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A L L G E M E I N E

W I R T S C H A F T S P O L I T I K

V O N  B E R N H A R D  K Ü L P

 

 

 

 

Gliederung:

 

01. Betrachtungsweisen            

02. Methoden                              

03. Zielanalyse                            

04. Mittelanalyse                      

05. Trägeranalyse                        

06. Politische Ökonomie              

07. Wohlfahrtstheorie                

08. Ordnungsanalyse                  

09. Ordnungskonzeption           

10. Ordnungsdynamik       

 

 

Kapitel 9: Ordnungskonzeptionen Teil I

 

 

Gliederung:

 

01. Einführung

02. Der Laisser-faire-Liberalismus

03. Der Ordo-Liberalismus

04. Der Volkskapitalismus

05. Der Versorgungsstaat

06. Die Globalsteuerung

07. Die Planifikation

08. Die Konzertierte Aktion

09. Die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien

10. Der Konkurrenzsozialismus

11. Das Jugoslawische Modell

12. Die Zentralverwaltungswirtschaft

 

 

01. Einführung

 

Ordnungskonzeptionen legen fest, nach welchen Spielregeln Wirtschaftssysteme gelenkt werden. Es muss geklärt werden, wer das Recht besitzt, Wirtschaftspläne aufzustellen – nur der Staat oder alle privaten Unternehmungen und Haushalte –, und wie die hierbei auftretenden Interessenkonflikte zwischen den einzelnen Wirtschaftseinheiten zu lösen sind.

 

Im Verlaufe der neueren Geschichte wurden recht unterschiedliche Ordnungskonzeptionen entwickelt, wobei bei aller Vielfalt fast alle Konzeptionen auf die zwei gegensätzlichen Wirtschaftssysteme einer Zentralverwaltungswirtschaft auf der einen Seite und einer Verkehrswirtschaft auf der anderen Seite zurückgeführt werden können. Die meisten konkreten Ordnungsvorschläge verstehen sich als Varianten dieser beiden Grundkonzeptionen oder als Versuch, zwischen diesen beiden Extremen zu vermitteln.

 

Zu Beginn der Neuzeit entwickelte sich der Merkantilismus, das wirtschaftliche Ordnungssystem des Absolutismus. Im Rahmen des Merkantilismus versuchte der Staat, durch dirigistische Einflussnahme auf die Unternehmungen die Entwicklung zu einer Industriegesellschaft voranzutreiben. Die starken Eingriffe in die unternehmerischen Entscheidungen führten dann vor allem in England durch Adam Smith zur Freihandelsbewegung und zum Liberalismus, welcher die These entwickelte, dass die Wirtschaft sich selbst überlassen die besten Ergebnisse zeitige.

 

In Frankreich, dem Hauptland des Merkantilismus, wurden etwa zur gleichen Zeit ähnliche Reformkonzepte unter dem Namen des Physiokratismus entwickelt. Den Liberalen Englands und den Physiokraten war die Forderung gemeinsam, die staatliche Einflussnahme auf die Entscheidungen der Unternehmer zu lockern und die Behinderungen des Außenhandels abzuschaffen.

 

In der Art und Weise, wie die liberale und physiokratische Lehre ihre Konzeptionen begründete und hierzu Anleihen bei der damaligen florierenden Naturwissenschaft suchten, unterschieden sich allerdings diese beiden Schulen. Während der Physiokratismus das wirtschaftliche System als einen Organismus verstand, der ähnlich wie ein menschlicher Körper funktioniere und in dem ähnlich dem menschlichen Blutkreislauf auch ein Kreislauf der Güter und Geldscheine das wirtschaftliche Handeln reguliere, nahm der Liberalismus Englands Anleihen aus der Mechanik, so wurde vor allem vom Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage gesprochen und dieses mit dem Gleichgewicht der Kräfte, welche die Bewegung der einzelnen Gegenstände bestimme, verglichen.

 

Es kam dann sehr bald zur Abschaffung vor allem der Behinderungen beim Außenhandel aber auch in der Binnenwirtschaft, die zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung, aber in Folge auch zu extrem schlechten Arbeitsbedingungen führte. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass auch diese Wirtschaftsform des ‚laisser faire’ Kritik hervorrief. Kritik kam auf einerseits vom Marxismus, einer Bewegung, welche die Abschaffung des erwerbswirtschaftlichen Privateigentums und eine staatliche Planwirtschaft propagierte.

