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A L L G E M E I N E

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

 

V O N  B E R N H A R D  K Ü L P

 

 

 

Gliederung:

 

01. Betrachtungsweisen            

02. Methoden                              

03. Zielanalyse                            

04. Mittelanalyse                      

05. Trägeranalyse                        

06. Politische Ökonomie              

07. Wohlfahrtstheorie                

08. Ordnungsanalyse                  

09. Ordnungskonzeption           

10. Ordnungsdynamik       

 

Kapitel 8: Ordnungsanalyse Teil I

 

 

Gliederung:

 

1. Einführung in die Problematik

2. Merkmale der einzelnen Ordnungstypen

3. Die Unterscheidung verschiedener Ordnungssysteme

4. Die Zieleignung der einzelnen Ordnungstypen

5. Zur Pathologie der Ordnungstypen

 

 

 

1. Einführung in die Problematik

 

Die primäre Aufgabe eines Ordnungssystems liegt in der Koordination von Einzelentscheidungen. Einer Koordination bedarf es über all dort, wo mehrere Individuen eine Gemeinschaft bilden. Dies gilt zunächst für marktwirtschaftliche Systeme, in denen die einzelnen Unternehmungen und Haushalte selbst darüber befinden, wie sie ihre materiellen Ressourcen einsetzen. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass die einzelnen Pläne einer gegenseitigen Abstimmung bedürfen.

 

Einer Koordination bedarf es aber auch in einer staatlichen Planwirtschaft. Zwar sollen hier die wirtschaftlichen Entscheidungen von einem zentralen Plan des Staates ausgehen. Eine Koordination ist jedoch auch hier aus zweierlei Gründen notwendig. Auf der einen Seite überstiege es die Fähigkeiten eines sonst allmächtigen Diktators, wollte er alle anstehenden wirtschaftlichen Entscheidungen einer Volkswirtschaft, die sich aus mehr als einer Hand voll Bürgern zusammensetzt, allein treffen. Er bedarf hierzu einer Bürokratie, welche aus einer Vielzahl von Bürokraten besteht und deren Umfang um so größer ist, je größer die Volkswirtschaft ist, für die ein zentraler Plan aufgestellt werden soll.

 

Eine Bürokratie besteht hierbei aus einer Vielzahl von über- und untergeordneten Instanzen, selbst die zentrale Instanz wird aus mehreren Personen gebildet, der Diktator, welcher das Gemeinwesens leitet, steht lediglich u. U. dieser Bürokratie vor.

 

Eine Koordination ist in einer staatlichen Planwirtschaft aber im Allgemeinen auch deshalb notwendig, weil auch in einer sehr straffen Planwirtschaft den einzelnen Bürgern bestimmte Freiheitsrechte zugestanden werden müssen, die selbst wiederum einer Koordination bedürfen. Nur in einer idealtypischen Form einer staatlichen Zentralverwaltungswirtschaft werden restlos alle anstehenden Entscheidungen der Zentrale übertragen und sind die einzelnen Betriebe und Haushalte nur Befehlsempfänger der Zentrale.

 

Es gibt vor allem zwei Gründe, weshalb Einzelentscheidungen koordiniert werden müssen. Ein erster Grund für einen Koordinationsbedarf liegt darin begründet, dass von fast allen Entscheidungen eines Individuums externe, vor allem negative Effekte ausgehen, welche einen Interessenkonflikt auslösen. Auf der einen Seite sind die materiellen Ressourcen knapp und dies bedeutet, dass in dem Maße, in dem sich das eine Individuum einen größeren Teil der Ressourcen aneignet, für die übrigen Individuen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite gehen von den Aktivitäten eines Individuums oftmals unmittelbare Wirkungen auf das Interessenfeld der anderen Individuen aus, so z. B. wenn die Bebauung und Nutzung eines Individuums für den Besitzer eines Nachbargrundstücks zahlreiche Belästigungen wie Lärm, Aussichtsbehinderung etc. mit sich bringt.

 

Ein zweiter Grund dafür, dass die Aktivitäten der einzelnen Individuen koordiniert werden müssen, liegt darin, dass die wirtschaftlichen Aufgaben in einer modernen Gesellschaft zu einem großen Teil arbeitsteilig angegangen werden. Im Allgemeinen produzieren die Haushalte ihren Bedarf an wirtschaftlichen Gütern nicht selbst; es werden vielmehr Unternehmungen gebildet, in denen einzelne Güter gemeinsam produziert werden.

