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A L L G E M E I N E

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

 

V O N  B E R N H A R D  K Ü L P

 

 

 

Gliederung:

 

01. Betrachtungsweisen            

02. Methoden                              

03. Zielanalyse                            

04. Mittelanalyse                      

05. Trägeranalyse                        

06. Politische Ökonomie              

07. Wohlfahrtstheorie                

08. Ordnungsanalyse                  

09. Ordnungskonzeption           

10. Ordnungsdynamik       

 

 

Kapitel 4: Mittelanalyse

 

0. Einführung

1. Die Frage nach der Konkretisierung von Mitteln

2. Die Frage nach dem Eigenwert von Mitteln

3. Die Frage nach der Effizienz von Mitteln

4. Die Frage nach negativen Sekundärwirkungen

5. Die Frage nach der Marktkonformität von Mitteln

6. Die politische Realisierbarkeit von Mitteln

 

 

 

0. Einführung

 

In diesem Abschnitt geht es um die Frage, welchen Beitrag die Wirtschaftspolitiklehre im Zusammenhang mit der Frage leisten kann, welche Mittel zur Erreichung eines vorgegebenen wirtschaftspolitischen Zieles eingesetzt werden sollen. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass diese Frage keinesfalls allein von der Wissenschaft beantwortet werden kann, dass die Frage nach dem geeigneten Mittel für ein vorgegebenes Ziel nicht allein aus Sachzusammenhängen, welche von Seiten der Wissenschaft eindeutig geklärt werden können, abgeleitet werden kann, dass hierbei immer auch Werturteile eine Rolle spielen, welche nur vom Politiker, der diese Mittel einsetzt, gefällt werden können.

 

Welches sind nun die Fragen, welche die Wissenschaft im Rahmen der Mittelanalyse beantworten kann?

 

Erstens muss geklärt werden, worin denn die wesentlichen Eigenschaften der zur Diskussion stehenden Mittel bestehen (Frage nach der Konkretisierung).

 

Zweitens stellt sich die Frage, ob die Politiker (die Öffentlichkeit) dem zur Diskussion stehenden Mittel einen positiven oder auch negativen Eigenwert zuerkennen (Frage nach dem Eigenwert).

 

Drittens gilt es zu klären, ob und in welchem Umfang die einzusetzenden Mittel auch in der Lage sind, die angestrebten Wirkungen zu erreichen (Frage nach der Effizienz).

 

Viertens ist zu überprüfen, ob der beabsichtigte Mitteleinsatz zu unerwünschten oder aber auch erwünschten Nebenwirkungen bei Variablen führt, welche eigentlich gar nicht beeinflusst werden sollten (Frage nach den Sekundärwirkungen).

 

Fünftens ist abzuklären, ob die einzelnen Mittel im Hinblick auf das bestehende Wirtschaftssystem konform sind, ob also bei Bestehen einer marktwirtschaftlichen Ordnung das einzusetzende Mittel als marktkonform zu gelten hat (Frage nach der Marktkonformität).

 

Sechstens schließlich müssen wir auch mit der Möglichkeit rechnen, dass bestimmte von der Wissenschaft empfohlene Mittel aufgrund der Verfassung eines Staates gar nicht erlaubt sind und gerade deshalb nicht zur Diskussion stehen. So empfehlen Keynesianer bekanntlich, konjunkturelle Arbeitslosigkeit dadurch zu bekämpfen, dass der Staat seine Ausgaben ausweitet und diese zusätzlichen Ausgaben nicht über Steuern, sondern mit Krediten von der Notenbank finanziert. Ein solches Defizit im Staatsbudget ist jedoch seit einiger Zeit entsprechend dem Grundgesetz nicht erlaubt. Solche Maßnahmen (defizitär finanzierte Staatsausgabensteigerungen) können deshalb  in der BRD auch nicht eingeführt werden.

 

Nichtsdestotrotz muss es erlaubt sein, Grundgesetzänderungen zu fordern, welche auch solche Maßnahmen erlauben, sofern der Wissenschaftler davon überzeugt ist, dass solche Maßnahmen die Grundwerte unserer Ordnung nicht verletzen und deshalb zu Unrecht im Grundgesetz verboten werden.

 

 

1. Die Frage nach der Konkretisierung von Mitteln

 

Beginnen wir mit der Frage nach der Konkretisierung eines Mittels. Ähnlich wie bei der Festlegung eines wirtschaftspolitischen Zieles gilt es auch im Rahmen einer Mittelanalyse in einem ersten Schritt zu klären, worin denn die Eigenschaften des jeweiligen Mittels bestehen. Allerdings ist die Verschleierungstendenz, die wir im Rahmen der Zielanalyse feststellen konnten, bei den Mitteln weniger gegeben. Hier geht es vielmehr primär darum, dass Mittel wesentliche und unwesentliche Eigenschaften besitzen können und dass nur solche Mittel geeignet erscheinen, welche die wesentlichen Merkmale aufweisen.

 

Die Frage nach den notwendigen Eigenschaften kann nur aufgrund einer Theorie beantwortet werden. Eine Theorie zeigt, auf welche Bestimmungsgründe ein ökonomisches Ereignis zurückgeführt werden kann. Im Rahmen der Politik geht es darum, ein bestimmtes, erwünschtes Ereignis herbeizuführen, dieses Ereignis wird also zum Ziel. Das Mittel ist genau dann geeignet, diesen erwünschten Zustand herbeizuführen, wenn seine Eigenschaften an den notwendigen und ausreichenden Bestimmungsgründen ansetzen.

 

Machen wir uns diese theoretischen Überlegungen anhand eines praktischen Beispiels klar. Die Politiker verfolgten das Ziel, die Arbeitnehmer am erwerbswirtschaftlichen Erwerbsvermögen zu beteiligen und auf diese Weise deren Gesamteinkommen zu vergrößern. Zur Diskussion stünde die Einführung eines Investivlohnes. Wird zum Mittel des Investivlohnes gegriffen, so wird ein Teil des Lohnes für die Arbeitnehmer zwangsweise gespart, diese Ersparnisse verbleiben entweder in der Unternehmung, welche diese Investivlöhne aufbringt oder werden an Kreditinstitute abgeführt.

 

Betrachten wir die Eigenschaften eines Investivlohnes etwas genauer. Ein Investivlohn könnte von einer Unternehmung ohne Vertrag und damit ohne jede Verpflichtung gewährt werden. Diese Eigenschaft ist zwar für die Frage, welche Rechte der Arbeitnehmer erhält, ob er gegebenenfalls den Investivlohn einklagen kann, von großer Bedeutung. Für die Frage, ob ein tatsächlich gewährter Investivlohn aber in der Lage ist, das Gesamteinkommen der Arbeitnehmer zu erhöhen, ist diese Frage von geringerer Bedeutung, sie zählt in diesem wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhang nicht zu den wesentlichen Eigenschaften des Investivlohnes.