 

Andererseits entstanden Reformbewegungen aber auch von liberaler Seite; so vertrat vor allem Friedrich List, der durchaus Vertreter einer marktwirtschaftlichen Ordnung war, die Vorstellung, dass eine Volkswirtschaft in der Anfangsphase ihrer Entwicklung eines besonderen Schutzes in Form von Erziehungszöllen gegenüber den Ländern erhalten müsse, welche bereits weiter entwickelt seien und wegen Wegfalls von Entwicklungskosten die Waren zu weitaus geringeren Preisen anbieten könnten.

 

Auch im Hinblick auf die Binnenwirtschaft wurden vor allem von den sogenannten Kathedersozialisten Vorschläge unterbreitet, durch staatliche Korrekturmaßnahmen die Not der Arbeitnehmer zu mildern. Der Name ‚Kathedersozialisten’ wurde von den Marxisten gewählt, um anzudeuten, dass es sich hierbei um rein theoretische, an der Praxis vorbeigehende, nicht ernst zunehmende Vorschläge handle.

 

Die Kathedersozialisten waren Wirtschaftswissenschaftler, welche von der Vorstellung geleitet wurden, dass menschliches Handeln nicht mit den Methoden der exakten Naturwissenschaften aufgeklärt werden könnten, dass nur durch eine historische Beschreibung der wirtschaftlichen Vorgänge Wissen auf diesem Gebiete gebildet werden könnte. Gleichzeitig trat diese Gruppe aber auch für soziale Reformen ein. Daher auch die Bezeichnung Kathedersozialisten für diese Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern.

 

Die beiden Weltkriege auf der einen Seite sowie die Inflationserscheinungen und die Weltwirtschaftskrise auf der anderen Seite führten dazu, dass die marktwirtschaftlichen Ordnungen immer stärker durch staatlich planwirtschaftliche Elemente korrigiert und schließlich ausgehöhlt wurden.

 

Es ist klar, dass in Zeiten des Krieges möglichst alle Ressourcen für die Verteidigung eines Landes eingesetzt werden müssen und dass deshalb die Signale, welche von den Entscheidungen der Konsumenten ausgehen, diese Zielsetzung nur beeinträchtigen würden. Nur in einer staatlichen Planwirtschaft könne dieser Einfluss von Seiten der Konsumenten verhindert werden.

 

In Zeiten der Inflation hingegen führen die Ergebnisse eines reinen vom Staat unbeeinflussten Marktes zu immer stärkeren Ungerechtigkeiten, sodass sich der Staat in immer stärkerem Maße veranlasst sieht, zumindest bei den lebenswichtigen Gütern Höchstpreise zu verlangen, um so zu verhindern, dass die ärmeren Einkommensschichten mit ihrem Einkommen noch nicht einmal die existentiell notwendigen Güter erwerben können.

 

Aus der Kritik gegen das punktuelle und dirigistische Eingreifen in die Wirtschaftsordnung während der Weimarer Republik und gegen die zwangswirtschaftlichen Methoden während des nationalsozialistischen Regimes erwuchs dann im Ordo-Liberalismus vor allem in der unmittelbaren Zeit nach dem zweiten Weltkrieg unter Führung von Walter Eucken eine Renaissance des Liberalismus.

 

Dieser Neoliberalismus sprach sich für eine Wiederherstellung einer marktwirtschaftlichen Ordnung aus, der allerdings im Gegensatz zum Altliberalismus dem Staat sehr wohl eine führende Rolle nicht nur zur Herstellung, sondern auch zur permanenten Verteidigung einer marktwirtschaftlichen Ordnung zuerkannte. Diese ordnungspolitischen Aufgaben des Staates wurden in den sogenannten konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer Marktwirtschaft aufgezeichnet.

 

Wir wollen im Folgenden einen systematischen Überblick über die wichtigsten Varianten einer Wirtschaftsordnung skizzieren, wobei wir mit der ‚laisser faire’ Konzeption des Altliberalismus beginnen und mit der Idee einer Zentralverwaltungswirtschaft in ihrer reinsten Form enden.

 

Bei der Entwicklung eines Ordnungssystems kommt es vor allem auf drei  Grundfragen an. Diese Grundfragen beziehen sich auf die Ziele, die Mittel und die Träger der Wirtschaftspolitik.

