Startseite

 

A L L G E M E I N E

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

 

V O N  B E R N H A R D  K Ü L P

 

 

 

Gliederung:

 

01. Betrachtungsweisen            

02. Methoden                              

03. Zielanalyse                            

04. Mittelanalyse                      

05. Trägeranalyse                        

06. Politische Ökonomie              

07. Wohlfahrtstheorie                

08. Ordnungsanalyse                  

09. Ordnungskonzeption           

10. Ordnungsdynamik       

 

Kapitel 7: Wohlfahrtstheorie Forts. 2

 

 

Gliederung:

 

1. Zwei Vorbemerkungen

2. Die Wertprämissen der Wohlfahrtstheorie

3. Die beiden Gossen’schen Gesetze

4. Wohlfahrtsmaximierung bei Einkommensgleichheit?

5. Die Paretianische Wohlfahrtstheorie

6. Die Kompensationskriterien

7. Das Rentenkonzept

8. Die Theorie des Zweitbesten

9. Die Bedeutung des Wettbewerbes für die Wohlfahrt

               10. Externe Effekte

               11. Die Cost-Benefit-Analyse

               12. Paretooptimale Redistribution

  

 

 

6. Die Kompensationskriterien

 

Wir haben oben bereits einen weiteren Einwand gegen das von Pareto entwickelte Kriterium gestreift, die Frage nämlich: Wie groß ist denn die Menge an politischen Maßnahmen, über die gesagt werden kann, dass sie zumindest einem Individuum Nutzen bringen, keinem Individuum aber schaden. In der Realität haben wir eigentlich fast immer (oder sogar ausnahmslos?) davon auszugehen, dass fast jede (oder sogar jede) Maßnahme zumindest einer kleinen Gruppe von Individuen Schaden verursacht. Also müsste das Pareto-Kriterium an der Realität scheitern, eine große Mehrheit von Personen könnte zwar dem Kriterium zustimmen, sofern Maßnahmen gefunden werden, welche diesem Kriterium genügen, aber es gibt in der Realität eben keine solche Maßnahme, die keinem Individuum Schaden verursacht.

 

Gerade um diese Schwäche des Pareto-Kriteriums zu überwinden, wurde im Rahmen der neueren Wohlfahrtstheorie eine Diskussion angefacht, wie man diese Schwäche überwinden könne, wie man das Pareto-Kriterium durch eine gewisse Umformulierung auf konkrete Maßnahmen anwenden könne, ohne die eigentliche Aussage dieses Kriteriums zu verlassen.

 

Diese Diskussion beginnt mit einem Vorschlag von Nicholas Kaldor und John Richard Hicks, man könne auch solche politische Maßnahmen eindeutig als wohlfahrtsteigernd ansehen, bei denen einige Individuen Nutzenentgänge erführen, sofern die Gewinner dieser Maßnahme in der Lage seien, die Verlierer voll zu entschädigen und trotzdem noch für die Gewinner ein Nettonutzengewinn übrig bliebe.

 

Um diesen Vorschlag zu verdeutlichen, wenden wir das Konzept der Nutzenmöglichkeitskurven an. Wir tragen auf der Abszisse den jeweiligen Nutzen des Individuums 2 (n2) und auf der Ordinate den Nutzen des Individuums 1 (n1) ab und zeichnen in dieses Diagramm die Nutzenmöglichkeitskurve ein, wobei diese Nutzenmöglichkeitskurve angibt, wie ein bestimmtes Güterbündel bei unterschiedlichen Aufteilungen den beiden Individuen unterschiedlichen Nutzen gewähren kann. Es wird unterstellt, dass diese Nutzenmöglichkeitskurve einen negativen Verlauf aufweise. In der unten stehenden Graphik haben wir der Einfachheit halber diese Kurve als Gerade eingezeichnet; an den Ergebnissen ändert sich nichts Entscheidendes, wenn wir diese Nutzenmöglichkeitskurve – wie dies in der Realität in der Regel der Fall sein dürfte – als gekrümmte Kurve einzeichnen.