 

Wenn wir nun die von Kaldor entwickelte Verteilungstheorie zugrunde legen, dann müssen wir unterstellen, dass eine Erhöhung des Arbeitnehmereinkommens nur dann erzielt wird, wenn die Sparquote der Arbeitnehmer ansteigt; also müssen wir überprüfen, ob ein Investivlohn dazu führt, dass die Sparquote der Arbeitnehmer ansteigt. Der Investivlohn wird nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt, sondern zwangsweise gespart, also wird man unterstellen können, dass die Sparquote des Arbeitnehmers zumindest vorübergehend ansteigt und dass damit eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen wird, dass der Investivlohn zum Erfolg führt. Dies bedeutet, dass der Zwangscharakter des Investivlohnes zu den wesentlichen Eigenschaften des Investivlohnes zählt, es ist der Zwang, der die erwünschte Wirkung auslöst.

 

Allerdings muss gesehen werden, dass ein Arbeitnehmer, der bereits über Ersparnisse verfügt, die Möglichkeit hat, seine bisherigen Ersparnisse aufzulösen; in diesem Falle steigt die Sparquote des Arbeitnehmers nicht oder nicht in vollem Umfange. Auch muss berücksichtigt werden, dass bei jeder Investivlohnregelung irgendwann einmal die Sperrfrist ausläuft und der Arbeitnehmer das Recht erhält, die Ersparnisse aufzulösen. Nur dann, wenn es gute Gründe gibt, dass die Arbeitnehmer ihre Ersparnisse nach Ablauf der Sperrfrist nicht gänzlich auflösen, hat sich die Sparquote der Arbeitnehmer auch langfristig erhöht und nur dann ist damit zu rechnen, dass der Investivlohn seinen Zweck auch auf lange Sicht erreicht.

 

 

2. Die Frage nach dem Eigenwert von Mitteln

 

An und für sich werden Mittel nicht um ihrer selbst willen, sondern deshalb eingeführt, um auf diesem indirekten Wege andere, übergeordnete Ziele zu erreichen. In ihrer Eigenschaft als Mittel haben Mittel somit zunächst keinen Eigenwert. Trotzdem muss damit gerechnet werden, dass Maßnahmen, die als Mittel eingesetzt werden, nicht nur als Mittel angesehen werden, sondern auch einen Eigenwert und zwar einen positiven oder auch negativen Wert erlangen können. Machen wir uns diesen Zusammenhang zunächst an einem Beispiel aus der privaten Sphäre klar.

 

Eine Unternehmung verfolge das primäre Ziel, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Der Gewinn könnte unter Umständen auch dadurch erhöht werden, dass der besagte Unternehmer seine Kunden oder Lieferanten betrügt oder auch erpresst. Also wäre das betrügerische Verhalten oder die Erpressung in der Tat ein Mittel, um den Gewinn der Unternehmung zu vergrößern. Trotzdem wird man keinem Unternehmer empfehlen können, zu diesen Mitteln zu greifen und wird ein solches Verhalten unter Strafe stellen. Betrug und Erpressung sind Tatbestände, welche als verbrecherisch eingestuft sind und kein noch so hoher materieller Erfolg kann den Einsatz dieser Mittel rechtfertigen. Wir erkennen also dieser Art von Mitteln einen hohen negativen Wert zu.

 

Wenn ein Unternehmer andererseits bereit ist, für die Erziehung von Kindern aus Entwicklungsländern großzügig zu spenden, so mag diese Spende unter anderem auch unter dem Aspekt diskutiert werden, dass großzügige Spenden das Image dieses Unternehmers erhöht und dass auf diesem indirekten Weg sogar der Umsatz steigen könnte. Wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch der Hinweis, dass diese Spende eben nicht nur, noch nicht einmal schwergewichtig unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden muss, ob diese erwünschte Umsatzsteigerung zu erwarten ist, man wird vielmehr in der Spende also solcher einen positiven Eigenwert sehen.

 

Diese Zusammenhänge gelten auch für den Einsatz politischer Mittel. Auch hier haben wir davon auszugehen, dass bestimmte Maßnahmen unabhängig von ihren Wirkungen als solche positiv oder negativ beurteilt werden. So empfiehlt die keynesianische Theorie zur Steigerung der Beschäftigung ein Defizit im Staatsbudget vorzusehen. Die Staatsverschuldung wird jedoch von vielen Bürgern als etwas Negatives angesehen, unabhängig davon, ob man davon ausgehen kann, dass eine Staatsverschuldung positive Beschäftigungseffekte hervorruft.

 

Worin liegt nun der Beitrag der Wirtschaftspolitiklehre in diesem Zusammenhange? Die Wissenschaft ist natürlich nicht in der Lage, eine solche Bewertung als falsch nachzuweisen. Es ist das Recht jedes Bürgers oder Politikers eine bestimmte Aktivität – in unserem Falle  die Staatsverschuldung – als solche abzulehnen. Allerdings gilt es hier zu berücksichtigen, dass solche Bewertungen selbst wiederum ihre spezifischen Ursachen haben. So könnte die negative Beurteilung einer Staatsverschuldung daher rühren, dass man zunächst davon ausgeht, dass eine Verschuldung eines Privathaushaltes unerwünscht sei und dass das, was für private Haushalte gelte, auch für öffentliche Haushalte nicht falsch sein könne.

 

Die Wissenschaft kann hier aufzeigen, dass diese Argumentation auf falschen Schlussfolgerungen beruht. Zunächst kann aufgezeigt werden, dass eine Verschuldung eines privaten Haushaltes nur dann unerwünscht ist, wenn die Kredite lediglich für Konsumausgaben vorgesehen sind und wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Haushalt in naher Zukunft mit Einkommenssteigerungen zu rechnen hat.

 

Diese Betrachtung darf jedoch nicht einfach auf die Verschuldung öffentlicher Haushalte übertragen werden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Verschuldung eines privaten und eines öffentlichen Haushalts besteht darin, dass sich der private Haushalt bei einer anderen Wirtschaftseinheit verschuldet und diese belastet, während sich der Staat bei seinen Bürgern, also quasi bei sich selbst verschuldet.

 

Es lässt sich sehr wohl einiges gegen eine Staatsverschuldung anführen; so können von einem Defizit preissteigernde Wirkungen ausgehen, zukünftige Generationen können belastet werden, wenn die Staatsverschuldung dazuführt, dass die Bereitschaft zu risikobehafteten Investitionen zurückgeht.

 

 

3. Die Frage nach der Effizienz von Mitteln

 

Die zentrale Frage innerhalb der Mittelanalyse bezieht sich auf die Eignung wirtschaftspolitischer Mittel. Wenn man von dem Beitrag der Wissenschaft zur Mittelproblematik spricht, denkt man im Allgemeinen an die Eignungsfrage. Der Zusammenhang zwischen Theorie und Politik ergibt sich – wie bereits angedeutet – aus einer soziotechnischen Umformulierung. Dem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang entspricht die Ziel-Mittel-Relation, das Ziel ist die beabsichtigte Wirkung, das Mittel die gesetzte Ursache.