 

Erste Frage:

 

Welche Grundziele werden verfolgt und wie werden die einzelnen Grundziele gewichtet?

 

Zweite Frage:

 

Welche politischen Maßnahmen zur Realisierung dieser Ziele sind erlaubt?

 

Und schließlich dritte Frage:

 

Welchen Trägern werden die politischen Aufgaben übertragen?

 

Hierbei zeigt sich, dass der Hauptunterschied der einzelnen Ordnungskonzeptionen in der Frage besteht, wie der Konflikt zwischen den Zielen einer individuellen Freiheit auf der einen, einer sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit auf der anderen Seite gelöst werden sollte. Die wichtigsten Unterschiede beziehen sich hierbei auf eine unterschiedliche Gewichtung der Ziele, auf eine unterschiedliche Definition der Ziele und schließlich auf eine unterschiedliche Beurteilung der Effizienz der einzusetzenden Maßnahmen.

 

 

02. Der Laisser-faire-Liberalismus

 

Adam Smith entwickelte im Jahre 1776 in seinem ‚Reichtum der Nationen’ ein sehr optimistisches Konzept der freien Entfaltung einer vom Staat befreiten Volkswirtschaft, er bot hiermit nicht nur die Grundlage für das Entstehen der modernen Wirtschaftswissenschaft, sondern legte darüber hinaus das Fundament einer wirtschafts­wissenschaftlichen Konzeption zur Verteidigung liberaler Auffassungen.

 

Jeremy Bentham (1789: Einführung in die Prinzipien von Moral und Gesetzgebung) und andere kamen von der Aufklärung und übertrugen diese Ideen auch auf wirtschaftliche Tatbestände. Die Aufklärung richtete sich vor allem gegen die geistige Bevormundung durch die offizielle Kirche und durch den Staat, sie appellierte an die Vernunft des Menschen und an die unbegrenzten Möglichkeiten eines aufgeklärten Menschen. So entstand die Bewegung des Utilitarismus, welche den Nutzen zum Maßstab wirtschaftlichen Handelns postulierte und eine Maximierung dieses Nutzens aller forderte.

 

Dies bedeutete jedoch nicht nur – wie oft beklagt – die Abkehr von moralischen Werten. Von genauso großer Bedeutung ist der Umstand, dass mit der liberalen Bewegung erstmals davon Abstand genommen wurde, das Wohl der Volksgemeinschaft mit dem Wohl des absolutistischen Herrschers zu identifizieren. Das Gemeinwohl wurde nun mit dem Wohl der einzelnen Bürger dieser Volksgemeinschaft gleichgesetzt. Und dieser Wandel stellte sicherlich gegenüber den mittelalterlichen sowie den absolutistischen Ideen einen enormen Fortschritt dar.

 

Bernard de Mandeville schuf 1714 mit seiner berühmten Bienenfabel die Grundlage für eine liberale Wirtschaftsordnung. Danach führen selbst Laster wie Luxus und Neid zu einer Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt, in dem sie Unternehmungen Anreize verschaffen, genau das zu tun, was auch im Interesse der Allgemeinheit, also des Gemeinwohls liegt.

 

Der Laisser-faire-Liberalismus sieht die individuelle Entscheidungsfreiheit vor allem vom Staat bedroht. Er geht davon aus, dass nur der Markt einen funktionierenden Koordinationsmechanismus kennt, um die Produktion an den Konsumentenwünschen auszurichten. Wichtigstes Ziel des Liberalismus ist also die Gewährung der individuellen Freiheit eines jeden Bürgers.

 

Freiheit wird hierbei im Sinne von Entscheidungsfreiheit verstanden. Der freie Markt, auf dem Konkurrenz herrscht, gilt als effizient im Hinblick auf die Konsumentenwünsche. Die Preise spiegeln nämlich die Knappheitsverhältnisse wieder, der Wettbewerb der Unternehmungen untereinander sorgt automatisch dafür, dass die Unternehmer genau dann ihren Gewinn maximieren, wenn sie die von den Konsumenten am meisten nachgefragten Güter produzieren.

 

Das Ziel der sozialen Sicherheit ist damit dem Ziel der größtmöglichen Freiheit des einzelnen untergeordnet; Eingriffe in den Markt werden – wenn überhaupt – (wie z. B. bei John Stuart Mill) allenfalls zur Sicherung des Existenzminimums akzeptiert. Sozialpolitische Ziele werden nur soweit anerkannt, als es um die Bekämpfung von Armut geht.