 

Beschreibung: wohl13

 

 

Ausgangspunkt sei der Punkt 1 auf der bisher gültigen Nutzenmöglichkeitskurve w1. Es stünde eine politische Maßnahme zur Diskussion, aufgrund derer sich eine neue Nutzenmöglichkeitskurve w2 ergebe, wobei die hierdurch neu entstehende Nutzenverteilung dem Punkt 2 entspreche. Dieses Ergebnis widerspricht eindeutig dem Pareto-Kriterium, da Individuum 1 nun einen geringeren Nutzen als bisher erlangt. Durch Bewegung entlang der neuen Nutzenmöglichkeitskurve, d. h. durch Entschädigung des Verlierers (Person 1) kann jedoch eine neue Nutzenverteilung Punkt 3 erreicht werden, bei der beide Individuen einen höheren Nutzen als im Ausgangspunkt 1 erzielen.

 

Also kann diese Maßnahme nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium als wohlfahrtssteigernd eingestuft werden. Der Anwendungsbereich zur Bewertung politischer Maßnahmen ist gegenüber dem ursprünglichen Paretokriterium eindeutig ausgeweitet worden. Während unter der alleinigen Gültigkeit des Pareto-Kriteriums nahezu keine konkrete politische Maßnahme eindeutig bewertet werden konnte, gibt es nun zahlreiche Maßnahmen, die eine eindeutige Bewertung zulassen. Das schraffierte Feld in untenstehender Graphik zeigt den nun neuen Anwendungsbereich für politische Maßnahmen an.

 

 

Beschreibung: wohl19

 

 

Hätte allerdings die neue Nutzenmöglichkeitskurve einen flacheren Verlauf als die bisherige Kurve, wäre keine Kompensationsmöglichkeit gegeben, diese Maßnahme könnte auch nach Kaldor-Hicks nicht als wohlfahrtsteigernd eingestuft werden. Eine Bewegung entlang der neuen Nutzenmöglichkeitskurve führt zu keiner Lösung, es gibt auf dieser neuen Nutzenmöglichkeitskurve keinen Punkt, der beiden (allen) Individuen Nutzensteigerungen verspricht.

 

 

Beschreibung: wohl14

 

 

G. J. Stigler hat diesen Vorschlag kritisiert, da Kaldor und Hicks bereits dann von einer wohlfahrtssteigernden Maßnahme sprechen, wenn eine Kompensation zwar möglich ist, aber de facto nicht durchgeführt wird. Bei einer solchen Interpretation sei es möglich, dass durch eine politische Maßnahme das Einkommen der Reichen vergrößert, das der Armen jedoch verringert werde und dass diese Maßnahme als wohlfahrtssteigernd angesehen würde, obwohl eine durchaus mögliche Kompensation gar nicht durchgeführt würde, also die Ärmeren endgültig ärmer blieben.

 

Nun ist diese Kritik an Kaldor sicherlich so nicht berechtigt. Die Frage, ob eine durch eine Maßnahme eingetretene Veränderung in der Einkommensverteilung politisch erwünscht oder auch nicht erwünscht ist, diese Frage kann von der Wirtschaftstheorie nicht beantwortet werden, sie ist eine rein politische Bewertung. Der Wissenschaftler muss sich auf den Hinweis beschränken, dass eine Maßnahme dann als wohlfahrtssteigernd bezeichnet werden kann, wenn Veränderungen in der Einkommensverteilung korrigiert werden können, sofern diese Korrektur aus politischen Gründen geboten erscheint.

 

Es wurde in der Literatur  noch eine weitere Kritik am Kaldor-Hicks-Kriterium vorgebracht. Tibor de Scitovsky hat den Nachweis erbracht, dass das Kaldor-Hicks-Kriterium zu Widersprüchen führen kann; deshalb sei ein Doppeltest (Kaldor-Hicks + Scitovsky-Test) notwendig: Eine Maßnahme gilt nur dann als wohlfahrtssteigernd, wenn einerseits die Gewinner einer Maßnahme die Verlierer voll entschädigen können (Kaldor-Hicks-Test), andererseits es nicht möglich ist, dass eine Rücknahme der betreffenden Maßnahme ebenfalls nach Kaldor-Hicks als wohlfahrtssteigernd bezeichnet werden müsste (Scitovsky-Test).

 

Machen wir uns zunächst die Möglichkeit eines solchen Widerspruches anhand einer Graphik klar.