 

Gleichzeitig spezialisieren sich die einzelnen Unternehmungen und Haushalte auf ganz spezifische Tätigkeiten und Güter, der eine produziert das eine Gut, der andere ein anderes. Durch diese Spezialisierung und Arbeitsteilung steigt die Produktivität enorm an und allen Individuen stehen im Durchschnitt wesentlich mehr Güter zur Verfügung, als wenn jeder den Versuch unternehmen würde, seinen Eigenbedarf für sich selbst und allein zu produzieren.

 

Eine solche arbeitsteilige Produktion bedarf jedoch vielfältiger Abstimmungen. Auf der einen Seite müssen die einzelnen Tätigkeiten innerhalb einer Unternehmung auf einander abgestimmt werden. Auf der anderen Seite ist der einzelne zu einer solchen Spezialisierung nur dann bereit, wenn er fest damit rechnen kann, dass er im Austausch mit den von ihm selbst produzierten Gütern alle anderen Güter seines Bedarfes erwerben kann.

 

Eine wirtschaftliche Ordnung legt fest, welche Ziele im Einzelnen verfolgt werden, mit welchen Mitteln diese Ziele angegangen werden und welchen Trägern bestimmte Aufgaben zugewiesen werden. Die einzelnen Ordnungssysteme unterscheiden sich in der Beantwortung jeder dieser drei Grundfragen.

 

Ein marktwirtschaftliches System zeichnet sich vor allem darin aus, dass es im Grundsatz jedem einzelnen Haushalt und jeder Unternehmung frei steht, wie er bzw. sie seine bzw. ihre Ressourcen verwendet. In einer staatlichen Planwirtschaft hingegen wird die Verwendung der Ressourcen von Seiten des Staates bestimmt.

 

 

2. Merkmale der einzelnen Ordnungstypen

 

Die Koordination von Einzelentscheidungen erfolgt in der Regel einmal dadurch, dass die einzelnen Individuen Informationen erhalten, welche notwendig sind, um die wechselseitige Anpassung der Planungsträger vorzunehmen; zum andern erfolgen Anreize einschließlich Sanktionen, die sicher stellen, dass sich die einzelnen auch entsprechend dieser Informationen verhalten.

 

Ein Unternehmer braucht erstens Informationen darüber, wie groß die Nachfrage nach den von ihm produzierten Gütern bei alternativen Preisen ist, welche Güterqualitäten die Verbraucher nachfragen, wie groß die Zahl der Konkurrenten ist, die dieses Gut oder verwandte Güter ebenfalls produzieren, zu welchen Preisen die im Wettbewerb stehenden Unternehmer diese Güter anbieten usw. usf.

 

Damit aber der Unternehmer diesen Informationen entsprechend handelt, muss gewährleistet sein, dass der Unternehmer genau dann seinen Gewinn maximiert, wenn er seine Produktion an den Wünschen der Verbraucher ausrichtet und dass eine Produktionsausrichtung, welche diese Bedürfnissen unberücksichtigt lässt, mit Verlusten bestraft wird. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass genau diese Anreize von einem vollständigen Wettbewerb der Unternehmer ausgehen.

 

Informationen lassen sich nun erstens danach unterscheiden, ob sie normativer oder explikativer Natur sind. Normative Informationen liegen vor, wenn den einzelnen Beteiligten mitgeteilt wird, wie sie sich zu verhalten haben. So erhält z. B. ein Betriebsleiter in einer staatlichen Planwirtschaft von seiner übergeordneten Behörde Anweisungen darüber, welche Güter und in welchen Mengen er diese zu produzieren hat.

 

Informationen ganz anderer Art liegen vor, wenn ein Unternehmer in einer Marktwirtschaft in Erfahrung bringt, welche Güter und in welchen Mengen er gegebenenfalls bei bestimmten alternativen Preisen absetzen kann. Diese Informationen unterscheiden sich nicht nur darin, dass hier keine Anweisungen erteilt werden, sondern dass nur über Möglichkeiten unterrichtet wird, dass keine Anweisungen an die Betroffenen herangetragen werden. Explikative Informationen werden in der Regel aus Eigeninitiative erworben.