 

Allerdings wird eine Ergänzung des Marktes durch Fürsorgeeinrichtungen durchaus bejaht. Aber auch der Markt kann im Prinzip – und zwar im Rahmen der Privatversicherung – Sicherungsprobleme durchaus lösen.  Es bestehen erhebliche Zweifel, ob eine staatliche Bürokratie mehr Sicherheit bringen kann als der Markt.

 

Kritisiert wurde diese liberale Haltung vor allem damit, dass sich der Liberalismus durch ein zu großes Vertrauen in den Markt auszeichnet. Dass es Marktmängel gibt, wird erst sehr viel später im Rahmen des Ordo-Liberalismus anerkannt. Eine gewisse Rechtfertigung dieser Überzeugungen kann allerdings dadurch erfolgen, dass sich auch für die staatliche Bürokratie ein Politikversagen feststellen lässt.

 

Der Hinweis, dass die marktwirtschaftlichen Systeme Mängel aufweisen, führt deshalb nicht wie selbstverständlich zu der Überzeugung, dass an die Stelle einer freien Marktwirtschaft eine staatliche Planwirtschaft eingeführt werden müsse.

 

Es muss stets damit gerechnet werden, dass auch die staatliche Planwirtschaft Mängel aufweist. Erst die Überprüfung, welche Mängel, die der reinen Marktwirtschaft oder die der staatlichen Planwirtschaft, per saldo stärker ausfallen, liefert die Grundlage dafür, welches Ordnungssystem präferiert werden sollte.

 

 

03. Der Ordo-Liberalismus

 

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg entstand eine Renaissance des liberalen Gedankens, einer der Hauptvertreter dieses Neoliberalismus war Walter Eucken und die Freiburger Schule.

 

Wie der Altliberalismus war auch Walter Eucken davon überzeugt, dass allein der freie Markt in der Lage ist, die Produktion effizient an den Bedürfnissen der Konsumenten auszurichten. Und für diese Ausrichtung der Produktion an den Wünschen der Konsumenten gilt für Walter Eucken genauso wie für Adam Smith der Wettbewerb unter den Unternehmungen als essentiell.

 

Im Gegensatz zu den Altliberalen war Walter Eucken allerdings der Überzeugung, dass die individuelle Freiheit nicht nur durch den Staat bedroht werde, dass auch die Unternehmer und private Interessengruppen bestrebt seien, den für das Funktionieren der Marktwirtschaft notwendigen Wettbewerb durch monopolistische Zusammenschlüsse zu umgehen.

 

Es reiche deshalb nicht aus, dass der Staat in einem einmaligen Akt eine Wettbewerbsordnung herstelle, sondern es gelte, diese Ordnung auch stets durch aktive Wettbewerbspolitik zu verteidigen. Gerade aus diesen Gründen tritt Walter Eucken unter anderem für ein Kartellverbot ein.

 

Der Neoliberalismus fordert einen starken Staat, der sich allerdings auf marktkonforme Maßnahmen beschränkt. Während der Altliberalismus mit wenigen Ausnahmen jeglichen Eingriff des Staates in die Marktwirtschaft abgelehnt hat, hielt es Walter Eucken durchaus für notwendig, dass der Staat wirtschaftspolitische Maßnahmen ergreife, die allerdings stets marktkonform sein müssten.

 

Von einer marktkonformen Maßnahme spricht Walter Eucken immer dann, wenn der Staat nicht unmittelbar in den Marktprozess eingreift, sondern nur indirekt durch Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Daten seine wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen sucht. Zu den wirtschaftlichen Daten zählte Walter Eucken den Bedarf der Individuen, den Bestand der drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden und Kapital, das augenblickliche technische Wissen und die staatliche Rahmenordnung.

 

Wesentlich sei, dass die eigentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen bei den privaten Teilnehmern des Marktes verblieben. Eine befriedigende Produktion sei nur zu erwarten, wenn die privaten Unternehmer selbst darüber bestimmten, welche Güterarten und –mengen zu welchen Preisen, mit welcher Technik und an welchem Standort produziert werden sollten.