 

 

Beschreibung: wohl15

 

 

Ausgangspunkt sei die Nutzenmöglichkeitskurve w1 und der Punkt 1. Durch eine politische Maßnahme entstehe die neue Nutzenmöglichkeitskurve w2. Diese Maßnahme führe zu einer Nutzenverteilung, welche dem Punkt 2 entspreche. Hier ist es möglich durch Bewegung entlang der neuen Nutzenmöglichkeitskurve w2 einen Punkt 3 anzusteuern, bei dem sich beide Individuen besser als bisher (Punkt 1) stellen. Also entspricht diese Maßnahme dem Kaldor-Hicks-Kriterium.

 

Versuchen wir nun, diese Maßnahme rückgängig zu machen. Dies bedeutet, dass wir von der Nutzenmöglichkeitskurve w2 wiederum zur bisherigen Nutzenmöglichkeitskurve w1 und zu dem Ausgangspunkt 1 zurückkehren. Durch eine Bewegung entlang der jetzt wieder gültigen Nutzenmöglichkeitskurve w1 können wir eine neuen Punkt 4 ansteuern, der wiederum beide Personen besser stellt als im Zustand Punkt 2. Also entspricht auch das Rückgängigmachen dieser Maßnahme dem Kaldor-Hicks-Kriterium. Dies ist aber aus logischen Gründen nicht möglich.

 

Man kann nicht die Durchführung einer Maßnahme und ihr bisheriger Zustand als beide wohlfahrtssteigernd ansehen. Wenn die Durchführung einer Maßnahme als wohlfahrtssteigernd eingestuft wird, dann muss aus logischen Gründen der bisherige Zustand (das Rückgängigmachen dieser Maßnahme) notwendigerweise als wohlfahrtsmindernd bezeichnet werden. Also kann eine Maßnahme nach Scitovsky nur dann als wohlfahrtssteigernd eingestuft werden, wenn sie erstens dem Kaldor-Hicks-Kriterium entspricht und wenn zweitens das Rückgängigmachen dieser Maßnahme nicht auch als wohlfahrtsteigernd angesehen werden müsste.

 

Durch diesen Beitrag ist nun der Anwendungsbereich der Bewertung politischer Maßnahmen wiederum wesentlich eingeschränkt worden, da viele Maßnahmen zwar dem Kaldor-Hicks Kriterium genügen, den Scitovsky-Test jedoch nicht bestehen. Bei allen Maßnahmen, welche zu einer flacheren Nutzenmöglichkeitskurve als bisher führen, scheitert der Scitovsky-Test.

 

Ian Malcolm David Little übte nun auch Kritik am Wohlfahrtstest von Kaldor-Hicks und Scitovsky, da in diesem Test Veränderungen in der Verteilung unberücksichtigt blieben. Little schlägt deshalb hierbei ein mehrstufiges Auswahlkriterium vor: 

 

1. Ist das Kaldor-Hicks-Kriterium erfüllt?

2. Ist auch das Scitovsky-Kriterium erfüllt?

3. Ist die mit der Maßnahme verbundene Umverteilung erwünscht?

4. Ist eine Kompensation überhaupt möglich ?

 

Die dritte Frage könne nur politisch entschieden werden, wenn die Politiker die mit der beabsichtigten Maßnahme verbundene Veränderung in der Verteilung gut heißen, dann kann jede Maßnahme, die dem Doppeltest von Kaldor-Hicks und Scitovsky genügt, als wohlfahrtsteigernd bezeichnet werden. Wenn jedoch diese Veränderung in der Verteilung von den Politikern als unerwünscht angesehen wird, muss von Seiten der Wissenschaft überprüft werden, ob die notwendige Kompensation politisch überhaupt durchgeführt werden könne. Die Nutzenmöglichkeitskurve gibt nämlich nur an, ob eine solche Kompensation technisch durchgeführt werden könne, sie sage nichts darüber aus, ob eine solche Kompensation politisch opportun sei und deshalb auch tatsächlich durchgeführt werden könne. Aber nur in diesem Falle könne man bei zunächst unerwünschten Veränderungen in der Verteilung die Maßnahme letztendlich als wohlfahrtssteigernd einstufen.

 

Bei diesen vier Kriterien, welche jeweils erfüllt oder nicht erfüllt sein können, lassen sich in einer Kasuistik 16 Fälle unterscheiden, wobei es Fälle gibt, bei denen eindeutig eine Wohlfahrtssteigerung bejaht oder verneint werden kann, aber auch solche Fälle geben kann, bei denen keine eindeutige Entscheidung möglich ist.