 

Ein zweites Unterscheidungsmerkmal möglicher Informationen liegt in der möglichen Bündelung der Informationen. Eine Information kann nur schwach gebündelt erfolgen; es werden hier die notwendigen Schritte einzeln aufgezählt und umschrieben. Auf der anderen Seite kann die Bündelung so stark sein, dass die Information nur noch in einem Symbol besteht, dass die Mitteilung dieses Symbols ausreicht, um dem Adressaten die notwendigen Informationen mitzuteilen.

 

Eine starke Bündelung der Informationen erfolgt z. B. in einem Geldsystem im Vergleich zur reinen Tauschwirtschaft. Im Rahmen eines Geldsystems werden alle Güter in Preisen bewertet, die Angabe der Preise reicht aus, um eine eindeutige Rangordnung der einzelnen Güter vorzunehmen. In einer Marktwirtschaft lassen sich die meisten entscheidungsrelevanten Informationen in Geldgrößen bewerten.

 

In ähnlicher Weise arbeiten auch demokratische Wahlsysteme mit einer starken Bündelung. Die einzelnen Parteien mögen sich noch so sehr nach den unterschiedlichsten Kriterien unterscheiden, am Ende entscheidet allein die Anzahl der Wahlstimmen darüber, wer als Sieger aus den Wahlen hervorgeht. Alle politisch relevanten Einflussfaktoren lassen sich also auch hier schließlich in Stimmenverhältnissen ausdrücken.

 

Das bürokratische System zeichnet sich demgegenüber durch eine sehr schwache Bündelung der Informationen aus. In zahlreichen Gesetzen und Verordnungen wird festgelegt und genau umschrieben, wie sich die Untergebenen zu verhalten haben. In ähnlicher Weise arbeitet auch ein Verhandlungssystem mit einer großen Menge an Informationen. Um zu erfahren, welche Verhandlungsposition eine Gewerkschaft gegenüber den Arbeitgebern erreicht hat, bedarf es zahlreicher Informationen, eine einzelne Bezugsgröße reicht im Allgemeinen nicht aus, um die Verhandlungsführer mit ausreichend Informationen zu versorgen.

 

Ein gewerkschaftlicher Verhandlungsführer muss z. B. über die Produktivität der Arbeitskräfte, über die Gewinnlage der Unternehmer, über die Verbindlichkeit der Aufträge und über die materiellen Folgen für den Fall, dass wegen eines Streiks die Waren nicht rechtzeitig ausgeliefert werden können, unterrichtet sein, um Entscheidungen über Lohnforderungen und Drohung mit Streik sachgerecht zu entscheiden.

 

Verbinden wir beide Unterscheidungsmerkmale (starke / schwache Bündelung, normativ / explikativ) miteinander erhalten wir vier unterschiedliche Arten der Informationsgewinnung:

 

Die Informationen eines Ordnungssystems können erstens stark gebündelt und normativer Natur sein. Ein wichtiges Beispiel für diese erste Art der Informationsgewinnung sind die Verkehrsampeln. Das System der Verkehrsampeln regelt die Vorfahrt an Straßenkreuzungen lediglich über die Farben: rot, gelb und grün. Weiterer Informationen bedarf es nicht, um eindeutig zu bestimmen, wer gerade Vorfahrt hat und wer anhalten muss.

 

Informationen können zweitens stark gebündelt und explikativer Natur sein. Eine solche Informationsart liegt wie bereits erwähnt in der Geldwirtschaft, aber auch im Wahlsystem vor. Der Preis bestimmt, welche Ware gekauft wird, genauso wie die Stimmenverhältnisse darüber entscheiden, wer in einer Demokratie die Macht erhält.

 

Drittens kennen wir normative Informationssysteme mit einer schwachen Bündelung. Jedes Gesetz und jede Verordnung entspricht diesem Informationstyp. Eine Verordnung z. B. regelt sehr ausführlich, was bestimmte Individuen zu tun und zu lassen haben.

 

Viertens schließlich kennen wir den Informationstyp, welcher nur schwach bündelt und explikativer Natur ist. Wir erwähnten bereits als Beispiel die Verhandlungen der Tarifpartner; hier wird eine ganze Anzahl von Informationen zwischen den Verhandlungspartnern ausgetauscht.