 

Eine Effizienzanalyse lässt sich hierbei von drei Seiten angehen:

 

Man kann sich erstens fragen, ob ein vorgegebenes Mittel geeignet ist, ein bestimmtes Ziel zu verwirklichen. Hier sind Ziel und Mittel gegeben, gefragt wird nach dem theoretischen Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen. Beispielsweise soll anhand der Verteilungstheorie untersucht werden, ob das gegebene Ziel: Lohnquotensteigerung durch die Einführung des Mittels: Investivlohn erreicht werden kann.

 

Man kann zweitens nach den Eigenschaften fragen, die ein Mittel aufweisen muss, damit das vorgegebene Ziel auch realisiert werden kann. Hier wird das Ziel und die relevante Theorie als vorgegeben angesehen, gefragt wird danach, wie ein geeignetes Mittel aussehen muss.

 

Drittens könnte man natürlich auch die Frage stellen, welche Ziele mit einem gegebenen Instrument verwirklicht werden können. Hier ist das Ziel die zu untersuchende Problemgröße, gegeben sind hier das Mittel und die anzuwendende Theorie.

 

Man kann nun zwischen einer absoluten und einer komparativen Effizienzanalyse unterscheiden. Im Rahmen der absoluten Analyse beschränkt man sich darauf zu überprüfen, ob ein ganz bestimmtes Instrument in der Lage ist, das gesetzte Ziel zu erreichen. So könnte z. B. ein Vertreter der neoklassischen Theorie zu dem Ergebnis kommen, dass eine Senkung des Leitzinses der Notenbank in der Lage sei, die Konjunktur anzukurbeln.

 

Im Rahmen einer komparativen Effizienzanalyse werden mehrere Instrumente auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und untersucht, welches der zur Diskussion stehenden Mittel die höchste Effizienz aufweist. Nehmen wir nochmals das Beispiel einer beabsichtigten Konjunkturbelebung. Zur Auswahl stünden nun auf der einen Seite eine Senkung des Leitzinses der Notenbank, auf der anderen Seite eine defizitär finanzierte Erhöhung der Staatsausgaben.

 

Ein Keynesianer wird sich hier dafür aussprechen, das Mittel der Staatsausgabenerhöhung zu wählen. Bei einer Zinssenkung bestünde die Gefahr, dass die privaten Investoren nicht wie erhofft auf die Zinssenkung mit einer Steigerung des Investitionsvolumens reagieren. In Zeiten der Rezession sei nämlich die Elastizität der Investitionsnachfrage gering, da auf der einen Seite aufgrund des starken Wettbewerbs auf den Gütermärkten Zinssenkungen im Güterpreis weitergegeben werden müssten, und da auf der anderen Seite in Zeiten der Rezession ohnehin nicht alle Produktionskapazitäten wegen Rückgangs der Konsumnachfrage ausgelastet seien und die Unternehmer deshalb nicht daran interessiert seien, die Kapazitäten um ein weiteres zu erhöhen. Demgegenüber sei die Wirkung einer defizitär finanzierten Erhöhung der Staatsausgaben sicher, sodass eine expansive Fiskalpolitik in jedem Falle zum Erfolg führen würde.

 

Man kann weiterhin zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Effizienzanalyse unterscheiden. Bei einer qualitativen Analyse beschränkt man sich darauf zu überprüfen, ob überhaupt mit einer positiven Wirkung auf die Zielgröße zu rechnen ist. Bei einer quantitativen Analyse hingegen geht es auch darum, um wie viel die Instrumentenvariable angehoben werden muss, um die erwünschte Wirkung zu erreichen.

 

Eine solche quantitative Analyse setzt allerdings voraus, dass sowohl das Ziel als auch der Mitteleinsatz quantifizierbar sind und dass die zugrunde gelegte Theorie eine quantitativ messbare Beziehung ermöglicht. Bringen wir nochmals das Beispiel der Konjunkturbelebung. Das Ziel bestehe in einer angestrebten Steigerung des Inlandsproduktes um 12 Mrd. Der Mitteleinsatz, die Staatsausgabensteigerung, lasse sich ebenfalls in Geldeinheiten messen und die herangezogene keynesianische Theorie des Multiplikators lasse den Schluss zu, dass unter den gegebenen Bedingungen (d. h. beispielsweise bei einer Sparquote von 25%) eine Steigerung der Staatsausgaben um 3 Mrd. zur Zielrealisierung notwendig sei.

 

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass im Rahmen einer Politik, welche den Wirtschaftsprozess zu beeinflussen sucht, die Quantifizierbarkeit von Zielen und Mitteln gegeben ist, während man sich im Rahmen der Ordnungspolitik oftmals auf eine qualitative Analyse beschränken müsse.

 

Im Rahmen der quantitativen Analyse ist auch das Problem der kritischen Schwellen angesprochen. Wir können nicht erwarten, dass der Zusammenhang zwischen Ziel- und Mittelvariablen kontinuierlich und proportional verläuft, wir haben vielmehr davon auszugehen, dass oftmals ein Mittel erst ab einem bestimmten Umfang überhaupt Wirkung zeigt, z. B. deshalb, weil bei einem zu geringen Umfang die angesprochene Öffentlichkeit diese Maßnahmen noch gar nicht zur Kenntnis nimmt. So dürften minimale Zinssenkungen in ihrer Wirkung verpuffen.

 

Andererseits muss damit gerechnet werden, dass bei einigen Instrumenten ab einer kritischen Höhe die Wirkung in ihr Gegenteil umschlägt; so wird eine Zollsatzerhöhung nur bis zu einer kritischen Grenze zu Zollmehreinnahmen führen. Zölle werden nämlich in der Regel auf den Güterpreis aufgeschlagen, wenn jedoch die Elastizität der Nachfrage größer eins ist, dann wird die Preissteigerung durch die Mengenreduzierung überkompensiert, der Umsatz und mit ihm die Zolleinnahmen gehen dann trotz Zollsatzerhöhung und Preissteigerung zurück.

 

Schließlich ist eine dritte Unterscheidung von Bedeutung: Man kann zwischen statischer und dynamischer Effizienzanalyse unterscheiden. Bei der statischen Analyse beschränkt man sich darauf, wie sich aufgrund des Mitteleinsatzes die Gleichgewichtsgrößen in der Zielvariablen verändern. Eine Erhöhung der Staatsausgaben um 1 Mrd. € führe nach Erreichung eines neuen Gleichgewichtes zu einer Erhöhung des Inlandsproduktes um sagen wir 3 Mrd. €.