 

Greifen wir als erstes Beispiel einen Fall heraus, bei dem sowohl das Kaldor-Hicks-Kriterium erfüllt ist als auch der Scitovsky-Test zu keinen Widersprüchen führt, aber die Veränderung in der Nutzenverteilung als unerwünscht angesehen wird, trotzdem aber keine Chance zur Kompensation bestehe. Folgende Graphik entspreche diesem Fall:

 

 

Beschreibung: wohl16

 

 

Punkt 1 auf der Nutzenmöglichkeitskurve w1 entspreche dem Ausgangszustand. Die beabsichtigte Maßnahme führe zu der neuen Nutzenmöglichkeitskurve w2 und der Nutzenverteilung des Punktes 2. Die dem Punkt 2 entsprechende neue Lösung sei verteilungspolitisch unerwünscht. Punkt 3 und Punkt 4 stellten technisch mögliche, aber politisch nicht realisierbare Lösungen dar. Punkt 2 führe also zu einer unerwünschten Umverteilung, ist also aus diesem Grunde wohlfahrtsmindernd; auf der anderen Seite sei jedoch die Lösung des Punktes zwei eindeutig der Lösung des Punktes 4 überlegen, also partiell wohlfahrtssteigernd. Es gibt hier nach Meinung von Little keine Möglichkeit zu entscheiden, ob die geplante Maßnahme die Wohlfahrt steigert oder nicht, da die partiellen Wohlfahrtsänderungen nicht miteinander verglichen werden können.

 

Betrachten wir nun einen zweiten Fall, bei dem das Kaldor-Hicks-Kriterium nicht erfüllt ist, der Scitovsky-Test zu keinen Widersprüchen führt, die erfolgte Veränderung in der Nutzenverteilung unerwünscht ist und auch nicht durch Kompensationszahlungen korrigiert werden kann. Folgende Graphik verdeutlicht die Situation:

 

 

Beschreibung: wohl17

 

 

In diesem Falle kann eine Wohlfahrtssteigerung eindeutig verneint werden. Auf der einen Seite ist Lösung 4 eindeutig der Lösung 1 (dem Ausgangspunkt) unterlegen; Lösung 1 bietet ja für beide Personen einen höheren Nutzen. Auf der anderen Seite ist jedoch Lösung 2 der Lösung 4 aus verteilungspolitischen Gründen unterlegen. Es gilt also W(2) < W(4) < W(1), wobei W(n) jeweils die Wohlfahrt der Lösung n anzeigt. Folglich ist auch W(2) der Lösung W(1) unterlegen.

 

Bringen wir schließlich ein drittes Beispiel, bei dem eine Wohlfahrtssteigerung eindeutig bejaht werden kann. Das Kaldor-Hicks-Kriterium sei erfüllt, der Scitovsky-Test führe zu Widersprüchen, die eingetretene Umverteilung sei nicht erwünscht, aber es sei eine Kompensation auch politisch möglich. Wiederum sei diese Situation anhand folgender Graphik verdeutlicht:

 

 

Beschreibung: wohl18

 

 

Die politische Maßnahme führe zunächst zu Punkt 2, der jedoch aus verteilungspolitischen Gründen politisch unerwünscht ist. Da aber eine Kompensation nach Punkt 3 auch politisch möglich ist und dieser Punkt 3 dem Ausgangspunkt 1 eindeutig überlegen ist, lässt sich diese Maßnahme unter diesen Bedingungen eindeutig als wohlfahrtsteigernd einstufen.

 

Der Vorteil der Little-Kriterien liegt darin, dass nun der Anwendungsbereich der politischen Maßnahmen, für die eine eindeutige Bewertung möglich ist, gegenüber dem Doppeltest von Kaldor-Hicks und Scitovsky wiederum vergrößert wurde. Es konnte in dem zuletzt gebrachten Beispiel eine eindeutige Bewertung durchgeführt werden, obwohl der Scitovsky-Test nicht bestanden wurde, es sind nun auch Fälle beurteilbar, die keine Kompensation ermöglichen.