 

Wenn der Staat z. B. einen Mindestpreis festsetze und damit die Preisentscheidung des einzelnen Unternehmers außer Kraft setze, so sei dies eine marktinkonforme Maßnahme. Wenn jedoch der Staat über eine Umsatzsteuer seinen Finanzbedarf abzudecken suche, so beeinflusse er zwar das Ergebnis des Marktprozesses ebenfalls, die eigentlichen wirtschaftlichen Grundentscheidungen verblieben jedoch bei den einzelnen Unternehmern, sodass man hier von einer marktkonformen Maßnahme sprechen könne.

 

Auch dann, wenn der Staat einzelne private Aktivitäten, welche der allgemeinen Moral widersprechen, verbietet und somit die Zahl der erlaubten Alternativen reduziert, verbleibt nach wie vor ein – vielleicht zwar eingeschränkter – Handlungsspielraum für private Entscheidungen. Diebstahl, Korruption und Erpressung können unter Umständen den unternehmerischen Gewinn vergrößern, sie sind in jedem Falle zu verbieten, da sie den allgemeinen Sittengesetzen widersprechen.

 

Sie verringern zwar die Zahl der Alternativen, belassen jedoch nach wie vor dem Unternehmer die Freiheit, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen. Es ist nicht das Verbot, bestimmte Handlungen vorzunehmen, sondern das Gebot, ganz bestimmte wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, was den Marktprozess außer Kraft setzt.

 

Selbst dann, wenn der Staat alle möglichen Alternativen außer einer einzigen verbieten würde, was ja formal einem Gebot entsprechen würde, wäre die Verbotsregelung der Gebotsregelung überlegen, da ja in diesem Falle die Unternehmer die Möglichkeit hätten, nach neuen bisher unbekannten Alternativen Ausschau zu halten, die gerade deshalb, weil sie neu sind, auch nicht seitens des Staates verboten werden konnten.

 

Damit der Markt seine Aufgaben erfüllen kann, bedarf es nach Auffassung von Walter Eucken einer vom Staat wirtschaftspolitisch garantierten Ordnung (Ordo). Walter Eucken hat sieben konstituierende Prinzipien benannt, welche für das Funktionieren einer Marktwirtschaft unerlässlich sind.

 

Das eigentliche Grundprinzip jeder marktwirtschaftlichen Ordnung hat ein funktionierendes Preissystem zu sein. Nur dann, wenn ein freier, von staatlichen Einflüssen unabhängiger Preismechanismus gegeben ist, ist auch garantiert, dass die Produktion am Bedarf der Individuen bestmöglich ausgerichtet wird. Eine optimale Allokation setzt voraus, dass die einzelnen Preise die Knappheitsrelationen widerspiegeln und dies ist nur dann der Fall, wenn ein freier Preismechanismus zugelassen wird.

 

Die weiteren 6 konstituierenden Prinzipien dienen letztlich dazu, einen funktionierenden Preismechanismus zu ermöglichen. Hierzu dient erstens der Primat der Währungspolitik. Nur dann, wenn der Geldwert stabil ist, spiegeln die Preisrelationen die Knappheit der Ressourcen wider. Nach Walter Eucken kann wie wir bereits gesehen haben dieses Ziel nur dann realisiert werden, wenn der öffentlich rechtlichen Notenbank ein Angebotsmonopol eingeräumt wird.

 

Der Preismechanismus setzt zweitens Wettbewerb voraus, wobei nur bei Offenhaltung der Märkte im Innern wie gegenüber dem Ausland sichergestellt ist, dass keine Monopole entstehen.

 

Privateigentum, Vertragsfreiheit und volle Haftung sind weitere Voraussetzungen dafür, dass auf der einen Seite die wirtschaftenden Personen genügend Anreize besitzen, um jeweils die effizientesten Produktionsmethoden anzuwenden, dass aber auf der anderen Seite keine Möglichkeit besteht, die Freiheit der Marktpartner einzuschränken und Kosten auf dritte unberechtigterweise abzuwälzen.

 

Schließlich kann sich nur dann eine stabile Wirtschaftsordnung halten, wenn die Wirtschaftspolitik an einer konstanten und konsequenten Politik festhält, nur dann entsteht das Vertrauen, das Voraussetzung dafür ist, dass die Unternehmer auch bereit sind, die mit Innovation und Investition verbundenen Risiken auf sich zu nehmen.