 

Dehnt man hingegen die Betrachtung auf eine dynamische Analyse aus, so wird auch untersucht, welche Zeit vergeht, bis ein Mitteleinsatz im Zeitpunkt (t1) auf die Zielvariable Einfluss nimmt. Eine solche Analyse setzt voraus, dass Prognosen über den Verlauf der Zielgröße möglich sind und dass darüber hinaus bekannt ist, wie lang der zu untersuchende Wirkungsprozess zwischen Mitteleinsatz und Zielgröße dauert. Wenn wir z. B. davon ausgehen können, dass sich eine Staatsausgabensteigerung erst in 1 1/2 Jahren auf die Einkommenshöhe auswirken wird, so kann diese Kenntnis nur dann eingesetzt werden, wenn man prognostizieren kann, wie sich das Einkommen in 11/2 Jahren verändern wird. Denn nur in diesem Falle kann der Mitteleinsatz richtig dosiert werden.

 

Die Effizienzanalyse steht dann vor Schwierigkeiten, wenn Maßnahmen zur Diskussion stehen, welche erstmalig eingeführt werden. Es fehlt dann an Erfahrungswerten darüber, welcher Einfluss tatsächlich von dem neu eingesetzten Instrument ausgeht. So war bei der erstmaligen Einführung des Investivlohnes unbekannt, wie sich die Arbeitnehmer verhalten werden, wenn die Sperrfrist ausläuft und die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, die zwangsweise gesparten Geldbeträge von den Sparkonten abzuheben. Gerade weil keine Erfahrungen in dieser Frage vorlagen, gab es unterschiedliche Hypothesen über den Erfolg dieser Maßnahmen.

 

Eine zweite Schwierigkeit entsteht aus dem Umstand, dass nahezu bei allen politischen Maßnahmen ein Teil der Bevölkerung benachteiligt wird und dass dieser Bevölkerungsteil bestrebt sein wird, diese Benachteiligungen abzuwenden. Eine rationale Politik wird diese potenziellen Vermeidungsmechanismen in ihr Kalkül einbeziehen müssen. Hierbei muss damit gerechnet werden, dass die Politik stets hinter der Entwicklung hinterherhinken wird, weil die belasteten Gruppen immer wieder neue Verhaltensweisen entwickeln werden, um dieser Belastung zu entgehen.

 

Versucht z. B. der Staat im Rahmen einer keynesianischen Politik der Bekämpfung der Inflation durch Steuererhöhungen die Konsumnachfrage zu drosseln und bemühen sich die Gewerkschaften die durch die Steuererhöhung zu erwartende Reduzierung in den Nettolohneinkommen durch Erhöhungen der Bruttolohnsätze zu kompensieren, wird gerade durch dieses Verhalten der Gewerkschaften die Effizienz der Steuererhöhungen gemindert. Will der Staat trotzdem in der Bekämpfung der Inflation erfolgreich bleiben, bedarf es flankierender Maßnahmen, um diese Gefahr abzuwenden.

 

Eine solche flankierende Maßnahme könnte z. B. darin bestehen, dass der Staat für die Einführung eines Investivlohnes finanzielle Anreize setzt. Versuchen nun die Gewerkschaften aufgrund dieser staatlichen Anreize die Minderung ihres Einkommens durch Abschlüsse von Investivlohnverträgen abzuwenden, bleibt die Politik zur Bekämpfung der Inflation erfolgreich, zumindest dann, wenn wir mit der nachfrageorientierten Inflationstheorie davon ausgehen, dass Investivlöhne nicht preissteigernd wirken.

 

Flankierende Maßnahmen können darüber hinaus auch noch aus einem zweiten Grund notwendig werden. Im Allgemeinen müssen wir nämlich davon ausgehen, dass die Problemgrößen der Wirtschaftstheorie von mehreren Bestimmungsgründen abhängen und dass deshalb mehrere Mittel eingesetzt werden müssen, um erfolgreich zu werden. Bringen wir nochmals das Beispiel der Konjunkturpolitik.

 

Entsprechend keynesianischer Vorstellung werde der Versuch unternommen, durch eine defizitär finanzierte Erhöhung der Staatsausgaben die Konjunktur zu beleben. Nun wird von Seiten der Neoklassiker befürchtet, dass das vom Staat ausgeübte zusätzliche Angebot an Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt zu Zinssteigerungen führt, dass deshalb die privaten Investitionen zurückgehen und dass damit der Erfolg der Konjunkturbelebung zunichte gemacht oder zumindest vermindert wird. Um dieses Crowding out zu vermeiden, versucht nun die keynesianische Konjunkturpolitik die Notenbank zu einer Ausweitung der Geldmenge zu bewegen; in diesem Falle werden die Zinserhöhungen rückgängig gemacht, sodass das befürchtete Crowding out ausbleibt.

 

 

4. Die Frage nach negativen Sekundärwirkungen

 

Politische Maßnahmen wirken sich im Allgemeinen nicht nur auf die Variablen aus, die es mit dieser Maßnahme zu beeinflussen gilt. Wir haben vielmehr davon auszugehen, dass in der Regel auch andere Variablen positiv oder negativ beeinflusst werden. Handelt es sich um positive Effekte, sprechen wir von willkommenen Nebeneffekten oder positiven Sekundärwirkungen, werden jedoch andere Variablen negativ tangiert, so liegen negative Sekundärwirkungen vor.

 

Positive Sekundärwirkungen liegen z. B. vor, wenn sich wachstumspolitische Maßnahmen nicht nur wie erwünscht positiv auf das wirtschaftliche Wachstum, sondern auch auf die Beschäftigung auswirken. Diese Effekte sind unproblematisch, wir wollen uns deshalb im Weiteren nicht mehr mit diesen Wirkungen befassen.

 

Negative Sekundärwirkungen liegen hingegen vor, wenn z. B. eine expansive Fiskalpolitik (defizitär finanzierte Erhöhungen der Staatsausgaben) nicht nur zu den beabsichtigten Beschäftigungssteigerungen führt, sondern sich gleichzeitig negativ – unbeabsichtigt, vielleicht noch nicht einmal erwartet – auf die Inflationsrate auswirkt. Diese Art von Sekundärwirkungen bringt eine Reihe von Problemen mit sich, mit denen wir uns im Folgenden etwas genauer befassen wollen.

 

Negative Sekundärwirkungen hängen eng mit der Problematik der Zielkonflikte zusammen. Ein und derselbe Zusammenhang liegt vor, wenn wir von mittelbedingten Zielkonflikten oder von negativen Sekundärwirkungen sprechen. Die unerwünschte Auswirkung einer Beschäftigungspolitik auf die Inflationsrate bedeutet z. B., dass das Ziel Vollbeschäftigung mit dem Ziel Geldwertstabilität in Konflikt steht.

 

In viel stärkerem Maße als dies für die Effizienzanalyse gilt, müssen wir davon ausgehen, dass über die Wirkungen, welche als Sekundärwirkungen eingestuft werden, keine ausreichenden theoretischen Erkenntnisse vorliegen, dass also über mögliche Sekundärwirkungen nur spekuliert werden kann, ja dass oftmals das Vorhandensein bestimmter Sekundärwirkungen erst sehr viel später bekannt wird.