 

S. K. Nath hat übrigens nachgewiesen, dass durch den Scitovsky-Test oder durch das Little-Kriterium nicht alle denkbaren Widersprüche beseitigt werden konnten. Sobald man nämlich die Vorteilhaftigkeit einer Lösung am Egalitätsprinzip (an der Nähe zur Egalität) messe, käme man zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nach dem, von welcher Nutzenverteilung man ausgehe. Auf diese Erweiterung soll allerdings hier nicht näher eingegangen werden.

 

Wir wollen uns vielmehr abschließend mit einer weiteren Einengung des Anwendungsbereiches befassen, welche Paul A. Samuelson vorgeschlagen hatte. Im Zusammenhange mit dem Scitovsky-Test werden wie gezeigt jeweils zwei Lösungspaare miteinander verglichen: der Ausgangspunkt (P1) mit der Lösung, welche aufgrund einer Kompensation erreicht wird  (P3), sowie – beim Rückgängigmachen der Maßnahme – die Lösung (P2) mit der Lösung (P4). Man akzeptiert also, dass man auf der Grundlage unterschiedlicher Nutzenverteilungen Bewertungen vornimmt.

 

Wenn man aber schon von zwei verschiedenen Nutzenverteilungen aus argumentiert, warum – so fragt Samuelson – ist man nicht bereit, alle möglichen Nutzenverteilungen zugrunde zu legen und zu fragen, ob es nicht politische Maßnahmen gibt, welche unter allen möglichen Nutzenverteilungen als wohlfahrtssteigernd eingestuft werden können. Eine solche Lösung setzt allerdings voraus, dass sich die ursprüngliche und die durch die politische Maßnahme entstehende Nutzenmöglichkeitskurve in keinem Punkt schneiden.

 

Eine solche Vorgehensweise hätte den Vorteil, dass eine Entscheidung, ob eine politische Maßnahme zu einer Wohlfahrtssteigerung führt, ohne zu Hilfenahme politischer Bewertungen getroffen werden könnte. Anderseits hat eine solche Lösung den Nachteil, dass der Anwendungsbereich dieses Wohlfahrtskriteriums fast wiederum auf das Niveau des ursprünglichen Pareto-Kriteriums zusammenschrumpft.

 

Eine ähnliche Einschränkung des Anwendungsbereiches brachte W. M. Gorman, der davon ausgeht, dass auch bei Hinzuziehung des Scitovsky-Testes immer noch Widersprüche auftauchen können, wenn man mehr als zwei Maßnahmen diskutiert. Folgende Graphik soll diesen Gedankengang einsichtig machen:

 

 

Beschreibung: wohl20

 

 

Man gehe von der Lösung (P1) aus, gehe dann durch politische Maßnahmen zunächst zur Lösung (P2), dann (P3) und schließlich (P4). Nach Kaldor-Hicks und Scitovsky gilt folgende Rangfolge der einzelnen Lösungen: W(1) < W(2) < W(3) < W(4), trotzdem ist der erneute Übergang zu W(1) der Lösung (4) überlegen, was wiederum einen logischen Widerspruch zur ersten Rangfolge darstellt. Auch hier gilt, dass nur dann mit absoluter Sicherheit von einer widerspruchsfreien Bewertung gesprochen werden kann, wenn keine Nutzenmöglichkeitskurven eine andere schneidet; dies war aber schon das Ergebnis der Überlegungen von Samuelson.

 

 

7. Das Rentenkonzept

 

Alfred Marshall hat mit dem Rentenkonzept ein weiteres Instrument zur Bewertung aktueller Zustände sowie politischer Maßnahmen entwickelt. Dieses Instrument unterscheidet sich von den bisher behandelten Wohlfahrtskriterien einmal darin, dass die Wohlfahrt nicht in Nutzeneinheiten, sondern in Geldgrößen gemessen wird und somit sehr viel leichter als Nutzengrößen anzuwenden ist. Zum andern bezieht sich das Rentenkonzept allerdings nur auf Einzelmärkte und kann nicht wie die Wahlhandlungstheorie auf die gesamte Volkswirtschaft übertragen werden.

 

Ausgangspunkt der Marshall’schen Überlegungen ist ein Diagramm, auf dessen Abszisse die Gütermenge und auf dessen Ordinate der Güterpreis sowie die Grenzkosten und Grenznutzen abgetragen werden. Wir tragen in dieses Diagramm zunächst eine normal verlaufende Angebotskurve ein. Sie lässt sich bekanntlich aus dem Verlauf der Grenzkostenkurve ableiten. Wir unterstellen, dass die Unternehmer bestrebt sind, ihren Gewinn zu maximieren, aber keinen unmittelbaren Einfluss auf den Güterpreis haben, sich also wie Mengenanpasser verhalten.