 

Neben den konstituierenden Prinzipien, welche die Errichtung einer Marktordnung bestimmen, hat die Wirtschaftspolitik immer auch die Aufgabe, einerseits die innere Aushöhlung der einmal geschaffenen Wettbewerbsordnung zu unterbinden, anderseits unerwünschte Marktergebnisse zu verhindern. Hierzu dienen die regulierenden Prinzipien.

 

Das wichtigste regulierende Prinzip sieht Walter Eucken in einer aktiven Wettbewerbspolitik, welche die Bildung von Monopolen verhindern soll. Wir sprachen darüber bereits. Die drei weiteren regulierenden Prinzipien dienen dazu, Marktversagen möglichst auszuschließen.

 

Im Rahmen einer Einkommenspolitik soll allen Menschen ein minimaler Lebensstandard garantiert werden, wobei nach wie vor der Grundsatz zu gelten habe, dass die Einkommensverteilung im Wesentlichen durch den Markt zu koordinieren sei, aber durch staatliche Subventionen ergänzt werde kann.

 

Externe Effekte müssten in „exakt feststellbaren Fällen“ durch staatliche Eingriffe internalisiert werden. Auch dann, wenn ein anomales Verhalten des Angebots auf dem Arbeitsmarkt befürchtet werden müsse, sei ein staatlicher Eingriff nötig.

 

Im Rahmen der Kritik an den Gedankengängen Walter Euckens haben wir zwei verschiedene Richtungen zu unterscheiden. Kritik kann sich einmal gegen die Grundsätze dieser Ordnung selbst richten; diese Kritik wird bei der Diskussion der weiter unten zu diskutierenden Ordnungskonzeptionen angesprochen.

 

Kritik kann aber zum andern auch innerhalb des von Eucken vorgezeichneten Ordnungsrahmens erfolgen, die Kritik bezieht sich hier auf einzelne Ausgestaltungen der Wirtschaftsordnung. So wurde u. a. von B. Steinmann kritisiert, dass sich das Kriterium der Marktkonformität einseitig nur auf das Prinzip eines funktionierenden Preismechanismus beziehe, es wurde vorgeschlagen, die Marktkonformität einer Maßnahme an allen 7 konstituierenden Prinzipien zu messen.

 

Oder aber es wurde von Theodor Pütz festgestellt, dass die Frage, ob eine Maßnahme noch marktkonform sei, von den näheren Umständen abhänge und darüber hinaus vom Umfang der eingesetzten Maßnahme.

 

So wird generell eine monopolistische Marktform abgelehnt, da Monopolisten ihren Gewinn dadurch zu steigern versuchen, dass sie das Angebot künstlich verknappen und somit zu dem Grundziel allen wirtschaftlichen Handelns: zur Knappheitsbewältigung in Gegensatz stehen. Trotzdem sind die meisten liberalen Wirtschaftswissenschaftler der Überzeugung gewesen, dass die Schaffung und das Angebot von Banknoten einer einzigen Notenbank vorbehalten werden müsse. Hier würde eine Konkurrenz mehrerer nebeneinander bestehender Notenbanken zu einer durch einen Zuwachs der Gütermenge berechtigten Ausweitung der Geldmenge führen mit dem Ergebnis, dass das allgemeine Preisniveau stark ansteige und somit eine Inflation bewirkt werde.

 

Nur Friedrich Hayek war der Meinung, auch ein Wettbewerb zwischen mehreren Notenbanken würde zu einer Geldwertstabilisierung führen, da jede Notenbank ein starkes Interesse haben müsse, den Wert der eigenen Währung zu erhalten, sodass auch unter Wettbewerbsbedingungen keine Gefahr bestünde, dass die Geldmenge zu stark ausgeweitet werde.

 

Wenn diese Überlegungen auch überzeugen mögen, erscheint eine solche Regelung kaum praktizierbar, sie würde zu einem für Arbeitnehmer nicht zu verkraftenden Risiko führen, weil Arbeitnehmer immer befürchten müssten, dass die an sie ausgezahlten Löhne dadurch dezimiert werden können, dass gerade die Banknoten, in denen die Löhne ausgezahlt wurden, nach der Auszahlung der Löhne an die Arbeitnehmer entwertet würden.

