorliegen, wenn die Prognose einer Überkapazität die Unternehmer veranlassen würde, beabsichtigte Investitionen zu unterlassen.

 

10. Zur Frage, ob ein Ziel einen Eigenwert besitzt, kann der Wissenschaftler in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler keine endgültige Aussage treffen. Er kann aber auf die allgemeine Gefahr hinweisen, dass Politiker die von ihnen aufgestellten Ziele dadurch zu immunisieren versuchen, dass sie sie zu Eigenwerten erklären, den man grundsätzlich gar nicht widerlegen kann.

 

11. Tinbergen führt das Vorliegen von Zielkonflikten vor allem darauf zurück, dass die Anzahl der zur Verfügung stehenden Mittel geringer ist als die Anzahl der Ziele. Also lassen sich Zielkonflikte dadurch lösen, dass man dafür Sorge trägt, dass den Politikern eine ausreichende Anzahl von Instrumenten an die Hand gegeben werden, welche unabhängig voneinander sind.

 

12. Von utopischen Zielen sprechen wir dann, wenn die von den Politikern formulierten Ziele gar nicht realisiert werden können. Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass das, was heute als utopisch angesehen werden muss, in einer zukünftigen Periode sehr wohl als realisierbar angesehen werden kann.

 

 

Fragen zu Kapitel 3:

 

01. Welche drei Fragen stehen im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitiklehre ?

 

02.  Welche vier Beurteilungskriterien lassen sich im Rahmen der Zielanalyse unterscheiden?   

 

03. Warum spricht man im Zusammenhang mit der Geldwertstabilität von einem Ziel, obwohl Geldwertstabilität zumeist nicht um seiner selbst willen angestrebt wird, sondern der Verwirklichung anderer Ziele dient?

 

04. Verlangt das von Max Weber formulierte Prinzip der Werturteilsfreiheit, dass sich Wissenschaftler nicht an der politischen Diskussion beteiligen dürfen?

 

05.  Worin besteht die Aufgabe einer Situationsanalyse?

 

06.  Was versteht man unter time lags und welche Arten von time lags werden unterschieden?

 

07. Was versteht von Hayek unter Musterprognosen?

 

08. Was versteht man unter ausreichenden, was unter notwendigen Bedingungen für die Gültigkeit einer Hypothese?

 

09. Besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass Inflationsprozesse das wirtschaftliche Wachstum hemmen?

 

10. Was versteht man unter logisch bedingten Zielkonflikten?

 

11. Bringen Sie ein Beispiel für einen quantitativen Zielkonflikt!

 

12. Bringen Sie ein Beispiel für einen situationsbedingten Zielkonflikt!

 

 

Antworten zu Kapitel 3:

 

01. Eine Wirtschaftspolitiklehre fragt erstens nach den Zielen, welche mit den politischen Maßnahmen angestrebt werden, zweitens nach den Mitteln zur Erreichung dieser Ziele und drittens nach den Trägern, denen die Realisierung dieser Aufgaben übertragen werden.

 

02. Wirtschaftspolitische Ziele sind danach zu beurteilen, erstens inwieweit sie überhaupt über einen normativen Informationsgehalt verfügen, zweitens wieweit diese Ziele bereits realisiert sind und zusätzliche politische Maßnahmen erfordern, drittens wie stichhaltig ihre Begründungen sind und viertens, inwieweit sie mit anderen Zielen der Politik in Konflikt geraten.

 

03. Man spricht im Zusammenhang mit der Geldwertstabilität von einem Ziel und nicht von einem Mittel, da ein Mitteleinsatz voraussetzt, dass die Politiker überhaupt die Möglichkeit haben, die Mittelvariable auf direkte Weise zu beeinflussen. Das Preisniveau ergibt sich in einer Marktwirtschaft aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf den einzelnen Märkten und kann weder von den Politikern noch vor allem von der Notenbank auf direkte Weise verändert werden.

 

04. Max Weber fordert im Zusammenhang mit dem Prinzip der Werturteilsfreiheit nur, dass der Wissenschaftler für seine persönlichen Bewertungen politischer Ziele nicht eine Gültigkeit beansprucht. Der Wissenschaftler kann sich sehr wohl an der politischen Diskussion beteiligen, seine Werturteile haben jedoch keine größere Gültigkeit als die Bewertungen aller anderen Diskussionsteilnehmer.

 

05. Eine Situationsanalyse hat festzustellen, in welcher Konjunkturphase wir uns gerade befinden und welche Maßnahmen deshalb zur Stabilisierung der Konjunktur notwendig werden.