 

Die Angebotskurve soll dann angeben, bei welcher Angebotsmenge die Unternehmer ihren Gewinn maximieren. Wir gehen von einer beliebigen Angebotsmenge aus und fragen uns, ob es sich für die Unternehmung lohnt, das Angebot auszuweiten. Es lohnt sich solange, als der Erlös der zuletzt verkauften Gütereinheit (der Grenzerlös) – und dies ist bei Konkurrenz der Güterpreis – größer ist als die Kostenzuwächse der zuletzt produzierten Gütereinheit (die Grenzkosten). Der Gewinn ist also genau dann maximiert, wenn Grenzkosten und Preis zusammenfallen. Die Angebotskurve fällt dann (allerdings nur unter der Annahme, dass die Grenzkosten mit wachsender Produktion ansteigen) mit der Grenzkostenkurve zusammen. Der Schnittpunkt der Grenzkostenkurve mit der Ordinate misst hierbei die Höhe der Fixkosten (KF).

 

Wir können nun für jeden vorgegebenen Preis die Höhe des Unternehmergewinnes bestimmen. Der Gewinn ist definiert als die Differenz zwischen Verkaufserlösen und Gesamtkosten der Produktion. Wir können nun die Größe des Gewinnes in unten stehendem Diagramm ablesen:

 

 

Beschreibung: wohl21

 

 

Die rot eingezeichnete Linie stellt die Angebotskurve, die rot dargestellte Fläche gibt hierbei an, welchen Gewinn die Unternehmung bei einem von außen vorgegebenen Preis p0 erzielen. Der gesamte Verkaufserlös entspricht der Fläche (p0, 0, x0, a’), die Gesamtkosten der Fläche (KF, 0, x0, a’); die Differenz zwischen Erlös und Kosten ergibt schließlich den Gewinn, die Fläche (p0, KF, a’). Dieser Gewinn wird nun von Marshall als Produzentenrente bezeichnet, der Ausdruck Rente wird hier im Sinne eines Überschusses (der Erlöse über die Kosten) verstanden.

 

Wir zeichnen nun in unser Diagramm die Nachfragekurve ein, welche angibt, welche Gütermenge bei alternativen Preisen nachgefragt wird. Die Angebotskurve hat einen positiven, die Nachfragekurve hingegen einen negativen Verlauf; man unterstellt, dass ein steigender Preis zu einer Abnahme in der Nachfrage führt. In Analogie zur Angebotskurve können wir nämlich die Nachfragekurve aus dem Verlauf der Grenznutzenkurve ableiten. Der Grenznutzen eines Gutes sinkt bekanntlich mit wachsender Konsummenge.

 

Wenn wir unterstellen, dass der Haushalt mit seiner Konsumgüternachfrage seinen Nutzen zu maximieren versucht, so wird er seine Konsumnachfrage solange ausdehnen, bis keine Nutzensteigerungen mehr erwartet werden können. Gehen wir von einer beliebigen Konsumgütermenge aus und fragen, welche Nutzenänderungen zu erwarten sind, wenn der Haushalt eine Gütereinheit mehr nachfragt. Er hat auf der einen Seite den Güterpreis zu zahlen (um diesen Betrag sinkt also der Nutzen), auf der anderen Seite erfährt er einen Nutzenzuwachs in Höhe des von der Gütermenge abhängigen Grenznutzens.

 

Solange dieser Grenznutzen höher ist als der Nutzenentgang, der ihm dadurch entsteht, dass er einen Preis entrichten muss, dass er deshalb für diese Einkommensteile keine anderen Güter kaufen kann und dass ihm insofern Nutzen entgeht, steigt der Gesamtnutzen. Das Nutzenmaximum ist also genau dann erreicht, wenn Preis und Grenznutzen zusammenfallen und dies bedeutet, dass der Schnittpunkt der Preisgeraden mit der Grenznutzenkurve (Nachfragekurve) die Gütermenge ergibt, welche dem Haushalt ein Nutzenmaximum gewährt.