 

Wenden wir uns dem zweiten Merkmal einer Koordination: den Anreizen zu. Hier können wir erstens zwischen positiven und negativen Anreizen unterscheiden. Positive Anreize zeichnen sich dadurch aus, dass sie die erwünschten Aktivitäten belohnen, negative Anreize hingegen, dass sie Handlungen, welche unerwünscht sind, sanktionieren (bestrafen). Ein positiver Anreiz wäre z. B. eine Prämie, ein negativer Anreiz ein Bußgeld.

 

Zweitens können wir die Anreize danach unterscheiden, welche seelische Instanz sie ansprechen, wobei das materielle Interesse, das Gewissen oder das Ansehen in der Gemeinschaft angesprochen werden können. Kombinieren wir diese beiden Eigenschaften erhalten wir insgesamt sechs mögliche Typen eines Anreizes.

 

Ein Anreiz kann sich erstens an das materielle Interesse richten und positiver Natur sein: Jede Preissenkung stellt für den Käufer einen Anreiz dar, von dem betreffenden Gut mehr nachzufragen, genauso wie Preiserhöhungen den Verkäufern einen Anreiz geben, mehr von diesem Gut zu produzieren und anzubieten.

 

Preisvariationen stellen jedoch zweitens gleichzeitig materielle negative Anreize dar. Dieselbe Preissenkung, welche dem Käufer einen positiven Anreiz gewährt, veranlasst den Produzenten, von diesem Gut weniger zu produzieren; und die gleiche Preissteigerung, welche den Produzenten dazu animiert, von einem Gut mehr zu produzieren, veranlasst den Käufer dieser Ware, weniger nachzufragen.

 

Nehmen wir drittens den Fall eines positiven Anreizes, der das soziale Ansehen fördern soll. Ein Beispiel hierfür wäre ein Orden, welcher einem Bürger dafür verliehen wird, dass er sich für die Gemeinschaft eingesetzt hat, die Ordensverleihungen geben den Bürgern einen Anreiz, mehr für die Gemeinschaft zu tun.

 

Eine öffentliche Diffamierung stellt viertens ein negativer Anreiz dar, welcher das soziale Ansehen des Diffamierten anspricht: Durch die Diffamierung werden einzelne Bürger dafür bestraft, dass sie ein nicht erwünschtes Verhalten gezeigt haben. Sie sollen auf diese Weise von den unerwünschten Verhaltensweisen (z. B. vom Drogenkonsum) abgeschreckt werden.

 

Von dieser Art Diffamierung sind allerdings jene Formen zu unterscheiden, welche gegenüber Menschen mit bestimmten angeborenen Merkmalen ausgeübt werden, so z. B. die Diffamierung von Ausländern, welche z. B. aufgrund ihrer Hautfarbe diffamiert werden. Da diese Merkmale nicht abgelegt werden können, stellen sie auch keine echte Abschreckung dar. Natürlich erfolgt eine solche Diffamierung oftmals deshalb, um auf diese Weise die betreffenden Personen dazu zu bewegen, das Land zu verlassen.

 

Ein positiver Anreiz, welcher sich an das Gewissen wendet, erfolgt fünftens z. B. dann, wenn die Bürger aufgefordert werden, vorwiegend solche Waren zu kaufen, welche im eigenen Land produziert wurden.

 

Ein letzter sechster Anreiz, welcher negativer Natur ist und sich an das Gewissen der Beteiligten richtet, liegt z. B. bei den Maßhalteappellen der Politiker vor. So wurden z. B. die Tarifpartner im Rahmen der Konzertierten Aktion aufgefordert, nur solche Lohnsteigerungen zu beschließen, welche nicht über den vom Staat festgelegten Lohnleitlinien liegen. Wegen der in der BRD gültigen Tarifautonomie war es nicht möglich, die Tarifpartner zu einem solchen die Geldwertstabilität fördernden Verhalten zu zwingen; man appellierte deshalb an das soziale Gewissen (an die soziale Verantwortung) der Gewerkschaften und Arbeitgeber, alle Lohnsteigerungen zu unterlassen, welche die Geldwertstabilität gefährden könnten.