 

06. Der Begriff: time lag weist darauf hin, dass zwischen dem Zeitpunkt, in dem ein Ereignis auftaucht, das politisch verändert werden sollte und dem Zeitpunkt, bis dann die von den Politikern eingeleiteten Maßnahmen das vorliegende Problem gelöst haben, eine gewisse Zeit (zumeist von etwa 1 bis 2 Jahren) verstreicht. Man unterscheidet zwischen inside und outside lags, je nachdem, ob die Verzögerung innerhalb des politischen Willensbildungsprozesses stattfindet oder seine Ursache in dem Wirtschaftssystem hat, das es zu beeinflussen gilt. Man unterscheidet weiterhin zwischen recognition, decision und realization lags. 

 

07. Von Hayek spricht davon, dass in der Wirtschaftswissenschaft nur Musteraussagen getroffen werden können, dass die Komplexität des marktwirtschaftlichen Systems es nicht möglich macht, wie z. B. in der Mechanik die Ereignisse exakt mit Angabe ihres quantitativen Ausmaßes zu bestimmen. Wir können also z. B. angeben, dass eine Preissteigerung in aller Regel dazu führt, das Angebot zu erhöhen. Wir können aber nicht im Voraus bestimmen, um wie viel eine x-prozentige Zunahme des Preises die Angebotsmenge steigern wird.

 

08. Eine ausreichende Bedingung liegt dann vor, wenn das erwünschte Ziel dann mit Sicherheit realisiert werden kann, wenn die Politiker diese Bedingung kontrollieren können, unabhängig davon, mit welchen weiteren Begleitumständen zu rechnen ist. Eine notwendige Bedingung hingegen muss erfüllt sein, ohne die es nicht gelingt, das Ziel zu realisieren. Es bleibt jedoch unklar, ob diese Bedingung ausreicht, um das Ziel zu realisieren.

 

09. Die Frage, ob nur bei Geldwertstabilität mit einem ausreichenden wirtschaftlichen Wachstum gerechnet werden kann, wird in der Wirtschaftswissenschaft kontrovers beantwortet. Zwar sind sich wohl alle Wissenschaftler darin einig, dass eine galoppierende Inflation insgesamt einer Volkswirtschaft großen Schaden zufügt und ein ausreichendes Wachstum verhindert. Wohl aber bestehen Meinungsverschiedenheiten in der Frage, wie sich eine geringfügige Inflation auf das Wachstum auswirkt. Die Liberalen gehen davon aus, dass Inflationsprozesse zu Fehlinvestitionen führen und auf diese Weise ein optimales Wachstum verhindern, während Keynesianer von der Überzeugung ausgehen, dass gerade über permanente Preissteigerungen die Gewinnerwartungen zunehmen und damit die Bereitschaft der Unternehmer zur Investition vergrößern. Kritisch muss man allerdings hinzufügen, dass diese Wirkung nur eintreten kann, wenn die Gewerkschaften darauf verzichten, einen Lohnausgleich für die Inflation zu erhalten. Nur in diesem Falle steigen mit den Preise auch die Gewinnerwartungen.

 

10. Ein logisch bedingter Zielkonflikt läge z. B. vor, wenn man eine Zunahme der Einkommensquote der Unselbstständigen bei Konstanz des Anteils der Selbstständigen fordern würde. Ex definitione geht der Einkommensanteil der Selbstständigen in gleichem Umfang zurück, wie der Anteil der Unselbstständigen ansteigt.

 

11. Ein quantitativer Konflikt zwischen zwei Zielen liegt immer dann vor, wenn beide Ziele in quantitativen Größen gemessen werden können und die Zunahme der Größe des einen Zieles verbunden ist mit einer Abnahme der Größe des anderes Zieles. So würde z. B. Ein quantitativer Konflikt zwischen dem Ziel der Vollbeschäftigung und der Geldwertstabilität vorliegen, wenn beispielsweise angenommen werden könnte, dass ein Anstieg des Beschäftigungsgrades um 1% auch einen Anstieg der Inflationsrate um bestimmte Prozentpunkte zur Folge hätte.

 

12. Ein typisch situationsbedingter Konflikt besteht zwischen dem Ziel der Geldwertstabilität und dem Ziel eines Ausgleichs der Devisenbilanz. So tritt z. B. der Konflikt zwischen dem Ziel einer ausgeglichenen Devisenbilanz und dem Ziel der Konjunkturstabilisierung nur dann auf, wenn zur gleichen Zeit entweder in der Binnenwirtschaft eine Rezession vorherrscht, in der Außenwirtschaft hingegen ein Devisenbilanzdefizit ausgewiesen wird oder wenn eine Konjunkturüberhitzung mit einem Devisenbilanzüberschuss einhergeht. Die Notenbank eines Landes, das auf der einen Seite ein Devisenbilanzdefizit aufweist und in dem auf der anderen Seite ein Hochkonjunktur herrscht, kann mit einer kontraktiven Geldpolitik sowohl die Inflation stoppen als auch das Defizit in der Devisenbilanz verringern.