 

Betrachten wir hierzu zunächst das im Rahmen einer Effizienzanalyse angewandte Verfahren. Es ist Anliegen einer Theorie über möglichst alle Bestimmungsgründe einer Problemgröße zu unterrichten. So geht die keynesianische Inflationstheorie davon aus, dass allein der Anstieg in der effektiven Nachfrage für Güterpreissteigerungen verantwortlich ist; da wir die Gesamtnachfrage in Konsum-, Investitions- Staats- und schließlich Exportausgaben untergliedern, haben wir mit dieser Aufzählung auch alle bekannten möglichen Bestimmungsgründe einer Inflation (nach Meinung der Keynesianer) erfasst.

 

Diese angestrebte Vollständigkeit in der Anzahl der Bestimmungsgründe ist im Allgemeinen auch möglich, da wir davon ausgehen können, dass dieser Zusammenhang zwischen Bestimmungsgründen und Problemvariablen in relativ kurzer, überschaubarer Zeit stattfindet und deshalb bei einer genauen empirischen Beobachtung auch in der Regel festgestellt werden kann.

 

Anderes gilt im Allgemeinen für das Auftreten von Sekundärwirkungen. Hier geht man in der Regel davon aus, dass längere Zeiträume verstreichen, bis die unerwünschten Sekundärwirkungen einer Maßnahme eintreten. Bringen wir nochmals das Beispiel einer keynesianischen Beschäftigungspolitik. Die Theorie belehrt uns darüber, dass positive Beschäftigungseffekte schon sehr bald nach Erhöhung der Staatsausgaben festgestellt werden können. Schließlich stellen Staatsausgaben, welche für den Ankauf von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt werden, bereits Einkommenssteigerungen dar.

 

Im Rahmen der Inflationstheorie wird allerdings darauf hingewiesen, dass diese Staatsausgabensteigerungen im allgemeinen auch zu Preissteigerungen führen, dass jedoch der time lag, der zwischen Ausgabensteigerung und Preissteigerung liegt, wesentlich größer ist als der time lag zwischen Ausgabensteigerung und Beschäftigungszunahme.

 

Dies ist auch der Grund für die Beliebtheit einer expansiven Beschäftigungspolitik unter den Politikern. Wenn sie mit diesen Maßnahmen kurz vor der Wahl beginnen, können sie hoffen, dass sich die Beschäftigungssteigerungen noch positiv auf die Wahl auswirken werden, dass aber die unerwünschten Preissteigerungen erst nach der Wahl auftreten und deshalb keinen Einfluss auf das Wählerverhalten nehmen werden. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Wähler relativ schnell vergessen und ihr Wahlverhalten allein von den Ereignissen kurz vor der Wahl abhängt, werden die Inflationswirkungen den Politikern auch langfristig nicht angerechnet.

 

Gerade dieser längere Zeitraum des Auftretens von Sekundärwirkungen bringt es nun mit sich, dass wir zwar im Rahmen der Effizienzanalyse über Theorien verfügen, welche möglichst alle bekannten Bestimmungsgründe auflisten, dass es aber keine Theorie gibt, welche alle möglichen Sekundärwirkungen zusammenfasst. Fragen wir nach den Sekundärwirkungen einer expansiven Beschäftigungspolitik, so erfahren wir über die zu erwartenden Preissteigerungen von der Inflationstheorie, über die Wachstumsauswirkungen von der Wachstumstheorie, über die unerwünschten Verteilungseffekte von der Verteilungstheorie und über die möglichen Fehlallokationen von der Allokationstheorie.

 

Dieses unterschiedliche Verfahren im Rahmen der Effizienz- und Sekundärwirkungsanalyse bringt es nun mit sich, dass der Fortschritt in der Entwicklung von Theorien im Zusammenhang mit den Sekundärwirkungen sehr viel geringer ist als im Zusammenhang mit Effizienzproblemen. Treten nämlich die prognostizierten Wirkungen einer Theorie nicht auf oder sind offensichtlich andere Bestimmungsgründe für das Auftreten einer Problemgröße verantwortlich, so besteht auch ein starker Anreiz, die Theorie zu modifizieren. Im Rahmen der Forschung ergibt sich die Notwendigkeit, eine Theorie solange zu modifizieren, bis schließlich alle feststellbaren Bestimmungsgründe einer Problemgröße in die Theorie aufgenommen sind.

 

Ganz anders erfolgt der Prozess der Wissensfindung im Zusammenhang mit Sekundärwirkungen. Es gibt kein Verfahren der Falsifikation, wenn wir bisher von der falschen Hypothese ausgegangen sind, dass sich eine expansive Beschäftigungspolitik nur auf die Inflationsrate, nicht aber auf die Allokation negativ auswirkt. Es steht nicht eine Theorie, sondern nur Teile recht unterschiedlicher Theorien auf dem Prüfstand, es fehlt also hier der Anreiz zu überprüfen, ob nicht auch Sekundärwirkungen auf andere Problemgrößen zu befürchten sind. Es ist mehr eine Frage des Zufalls, dass man auf Sekundärwirkungen stößt und dies gilt umso mehr, je weniger solche Zusammenhänge vermutet werden und je länger der Zeitraum dauert, bis diese Sekundärwirkungen auftreten. Aus diesen Gründen dürfte eine Analyse der Sekundärwirkungen in stärkerem Maße als die Effizienzanalyse spekulativer Natur sein.

 

Gerade aus diesen Gründen werden oftmals bei Einführung neuer Maßnahmen negative Sekundärwirkungen prognostiziert, die dann gar nicht eingetreten sind und andererseits negative Sekundärwirkungen größeren Ausmaßes übersehen, welche erst im Nachhinein – vielleicht sogar erst viele Jahrzehnte nach der Einführung einer Maßnahme – festgestellt werden.

 

Die Begradigung von Flussläufen, z. B. des Rheins, wurde in der Geschichte Deutschlands als großer Erfolg gefeiert, da Flüsse auf diese Weise befahren werden können. Es entstanden auf diese Weise Wasserwege, die Fahrtkosten wurden drastisch reduziert und damit konnte letzten Endes die Produktivität der Volkswirtschaft entscheidend erhöht werden. Erst sehr viel später – und zwar erst etwa hundert Jahre später – wurden die negativen Folgen dieser Begradigung sichtbar, die sich in vermehrten und stärkeren Überflutungen und hohen wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe niederschlugen.

 

Wenn man will, kann man die finanziellen Folgekosten bestimmter Maßnahmen ebenfalls zu den negativen Sekundärwirkungen zählen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen ziehen oftmals weitere Maßnahmen in der Zukunft nach sich mit der Folge, dass die mit diesem Instrument verbundenen finanziellen Kosten wesentlich höher als anfänglich veranschlagt ausfallen. Drei Fälle lassen sich hierbei unterscheiden:

 

Das Ausmaß der anfallenden Kosten hängt von Variablen ab, deren Umfang im Zeitablauf ansteigt und nimmt deshalb auch ohne Änderung des betreffenden Gesetzes zu. Nehmen wir das Beispiel des Sparprämiengesetzes der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, welches vorsah, dass für langfristige Sparanlagen bestimmte Prämien gewährt wurden. Bei Einführung dieser Maßnahme konnte nur ein relativ kleiner Bevölkerungsteil von diesem Gesetz Gebrauch machen, mit der Folge, dass die finanzielle Belastung des Staates aufgrund dieses Gesetzes anfänglich sehr gering war.