 

 Die Koordinationsleistung eines Ordnungssystems hängt allerdings nicht nur von der Art der Information und der Anreize ab. Koordination verlangt von den Beteiligten stets eine wechselseitige Anpassung und diese Anpassung unterscheidet sich unter anderem danach, wie schnell und wie differenziert auf Änderungen reagiert werden kann. Hierbei lässt sich zwischen einem zeitlichen, funktionellen und personellen Differenzierungsgrad unterscheiden.

 

In zeitlicher Hinsicht können sehr unterschiedliche Zeiträume verstreichen, bis eine Anpassung an die Datenänderungen überhaupt möglich ist. Nehmen wir den Markt, in dem – zumindest im Prinzip – eine Anpassung des eigenen Verhaltens an die Datenänderungen (z. B. an eine Preissteigerung) unmittelbar nach Eintreten der Datenänderung möglich ist. Erfährt ein Haushalt, dass sich die Preise bestimmter Gemüsesorten drastisch erhöht haben und ist es für einen Haushalt zweckmäßig, andere Gemüsesorten zu verbrauchen, so kann der Haushalt diese Anpassung unmittelbar nach der Preisänderung vornehmen.

 

Natürlich ist auch im Marktgeschehen bisweilen mit Verzögerungen in der Anpassung zu rechnen. So verhindern Kündigungsfristen die sofortige Minderung in der Nachfrage nach den Arbeitskräften, bei denen Lohnsteigerungen eingetreten sind. Kündigungsfristen stellen jedoch bereits Korrekturen des Marktes dar, die aufgrund politischer Ziele nachträglich eingeführt wurden. Es gibt aber auch Anpassungsverzögerungen, welche in der Natur des Produktionsprozesses liegen.

 

Wenn eine Unternehmung eine Produktionsanlage erworben hat, welche eine Produktion für eine Vielzahl von Jahren ermöglicht, ist es nicht vorteilhaft, bei Preissenkungen einer anderen Produktionsanlage, welche jedoch in etwa die gleiche Funktion erfüllt, unmittelbar die alte Anlage stillzulegen und eine neue Anlage zu erwerben. Eine Unternehmung wird im Allgemeinen erst dann die neue billigere oder technisch bessere Anlage erwerben, wenn die Lebensdauer der vorhandenen Anlage weitgehend abgelaufen ist.

 

Nehmen wir als Gegenbeispiel die Wahlprozesse im Rahmen einer staatlichen Demokratie. Gewählt wird in der Regel in Abständen von vier bis fünf Jahren. Treten innerhalb dieser Wahlperiode Änderungen ein, welche aus der Sicht der Wähler eine andere Zusammensetzung der Regierung erwünscht sein lassen, so können die Wähler im Allgemeinen diese Änderung erst nach Ablauf der Wahlperiode vollziehen. Es verstreicht also hier ein sehr viel längerer Zeitraum, bis auf die Datenänderungen reagiert werden kann.

 

Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen von dieser Regel. Bei besonders drastischen Ereignissen sehen manche Verfassungen vor, dass auch vorzeitig eine neue Wahl anberaumt werden kann; oder aber die Regierung sieht sich aufgrund besonderen Unmutes in der Bevölkerung veranlasst, vorzeitig zurückzutreten und damit den Weg für Neuwahlen frei zumachen. Hier wäre also dann die Verzögerungsperiode verringert. Trotz dieser Ausnahmen im Wahlprozess und auf den Märkten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass in wirtschaftlichen Systemen sehr viel schneller auf Datenänderungen reagiert werden kann als in politischen Wahlsystemen. Der zeitliche Differenzierungsgrad eines Marktsystems ist sehr viel größer als der eines politischen Wahlsystems.

 

Die Anpassungstiefe kann sich zweitens je nach Ordnungssystem auch in funktioneller Hinsicht unterscheiden. Eine Anpassung an Datenänderungen hat ein anderes Ergebnis, je nachdem, ob viele oder wenige Alternativen zur Diskussion stehen. Nehmen wir als erstes das Beispiel der Politik und unterstellen ein Mehrheitswahlsystem, in welchem vorwiegend zwei Parteien mit einander konkurrieren. Ist ein Wähler mit der Politik der augenblicklichen Regierung unzufrieden, hat er bei der nächsten Wahl lediglich die Möglichkeit, zur Oppositionspartei überzuwechseln.