 

Als Beispiel dafür, dass es auch vom Umfang einer politischen Maßnahme abhängen kann, ob diese Maßnahme als marktkonform eingestuft werden kann, lässt sich eine Vermehrung der Geldmenge seitens der Notenbank von einigen wenigen Prozentpunkten auf der einen Seite und einer Verdopplung oder sogar Verdreifachung der umlaufenden Geldmenge anführen.

 

Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass eine geringfügige Vermehrung der Geldmenge geeignet erscheint, eine Volkswirtschaft erfolgreich aus einem Konjunkturtief zu führen, während eine Verdopplung oder Verdreifachung der Geldmenge in relativ kurzer Zeit unweigerlich zu einer galoppierenden Inflation führen müsste, welche dann in aller Regel einen Zusammenbruch des gesamten Wirtschaftssystems zur Folge hätte.

 

Friedrich von Hayek hat gegen den Vorschlag eines Kartellverbots schließlich eingeworfen, dass die Macht privater Interessengruppen oftmals auf eine fehlerhafte Außenwirtschaftspolitik zurückgeführt werden müsse, dass bei Walter Eucken zu sehr auf die tatsächliche Marktkonform geachtet werde; es werde vernachlässigt, dass auch von einer potentiellen Konkurrenz aus dem Ausland eine den Wettbewerb erhaltende Wirkung ausgehe.

 

Allerdings ist diese Kritik an Walter Eucken nicht ganz berechtigt, da ja auch Walter Eucken wie bereits gezeigt die Ansicht vertreten hatte, dass ein Freihandel die Konkurrenzsituation verbessert.

 

Wenn also inländischen Unternehmungen eine Monopolstellung zuwachse, dann liege dies zumeist einfach daran, dass der Staat zuvor durch eine restriktive Zollpolitik den Wettbewerb der inländischen Unternehmungen mit den ausländischen Firmen unterbunden habe.

 

Hätte der Staat durch Verzicht auf die Erhebung von Importzöllen zugelassen, dass auch ausländische Unternehmungen Waren im Inland anbieten können, wären auch Unternehmungen, welche im Inland als einziger Anbieter eine Monopolstellung inne hätten, der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt.

 

Würden sie nun den Versuch unternehmen, durch eine künstliche Verknappung ihres Angebotes den Preis anzuheben, müssten sie befürchten, dass die ausländischen Unternehmungen ihre Waren vermehrt importieren würden und dass deshalb ein Teil der bisherigen Kunden des Angebotsmonopolisten zu diesen ausländischen Konkurrenten abwandern würden. Der Versuch des inländischen Monopolisten, die Preise anzuheben, wäre hier gescheitert. Dieses Beispiel macht deutlich, dass bei Freihandel auch die inländischen Monopolisten ihre Monopolmacht nicht ausspielen können.

 

 

04. Der Volkskapitalismus

 

Kapitalistische Systeme zeichnen sich nach einer weitverbreiteten Meinung dadurch aus, dass sie zwar zu einem hohen Wachstum beitragen, aber nur einer kleinen Oberschicht zugute kommen. Hier liegt der Gedanke nahe, die Vorteile des kapitalistischen Systems: die hohen Wachstumsraten zu übernehmen, aber das System so zu verändern, dass die materiellen Vorteile Allen zugute kommen.

 

Es ist dies der Gedanke eines Volkskapitalismus, eines Systems, bei dem nahezu das gesamte Volk zu ‚Kapitalisten’ wird. Solche Vorstellungen fanden in der Öffentlichkeit weite Verbreitung und haben auch unterschiedliche Quellen, eine dieser Richtungen entstammt der christlichen Soziallehre.

 

Auch der Volkskapitalismus bejaht die Marktwirtschaft, da diese die individuelle Entscheidungsfreiheit sichert. Aus sozialpolitischen Gründen wird jedoch eine Reform der Eigentumsordnung angestrebt, die in einer breiteren Streuung des Vermögens beruht. Verfügen auch die Arbeitnehmer über Vermögen, so verbessert sich die Einkommensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer. Neben seinem Lohneinkommen, erhält der Arbeitnehmer in diesem Falle auch ein Zinseinkommen, sein Gesamteinkommen vergrößert sich also.