 

In der Folgezeit kamen jedoch aufgrund der allgemeinen Einkommenssteigerungen immer mehr Personen in den Genuss dieses Gesetzes, sodass die finanzielle Belastung in einem Ausmaß anstieg, der in diesem Umfang nicht vorausgesehen wurde. Dieser Zusammenhang kann nun zum Problem werden, wenn auf der einen Seite ein solches Gesetz gerade deshalb eingeführt wurde, weil die finanzielle Belastung gering war und wenn auf der anderen Seite es politisch schwierig ist, eine bereits für längere Zeit durchgeführte Maßnahme wiederum zurück zunehmen.

 

Eine zweite Art von finanziellen Folgekosten liegt vor, wenn die Ausweitung dieser Maßnahme aus der inneren Logik heraus notwendig wird. So wurde die Einführung der dynamischen Altersrente 1957 unter anderem damit begründet, dass auch Transfereinkommensempfänger einen Ausgleich für Preissteigerungen sowie eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wachstum erhalten sollten. Die innere Logik der Rentenreform von 1957 bringt es nun mit sich, dass auch andere Renten wie z. B. Unfallrenten dynamisiert werden sollten. Auch hier führte schließlich die Einführung eines Gesetzes auf lange Sicht zu sehr viel mehr Kostensteigerungen als zunächst angenommen wurde.

 

Drittens schließlich können finanzielle Folgekosten auch aufgrund gewisser politischer Mechanismen auftreten. Der Umstand, dass der Staat bei Krisenerscheinungen in bestimmten Wirtschaftszweigen Erhaltungssubventionen gewährt, kann weitere Interessengruppen aus anderen Wirtschaftszweigen auf den Plan rufen und diese können ebenfalls Subventionen fordern mit dem Argument, dass gleiches Recht für alle zu gelten habe; wenn dem einen Teil der Bevölkerung in Krisenzeiten geholfen werde, so müsse diese Hilfe unter gleichen Bedingungen auch für alle Wirtschaftszweige gewährt werden. So kann sich der Umfang der Subventionen drastisch erhöhen.

 

 

5. Die Frage nach der Marktkonformität von Mitteln

 

Wirtschaftliche Maßnahmen können weiterhin daraufhin überprüft werden, inwieweit sie mit dem Wirtschaftssystem, in dem sie eingesetzt werden, konform gehen. Walter Eucken und Wilhelm Röpke haben für ein marktwirtschaftliches System das Kriterium der Marktkonformität formuliert. Danach können nur solche Maßnahmen als mit der marktwirtschaftlichen Ordnung als konform angesehen werden, welche nicht direkt in den Marktprozess eingreifen und lediglich auf indirekte Weise die Daten verändern, welche die wirtschaftlichen Entscheidungen beeinflussen.

 

Zu den wirtschaftlichen Grundentscheidungen zählen die Festlegung der angebotenen und nachgefragten Gütermengen, deren Preise, der Produktionstechnik sowie des Standortes der Produktion. Eine wirtschaftspolitische Maßnahme gilt solange als marktkonform, als diese Entscheidungen bei den privaten Haushalten und Unternehmungen verbleiben; sie können zwar die Entscheidung der Privaten beeinflussen, aber die private Wirtschaftseinheit hat nach wie vor zu entscheiden, ob sie nach veränderter Situation das Angebot oder die Nachfrage aufrecht erhält.

 

Führt der Staat z. B. eine Umsatzsteuer ein, so trägt er zu einer Steigerung der Kosten bei und diese Kostensteigerung wird in aller Regel zu einer Veränderung im Angebot führen. Eine solche Datenänderung liegt auch dann vor, wenn der Staat bestimmte Alternativen ausschließt. So könnte eine Unternehmung ihren Gewinn auch durch betrügerische Verhaltensweisen oder durch einen monopolistischen Zusammenschluss mit den übrigen Marktpartnern erhöhen, der Staat verbietet jedoch diese Praktiken. Nicht das Verbot bestimmter Aktivitäten ist hierbei marktinkonform, solange der einzelne nicht zu einer konkreten Maßnahme gezwungen wird, solange also mehrere Alternativen bestehen bleiben, zwischen denen sich der einzelne nach wie vor frei entscheiden kann.

 

K. C. Thalheim hat nun dieses Kriterium kritisiert, da es zu sehr auf die qualitative Seite abhebe und die quantitativen Aspekte vernachlässige. Er schlägt stattdessen vor, zwischen systemnotwendigen, systemförderlichen, systemneutralen, systemschädigenden und systemzerstörenden Maßnahmen zu unterscheiden. Eine Monopolisierung der Banknotenschöpfung sei systemnotwendig, der Wettbewerb der Unternehmungen sei systemförderlich, die Erhebung einer Umsatzsteuer sei systemneutral, die Einführung von Prohibitivzöllen sei systemschädigend, eine galoppierende Inflation müsse schließlich als systemzerstörend angesehen werden.

 

B. Steinmann hat darüber hinaus Kritik daran geübt, dass die Marktkonformität bei Eucken lediglich an der Frage gemessen wird, inwieweit in den Marktprozess eingegriffen werde. Walter Eucken habe aber sieben konstituierende Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung formuliert und die Marktkonformität müsse daran gemessen werden, wieweit jedes dieser Prinzipien Beachtung finde. Die Einführung eines Prohibitivzolles sei zwar unmittelbarer kein Eingriff in den Preisprozess, sie verletze jedoch das Prinzip der Offenheit der Märkte und müsse deshalb ebenfalls als marktinkonform eingestuft werden.

 

Theodor Pütz hat schließlich versucht, das Kriterium der Marktkonformität weiter zu entwickeln. Ob eine bestimmte Maßnahme als marktkonform angesehen werden könne, hänge auch von den näheren Umständen ab. So würden zwar unter normalen Bedingungen staatliche Festlegungen von Preisen als marktinkonform eingestuft werden, dieselben Eingriffe könnten jedoch eine die Marktwirtschaft gefährdende Deflationsspirale von Preis- und Lohnsenkungen stoppen helfen und insoweit als marktkonform angesehen werden.

 

Es komme zweitens auch darauf an, in welchem Bereich eine Maßnahme eingesetzt werde, Monopolisierungen sind in der Regel marktschädigend, bei der Ausgabe von Banknoten jedoch für das Funktionieren der Marktwirtschaft unerlässlich.