 

Wir können nun die (blaue) Fläche, welche die Preisgerade mit der Nachfragekurve bildet, als Konsumentenrente bezeichnen; diese gibt an, welchen Gesamtnutzen der Haushalt bei einem bestimmten Preis p0 erzielt. Diese Fläche stellt den Geldbetrag dar, den der Haushalt maximal bezahlen könnte, bei dem gerade kein Zusatznutzen entstehen würde.

 

 

Beschreibung: wohl22

 

 

 

Die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente ergibt dann den Gesamtnutzen der Marktteilnehmer aus der Produktion und dem Konsum des jeweiligen Gutes.

 

Dieses Rentenkonzept kann nun angewandt werden, um festzustellen, wie sich eine bestimmte politische Maßnahme auf die Wohlfahrt der Gesamtgesellschaft auswirkt. Unterstellen wir, der Staat plane die Einführung einer Verbrauchssteuer, welche die Unternehmungen an den Staat zu zahlen haben. Die Grenzkostenkurve und mit ihr die Angebotskurve wird dann um den Steuerbetrag parallel nach oben verschoben, wenn wir unterstellen, dass der Unternehmer für jede abgesetzte Gütermenge einen bestimmten absoluten Betrag (t) als Steuer an den Staat abführen muss. Wie verändert nun diese Maßnahme die Gesamtwohlfahrt? Betrachten wir hierzu folgende Graphik:

 

 

Beschreibung: wohl23

 

 

Die Einführung der Umsatzsteuer bewirkt nun einen Rückgang der Konsumentenrente, welcher der hellblauen Fläche entspricht (die verbleibende Konsumentenrente wird durch die dunkelblaue Fläche bestimmt), weiterhin auch einen Rückgang in der Produzentenrente (= hellrote Fläche, die verbleibende Produzentenrente ist nun dunkelrot eingezeichnet). Allerdings erhält der Staat Steuereinnahmen entsprechend der golden umrahmten, durchsichtigen Fläche. Die Graphik lässt erkennen, dass per saldo eine Minderung der Gesamtwohlfahrt entsteht, welche den beiden dreieckigen Flächen (1, 2, a’) und (2, 3, a’) entspricht und als Harberger Dreieck zu Ehren von Arnold C. Harberger, welcher diese Wohlfahrtsminderung als erster beschrieben hat, bezeichnet wird.

 

Gegen das Rentenkonzept wurden mehrere Kritikpunkte eingewandt. So hat Ezra J. Mishan den Vorwurf der Doppelzählung erhoben, wenn man den Nutzen des Produzenten zu dem des Konsumenten addiert, obwohl der Produzentennutzen lediglich abgeleitet sei. Mishan hält es jedoch für möglich, den Nutzen, den der einzelne auf den Gütermärkten erfährt, von dem Nutzen zu trennen, den der einzelne auf den Faktormärkten erhält.

 

Wir haben davon auszugehen, dass ein Haushalt nicht nur in seiner Eigenschaft als Konsument, sondern auch als Anbieter von Produktionsfaktoren wie z. B. Arbeit Nutzen erfährt. Genauso wie bei der Berechnung der Konsumentenrente der Nutzenzuwachs des zusätzlich gekauften Gutes mit dem Nutzenentgang verglichen wird, welcher dadurch entsteht, dass die Kaufsumme nicht für ein anderes Gut ausgegeben werden kann, genauso hat der Haushalt dann, wenn er z. B. eine Stunde mehr Arbeit anbietet, den Nutzengewinn aus dem zusätzlichen Einkommen mit dem Nutzenentgang aufgrund verminderter Freizeit zu vergleichen. Also entstehen auch aus dem Angebot an Produktionsfaktoren zusätzliche Renten.

 

Eine zweite Kritik gegen das Rentenkonzept bezieht sich auf den Umstand, dass die aufgezeigten Wohlfahrtsgewinne immer unter der ceteris paribus Bedingung entwickelt wurden, dass nämlich alle sonstigen Märkte von Transaktionen auf dem betrachteten Markt unberührt bleiben. Diese Annahme ist im Allgemeinen nicht möglich. Man kann allerdings davon sprechen, dass bei minimalen Änderungen auf dem einen Markt die dadurch ausgelösten Veränderungen auf den übrigen Märkten so minimal sind, dass sie vernachlässigt werden können.

 

 

Fortsetzung folgt!