 

Weiterhin gilt, dass der Einzelne auch während eines vorübergehenden Ausfalls seiner Arbeitsfähigkeit und eines damit verbundenen Wegfalls des regulären Lohneinkommens nach wie vor über Einkünfte, nämlich über Zinseinkommen verfüge. Er ist also durch sein Vermögen auch gegenüber den sozialen Risiken abgesichert. Notfalls können die zusätzlichen Kosten bei Eintritt eines sozialen Risikos (z. B. Krankheit) auch dadurch beglichen werden, dass Teile dieses Vermögens aufgelöst werden.

 

Gleichzeitig erfolge bei einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Volksvermögen eine Integration des Arbeitnehmers in den Betrieb, sofern eine Form der Vermögensumverteilung gewählt werde, bei welcher der Arbeitnehmer Miteigentümer der Unternehmung wird, in welcher er beschäftigt ist. Damit entfiele jedoch eines der wichtigsten Kritikpunkte gegen eine marktwirtschaftliche Ordnung, dass nämlich die Arbeit fremdbestimmt sei.

 

Kritisch gilt es anzumerken, dass die Rolle des Privateigentums zur Lösung der Sicherungs- und Verteilungsprobleme hier insgesamt überschätzt wird. Als erstes gilt es festzustellen, dass die bestehenden Einrichtungen der Sozialen Sicherung bei Auftreten der sozialen Risiken der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters und der Arbeitslosigkeit einen sehr viel effizienteren Schutz ermöglichen.

 

Auf der einen Seite kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Masse der Arbeitnehmer so viel Vermögen ansammeln kann, dass sie auf diese Weise einen vollständigen Schutz gegenüber den sozialen Risiken erfährt. Auf der anderen Seite ist jedoch der Schutz, den Versicherungsgemeinschaften gewähren können, immer wesentlich billiger als eine Abdeckung der Risiken über privates Vermögen. Ein vollständiger Schutz ist nämlich bei rein individueller Vorsorge nur gewährt, wenn die durch Ersparnis gebildeten Rücklagen dem maximalen Risiko entsprechen, während bei einem Schutz im Rahmen einer Versicherungsgemeinschaft immer nur das wesentlich geringere Durchschnittsrisiko mit dem Versicherungsbeitrag abgedeckt werden muss.

 

Zweitens muss bedacht werden, dass eine Verbesserung der Einkommensverteilung durch Vermögensbeteiligung nur dann zu erwarten ist, wenn nicht im Zuge dieser Reformmaßnahmen die Höhe des Lohneinkommens zurückgeht. Legt man nun die von Nicholas Kaldor entwickelte Verteilungstheorie zugrunde, so ist mit einem Anstieg im Gesamteinkommen der Arbeitnehmer nur in dem Maße zu rechnen, als sich die Sparquote der Arbeitnehmer erhöht.

 

Werden die Arbeitnehmer am erwerbswirtschaftlichen Vermögen beteiligt, so besteht immer die Gefahr, dass die bisherigen Ersparnisse der Arbeitnehmer aufgelöst werden, dass also gar nicht eine Zunahme, sondern nur eine Umschichtung der Ersparnisse (von Kontensparen auf Beteiligungen an den Unternehmungen) stattfindet.

 

Auch gilt es zu bedenken, dass nur diejenigen Arbeitnehmer an der betrieblichen Unternehmung beteiligt werden können, welche in einer erwerbswirtschaftlichen Organisation beschäftigt sind. Alle beim Staat oder bei Verbänden (bei nichterwerbswirtschaftlichen Organisationen also) Beschäftigten könnten an dieser Form der Vermögensverteilung ex definitione nicht teilnehmen. 

 

Drittens schließlich wird die Risikobereitschaft der Arbeitnehmer bei diesen Plänen überschätzt. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten des Erwerbs regulärer Einkommen. Man kann als Selbständiger oder als Unselbständiger tätig werden.

 

Die Masse der Arbeitnehmer entscheidet sich vorwiegend deshalb dafür, unselbständig zu bleiben, weil der Beruf des Selbständigen mit einem hohen Einkommensrisiko verbunden ist. In dem Maße nun, in  dem die einzelnen Arbeitnehmer am Vermögen der Betriebe, in welchen sie beschäftigt sind, beteiligt werden, übernehmen sie einen Teil der unternehmerischen Risiken, welche eigentlich gerade dadurch vermieden werden sollten, dass sich der Arbeitnehmer für die Unselbständigkeit entschieden hat.

 

Fortsetzung folgt!