 

Drittens schließlich entscheide auch das Ausmaß einer Maßnahme über die Konformität, geringfügige Ausweitungen der Geldmenge mögen den Prozess des Konjunkturaufschwungs fördern, eine Verdopplung der Geldmenge in kurzer Zeit würde jedoch die Volkswirtschaft aller Wahrscheinlichkeit nach ruinieren.

 

Das Kriterium der Marktkonformität hebt auf bestimmte Merkmale ab, die im Allgemeinen relativ leicht überprüft werden können. Es ist eine Frage der klassifikatorischen Zuordnung. Bei dem Kriterium der Sekundärwirkungen hingegen wurde auf Wirkungszusammenhänge abgehoben, welche nicht immer offen auf der Hand liegen und nur mit Hilfe einer Theorie überprüft werden können.

 

Nun müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass auch das Konformitätskriterium oftmals mit der Vorstellung verbunden wird, dass marktinkonforme Maßnahmen unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen und die Stabilität der Marktwirtschaft gefährden. So hat Walter Eucken die Hypothese aufgestellt, dass planwirtschaftliche Maßnahmen nicht auf einzelne Märkte beschränkt blieben, sondern weitere planwirtschaftliche Maßnahmen in anderen Bereichen nach sich zögen, mit der Folge, dass dieser Prozess schließlich zwangsläufig in einer totalen Zwangswirtschaft enden müsse.

 

Man kann nun bezweifeln, ob Mischsysteme in der Tat instabil sind und notwendigerweise in einer totalen Zwangswirtschaft enden, schließlich hat die Nachkriegswirtschaft in Deutschland als Mischsystem begonnen und allmählich wurden die planwirtschaftlichen Elemente abgebaut. Trotzdem zeigt die Erfahrung mit planwirtschaftlichen Eingriffen, dass eine Begrenzung dieser Maßnahmen auf einen einzelnen Markt nicht möglich ist. So führt z. B. eine künstliche Verknappung auf einem Markt zu einer Verknappung auch auf allen nachgelagerten Märkten. Komplementarität sowie Substituierbarkeit entscheiden hier darüber, wie stark die Ausweitung einzelner Marktinkonformitäten im Einzelnen sein wird.

 

 

6. Die politische Realisierbarkeit von Mitteln

 

Im Kapitel über die Ziele der Wirtschaftspolitik hatten wir die Frage nach der Realistik einzelner Ziele untersucht. In ähnlicher Weise kann auch im Hinblick auf politische Mittel die Frage gestellt werden, ob diese Mittel politisch überhaupt eingesetzt werden können. Die Verfassungen legen fest, welche politische Maßnahmen erlaubt und welche nicht erlaubt sind.

 

 

Zusammenfassung:

 

 

01. Im Rahmen der Mittelanalyse geht es erstens um die Frage nach der Konkretisierung des Instrumentes; nur wenn die Eigenschaften eines Mittels bekannt sind, kann auch die Brauchbarkeit dieses Instrumentes beurteilt werden.

 

02. Zweitens muss  mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass bisweilen den Mitteln - unabhängig von ihrer Eignung, bestimmte Ziele zu realisieren - ein positiver oder negativer Eigenwert zuerkannt wird. So wird oftmals ein Defizit im Staatshaushalt per se abgelehnt, unabhängig davon, welche Wirkungen von einem Defizit auf die wirtschaftspolitischen Ziele ausgehen.

 

03. Im Mittelpunkt der Mittelanalyse steht jedoch drittens die Frage, inwieweit sich ein Instrument im Vergleich zu konkurrierenden Instrumenten eignet, bestimmte Ziele zu realisieren.

 

04. Viertens können jedoch von Mitteln auch unbeabsichtigte Sekundärwirkungen auf andere politische Ziele ausgehen, so kann eine stabilitätspolitische Maßnahme u. U. verteilungspolitische Ziele beeinträchtigen.

 

05. Eine besondere Art von Sekundärwirkungen wird bei der Frage nach der Systemkonformität überprüft, hier geht es um die Frage, ob bestimmte Maßnahmen die jeweilige Ordnung gefährden.

 

06. Eine Problemlösung kann nur erwartet werden, wenn sich die Politiker über die eigentlichen Ursachen eines Problems klar werden und diese Ursachen zu bekämpfen versuchen. Es reicht nicht, einfach per Gesetz vorzuschreiben, wie sich die einzelnen Personen zu verhalten haben.

 

07. Eine Verschuldung des Staates bei seinen Bürgern darf nicht der Verschuldung eines Privathaushaltes gleichgesetzt werden. Die Verschuldung eines Privathaushaltes bezieht sich stets auf andere Wirtschaftssubjekte. Bei einer Verschuldung des Staates innerhalb einer Volksgemeinschaft verschuldet sich der Staat bei seinen Bürgern und da der Staat im Auftrag der Bevölkerung handelt, verschuldet er sich quasi bei sich selbst.

 

08. Eine Effizienzanalyse bezieht sich stets auf drei Tatbestände: auf das Ziel, das Mittel und den theoretischen Zusammenhang zwischen Ziel und Mittel. Man kann nun erstens das Ziel zur unbekannten Variablen erklären und fragen, welche Ziele denn mit einem bestimmten Mittel überhaupt erreicht werden können. Man kann zweitens das Mittel als unbekannte Größe ansehen und sich fragen, welche Eigenschaften denn ein Instrument aufweisen muss, um erfolgreich eingesetzt zu werden und man kann drittens die Theorie in Frage stellen, welche den Zusammenhang zwischen Ziel und Mittel zu klären versucht.

 

09. Im Rahmen einer komparativen Effizienzanalyse beschränkt man sich nicht auf die Frage, ob ein konkretes Instrument in der Lage ist, ein bestimmtes Ziel zu realisieren, sondern überprüft weiterhin, welches unter mehreren möglichen Mitteln das bestgeeignete Instrument darstellt.

 

10. Von einer dynamischen Effizienzanalyse spricht man dann, wenn man sich nicht darauf beschränkt, die Eignung eines Instrumentes als solche zu klären, sondern wenn man sich darüber hinaus klar wird, welche Zeitspanne denn vergeht, bis ein Mittel zum Erfolg führt.

 

11. Unter einem Crowding out versteht man die Gefahr, dass eine Maßnahme (z. B. ein Defizit im Staatsbudget) partiell betrachtet zwar zu dem erwünschten Effekt (Nachfragesteigerung) führt, dass aber per saldo trotzdem der Erfolg ausbleibt, weil diese Maßnahme an anderer Stelle (bei der privaten Nachfrage) zu einer Kompensation (hier zu einer Nachfrageminderung) führt.

 

12. Die Analyse der Sekundärwirkungen ist sehr viel schwieriger als die Effizienzanalyse, einmal deshalb, weil es keine Theorie gibt, welche darüber Auskunft gibt, welche anderen Zielgrößen negativ tangiert sein können, zum Andern aber auch deshalb, weil Sekundärwirkungen oftmals erst Jahre, ja sogar Jahrzehnte später eintreten.