 

Jede Partei stellt in ihrem Wahlprogramm eine Kombination von Lösungen unterschiedlicher Problemfelder zusammen. Es ist durchaus möglich, dass ein einzelner Wähler eigentlich die Wirtschaftspolitik und Kulturpolitik der Partei A, aber die Sozial- und Außenpolitik der Partei B präferiert; trotzdem muss er sich für eine Partei entscheiden und damit das von dieser Partei angebotene Lösungsbündel akzeptieren.

 

Haben wir ein Proporzwahlsystem, so sind die Wahlmöglichkeiten des Wählers zwar etwas größer, er kann dann in der Regel zwischen mehreren Parteien wählen; es bleibt jedoch die Beschränkung, die darin besteht, dass er sich für ein Lösungsbündel einer Partei entscheiden muss.

 

Ganz anders sind im Allgemeinen die Wahlmöglichkeiten eines Konsumenten in einem Marktsystem. Er wird hier bei Anpassungsprozessen nicht gezwungen, zwischen einigen wenigen Güterbündeln zu wählen. Er kann im Prinzip bei jedem einzelnen Gut, das er nachfragt, frei entscheiden, welche Güterart er wählt; der Umstand, dass er sich bei Lebensmitteln für Bio-Waren entschieden hat, zwingt ihn nicht zu einer ganz bestimmten Wahl z. B. bei Möbeln.

 

Natürlich ist es denkbar, dass sich bestimmte Güterzusammenstellungen aus weltanschaulichen oder aber auch aus modischen Gründen anbieten, wer Bio-Lebensmittel bevorzugt wird aus grundsätzlichen Überlegungen heraus auch z. B. Energiearten bevorzugen, welche aus erneuerbaren Energierohstoffen gewonnen wurden. Aber auch hier wird man davon ausgehen müssen, dass Marktsysteme insgesamt eine größere Anzahl von Alternativen ermöglichen als politische Wahlsysteme. Der funktionelle Differenzierungsgrad der Märkte ist größer als die Differenzierung politischer Systeme.

 

Unterschiede in den Ordnungssystemen ergeben sich drittens auch im personellen Differenzierungsgrad. Auf Märkten werden Individualgüter, in politischen Systemen hingegen Kollektivgüter angeboten. Der Umstand, dass sich das eine Individuum für das Gut A entschieden hat, zwingt in marktwirtschaftlichen Systemen nicht die anderen Individuen ebenfalls sich für das Gut A zu entscheiden. Die Entscheidungen der einzelnen Individuen sind im Markt grundsätzlich von einander unabhängig.

 

Natürlich gehen von den Entscheidungen des einen Individuums auch Einflüsse auf die Entscheidungen der anderen aus. Die Tatsache, dass das eine Individuum von einem bestimmten Gut mehr nachfragt, erhöht den Preis und über den Preis die Nachfrageentscheidung der anderen Individuen. Darüber hinaus gibt es Bemühungen z. B. durch Mode die Nachfrage der einzelnen Konsumenten so zu beeinflussen, dass alle Individuen möglichst ähnliche Güter nachfragen.

 

Aber hier handelt es sich weniger um Anreize, welche vom wirtschaftlichen Subsystem ausgehen als vielmehr um Einflüsse des kulturellen Subsystems. Trotzdem sind die Entscheidungen der einzelnen im juristischen Sinne unabhängig von einander, der Einzelne kann sehr wohl diesen Einflüssen trotzen und sich nicht an der allgemeinen Mode ausrichten.

 

In politischen Systemen werden hingegen die Leistungen grundsätzlich als Kollektivgüter angeboten, die der gesamten Bürgerschaft oder zumindest doch einem großen Teil zugute kommen, der Einzelne hat nicht die Möglichkeit, ein anderes Kollektivgut zu konsumieren als seine Mitbürger; er kann sich zwar durch Einfluss auf die Politiker darum bemühen, dass Kollektivgüter seiner Wahl angeboten werden, er hat jedoch in diesen Bemühungen nur dann Erfolg, wenn eine Mehrheit der Wähler ebenfalls diese Güter bevorzugt.

 

Fortsetzung folgt!