 

 

Fragen zu Kapitel 4:

 

01. Nach welchen fünf Kriterien lassen sich wirtschaftspolitische Mittel beurteilen?

 

02. Warum ist es notwendig, zunächst nach den Eigenschaften eines Mittels zu fragen?

 

03. Sind alle Eigenschaften eines Instrumentes zur Beurteilung der Eignung eines Mittels von Bedeutung?

 

04. Inwiefern spielt die Verfassung eines Staates im Rahmen der Effizienzanalyse eine entscheidende Rolle?

 

05. Kann die Wissenschaft zu der Frage Stellung beziehen, ob einem Instrument ein Eigenwert zuerkannt wird?

 

06. Reicht bei der Beurteilung einer Maßnahme die Beschränkung auf eine absolute Effizienzanalyse aus?

 

07. Was versteht man unter einer kritischen Schwelle im Zusammenhang mit der Effizienzanalyse?

 

08. Gibt es auch Beispiele dafür, dass ein Mittel bei Überschreiten einer bestimmten Grenze in sein Gegenteil umschlägt?

 

09. Ist die Frage nach der Effizienz schwieriger bei Maßnahmen zu beantworten, welche erstmals eingeführt werden?

 

10. Welche Rolle spielen Vermeidungsmechanismen bei der Beurteilung einer Maßnahme?

 

11. Bringen Sie ein Beispiel dafür, dass Sekundärwirkungen oftmals erst viele Jahrzehnte nach Einführung einer Maßnahme sichtbar werden.

 

12. Wann spricht Walter Eucken von einer marktkonformen Instrument der Wirtschaftspolitik?

 

 

Antworten zu Kapitel 4:

 

01. Im Rahmen der Mittelanalyse ist erstens danach zu fragen, welche Eigenschaften dieses Mittel aufweist, zweitens ist zu überprüfen, ob ein Mittel um seiner selbst willen eingeführt oder abgelehnt wird, drittens ist die Effizienz dieser Maßnahme im Hinblick auf die angestrebten Ziele zu beurteilen. Weiterhin muss viertens geklärt werden, ob unerwünschte Nebenwirkungen auf andere Zielgrößen zu befürchten sind. Hierzu zählt fünftens insbesondere auch die Frage, inwieweit die diskutierte Maßnahme konform mit der bestehenden Wirtschaftsordnung geht.

 

02. Ob von einem wirtschaftspolitischen Instrument die erhofften Wirkungen ausgehen, hängt in erster Linie davon ab, welche Eigenschaften ein Mittel aufweist.

 

03. Es hängt von den Eigenschaften eines Instrumentes ab, ob sich dieses Mittel tatsächlich zur Lösung eines Problems eignet. Unter der Vielzahl der tatsächlichen Eigenschaften eines Mittels kommt es im Rahmen der Mittelanalyse nur auf die Eigenschaften an, von denen überhaupt Wirkungen auf die einzelnen Ziele ausgehen.

 

04. Die Verfassung legt fest, welche politischen Maßnahmen unter anderem auf keinen Fall ergriffen werden dürfen, auch dann nicht, wenn eigentlich damit zu rechnen wäre, dass diese Maßnahmen zum Erfolg führen. Wenn z. B. das Grundgesetz den Ländern und Gemeinden verbietet, ein Budgetdefizit zu realisieren, dann scheitert der Versuch, Vollbeschäftigung über defizitäre Staatsausgaben zu erreichen, an dem Verbot der Verfassung.

 

05. Der Eigenwert eines Mittels ergibt sich aus der politischen Bewertung und kann gerade deshalb im Rahmen einer Wissenschaft nicht endgültig geklärt werden. Sehr wohl kann der Wissenschaftler darauf hinweisen, dass die Erklärung eines Eigenwertes bisweilen zur Immunisierung gegenüber Kritik erfolgt.

 

06. die Beschränkung auf eine absolute Effizienzanalyse würde nur dann ausreichen, wenn nur ein einziges Mittel zur Lösung eines Problems bekannt wäre. Sind jedoch mehrere Mittel in der Diskussion bedarf es der Klärung, welches der effizienten Mittel die größte Erfolgschance hat.

 

07. Von einer kritischen Schwelle eines Instrumentes spricht man dann, wenn der Erfolg erst bei Überschreiten eines bestimmten Ausmaßes dieser Variablen zu erwarten ist.

 

08. Ja, wird z. B. der Zollsatz für Importgüter erhöht, um auf diese Weise die Zolleinnahmen zu erhöhen, so sinkt von einer kritischen Zollhöhe sogar die Summe der Zolleinnahmen. Der Grund liegt darin, dass bei einer Zollsatzerhöhung die Mehreinnahmen pro Stück teilweise dadurch kompensiert werden, dass aufgrund der Preiserhöhung weniger Güter importiert werden. Je nach Elastizität der Importnachfrageelastizität kann der partielle Rückgang der Zolleinnahmen größer ausfallen als die partielle Zunahme der Zolleinnahmen aufgrund eines höheren Zollsatz pro Stück.

 

09. Bei einer erstmaligen Einführung einer Maßnahme fehlen zumeist Erkenntnisse darüber, mit welchen Wirkungen überhaupt zu rechnen ist. Man kann also nicht auf Erfahrungen zurückgreifen.

 

10. Da politische Maßnahmen zumeist für einen Teil der Bevölkerung mit Nachteilen verbunden sind, muss immer mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass diese Bevölkerungsgruppen ihr Verhalten so ändert, dass diese Nachteile vermindert werden, dass aber gerade diese Reaktionen den Erfolg der Maßnahme in Zweifel ziehen. Versucht z. B. der Staat im Rahmen einer keynesianischen Politik der Bekämpfung der Inflation durch Steuererhöhungen die Konsumnachfrage zu drosseln und bemühen sich die Gewerkschaften die durch die Steuererhöhung zu erwartende Reduzierung in den Nettolohneinkommen durch Erhöhungen der Bruttolohnsätze zu kompensieren, wird gerade durch dieses Verhalten der Gewerkschaften die Effizienz der Steuererhöhungen gemindert.

 

11. Die Begradigung des Rheins, wurde in der Geschichte Deutschlands als großer Erfolg gefeiert, da Flüsse auf diese Weise befahren werden können. Erst sehr viel später – und zwar erst etwa hundert Jahre später – wurden die negativen Folgen dieser Begradigung sichtbar, die sich in vermehrten und stärkeren Überflutungen und hohen wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe niederschlugen.

 

12. Walter Eucken bezeichnet nur diejenigen Maßnahmen als marktkonform, welche die wirtschaftlichen Grundentscheidungen (vor allem Festlegung der Preise und Mengen) den privaten Marktpartnern überlassen. Nur auf diese Weise sei damit zu rechnen, dass die Preise auch wirklich den Knappheitsverhältnissen entsprechen und somit die Produktion am Bedarf der Konsumenten ausgerichtet wird.